Völlig utopisch!

Völlig utopisch

Und es gibt sie doch: realisierte Utopien. In einem Buch der Weltreporter, an dem ich mitgeschrieben und das ich herausgeben habe, haben wir sie gesammelt. Ein Jahr lang haben die Weltreporter Utopien überall auf der Welt aufgespürt, Projekte und Gegengesellschaften, in denen sich am Rande der Globalisierung Menschen mit Abenteurergeist und Chuzpe den Traum eines besseren Lebens im Hier und Jetzt erfüllen – und dabei nicht selten den etablierten Staaten an den Karren fahren.

 

In 17 Kapiteln erzählen wir von kleinen und größeren Aufbrüchen und Ankünften: von einem afrikanischen Dorf, in dem ein Grundeinkommen die Lebenssituation und -gestaltung der Einwohner komplett umkrempelt; von einer chinesischen Underground-Waldorf-Schule, die Alternativen zum gleichgeschalteten, leistungsorientierten Bildungssystem bieten möchte; oder von einer Aussteiger-Familie in Neuseeland, die nahezu autark mit der Natur lebt.

Wir erzählen von Menschen, die versuchen ihr Leben so zu gestalten, wie sie es sich wünschen zu leben; die sich von immer engmaschigeren Lebensprinzipien einer globalisierten Wirtschaftsordnung, die kaum mehr Alternativen und Visionen zuzulassen scheinen, nicht bremsen lassen. Die das Glück, trotz aller Widerstände, in die eigene Hand nehmen. Das ist nicht immer einfach, aber – und das zeigt dieses Buch – es ist machbar.

Marc Engelhardt im Senegal

Auf dem Blog zum Buch hat mich Wibke Ladwig zur Entstehungsgeschichte des Buchs interviewt.

Wer sind die Weltreporter?

Wir sind (derzeit) mehr als 40 Journalisten, die es in die Welt gezogen hat. Jeder von uns lebt im Ausland und berichtet von dort als freier Journalist für deutschsprachige Medien: Zeitung, Magazin, Radio, Fernsehen, Internet. 2014 feiern wir unser zehnjähriges Jubiläum.

Warum es uns gibt? Weil der Chinakorrespondent Janis Vougioukas 2004 merkte, dass wir freie Korrespondenten zwar den tollsten Job der Welt haben – aber dass man, ohne Kollegen im Rücken, manchmal auch ganz schön alleine ist mit seiner Arbeit und auch mit seinen Problemen. Wir Weltreporter verstehen uns als Netzwerk – wir helfen uns gegenseitig, sind eine Art virtuelles, globales Reporterbüro.

Was macht Dich zu einem Weltreporter? 

Ich selbst habe 2004 meinen Job als Redakteur bei der Tagesschau aufgegeben und bin meiner Frau nach Kenia hinterher gereist. Seitdem berichte ich frei aus dem Ausland: erst sieben Jahre aus Afrika, seit 2011 aus Genf, wo viele internationale Organisationen sitzen.

Ich habe einen absoluten Traumjob: ich berichte den Menschen zu Hause, was mir (in Eurem Ausland) interessant und wichtig erscheint. Das kann Politik sein, Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur – Krise und Konflikt, aber auch Zukunftsprojekte und hoffnungsvolle Einzelschicksale.

Kein Tag ist wie der andere. Das tollste für mich ist es, so viele unterschiedliche und spannende Menschen treffen zu dürfen, deren Geschichten alle kleine Mosaiksteine der Welt sind. Ich bin neugierig und will die Welt verstehen, deshalb habe ich ein Buch zu Somalia recherchiert oder gerade eins zum Terror in Afrika. Es heißt immer, afrikanische Islamisten wollten den Gottesstaat – ich meine herausgefunden zu haben, dass sie vor allem an Geld aus illegalen Geschäften interessiert sind. Solche Erkenntnisse faszinieren mich.

Wie entstand das Weltreporter-Buchprojekt Völlig utopisch?

Obwohl wir Weltreporter überall auf der Welt verteilt sind, kommunizieren wir viel – über Email und Facebook, manchmal skypen wir auch zusammen. Und vor anderthalb Jahren, die Euro- und Medienkrise drückte allen in Europa und auch uns heftig aufs Gemüt, haben wir auf einmal gemerkt, dass uns alle die Frage beschäftigt hat: was gibt es da eigentlich noch?

Und dann haben die ersten angefangen, nach Leuten zu suchen, die ihren größten Traum leben, die eine Utopie verwirklicht haben anstatt tatenlos Trübsal zu blasen. Da haben wir gemerkt: das interessiert nicht nur uns, das ist ein großes, gesellschaftliches Thema, und zwar überall auf der Welt! Da mussten wir einfach ein Buch draus machen.

Im Buch geht es um „realisierte Utopien“. Ist das nicht ein Widerspruch in sich selbst?

Nein, weil es ja vor allem darum geht, die Grenzen im Kopf niederzureißen. Alles ist möglich, wenn man es wirklich will – das habe ich bei der Arbeit an diesem Buch gemerkt. Lass Dich nicht beirren, wenn andere Dich für abgedreht halten – es gibt immer auch Leute, die den Weg zu Deinem und ihrem eigenen Traum mitgehen wollen.

Und ehrlich: wollen wir den Rest unseres Lebens in einer konformistischen, ökonomiegetriebenen Einheitswelt verbringen? Also ich habe es da lieber bunt und ein bisschen jeck, wie wir Kölner sagen.

Utopien sind laut Politiklexikon „Auf die Zukunft gerichtete politische und soziale Vorstellungen, die Wunschbilder einer idealen Ordnung oder fortschrittlichen menschlichen Gemeinschaft zeichnen“. Was ist Deine Utopie für unsere Gesellschaft?

Die Freiheit, sich vielfältig entfalten zu können, ist für mich ganz zentral. Aber diese Freiheit sollte allen zur Verfügung stehen, und dass das nicht so ist, habe ich vor allem in Afrika immer wieder sehen müssen. Deshalb fand ich Otjivero so beeindruckend, das namibische Dorf, von dem ich im Buch schreibe: da bekommen alle Leute ein Grundeinkommen ausgezahlt, ganz ohne Bedingungen. Und peng: auf einmal, als die absolute Armut weg war, konnten die Leute sich entfalten, eine Existenz aufbauen oder sich auch einfach nur besser um ihre Kinder kümmern.

Das ist es doch, wofür eine Gesellschaft da ist – nicht dafür, um ein möglichst imposantes Bruttosozialprodukt zu erwirtschaften, von dem dann – wie in Namibia – nur wenige profitieren.