Michael Lorenz

Das Forschungsprojekt "W. A. Mozart und sein Wiener Umfeld": Mozartforschung in Wien am Beginn des 21. Jahrhunderts

 

In einem Sonderheft des Wiener Figaro, der Zeitschrift der Mozartgemeinde Wien, machte der Präsident dieses Vereins Dr. Helmut Kretschmer im November 2008 den Lesern folgende Mitteilung:

 

 

Ein Mozartforscher, der seit fast 20 Jahren in Wiens Archiven wissenschaftlich tätig ist, kann angesichts dieser Projektbeschreibung seine Freude bezähmen. Das liegt nicht nur daran, dass Frau Madlene Therese Feyrer mit archivalischer Forschung zum Thema Mozart bisher nicht hervorgetreten ist, sondern auch an der Tatsache, dass die Behauptung, diese Quellen zu Personen aus Mozarts Wiener Umfeld seien "wenig oder überhaupt nicht bearbeitet", nicht den Tatsachen entspricht. Mehrere der von Frau Feyrer behandelten Verlassenschaftsabhandlungen wurden in der Mozartliteratur berücksichtigt und manche wurden sogar auf eine detaillierte Weise publiziert, an welche die Methodik Frau Feyrers nicht herankommt. Meine Versuche, vom Wiener Stadt- und Landesarchiv (MA 8), oder von der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7) die "gedruckte oder elektronische Form (auf CD-ROM)" des Forschungsberichts zu erhalten, waren erfolglos. Das Wiener Stadt- und Landesarchiv (das eigentlich ein Belegexemplar dieser Publikation besitzen sollte) hat kein Exemplar dieses Forschungsberichts. Meine Nachfrage bei der Kulturabteilung der Stadt Wien wurde vom Leiter des Referats für Wissenschafts- und Forschungsförderung Prof. Hubert Christian Ehalt dahingehend beantwortet, dass "die Durchsicht der Förderungen im Jahr 2006 ergeben habe, dass dieses Projekt durch die Wissenschaftsförderung nicht unterstützt wurde". Auf weitere Anfragen zu diesem Projekt, das offenbar von der MA 7 gefördert wurde, ohne dass diese Magistratsabteilung eine Finanzierung dokumentierte, erhielt ich von Professor Ehalt keine Antwort mehr.

 

Zur Beurteilung des Projekts "W. A. Mozart und sein Wiener Umfeld" ist der Projektbericht nicht nötig, denn Dr. Kretschmer präsentierte dankenswerterweise den Mitgliedern der Mozartgemeinde Wien und damit der interessierten Öffentlichkeit eine leicht gekürzte Fassung dieses Forschungsprojekts, das sicher unbeabsichtigt zu einem klassischen Beispiel dafür wurde, was sich heute in Wien "Mozartforschung" nennt und als solche mit Steuergeld gefördert wird. Die Historikerin Dr. Elisabeth Strömmer, die in der obigen Projektbeschreibung als Mitarbeiterin genannt wird, war nur in der Vorbereitungsphase der Recherchen eingebunden und kennt weder Frau Feyrer noch den Projektbericht.

 

Der im Wiener Figaro im Jahr 2008 publizierte (und in der MA 7 unauffindbare) Projektbericht besteht aus "Kurzzusammenfassungen" von neunzehn Verlassenschaftsabhandlungen (sogenannten "Sperrs=Relationen") aus dem Bestand des Wiener magistratischen Zivilgerichts von Personen "aus Mozarts Umfeld", bzw., was Dr. Kretschmer und Frau Feyrer darunter verstanden. Den Zusammenfassungen der Abhandlungen gehen kurze biographische Abrisse voraus, die auf der lexikalischen Standardliteratur basieren. Feyrers in ihrem Vorwort vorgebrachte Behauptung, dass diese Verlassenschaftsabhandlungen "bisher in der wissenschaftlichen Beschäftigung kaum Beachtung fanden" ist irrig und beruht ganz offensichtlich auf grober Literaturunkenntnis. Es wird uns eine "Aufarbeitung von Inventarlisten, Kontrakten und gerichtlichen Korrespondenzen" angekündigt, die sich angeblich "in Hinblick auf das Aufzeigen von Wirtschaftsstatus und familiären[sic!] Umfeld der ausgewählten Personen als vielversprechendes Betätigungsfeld erweist". Das Vorwort schließt mit der folgenden ambitionierten Prämisse: "Zwar gewährt eine solche Beschäftigung keine detaillierten Einblicke in deren Leben, ermöglicht aber einen Überblick über die damalige finanzielle und familiäre Situation. Im Folgenden soll ein Überblick über die einzelnen Personen, deren Verlassenschaftabhandlungen im Zuge dieses Projekts aufgearbeitet worden sind, gegeben werden."

 

Sämtliche Signaturen der Dokumente sind philologisch überholt und somit falsch, was angesichts der Tatsache überrascht, dass Dr. Kretschmer vor seiner Pensionierung Archivar des Wiener Stadt- und Landesarchivs war. Der Ordnungsbegriff "Faszikel 2" wurde schon vor vielen Jahren durch die Seriennummer A2 ersetzt und auch die Abkürzung "VA" ist redundant und daher nicht üblich. Ein Mozart-Fachmann wurde im Zusammenhang mit diesem Forschungsprojekt nicht konsultiert. Ich habe die meisten der behandelten Sperrs-Relationen schon vor über zehn Jahren für meine Datenbank fotografiert und wissenschaftlich dokumentiert und hätte der Mozartgemeinde bei einer Anfrage jederzeit mein Wissen zur Verfügung gestellt. Um dem Leser jene köstliche Unterhaltung zu ermöglichen, der ich mich bei der Lektüre von Frau Feyrers Projektbericht erfreuen durfte, empfahl es sich, die Zusammenfassung von Feyrers "Zusammenfassungen" in der selben Form und Reihenfolge wie im Projektbericht zu präsentieren. Den Namen der abgehandelten Personen folgen die markantesten Erkenntnisse Feyrers, denen die historischen Fakten gegenübergestellt werden. Dies ist nicht nur die Rezension einer Projektarbeit, es ist der Versuch, in Ansätzen zu zeigen, wie eine seriöse Fassung dieser Projektarbeit aussehen könnte.

 

Valentin Adamberger

 

Um zu verstehen, was sich Frau Feyrer unter "wissenschaftlicher Beschäftigung" mit einer historischen Quelle vorstellt, muss man ihre Zusammenfassung von Adambergers Verlassenschaftsabhandlung in der originalen Druckfassung gesehen haben:

 

 

Zusammenfassend lässt sich dieser "Zusammenfassung" entnehmen, dass sie systematisch stümperhaft, grob fehlerhaft und daher wissenschaftlich wertlos ist. Adamberger war "Tenorist" und die Konskriptionsnummer "N° 1102" seines Sterbehauses (heute Kärntner Straße 38) wurde offensichtlich deshalb weggelassen, weil die Identifikation dieser Adresse die Recherchekompetenz der Autorin überfordert hätte. Adambergers auf der Sperrs-Relation verzeichnete "Nachgelassene Ehegattin Fr. Anna Adamberger derzeit in Penzing" fiel Feyrers Unfähigkeit, Kurrentschrift zu lesen zum Opfer. Das selbe Hindernis kam bei der Unterdrückung der wichtigen Information zum Tragen, dass der Verstorbene "ein Nunkupativtestament" hinterließ ein Begriff, der für Feyrer ebenso rätselhaft wie unlesbar war. Adamberger hinterließ nicht vier, sondern fünf minderjährige Kinder. Die Formulierung "Adamberger hinterließ vier Kinder" ist falsch. Dass Adamberger einen am 27. August 1785 geborenen Sohn namens Heinrich hatte, der 1827 Großbritannischer Kabinettskurier war, muss man wissen, wenn man zu "Mozarts Wiener Umfeld" forscht und Valentin Adambergers Verlassenschaftsabhandlung zusammenfasst. Dass sich Adambergers Kinder bei Feyrer mit dem Notnamen "Kind" begnügen mussten, hatte wiederum seine Ursache darin, dass die Autorin die Namen der Kinder nicht entziffern konnte. Dieses Manko sei hier wettgemacht: "Heinrich Adamberger Kanzley Praktikant im Sterbort 19, Louise 16, Antonia 13, Joseph 12, und Maria Adamberger 10 Jahre alt, alle 4 bey ihrer Fr. Mutter in Penzing". Der Fehler "alle 4" und die Unfähigkeit, den gesamte Akt zu entziffern, waren offenbar die Ursachen für Feyrers falsche Kinderzahl und das falsche Alter des jüngsten Kindes. Der Sohn Karl Stephanie, ein am 19. April 1781 geborener Oberlieutenant im Fürst Schwarzenberg Ulanen-Regiment, war im Frühjahr 1804 für großjährig erklärt worden und befand sich zum Zeitpunkt des Todes seines Vaters nicht in Wien. Dass Adamberger seinen Freund Heinrich von Collin testamentarisch zum Vormund seiner Kinder bestimmt hatte, war keine Erwähnung wert. Dem Akt die bisher unbekannte Tatsache zu entnehmen, dass schließlich der Wiener Magistratsrat Anton von Spaun zum Vormund der fünf Kinder ernannt wurde, wäre Aufgabe der Forscherin gewesen, doch sie konnte die diesbezüglichen Dokumente alle nicht lesen. Feyrers Angaben zu "Adambergers noch rückzuzahlenden[sic!] Kredit, den er zusammen[sic!] mit dem Grafen von Seczewy[sic!] gewährt hat[sic!]" und "ausstehenden Forderungen[sic!] in einem Gesamtwert von 6000 Gulden" sind unsinnig und das Ergebnis notorischer Leseunfähigkeit. Bei Adambergers Vermögen von 6.000 Gulden handelte es sich um seine Hälfte eines mit sechs Prozent verzinsten, im Jahr 1794 vom Ehepaar Adamberger bei Franz Graf von Széchényi (im Akt: "Szicseny") angelegten Kapitals von 12.000 Gulden. Feyrers Aufzählung von Adambergers Fahrnissen ist ebenso fragmentarisch wie fehlerhaft. Der "Brillantring mit Perlen" war in Wirklichkeit "ein kleiner mit Brillantln kamesierter Ring mit weißen Portrait". Welchem Sohn Adambergers goldene Uhr vermacht werden sollte, verrät uns Feyrer nicht, aber Heinrich Adamberger fehlt ohnehin in ihrer Liste der Erben. "Devotionalien im Gesamtwert von 57 Gulden" sind im Akt nicht zu finden. Ebenfalls auf freier Fantasie und Leseunfähigkeit beruhen die von Feyrer genannten, jedoch in der Verlassenschaft nicht existierenden "Schachteln". Dafür fehlen die wichtigsten Gegenstände, wie z.B. Adambergers drei stählerne Degen. Die "teure Lampe" ist ein Fantasiegebilde, dafür werden dem Leser Adambergers "fünf Schrotflinten" verschwiegen, weil Feyrer sie als "Schreibutensilien" las. Dass "die übrigen vorhandenen Dokumente teilweise Reinschriften voneinander darstellen" und sich "mit dem Verbleib der Kinder beschäftigen" ist eine nicht den Tatsachen entsprechende Behauptung, die nur dem Zweck diente, die eigene Ratlosigkeit zu kaschieren. Bereits bei Adamberger zeigt sich Feyrers völlig unzureichendes Wissen um das juristische Prozedere bei der Anlegung einer Sperre und der Einantwortung einer Verlassenschaft. Eine Sperrs-Relation wurde nicht von einem Notar, sondern vom Sperrskommissär des Magistrats (in diesem Fall Franz Beckers) angelegt. Die Aufgabe des Notars Dr. Schmid war es, als Kurator der minderjährigen Erben zu fungieren und im Namen der Witwe um die Einantwortung der Verlassenschaft zu bitten. Feyrer weiß nicht, dass der Schätzwert eines Nachlasses in den meisten Fällen durch hohe Passiva gemindert wurde. In konsequenter Unkenntnis der finanziellen Umstände im Wien des frühen 19. Jahrhunderts ignoriert sie stets die hohen Arzt- und Begräbniskosten, die ihr deswegen verborgen bleiben, weil sie nicht in Ziffernform in der Aktiva-Liste des Sperrskommissärs aufscheinen. Ein weiteres gravierendes Problem zeigt sich bei Adambergers Verlassenschaftsabhandlung: die Präsentation eines Dokuments ohne jede Beachtung seines Kontexts ist unwissenschaftlich und nahezu sinnlos. Gerade in der Familie Adamberger müsste man auch die Dokumente von Adambergers Witwe (die schon am 5. November 1804 starb) und der Familie Jacquet in eine Recherche einbeziehen. Es hat keinen Sinn, sich mit einer Verlassenschaft zu beschäftigen, wenn man nicht einmal wie im Fall Adamberger das mündliche Testament des Erblassers (mit schriftlicher Aussage der Zeugen) zur Kenntnis nimmt, weil man es nicht lesen kann und daher nicht weiß, dass Adamberger seiner jüngsten Tochter Maria ein Prälegat von 1.000 Gulden vermachte. Die Verantwortung für diesen gravierenden Mangel des Projekts trägt Dr. Kretschmer.

 

Joseph Bauernjöpel

 

Zu Bauernjöpels Biographie stellte Feyrer keinerlei Recherchen an. Sie weiß nur, dass "durch die Schrift Eine Wiener Freimaurerhandschrift aus dem 18. Jahrhundert bekannt ist, dass Bauernjöpel ebenfalls wie Mozart bei den Freimaurern war". Der am 18. Februar 1738 in Wien geborene k.k. Beamte Joseph Bauernjöpel gehörte sicher nicht zu Mozarts Wiener Umfeld. Er gab zwar eine Sammlung von Freimaurerliedern heraus, aber den größten Teil von Mozarts Wiener Jahren verbrachte Bauernjöpel in Prag, wo er als Kanzlist der böhmischen Hofkanzlei angestellt war. Es gibt Dutzende von Freimaurern, die engeren Kontakt zu Mozart hatten und wer Bauernjöpel "Mozarts Wiener Umfeld" zurechnet, hat sich weder mit Bauernjöpels, noch mit Mozarts Leben näher beschäftigt. Für Feyrer unwichtig waren Bauernjöpels korrektes Sterbedatum der 8. März 1795 sein Sterbehaus (das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in der Leopoldstadt) und seine letzte Wohnadresse Stadt 257 (heute Kleeblattgasse 5), wo der Verstorbene beim Schneidermeister Joseph Parsche "zu Beth gegangen" war. Nach der Auflistung von Bauernjöpels drei "Kindern" (deren Namen unlesbar waren) schwingt sich Feyrer zu folgender Feststellung auf: "Das Dokument enthält aufgezeichnete Briefwechsel zwischen Anton[sic!] Bauernjöpel, der offenbar[sic!] der älteste Sohn des verstorbenen Josef Bauernjöpel war und dem zuständigen Magistrat zwecks der Übernahme der Verlassenschaft. Diese wurde entsprechend vollstreckt." Von einem Briefwechsel zwischen Bauernjöpels ältestem Sohn Anton und dem Gericht kann keine Rede sein, denn Bauernjöpel hatte gar keinen Sohn namens Anton. Seine drei Kinder waren: "Fr. Barbara vereheligte Frischauf Inspektorats Offiziers zu Krems Ehegattin und Franz Bauernjöepel kai[serlicher] Stipendist und Hörer der Rechte wohnhaft im Fokonetischen Haus auf der Wienn [Laimgrube 27, links vom Theater an der Wien] bei einem Schneidermeister", sowie "Sebastian Bauernjöepel Akteur in Theater zu Inspruck 17. Jahr alt". Der angebliche "Briefwechsel" besteht aus einem Schreiben des K.K. Hofdirektorial-Registratur-Adjunkten Johann Nepomuk von Gurtner an den Wiener Magistrat bezüglich einer brieflichen Beschwerde Sebastian Bauernjöpels vom 17. April 1796, dass dieser von seiner jährlichen Waisenrente in der Höhe von 116 fl 40 x immer noch nichts erhalten habe, weil sein Vormund, sein älterer Bruder Franz diese offenbar für sich behalte. Aus dem Brief Sebastian Bauernjöpels geht auch hervor, dass dieser als Schauspieler und Sänger am Theater in Innsbruck beschäftigt war. Diese Dinge blieben Frau Feyrer verborgen. Die Verlassenschaft wurde nicht "vollstreckt", sondern eingeantwortet. Frau Feyrers historisch-juristisches Vokabular war aufgrund ihrer Leseunfähigkeit stark eingeschränkt.

 

Nikolaus Closset

 

Zur Biographie des Arztes Nikolaus Closset (geb. am 13. Februar 1756 in Malmédy[1]) stellte Feyrer ebenfalls keine Recherchen an. Sie teilt uns mit, dass "rheumatisches Entzündungsfieber in der damaligen Zeit vielen[sic!] Menschen das Leben kostete" und fasst wie gewohnt zusammen. Clossets Adresse Mölkerbastei 91 fehlt in dieser Zusammenfassung, denn man hätte ja erklären müssen, wo sich dieses Haus befand (heute ungefähr Mölkerbastei 16, abgebrochen 1868). Feyrer schreibt: "Ein Testament ist vorhanden, welches sich ad publicum[sic!] zur Einsicht befindet. Das Verfahren wird rechtmäßig eingeleitet. Durch Ersuchen eines Gerichtskommissars[sic!] beim zuständigen Stadtmagistrat wird eine Sperrs-Relation angelegt." Dieser Nonsens beruht zum Großteil auf der Unfähigkeit, die folgenden Vermerke auf fol. 1v des Mantelbogens zu lesen: "(Ob ein Testament vorhanden) Ein Testament vermög welchem die nachbenanten leibl. zwey Brüder Peter und Mathias Closet beide Kaufleute zu Malmedÿ Universalerben seyn sollen. (Wo dasselbe befindlich) wird ad publicandum übergeben werden (Nächste Anverwandte) 2 leibl m [großjährige] Brüder Hr Peter Closet und Mathias Closet beide Kaufleute zu Malmedy in [Preussen] und Universalerben". Clossets am 18. November 1818 abgefasstem Testament schenkte Feyrer keine Beachtung. Dabei hätte sie es vielleicht entziffern können, denn es ist in Französisch und daher in Lateinschrift geschrieben. Um glauben zu können, wie Feyrer Gulden und Kreuzer im Dezimalsystem notiert (weil sie offenbar glaubt, ein Gulden habe aus 100 Kreuzern bestanden), muss man das Original ihrer Zusammenfassung von Nikolaus Clossets Verlassenschaft gesehen haben.

 

 

Was hier als fälschlich als "Coupons" bezeichnet wird, waren öffentliche, mit fünf und zweieinhalb Prozent verzinste Fonds-Obligationen in Form von "k.k. Metall Staatsschuldenverschreibungen". Feyrer verstand die Systematik der Auflistung dieser Wertpapiere nicht. Was sie für den "Gesamtwert" hält, ist der Wert der zu 5% verzinsten Obligationen, die Bezeichnung "Weiterverkaufswert" ist natürlich unsinnig, denn die 14.000 Gulden bezeichnen die Summe der zu 2% verzinsten Wertpapiere. Die Summe der noch ausständigen Zinsen in der Höhe von 988 fl 31 x CM wurde nicht zur Kenntnis genommen. Die höchst interessanten Details zu Clossets Schuldnern, seinen Hausanteilen und weiteren Veranlagungen blieben der Forscherin ein unlesbares Mysterium. "Hausrat im Wert von 63 Gulden" ist Feyrers Erfindung und kommt im Akt nicht vor. Clossets "Hauswäsche und Einrichtung" wurde auf 157 fl CM geschätzt. Dass sie die Bücher im Schätzwert von "63,31[!] Gulden" in die reguläre Summe aufnahm, zeigt zu niemandes Überraschung, dass Feyrer nicht weiß, dass es nach 1811 in der k.k. Monarchie zwei verschiedene Währungen gab. Der Wert von Clossets Büchern wurde nicht in Conventionsmünze, sondern in Wiener Währung angegeben. Die Angabe "weiteres Vermögen im Gesamtwert von 18800 Gulden" ist falsch und ein Produkt grober Ratlosigkeit. Clossets Gesamtvermögen belief sich auf gerundete 62.300 Gulden CM. Natürlich war Frau Feyrer nicht in der Lage, die höchst interessante Liste der Abzugsposten auch nur ansatzweise zu verstehen. Bei der "in Malmedy lebenden Person" handelte es sich um Clossets Brüder Peter Joseph und Mathias Franz, die "Geldgeschäfte" sind deren private Schuldenforderung an die Verlassenschaft in der Höhe von 3.000 holländischen Dukaten und die "Stellungnahme eines Kommissars" ist die vom Notar Johann Wilhelm Krings und mehren Zeugen in Malmédy beglaubigte, diese Schuld betreffende Aussage der Brüder Closset.

 

Thomas Closset

 

Die "Informationen", die Feyrer der Verlassenschaftsabhandlung Thomas Clossets "entnahm" sind größtenteils falsch und unvollständig. Aus unerfindlichen Gründen bezeichnet sie ihn als "Lungenarzt", obwohl er im Akt "der Arzneykunde Doktor" genannt wird. Clossets Adresse (das "Harrach'sche Haus" Stadt 391, heute Wipplingerstr. 14) wurde ebenso ignoriert, wie die umfangreiche Literatur zu Thomas Closset (geb. am 17. März 1754 in Malmédy[2]). Auch das von der Sperrs-Relation übernommene Todesdatum ist falsch, denn Closset starb schon am 8. April 1813 (Totenbeschauprotokoll Bd. 134, litt. CGK, fol. 35v). Feyrer schreibt:

Ein Testament ist vorhanden und liegt beim zuständigen Notar zur Einsicht auf. Beim nächsten Anverwandten des verstorbenen Thomas Closset handelt es sich um dessen Bruder Nikolaus Closset. [...] Diesem wurde das Vermögen als rechtmäßigem universalen Erben ausgehändigt. [...] Hinweise, ob sich ebenfalls W. A. Mozart unter Clossets Gläubigern befand, finden sich in der Verlassenschaftsabhandlung nicht.

Jeder Satz ein Juwel. Clossets am 18. Dezember 1812 abgefasstes Testament (das Feyrer unbekannt blieb), lag natürlich nicht beim Notar Dr. Johann Sigmund Rizy auf, sondern war von diesem pflichtgemäß dem Gericht übergeben worden. Nikolaus Closset war nicht der Universalerbe seines Bruders, was daran lag, dass Thomas Closset im Jahr 1813 drei Brüder hatte, die er in seinem Testament zu gleichen Teilen als Erben einsetzte: der Arzt Nikolaus (1812 in "Landshut in Galizien" [heute Łańcut] befindlich), sowie der Handelsmann Peter und der Bäcker Mathias Closset in Malmédy, die alle auf dem Mantelbogen der Sperrs-Relation verzeichnet sind. Feyrer konnte diese Vermerke ebensowenig lesen, wie die im Akt befindliche Vollmacht der Brüder vom 30. April 1813. Warum in Clossets Schuldnerliste von 1813 Mozarts Name hätte aufscheinen sollen, bleibt unerfindlich. Die tatsächlichen Schuldner müssen anonym bleiben, weil ihre Namen nicht entziffert werden konnten. Manche der Schuldscheine Thomas Clossets (wie z.B. jener des Grafen Leonhard von Harrach) finden sich elf Jahre später in der Verlassenschaft seines jüngeren Bruders. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Feyrer von der Auflistung des Verlassenschaftsvermögens total überfordert war. Sie konnte nicht einmal erkennen, dass Closset in Meidling ein Haus (Untermeidling Nr. 4, heute Tivoligasse 7) und eine Landwirtschaft mit Äckern und Weingärten im Gesamtwert von 13.651 Gulden WW besaß. "Aus Clossets Ordination stammende Gegenstände" (wie Feyrer meint) finden sich in der Abhandlung nicht. Die Brüder Closset gehörten zu einer kleinen Gruppe von in Wien tätigen Nobelärzten (wie z.B. Malfatti, Genzinger und Hunczovsky), die mit einer gut betuchten adeligen Klientel zu Wohlstand gelangten. Es wäre interessant, ihren Reichtum mit den Verlassenschaften jener Mehrheit von Wiener Ärzten zu vergleichen, die in Armut starben. Sozialhistorische Überlegungen anzustellen, gehörte aber nicht zu den Interessen der Autorin.

 

 

Thomas Clossets Dienstzeugnis vom 2. September 1790 für seine Magd Barbara Stadler aus deren Verkündakt

 

Johann Ernst Dauer

 

Johann Ernst Dauer, dessen Geburtsjahr 1746 der Autorin offenbar unbekannt blieb, sang bei der Uraufführung der "Entführung aus dem Serail" den Pedrillo. In ihrer Zusammenfassung bezeichnet Feyrer Dauer als "k.k. Hoftenor (Hoftenorist)" und "verheiratet". Einen "k.k. Hoftenor" gab es nicht. Dauer war "k.k. Hofschauspieler" (ein Faktum, das der Autorin eigentlich bekannt sein sollte) und er war wie dem Mantelbogen des Aktes und der Standardliteratur zu entnehmen ist – "von seiner Frau Karolina Dauer gerichtlich geschieden". Dauers Frau (seit 1780 ebenfalls Mitglied des k.k. Burgtheaters) war 1812 die Lebensgefährtin des Schauspielers Franz Brockmann. Feyrer schreibt: "Ein Testament ist vorhanden, welches sich ad publicum[!] zur Einsicht befindet." Latein ist unter "Geisteswissenschaftlern" zu einer wahren Geheimsprache geworden. Testamente wurden dem Gericht ad publicandum übergeben. Dauers Testament wurde von Feyrer nicht weiter beachtet, was wohl daran lag, dass sie gar nicht versuchen wollte, an seine Entzifferung zu schreiten. In ihrer Zusammenfassung blamiert sich Frau Feyrer folgendermaßen:

Vermerkt sind im gerichtlichen Güterverzeichnis neben noch ausstehendem Lohn im Wert von 145 Gulden sowie noch offene Forderungen seitens des Verstorbenen im Wert von 60 Gulden. [...] In der Auflistung des Inventars der Wohnung findet sich neben einem Schreibtischpult auch diverses Mobiliar wie gläserne Schalen und dergleichen. Der Wert des Mobiliars sowie weiterer Devotionalien[sic!] beläuft sich auf 139 Gulden. Das Gesamtvermögen des Ernst Dauer wird vom zuständigen Magistratsbeamten damit auf 571 Gulden geschätzt. Hinweise auf hinterlassene musikalische Devotionalien[!] fehlen jedoch. Erwähnenswert erscheint in Zusammenhang dieser[sic!] Verlassenschaftsabhandlung Frau Elisabeth Luphinsky[sic!], die von Ernst Dauer offenbar in dessen Testament als Erbin festgesetzt worden ist.

Die 145 Gulden waren nicht ausstehender Lohn, sondern vorhandenes Bargeld. Die "offenen Forderungen des Verstorbenen" waren Fondsobligationen (Wertpapiere) im Wert von 60 fl. "Gläserne Schalen und dergleichen" besaß Dauer nicht, sie entstammen Feyrers Fantasie. Auch ein "Schreibtischpult" findet sich in Dauers Verlassenschaft nicht. Man kann sich aussuchen, welches in der Sperrs-Relation genannte Möbel Frau Feyrer in diesem Sinne fehltranskribiert haben mag. Was "Devotionalien" im Zusammenhang mit Hausrat eines Verstorbenen sein sollen, ist nicht klar. Klar ist nur, dass Frau Feyrer nicht weiß, was das Wort "Devotionalien" bedeutet, denn sie scheint es mit dem Begriff "Utensilien" zu verwechseln und verwendet es wiederholt auf unsinnige Weise. Dauers Gesamtvermögen belief sich selbstverständlich nicht auf 571 Gulden. Nach Abzug der Kosten für ärztliche Visiten (200 fl), der Arzneikosten (150 fl), der rückständigen Miete (150 fl), der obligaten Zahlung an den Normalschulfonds (2 fl) und an das Armeninstitut (10 fl) blieben von Dauers Verlassenschaft nur 59 Gulden übrig. Dieses Faktum konnte Frau Feyrer dem Akt nicht entnehmen. "Elisabeth Luphinsky" (Dauers Freundin und Universalerbin) hieß in Wirklichkeit Elisabeth Luschinsky, was nicht nur aus Dauers Testament, sondern auch aus mehreren Unterschriften und Nennungen in der Abhandlung ersichtlich ist.

 

Anton Eberl

 

Auch Anton Eberls Verlassenschaft kann Feyrers Leseschwäche nicht entrinnen. Die Adresse des Sterbehauses "Goldschmiedgasse 45" ist falsch. Eberl starb im "Eisgrübl", also im Haus Stadt 645 (heute Goldschmiedgasse 10). Der Name von Eberls Witwe ist unvollständig. Sie wird im Akt als "Maria Anna geb: Schefler" genannt (was Feyrer nicht entziffern konnte). Die obligate "Zusammenfassung" beginnt mit folgenden Kuriosa:

Die Verlassenschaftsabhandlung gibt keinerlei Hinweis auf ein existentes Testament. Lediglich[sic!] in vim testamenti ist ein entsprechender[sic!] Kontrakt vorhanden. Das Vermögen des Verstorbenen wird nach dessen Tod wie gewohnt behandelt. Die hinterlassene Ehefrau bittet[sic!] um Anlegen eines Güterverzeichnisses. Der Vorgang wird entsprechend eingeleitet. Verzeichnet sind: noch ausstehende Lohnzahlungen in der Höhe von 90 Gulden [...] Besteck und Geschirr im Gesamtwert von 354 Gulden [...] Die Verlassenschaft wurde von der Witwe gemäß des abgeschlossenen Kontrakts übernommen.

Wahr ist vielmehr, dass der "entsprechende Kontrakt" Eberls Ehekontrakt (ein Wort, das Feyrer nicht lesen konnte) war und ein solcher immer vis testamenti hatte. "Wie gewohnt behandelt" ist eine Notformulierung, denn Feyrer weiß gar nicht, was "wie gewohnt" vor sich ging. Die hinterlassene Ehefrau bat natürlich nicht "um Anlegen eines Güterverzeichnisses". Sie hatte auch gar keinen Grund dazu, denn dieses Verzeichnis anzulegen war gesetzliche Pflicht des Sperrs-Kommissärs. Die Witwe gab der Rechtslage gemäß cum beneficio legis et inventarii eine Erbserklärung ab. Die vorhandenen  90 Gulden waren nicht "ausstehende Lohnzahlungen" (von wem? Eberl war als freiberuflicher Musiker tätig), sondern das vorhandene Bargeld. Der Schätzwert von 354 Gulden bestand nicht aus "Besteck und Geschirr" (man stelle sich die Geschirrlade vor!), sondern aus folgenden Gegenständen (und hier ist nun Gelegenheit zu zeigen, wie Frau Feyrers Projektarbeit hätte aussehen sollen):

An der Hauswäsch und Einrichtung

3 Tischtücher 12 Servieteur 12 Handtücher

    12 Leintücher 12 Ziechen                                   30 "

Die Ehebetten zur Nachricht

im 1ten Zimmer

1 harter Tisch 1 gepolsterte Sofa 4 Sesseln

    1 Spuktrugerl                                                    24 " –

1 kirschbaumerner Schubladkasten                         20 " –

1 nußbaumerner Bücherkasten                               20 " –

1d° Mußikpult und Nachtkastl                               10 " –

1 Stockuhr in schwarzgebeitzten Kasten                 26 " –

1 Violin                                                               12 " –

1 Forte Piano                                                     100 " –

im 2ten Zimmer

4 kirschbaumerner Tisch 1 Sofa von halbseiden

    12 d° Sesseln                                                  80 " –

1 Perllüster                                                          7 " –

4 Leuchter von Argant aché und einige

    Bilder                                                              2 " –

Im Vorhaus

1 Dienstbothenbett                                             10 " –

2 weiche Garderobkästen                                     5 " –

die sämtl: Kucheleinrichtung                                 8 " –

                                                          Summa 354 " –

Eberls Klavier wurde von Feyrer also unter "Besteck und Geschirr" subsumiert. Dass "die Verlassenschaft von der Witwe gemäß des[sic!] abgeschlossenen Kontrakts übernommen wurde", ist eine unwahre Behauptung, die nur die Tatsache vertuschen sollte, dass die Autorin Anton Eberls Heiratsvertrag vom 28. Mai 1796 nicht kennt. Sie kann ihn nicht kennen, da er 1969 aus dem Wiener Stadt- und Landesarchiv gestohlen wurde. Interessant wäre es auch gewesen, zu erfahren, dass Anton Eberl an Scharlach starb. Eberls Witwe Anna kaufte im Jahr 1811 von ihrem Erbe das Haus Alsergrund 146 (heute Höfergasse 12). Sie beerbte ihren wohlhabenden Vater, den Niederlagsverwandten Ignaz Franz Schäfler und starb am 1. Dezember 1826 mit Hinterlassung eines Vermögens von über 14.000 fl CM, dessen Großteil ihr Neffe erbte.

 

Am Petersplatz: links das Haus "Zum silbernen Vogel", in der Mitte die alte Militärhauptwache und rechts dahinter das "Eisgrübl", Anton Eberls Sterbehaus (Aquarell von Erwin Pendl).

 

Anton Fischer

 

Nach der obligatorischen Behauptung: "Zusammenfassend lassen sich folgende Informationen aus der Verlassenschaftsabhandlung [Anton Fischers] entnehmen" verschweigt uns Frau Feyrer die folgenden, in Fischers Sperrs-Relation befindlichen Informationen:

Es folgt der schon gewohnt funkelnde Nonsens: "Das Vermögen des Verstorbenen wird nach dessen Tod wie gewohnt[!] behandelt: Die hinterlassene Ehefrau bittet um das Anlegen eines Güterverzeichnisses[!]. Der Vorgang wird entsprechend[!] eingeleitet." Das "Schreibpult", das Feyrer in der Liste der Möbel als einziges Wort erkennen zu können glaubte (sie nennt das "insbesondere ein Schreibpult"), kommt in dieser nicht vor. Es handelte sich um ein "Schreibpultkästel". Die Summe von 35 fl 8 x wurde von Feyrer für eine Kommazahl gehalten und gnadenlos in "35 Gulden und 80 Kreuzer" umgerechnet. Die restlichen Möbel Anton Fischers sowie sämtliche andere Effekten spielen in der Zusammenfassung keine Rolle. Die Dezimalisierung des Guldens fließt auch in die Vermögenssumme: "Entsprechend des[sic!] Güterverzeichnisses beläuft sich das Vermögen auf einen Gesamtwert von 98 Gulden 80 Kreuzer." Soll natürlich heißen: 98 fl 8 x. Und weiter geht es auf Flügeln der Fantasie:

Hinzu kommen weitere Besitztümer[!], die aus einem Legitationslimit[!] stammen. Hierbei handelt es sich um einen Gesamtwert von insgesamt 32 Gulden. Der Gesamtbetrag beläuft sich mithin auf 130 Gulden und 50 2/3 Kreuzer. Das Eigentumsverzeichnis wurde nach Vermeldung durch Joh. Baptist Egger angelegt und die rechtmäßige Übernahme durch die Witwe vollstreckt.

Davon kann natürlich keine Rede sein. Ein 31jähriger, nahezu mittelloser Kapellmeister hinterließ 1808 keine positive Vermögensbilanz. Am 12. November 1809, also fast ein Jahr nach dem Tod ihres Gatten, bat Josepha Fischer das Zivilgericht, die Verlassenschaft jure crediti einzuantworten, den Todesfall abzutun und die Sperre eröffnen zu lassen. Für ihr Ansuchen gab sie folgende Gründe an (und hier erfahren wir, was ein Legitationslimit ist und was Fischers Witwe tatsächlich erbte):

Das sämmtliche Verlassenschafts=Vermögen beträgt laut Inventur B. dd° 20. Februar 809 im Schätzungswerthe nur 98 fr 8 xr und selbst mit Zuschlag eines Lizitationsdrittels [Feyrers "Legitationslimit"!] pr 32: 42 2/3: [ein Drittel des Schätzwertes] doch nur einen Betrag pr 130 fr 50 2/3 xr.

Da ich nun aber laut Quittung C dd° 4. 8ber 809 in die K.K. Hofapotheke für die meinem seel: Ehegatten abgereichten Medikamenten einen Betrag pr –150 fr – bezahlt habe, durch welche Auslage allein schon, ohne Berücksichtigung der mancherley anderen von mir bestrittenen Krankheits=Posten, das erwähnte Verlassenschafts-Vermögen bei weiten überstiegen wird, und da ich auch überdieß die Bezahlung der Curatels=Expensen auf mich nehme, so will ich bey dem Umstande, als auch sowohl der durch Decret D. dd° 15. Xber 808 für meine m Tochter Eleonora aufgestellte Vormund H[err] Hofrath v Heimerl[!], als der mitgefertigte Curator H[err] Dr. Oßwalt, laut den hier beygefügten Mitfertigungen, auf die Einantwortung jure crediti einverstanden sind, bitten:

Ein löbl: Magistrat geruhe ... [usw.]

Das war die bittere Realität: Josepha Fischer erbte nicht (wie Frau Feyrer glaubte) "130 Gulden und 50 2/3 Kreuzer", sondern verblieb mit einem massiven finanziellen Verlust, der wahrscheinlich durch eine Sammlung unter den Mitgliedern des Theaters an der Wien gelindert wurde. Die Situation der Witwe Fischer sollte sich bald zum Besseren wenden. Am 10. Juni 1811 heiratete sie in St. Josef ob der Laimgrube den Sohn ihres Hausherrn, den Architekten Franz Seraph Jäger junior (1781-1839). Sie überlebte auch diesen und wurde 1839 Universalerbin seines beträchtlichen Vermögens. Fischers Tochter Eleonore (geb. 31. Jänner 1803), ein Patenkind Eleonore Schikaneders, wuchs im Hause ihres Stiefvaters auf und wurde am 11. Oktober 1821 die zweite Ehefrau des Architekten Joseph Georg Kornhäusel. In diese biographischen Bereiche sollte man vordringen, wenn man sich mit Anton Fischer beschäftigt.

 

Der am 9. April 1810 vom Pfarrer Prosper Pichler anlässlich der zweiten Heirat Josepha Fischers ausgestellte Totenschein des Kapellmeisters Anton Fischer

 

Gottlieb Leon

 

Glaubt man nun, es könne einen keiner von Feyrers bizarren Irrtümern mehr aus der Fassung bringen, sieht man sich im Fall Gottlieb Leon eines Besseren belehrt. Frau Feyrer war nicht in der Lage zu erkennen, wie der von ihr behandelte Schriftsteller und Bibliothekar tatsächlich hieß und präsentiert ihn tatsächlich als "Leon Gottlieb" (weswegen er auch auf Anton Fischer folgt). Das muss man – samt der unbrauchbaren "Zusammenfassung" – im Original gesehen haben:

 

 

Der gröbste Unfug lässt sich nun schon leicht auf den ersten Blick erkennen. Gottlieb Leon war nicht "gewesener Leiter" der K.K. Hofbibliothek, sondern ihr "pens.[ionierter] Custos". Die (von Feyrer verheimlichte) Adresse seines Sterbehauses lautete "N 223 an der Gestätte" (heute Am Gestade 7). Leons (für die Forscherin unwichtige) "nächste Anverwandte" waren: "3 leibl m [großjährige] Geschwisterte. H[err] Michael Leon Magistrats Rath der KK H[aupt] u R[esidenz] St[adt] Wien, und Anna Maria Leon ledig im Sterborte, und H[err] Johann Leon, Professor der historischen Zeichnung eben da." Die Angabe "Liste von Büchern in Druckbuchstaben" ist falsch, denn von Druckbuchstaben ist in der Liste keine Spur. Nur die Titel der italienischen, spanischen und französischen Bücher sind (wie üblich) in Lateinschrift geschrieben. Diese Liste ist nur dann "nicht von weiterem Interesse", wenn man sie nicht lesen kann. Sie ist das weitaus interessanteste Dokument in Leons Verlassenschaftsabhandlung. Anhand der durchgestrichenen Titel erfahren wir, dass Nicolais Geschichte eines dicken Mannes ebenso auf der Liste der verbotenen Bücher stand wie Thümmels Reisen in die mittägigen Provinzen von Frankreich. Ebenso vom Bücher-Revisionsamt kassiert wurde Leons Exemplar der Gedichte und Lieder verfasst von den Brüdern der Loge zur Wahren Eintracht im Orient von Wien, ein Freimaurer-Almanach aus dem Jahr 1783, der im Vormärz selbstverständlich auf dem Index stand. Auf der Liste finden sich die Unterschriften von Johann Mayrhofers Chef im Revisionsamt Franz Sartori und des Buchhändlers Christian Gottfried Kaulfuss. Feyrers notdürftige Zusammenfassung von Leons Fahrnissen ist ein Gemisch aus Unterlassung und Erfindung. Leon besaß keine "Hüte", sondern nur einen Hut und die von Feyrer genannten "Nachthauben, Esslöffel und Ähnliches[!]" kommen in der Liste der Vermögens-Artikel nicht vor und sind ein Produkt verzweifelter Fantasie. Die übliche "Zusammenfassung der Verlassenschaftsabhandlung" schließt mit den folgenden zwei Perlen: "Der Gesamtwert des Nachlasses wird auf insgesamt 163 Gulden und 48 Kreuzer veranlagt. Die Korrektheit der Vermögensauflistung wurde von Anna Gottlieb quittiert." Erstens: von einem Gesamtwert des Nachlasses von "163 Gulden und 48 Kreuzer" kann selbstverständlich keine Rede sein. Da Gottlieb Leons Einsegnung in der Schottenkirche und sein Begräbnis auf dem Allgemeinen Währinger Friedhof 262 Gulden 59 Kreuzer kosteten, wurde der Wert des Nachlasses auf ein Minus von 98 fl 49 x reduziert. Das ergibt sich aus einem Vermerk gleich unter der Vermögensliste, den Feyrer nicht lesen konnte. Zweitens: da die Forscherin in dem Wahn befangen war, dass Gottlieb Leon "Leon Gottlieb" hieß, machte sie aus der Unterschrift von Leons Schwester Anna Leon eine "Anna Gottlieb" und träumte dabei wahrscheinlich von der ersten Pamina in Mozarts "Zauberflöte". Wie schrieb Jörg Mauthe? "Solchene Sachen lassen sich nicht erfinden. Nicht einmal in unserem Etablissement."

 

Anton Grams

 

Der legendäre Kontrabassist Anton Grams ist eine weitere verfehlte Wahl im Zusammenhang mit "Mozarts Wiener Umfeld". Grams war in Prag tätig und kam erst Ende 1801, also zehn Jahre nach Mozarts Tod nach Wien. Seine Bedeutung basiert auf seiner Zusammenarbeit mit Beethoven, für den Grams der bedeutendste und wichtigste Kontrabassist in Wien war. Grams' Sperrs-Relation wird (um es mit Feyrer zu sagen) von dieser "wie gewohnt behandelt". Wichtige Informationen waren unlesbar und fehlen, was auch damit zu tun hat, dass die Autorin sich mit der Literatur über Grams nicht beschäftigt hat. Grams starb wie Valentin Adamberger im Haus Stadt 1102, "Zum Goldenen Pfau". Grams älterer Sohn hieß nicht "Mathias", sondern Mathäus. Die im Projektbericht fehlenden Informationen über Grams' Söhne seien hier nachgetragen: "2 (Großjährige und wo selbe sich befinden) H:[err] Mathäus Grams Kaplan im Neulerchenfeld im Pfarrhaus und Leopold Grams Praktikant bei der Wasserbau=Direktion im Sterborte". In der Zusammenfassung folgt der übliche Unsinn, der völlige Unkenntnis des juristischen Prozedere verrät: "Das Verfahren wird rechtmäßig[!] eingeleitet. Durch Ersuchen[!] eines Gerichtskommissars[!] beim zuständigen Stadtmagistrat wird eine Sperrs-Relation angelegt." Der "Gerichtskommissar" war der Sperrskommissär Ignaz Schleicher, der nicht den "Stadtmagistrat ersuchte, anzulegen", sondern selbst im Auftrag des Magistrats diese Sperrs-Relation anlegte. Feyrers Karikatur von Grams' Vermögen sieht folgendermaßen aus: "Kleidungsstücke (Hüte, Gehrock etc.) Alltagsdevotionalien (u.a. alte Töpfe)". Grams besaß nicht "Hüte", sondern nur einen Hut und nicht "einen Gehrock", sondern deren drei. "Alltagsdevotionalien" sind der übliche Nonsens – niemand kann wirklich wissen, was sich Frau Feyrer unter "Devotionalien" vorstellte. "Alte Töpfe" befinden sich nicht in der Vermögensliste und welches Wort dafür gehalten wurde, darf man sich aussuchen (ich tippe auf "2 alte harte Tische"). Hätte Grams solche Töpfe besessen, wären sie wegen Wertlosigkeit gar nicht genannt worden. Feyrers Behauptungen, "der Gesamtwert des Vermögens des verstorbenen Anton Grams belaufe sich auf insgesamt 80 Gulden" und Leopold Grams "habe die Korrektheit der Angaben durch seine Unterschrift quittiert", entsprechen nicht den Tatsachen. Erstens: die relativ hohen Schätzwerte in der Vermögensliste hätten Feyrer erkennen lassen müssen, dass es sich bei den Beträgen um Gulden in Wiener Währung handelte und dass Grams' Fahrnisse daher nur einen Wert von 32 Gulden Conventionsmünze hatten. Auf fol. 2v des Mantelbogens des Aktes befindet sich die folgende Eintragung:

Über die von dem leibl. Sohne H[errn] Mathäus Grams Kaplan in Neulerchenfeld an bestrittenen Krankheits und Leichkosten ausgewiesenen 400 f W.W. und die Erklärung desselben sowohl als des zweyten m [großjährigen] Sohnes Leopold Grams d[a]ß außer dem inventirten kein Nachlaß vorhanden sey, wird ihm hiemit der auf 80 f W.W. inventirte Nachlaß seines [...] verstorbenen leibl Vaters H[errn] Anton Grams [...] auf Abschlag seiner obigen Forderung jure crediti überlassen [...].

Grams' Söhne verblieben also nach Einantwortung der Verlassenschaft ihres Vaters mit einem Minus von 128 Gulden CM. Zweitens: Leopold Grams "quittierte" mit seiner Unterschrift nicht "die Korrektheit der Angaben", für die ja ohnehin der beeidete Möbelschätzmeister Mathias Scheberl bürgte. Leopold Grams nahm lediglich die Eintragungen der Magistratsbeamten zur Kenntnis. Mathäus Grams wurde Pfarrer in Neuwaldegg und dann in Groß-Enzersdorf. Nach seiner Emeritierung starb er im Dezember 1852 im Haus Landstraße 43. Leopold Franz Grams (geb. am 7. September 1801 in Prag) wechselte von der Wasserbau-Direktion als Rechnungsführer in die k.k. Lottodirektion. Als er am 24. Jänner 1843 in Neuwaldegg die Salzburgerin Anna Luxmüller, die Tochter eines Kollegen heiratete (als Priester fungierte sein Bruder Mathäus), war sein Trauzeuge sein Chef in der Lottodirektion Joseph Ritter von Spaun. Leopold Grams starb 1855 und wurde im Grab seines Bruders auf dem Währinger allgemeinen Friedhof begraben.

 

Johann Baptist Henneberg

 

Wir betrachten wiederum das Original von Feyrers Ausführungen über Hennebergs Verlassenschaftsabhandlung:

 

 

Richtige Informationen liegen hier nur sehr sporadisch vor, was auch daran liegt, dass Feyrer die jüngste Literatur über Henneberg ignorierte. Henneberg war nicht "k.k. Hofkomponist und Konzertmeister", sondern "K:K. Hoforganist und Kapellmeister an der Pfarre am Hof". Er starb im Haus Stadt 379 (das "Große Karmeliterhaus", Salvatorgasse 4-6) und seine zweite Frau (gest. am 26. Oktober 1864) hieß nicht "Josefine", sondern Josepha. Die Aufzählung der Kinder aus erster Ehe, die in der obigen "Zusammenfassung" keine Rolle spielten, und die Angaben zu Testament und Anverwandten lauten:

1. (Großjährige, und wo selbe sich befinden) Fr Maria Hampel von Waffenthal geb. Henneberg K:K: Hauptmanns und Adjunctens bei dem Regiment Esterhazy Gattin 27 Jahr alt wohnhaft in der Stadt Naglergasse N°

3. (Minderjährige, und wo selbe sich befinden) Anna verehelichte Kraus geb. Henneberg 23 Jahr alt, Beamtens bei der KK Nazionalbank Ehegattin wohnhaft in der Stadt auf der Freyung N. Theresia Henneberg ledig 14 Jahr alt derzeit bei ihrer Fr. Schwester Maria Hampel und Walburga Henneberg ledig 13 Jahr alt, derzeit bei ihrer Schwester Anna Kraus.

(Ob ein Testament vorhanden) Ein Testament in welchem die zwei m Töchter Theresia und Walburga Universalerben wären

(Wo dasselbe befindlich) Wäre durch H[errn] Dor Gostischa junior ad publ:[icandum] übergeben worden

(Nächste Anverwandte) wären keine vorhanden

Vormund vermöge Testament über die m Erben wäre H[err] Dor Gostischa junior

(Aufgehabte Vormundschaften) Keine

Hennebergs älteste Tochter Maria Hampel von Waffenthal (geb. am 24. August 1795) war wie ihre Geschwister Johann Emanuel, Emanuel Karl und Elisabeth Henneberg ein Patenkind Emanuel Schikaneders. In seinem Testament vermachte Henneberg seiner Frau 400 fl CM, die er ihr schuldig war, er setzte seine zwei verheirateten Töchter auf den Pflichtteil und ernannte seine unversorgten Kinder Theresia und Walburga zu Universalerbinnen. Feyrers Auflistung des "Vermögens des Verstorbenen" hat mit dem Originaldokument nichts zu tun, wobei die im Dezimalsystem angegebenen Guldenbeträge noch die harmlosesten Fehler sind. Feyrers Zahlen sind nicht nur alle falsch, sie begriff auch die Systematik des Pflichtteil-Ausweises und des Teil-Libells nicht, die den Wert der hinterlassenen Güter in beiden Guldenwährungen angeben. "Schuldverschreibungen im Gesamtwert von 2800 Gulden" besaß Henneberg nicht. Offenbar handelt es sich dabei um die Privatforderung des Erblassers an das Ehepaar Osterberger in der Höhe von 2.500 Gulden WW. Auch "Instrumente im Wert von 3572 Gulden" sind ein Fantasieposten, dessen Ursprung zu eruieren dem Rezensenten nicht zuzumuten ist. Wahrscheinlich handelt es sich um eine in den Aktiva vorkommende Zwischensumme von 3.572 Gulden 44 Kreuzer WW, die aber mit Instrumenten nichts zu tun hat. Henneberg hinterließ ein Querfortepiano im Schätzwert von 150 fl WW (das für 180 fl verkauft wurde) und Musikalien, die für 200 fl CM der Kirche am Hof überlassen wurden. Das Bargeld von 85 fl 33 x wurde durch die Ansprüche der Witwe halbiert, die ihre Auslagen für "Bedürfnisse während der Krankheit des Erblassers, für das Concilium, für ärztliche und wundärztliche Visiten, Krankenwärter, Arzneymittel und Greißlerwaren" geltend machte. Die von Feyrer für den Wert der Kleidung genannten Beträge "374,44[sic!] + 200 + 47 Gulden" existieren nicht. Die erste Ziffer entstammt offenbar dem Schätzwert von 394 fl 44 x WW[!] von Hennebergs Pretiosen. Die "200 Gulden" könnten jene 208 fl WW sein, auf die Hennebergs Leibskleidung tatsächlich geschätzt wurde und die 47 Gulden sind wohl jene 470 fl WW Schätzwert der Hauswäsche und Einrichtung, die Feyrer als "47,0 Gulden" las. Wegen der heterogenen Erbteilung – zwei Pflichtteile und zwei Universalerbteile – und der zwei verschiedenen Währungen ist Hennebergs Vermögensbilanz nicht leicht aufzuschlüsseln und man muss viel Erfahrung mit Sperrs-Relationen haben, um die wichtigen Dokumente von den unwichtigen unterscheiden zu können. Die Aktiva der Henneberg'schen Verlassenschaft betrugen 298 fl 3 x CM und 5.022 fl 2 x WW. Die Summe der Abzüge (darunter "für Trauerarbeit ausgelegte 20 fl 33 x CM" und jene 1.000 fl WW, die Henneberg seiner Witwe schuldete) betrug 420 fl CM und 1.194 fl 16 x WW. Demzufolge betrug der Wert von Hennebergs hinterlassenem Vermögen 3.622 fl 51 x WW (1.449 fl. 8 2/5 x CM). Das Teil-Libell ist für die Gesamtsumme irrelevant und kann ignoriert werden. Feyrers Behauptung, dass "die Schätzung des Vermögens dem[sic!] Akt in dreifacher Ausfertigung vorliege" ist irrig. Geradezu rührend ist das Geständnis, dass nur "drei Erben namentlich erkennbar waren". Die Identität von Walburga und "Josefine" Henneberg ist klar, wer allerdings die von Feyrer als "Curator D" bezeichnete erbberechtigte[!] Person sein soll, bleibt rätselhaft.

 

Leopold Hofmann

 

Leopold Hofmanns Verlassenschaftsabhandlung nimmt in Feyrers Zusammenfassungssystem folgende Gestalt an:

 

 

Zusammenfassend ist zu sagen, dass auch diese Zusammenfassung unvollständig, grob fehlerhaft und daher wertlos ist. Es ist geradezu bewundernswert, wie Feyrer sich durch den stockdunklen Dschungel ihrer Leseunfähigkeit kämpfte und fest entschlossen war, auf ihrer Quellenodyssee um jeden (von der MA 7 vergüteten) Preis durchzuhalten. Hofmanns Berufsbezeichnung lautete nicht "Komponist und Musiklehrer", sondern "Kapellmeister bey St. Stephan". Sein Sterbehaus war "am Stephansfreythof N 858" (das heute nicht mehr existierende Stadtkantorei-Gebäude auf dem Stephansplatz). Hofmanns hinterlassene (von Feyrer wie üblich ignorierte) Witwe war Maria Anna, geb. Kiermayer, eine Schwägerin des Großvaters von Franz von Schober. Hofmann und Anna Kiermayer hatten am 2. Mai 1774  geheiratet (seine erste Frau war am 23. Oktober 1772 gestorben). Hofmanns Verlassenschaft wurde vom Sperrs-Kommissär Johann Florian Lovin abgehandelt, von dessen legendärer Handschrift Frau Feyrer heillos überfordert war. Darum war sie gezwungen, von "keinerlei Hinweisen auf ein Testament" zu schreiben und die folgenden Eintragungen auf fol. 1v des Mantelbogens des Aktes nicht zu beachten: "(Ob ein Testament vorhanden.) Keines wohl aber ein Heir:[ats] Brief Kraft eines Test[ament]s so durch H[errn] Dor Wolf zur publica[ti]on abgegeben worden. [...] (Nächste Anverwandte.) der Bruder Karl Joseph Hofmann K. K. Directorial Regist[rat]urs Adjunct alhier". Leopold Hofmanns Ehevertrag hat ebenso wie jener Mozarts schon vor langer Zeit einen Liebhaber gefunden und fehlt daher im Akt. Da solche als Testament gültige Ehepakte aber einen Standardtext hatten, wäre seine Rekonstruktion ein leichtes Unterfangen. Die im Akt vorliegende (von der Forscherin ignorierte) Erbserklärung der Witwe, weist darauf hin, dass sie laut § 5 dieses Vertrags "Haupterbin der gesamten Verlassenschaft ihres seel. Gatten" war. Feyrers Satz: "Seite 103 enthält eine Auflistung von Druckbuchstaben, die belegen, dass er Gläubiger mehrerer Personen war." bietet Gelegenheit zu einem recht unterhaltsamen Suchspiel, was die Forscherin im Akt für die "Seite 103" gehalten haben könnte. Es zeigt sich, dass sie einen Kreuzerbetrag "10 3/4" in der rechten oberen Ecke von fol. 2r des Hofmann'schen "Vermögensbekenntnisses" tatsächlich für eine Seitenzahl (in einem Akt von elf Blatt!) hielt, eine Halluzination die der Erforschung des Dunning-Krüger Effekts eine neue Dimension erschließen dürfte. Es kann nicht überraschen, dass in diesem Dokument auch keine "Druckbuchstaben" zu finden sind. Zu den "Wertgegenständen in der Vermögensauflistung": die Liste von Hofmanns Pretiosen – deren Wert von Anna Milder-Hauptmanns zukünftigem Schwiegervater Johann Kaspar Hauptmann (1740-1826) auf 780 fl 20x geschätzt wurde – ist wirklich schön geschrieben. Wie man ihr entnehmen kann, dass Hofmann "Ketten" besessen habe, ist rätselhaft. Der Großteil der Pretiosen bestand nicht in "Körperschmuck" (wie Feyrer behauptet), sondern in silbernen Armleuchtern, Untertassen, Vorleglöffeln, einer Garnitur silbernen Essbestecks und einem silbernen Schreibzeug. Eine Erfindung sind ebenso die "goldbestickten Tücher", die Feyrer aus Hofmanns "roth tüchernem Kleidt mit Gold gestickt" fabrizierte. Auch Unterwäsche kommt in der Liste nicht vor. Die Liste von Hofmanns repräsentativer Kleidung ist kulturhistorisch überaus interessant und es wirklich zu bedauern, dass Feyrer sie nicht lesen konnte. Die "Tischdecken" sind Tischtücher und die "24 Leichentücher" – man kann es leicht erraten –  sind Leintücher. Die "2 Schubladkasten mit Aufsatz" sind die einzigen Möbel im zweiten Stock der Stadtkantorei, deren Namen Feyrer erkennen konnte. Ihre Liste der Einrichtungsgegenstände ein Fragment zu nennen, wäre noch eine Beschönigung. Der "ovale Tisch" im zweiten Zimmer ist in Wirklichkeit ein "ordinari Tisch", die "weitern Tischtücher" entstanden aus den Wörtern "1 Schreib Tisch 1 alter luster". Feyrers "vier rote Sessel" im Vorzimmer sind vier "Rohr Sessel". Das von Feyrer genannte "Vorzimmer im dritten Stock" gab es im Kapellhaus nicht. Es ist ebenso eine Halluzination wie die "alten Töpfe und Lesestühle", deren Ursprung wohl in den Wörtern "2 alte Tisch 6 Lehnstühl" im "Dienstboden Zimmer" zu suchen ist. "Löffel und Ofen" in der Küche kommen in der Liste nicht vor. Der Ofen war ohnehin Eigentum der Dompfarre. In Feyrers Kurzfassung der Vermögensliste fielen ungefähr 80 Gegenstände aus Hofmanns Nachlass galoppierender Leseschwäche zum Opfer.

 

 

Welches Haus und welches "weitere Haus" Hofmann besaß, ist Feyrer deswegen nicht bekannt, weil sie der Sperrs-Relation nicht entnehmen konnte, dass die lange Liste von Hofmanns Vermögen sich auf Gegenstände in seiner Dienstwohnung am Stephansplatz bezog und dass er nur ein Haus, nämlich das Gebäude Oberdöbling 84 (heute ungefähr Hardtgasse 27) und 1/8 Joch Weingarten sein Eigentum nannte. Dass "eine Auflistung des dort hinterlassenen Vermögens in der Sperrs-Relation nicht vorhanden ist", ist falsch. So eine Liste befindet sich ebenso in der Sperrs-Relation, wie die detaillierte Schätzung dieses Hauses in Döbling. Nicht "seine Häuser", sondern nur dieses Haus hatte einen Wert von 2.380 Gulden. Den tatsächlichen Gesamtwert von Leopold Hofmanns Hinterlassenschaft in der Höhe von 18.522 Gulden und 25 1/4 Kreuzer konnte Feyrer dem Akt nicht entnehmen. Hofmanns Reichtum basierte nicht nur auf seiner gutbezahlten Stellung als Domkapellmeister, sondern wohl auch auf der Mitgift seiner zweiten Frau, deren Vater Bernhard Kiermayer ein wohlhabender bürgerlicher Goldschmied gewesen war. Mit einem Teil ihrer Erbschaft kaufte Hofmanns Witwe das Haus "Zum weißen Rössel" in Gumpendorf, wo sie am 18. Juli 1802 starb.

 

Johann Hunczovsky

 

Dr. Johann Hunczovsky, Stich von Franz Wrenk aus dem Jahr 1792 nach dem Gemälde von Heinrich Füger

 

Im Gegensatz zu Feyrers Behauptung, dass Hunczovsky "auch Mozart behandelt haben dürfte", gibt es keinen Beweis, dass Mozart jemals Hunczovskys Patient war. Es ist möglich, dass Hunczovsky im Jahr 1789 nach der Geburt der Tochter Anna zur Behandlung Constanze Mozarts konsultiert wurde, aber auch das ist pure Spekulation. Belegt ist allerdings Hunczovskys Freundschaft mit Beethoven und Lorenz von Breuning. Feyrer weiß de facto nichts über diesen legendären Arzt. Sie hat keine Sekunde in biographische Recherchen investiert, sonst würde sie Hunczovskys tatsächliches Todesdatum kennen und wüsste auch, dass ein k.k. Leibarzt nicht "am Hofe" wohnte. Die folgende "Zusammenfassung" enthält wieder ein paar grandiose Perlen:

 

 

Nimmt man die Sache mit Humor, kann man im manchmal etwas eintönigen Archivalltag nur profitieren. Im Gegensatz zu Feyrers Angaben war Hunczovsky nicht einfach "Militärmediziner". Die Sperrs-Relation bezeichnet ihn als "K.K. Rath, Leybchirurgus, und Professor der K.K. medizinisch chyrurgisch josephinischen Militärakademie". Hunczovsky starb nicht am 4. August (wie von Feyrer angegeben), sondern am 4. April 1798 um sechs Uhr früh. Laut Wurzbach (der sich offenbar auf Caroline Pichler stützt) starb Hunczovsky an einer Fingerverletzung, die er sich bei einer Operation zugezogen hatte. Das Totenbeschauprotokoll des Magistrats nennt eine "Lungen- und Leberentzündung" als Todesursache. Der Text: "In der Verlassenschaftsabhandlung lassen sich keine weiteren Hinweise auf das Kind des Verstorbenen finden, außer dass sich dieses offenbar nach dem Tod des Verstorbenen weiterhin am Hofe[sic!] aufhielt. Ein Testament ist vorhanden, welches angeblich[sic!] in einem Amt[sic!] am Hofe[sic!] abgelegt wurde." ist ein Salat aus Ratlosigkeit und Unsinn. Selbstverständlich finden sich das Kind betreffende Hinweise in der Sperrs-Relation, man muss sie nur lesen können. Es ist geradezu absurd, sich mit Hunczovskys Verlassenschaft zu befassen ohne eine Sekunde in biographische Recherchen zu diesem bedeutenden Mediziner zu investieren. Dr. Hunczovskys einziges Kind Johann Nepomuk wurde am 24. November 1796 geboren. Seine Mutter – Hunczovskys zweite Frau Josepha geb. Hofmann (geb. 1767) – starb kurz nach der Geburt dieses Kindes am 30. November 1796 an "Milchübersetzung auf den Kopf" (einer tödlichen Brustentzündung). 1798 übernahm Hunczovskys Freund und Kollege, der Chirurg Dr. Wilhelm Böcking (1742-1804) die Vormundschaft des zweijährigen Sohnes Johann Nepomuk Hunczovsky, der sich natürlich nie "am Hofe aufhielt". Alle wichtigen Informationen (auch über das "angeblich in einem Amt am Hofe" befindliche Testament) finden sich auf dem Mantelbogen des Aktes (und in anderen Quellen, die zu Rate zu ziehen Routinearbeit ist):

Johann Nepomuk Hundschovsky im 2t Jahresalter bey des Verlebten Schwiegermutter Fr v: Hofmann am Lichtensteg im Weinbrennerischen Hause im 3t: Stock befind[lich] (Ob ein Testament vorhanden.) ein Testament samt Kodizill vorhanden. (Wo dasselbe befindlich.) wurde bereits an die Militär Behörde ad pub:[licandum] abgegeben. (Nächste Anverwandte.) H[err] Professor Peking[!] in der Militärakademie N° 198. in der Währingergaße, wurde zum Vormünder bestimmt.

Das "Weinbrennerische Haus" am Lichtensteg war jenes Gebäude (heute Rotenturmstraße 10), wo Mozarts Schülerin Barbara Ployer am 23. März 1784 das Konzert KV 449 zur Aufführung brachte. Wäre Feyrer des Lesens der Kurrentschrift mächtig, hätte sie das fundamentale Problem bemerkt, das zu erkennen sie nicht in der Lage war: die "Verlassenschaftsabhandlung" des Dr. Hunczovsky, die der Sperrskommissär des magistratischen Zivilgerichts mit der Zahl 802/1798 anlegte und die Feyrer auf unbrauchbare Weise "zusammenfasste", ist nicht Hunczovskys Verlassenschaftsabhandlung. Es wäre ein Leichtes gewesen, zu erkennen, dass Hunczovsky ein Haus besaß und eine bedeutende Kunstsammlung sein Eigen nannte. Im zweiten Band von Caroline Pichlers Denkwürdigkeiten aus meinem Leben (ein Buch, das heute nicht einmal über Caroline Pichler schreibende Lexikon-Autoren gelesen haben) findet sich folgende Passage:

 

 

Auch Wurzbach (Bd. 9, S. 429) erwähnt Hunczovskys Kunstsammlung. Wo in der Sperrs-Relation ist also die Liste dieser wertvollen Gegenstände? Diese Frage hätte sich Feyrer stellen sollen, aber sie bemerkte dieses Paradoxon nicht. Auf der Sperrs-Relation selbst (fol. 2r des Mantelbogens) befindet sich die Antwort, warum ein Hausbesitzer und Kunstsammler wie Dr. Hunczovsky auf nur vier Seiten "abgehandelt" wurde: er unterstand als Professor der Militärakademie der Gerichtsbarkeit des Judicium delegatum militare mixtum: "Da der Verlebte als K:K: Rath, Professor, und Feldstaabsarzt der militärischen Gerichtsbarkeit unterstehet, so konnte Unterzeichnete auch in Sachen nichts vorkehren. Franz BeckersMpia Sperrskommissär." Auch ein Blick in den betreffenden Band der Offiziosa des magistratischen Zivilgerichts gehört zur routinemäßigen Vorgangsweise bei Recherchen zu einer Verlassenschaft. Dort, im Band Mag. ZG B1/59 auf S. 164 findet sich der Vermerk: "der Todenfall als nicht hieher gehörig abgethan." Hunczovsky war als Professor an der Militärakademie Angestellter der k.k. Armee. Beide seiner zwei Ehefrauen wurden 1785, bzw. 1796 vom Militärgericht abgehandelt. Das Dokument, das Feyrer tatsächlich für das Testament hielt und als "von einer Baronin Carolina von Greineßt[!] angefertigt" bezeichnet, ist der offenbar durch ein Versehen beim Magistrat verbliebene Kaufvertrag zwischen Hunczovskys Freund, dem Chirurgen Dr. Wilhelm Böcking (1742-1804) als Vormund des minderjährigen Sohnes Johann Nepomuk Hunczovsky und der Käuferin das Hauses Alsergrund 90 (heute Alserstraße 25), Caroline von Greiner, der Mutter Caroline Pichlers. Da ihr Gatte am 2. Juni 1798 gestorben war, siegelte Caroline von Greiner am 20. April 1799 im Vertrag mit schwarzem Siegellack. Als Verkäufer zeichnete Dr. Böcking, als Zeugen fungierten der Rechtsanwalt Dr. Joseph von Neubauer (1756-1819) und Caroline von Greiners Schwiegersohn Andreas Eugen Pichler. Der Kaufpreis des Hauses samt Garten betrug 29.650 Gulden. Die Geschichte des Gebäudes Alsergrund 90 (neue CNr. 109, abgebrochen 1910) zeigt eine interessante, bisher unbekannte Querverbindung zwischen Caroline Pichler und Joseph Haydn. Am 24. April 1783 kaufte der Arzt Peter Leopold von Genzinger (1737-1805) das Gebäude von Bartholomäus Freiherr von Carignani. Genzingers Frau Marianne (1754-1793) war eine Freundin Haydns und Widmungsträgerin der Klaviersonate in Es-Dur, Hob. XVI/49. Am 15. Februar 1796 verkaufte Dr. Genzinger das Haus samt Garten an Dr. Hunczovsky, der darin seine Sammlungen unterbrachte.

 

Das 1910 abgebrochene Haus Alsergrund 109, das sich zwischen 1783 und 1843 im Besitz von Dr. Peter von Genzinger, Dr. Johann Hunczovsky, Caroline von Greiner und Caroline Pichler befand.

 

Der Rahmen des alten barocken Tores des Hauses Alsergrund 109, der im Hof des Nachfolgebaus wiederverwendet wurde.

 

Ein Blick auf die Alserstraße in Richtung Stadt: rechts Caroline Pichlers Sterbehaus, Alsergrund Nr. 109

 

Dominik Jauz

 

Die Zusammenfassung von Jauz' Verlassenschaftsabhandlung zeigt die üblichen Lücken. Folgende Informationen fehlen, bzw. sind falsch: "Dominik Janz, potius Jauz" (wie ihn der Sperrskommissär aufgrund eines Fehlers im Totenbeschauprotokoll nannte) starb nicht am 20., sondern am 26. Dezember 1806. Er starb nicht "auf der Wien 144", eine Adresse, die Feyrer ratlos ließ (heute ungefähr Gumpendorfer Str. 35), sondern im Allgemeinen Krankenhaus. Die Namen, Konditionen und Adressen der vier Jauz'schen Kinder konnten nicht alle gelesen werden und werden deshalb hier nachgetragen:

Joseph Jauz, fürstl: Lichtensteinischer Zeichenmeister No 42 auf der Windmühle; Fr: Sophia Bauman, K:K: Hofschauspielers Ehegattin, im Schmidhauß im Komödiegässel in der Stadt; Fr: Anna Hauser, Wechslerkassiers Ehegattin No 144. auf der Wien; und Karl Jauz, Mahler in Rom.

Wenn man sich mit Dominik Jauz, dem ersten Bassa Selim in Mozarts "Entführung aus dem Serail" beschäftigt, muss man wissen, dass seine Tochter am 15. Mai 1797 den Schauspieler Friedrich Baumann (1763-1841) heiratete. Baumann (der Jüngere) war nicht nur ein unerreichter Komiker und legendärer Darsteller des Schneiders Wetz in Wenzel Müllers "Die Schwestern von Prag", er war auch jener Sänger, für den Mozart das Kriegslied "Ich möchte wohl der Kaiser sein" (KV 539) komponierte, das Baumann am 7. März 1788 im Leopoldstädter Theater zum Vortrag brachte. Das muss man wissen, wenn man sich mit Jauz als Repräsentant von "Mozarts Wiener Umfeld" beschäftigt. Feyrer weiß davon nichts und machte aus Jauz' Tochter Sophia Baumann gnadenlos eine "Sophia Lauman".

 

Dominik Jauz' Unterschrift auf dem Verkündakt seiner Tochter Sophia anlässlich ihrer Heirat mit Friedrich Baumann im Jahr 1797

 

Wenn Feyrer schreibt: "Die Vermögensauflistung ist nicht groß und gibt keinerlei[!] Aufschluss über das Eigentum des Verstorbenen", wünscht man, der magistratische Sperrskommissär Johann Baptist Egger möge ihr im Traum erscheinen und sie wegen postumer Verschweigung seiner erfüllten Amtspflicht zur Rede stellen. Es gibt absolut keine Ausrede für diese galoppierende Blindheit (Leseunfähigkeit) angesichts einer Quelle, die in vorbildlich schöner Kurrentschrift geschrieben ist. Wenn man mit einem Dokument überfordert ist, so hat man das einzugestehen und sich an einen Experten um Hilfe zu wenden. Die Vermögensauflistung auf fol. 2r des Mantelbogens der Sperrs-Relation lautet:

An (Vermögen.) Ausser dem Sterbquartal von jährl[ich]en 800. f. aus dem K:K: Ka[mer]alzahlamte nach Abzug der Arrha pr: 190. f. sonst nichts, wovon die Hälfte die fürgemerkten Gläubiger beÿ der Kasse beziehen, die andere Hälfte aber pr " 95 f ― x hierher gehörig ist. Notand:[um] Auf letztere Hälfte fodert H:[err] Quirin Hauser Wechselkassier N° 144 auf der Wien wohnhaft, theils als bestrittene Krankheits= theils als Leichkösten " 32 f ― x Weiters Anton Erhart, Tandler in der Roveranÿgasse N° 5., so den Pensionsbogen in Handen hat, als Darlehen " 50 f ― x Ferners Johann Horndosch, bürgl: Schneidermeister N° 32. am Platzl, für gelieferte Arbeit ―" 8 f 42 x Endlich H: Johann Kopfmüller, K:K: Hofschauspieler, auf der Wien N° 51. in der Pfarrgasse wohnhaft, 5 f 6 xr. Es wurde die Sperr angelegt.

Wie beschreibt Feyrer diese Aufzählung von Jauz' Schulden, die seine Verlassenschaft auf ein Passivum von minus 48 Kreuzer reduzierten? "Es wird jedoch erwähnt, dass der Verstorbene noch ausstehende Löhne für diverse Arbeiten einzufordern[!] hatte." Der 74 Jahre alte, mit jährlich 800 Gulden pensionierte Hofschauspieler Dominik Jauz verdiente sich also mit Schneiderei etwas dazu!

Johann Georg Kronauer

 

Die Sperrs-Relation nennt Kronauer "französischer Sprachlehrer", woraus Feyrer einen "Sprachlehrer des Französischen" macht. Dann folgt die Zusammenfassung:

 

 

Kronauers (hier wie üblich verschwiegene) Adresse lautete "N° 24 auf der Wien" (im "Sollingerischen Haus", heute Linke Wienzeile 4). Was ein "zu einem Testament gehöriger Kontrakt" sein soll, ist unklar. Johann Baptist Egger ist jener Beamte, den Feyrer in der vorangegangenen Zusammenfassung gerade noch als "Gerichtskommissar" bezeichnete, was sie vergessen zu haben scheint. Natürlich findet sich in der Sperrs-Relation keine "Aufforderung eines Herrn Johann Baptist Egger, eine Wertschätzung aufzustellen", denn es war die Pflicht des Sperrs-Kommissärs, das zu tun und die Vermögensliste wurde demzufolge von Egger selbst geschrieben. Die Eintragung über die "Nächsten Anverwandten" in Kronauers Geburtsort konnte nicht gelesen werden und wurde daher verschwiegen. Sie lautet: "2. leibl: Geschwisterte zu Winterthor im Zürcherkanton in der Schweiz, von welchen aber die Witwe nichts Näheres angeben konnte." Wie erwartet enthält Kronauers Vermögensliste alles außer "Hüte, Mäntel und Nachthauben" (die "Nachthauben" waren eine Idée fixe, von der Feyrer sich nicht lösen konnte). Auch "Gläschen" kommen in der Liste nicht vor. Die Sperrs-Relation setzt sich nicht aus "drei elementaren Bestandteilen" zusammen. Der "Standardbogen" ist der Mantelbogen, auf dem sich auch die Vermögensliste befindet. Auch einen "Briefverkehr" gibt es nicht, sondern ein Schreiben des Sperrs-Kommissärs an den Magistrat, dass er "die Jurisdikzionssperre eröfnet und der Wittwe den Nachlaß jure crediti eingeantwortet habe". Feyrer war nicht in der Lage, den negativen Nettowert von Kronauers Verlassenschaft zu erkennen. Fol. 2v des Mantelbogens enthält sämtliche Informationen über die Auslagen der Witwe, die am 26. März 1799 eine Liste der Krankheits- und Leichkosten in der Höhe von 66 Gulden vorlegte. Die abschließende Unterschrift des Magistratsbeamten ist jene von Johann Bessenig (1752-1837), des Ehemannes von Mozarts Klavierschülerin Josepha Auernhammer. Aber solche versteckten Mozart-Bezüge zu erkennen, war Frau Feyrer nicht in der Lage.

 

Joseph Lange

 

Im Jahr 1977 veröffentlichte Heinz Schuler in den Mitteilungen der Internationalen Stiftung Mozarteum einen Aufsatz mit dem Titel "Die Verlassenschaftsabhandlung nach Johann  Joseph Lange", in welchem Langes Sperrs-Relation detailliert beschrieben wird. Da Feyrer keinerlei bibliographische Recherchen anstellte (an der Wiener Universität scheint man das nicht mehr zu lernen), blieb ihr diese Publikation unbekannt. Natürlich ist auch Schulers Aufsatz nicht fehlerfrei, aber von der Recherche-Qualität, die Schuler seinerzeit von Essen aus erbrachte, kann Feyrer nur träumen. Ihre Zusammenfassung ist fehlerhaft und größtenteils unbrauchbar. Sie war von der Handschrift des Sperrskommissärs Franz von Ortowitz vollkommen überfordert und musste erneut in ein Gemisch aus Auslassungen und Fantasie flüchten. Lange starb an Altersschwäche im Haus Stadt 261 (heute Kohlmarkt 8). Die fehlende Condition des Verstorbenen sei hier nachgetragen: "KK pens: Hofschauspieler Ehrenbürger allhier u Inhaber der grossen Civil = Medaille". Lange starb nicht am 18. (wie Feyrer angibt), sondern am 17. September 1831 "Abends 8h" (s. Totenbeschauprotokoll Bd. 169, litt. L, fol. 21v u. das Sterbebuch 1824-44 der Pfarre St. Michael). Der Name "Luise Maria Antonia" seiner Witwe ist eine irgendwo abgeschriebene Erfindung, er lautet im Akt richtig: "Aloÿsia gebohrne Weber Wohnort unbewust. Bei H[errn] D[oktor] Schuller zu erfragen". Joseph Lange und seine zweite Gattin Aloisia (die ihm – im Gegensatz zu den Angaben in der Standardliteratur – nicht sieben, sondern acht Kinder geboren hatte) hatten sich 1795 getrennt. Lange lebte ab 1799 mit seiner Haushälterin Theresia Koch in wilder Ehe, mit der er fünf Töchter und zwei Söhne hatte, von denen 1831 noch drei Töchter am Leben waren (Lange hatte mit drei Frauen insgesamt 18 Kinder). Die auch bei Schuler fehlende Liste von Langes Kindern auf der Sperrs-Relation lautet im Original:

(Nachgelassene Kinder) 4[sic!] (und zwar Großjährige und wo selbe sich befinden)

Aus 1ter Ehe Anton Lange Landschaftmahler in Bamberg

Aus 2ter Ehe Anna verehlichte Ursprug Theatersängersgattin in Anhalt Göttingen

Rosina Willÿ Bezirksarztensgattin zu Colliano in Welschtÿrol

Karl Lange Feldkriegskanzellist bei dem General Commando

Vermög seiner eigenen Erklärung nach dem Testament 3 ausserehliche

Josepha Lange verehlichte Weÿer Regierungs Practicanten Ehegattin auf der Wieden 364.

Anna Lange verehlichte Scholz Schauspiellers Gattin zu Wienerneustadt

Amalia Lange ledig 17 bei der Mutter 364 Wieden 17 Jahr derselben Vormund war H[err] Hofrath Leÿ und sey seit dieser Zeit ein Anderer aufgestellt

Aufgrund der falschen Zahl "4" am Beginn dieser Liste, fehlt bei Feyrer Rosina Lange und die jüngsten zwei Töchter werden kurzerhand mit den Notnamen "Kind (...) Lange" abgefertigt. Dass ein Testament "nicht vorhanden" war, ist unrichtig. Es wird im Akt ausdrücklich erwähnt. Dieses mit 1. Juni 1827 datierte Testament (Mag. ZG, A10, 573/1831) fehlt deshalb, weil es schon vor 1924 aus dem Archiv des Landesgerichts gestohlen wurde. Es gibt allerdings in der Sperrs-Relation einen von Feyrer missverstandenen "Testaments & Codicillsausweis" (eine aus sechs Paragraphen bestehende Liste über die Befolgung des Testaments), aus dem Langes letztwillige Verfügungen rekonstruiert werden können. Theresia Koch war Universalerbin, die Kinder erhielten den Pflichtteil und spezielle Legate, deren Wert in den Pflichtteilsausweis eingerechnet wurde: Anton Lange bekam eine goldene Repetieruhr und eine emaillierte Dose, Anna Urspruch erbte eine Vorstecknadel mit Aquamarin in Brillanten und eine Dose in Elfenbein, Rosalia Willy einen Antiquaring. Carl Lange bekam eine "wie Stroh geflochtene" goldene Dose. Ein Kodizill war nicht rechtswirksam, da es weder datiert, noch vom Erblasser signiert war. Eine elfenbeinerne Dose, "einen Schuh vorstellend von Haiden [dem Komponisten?]" war nicht legiert und wurde der Tochter Anna Urspruch überlassen. Mehrere von Feyrers Angaben zu Langes Vermögen sind irrig. Die Effekten des Verstorbenen wurde nicht "durch den Gerichtskommissar", sondern durch einen beeideten Schätzmeister des Magistrats geschätzt. Lange hinterließ nicht "goldene", sondern silberne Löffel. Auch dass er "Gläubiger war" und "ein einzufordernder Betrag von 30 Gulden blieb", ist ein Fantasiegespinst. Es ist ferner unrichtig, dass (wie Feyrer behauptet) "der Verlassenschaftsabhandlung ein Testament beiliegt, das im Wesentlichen[sic!] die Aufteilung des Vermögens vornimmt". Weder Schuler noch Feyrer erkannten das spezielle Charakteristikum von Joseph Langes Verlassenschaft. Da Lange seine Lebensgefährtin als Universalerbin einsetzte, aber von seiner Frau nicht gerichtlich geschieden war, galt sein primäres Interesse der Reduzierung seines offizielles Vermögens, um Aloisia Lange vom Erbe auszuschließen. Dementsprechend blieben der Universalerbin Theresia Koch nach der Verteilung der Pflichtteile nur 127 Gulden 57 Kreuzer brutto, mit denen noch über 100 fl an Gebühren zu bestreiten waren. Das war das offizielle Szenario der Verlassenschaft. Es ist allerdings völlig klar, dass diese armselige Erbschaft nicht den ökonomischen Tatsachen entsprechen konnte. Lange hatte 40 Jahre am Burgtheater gespielt (auch als jubiliertes Mitglied war er noch bis 1821 an der Burg aktiv) und war 1821 mit 2.500 Gulden jährlich pensioniert worden. Schon 14 Jahre vor seinem Tod hatte er sichergestellt, dass seine Lebensgefährtin ausreichend versorgt war: am 17. September 1817 "verkaufte" er um 8.000 Gulden WW Theresia Koch sein Landhaus in Weyer Nr. 31 (samt 1.099 Quadratklafter Gärten und Wiesen) bei Gmunden (heute Hochmüllergasse 17). Im Kaufvertrag (der der Sperrs-Relation in Kopie beiliegt) wird dem Verkäufer ausdrücklich der "lebenslange Fruchtgenuß dieser ganzen Realität" garantiert und die Möglichkeit eingeräumt, "diese Realität um den nämlichen Werth zu lösen". Ebenso wurde vereinbart, dass nach Frau Kochs Tod das Haus in das Eigentum ihrer drei Töchter übergehen sollte. Dieser Kauf war selbstverständlich fingiert und diente der Sicherung der finanziellen Interessen der Lebensgefährtin gegenüber den Ansprüchen der immer noch erbberechtigten Ehefrau. Langes Vorgangsweise gleicht jener Joseph Lanners, der im September 1842 seiner 16 Jahre jüngeren Freundin Marie Kraus 3.900 Gulden CM bar auf die Hand gab, um ihr durch den Kauf des Hauses Döbling Nr. 214 ein Auskommen nach seinem Tode zu sichern und sie vor den Forderungen seiner Witwe zu bewahren. Theresia Koch wurde in der Folge auf einem Konskriptionsbogen als "Hausbesitzerin in Gmundten" bezeichnet. Langes ehemaliges Landhaus wurde 1835 mit Einverständnis seiner Töchter verkauft und der Erlös unter den Erben aufgeteilt. Theresia Koch starb am 7. August 1851.

 

Joseph Lange als Hamlet (Originalformat des von Joseph Hickel gemalten Porträts in der Sammlung des Wiener Burgtheaters)

 

Joseph Nouseul

 

Natürlich ist Joseph Nouseuls Sperrs-Relation ein nahezu leeres Dokument, das Forschern angesichts eines im Versorgungshaus verstorbenen Greises an Vermögen und Informationen "zu nächsten Anverwandten" nichts zu bieten hat. Aber dann ist es eben – abgesehen von der Angabe des richtigen Sterbedatums 9. Dezember (statt 9. November)  1821 – Aufgabe einer Forscherin, über Nouseul und seine Ehefrau ein bisschen mehr herauszufinden und sich nicht mit einer ebenso lakonischen wie unvollständigen "Zusammenfassung" zu begnügen. Es gibt genug brauchbare Literatur, wie z.B. Heinz Schulers Aufsatz "Das Zauberflöten-Ensemble des Jahres 1791: Biographische Miszellen" (Mittlg. d. ISM 29/1991, S. 93-124). Aber warum denn ein Buch lesen, wenn man die Quellen nicht lesen kann? Eine Information wird man in der Literatur allerdings nicht finden, nämlich dass der erste Monostatos in den frühen 1780er-Jahren ein Pionier des französischen Theaters in Wien war. Nouseuls Sperrs-Relation gleicht jener Valentin Adambergers: die Verlassenschaftsabhandlung eines Künstlers ist wenig aussagekräftig und als Quelle unergiebig, weil der Protagonist, dem unser Interesse gilt, soeben verstorben ist. Viel interessanter sind die Dokumente aus seiner Lebenszeit, die Sperrs-Relationen seiner Verwandten, Lebenspartner und Zeitgenossen. Im Fall Nouseul ist das die Verlassenschaftsabhandlung von Nouseuls Ehefrau, der k.k. Hofschauspielerin Maria Rosalia Lefèvre, die am 21. Jänner 1804 im Haus Walfischgasse 1087 starb.

In Rosa Nouseuls Sperrs-Relation erfahren wir Näheres über das Privatleben ihres Ehemannes. Der Sperrskommissär Joseph Friedrich Reuth schreibt: "(Nachgelassene Ehegatt.) H[err] Joseph Nouseul auf dem Rennweg bei d[e]r Hutschen cohabitirt aber schon durch 16 Jahr nicht mit der Frau Erblasserin". Das Ehepaar Nouseul hatte sich also schon 1788 getrennt und Rosa Nouseul lebte offenbar mit dem Hofschauspieler Johann Baptist Mayer zusammen, dessen Unterschrift sich in der Verlassenschaftsabhandlung findet. Auch die Liste von Rosa Nouseuls "Nächsten Anverwandten" ist interessant: "1 Bruder Joseph Lefebre Mundkoch zu Klausenburg in Siebenbürgen dann von der verstorbenen leibl. Schwester Franziska Rohr eine rückgelassene Tochter Jungfrau Barbara Lefebre KK Hofschauspiellerin bei 22 Jahr im Sterbort und mehrere nach dem Theaternamen geschwisterte Kinder die nicht bestimmt angegeben werden können Vormund ist H[err] Freyherr v Braun im Michaelerhauß in der Stadt". Rosa Nouseuls Sperrs-Relation zeigt, dass sie ihrer Gewohnheit, über ihre Verhältnisse zu leben und sich das mit Gehaltsvorschüssen zu finanzieren, treu geblieben war. Schon im Jahr 1791 hatte sie 1.200 Gulden Vorschuss genommen und versucht, diese Schulden mit Benefizen zurückzuzahlen, die ihr nicht immer genehmigt wurden. Dementsprechend wurde Rosa Nouseuls Verlassenschaft von einer Gruppe von Gläubigern belagert: "Die Inventur B weißt einen Vermögensstand von 484 fr 2 1/2 xr aus; allein es konnte dabei nicht verbleiben. Der Besoldungsrückstand pr 120 fr wurde von dem Herrn Baron von Braun nicht ausbezahlt, theils weil er denselben nicht für richtig anerkannte, theils weil er das Retentionsrecht in Ansehung seiner Forderung an die Erblasserin ausüben wollte." Die Gläubiger, von denen eine Frau Anna Gorgosch schon seit 1803 Madame Nouseuls Gehalt bezog, konkurrierten um einen Gesamtbetrag in der Höhe von 2.549 Gulden 11 Kreuzer. Der Verlassenschaftskurator Dr. Joseph Falkner beschrieb die Situation wie folgt:

Es wurden mehrere Versuche gemacht, ein gütliches Abkommen zu trefen. Vor der Lizitation erbot sich Mlle Lefebre, alle Schulden zu übernehmen, und in Raten zu zahlen, wenn ihr die Verlassenschaft jure crediti überlassen würde; aber die Gläubiger willigten nicht ein und sie haben sehr übel gethan. Nach der Hand machte ich eine Vertheilung der Verlassenschaft, um einen Konkurs zu vermeiden; aber der Herr Doktor Großhaupt no[min]e Hübner, et Söhne nahm sie nicht an, sondern verlangte, ich sollte vorläufig den Pensionsausstand pr: 120 fr: einklagen. Allein diß konnte ich nicht thun, weil ich den ohnehin unbedeutenden Verlassenschaftsvorrath durch Prozeßkosten nicht aufzehren wollte. Auf diese Art wäre also nur noch das einzige Mittel, die Eröfnung des Konkurses übrig; aber auch damit ist keinem Gläubiger geholfen. Ich will daher einen kürzeren Weg einschlagen. Der Todtenfall muß einmal abgethan werden; das Vermögen reicht zur Befriedigung der Gläubiger in keinem Falle hin, wenn auch die Anna Gorgosch [...] mit ihrer Forderung ganz wegfallen würde. Bei diesen Umständen kann also der Todtenfall aus Mangel eines Vermögens abgethan werden, und die Gläubiger mögen sich gleichwohl die Liquidirung ihrer Forderungen gegenseitich nachsehen, und sodann im Wege des Vergleiches das depositirte Vermögen unter sich theilen, wenn vorher meine Superexpensen, welche ich mir ausdrücklich vorbehalte, abgezogen seyn werden. Ich bitte daher: Der löbliche Magistrat geruhe den Rosalia Nouselischen Todtenfall wegen Mangel des Vermögens abzuthun, und in dem Abhandlungsprotokolle vormerken zu lassen.

Joseph Nouseul starb (und das verschweigt Feyrer natürlich) im Versorgungshaus "Zum blauen Herrgott" Nr. 19 am Alserbach. Dieses Gebäude befand sich auf dem heutigen Areal der ehemaligen II. Frauenklinik des Wiener Allgemeinen Krankenhaus an der Mündung der Lazarettgasse in die Spitalgasse. Wie auf einem Plan des "Großen Armenhauses" 1752 zu sehen ist, handelte es sich um mehrere langgestreckte, ebenerdige Gebäude, die damals als "zum Haus gehörige Casarme" bezeichnet wurden. 1697 wurden dem großen Armenhaus die Einnahmen aus dem Lohnwagengefälle überlassen, die eine Summe von 14.000 Gulden jährlich erreichten. Man beschloss, auf Rechnung des Armenhauses selbst Lohnwagen einzurichten und errichtete zu diesem Zweck Stallungen am Rennweg und an der Als. Das Unternehmen war ein Misserfolg und wurde 1750 aufgehoben. Die Stallungen standen leer bis Maria Theresia die an der Als gelegenen Gebäude ankaufte und die beiden ebenerdigen Trakte in ein Armenhaus umwandelte, das zur Unterscheidung vom gegenüberliegenden Invaliden- oder Großarmenhaus "Kleines Armenhaus" genannt wurde. "Wer die inneren Räumlichkeiten dieser zwei speicherförmigen Häuschen mit ihren spitzen Giebeldächern besucht, muß staunen, wie es je möglich war, hier 527 Personen gleichzeitig unterzubringen; dennoch verbürgt ein amtlicher Ausweis vom Jahre 1779 dieß unerklärliche Faktum. [...] Das alte 'zum blauen Herrgott' benannte Gebäude Nr. 19 – mit Inbegriff des später erbauten und zur Wohnung des Hausbeamten gewidmeten einstöckigen Hoftraktes – enthält 13 Pfründnerzimmer und 5 Stuben zur temporären Beherbergung obdachloser Familien und Arbeiter, außerdem die Wohnung der Aufseher." Noch 1842 liest man bei Andreas Haidinger: "Auch dieses Versorgungshaus besteht schon seit undenklichen Zeiten und wurde bei Errichtung des allgemeinen Krankenhauses zu dem jetzigen Zweck verwendet. Es faßt bei 400 Personen." Das Armenhaus "Zum Blauen Herrgott" hatte seinen Namen nach einer so benannten Figur, die sich an der Außenseite des Gebäudes befand. Karl Weiß schreibt in seinem Buch Geschichte der öffentlichen Anstalten, Fonde und Stiftungen für die Armenversorgung in Wien (Wien 1867):

Da man sich schon im Jahr 1796 mit dem Gedanken beschäftigte, das damalige Kranken= und Versorgungshaus am Alserbach wegen seiner ganz ungenügenden Beschaffenheit, seiner schlechten Lage und feuchten Wohnungen ganz aufzulassen, so sollte das Bäckenhäusl erweitert [...] an Stelle der Alserbacher Anstalt auch als Sammelplatz für die nach Ybbs und Mauerbach bestimmten Armen eingerichtet werden. [...]

Der Arzt Zacharias Wertheim schreibt 1810 in seiner Medizinischen Topographie:

Am Alserbach und im Beckenhäusel [...] werden nicht nur Bettler, die man in den Straßen einfängt, aufbewahrt, sondern überhaupt alte und gebrechliche Subjecte, und auch unheilbare oder sonst ekelhafte Kranke. [...] Wenn demnach das Mortalitäts-Verhältniß ungefähr gegen 30 P.C. beträgt, so ist offenbar nicht die Medicinal-Verwaltung, sondern das Alter und die Gebrechlichkeit der aufgenommenen Individuen und mit einem Worte, ihre physische Beschaffenheit selbst schuld daran. Doch mag wohl auch die allzukärglich abgemessene, und schlechterdings nicht genügende Verköstigung vieles dazu beytragen, denn die vom Stadtgericht abgelieferten Bettler erhalten nicht mehr als einen Laib Brod täglich, und 3 kr., wofür sie noch überdieß, wenn sie eigene Wäsche mitbringen, das Waschgeld bestreiten müssen. An Fleisch oder andern gesunden Nahrungsmitteln ist daher kaum zu denken [...] sind sie aus Alter, oder Krankheits halber zur Arbeit untauglich, so haben sie – als ganz unbehülflich – die gerechtesten Ansprüche auf die zwar ebenfalls sehr geringe, aber immerhin doch etwas ergiebigere Beysteuer, welche die eigentlichen geniessen, die täglich einen Laib Brod und 5 kr., und wenn sie wahrhaft erkranken, die Kost in natura, nach Gutdünken des Arztes auch etwas Wein, und noch insbesondere einen Kreutzer auf die Hand bekommen. [...]

Während der Choleraepidemie 1831/32 wurden die Pfründner im Servitenkloster untergebracht und das kleine Armenhaus diente als Choleraspital. Das neue Armenhaus war schon in Betrieb, vorne befand sich aber weiterhin "die abscheuliche, baufällige, die Umgebung verunstaltende Baracke", die 1865 abgerissen und durch einen großen Neubau ersetzt wurde. Auf einem seiner fünf Aquarelle, die das Haus "Zum Blauen Herrgott" zeigen, hielt  Emil Hütter das Datum des Abbruchbeginns fest.

 

Das Versorgungshaus "Zum blauen Herrgott" an der Als mit Emil Hütters Anmerkung "Abbruch begonnen am 15. Mai 1865" (Wien Museum)

 

Weil die Standesprotokolle des Versorgungshauses am Alserbach der Jahre 1804-1817 nicht erhalten sind, ist es nicht möglich, den genauen Zeitpunkt von Nouseuls Eintritt ins Versorgungshaus zu bestimmen. Der Index zum Geschäftsprotokoll der Jahre 1816 und 1817 bietet allerdings Aufschluss über den ungefähren Zeitpunkt von Nouseuls Überstellung. Gegen Ende des Jahres 1816 findet sich dort die folgende, bisher unbekannte Eintragung, in der auch zwei Enkel Nouseuls genannt werden: "Nouseul Joseph ist auf das leere Zimer in Vers.[orgung] zu nehmen nebst seinen 2. Enkeln und die Verord[nung] zu gewärtigen [Aktenzahl] 963."[3] Im Jahr 1817 finden sich die folgenden zwei Eintragungen: "Nouseul Joseph betr[effend] Verordnung seiner Aufnahme 591." und "Nouseul Joseph ist das erforderliche Brennholz erfolgen zu lassen 934." Nouseuls zwei Enkel tauchen in keiner Quelle mehr auf. Ihre Identität ließe sich mit dem nötigen Rechercheaufwand sicher klären. Man könnte noch viel über Mozarts ersten Monostatos schreiben, aber es geht hier nur darum, anzudeuten, wie das Projekt der "Mozartgemeinde Wien" hätte aussehen können.

 

Anton Stadler

 

Anton Stadler genießt als Musiker legendären Status und seine Verlassenschaftsabhandlung war bereits das Objekt wissenschaftlicher Untersuchung. Da Feyrer keine bibliographischen Recherchen anstellte (nicht einmal Wikipedia wurde konsultiert) und in dieser Hinsicht auch von Dr. Kretschmer vollkommen im Stich gelassen wurde, blieb ihr die wichtigste Publikation zu Anton Stadler unbekannt: Karl Maria Pisarowitz' Aufsatz: "Müasst ma nix in übel aufnehma...": Beitragsversuch zu einer Gebrüder-Stadler-Biographie” in: Mitteilungen der Internationalen Stiftung Mozarteum 19, 1971. S. 29-33. Pisarowitz' Arbeit ist in ein paar Punkten fehlerhaft und heute bereits überholt (unter anderem durch meine Stadler-Forschung, von der ein Teil 2011 in meinem Aufsatz "Mozarts Patenkind", in Acta Mozartiana 58, S. 57-70 publiziert wurde). Obwohl Pisarowitz von Deutschland aus arbeitete und das Original von Stadlers Sperrs-Relation nie in Händen hielt, war die Qualität seiner Recherchen derart hoch, dass sie Feyrers Versuch zu eine Karikatur reduziert.

 

Anton Stadlers Unterschrift als Trauzeuge einer Hochzeit in Wien im Jahr 1809 (Am Hof, Tom 3, fol. 97)

 

Feyrer war nicht in der Lage, Stadlers Sperrs-Relation zu lesen und eine brauchbare Zusammenfassung dieses Dokuments zustande zu bringen. Schon die biographische Skizze enthält mehrere Fehler, die zeigen, dass Feyrer auch mit gedruckten Quellen ihre Probleme hat. Stadler zog sich nicht "1799 aus der Hofkapelle zurück", er wurde 1796 entlassen. Stadler plante nie "einen Umzug nach Ungarn", er erstellte lediglich einen schriftlichen Lehrplan für die Musikschule des Grafen Festetics in Keszthely. Stadlers von Mozart verliehener Spitzname im Jänner 1787 lautete nicht "Nàtschinbinitschibi", sondern "Nàtschibinìtschibi". Auch die Feststellung, dass "über Stadlers letzte Lebensjahre nur wenig bekannt ist", kann sich nur auf Feyrers eigenen Wissensstand beziehen. 1802 verließ Stadler seine Familie und zog auf die Landstraße, zu der um 1772 geborenen Handarbeiterin Friderika Köbel (so ihre eigene Unterschrift). Bei Pisarowitz hieß Stadlers Freundin "Friederike Kabel", Feyrer macht aus ihr tatsächlich eine "Henriette Lebel". Feyrers Zusammenfassung der Informationen auf dem Titelblatt der Sperrs-Relation ist unvollständig und falsch. Stadler war "pens.[ionierter] Hofmusikus". Wie üblich unterschlägt Feyrer den Vermerk zur letzten Adresse: "(Wohnung) auf der Landstraß No 407. im Afterbestand bey der Jgfr. Friderika Kebel, Handarbeiterin." Das Haus Landstraße 407 (letzte CNr. 530) befand sich an der heutigen Adresse Strohgasse 22. Auf einem Konskriptionsbogen dieses Hauses wird Stadlers hinterlassene Freundin als "Witwe" bezeichnet. Stadlers zwei Kinder werden von Feyrer folgendermaßen anonymisiert: "Sohn[!] im Alter von 22 Jahren; Instrumentenmachergeselle Sohn[!] im Alter von 20 Jahren; Musik[!] am Wiedner Theater". Die Eintragung in der Sperrs-Relation lautet wie folgt:

(Nachgelassene Kinder) 2 m [...]

(Minderjährige, und wo dieselben sich befinden) 2 m

Michael Stadler, 22 Jahr alt Instrumentenmachergesell, und Anton Stadler 20 Jahr alt, Musikus im Wiedner Theater 1ter Passetelist, alle beyde bey der Mutter in der Josephstadt N° 91 potius in der Neuschottengasse

Feyrer spart sich die Identifikation der Adresse und schreibt: "Beide Söhne wohnten bei der Mutter in der Neuschottengasse im 8. Wiener Gemeindebezirk." Hier gibt es nur ein kleines Problem: im 8. Wiener Gemeindebezirk gibt es keine "Neuschottengasse". Um festzustellen, dass die Adresse der Hinterbliebenen in Anton Stadlers Verlassenschaftsabhandlung falsch ist, muss man Franziska Stadlers Sperrs-Relation aus dem Jahr 1817 überprüfen, wo sich zeigt, dass es sich nicht um das Haus Josephstadt 91, sondern um das "Peßlische Haus" St. Ulrich 91 handelte. Dieses Haus, das 1817 dem Kartographen und Stadtbauinspektor Anton Behsel gehörte, ist erhalten und trägt heute die Nummer Piaristengasse 24. Hier wohnten 1812 Stadlers Söhne und hier starb am 4. Februar 1817 Franziska Eleonora Stadler (geb. am 9. März 1754[4] als Tochter eines Salzamtsschreibers im heutigen Lanžhot). Feyrer schreibt ferner: "Die Mutter der beiden Kinder wird nach entsprechendem Ansuchen an den Magistrat der Relation[!] zum Vormund erklärt[!]. Des weiteren wird ein Mitvormund namens Herr Puhler[sic!] vorgeschlagen." Die Fakten: die Mutter suchte nicht um die Vormundschaft an, sie wurde zum Vormund ernannt. Der Mitvormund "Herr Puhler" war Franziska Stadlers jüngerer Bruder "H[err] Ludwig Pichler Musikus im k.k. Hoftheater wohnhaft in der Josephstadt Nro 122" ("Zu den drei Hacken", heute Piaristengasse 50). Ludwig Pichler (1763-1826) war Klarinettist und k.k. Hofmusikus.

Feyrers Angabe der "verzeichneten Wertgegenstände in der Vermögensauflistung" ist teils falsch, teils unvollständig. Stadler besaß keine "Übermäntel" und auch keine "Kappen". Die Hemden und Sacktüchel konnten nicht gelesen werden und das "harte Schreibpultkastel" wurde nicht auf einen Gulden, sondern auf 1 fl 30 x geschätzt. Feyrer erkannte natürlich nicht, dass alle Schätzungen für Stadlers Effekten in Gulden Wiener Währung angegeben wurden. Das von Feyrer angegebene "Gesamtvermögen von 9 Gulden und 30 Kreuzern" entspricht nicht den finanziellen Tatsachen, da sie wie üblich die Passiva ignorierte. Auf fol. 2v des Mantelbogens findet sich der folgende Vermerk: "Uiber die von der Wittwe ausgewiesenen und bestrittenen Leich= und Krankheitskösten pr. 31 f W.W. wird derselben der auf 9 f 30 x inventirte Nachlaß des am 15. Juny d. J. verstorbenen Anton Stadler jure crediti überlassen." Der Nettowert von Stadlers Verlassenschaft betrug also nur minus 21 Gulden 30 Kreuzer Wiener Währung. Nur zwei von Anton Stadlers acht Kindern überlebten ihren Vater. Was wurde aus ihnen nach 1812? Die Standardliteratur kennt (im Jahr 2013) nicht einmal ihre Geburtsdaten. Anton Stadlers sechstes Kind Michael Johannes wurde am 28. Dezember 1787 im Bürgerspitalszinshaus Nr. 1126 geboren, in dessen "Pfarrhof-Trakt" sein Vater von Michaeli 1786 bis Michaeli 1788 wohnte. Michael Stadlers Taufpate war Mozarts Logenbruder und "ächter Freund" Johann Michael Puchberg.

 

Michael Johannes Stadlers Taufeintragung in den Matriken von St. Augustin (Taufen Tom I, fol. 62). Als Hebamme fungierte die Großmutter des Kindes Sophia Stadler (1724-1790). Puchbergs Unterschrift ist autograph.

 

Dass Michael Stadler eine Lehre als Blasinstrumentenmacher absolvierte, wissen wir aus einem Ansuchen um "Nachsicht der auferlegten 2 monathigen Probezeit", das er als Lehrling im Mai 1807 beim Magistrat einbrachte. Der diesbezügliche Akt des Faszikels zwölf der Hauptregistratur ist nicht erhalten. Michael Stadler starb zwischen 1812 und 1817, denn in der Verlassenschaftsabhandlung seiner Mutter wird er nicht mehr genannt. Dass der am 24. März 1815 bei den Barmherzigen Brüdern verstorbene Drechsler Michael Stadler der gleichnamige Instrumentenmacher war, ist unbewiesen. Anton Stadlers jüngstes Kind Anton Carl wurde am 4. November 1791 im Spaliermacherhaus Nr. 133 auf dem Spittelberg (heute ungefähr Museumstraße 5) geboren und in St. Ulrich getauft. Als Taufpate fungierte wieder Johann Michael Puchberg, der sich vom Onkel des Kindes, Johann Nepomuk Stadler vertreten ließ.

 

Anton Carl Stadlers Taufeintragung in den Matriken von St. Ulrich (Taufen Tom 38, fol. 2). Die Hausnummer lautet richtig 133, was aus anderen, die Familie Stadler betreffenden Eintragungen aus dieser Zeit ersichtlich ist.

 

Anton Stadler Junior wurde Bassettlist im Theater an der Wien. Das heißt nicht – wie Albert R. Rice und Pamela Poulin glaubten – dass er wie sein Vater Bassettklarinette spielte. Ein "Bassettl" nannte man in Wien einen kleinen, cello-ähnlichen Bass. Zum Zeitpunkt des Todes seiner Mutter im Jahr 1817 hatte Anton Stadler – wohl inspiriert von der Russlandreise seines Vaters in den 1790er-Jahren – Wien schon verlassen. In der Sperrs-Relation seiner Mutter wird er als "24[!] J. a. Musiker in Rußland" bezeichnet. Als sein Onkel Ludwig Pichler im Jahr 1820 sein Testament verfasste, bedachte er seinen Enkel mit einem Legat: "5tens Als ein Andenken und Zeichen meiner Freundt[schaft] Legire ich meinem Neffen Anton Stadler zum Andenken meine gold[ene] Sack-Uhr." Am 14. Februar 1823 strich Pichler diese Verfügung und schrieb darunter: "N° 4 und 5 sind durch Zeitverhäldniße ungildig geworden". Aus Pichlers Sperrs-Relation geht hervor, dass sich Anton Stadler im Sommer 1826 immer noch in Russland befand: "(Nächste Anverwandte) Von der verstorbenen Schwester Franziska Stadler ein hinterlassener Sohn Anton Stadler, Musikus in Rußland – unbekannten Aufenthalts." Es ist nicht bekannt, ob Anton Stadler Junior jemals nach Wien zurückkehrte.

 

Georg Summer

 

Die Zusammenfassung von Georg Summers Verlassenschaftsabhandlung hat Erstaunliches zu bieten:

 

 

Der Reihe nach:

Bei Summer wäre es angebracht gewesen, auch die Sperrs-Relation seiner am 11. Februar 1802 verstorbenen Ehefrau Anna Maria zu überprüfen. Auch diese Verlassenschaft schloss mit Passiva von 252 fl 45 x.

 

Franz Teyber

 

Die letzte Zusammenfassung, die in der 2008 publizierten "gekürzten und abgeänderten Form" des Projekts präsentiert wurde, entspricht mit ihren Fehlern und dem Resultat ihrer inkompetenten Methodik dem Niveau der gesamten Arbeit. Man will sich gar nicht ausmalen, was die Forscherin mit Mozarts Sperrs-Relation angestellt hätte. Franz Teybers Verlassenschaftsabhandlung kam auf folgende Weise unter die Räder:

 

 

Allein der Satz "wohnhaft in einer Einliegerwohnung im Theater an der Wien, Josephstadt[sic!]" wird zukünftigen Mozart-Forschern zeigen, was zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Wien genügte, um mit einem Forschungsprojekt zu "Mozarts Wiener Umfeld" betraut zu werden. Die Wörter "Einliegerwohnung" und "Theater an der Wien" kommen in Teybers Adresse auf dem Mantelbogen der Sperrs-Relation nicht vor und sind ein Produkt der Fantasie. Franz Teyber starb im Haus Josephstadt 62 ("Zum Englischen Gruß", heute Lange Gasse 32) an Wassersucht. Er starb nicht am 22., sondern schon am 21. Oktober (s. Totenbeschauprotokoll Bd. 128, litt. DT, fol. 44r). Teybers minderjähriges Kind war nicht ein Sohn, sondern eine Tochter. Die betreffenden Vermerke in der Abhandlung lauten:

(Nachgelassene Ehegatt)in, Fr. Barbara wohnhaft dermalen im Theaterhause an der Wien No 26. bei der Frau Mayer

(Nachgelassene Kinder) Eines

1 (Minderjährige, und wo dieselben sich befinden) Josepha 5 Jahr alt, bei der leibl Mutter

(Nächste Anverwandte) Zum Vormunde wurde H[err] Friedrich Tayber K.K. Hofsekretär wohnhaft im Gundlhof vorgeschlagen

"Frau Mayer" war nicht irgendeine beliebige Dame, sondern Constanze Mozarts Schwester Josepha Weber, verwitwete Hofer, seit 1797 verehelichte Meier, die erste Königin der Nacht. Hier wäre nun endlich ein enger Mozart-Bezug vorhanden, aber Feyrer bemerkte ihn nicht. Die Wertgegenstände Franz Teybers wurden nicht (wie Feyrer vermutet) "vor Teybers Tod verteilt", sondern, wie dem Akt zu entnehmen ist, zur Finanzierung des Begräbnisses verkauft: "An (Vermögen.) nichts. Der Verlebte wäre theils von dem für die verkaufte wenige Leibskleidung erlösten, theils von entlöhnten Gelde begraben worden. Es wurde keine Sperre angelegt." Die "musikalischen Devotionalien" sind der schon bekannte Unsinn. Die Witwe bat natürlich nicht "um die Anlegung der Sperre", erstens, weil das ohnehin Aufgabe des Sperrskommissärs Anton Koschnike war und zweitens, weil aus Mangel eines Vermögens keine Sperre angelegt werden musste. Ergo entspricht auch die Behauptung, dass sich die "damit verbundenen Korrespondenzen" in der Sperrs-Relation befinden, nicht den Tatsachen.

 

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Der Projektbericht im Wiener Figaro schließt mit dem folgenden kurzen Absatz:

 

 

Das Ergebnis des von Dr. Helmut Kretschmer im Namen des Vereins "Mozartgemeinde Wien" initiierten Projekts "W. A. Mozart und sein Wiener Umfeld" ist wissenschaftlich wertlos und der Verein wäre gut beraten, der MA 7 die erhaltenen Fördermittel zurückzuzahlen. Schon das Konzept des ganzen Unternehmens war unzureichend durchdacht und was die Auswahl der Personen "aus Mozarts Umfeld" betrifft, von grobem Dilettantismus gekennzeichnet. Natürlich trifft die Hauptverantwortung den Projektleiter, der ganz offensichtlich nicht einmal den Text seiner Mitarbeiterin einer Lektüre unterzog, bevor er ihn zum Druck beförderte. Aber auch Frau Feyrer kann man nicht aus der Verantwortung entlassen, denn sie muss gemerkt haben, dass sie die von ihr "zusammenzufassenden" Dokumente nicht lesen konnte und hätte sich an Dr. Kretschmer um Hilfe wenden müssen. Sie schwieg und entschloss sich, das Honorar zu nehmen und die "Mozartgemeinde Wien" hemmungslos zu blamieren. Die Wiener Mozart-Forschung erleidet durch diese Vorgangsweise großen Schaden, denn die ohnehin gering bemessenen öffentlichen Fördermittel gehen für die seriöse Forschung verloren. Natürlich ist dieses desaströse "Forschungsprojekt" nur ein Symptom eines grundlegenden Missstandes in der historischen Musikwissenschaft in Wien, der sich auf die Mozartforschung besonders schädlich auswirkt. Auf archivalischen Quellen basierende biographische Forschung zu den bedeutenden Repräsentanten der Wiener Klassik wird in Wien nicht gelehrt und daher wird sie in Wien auch nicht betrieben. Studenten der Musikwissenschaft lernen an der Wiener Universität nicht, wie man biographische Quellen findet, wie man eine 200 Jahre alte Verlassenschaftsabhandlung (und ähnliche Dokumente) liest und wie man sie in einen sinnvollen historischen Kontext stellt. Natürlich gibt es immer wieder akademische Abschlussarbeiten, die sich als Ausnahmen von der Regel erweisen, aber die Universität Wien bleibt doch jene Institution, an der man über die Wiener "Tonkünstler-Sozietät" dissertieren kann, ohne die Akten dieses Vereins lesen zu können. Wo man nur zwei Bücher über Schubert gelesen haben muss, um mit einer Dissertation über "Interpretationsmöglichkeiten zur Vita und zum Werk Franz Schubert's[!]" zum Doktor der Philosophie promoviert zu werden. Wo man es sich leisten kann, in einer Dissertation über Joseph Lanner nicht existierende Quellen zu zitieren, weil man sicher sein kann, dass kein Mensch ins Archiv gehen wird, um diese Quellen zu suchen. Da es in Wien keine Ausbildung zur Erforschung von handschriftlichen Quellen der Mozartzeit gibt – ich habe in Wiens Archiven noch nie einen hiesigen Professor der Musikwissenschaft mit seinen StudentInnen gesehen – und weil man in geradezu rührender Naivität "alles für schon erforscht" hält, bleibt eine Unmenge an bedeutenden, für die Erforschung der Mozartzeit wichtigen Dokumenten weiterhin unbekannt. Statt dessen macht man sich mit großem Aufwand an die Aufarbeitung der postumen Rezeption von Mozarts Musik, weil gedruckte Rezensionen viel leichter zu lesen sind und man sich bei dieser Abschreibarbeit jede Arbeit mit handschriftlichen Primärquellen ersparen kann. Die wichtigsten Quelleneditionen, Otto Erich Deutschs Ausgaben der Mozart- und Schubert-Dokumente, entsprechen nicht mehr modernen wissenschaftlichen Anforderungen und bedürfen dringend einer Erweiterung und kompletten Neuedition. Wie ich schon vor zwei Jahren in meiner Replik auf Walburga Litschauer erwähnte, wird diese aufwändige Arbeit nur dort ausgeführt werden können, wo sich die wichtigsten archivalischen Quellen zu Mozart und Schubert befinden: in Wiens Archiven. Von diesbezüglichen Bemühungen ist allerdings nichts zu bemerken. Die wissenschaftlichen Institutionen ziehen es vor, sich auf Randgebieten zu verzetteln, die existierenden "Standardwerke" für makellos zu halten, von Salzburg aus via Fax zu "recherchieren" und Forschungsprojekte der hier präsentierten Sorte zu unterstützen. Eines haben alle beteiligten Experten gemein: die unbändige Angst davor, ein Wiener Archiv zu betreten, die Knochenarbeit archivalischer Recherche von der Pike auf zu lernen und sich jener jahrelangen Erforschung des Unbekannten zu widmen, deren Erfolg nur selten garantiert ist. Vergessen wir nie: Österreich ist das Land der klassischen Musik. Es ist aber auch das Land, wo ein Pseudohistoriker, der in einem seiner Bücher behauptet, dass Mozart 1791 in Baden im Polizeiarrest gelandet sei, das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse erhielt.

 


[1] Malmédy, paroisse Saint Géréon 1731-59, p. 243.

[2] Malmédy, paroisse Saint Géréon 1731-59, p. 230.

[3] WStLA, Städtische Anstalten und Fonds, Versorgungshaus Alserbach, Index zum Geschäftsprotokoll B 3/2.

[4] Moravský zemský archiv Brno, Lanžhot, Taufen 1754-84, pag. 2.


Nach der Einberufung einer außerordentlichen Sitzung beantwortete der Vorstand der "Mozartgemeinde Wien" am 29. Jänner 2014 diese Rezension mit folgendem Schreiben, das der Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden soll.


© Dr. Michael Lorenz 2013. Alle Rechte vorbehalten. Im Internet veröffentlicht am 20. Oktober 2013.        nach oben