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Der Yellamma Kult. Tempelprostitution in Indien – Gesetzesverbot wird übergangen

Karnataka
Die Region Karnataka, Indien.
Quelle: OpenStreetMap

Im indischen Bundesstaat Karnataka verheiraten Dalit Priester tausende junge Frauen und Mädchen der untersten Kaste mit der Göttin „Yellamma“.* Yellamma gilt als „Mutter der ganzen Welt“, als Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin. Fast in jedem Dorf in Karnataka lebt mindestens eine geweihte Frau – eine „Jogini“ –  in einem Tempel. Diese sind nicht nur für bestimmte rituelle Zeremonien zuständig. Sobald sie die Pubertät erreicht haben, müssen sie den Dorfbewohnern sexuell zur Verfügung stehen. Die meisten „Joginis“ müssen ihr Leben lang in Tempeln als „Prostituierte“ arbeiten. Manche von ihnen werden jedoch auch von Menschenhändlern in die Bordelle der nächsten Großstadt verschleppt. Dort zwingen sie die Frauen zur Prostitution. Diese  „Zwangsprostitution“ wird durch den „Yellamma Kult“ legitimiert.

Gesetzliche Verbote haben daran bis heute nichts geändert und der Kult findet weiter im Verborgenen statt. Es muss vermehrt Aufklärung betrieben werden, denn viele Menschen glauben weiterhin an diesen Kult. Es ist ein Teufelskreis, der sich nicht einfach durch Gesetzeserlasse durchbrechen lässt. Die Aktivistin Grace Nirmala vom „Andhra-Pradesh Komitee gegen das Jogini System“ formulierte es so:

„Die Leute müssen endlich verstehen, dass das Jogini-System nichts mit Spiritualität oder Religion zu tun hat. Es ist Ausbeutung, die durch das Kastensystem legitimiert wird.“

Der „Yellamma Kult“ ist vor allem in den untersten Kasten Indiens verbreitet.

Die meisten „Joginis“ gehören oft der unberührbaren Kaste der Dalits an. Dalit Priester versuchen die Familien der Mädchen unter dem Deckmantel der Religion zu überzeugen, dass das auserwählte Mädchen fortan „Yellamma“ dienen muss. Nach den Grundsätzen des Kultes, sind gerade diese Familien in Indien vom „Wohlwollen der Göttin“ stark abhängig. Treibt diese „Kadata“ mit ihnen, hat man dieser Göttin nicht genug Beachtung geschenkt. „Kadata“ kann mit „Spiel Yellammas“ übersetzt werden. Dass „Kadata“ einen Haushalt, eine Familie oder ein Individuum ereilt hat, wird an negativen Ereignissen festgemacht, wie z.B. eine schlechte Ernte, plötzliches Auftreten von Krankheiten oder Todesfällen, Fehlgeburten und ähnliches. Solche Ereignisse werden so gedeutet, dass ein Mädchen oder eine Frau in der Familie von „Yellamma“ besessen wird. Dalit Priester sagen den Familien, dass das Mädchen sich diesem Urteil nicht mehr entziehen kann, da es einem Todesurteil gleichkommen würde.

Andere Mädchen werden mit der Göttin vermählt, weil z.B. ein Großgrundbesitzer den Glauben der Familien ausnutzt, um ein bestimmtes Mädchen als Geliebte zu „erhalten“. Ein Medium, meist ein Dalit-Priester oder eine alte „Jogini“, bestimmen dann in „Trance“, wer von „Yellamma“ heimgesucht wurde. Die meisten Mädchen durchlaufen im Alter von zehn bis elf Jahren diese Zeremonie. Der Kult lebt auch deshalb weiter, da die älteren „Joginis“ glauben, keinen Seelenfrieden zu finden, wenn sie nicht eine Nachfolgerin vor ihrem Tod gefunden haben.

„Joginis“ und „Zwangsprostitution“

Die jungen Mädchen, die ein Priester auserwählt, werden sehr leicht zu Opfern von Menschenhändlern und werden in den Bordellen in Mumbai sexuell ausgebeutet. Getarnt als „Patron“, der die Weihkosten übernimmt und den Familien Geld zahlt, werden die neu geweihten Joginis oft an Menschenhändler verkauft. Im religiösen Glauben des „Yellamma Kultes“ vertrauen die Familien die Mädchen den Patronen an. Sehr häufig sind es männliche Dorfbewohner, welche in das Geschäft des Menschenhandels verwickelt sind und sich dadurch ein lukratives Geschäft erwarten. Nachdem die Mädchen zur „Jogini“ geweiht wurden, werden sie häufig in Bordelle nach Mumbai oder Poona verschleppt. Manche bleiben im Dorftempel und die männlichen Dorfbewohner zwingen sie dort zur Prostitution. Schätzungsweise werden jährlich bis zu 5000 Frauen und Mädchen auf diesem Weg in Bordelle der Großstädte im Bundesstaat Karnataka gebracht.

In der Anonymität der Großstadt, haben diese Frauen, die meist auf sich alleine gestellt sind, kaum wieder Chancen der Prostitution  zu entkommen. Die Gesellschaft in Indien grenzt Frauen in der Prostitution und aus unteren Kasten aus. Es wird dabei kein Unterschied gemacht, ob Prostitution freiwillig oder unter Zwang ausgeübt wird. So wird für viele Frauen die sexuelle Ausbeutung und erzwungene Prostitution zur Arbeit – Sexarbeit bleibt letztendlich die einzige Möglichkeit den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen.

„Empowerment“

Um die sexuelle Ausbeutung im Namen der Religion vorzubeugen und zu verhindern, muss eine umfassende Aufklärung- und Bildungssarbeit geleistet werden. Es sind vor allem junge Frauen aus den untersten Kasten, insbesondere den „unberührbaren“ Dalit, die trotz des gesetzlichen Verbotes immer noch der Göttin „Yellamma“ geweiht und sexuell ausgebeutet werden und später nur noch in der Prostitution ihren Lebensunterhalt verdienen können.

In diesem Schicksal spielt jedoch nicht nur die Religion sondern auch die gesellschaftliche Diskriminierung und Stigmatisierung der Dalit eine wichtige Rolle. Dieser Kaste ist der Zugang zu Bildung und dadurch auch die Chance zur Verbesserung ihres sozio-ökonomischen Status verwehrt. Die meisten von ihnen sind stark von Armut betroffen. Armut, gesellschaftliche Diskriminierung und fehlender Zugang zu Bildung sind zentrale Faktoren, die den „Yellamma Kult“ trotz gesetzlicher Verbote im Dunklen weiterleben lassen.

Heute gibt es immer mehr Organisationen in Indien, die sich diesem Thema widmen und das Ziel verfolgen, diesen Frauen und Familien, die aufgrund dieses Kultes in der Prostitution tätig sind, alternative Möglichkeiten aufzuzeigen, womit sie ihren Lebensunterhalt verdienen können. Diese Organisationen leisten Aufklärungs- und Bildungsarbeit in den ländlichen Gebieten und bieten den Frauen eine erste Anlaufstelle, um sich aus den Fängen der Menschenhändler zu befreien. Sie versuchen auch ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass der „Yellamma Kult“ immer häufiger als Werkzeug von Menschenhändlern genutzt wird, um Frauen in der Sexindustrie sexuell auszubeuten…Aussteigerinnen helfen dann anderen Frauen ebenfalls aus der Prostitution auszusteigen – sie dienen als lebender Beweis dafür, dass wenn man aus dem „Yellamma Kult“ ausbricht, nicht mit dem Zorn der Göttin „Yellamma“ bestraft wird und auch ein Leben außerhalb des Kultes und der „Tempelprostitution“ möglich ist.

Lektüren zum Thema:

Lenka, Svejda-Hirch, (1991) „Die indischen Devadasis im Wandel der Zeit. „Ehefrauen“ der Götter, Tempeltänzerinnen und Prostituierte“. Peter Lang Verlag AG. Bern

Wir zeigen, dass es nicht um Spiritualität geht“ (suedasien.info)

Ritual Sex Slavery (Dalit Freedom Network)

Slaves of circumstance (The Hindu, 2013)

Women in Ritual Slavery. Devadasi, Jogini and Mathamma in Karnataka and Andra Pradesh, Southern India (Bericht von Anti-Slavery International)

„Wir zeigen, dass es nicht um Spiritualität geht“ (Jungle World, 2009)

Yellammas entweihte Dienerinnen. Der Tempeldienst verhüllt den Zwang zur Prostitution (NZZ, 2005)

Der Göttin Yellama geweiht (Der Standard, 2001)

*Anmerkung: In Südindien gibt es verschiedene Formen von ritueller Prostitution, die ähnliche Formen annehmen und auch mit der Göttin Yellama in Verbindung stehen, wie z.B. Devadasis und Mathamma. Diese Beitrag bezieht sich einzig und alleine auf Joginis.

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