Bundesländer laut UN-Ausschuss bei Behindertenrechten säumig

Aktualisiert am 12. September 2023 | 18:59
Lesezeit: 4 Min
UN-Fachausschuss sieht starkes Verbesserungspotenzial in Österreich
UN-Fachausschuss sieht starkes Verbesserungspotenzial in Österreich
Foto: APA/THEMENBILD
Der UN-Fachausschuss sieht bei den Bemühungen Österreichs zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen deutlich Luft nach oben. Scharfe Kritik wird in dem nun vorliegenden schriftlichen Bericht - nach der im August erfolgten Staatenprüfung - an den Bundesländern geübt: "Der Ausschuss nimmt mit großer Besorgnis zur Kenntnis, dass die Landesregierungen dem Konvent wenig Beachtung schenken", heißt es wörtlich in dem Dokument.

Auch zeigte sich der Ausschuss in seinem Bericht (abrufbar unter https://go.apa.at/rurMA6t7) "besorgt" darüber, "dass es weder auf Bundesebene noch auf Ebene der Länder" strukturierte - rechtlich verbindliche - Maßnahmen zur Umsetzung der Konvention gibt, die die Behinderten-Organisationen bei der Entwicklung und Implementierung der Konvention eng einbeziehen.

Im Bildungsbereich fordert der Fachausschuss, den Ausbau des segregierenden (trennenden) Schulsystems etwa durch Sonderschulen "umgehend" zu beenden. Die Ressourcen und Finanzierung müsse von segregierender auf inklusive Bildung umgestellt werden. Außerdem wurde u.a. die Entwicklung einer bundesweiten Strategie für inklusive Bildung verlangt. "Besorgt" zeigte sich der Ausschuss über Mängel bei der Barrierefreiheit - etwa in Bereichen wie Gesundheitsdienstleister, Bildung und sonstigen Dienstleistungen. Rückschritte sieht der Bericht vor allem auch beim barrierefreien Wohnraum. Auch bei der sogenannten De-Institutionalisierung sei Österreich säumig. Gemeint ist der Rückbau von institutioneller Betreuung wie etwa Heimen und die Schaffung von dezentralen Hilfsangeboten. Hier wird eine bundesweite De-Institutionalisierungsstrategie gefordert.

Tobias Buchner vom Monitoring-Ausschuss, der die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich kontrolliert, sieht sich in der Kritik durch den UN-Bericht klar bestätigt. In den Handlungsempfehlungen werde "unüblich scharfe" Kritik an den Bemühungen Österreichs geübt, sagte er zur APA. Die Schärfe und die Präzision der Empfehlungen, was Österreich jetzt tun muss, "hat uns überrascht, auch wenn wir das natürlich begrüßen". Gegenüber den Handlungsempfehlungen von 2013 zeige der aktuelle Bericht eine "ganz andere Tonalität".

Das Dokument sei wesentlich detaillierter und etwa doppelt so lange wie 2013, auch werden "wesentlich detaillierter Maßnahmen angeführt, was zu tun ist". "Der Fachausschuss hat sich auf Basis der Berichte, u.a. vom Monitoring-Ausschuss, einen klaren Überblick verschafft und hat sich hier sehr, sehr konkrete Schritte überlegt, die aus unserer Ansicht nach auch ins Schwarze treffen", sagte Buchner. Während 2013 auch noch "einige lobende Kommentare" dabei gewesen seien, "so ist hier die Message: 'Die Schonfrist ist vorbei'".

Am deutlichsten werde dies bei den Anmerkungen des Fachausschusses zu den Themen Bildung sowie Selbstbestimmtes Leben. Bezüglich der Bildung zeigte sich der Ausschuss "zutiefst besorgt", etwa über den "Rückschritt" in Bereichen der inklusiven Bildung, betonte Buchner. Auch werde "unmissverständlich festgehalten, dass Österreich die segregierenden Bildungseinrichtungen zu beenden habe (wie Sonderschulen), sagte er. "Sonderschulen entsprechen nicht der UN-Konvention, das zweigleisige System muss auf ein Gleis in Richtung Inklusion umgeleitet werden."

Bezüglich der Selbstbestimmung habe der Fachausschuss klar gemacht, dass sich die Bundesländer beteiligen müssen, etwa bei der vom Sozialminister auf den Weg gebrachten persönlichen Assistenz. Es sei in den Handlungsempfehlungen festgehalten, dass einzelne Länder nicht ausscheren dürfen, "es werden die Länder sehr stark in die Pflicht genommen".

Die Empfehlungen des Monitoringausschusses seien vom UN-Fachausschuss stark übernommen worden, "wir fühlen uns in unserer Lageeinschätzung auch bestätigt", sagte Buchner. Die Politik sei nun "sehr dringend gefordert, dem Folge zu leisten".

Die Grünen betonten in einer Aussendung, dass einige wichtige Projekte in den vergangenen Jahren bereits umgesetzt worden seien. So etwa im Bereich des inklusiven Arbeitsmarktes. Jugendliche mit einer Behinderung unter 25 Jahren sollen nämlich nicht mehr automatisch für arbeitsunfähig erklärt werden können. Viel zu tun gebe es beim Thema inklusive Bildung. "In den Sonderschulen stecken derzeit enorme Ressourcen und viel großartige Expertise", die in die Regelschulen und inklusiven Klassen überführt werden müssten, so Bildungssprecherin Sibylle Hamann. Die Grüne Nationalratsabgeordnete Bedrana Ribo forderte indes die Bundesländer dazu auf, "ihre Hausaufgaben zu machen".

Der Behindertenverein ÖZIV forderte in einer Stellungnahme "mehr Tempo" bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Handlungsempfehlungen des Fachausschusses würden "die großen Versäumnisse" Österreichs aufzeigen, sagte Rudolf Kravanja, Präsident des ÖZIV-Bundesverbandes. Der Bundesverband appelliere daher sowohl an den Bund als auch die Länder, "endlich in die Gänge zu kommen und gemeinsam längst überfällige Verbesserungen und Reformen zum Wohle von Menschen mit Behinderungen umzusetzen". In manchen Bereichen wie bei der Inklusiven Bildung und bei der Barrierefreiheit im Wohnbau habe es sogar Rückschritte gegeben - "das ist ein blamabler Befund für die politisch verantwortlichen Entscheidungsträger:innen".

Klaus Widl, Präsident des Österreichischen Behindertenrates, sieht den "enormen Handlungsbedarf" bestätigt. Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sei auch 15 Jahre nach deren Ratifizierung noch immer nicht vollumfänglich umgesetzt.

Der Verein "VertretungsNetz", der im August ebenfalls bei der Prüfung in Genf vor Ort war, sprach von einem "beschämenden Fazit" der UN-Staatenprüfung und sieht einen "klaren Auftrag" an die österreichische Politik. Die Organisation, die sich für den Schutz der Grundrechte von Menschen mit psychischer Erkrankung oder intellektueller Beeinträchtigung einsetzt, verwies darauf, dass im Abschlussbericht die "Passivität der Länder" besonders hervorgehoben worden sei. Auch verwies die NGO auf den Hinweis der Kommission, wonach "die Bestimmungen des Übereinkommens sich auf alle Teile der Bundesstaaten ohne irgendwelche Einschränkungen oder Ausnahmen erstrecken".

NEOS-Behindertensprecherin Fiona Fiedler sprach in einer Aussendung von einem "vernichtenden Zeugnis", das aber nicht überraschend sei. "Wenn eine Bundesregierung immer nur schön und viel redet, aber nichts tut, ändert sich eben nichts, zumindest nicht zum Besseren." "Ganz besonders schlimm" sei, dass es im Bereich Bildung nicht nur Stillstand, "sondern sogar Rückschritte gibt", so Fiedler.