Was wird aus dem Partytourismus?

Der Ballermann auf Mallorca: Von den Anfängen bis zur Coronakrise

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Party total - dafür stand der Ballermann bisher. Doch dann kam die Corona-Pandemie. // Foto: Michael Wrobel

Wie die Partymeile zu dem wurde, was sie war, und zu was sie jetzt werden könnte, wo sie nicht mehr ist.

Wer in den vergangenen Wochen die Mallorca-Berichterstattung in Deutschland verfolgt hat, dürfte kaum um den Eindruck herumgekommen sein, dass die Insel einzig und allein aus dem Ballermann besteht und dass ihr Wohlergehen von diesem kleinen Strandabschnitt abhängt. Dieser Eindruck täuscht, wie wir alle wissen. Dennoch scheint dieser Lieblingsort der Urlaubs-Alkoholiker so tief im kollektiven Bewusstsein Deutschlands verankert zu sein, dass man glauben könnte, das zeitweise Ende der Partys zwischen den Balnearios 5 und 8 bedeute das Ende des Tourismus. Es ist nur eine Minderheit, die aus diesem Grund auf die Insel kommt: Laut einer Umfrage von 2019 geben zwölf Prozent der deutschen Mallorca-Urlauber „Party“ als Hauptmotiv für ihre Reise an. Doch diese Minderheit artikuliert sich so laut und stürmisch in den sozialen Medien, wie sonst nur vor der Bierkönig-Bühne bei den Auftritten von Mia Julia. „R.I.P. Playa de Palma“ wird da gepostet, „Tschüss, Ballermann“ oder „Der Kult darf nicht sterben!“ Doch welcher Kult ist da eigentlich gemeint?

Die Anfänge des Ballermanns auf Mallorca

Der Journalist Ingo Wohlfeil beschäftigt sich seit Jahren mit der Geschichte der Playa de Palma und der Entstehung des Ballermanns. Er glaubt, dass die Wortschöpfung „Ballermann“ und die damit verbundene Karnevalisierung der Playa auf einen Kölner Hobby-Fußballverein zurückzuführen ist. „1972 flog erstmals der FC Merowinger an die Playa de Palma. Weil es einfach billiger war als Urlaub in Westdeutschland. Die Thekentruppe brachte im Handgepäck die Kölsch-Fässer und die Tuppertöpfe voller Gulasch mit, weil sie der spanischen Grundverpflegung zutiefst misstraute. Und da ein Kölner auch in fremden Ländern stets zeigen muss, das er ein Kölner ist, kamen auch die Karnevalskostüme am Strand zum Einsatz.“

„Die Thekentruppe brachte im Handgepäck die Kölsch-Fässer und die Tuppertöpfe voller Gulasch mit.“

Journalist Ingo Wohlfeil über die ersten Ballermann-Urlauber

Treffpunkt der Truppe wird über die Jahre nach und nach der Balneario 6 am Strand, ein Badehäuschen, ursprünglich eine Umkleidekabine, wo auch für wenige Peseten Bier ausgeschenkt wird. Da der Merowinger sich gern einen „ballert“ und danach Schwierigkeiten hat, das Wort „Balneario“ auszusprechen, wird daraus Ballermann. „Irgendwann gegen Ende der 70er-Jahre muss das gewesen hat“, sagt Wohlfeil, „leider können sich die Beteiligten nicht mehr genau erinnern.“

In den 80er-Jahren beschränkt sich die Party vorerst auf den Ballermann 6 und das klassische Nachtleben. Der Sänger Mickie Brühl („Buenos días, Matthias“) erlebte 1986 zum ersten Mal das Treiben. „Tagsüber traf man sich am Ballermann 6 auf zehn bis zwölf Bier, dann torkelte man durch die Schinkenstraße heim, machte sich schick, um ab 22 Uhr in den Diskotheken weiterzufeiern. Das war aber längst keine Massenbewegung.“

Erst spricht es sich an Rhein und Ruhr herum, dass man in Spanien bereits tagsüber ungezwungen einen Heben kann. Und so feiern an der Playa hauptsächlich die Karnevalsvereine, Kegel- und Fußballclubs von Bonn bis Unna. Das ändert sich 1997, als der Film „Ballermann 6″ mit dem Schauspieler Tom Gerhardt in die Kinos kommt. Inhalt der Quatsch-Komödie: Zwei Kölner Proleten feiern exzessiv am Strand und saufen aus Eimern. Von da an zieht es auch viele andere Deutsche an den Ballermann, und Mallorca hat ein neues Image weg: die Insel, auf der man sich betrinken kann wie ein Blöder und sich auch so benehmen. Wer das einmal erlebt hat, kommt immer wieder – oder wendet sich angeekelt ab. Die Playa wird zum Hauptreiseziel des Partytourismus oder wie Kritiker sagen: des Sauftourismus.

Die Gastronomen unterstützen diese Bewegung, indem sie eine alkoholische Rund-um-die-Uhr-Versorgung einführen. Seit ­Beginn des neuen Jahrtausends wird ganztags ge­feiert. Der im Jahr 2000 auf den Ruinen des ­Hotels Los Angeles erbaute Megapark wird zur Tagesdisco. Freibier ab 10.30 Uhr sorgt dafür, das es schon morgens laut und derbe wird. Auch der Bierkönig führt Freibier ein. Freibier ist für Deutsche ein magisches Wort. Auch der Mallorquiner erfährt von dessen besonderer Bedeutung für den Umsatz: Nach zwei Freibier bleibt der Deutsche gern auf seinem ­Hocker sitzen und trinkt weiter – gegen Cash.

Die Schlager am Ballermann

Eine weitere Besonderheit des Ballermanns ist von Beginn an das deutsche Liedgut. Der Schlager und die Volksmusik, die von den deutschen Radiostationen mit dem Aufkommen der Neuen Deutschen Welle mehr und mehr verschmäht werden, finden hier eine neue Heimat. Deutsch dröhnt es aus den Diskotheken Graf Zeppelin, Carussell, Kuhstall, Klimbim oder Oberbayern. Als Erste kommen die Hitparaden-Stars Bernhard Brink (1974), ­Costa Cordalis (1976) und Jürgen Drews (1978). In den 80ern folgen alle weiteren. Rex Gildo, Bata Ilic, Roberto Blanco, ­Nicole, Karel Gott, Heino. Ganze Tanzorchester verbringen die Saison an der Playa de Palma.

„Auswärts sind wir asozial!“

Deutsche Ballermann-Urlauber

Doch auch die Musik ändert sich, so wie sich auch das Publikum ändert, das im Laufe der Zeit immer jünger und draufgängerischer wird. Ingo Wohlfeil beschreibt 2017 in einen Essay die Veränderung an der Playa de Palma: „Von den Schlagern des Roy Black in den 80ern über die frivolen Zoten eines Mickie Krause führte der Weg Richtung Proll-Pop. ,Wo sind eure Mittelfinger!‘, brüllt ein Sänger von der Bierkönig-Bühne, ,wo sind die Alkoholiker?‘ Das Publikum johlt. Hier ist alles erlaubt, lautet die Botschaft. Männerhorden torkeln über den Ballermann und singen: „Auswärts sind wir asozial!“ Dabei tragen sie T-Shirts auf ­denen steht „Timo Werner ist ein Hurensohn.“

Die Wirte am Ballermann

Diejenigen, die in den 80er- und 90er-Jahren das Geschäft mit den so trinkfreudigen Deutschen groß aufziehen, sind die Brüder ­Pérez (Zorbas und Joy Palace), Bartolomé ­Cursach (Riu Palace, seit 2000 Megapark) und die Brüder Miguel und Antonio Pascual (Oberbayern, seit 2003 Bierkönig). Sie sind sich alle in tiefster Abneigung verbunden. Um den jeweils anderen auszustechen, werden alle Mittel in die Hand genommen, um den Gästen die größten Stars aus Deutschland zu präsentieren. Die Konkurrenten überziehen sich zudem mit Anzeigen oder lassen am Strand eine Armada an Promotern auf die Touristen los.

Zeitgleich unterbieten sie sich mit Kampfpreisen. Lediglich ein Mindestverzehr wird aufgerufen, und nicht selten gehen die Gäste nach einer Disconacht mit lauter zusätzlichen Give-aways nach Hause. Es ist ein Kampf bis aufs Messer, der da am Ballermann geführt wird, und die Urlauber bekommen wenig oder gar nichts ­davon mit. Die Gewinner heißen am Ende ­Cursach und Pascual. Beide Pérez-Brüder ­sterben eines unnatürlichen Todes (Auto­unfall in Kuba und offenbar eine Drogen-Überdosis), ebenso der deutsche Emporkömmling ­Manfred Meisel, Begründer des Bierkönigs, der 1997 in seinem Haus hingerichtet wird.

+++ Eine Legende hört auf: Peggy, die Königin der Nacht, tritt ab +++

Danach ist die Playa zwischen den beiden Großen aufgeteilt. 20 Jahre wird dieses Duopol Bestand haben, bis sich die spanische Justiz entschließt, gegen beide Gruppen vorzugehen. Sowohl Bartolomé Cursach als auch Miguel Pascual kommen vorübergehend in Untersuchungshaft. Ihnen wegen der Bildung mafioser Netzwerke den Prozess zu machen, gestaltet sich dann aber zunehmend schwieriger. Miguel Pascual ist zumindest in einem Fall freigesprochen worden, die Ermittlungen gegen Bartolomé Cursach kosten Staatsanwalt und Untersuchungsrichter den Job, da es dem teuflisch-geschickten „Patron der Nacht“ gelingt, den Spieß umzudrehen und sie des Amtsmissbrauchs zu beschuldigen.

erwaiste Schinkenstraße: Zu Coronazeiten sind Bierkönig & Co. geschlossen. // Foto: Michael Wrobel)

Die Läden der Pascuals und Cursachs sind jetzt zur Corona-Zeit geschlossen. Vorgeblich, weil Großevents zu gefährlich seien. Doch es dürfte der Politik gelegen kommen. Seit 2017 gehen die Behörden massiv gegen die Großgastronomen und den Sauftourismus vor. Corona könnte zum Wendepunkt werden. Statt dem Ballermann mit immer neuen Sonder-Dekreten das Saufen auszutreiben, könnte die neue Strategie lauten: Wir lassen ihn ausbluten.

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