Qualität als Investition

Warum es nicht zu viel Qualität geben kann

Bernd Krehoff
3 min readMar 23, 2019

Wenn es darum geht, Ausgaben für die Qualität von Produkten oder Dienstleistungen zu rechtfertigen, wird häufig folgendes Bild verwendet:

Dieses Bild zeigt, wie Kosten für Qualität dazu führen, dass die Fehlerkosten sinken. Da schon geringe Erhöhungen der Qualitätskosten große Auswirkungen auf die Reduktion der Fehlerkosten haben können, sinken zunächst die Gesamtkosten – und die wahrgenommene Qualität steigt.

Doch ab einem bestimmten Punkt führen weitere Qualitätskosten nicht mehr zu sinkenden, sondern zu steigenden Gesamtkosten. Dieser Punkt wird als Optimum bezeichnet.

Das Optimum markiert im obigen Bild eine Grenze. Die Grenze suggeriert, dass sich Ausgaben über das Optimum hinaus nicht lohnen – schließlich führen sie ja zu einem Anstieg der Gesamtkosten.

Und tatsächlich gibt es gute Beispiele für übertriebene Qualitätskosten. Keiner erwartet z.B. von einer normalen App, dass sie komplett ohne Fehler läuft. Der Aufwand dafür wäre nämlich unermesslich hoch – und damit auch unwirtschaftlich.

Aber ist es denn wirklich so, dass wir einen Punkt, eine Grenze definieren können, ab der mehr Ausgaben für Qualität sich nicht mehr rechtfertigen lassen?

Stellen Sie sich folgende Situation vor. Sie sind für die Qualität in Ihrem Unternehmen verantwortlich. Sie möchten die Entwicklung dazu bringen, bessere Qualität zu liefern. Sie schlagen vor, dass mehr für entwicklungsbegleitendes Testen gemacht wird. Doch die Entwicklungsleiterin lehnt dies mit der Begründung ab, dass die Qualität schon „gut genug“ sei und man im Übrigen ja auch die Kosten nicht aus dem Blick verlieren sollte:

Qualität kostet uns richtig viel Geld – da ist auch mal die Grenze erreicht!

Der Fehler in dieser Sichtweise liegt darin, Qualität als reinen Kostenfaktor zu verstehen. Denn Kosten sind fix und entstehen proportional zum Verbrauch von etwas. Die Kosten z.B. für Wasserkonsum steigen mit dem Verbrauch. Irgendwann ist eine Sättigungsgrenze erreicht, an dem sich höherer Wasserkonsum nicht mehr lohnt – der Bedarf ist gedeckt.

Wenn wir uns dagegen für Qualität entscheiden, tun wir das immer, um am Ende unterm Strich ein Mehr zu erreichen. Woher wollen wir wissen, wann das Optimum erreicht ist, an dem dieses Mehr nicht mehr zu holen ist?

Es ist daher viel sinnvoller, Qualität als Investition verstehen. Dann wird auch klar, dass das Verhältnis von Qualität und Kosten beeinflussbar ist. Es gibt bessere und schlechtere Qualitätsinvestitionen – mit unterschiedlichem Wirkungsgrad.

Ein einfaches Beispiel: Ich kann die Qualität meiner Software sichern, indem ich sie 1) am Ende der Entwicklung aufwändigen und meist langwierigen Tests unterziehe. Ich kann aber auch 2) die Software mit jedem Entwicklungsschritt testen, so dass die Phase zum Schluss entfällt.

Dies sind zwei sehr unterschiedliche Herangehensweisen mit unterschiedlichen Auswirkungen auf die Gesamtkosten. Je nachdem, wie Ihr Unternehmen aktuell aufgestellt ist, wird der erste Ansatz schneller (und kostengünstiger) durchzuführen sein. Dagegen wird der zweite Ansatz länger dauern und (weil es eine größerer Umstellung bedarf) erst nach längerer Zeit die Qualitätskosten senken. Sie müssen entscheiden, welche Qualitätsinvestition in Ihrer gegenwärtigen Situation die bessere ist.

Die schraffierten Flächen im Bild oben zeigen die Spielräume, die Qualitätsinvestitionen in Abhängigkeit von ihrem Wirkungsgrad eröffnen. Werden diese Spielräume genutzt, verschiebt sich das optimale Verhältnis zwischen Qualitätsinvestitionen und Kostenreduktion ein Stück weiter in Richtung Perfektion. Und die vermeintliche Grenze ist aus unseren Köpfen verschwunden.

Denn um dem Denken eine Grenze zu ziehen, müssten wir beide Seiten dieser Grenze denken können (wir müssten also denken können, was sich nicht denken lässt).

Ludwig Wittgenstein

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Bernd Krehoff

Process hacker, Scrum Master, and Political Philosopher.