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Abo-Zwang, ICE- und Länder-Chaos - so unausgegoren ist das Deutschlandticket
Freitag, 05.05.2023 | 14:45
Symbolfoto zum Thema D-Ticket. Hand mit Smartphone. Im Hintergrund zwei Zuege (Züge) der HLB (Hessische Landesbahn) im B
IMAGO/Rene Traut Das Deutschlandticket ist unausgereift.
  • FOCUS-online-Redakteurin
Endlich ist er da, der Nachfolger des 9-Euro-Tickets. Eigentlich ein Grund zur Freude. Doch das Deutschlandticket krankt an vielen Stellen. Die, die es am meisten brauchen, wurden nicht mitgedacht.

Es hätte so schön sein können. Der Nachfolger des 9-Euro-Tickets ist da, endlich. Er nennt sich „Deutschlandticket“ und kostet 49 Euro. Verbraucher können damit Busse und Bahnen im Nah- und Regionalverkehr nutzen.

Zweifellos ist die bundesweit gültige Fahrkarte ein Erfolg. Noch vor zwei Jahren wäre so ein Ticket wohl unvorstellbar gewesen. Und auch die bisherigen Zahlen sprechen dafür, dass der Fahrschein gut bei der Bevölkerung ankommt.

Seit Vorverkaufsstart am 3. April haben sich laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) 750.000 Menschen das Ticket gesichert (Stand: 25. April). Mittelfristig geht der VDV von fünf bis sechs Millionen Neukunden aus.

Das hört sich alles gut an. Doch ein genauer Blick auf das Deutschlandticket zeigt, wie unausgegoren und verbraucherunfreundlich das Angebot in seiner jetzigen Form ist.

Gerade für ärmere Menschen ist das Deutschlandticket problematisch

Das fängt damit an, dass die Fahrkarte nur im Abo erhältlich ist. Wer das Deutschlandticket nutzen will, kann entweder monatlich oder jährlich für den Fahrschein bezahlen. Zum 10. jedes Monats lässt sich das Ticket kündigen.

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Das dürfte viele Menschen abschrecken. Einmal vergessen, die Fahrkarte abzubestellen, wenn ein Urlaub ansteht, und Verbraucher zahlen umsonst einen Monat für Bus und Bahn. Dazu kommt, dass das Abo-Modell gerade für einkommensschwache Haushalte problematisch ist.

Oft hangeln sie sich finanziell von Monat zu Monat. Im Alltagsstress geraten Kündigungsfristen schnell in Vergessenheit. 49 Euro sind viel Geld, gerade, wenn man sowieso jeden Cent dreimal umdrehen muss.

Forscher des Instituts Verkehr und Raum an der Fachhochschule Erfurt haben Menschen mit unterdurchschnittlichem Einkommen befragt. Dabei zeigte sich: Nur zehn Prozent der Studienteilnehmer waren bereit oder überhaupt in der Lage, 49 Euro für das Deutschlandticket zu zahlen. Für einkommensschwache Familien sind 49 Euro oft schlicht zu teuer.

Manche Verkehrsunternehmen holen Schufa-Einkünfte ein

Natürlich könnte es Ermäßigungen für ärmere Menschen, Schüler oder Auszubildende geben. Momentan fehlt aber eine bundeseinheitliche Regelung. Genauso wie bei anderen Deutschlandticket-Aspekten.

Ein Beispiel: In Hessen sind Fahrräder und Hunde im Deutschlandticket inbegriffen. In Sachsen dagegen müssen Verbraucher zehn Euro extra bezahlen, wenn sie ihren Hund mitnehmen wollen. Was passiert also, wenn jemand mit dem ÖPNV von Wiesbaden nach Leipzig fährt? Braucht er auf halber Strecke ein Zusatzticket?

Auch interessant: Manche Verkehrsunternehmen holen Schufa-Einkünfte ein, bevor Verbraucher das Deutschlandticket kaufen können. Meistens ist die Buchung nämlich nur im Lastschriftverfahren möglich. Das geht aus Berichten von „WDR“ und „Zeit online“ hervor.

Es kann also sein, dass einige Menschen das Angebot nicht nutzen können, weil ihre Bonität zu schlecht ist. Dabei geht es um den öffentlichen Personennahverkehr und damit auch um unsere Klimaziele.

Probleme mit Fernverkehrsverbindungen

Das betonte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) vor wenigen Tagen bei einer Rede am Berliner Hauptbahnhof. Wenn Schulden verhindern, dass eine Person günstig mit Bus oder Bahn zur Arbeit, Freunden und Familie fahren kann, hat Umweltschutz offensichtlich nicht die oberste Priorität.

Aber das Deutschlandticket hat auch Schwächen bei der Anwendung. Wer eine Strecke fahren will, die Regional- und Fernverkehrsabschnitte beinhaltet, müsste eigentlich nur das IC-, EC- oder ICE-Ticket kaufen. Das funktioniert zwar in der Theorie.

In der Praxis stimmt die gekaufte Verbindung aber nicht mit den tatsächlichen Reisedaten überein. Und das ist, wie „Zeit online“ vor kurzem berichtete, ein Problem. Bucht ein Deutschlandticket-Inhaber beispielsweise eine Fahrt von München nach Würzburg und fährt erst ab Nürnberg mit dem ICE, wird ein möglicher Ausfall oder eine Verspätung des Regionalzuges nicht berücksichtigt.

Das ist gerade bei Sparpreisen problematisch. Hier herrscht in der Regel Zugbindung. Verpasst der Deutschlandticket-Besitzer seinen Sparpreis-ICE, müsste er sich in Nürnberg eine neue Fahrkarte kaufen. Das ist teuer - bei kurzfristig gebuchten Tickets liegen die Preise häufig bei über 100 Euro.

„Ich gehe davon aus, dass wir den Preis erhöhen müssen“

Außerdem warnen Verbraucherschützer davor, dass Deutschlandticket-Besitzer zu ÖPNV-Nutzern zweiter Klasse werden. Sie könnten nämlich von der sogenannten „IC oder ICE“-Option ausgeschlossen werden.

Die besagt, dass Fahrgäste mit einem reinen Nahverkehrsticket ab einer Verspätung von 20 Minuten auf den Fernverkehr ausweichen dürfen. Sie müssen den Preis für die Fahrkarte zwar vorstrecken, haben aber einen Anspruch auf Rückerstattung.

Als wäre das nicht alles enttäuschend genug, ist nicht einmal sicher, ob es beim Preis von 49 Euro bleiben wird. Die Bundesregierung sprach schon vor Wochen von einem „Einführungspreis“.

Und der Präsident des VDV, Ingo Wortmann, sagte der Nachrichtenagentur AFP: „Ich gehe davon aus, dass wir den Preis erhöhen müssen.“ Wegen der Inflation, aber auch gestiegenen Personal- und Materialkosten.

Das Deutschlandticket ist verbraucherunfreundlich

Bundesverkehrsminister Wissing erklärte, mit dem Deutschlandticket sei Schluss mit „kompliziert und anstrengend“. Davon kann aktuell keine Rede sein. Denn nicht nur müssen Verbraucher zwangsweise ein Abo abschließen, das bei anderen ÖPNV-Tickets nicht notwendig war.

Gerade für ärmere Menschen ist das Deutschlandticket problematisch. Wegen des Abos, aber auch, weil 49 Euro immer noch zu teuer für einkommensschwache Haushalte sind. Und was ist eigentlich mit unseren Klimazielen?

Ein Ticket, das so verbraucherunfreundlich ist, ist ungeeignet, um aus Autofahrern ÖPNV-Nutzer zu machen. Und es ist ungeeignet, um den Menschen zu helfen, die eine günstige Fahrkarte am meisten brauchen würden.

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