Zusammenfassung
In der bisherigen Erforschung der Jugendkultur der Halbstarken und ihrer Vorläufer ist der technisch-industrielle Bezug der modernen Gesellschaft vernachlässigt worden. Dadurch ist die jugendkulturelle Zusammenfuhrung der Kontinuitätslinien eines wilden Lebensstils und eines wilden Motorradumgangs außer Acht geblieben. Denn auf der Grundlage der Alltagswelt der verstädterten Gesellschaft begründete ein jugendspezifischer Technikumgang in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre eine motorsportliche Subkultur, die sich gezielt gegen die tradierte Automobilkultur des Blut- und Geldadels richtete. Ihre Träger waren Arbeiter und Angestellte aus Industrie und Handwerk der Städte, die ihre praktischen Fertigkeiten auch in der Freizeit einsetzten. Daran knüpfte eine nationale Motorrad-Subkultur an, die auf das Agieren des proletarisierten Straßenkämpfers der SA abgestellt war. Im nationalsozialistischen Staat bildete sich eine wehrsportlich akzentuierte Motorsportkultur aus, die in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre zur Volksmotorisierungs-Kultur erhoben wurde. Auf deutsche und amerikanische Traditionsbestände gründete sich in den fünfziger Jahren die Subkultur der Halbstarken. Während lässig-zivile Männlichkeit und konsumorientiertes Freizeitverhalten der amerikanischen Tradition entstammten, lebte das Lärmhaft-Wilde und Provokativ-Belästigende der deutschen motorsportlichen Milieus wieder auf.
Abstract
The research on German youth culture with regard to “Halbstarke” and their forerunners has neglected the technical-industrial aspect of modern society. Therefore the connection of a wild life style and wild (aggressive) motorcycling of young males has not been discovered. Based on the every day life of urban society, a motoring subculture was founded by young people’s enthusiastic use of motorcycles in the late 1920ies. By this they opposed the (moneyed) aristocracy’s traditional attitude towards automobiles. Their protagonists were workers and employees from urban industry and handicraft, who also practised and developed their skills in their leisure-time. The habits of this motorcycle subculture have been imitated by the storm troops (SA) of the National Socialist movement.
In 1933 the National Socialist state established a motoring culture focussing on military sports and developed the culture of “Volksmotorisierung” in the second half of the 1930ies. So in the fifties the “Halbstarken”-subculture had roots in German history and the American way of life. Whereas male nonchalance, free time behaviour and consumerism refer to traditions in the USA, the noisy, wild as well as provoking elements revived the German motoring milieu.
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Fack, D. (2005). Jugend, Motorrad und Stadterfahrung. Die Kontinuität subkultureller motorsportlicher Milieus in der modernen Industriegesellschaft. In: Merkens, H., Zinnecker, J. (eds) Jahrbuch Jugendforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-80800-4_8
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