Den ersten Schritt im Lebenszyklus der Wahrnehmung von Musikurheberrechten durch Verwertungsgesellschaften vollziehen Rechteinhaber*innen, indem sie Mitglied bei Verwertungsgesellschaften werden. Dies gilt, bei den im vorigen Kapitel vorgestellten direkten Mitgliedschaften, gleichermaßen auf internationaler Ebene.

Wie bereits dargestellt, sind auf rechtlicher Ebene die Voraussetzungen für internationale Mitgliedschaften in mehreren Verwertungsgesellschaften inzwischen gegeben. Dass Rechteinhaber*innen diesen Schritt gehen dürfen, ist das eine. Das andere ist die Frage nach der praktischen Umsetzbarkeit: welche Implikationen ergeben sich aus der direkten Mitgliedschaft auf Wirtschaftlichkeit und den Arbeitsaufwände?

Das folgende Kapitel betrachtet demnach die organisatorischen Herausforderungen direkter Mitgliedschaften. In diesem Zusammenhang wird einleitend die Methodik einer Interviewstudie mit neuen deutschen Musikverlagen vorgestellt, die den Ausgangspunkt für weiterführende Untersuchungen und die Entwicklung von Lösungsansätzen bildete (Abschn. 3.1). Anschließend wird ein Verfahrensmodell vorgestellt, auf dessen Basis direkte Mitgliedschaften für abzugrenzende geografische Gebiete und Rechtssubjekte strukturiert angegangen werden können (Abschn. 3.2). Daraufhin werden Abläufe und notwendige Daten für eine Mitgliedschaft bei einer Auswahl europäischer Verwertungsgesellschaften analysiert (Abschn. 3.2.7). Hiermit werden die unterschiedlichen Anforderungen und sich daraus ergebenden Herausforderungen veranschaulicht, die im Umgang mit den Verwertungsgesellschaften auftreten.

3.1 Internationale Verwertung – Eine Befragung deutscher Musikverlage

Die zunehmende Digitalisierung und Internationalisierung hat den Markt der Verwertung von Urheberrechten an Musikwerken nachhaltig beeinflusst. Angesichts der Dynamik der aktuellen Situation war ein exploratives Forschungsdesign notwendig, um zu verstehen, wie Musikverlage den Status quo einschätzen und welche Herausforderungen und Chancen sie sehen.

Dazu wurden zwischen Juni und September 2019 Interviews mit Vertreter*innen von neun deutschen Musikverlagen geführt. Die demografische Übersicht (siehe Abb. 3.1) der Befragten zeigt die unternehmerische Breite der Unternehmen, sowohl was das fokussierte Genre als auch wirtschaftliche Kennzahlen wie die Umsatzklassen anbelangt.

Abb. 3.1
figure 1

Demografische Übersicht der Befragten

Um Offenheit in der Fragestellung, aber gleichzeitig auch Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten, wurden die Interviews auf Basis eines halbstandardisierten Fragebogens mit 26 Fragen durchgeführt. Um eine gründliche und nachvollziehbare Analyse zu ermöglichen, wurden die Interviews, die telefonisch oder per Internetkonferenz geführt wurden, zunächst aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Die Dauer der Interviews lag insgesamt bei fünf Stunden, wobei die Gesprächslänge zwischen einer Viertel- und Dreiviertelstunde variierte. Zur Transkription, Codierung und Analyse wurde die Softwareanwendung f4Footnote 1 verwendet.

Die Interviews deckten folgende Themenfelder ab:

  • Erhebung grundlegender Charakteristika der befragten Unternehmen (Kernkompetenzen, Kernmärkte, Kennzahlen)

  • Status quo der Geschäftslage und Technologie des Verlagswesens

  • Erfahrungen, Herausforderungen und Potenziale in der internationalen Urheberrechtsverwertung

  • Zusammenarbeit mit Subverlagen und Verwertungsgesellschaften

Die oben dargestellten Themenfelder werden in den folgenden Buchkapiteln diskutiert. Dabei wird zur Illustration auf Zitate aus den Interviews Bezug genommen. Mit dem Ziel, eine Balance zwischen Pseudonymisierung und Nachvollziehbarkeit zu erreichen, werden die Zitate nach dem Schema (PX:Y) referenziert, wobei X für den Interviewpartner (siehe auch Abb. 3.1) und Y für die Absatznummer in der Transkription steht. Eine weitere – bereits in Abschn. 1.3 eingeführte – Nutzung der Zitate aus den Befragungen erfolgt zu Beginn eines jeden Buchkapitels.

3.2 Direkte Mitgliedschaften – Vorgehen und Entscheidungsgrundlage

Verwertungsgesellschaften genossen lange Zeit territoriale Monopole für die Verwaltung von Urheberrechten an Musikwerken und sicherten diese Praxis durch ihre internationalen Repräsentationsverträge ab, deren Grundstein bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelegt wurde (siehe Abschn. 2.2.1). Verlage, deren Kataloge sich international etablierten, stützten sich entweder auf dieses Netzwerk oder beauftragten Subverlage mit der Wahrnehmung ihrer Rechte in ausländischen Territorien (siehe Abschn. 2.1.3, 2.2.2).

Während diese Prinzipien in der vordigitalen Ära gute Lösungen boten, führte eine Reihe von Faktoren zu einer Liberalisierung des Marktes, die eine Vielzahl neuer Optionen und Herausforderungen für alle Marktteilnehmer hervorbrachte – eine Entwicklung, die im europäischen Raum mit der Durchsetzung der Richtlinie 2014/26/EU ihren Höhepunkt fand. Die Richtlinie manifestierte u. a. die Freiheit der Rechteinhaber*innen, ihre Urheberrechte an Verwaltungseinheiten ihrer Wahl für die Gebiete und Gegenstände ihrer Wahl zu übertragen (siehe Abschn. 2.2.2). Diese legislativ verankerte Freiheit zog jedoch auch eine neue Komplexität nach sich, die wiederum zu der Leitfrage dieses Kapitels führt: Wie können die internationalen Beziehungen zu mehreren Verwertungsgesellschaften wirtschaftlich rational gestaltet werden?

In den folgenden Abschnitten soll ein systematischer Ansatz zur Entscheidungsfindung und Verwaltung „direkter Mitgliedschaften“ bei Verwertungsgesellschaften anhand eines einheitlichen Phasenmodells (siehe Abb. 3.2) vorgestellt werden.

Abb. 3.2
figure 2

Übersicht zum Phasenmodell des Vorgehens „direkte Mitgliedschaft“

Das Modell stützt sich auf zwei Säulen: Erstens auf den Ergebnissen aus der Interviewstudie, die in Abschn. 3.1 vorgestellt wurde. Zweitens auf den empfohlenen Vorgehensweisen (Best Practices) der ITIL® Version 4 General Management Practice Supplier Management (AXELOS 2019). Die Wahl des ITIL-Frameworks erschien im Hinblick auf die digitale Transformation der Musikverwertung aufgrund des Bezugs zu IT-nahen Dienstleistungen zweckmäßig. Im Kontext des Supplier ManagementsFootnote 2 ist die Übertragung von Urheberrechten zur kollektiven Wahrnehmung als eine Form des Outsourcings zu verstehen, bei dem eine Verwertungsgesellschaft Lizenzierungs- und Verwaltungstätigkeiten für die Rechteinhaber*innen übernimmt.

Das Phasenmodell ist zwar in erster Linie als Orientierungsmodell für die Beziehungen zu traditionellen Verwertungsgesellschaften konzipiert, lässt sich aber durchaus auch auf die Beziehungen der Verlage zu anderen Dienstleister*innen im Bereich der Urheberrechtsverwaltung anwenden, z. B. zu rein administrativen Verlagen wie Kobalt (Miller und Klingner 2022a).

3.2.1 Phase 1: Strategische Ausrichtung des Musikverlags

Ziel

Der Zweck der initialen Phase besteht darin, ein klares Verständnis für den aktuellen Status quo und die Optimierungsrichtung des Verlagsgeschäfts zu erarbeiten

Wie in Abschn. 2.3 erläutert, hat sich die Rolle der Musikverlage im Zuge der digitalen Transformation verändert. Während ihre Tätigkeit anfangs vor allem aus dem Druck und Vertrieb von Notenblättern bestand, hat sich ihr Aufgabenspektrum inzwischen deutlich erweitert. Dieses reicht von administrativen Aufgaben über Werbe- und Vermittlungsleistungen bis hin zu eigenen Lizenzgeschäften in all ihren Varietäten. Gerade wegen ihrer Nähe zu Urheber*innen verschwimmen bei Independent-Verlagen im digitalen Zeitalter die Grenzen zwischen Verlags-, Label- und Künstlermanagementtätigkeiten (Tschmuck 2009).

Was die künftige strategische Ausrichtung des Musikverlagsgeschäfts betrifft, so betonten mehrere unserer Gesprächspartner*innen die Verschiebung hin zu Mikrolizenzierungen im Online-Bereich, wie es das folgende Zitate treffend illustriert:

„Also [...] auf jeden Fall, der Übergang zum digitalen und Streamingzeitalter und dem Wegbruch [...] der mechanischen und physischen Rechte und deren Übertragung aufs Digitale [...] Also jetzt gerade im Sync-Bereich setzen ja immer mehr auf den Trend Microlizenzierungen (unv.) wie man da Prozesse und Schnittstellen entwickelt, dass man eben sein Geld von immer mehr verschiedenen Sources bekommt.“ (P5:109–110)

Wie sich Musikverlage zur Option direkter Mitgliedschaften positionieren hängt von ihrer strategischen Ausrichtung ab. Konzentriert sich ein Musikverlag vorwiegend auf das selbstverwaltete Lizenzgeschäft oder ist sein Katalog überwiegend von nationalem Interesse, sind direkte Mitgliedschaften möglicherweise nicht das richtige Geschäftsinstrument.

Wird jedoch der Katalog eines Musikverlags auch stark im internationalen Raum genutzt, kann sich der Verlag nicht allein auf seine eigenen Lizenzierungsaktivitäten verlassen. Auch bei der Fremdadministration durch eine nationale Verwertungsgesellschaft im internationalen Raum oder durch Subverlage, werden Ineffizienzen in Form von niedrigeren Tantiemenzahlungen, mangelnder Kontrolle und Wartezeiten schnell bemerkbar.

Direkte Mitgliedschaften in ausländischen Verwertungsgesellschaften können diese Auswirkungen verringern. Das breite Management vieler direkter Beziehungen zu Verwertungsgesellschaften ist das Geschäftsmodell der international tätigen Verlagsadministratoren (z. B.: Songtrust, Kobalt). Ihre Kernkompetenz ist explizit die Netzwerkkoordination. Damit bieten sie – zumindest theoretisch – Musikverlagen mit international gestreut genutztem Repertoire eine effiziente Alternative zu den Optionen der Repräsentationsverträge der Verwertungsgesellschaften oder Nutzung von Subverlagen. Da die Positionierung der einzelner Verlage sich jedoch selten in dem einen Extrem (selbstkoordiniert, national) oder im anderen (fremdkoordiniert, international) wiederfindet, greifen die Verlage meist nur in Kernmärkten auf die Option der selbstadministrierten direkten Mitgliedschaften zurück.

„USA ist jetzt nicht so ein starker Markt für uns, England ist ja noch in der EU (lacht), Genau. Wie gesagt, wir machen schon Geschäfte international, mit Hong-Kong, mit Japan und so weiter. Aber das sind jetzt keine herausragenden Umsatzmengen“ (P3:22)

„Klar, […] man muss sich dann natürlich jedes Land mal einzeln betrachten, gucken, was man da für Umsätze macht oder gemacht hat in der Vergangenheit und dann jeweils bewerten lohnt sich das Aufkommen in dem Land den Aufwand zu betreiben […] da selber Mitglied zu werden und da selber alles anzumelden und so weiter oder ist der Umsatz einfach zu klein, so dass man dann sagt, dann soll die GEMA das weiter einsammeln.“ (P3:54)

Insgesamt hängt also die Einschätzung über den Marktzutritt in die direkten Mitgliedschaften von der Natur der Kernkompetenzen und der Kernmärkte der Musikverlage ab. Eine grobe Orientierung hierbei kann Abb. 3.3 bieten.

Abb. 3.3
figure 3

Strategische Positionierung und Ziele von Musikverlagen

Sind die strategische Positionierung und Ziele des Unternehmens eindeutig, müssen die bestehenden Verwertungsstrukturen einer kritischen Beurteilung unterzogen und die alternativen Wege, hinsichtlich der Relevanz von direkten Mitgliedschaften, analysiert und verglichen werden.

Maßnahmen

• Einschätzung des Ist-Stands und möglicher Entwicklungsrichtungen des Marktes

• Einschätzung der Eigenposition auf dem Markt und einer Optimierungsrichtung (z. B. durch SWOT-Analyse)

Ergebnisse

• Kernkompetenzen

• Kernmärkte

• Auswahl an Kriterien zur Erreichung der Optimierung

3.2.2 Phase 2: Evaluation der bestehenden Verwertungsstrukturen und Alternativen

Ziel

Der Zweck dieser Phase besteht darin, durch Änderungen in der Verwertungsstruktur eine Verbesserung der im vor- und nachgelagerten Verlagsgeschäft zu bewirken

In Phase 1 wurde die Optimierungsrichtung anhand der strategischen Ausrichtung des Verlags festgelegt, die eine Schlüsselkomponente bei der Bewertung von Verwertungsgesellschaften darstellt. Neben den dabei angeschnittenen internen Bedingungen, wie Kernkompetenzen und Kernmärkten, müssen Verlage bei der Bewertung der bestehenden Verwertungsstrukturen und Alternativen weitere interne sowie interaktive und externe Aspekte berücksichtigen. Welche dies im Fall von direkten Mitgliedschaften sind, soll in den folgenden Unterabschnitten dargestellt werden.

3.2.2.1 Verlagsinterne Aspekte

Neben der strategischen Ausrichtung sind auch die intern verfügbaren Ressourcen für den Erfolg direkter Mitgliedschaften bestimmend. Mit Ressourcen sind in diesem Fall vor allem Human- und IT-Ressourcen gemeint. Diese Prämissen spiegelten sich in unserer Befragung der Musikverlage wider.

Humanressourcen:

Unter Humanressourcen ist die Gesamtheit der Kompetenzen der Mitarbeiter*innen eines Unternehmens zu verstehen. Bei direkten Mitgliedschaften von Verlagen ist vor allem ein sicherer Umgang mit unternehmensübergreifenden Prozessen gefordert, der in der internationalen Kommunikation entsprechende Sprachkenntnisse voraussetzt.

„[…] schwierig, sag ich mal […] ohne die Sprache zu beherrschen Werke direkt anzumelden und sich da mit den Verwertungsgesellschaften auseinander zu setzen.“ (P7:42)

„Ich denke aber, da müssten wir unseren Mitarbeiterstab auch ausdehnen.“ (P6:40)

IT-Ressourcen:

Unter IT-Ressourcen sind sämtliche Mittel zu verstehen, die Unternehmen bei der Verarbeitung von Daten mit Hilfe von Informationstechnologie unterstützen. Grundsätzlich lassen sich IT-Ressourcen auf drei Ebenen unterscheiden: Auf der Infrastrukturebene gibt es physische (Rechenzentren) und hardwarenahe Ressourcen (Infrastructure as Code), die für den Betrieb der übrigen Ebenen notwendig sind; zur der Anwendungsebene zählt Software jeglicher Form. Sowohl die Bereitstellung der Infrastruktur als auch der Anwendungen, die für die Leistungserbringung notwendig sind, kann ausgelagert werden. Werden IT-bezogene Leistungen in Form von Geschäftsprozessen eingekauft, zählen diese zur dritten Ebene der IT-Ressourcen. Welche IT-Ressourcen ein Verlag selbst betreibt und welche er auslagert, hängt von seiner strategischen Ausrichtung ab. Während einige administrative Verlage ihre Technik selbst entwickeln und betreiben, bezogen die von uns befragten Verlage eine Cloud-Anwendung zur Verwaltung ihrer Verwertungsbeziehungen von dem Dienstleister ALVDIGITAL Systems.

„Na das wichtige dabei ist, dass man einfach über die technischen Mittel verfügt, dass man das alles so umsetzen kann.“ (P5:33)

Wenn diese Ressourcen nicht im hinreichenden Maß vorhanden sind, müssen sie durch entsprechende Aufwände ergänzt werden, um die Integration von direkten Mitgliedschaften zu ermöglichen.

3.2.2.2 Schnittstellen-Aspekte

Der Erfolg direkter Mitgliedschaften hängt nicht allein von der internen Geschäftsstruktur der Musikverlage ab. An den Schnittstellen zu den verlagsintern verwalteten Verwertungsstrukturen, etwa über die inländische Verwertungsgesellschaft, Subverlage oder Verlagsadministratoren, müssen die Schwächen und Stärken der bestehenden Wahrnehmungspfade und deren Verkürzungen gegeneinander abgewogen werden. Zu den harten Fakten zählen dabei die Umsatzerlöse, die Pünktlichkeit der Lizenzzahlungen, die durch die Intermediäre abgezogenen Verwaltungskosten (oder im Fall von Subverlagen einbehaltenen Tantiemen) sowie die Vollständigkeit und Korrektheit vorgenommener Abrechnungen und Auszahlungen (siehe Kap. 6).

„[...] dass eine Verwertungsgesellschaft tatsächlich in der Lage ist, [...] ein Großteil der anfallenden Lizenzen [...] einzusammeln und zu verteilen. Das ist natürlich auch ihre Aufgabe, aber es gibt halt welche, die machen es gut und [solche,] die machen es halt schlecht. [...] Personalmangel, [...] Kompetenz in Fachbereichen, IT- veraltet [...]

[Verwertungsgesellschaft X] ist effektiver, moderner, schneller, freundlicher [...] die auch [...] ihre Arbeitsschritte [...] optimieren und dadurch auch ihren Umsatz maximieren.“ (P4: 76–105)

Neben diesen harten Fakten existieren auch Einflussgrößen, die stark von der Wahrnehmung der beteiligten Personen abhängen. Dazu gehören die Erfahrungen bei der Kommunikation mit einer Verwertungsgesellschaft, die gegenseitige Transparenz und die allgemeine Zufriedenheit mit dem Dienstleistungsangebot der Verwertungsgesellschaft. Diese Parameter sind zwar nicht leicht zu quantifizieren, jedoch von großem unternehmerischem Wert. Einzelheiten zur Systematisierung dieser Aspekte werden in Phase 6 erörtert (siehe Abschn. 3.2.6).

Neben diesem Blick in die bestehenden Verwertungsstrukturen müssen auch Schnittstellen-Aspekte der neu anzubindenden Verwertungsbeziehungen untersucht werden: Sind die Verfahren, Datenformate und IT-Systeme mit der internen Infrastruktur vereinbar? Bieten die direkten Mitgliedschaften sonstige Vorteile, wie z. B. eine Anbindung an neue Vertriebswege oder Monitoring-Technologien, die Transparenz über lizenzierte Nutzungen schaffen? Generell gilt: Je kompatibler und durchsichtiger die unternehmensübergreifenden Kanäle sind, desto mehr Einfluss können die Verlage auf die angebundenen Verwertungsstrukturen ausüben.

3.2.2.3 Verlagsexterne Aspekte

Wenn ein Verlag beschließt, seine Verwertungsstruktur in einem bestimmten Gebiet oder einer bestimmten Rechtekategorie zu verbessern, und über die Ressourcen verfügt, die bestehende Lösung zu ersetzen, kann er auf öffentlich verfügbare externe Daten zugreifen, um die potenziellen Auswirkungen abzuschätzen.

Aus historischen Gründen haben die meisten Verwertungsgesellschaften in einem homogenen vertikalen Marktsegment (gleicher Rechtsgegenstand) immer noch territoriale Monopolstellungen (siehe Abschn. 2.1.3). Daher kann eine Marktanalyse in den meisten Fällen nur dabei helfen, festzustellen, ob die externe Koordinierung in einer direkten Beziehung zu einer Verwertungsgesellschaft wirklich mangelhaft ist oder ob nach den Schwächen tiefer in der Verwertungskette gegraben werden muss. Wenn beispielsweise die Lizenzzahlungen in einer bestimmten Region in keinem Verhältnis zu den Nutzungsstatistiken stehen, ist nicht notwendigerweise die Schnittstelle zwischen der vertretenden Einzugsstelle und der territorial zuständigen Verwertungsgesellschaft unzureichend: Es kann auch ein Hinweis auf die Unzulänglichkeit der mittelbar angebundenen Verwertungsgesellschaften in der Verwertungskette sein. Andererseits können in dem seltenen Fall, dass es sie gibt, auch konkurrierende Optionen entlang der Vertikalen für eine bestimmte Region gegeneinander abgewogen werden. Eine aggregierte Analyse des Marktes von Verwertungsgesellschaften ist jedoch für Verlage bis auf weiteres nicht einfach zu realisieren, da es keine öffentlich zugängliche Datenbank gibt, welche die Daten der Verwertungsgesellschaften in einer auswertbaren Form zusammenfasst. Eine Illustration dessen bietet folgende Fallstudie.

Fallstudie: Evaluation von Verwertungsgesellschaften

Man könnte meinen, das Mitgliedsverzeichnis der CISACFootnote 3, dem wohl international wichtigsten Dachverband für Organisationen zur Verwaltung von Urheberrechten, stellt eine gute Ausgangsbasis für eine initiale Datenerhebung dar. Dieses umfasst Eckdaten zu 146 Mitgliedsgesellschaften, die Urheberrechte an Musikwerken vertreten. Dabei sind die öffentlich zur Verfügung gestellten Daten wie folgt strukturiert:

  • In einer alphabetisch filterbaren Gesamtübersicht werden in einer Kopfzeile das Akronym der Verwertungsgesellschaft, die Art der Mitgliedschaft, das Land und die ICANN-Region des Sitzes der Verwertungsgesellschaft aufgelistet. Darunter sind die Adresse und die Kontaktdaten des Unternehmens aufgeführt. Die hier enthaltenen Informationen können als XLS-Datei heruntergeladen werden.

  • In der Einzelansicht einer ausgewählten Verwertungsgesellschaft werden weitere Daten in tabellarischer Form angezeigt: Neben den Informationen, die auch in der Gesamtübersicht erscheinen, werden u. a. Angaben zur Anzahl der Mitglieder, zum Umfang des verwalteten Repertoires oder zur Anzahl der Mitarbeiter gemacht. Diese Daten werden in einem statistisch auswertbaren Zahlenformat geführt. Neben diesen Daten sind zudem folgende Datenfelder für die Bewertung von Verwertungsgesellschaften für direkte Mitgliedschaften von Interesse: „Country“ (Land), „Acting Territory/Country“ (Tätigkeitsgebiet/Land), „Rights Managed“ (Verwaltete Rechte), „Number of Members“ (Anzahl der Mitglieder), „Number of societies with representation agreements“ (Anzahl der Verwertungsgesellschaften mit Repräsentationsvereinbarungen) und „Distribution frequency“ (Verteilungshäufigkeit).

So weit, so gut – doch die Korrektheit und Vollständigkeit der Daten lässt an einigen Stellen zu wünschen übrig:

  • Verwertungsgesellschaften sind zwar in der Lage (durch Tochtergesellschaften), mehrere Gebiete weltweit gleichzeitig zu bedienen (und dies auch außerhalb von Online-NutzungenFootnote 4), allerdings gehen solche Begebenheiten aus der bereitgestellten Übersicht der CISAC nicht hervor. Für alle Verwertungsgesellschaften der CISAC, die musikalisches Repertoire verwalten, entsprachen die Angaben im Datenfeld „Country“ dem Datenfeld „Acting Territory/Country“.

  • Mehrere Angaben waren lückenhaft: Angaben zu den verwalteten Rechte der Verwertungsgesellschaften waren nur für 24 Verwertungsgesellschaften überhaupt verfügbar. Falls Angaben vorhanden waren, erschienen diese nur halbherzig gepflegt – u. a. durch die vielen Rechtschreibfehler und Inkonsistenzen zwischen den Verwertungsgesellschaften. Falls verwaltete Nutzungsarten kommuniziert wurden, so erfolgte dies meistens nur entlang der Hauptkategorien („Performance“, „Mechanical“). Wenige Verwertungsgesellschaften referenzierten zumindest in Ansätzen auf die rechtliche Basis der verwerteten Rechte, z. B.: „communication to the publuic [sic!]“

  • Die Daten waren allgemein nicht standardisiert – weder strukturell noch sprachlich. Beispielsweise war das Freitextfeld „Distribution frequency“ abhängig von der Verwertungsgesellschaft sehr unterschiedlich eingetragen: meistens jedoch in der Heimatsprache mit ausgeschriebenen Zahlen.

  • Auch die Anzahl der Vertretungsvereinbarungen ist eine Kennzahl die leider geringen Aufschluss bietet. Da die Angabe hierbei zwischen den Gesellschaften abweicht (Spannweite: 274, Standardabweichung: 51), kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Verwertungsgesellschaften in einer direkten Beziehung zueinander stehen. Ob und wie viele Verwertungsgesellschaften zwischen der Lizenzierung und Tantiemenzahlung stehen bleibt deshalb ungeklärt – die Länge der tatsächlichen Verwertungsketten verschleiert.

Zusätzlich zu den oben erwähnten Datenfeldern ist in der Einzelansicht pro Verwertungsgesellschaft ein Abschnitt für die Offenlegung von Finanzinformationen vorgesehen – der wahrscheinlich wichtigste Abschnitt für die Bestimmung der Leistungsfähigkeit der Verwertungsgesellschaften. Angaben an dieser Stelle fehlten gänzlich.

Die Alternative für Musikverlage, welche sich einen Überblick des Marktes verschaffen wollen, besteht also darin, die Informationen bei den einzelnen Verwertungsgesellschaften selbstständig einzuholen. Unsere Untersuchungen zeigten jedoch, dass dies mit einem enormen Aufwand verbunden ist:

Obwohl die Richtlinie 2014/26/EU für die Verwertungsgesellschaften der Europäischen Union Mindestanforderungen an die Transparenz ihrer Tätigkeiten festlegt, mussten wir feststellen, dass die Datenqualität der Transparenzberichte der Verwertungsgesellschaften ebenfalls für die vergleichende Analyse der Leistung von Verwertungsgesellschaften nur begrenzt geeignet ist (Miller und Klingner 2022b). Das Format und die Semantik der Daten waren einheitlich inkonsistent, was Analysen ohne vorherige Transformationsschritte und menschliche Interpretation unmöglich machte.

Die Probleme der derzeitigen Datenlage lassen sich in zwei Hauptpunkten festhalten:

  • Die Daten sind verstreut: Es gibt keinen einheitlichen Zugangspunkt für die zu erhebenden Daten. Stattdessen müssen Quellen kombiniert werden.

  • Die Daten sind nicht standardisiert: Die Anforderungen an die Datenpflege sind uneinheitlich festgelegt und/oder durchgesetzt.

Nichtsdestotrotz wurden zwei Prototypen entwickelt, um das Potenzial der Daten anhand einer manuell erhobenen und weitestgehend harmonisierten Stichprobe für einen begrenzten Zeitraum und eine begrenzte Anzahl von Verwertungsgesellschaften zu demonstrieren. Ohne die Einleitung geeigneter politischer Maßnahmen oder anderweitige Herbeiführung eines Konsenses zwischen den Verwertungsgesellschaften wird jedoch eine echte Vergleichbarkeit unmöglich bleiben. Insgesamt werden die Verlage so daran gehindert, die Bewertung von Verwertungsgesellschaften zu rationalisieren.

Maßnahmen

• Interne Aspekte evaluieren (verfügbare Ressourcen)

• Schnittstellen-Aspekte evaluieren (in Verwertungsbeziehungen)

• Externe Aspekte evaluieren (Markt der Verwertungsgesellschaften)

Ergebnisse

• Bericht über verfügbare Ressourcen

• Bewertung aktueller Verwertungsstrukturen

• Liste möglicher Alternativen (Verwertungsgesellschaften)

3.2.3 Phase 3: Engagement in bestehenden und neuen Verwertungsbeziehungen

Ziel

Transparenz und kontinuierliches Engagement sind die Eckpfeiler jeder guten Beziehung. In dieser Phase geht es darum, ein gegenseitiges Verständnis der geschäftlichen Anforderungen zu erreichen. Verlage und Verwertungsgesellschaften müssen ein gründliches Bild von der Geschäftslage des jeweils anderen besitzen, da dies ihre zwischenbetrieblichen Aktivitäten bestimmt

Dies ist ein Thema, für das unsere befragten Verlage ein gutes Gespür hatten. In ihrer Wahrnehmung legten sie großen Wert auf gute Kommunikation, während ein geringes Engagement negativ bewertet wurde:

„Kommunikation ist hervorragend, also überraschend gut. […] ich möchte jetzt nicht sagen, dass die GEMA da schlechter ist, aber […] ich behaupte, dass die SUISA da etwas persönlicher ist.“ (P6:75–76)

„[...] ich hab zum Beispiel ein Subverlag in Spanien/Portugal, der zieht sich natürlich ne ganz ordentliche Percentage [sic!] ab dafür, dass er da unsere Rechte verwaltet, tut aber […] nicht wirklich aktiv was für unser Repertoire.“ (P3:50)

Befindet sich eine direkte Mitgliedschaft zu einer Verwertungsgesellschaft in Planung, sollten sich Verlage im Voraus über Erfahrungen mit der Verwertungsgesellschaft informieren. Dies kann über den Austausch mit anderen Verlegern oder mit Vertreter*innen der Verwertungsgesellschaft gelingen. Messen bieten dabei ebenso eine Plattform für einen branchenweiten Austausch.

„Ich hatte auf der MIDEM mehrfach sehr nette Gespräche mit den Leuten der KODA, Dänemark, die sich viel Mühe machen, die Daten transparent aufzuarbeiten.“ (P7:57)

Falls es nicht möglich ist, persönlichen Kontakt für eine langfristige Verwertungsbeziehung herzustellen, können Verlage selbstverständlich auch auf Auskunftsersuchen per E-Mail oder auf von der Verwertungsgesellschaft bereitgestellte Kontaktformulare zurückgreifen. Allerdings sei in diesem Fall anzumerken, dass es nicht ungewöhnlich ist, wenn Verwertungsgesellschaften auf solche Anfragen nur halbherzig reagieren, indem sie beispielsweise auf ihre öffentliche Website verweisen und so die Entwirrung der relevanten Informationen den Verlagen selbst überlassen (Reguera et al. 2016). Der Aufbau eines gegenseitigen Verständnis für überbetriebliche Prozesse legt den Grundstein für die nächste Phase: Übergang zu/Einbindung neuer Wahrnehmungsbeziehungen.

Maßnahmen

• Persönliche Kontakte knüpfen

• Informationsanfragen nutzen

• Kommunikationskanäle festlegen

Ergebnisse

• Vertrauensatmosphäre

• Erfahrungswerte

3.2.4 Phase 4: Übergang zu/Einbindung neuer Verwertungsbeziehungen

Ziel

In dieser Phase wird sichergestellt, dass Dienstleistungen aus direkten Mitgliedschaften bedarfsgerecht in die bestehende Verwertungsstruktur eingebunden werden

Wenn sich ein Verlag für den Aufbau einer direkten Beziehung zu einer Verwertungsgesellschaft entscheidet, müssen mehrere Schritte durchgeführt werden. Was hierbei zu beachten ist, soll im Folgenden näher erläutert werden.

„[…] also es hat mich am Anfang gerade sehr viel Zeit und Telefonate gebraucht, bevor ich herausgefunden habe, wie man es richtig abrechnet oder richtig erfasst, was die Zahlen bedeuten, die sie einem geben.“ (P2:70)

3.2.4.1 Standardmitgliedschaften

Der Eintritt in die direkte Mitgliedschaft erfolgt nach der Beantragung der Vertretung bei der Verwertungsgesellschaft. Meistens führt der Weg zur direkten Mitgliedschaft nur über standardisierte Formulare und großzügige RechtsabtretungenFootnote 5 (siehe Abschn. 3.2.7). Neben der vertraglichen Fixierung der Änderungen in den Verwertungsbeziehungen muss die Einbindung in die bestehende Verwertungsstruktur durch eine vollständige Anmeldung der Kataloge bei den Verwertungsgesellschaften begleitet werden, um ein reibungsloses Zusammenspiel zu gewährleisten (siehe auch Kap. 4). Unter anderem müssen die Anteile der einzelnen Rechteinhaber*innen an den Werken und ihre Rollen bei der Entstehung der Werke verlagsseitig transparent dargestellt, d. h. ggf. vorab vertraglich geklärt werden (siehe Abschn. 4.2). Dies ist ein zentraler Prozess, der bei der Erweiterung der Verlagskataloge laufend wiederholt werden muss und damit auch eine zentrale Rolle in der fortwährenden Kommunikation mit der Verwertungsgesellschaft spielt (Phase 3).

3.2.4.2 Multimodalität in Verwertungsbeziehungen

Während die obigen Ausführungen für Standardmitgliedschaften gelten, haben gewinnorientierte Verlage ein ständiges Interesse daran, ihre Verwertungsstrukturen zu optimieren, d. h. sie an veränderte Marktbedingungen anzupassen, z. B. wenn sie von alternativen Verwertungseinheiten bessere Konditionen für die Verwaltung derselben Rechtebündel für dieselben Zielmärkte angeboten bekommen. Auch wenn die Vertretung durch eine Verwertungsgesellschaft nur einmal beantragt wird, handelt es sich somit nicht um eine einfache Entscheidung für oder gegen die Vertretung – selbst wenn die Formulare der Verwertungsgesellschaft dies suggerieren mögen.

Nachdem der von Verwertungsgesellschaften gebotene Mangel an Entscheidungsspielraum in der Vergangenheit vermehrt zu Rechtsstreitigkeiten geführt hatFootnote 6, wurde in der Europäischen Union mit der Einführung der Richtlinie 2014/26/EU ausdrücklich manifestiert, dass es Rechteinhaber*innen grundsätzlich erlaubt sein soll, frei darüber zu entscheiden, welche Rechte und in welchem Umfang sie welcher Verwertungseinheit (inklusive sich selbst) zur Vertretung übertragen oder entziehen.Footnote 7

Neben der Frage nach dem Umfang der übertragenen Rechte, wurde auch die Frage nach ihrer Ausschließlichkeit vom Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission erörtert: Der Gedanke, die Ausschließlichkeitsbedingungen bei der Vertretung durch Verwertungsgesellschaften rechtsungültig zu machen, wurde von der Legislative jedoch kaum aufgegriffen (Schwemer 2019). Durch die Richtlinie 2014/26/EU wurde nur die Nichtausschließlichkeit der Vertretung bei multi-territorialen Lizenzmodellen zwischen Verwertungsgesellschaften eingeführt (Europäisches Parlament; Europäische Kommission 2014), nicht aber die bei der Vertretung im Mitgliedschaftsverhältnis.

Im Fall der gegenseitig garantierten Exklusivität der Beziehungen müssen Verlage als Mitglieder mehrerer Verwertungsgesellschaften rein rechtlich darauf achten, dass ihre Vertretungen auch exklusiv bleiben, d. h. dass sie der Verwertungsgesellschaft A die Rechte zur Verwaltung des von der Verwertungsgesellschaft B direkt verwalteten Gebiets entziehen, wenn es zu einer direkten Mitgliedschaft kommt. Ein hiervon abweichendes Verhalten wird bspw. im Falle des Berechtigungsvertrages der GEMA für satzungswidrig erklärt und entsprechend geahndet (GEMA 2020, § 5a).

Es liegt auf der Hand, dass jede Form der Modularisierung oder Aufteilung der Rechtebündel, die ihnen von ihren Mitgliedern übertragen werden, nicht im Interesse der Verwertungsgesellschaften liegt. Auf der Seite der Verwertungsgesellschaften und ihrer Interessenvertreter wird die Unerwünschtheit solcher Zustände damit begründet, dass die Lizenzlandschaft noch undurchsichtiger wird, da die Fragmentierung zu höheren Kosten für die Lizenznehmenden in Bezug auf die Suche, die Lizenzzusammenstellung und zur allgemeinen Verunsicherung führt. Die Aufspaltung von Rechtebündeln auf mehrere Verwertungseinheiten kann sich auch negativ auf den Solidaritätsgedanken der Verwertungsgesellschaften auswirken, während sie vor allem Verlagen mit einer starken Marktposition zugutekommen würde.

Während die obige Argumentationskette für multi-territoriale Lizenzmodelle gelten mag, findet der Großteil der Verwertung von Urheberrechten an Musikwerken immer noch innerhalb analoger Räume stattFootnote 8. Dies bedeutet auch, dass Lizenzierungen zum Großteil über die einheimischen Verwertungsgesellschaften der Lizenznehmenden erfolgen – zumeist diejenigen mit der „dominanten Marktposition“ (siehe § 48 VGG in DeutschlandFootnote 9, § 25 VerwGesG in Österreich). Damit hat das Vorgehen keine Auswirkungen auf den nachgelagerten Markt, d. h. also dass es etwaige Lizenzierungsprozesse nicht erschwert. Die Abschätzung sonstiger Auswirkungen direkter Mitgliedschaften auf den Markt der Verwertungsgesellschaften, wie z. B. der „Entsolidarisierung“ der Verwertungsgesellschaften wurden in Abschn. 2.2.5 erörtert.

Maßnahmen

• Verträge aktualisieren

• Schnittstellen-Prozesse verstehen

• Neue Anforderungen erfüllen

Ergebnisse

• Aktualisierte Verträge

• Neue Datenformate, Schnittstellen und Prozesse

3.2.5 Phase 5: Prüfung der Effektivität von Verwertungsbeziehungen

Ziel

Ziel dieser Phase ist es, zu kontrollieren und sicherzustellen, dass die Leistungen aus direkten Mitgliedschaften gemäß den vereinbarten Verträgen erbracht werden

Als Bindeglied zwischen Rechteinhaber*innen und Verwertungsgesellschaften sind Verlage bestrebt, die Wirksamkeit der von Verwertungsgesellschaften durchgeführten Verwaltungsprozesse sicherzustellen. Schließlich geht es hier um die Tantiemen, die sowohl den Verlagen als auch den von ihnen vertretenen Urheber*innen zugutekommen. Um die Wirksamkeit der Leistungserbringung von Verwertungsgesellschaften zu messen, müssen Verlage prüfen, inwieweit es der Verwertungsgesellschaft gelingt, die von ihnen eingenommenen Lizenzgebühren dem richtigen Repertoire zuzuweisen und abzurechnen. Hierbei bieten sich verschiedene Informationsquellen und Lösungswege, anhand welcher Verlage die Aktivitäten der Verwertungsgesellschaft überwachen und/oder proaktiv beeinflussen können.

Wie bereits in Abschn. 2.1.2 erläutert wurde, vergeben Verwertungsgesellschaften Pauschallizenzen. Das bedeutet, dass die Lizenzen nicht an ein einzelnes Werk gebunden sind, sondern an das Repertoire, das sie repräsentieren. Nach erfolgreicher Nutzung müssen die Lizenznehmenden durch die Bereitstellung von Metadaten darüber berichten, welche Werke sie im Rahmen der erworbenen Lizenzrechte genutzt haben (siehe auch Abschn. 6.1). Doch genau hier liegt der Knackpunkt, denn in der heutigen Zeit wird die Zuordnung von Nutzungen zum Repertoire immer komplexer, da die dafür erforderlichen Metadaten sowohl quantitativ als auch qualitativ immer umfangreicher werden. So ist beispielsweise in der Pop-Musik eine Vielzahl von Komponist*innen und Textdichter*innen an der Entstehung eines Werkes beteiligt, sodass die Kenntnis eines oder mehrerer Beteiligter oft nicht mehr ausreicht. Auf der anderen Seite bieten Identifikatoren wie der ISWCFootnote 10 zwar eine eindeutige Kennung, werden aber nur selten von Lizenznehmenden genutzt. Die anschließende Suche nach fehlenden Metadaten für eine eindeutige Werkzuordnung stellt für die Verwertungsgesellschaften einen erheblichen Verwaltungsaufwand dar, der sich in einer hohen Zahl von nicht zugeordneten Tantiemen und damit geringeren Ausschüttungen an die Rechteinhaber*innen niederschlägt.

Das United States Copyright Office veröffentlichte im Jahr 2020 eine Studie, die sich mit genau diesem Problem befasste und eine Vielzahl von Ansätzen beschrieb, die von Verwertungsgesellschaften weltweit verfolgt werden, um mit nicht zuordenbaren Nutzungen umzugehen. Das gängigste Szenario bestand dabei darin, dass Verwertungsgesellschaften die von ihnen vertretenen Rechteinhaber*innen in irgendeiner Weise einbeziehen und ihnen die Möglichkeit geben, nicht zugewiesene Nutzungen bei der Verwertungsgesellschaft geltend zu machen. Zu diesem Zweck stellen die Verwertungsgesellschaften Verzeichnisse auf verschiedene Arten und Weisen zur Verfügung: u. a. in unterschiedlichen Formaten (z. B. Excel oder PDF), auf Anfrage oder proaktiv, nur für Mitglieder oder auch öffentlich. Beim Zugang zu diesen Informationen können Verlage besondere Privilegien gegenüber Rechteinhaber*innen haben und z. B. direkt auf Portale zugreifen, auf denen sie selbständig automatisierte Abgleiche ihrer Kataloge mit den nicht zugeordneten Nutzungen durchführen können.

Neben nicht zugeordneten Nutzungen können auch falsch zugeordnete Nutzungen sich aus den Tantiemenabrechnungen herauskristallisieren. Um aufzuspüren, auf welche nicht oder falsch zugeordnete Nutzungen sie Anspruch erheben können, benötigen Verlage Referenzgrundlagen bzw. eine Dokumentationsbasis, die sie zugleich als Nachweis für ihren Anspruch gegenüber den Verwertungsgesellschaften nutzen können. Die Optionen dafür sind abhängig von den Nutzungsarten. Das Vorgehen für Aufführungen von Livemusik wird in Abschn. 6.2 vorgestellt. Weitere Lösungen bei anderen Nutzungen ist beispielsweise die Beauftragung externer Monitoring-Dienstleister*innen (z. B.: TuneSat), um weitere Informationen über Nutzungen ihres Repertoires zu sammeln.

Der Grad der Praktikabilität solcher Ansätze hängt jedoch davon ab, wie gut sich die Datenformate (Abrechnung der Verwertungsgesellschaft, Nutzungsdokumentation des Verlags) aufeinander abbilden lassen. Müssen neue Schnittstellen konzipiert werden, wie dies bei der Integration der Dienste neuer Verwertungsgesellschaften der Fall ist, ist dies immer ein zeit- und arbeitsaufwendiger Prozess. Ebenso kann der langfristige Erfolg nicht garantiert werden, wenn Verwertungsgesellschaften beschließen, die von ihnen akzeptierten Datenformate zu ändern. Deshalb operieren Verlage gerne mit standardisierten Datenformaten in der Kommunikation mit Verwertungsgesellschaften. Aber auch diese haben ihre Tücken, denn es gibt keine Garantie dafür, dass diese Formate über hinreichende Daten verfügen, sodass ein automatisierter Abgleich möglich ist (siehe Abschn. 6.3).

Maßnahmen

• Nutzungsdaten aus mehreren Quellen beschaffen

• Nutzungsdaten validieren und eventuell reklamieren

Ergebnisse

• Differenz aus dokumentierten und abgerechneten Nutzungen

• Reklamationen

3.2.6 Phase 6: Einschätzung der Effizienz von Verwertungsbeziehungen

Ziel

Ziel dieser Phase ist es, die Effizienz, mit der vereinbarte Dienstleistungen aus Verwertungsbeziehungen erfolgen, zu untersuchen

In der vorangegangenen Phase ging es um die Frage, wie Verlage messen können, wie effektiv die Verwertungsgesellschaften bei der Erbringung ihrer Dienstleistungen sind, und welchen Gestaltungsspielraum Verlage haben, wenn dies nicht der Fall ist. Für Musikverlage (und andere Rechteinhaber*innen) spiegelt sich die Effizienz von Wahrnehmungsbeziehungen in hohen Tantiemensätzen unter niedrigen Kosten und einer schnellen Verteilung wider (vgl. KEA 2006a, S. 18). Um die Rentabilität oder Effizienz der Wahrnehmungsbeziehung zu beurteilen, muss also der Umsatz aus der Leistungserbringung den dafür anfallenden Kosten gegenübergestellt werden.

In diesem Zusammenhang umfasst der Kostenpool weit mehr als nur die von der Verwertungsgesellschaft einbehaltenen Verwaltungsgebühren. Es geht um alle gewinnmindernden Komponenten der Beziehung, die in die Gleichung einbezogen werden müssen. So wurden beispielsweise Reklamationen gegenüber Verwertungsgesellschaften angesichts ihrer heterogenen Prozess- und Datenlandschaft als die kostspieligste und zeitaufwendigste Arbeit seitens unserer interviewten Verlage angeführt. Auch die Einnahmenseite besteht nicht allein aus Tantiemenforderungen. Bei den Verlagen spielen auch abstrakte Größen wie Freundlichkeit und Transparenz in der Kommunikation eine wichtige Rolle. Diese Faktoren sind jedoch nur bedingt quantifizierbar. Neben dem engen Entscheidungsspielraum der für sie reserviert ist, ist dies eine mögliche Erklärung dafür, dass die von uns befragten Verlage kaum einen systematischen Ansatz zur kontinuierlichen Überwachung und strategischen Ableitung von Maßnahmen für ihre Wahrnehmungsbeziehungen verfolgten.

An dieser Stelle besteht jedoch aufgrund des fortschreitenden Marktwandels ein großes wirtschaftliches Potenzial. Ein einfaches Instrument wie die Balanced Scorecard ermöglicht die Rationalisierung dieser Einschätzung, indem es die Eingliederung von Ertrags- und Kostengrößen in verschiedene Perspektiven vorsieht (Kaplan und Norton 1997). Die in Tab. 3.1 dargestellten Perspektiven wurden aus dem ursprünglichen Konzept der Balanced Scorecard übernommen, die strategischen Ziele wurden von denjenigen für Kunst- und Kultureinrichtungen inspiriert, die von Weinstein und Bukovinsky (2020) vorgeschlagen wurden. Hier handelt es sich lediglich um ein Musterbeispiel, welches das Potenzial dieses strategischen Instruments im Zusammenhang direkter Mitgliedschaften aufzeigen soll.

Tab. 3.1 Muster einer Balanced Scorecard für das Geschäftsmodell „direkte Mitgliedschaften“ + →Erhöhung wird angestrebt; − →Minderung wird angestrebt

Die Erkenntnisse aus der zahlenmäßigen Erfassung des Verwertungsverhältnisses können in eine strategische Neubewertung des Verlagsgeschäfts einfließen. Damit schließt sich der Kreis des Phasenmodells.

Maßnahmen

• Wertbasierte Analysen (bspw. Tantiemenumsätze)

• Kostenbasierte Analysen (bspw. Reklamationsraten)

Ergebnisse

• Übersicht über Leistungskennzahlen (z. B. Balanced Scorecard)

• Neue strategische Optimierungsrichtungen

3.2.7 Zwischenfazit

Das vorgestellte Modell soll zeigen, dass direkte Mitgliedschaften Verlage vor eine facettenreiche Managementaufgabe stellen. Auch wenn die Rechte nicht vom Verlag selbst, sondern von den Verwertungsgesellschaften wahrgenommen werden, haben derartige Wahrnehmungsbeziehungen erhebliche Auswirkungen auf das Geschäft der Musikverlage. Das Netz von Wahrnehmungsbeziehungen, das ein Verlag verwaltet, sollte strategisch gestaltet werden. Die Kooperationen sollten sorgfältig ausgewählt und mit großem Engagement gepflegt werden. Die Besonderheiten in der Aufnahme und Pflege von Wahrnehmungsbeziehungen sollten stets berücksichtigt werden. Auch sollten die Wahrnehmungsbeziehungen regelmäßig auf ihre Effektivität und Effizienz durchleuchtet werden und ggf. eine strategische Neuausrichtung beschlossen werden.

Zum Abschluss dieses Kapitels sei angemerkt, dass die vorgestellten Perspektiven im Prinzip auf jedes Administrationsverhältnis von Urheberrechten anwendbar sind, z. B. auch in Interaktion mit Subverlagen. Dabei sind stets die Spezifika der Wahrnehmungsbeziehungen zu beachten: im Falle der Verwertungsgesellschaften äußern sich diese bspw. in der Ausübung von Stimmrechten durch die Mitglieder, welche damit die Leistungen der Verwertungsgesellschaften lenken. Indem sie ihre Stimmrechte in vollem Umfang ausüben, können Verlage die Verwertungsgesellschaften dazu anhalten, Formate zu standardisieren und effizientere Verfahren und Technologien einzusetzen. Dies ist ein wesentlicher Vorteil gegenüber gewinnorientierten Verwertungseinrichtungen, die nur in ihrem eigenen wirtschaftlichen Interesse handeln.

„Letztendlich ist es ein Mitgliederverein und wenn die Wahrnehmung der Rechte der Mitglieder nicht effektiv erfolgt, dann müssten sich die Mitglieder eben bei der Vereinsführung mal so lange beschweren bis was passiert.“ (P4:107)

3.3 Prozess- und Datenanalyse

In diesem Abschnitt werden anhand einer Auswahl europäischer Verwertungsgesellschaften die konkreten Schritte, die zur Beantragung einer Mitgliedschaft notwendig sind, vorgestellt. Dies erfolgt mit dem Ziel, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der einzelnen Ansätze zu identifizieren und die daraus resultierenden Prozesse zu harmonisieren. Neben einer regulatorisch-organisatorischen Entwicklungsperspektive lassen sich auf Basis der Ergebnisse auch Anforderungen an IT-gestützte Systeme zur Verwaltung der Interaktion mit Verwertungsgesellschaften ableiten.

3.3.1 Vorarbeiten

Im Rahmen der Interaktion mit unterschiedlichen Verwertungsgesellschaften müssen Rechteinhaber*innen individuelle Besonderheiten hinsichtlich der Prozesse und Daten beachten. Um diese herauszuarbeiten, wurden in einem ersten Schritt relevante Verwertungsgesellschaften identifiziert. Dies war notwendig, weil es nicht mit vertretbarem Aufwand möglich ist, eine Detailanalyse aller Fälle vorzunehmen, da z. B. die CISAC etwa 230 Mitgliedsgesellschaften hat. Aus diesem Grund wurde auf die in Abschn. 3.1 vorgestellten Befragungen zurückgegriffen und die durch die Verlage geäußerte Relevanz als Kriterium ausgewählt. Aufgrund der Fokussierung auf deutsche Verlage wurde den Verwertungsgesellschaften aus dem D-A-CHFootnote 11-Raum die höchste Relevanz zugeordnet. Darüber hinaus wurde in den Gesprächen auch den Gesellschaften der Nachbarländer Niederlande, Frankreich, Italien und Schweiz eine hohe Relevanz zugeschrieben.

Da derzeit keine Übersicht der spezifischen Prozesse und Datenformate zur Anmeldung als Mitglied bei den einzelnen Verwertungsgesellschaften existiert, mussten die notwendigen Schritte und Daten basierend auf öffentlich verfügbaren Daten rekonstruiert werden. Tab. 3.2 zeigt die untersuchten Verwertungsgesellschaften sowie die Informationsquellen.

Tab. 3.2 Informationsquellen für Registrierungsprozesse bei Verwertungsgesellschaften (zuletzt geprüft am 28.03.2022)

Anhand der Daten in Tab. 3.2 ist ersichtlich, dass für alle relevanten Gesellschaften PDF- bzw. online-Formulare für die Mitgliedschaft existieren. Im Folgenden werden die einzelnen Schritte zur Prozess- und Datenmodellierung genauer erläutert und auf dabei entstandene Herausforderungen eingegangen.

3.3.2 Prozessmodellierung

Die Modellierung der Registrierungsprozesse erfolgte iterativ im Rahmen mehrerer Workshops. Dabei wurden die Formulare analysiert und zugrunde liegende Prozesse extrahiert. Ein beispielhafter Auszug aus der Registrierungsbeschreibung der GEMAFootnote 14:

„Sofern alle Voraussetzungen vorliegen und die erforderlichen Unterlagen bei der Abteilung Mitglieder- und Partner-Administration eingegangen sind, kann Ihr Aufnahmeantrag bearbeitet werden. Sie erhalten nun die schriftliche Bestätigung, dass Sie als Mitglied aufgenommen werden können, gemeinsam mit Ihrer künftigen Mitgliedsnummer, die in der folgenden Korrespondenz mit der GEMA bitte immer anzugeben ist.

Gleichzeitig werden Ihnen die Satzung und der Verteilungsplan, der die Verteilung der Erträge regelt, ein Wegweiser bzgl. der Modalitäten für die Werkanmeldung sowie die Zahlungsinformationen für Aufnahmegebühr und Mitgliedsbeitrag und last but not least der Berechtigungsvertrag übermittelt.

Diesen bitten wir Sie, unterschrieben an uns zurückzusenden. Sie erhalten anschließend ein von der GEMA gegengezeichnetes Exemplar für Ihre Unterlagen.“

Zur Umsetzung der strukturierten Prozessbeschreibungen wurden in den Workshops folgende Schritte abgearbeitet:

  1. 1.

    Modellierungsumfang festlegen: Zunächst wurde festgelegt, welche Bestandteile der Registrierung in die Prozessmodellierung einfließen sollen. Im vorliegenden Fall ist nur die Mitgliederregistrierung der Verlage im Fokus, andere Registrierungsvorgänge, wie z. B. die Anmeldung musikalischer Werke, liegen außerhalb des Betrachtungsbereichs.

  2. 2.

    Notwendige Aktivitäten identifizieren: Um einen ersten Überblick über den Prozess zu erhalten, wurden grobe Aktivitäten aufgenommen. Das sind die Hauptaktivitäten, die für eine Registrierung der Verlage notwendig sind.

  3. 3.

    Reihenfolge der Aktivitäten bestimmen: Zur Strukturierung der Prozesse wurden die Aktivitäten in zeitliche und logische Ordnung gebracht. Dies umfasst neben möglichen Parallelisierungen von Aktivitäten auch Abhängigkeiten untereinander.

  4. 4.

    Synchronisationspunkte identifizieren: In den meisten Fällen müssen Verlage bei der Registrierung mit den Verwertungsgesellschaften interagieren und z. B. auf Rückmeldungen warten. Diese Interaktionen wurden als Synchronisationspunkte in den Prozessen modelliert.

  5. 5.

    Aktivitäten ausdetaillieren: Um einen tieferen Einblick in den Registrierungsprozess zu erhalten, wurde die identifizierten groben Aktivitäten weiter ausdetailliert. Dies erlaubt es, einen Prozess auf verschiedenen Abstraktionsstufen zu betrachten. Beispielsweise können im GEMA-Prozess notwendige Dokumente auf zwei Arten übermittelt werden: online per Webformular oder per Post. In einer groben Darstellung zeigt der Prozess nur die einzelne Aktivität „Send membership application“. Hingegen werden bei einer feingranularen Darstellung die beiden Alternativen angezeigt (siehe Abb. 3.5).

  6. 6.

    Verzweigungen und Alternativen identifizieren: Bis zu diesem Punkt wurde stets von einem idealisierten Prozess (Happy Path) ausgegangen. In der Praxis zeigt sich, dass Fehler auftreten und Nachfragen notwendig sind, da z. B. notwendige Felder in PDF-Formularen nicht ausgefüllt wurden oder die Zustellung per Post länger als erwartet dauert. In den Workshops wurden daher mögliche Ausnahmesituationen sowie entsprechende Ausweichmöglichkeiten diskutiert.

Bei der Prozessmodellierung können zwei wesentliche Herausforderungen auftreten: mehrdeutige Beschreibungen und unzureichende Informationen. Da zur Identifikation der Prozesse Web- und PDF-Formulare herangezogen wurden, muss die Formulierung in natürlicher Sprache in formale Prozesskonstrukte übersetzt werden. Dies ist aufgrund möglicher Mehrdeutigkeiten nicht immer möglich, da z. B. die Reihenfolge der Aktivitäten nicht explizit beschrieben ist und sich daraus unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten ergeben. Diese Mehrdeutigkeiten wurden in den Workshops diskutiert, bis ein einheitlicher Prozess konstruiert werden konnte. Aufgrund der heuristischen Natur dieser Herangehensweise sind Abweichungen vom realen Prozess nicht auszuschließen. Diese sind bei einer Integration der Prozessmodelle in ein Produktivsystem iterativ an die Realität anzupassen.

Eine zweite – und aus Sicht der Autoren schwerwiegendere – Herausforderung liegt vor, wenn nicht genug Daten zur Prozessbeschreibung vorhanden sind. Beispielsweise schreibt die österreichische AKM auf ihrer Webseite lediglich, dass Musikverlage „company and usage relevant documents“ zuliefern müssen ohne eine genauere Aussage dahingehend, welche Dokumente dies umfasst. In solchen Fällen wurden Ausnahmebehandlungen in den Prozess hinzugefügt, um auf mögliche zusätzliche Anforderungen der Verwertungsgesellschaften zu reagieren.

Basierend auf den Textbeschreibungen wurden strukturierte Prozessmodelle in der Spezifikationssprache Business Process Model and Notation (BPMN) erstellt – einem international weitverbreiteten Standard zur graphischen Darstellung von Prozessen (Chinosi und Trombetta 2012). Durch die graphische Repräsentation wird ein schneller Überblick der Reihenfolge notwendiger Aktivitäten ermöglicht. Die Prozesse zur Registrierung bei der GEMA und der AKM/AUME sind in Abb. 3.4 und 3.5 dargestellt. Im Sinne einer klareren Darstellung enthalten diese Modelle keine Ausnahmebehandlungen sondern stellen idealisierte Registrierungsprozesse dar. Auch ohne tiefer gehende Kenntnisse der BPMN lassen sich sowohl strukturelle als auch inhaltliche Unterschiede in den Registrierungsprozessen identifizieren. Im Folgenden wird anhand des GEMA Prozesses (Abb. 3.5) die genauere Interpretation der Notation vorgestellt.

Abb. 3.4
figure 4

Prozessmodell für die Registrierung bei der österreichischen Verwertungsgesellschaft AKM/AUME

Abb. 3.5
figure 5

Prozessmodell für die Registrierung bei der der GEMA

Jedes BPMN-Prozessmodell besteht aus einer Sequenz sogenannter Aktivitäten, die jeweils einen präzise abgegrenzten Teilschritt darstellen. Jede Aktivität ist dabei einem Akteur zugeordnet; anhand der Darstellung in Abb. 3.5 sind die beteiligten Akteure Verlag und GEMA identifizierbar. Für die Modellierung der Registrierung sind nur die notwendigen Aktivitäten der Verlage von Interesse, daher enthält der GEMA-Bereich keine Aktivitäten.

Der Registrierungsprozess beginnt im unteren Teil von Abb. 3.5 mit der Vorbereitung des Mitgliedsantrags. Die BPMN erlaubt es, Aktivitäten in verschiedenen Detaillierungsgraden darzustellen, wie oben beispielhaft anhand der Aktivität Mitgliedsantrag absenden dargestellt. Je nach Anwendungsgebiet ist eine grobe Darstellung der Aktivität ausreichend (z. B. um einen Überblick über den Prozess zu erhalten) oder eine detailliertere Darstellung (z. B. zur Umsetzung in einer Software) notwendig.

Zur Synchronisation der Arbeit verschiedener Prozessbeteiligter bietet die BPMN Nachrichten und Ereignisse. Im GEMA-Registrierungsprozess wartet entsprechend der textuellen Beschreibung der Verlag beispielsweise auf den Berechtigungsvertrag. Da die Prozessbeschreibung aus der Perspektive der Verlage erfolgt, ist nicht im Fokus, wie die GEMA intern arbeitet, sodass die Übernahme der Daten seitens der GEMA und die Vorbereitung jenes Berechtigungsvertrags nicht dargestellt werden. Stattdessen stoppt der Prozess des Verlags an dieser Stelle und wartet bis die entsprechenden Dokumente angekommen sind.

In dieser Situation ist es möglich, dass es zu einem Fehler im Prozess kommt, da z. B. die Rückmeldung der GEMA länger dauert als erwartet. Eine Möglichkeit darauf zu reagieren, ist, dass der Verlag nach einer bestimmten Zeit bei der GEMA nachfragt, ob alle erforderlichen Unterlagen eingegangen sind und wie der aktuelle Bearbeitungsstand ist. Eine entsprechende Repräsentation in BPMN ist in Abb. 3.6 dargestellt. Dort ist spezifiziert, dass der Verlag zwei Wochen wartet und dann nachfragt. Danach beginnt der Warteprozess von vorn bis eines der beiden Ereignisse – zwei Wochen sind vergangen oder die Unterlagen sind angekommen – eintritt.

Abb. 3.6
figure 6

BPMN-Ausnahmebehandlung

Nach dem Eingang der Unterlagen seitens der GEMA muss der Verlag die Aufnahmegebühr zahlen, den Berechtigungsvertrag unterzeichnen und zur GEMA zurückschicken. Da die Reihenfolge dieser Aktivitäten nicht relevant ist, können sie quasi-parallel durchgeführt werden. Dies ist in Abb. 3.5 mittels eines sogenannten AND-Gateways dargestellt. Dieses Gateway teilt den Prozess in zwei parallele Sequenzen auf. Nachdem beide Aktivitäten durchgeführt wurden, werden die getrennten Zweige wieder zusammengeführt und der unterschriebene Vertrag erwartet.

Im Zuge der Workshops wurden die Registrierungsprozesse aller sechs relevanten Verwertungsgesellschaften mit BPMN modelliert. Eine Sammlung aller Prozesse findet sich onlineFootnote 15. Durch die Gegenüberstellung der Prozesse konnten Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Registrierungsabläufen der einzelnen Verwertungsgesellschaften identifiziert werden:

  • Digitalisierungsgrad der Registrierung: Die meisten Verwertungsgesellschaften bieten Autor*innen die Möglichkeit, sich direkt per Webformular ohne größeren Aufwand als Mitglied zu registrieren. Im Gegensatz dazu ist die Registrierung von Verlagen weitaus weniger digitalisiert. Stand April 2022 bieten lediglich die GEMA und die SUISA die Möglichkeit einer Online-Registrierung für Verlage an. Bei allen anderen untersuchten Verwertungsgesellschaften muss auf postalisch verschickte PDF-Formulare zurückgegriffen werden.

  • Übermittlung der Registrierungsformulare: Eine Besonderheit bei der AKM/AUME ist die Tatsache, dass Registrierungsformulare erst nach vorhergehender Prüfung versendet werden. Im Gegensatz dazu können bei den anderen untersuchten Verwertungsgesellschaften die Formulare direkt abgeschickt und entsprechend die Mitgliedschaft beantragt werden.

  • Notwendige Anzahl veröffentlichter Werke: Hier gibt es zwischen den verschiedenen Verwertungsgesellschaften deutliche Unterschiede. Die Bandbreite reicht dabei vom Nachweis über ein genutztes Werk (AKM/AUME), vier Werke (SACEM) bis hin zu zehn Werken (SIAE).

  • Zahlung der Registrierungsgebühren: Auch hier gibt es einige kleinere Unterschiede in den Prozessen der verschiedenen Gesellschaften. So sind z. B. bei der BUMA/STEMRA und der SIAE die Registrierungsgebühren eher früh im Prozess zu zahlen; bei der SUISA hingegen ist dies einer der letzten Schritte.

Die Erkenntnisse aus der Gegenüberstellung der Registrierungsprozesse sind Ausgangspunkt für die Vereinheitlichung der Prozesse sowie die Entwicklung von Software-Werkzeugen zur Unterstützung der Registrierung. Es hat sich gezeigt, dass Unterschiede in den Prozessen eher in Details auftreten, womit eine Harmonisierung und softwaretechnische Unterstützung realisierbar ist. Aufgrund der fehlenden Möglichkeit einer direkten Online-Registrierung sind derzeit allerdings immer noch MedienbrücheFootnote 16 in der Registrierung vorhanden.

3.3.3 Datenmodellierung

Neben den Abläufen bei der Beantragung einer Mitgliedschaft unterscheiden sich auch die zu übermittelnden Daten. Auch hier führen unterschiedliche Anforderungen seitens der Verwertungsgesellschaften zu erhöhten Aufwänden bei den Verlagen.

Unter Nutzung oben angegebener Informationsquellen wurden notwendige Daten zur Anmeldung bei Verwertungsgesellschaften gesammelt. Dabei ließ sich feststellen, dass jede Gesellschaft ihren eigenen Konventionen hinsichtlich der Bezeichnung von Daten sowie unterstützten Datenformaten folgt sowie unterschiedliche notwendige Datenfelder existieren.

Darüber hinaus sind Anmeldeformulare von Verwertungsgesellschaften aus verschiedenen Ländern in der Regel in der jeweiligen Landessprache verfasst. Aus diesen Gründen war es notwendig, die heterogenen Feldbezeichner zu harmonisieren und in eine einheitliche Struktur zu bringen. Zur besseren Nachvollziehbarkeit der einzelnen Harmonisierungsschritte sind in Tab. 3.3 die Datenfelder bei der GEMA-Anmeldung dargestellt.

Tab. 3.3 Auswahl an Datenfeldern bei der GEMA-Registrierung

Die Harmonisierung erfolgte anhand der folgenden Schritte:

  1. 1.

    Definition der Datentypen und möglicher Ausprägungen:

    Im ersten Schritt wurden für jede Verwertungsgesellschaft alle Datenfelder untersucht und deren Typ und Wertebereich extrahiert. Beispielsweise hat bei der GEMA das Feld Vollständiger Unternehmensname (ID: 2) den Datentypen String (Zeichenkette) und das Feld Rolle (ID: 19) hat den Datentypen Enum (Aufzählung) mit den möglichen Ausprägungen Inhaber, Geschäftsführer und Gesellschafter.

  2. 2.

    Identifikation von Beziehungen: Anschließend wurden Beziehungen zwischen Datenfeldern einer Verwertungsgesellschaft identifiziert. Aufbauend darauf konnten implizite Abhängigkeiten expliziert werden. So ist das Feld IBAN (ID: 30) bei der GEMA notwendig, wenn sich der anmeldende Verlag im SEPA-Bereich befindet. Andernfalls muss der Verlag eine Bankleitzahl angeben.

  3. 3.

    Kategorisierung: Im dritten Schritt wurden die einzelnen Datenfelder einer Gesellschaft in Kategorien eingeteilt. Um auch mit neuen Feldtypen arbeiten zu können, sind die Kategorien dazu nicht im Vorhinein fest definiert, sondern wurde im Laufe der Analyse flexibel erweitert.

  4. 4.

    Zuordnung zu normalisierten Feldern: Unter Bezugnahme auf die bis dato definierten Kategorien wurden die Felder einzelner Verwertungsgesellschaften iterativ den generischen, hinsichtlich Bezeichnung und Wertebereich normalisierten Feldern zugeordnet. Dazu wurde mit einer Verwertungsgesellschaft begonnen und deren Felder normalisiert. Bei der Bearbeitung weiterer Verwertungsgesellschaften wurden fehlende Felder, für die es bis zu diesem Punkt noch keine Zuordnung gab, entsprechend ergänzt. Während der Zuordnung war es notwendig, auf Abweichungen möglicher Ausprägungen einzugehen. Beispielsweise hat das GEMA-Feld Rolle die möglichen Ausprägungen Inhaber, Geschäftsführer und Gesellschafter. Hingegen hat das entsprechende Feld bei der SIAE nur die Ausprägungen Gesetzlicher Vertreter und Inhaber. Um flexibel zu bleiben, wurde die Gesamtmenge möglicher Ausprägungen verwendet, d. h. das normalisierte Feld Rolle hat die möglichen Ausprägungen Inhaber, Geschäftsführer und Gesellschafter wobei die beiden Ausprägungen Geschäftsführer und Gesellschafter auf das SIAE-Feld Gesetzlicher Vertreter abgebildet werden.

Im Ergebnis der Harmonisierung wurde ein vereinheitlichtes Datenmodell erstellt, welches in Tab. 3.4 dargestellt ist. Das vollständige Modell inklusive der Zuordnungen gesellschaftsspezifischer Felder ist online verfügbarFootnote 17.

Tab. 3.4 Generisches Datenmodell für die Registrierung mit einer Verwertungsgesellschaft

Wie auch bei den zugehörigen Prozessen der Verwertungsgesellschaften, sind die Unterschiede in den notwendigen Daten zur Registrierung eher in den Details zu finden. Dementsprechend stehen auch die verschiedenen Datenmodelle einer Digitalisierung und Schnittstellenentwicklung für den Registrierungsprozess nicht im Wege. Die größte Herausforderung ist hier eher organisatorischer und rechtlicher Natur, da je nach Land unterschiedliche gesetzliche Grundlagen der Verlagsarbeit zu beachten sind.

Entsprechend der Darstellung in Tab. 3.5 gibt es größere Unterschiede in der Menge an notwendigen Daten, die zur Registrierung mit einer Verwertungsgesellschaft angegeben werden müssen. Währen bei der AKM nur fünf Felder zu befüllen sind, hat das Formular der SACEM 60 Felder.

Tab. 3.5 Abdeckung der Datenfelder einzelner Verwertungsgesellschaften

Tab. 3.5 stellt neben der reinen Anzahl auszufüllender Datenfelder auch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Feldern einzelner Verwertungsgesellschaften dar. So haben beispielsweise (Zeile 1, Spalte 2) die AKM und die BUMA 2 % identische Datenfelder und 6 % der Datenfelder beider VG existieren nur in der AKM. Hingegen existieren 92 % der Datenfelder im Vergleich der BUMA/AKM nur in der BUMA (Zeile 2, Spalte 1).

Aus Sicht der Softwareentwicklung ist am sinnvollsten, eine Obermenge der notwendigen Felder zu bilden und je nach VG die entsprechenden Felder im Formular auszufüllen. Dementsprechend können in einer Anwendung zur Registrierung bei Verwertungsgesellschaften alle notwendigen Daten erhoben und dann entsprechend des jeweiligen Registrierungsprozesses eine Auswahl an die entsprechende Verwertungsgesellschaft ausgespielt werden.