Gasstreit

Russlands Machtspiele vergrätzen die Europäer
Dienstag, 19.11.2013 | 20:23
Erdgas Lieferausfälle in Europa
dpa Mitarbeiter von E.on Hanse in Hamburg

Russland zeigt im Gasstreit mit der Ukraine Härte – und schert sich offenbar wenig darum, dass in Europa der Rohstoff kaum mehr ankommt. Die EU ist empört – und hilflos.

Die Einschränkung russischer Gaslieferungen in die EU hat Brüssel kalt erwischt. Noch am Montag erklärte die EU-Kommission, es bestehe „keine unmittelbare Gefahr für die Versorgung der EU-Bürger“. Keine 24 Stunden später bekam Bulgarien kein russisches Erdgas mehr. Nacheinander meldeten am Dienstag auch Polen, die Slowakei, Österreich, Slowenien und Deutschland einen Rückgang der Gaslieferungen, der größte deutsche Importeur E.on Ruhrgas rechnete mit einem Totalausfall.

Die EU zeigte sich empört. Die Einschränkungen widersprächen den Zusagen sowohl Russlands als auch der Ukraine, dass der Streit zwischen den beiden Ländern keine Nachteile für Drittstaaten haben werde. Allerdings hatte der russische Ministerpräsident Wladimir Putin schon am 4. Dezember gewarnt, sollte die Ukraine für die EU und Südosteuropa bestimmtes Gas abzweigen, dann werde Russland die Versorgung einschränken. Die Lieferungen an die Ukraine selbst stellte der russische Staatskonzern wegen eines Streits über den Gaspreis schon am 1. Januar ein.

Es bleiben nur Mahnungen und Appelle

Es ist nicht der erste Konflikt ums Gas. Anfang 2006 drehte Russland der Ukraine zum ersten Mal den Hahn zu. Ein Jahr später blockierte Weißrussland im Streit mit Moskau die Durchleitung russischen Öls nach Deutschland, Polen und in die Ukraine. Ein ums andere Mal wird den Europäern damit vor Augen geführt, dass sie energiewirtschaftlich am Tropf hängen. Ihnen bleiben nur Mahnungen und Appelle: „Die Unterbrechung der Versorgung oder der Durchleitung von Gas gefährdet den Ruf Russlands und der Ukraine als verlässliche Liefer- und Transitstaaten“, warnte EU-Kommissionssprecher Johannes Laitenberger am Dienstag.

Doch Moskau scheint von den Appellen wenig beeindruckt. Schließlich weiß der russische Gazprom-Konzern, dass die EU ihren wichtigsten Rohstofflieferanten so schnell nicht wechseln kann. Seit Jahren geplante Pipeline-Projekte zur Umgehung Russlands stocken. Und so wird rund ein Viertel des in der EU verbrauchten Öls und Erdgases aus Russland importiert. Deutschland kaufte 2007 etwa 42 Prozent seines Jahresbedarfs in Russland.

In einzelnen Ländern ist die Abhängigkeit von Russland noch deutlich größer, insbesondere in Osteuropa. Die drei baltischen Staaten und die Slowakei beziehen laut EU-Zahlen praktisch ihr gesamtes Erdgas aus Russland, Bulgarien deckt über 90 Prozent seines Bedarfs mit russischem Gas, Tschechien knapp 80 Prozent, Ungarn mehr als 60 und Polen rund 50 Prozent.

Diese Länder dringen deshalb schon seit Jahren auf einen EU-internen Solidaritätsmechanismus für Krisen wie die aktuelle. Bislang gibt es dafür keinen Automatismus. Vorgesehen sind lediglich Beratungen von Energieexperten der 27 EU-Staaten, die dann gegebenenfalls eine Unterstützung der am stärksten betroffenen Länder beschließen könnten, wie ein Sprecher der EU-Kommission erklärte. In Bulgarien, wo die Gaslieferungen bereits in der Nacht zum Dienstag komplett ausfielen, reichen die Vorräte nach Angaben des Pipeline-Betreibers Bulgargaz nur noch für einige Tage.

Polen fordert mehr Solidarität

„Das ist unzureichend. Wir brauchen einen Solidaritätsmechanismus, nach dem die Gasvorräte in Notfällen geteilt werden“, forderte der polnische EU-Abgeordnete Jacek Saryusz-Wolski. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament warf der EU-Kommission und der tschechischen Ratspräsidentschaft vor, sie hätten „den Ernst der Lage unterschätzt“.

Auch handle es sich keineswegs um einen reinen Handelsstreit, wie die Kommission den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine nennt: „Wenn Gazprom seine Preisforderungen an die Ukraine binnen zwei Wochen von 250 Dollar auf 450 Dollar pro 1000 Kubikmeter erhöht, dann hat das einen politischen Beigeschmack.“ Die EU müsse in dem Streit entschlossen als Vermittler auftreten, forderte Saryusz-Wolski. „Wir können nicht warten, bis unsere Bürger erfroren sind und unsere Industriebetriebe schließen müssen.“

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