Fachsprache und Industriekommunikation
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Schlagwort: Information und Kommunikation sind Wirtschaftsfaktoren
Alle größeren Unternehmen widmen sich zunehmend den Fragen der Kommunikation innerhalb eines Betriebes. Optimierung der Arbeit nach Qualität und Quantität sowie die Marktposition, corparate Identity und Arbeitszufriedenheit hängen nicht nur von den Materialien, Verfahren und Ressourcen ab, sondern immer mehr von den Kommunikationsverfahren zwischen
- den Organisationseinheiten (z.B. Fertigung und Verkauf)
- den Beschäftigten und den Computern
- dem Betrieb und der Konkurrenz
- den Beschäftigten und den Technologiequellen (Know-how)
- dem Betrieb und der öffentlichekn Administration
- dem Betrieb und der Öffentlichkeit
- dem Betrieb und seinen Kunden
- den Beschäftigten untereinander
Fachsprache und Medien
Die fachlichen Medien, z.B.
- Fachzeitschriften
- Fachbücher,
- Firmenzeitschriften
- Verbandsorgane,
wollen optimal für die Kommunikation zwischen den Mitgliedern eines Fachs sorgen,
die öffentlichen Medien haben gegenüber den Fächern die Aufgabe, zwischen der Öffentlichkeit und den Fächern möglichst objektiv zu vermitteln. Ziele sind dabei z.B.
- fachübergreifende Kontakte,
- Informationstransfer,
- interdisziplinäre Weiterbildung,aber vor allem:
- die politische Verantwortung und Kontrolle der Öffentlichkeit gegenüber den Fachentwicklungen zu ermöglichen.
Fachsprache und (Sprach-) Geschichte
Wichtige Themen der Forschung sind hier:
- Technikgeschichte als Kommunikationsgeschichte (s. Timm).
- In welchem Zusammenhang stehen Fach- und Sprach-entwicklung?
- Was war zuerst, die Fachsprache oder die Gemeinsprache?
- Wie werden Fachwörter in die Gemeinsprache integriert?
- Wie werden gemeinsprachliche Wörter zu Fachwörtern?
- Welche Rolle spielen Fremdsprachen bei der Fachentwicklung (z.B. Griechisch, Lateinisch, Französich und Englisch)?
- Wie werden fremdsprachliche Fachwörter integriert?
- Wie hängen internationale Kommunikationsentwicklung (vom Buchdruck bis zum Computernetz) und Sprachnormung zusammen?
- Nach welchen Regeln entstehen (und vergehen) Fachsprachen?
Fachsprachen und Kommunikationswissenschaft
Typische Forschungsthemen:
- Wie unterscheiden sich soziale und technische Kommunikation?
- Fachkommunikation und Schriftlichkeit
- Performanzeigenschaften in der Fachkommunikation auf den verschiedenen linguistischen Ebenen
- Formalisierung der Kommunikationswege,
- Kommunikationsmethoden (Protokolle) und Inhalte (Benennungen, Einheiten, ...) innerhalb einer industriellen oder betrieblichen Einheit zum Austausch von Information. Z.B.
- Schaffung von Hard- und Software- Voraussetzungen zum Kommunikation mit heterogenen Datenbanken, Informationsaustauch heterogener Rechner oder Geräte.
Beispiel: Integrierte Diagnose-Oberfläche im Maschinen- und Anlagenbau
Fachsprachen und Informatik
Informatik ist an Fachsprache interessiert unter folgenden Aspekten:
- Zusammenhang zwischen formalen und natürlichen Sprachen
- Informationsspeicherung und -suchtechniken (Information Storage and Retrieval) für natürlichsprachliche Texte,
- z.B. automatische Zuordnung von Schlagwörtern zu Zeitschriftenaufsätzen und Suchverfahren zur Wiederauffindung einschlägiger Aufsätze nach formalen Suchausdrücken.
- Natürlichsprachliche (Datenbank-) Anfrage
- Modellierung von sprachlichen Bearbeitungsvorgängen (z.B. in der Sprache UML)
- (s. auch Informationstechnik)
Fachsprachen und formale Sprachen
Die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine wird in der Regel in einer formalen Sprache abgewickelt. Woher stammen solche Sprachen?
Sie sind nach entsprechenden Spezifikationen künstlich entworfen worden und haben eine formale Definition. Diese Definition ihrerseits ist in einer Definitionssprache (z.B. BNF) abgefaßt, wieder einer formalen Sprache. Diese (wenn sie es nicht selbst ist) basiert normalerweise auf einer logiksprachlichen Definition. Woher kommt die logiksprachliche Definitionssprache?
Offenbar haben wir es hier mit einer immer tieferen Verschachtelung formaler Sprachen zu tun, deren Elementarausdrücke aber an irgendeiner Stelle einmal auf eine natürlichsprachliche, alltagssprachliche Vereinbarung gegründet sein müssen.
in der Philosophie spricht man vom Alltagssprachlichen Rekurs
Was ist BNF?
Backus-Naur-Form ist ein Definitionsformalismus
Beispiel einer Lexikondefinition:
<LEXICON> ::= <LexiconLine>
<LexiconLine> ::= {<Entry>, <Trans>, <Text><MorphoRules>, <StructRules>, <SyntaxRules>, <SemRules>}
<Entry> ::= entry_<x>(<EntryId>, <EntryBody>, <Type>).
<x> ::= <character>
<EntryId> ::= <number>
<EntryBody> ::= '<lexeme>'
<Type> ::= <Term>| <Word>| <MorphoType> | <Incomplete>
<Term> ::= term, <Annotation>, <LRel>, (<MorphoId>,
[Specification]), <StructId>, <SRel>.
<Word> ::= word, <Annotation>, <LRel>, (<MorphoId>,
[Specification]), <StructId>, <SRel>.
usw.
Fachsprache und Literaturwissenschaft
Sind literarische Funktion und Fachsprachlichkeit eines Textes ausschließende Eigenschaften oder
- nie kookkurrent oder
- prinzipiell orthogonale
Eigenschaften?
Welche Funktion haben fachsprachliche Passagen in einem literarischen Text?
- Zitat?
- Kolorit?
- Verfremdung?
- literaturtheoretische Entscheidung,
- Autorcharakterisierung,
- Rezeptions-anweisung?
Fachsprache und (Betriebs-) Psychologie
Fachsprache und Psychologie berühren sich u.a. in den folgenden Forschungsfragen:
- Berufszufriedenheit und fachsprachliche Kompetenz,
- Eigenschaften fachlicher Verstehensprozesse,
- Eigenschaften fachlicher Textproduktion,
- Aufmerksamkeitsmechanismen am Arbeitsplatz,
- Kommunikationsverhalten und Arbeit,
- Situationswahrnehmung und sprachliche Kürzung,
- Visuelle Wahrnehmung und Referenzsemantik in der Arbeitssprache,
- Sprachliche und nichtsprachliche Kommunikation am Arbeitsplatz,
- Karriere und Fachsprache,
- Fremdsprachenkompetenz und Fachfunktion,
- Kommunikationsstörungen in Gruppen
Fachübersetzung
Mit der Internationalisierung der Wissenschaften und Märkte entsteht ein erheblicher Bedarf an Fachübersetzungen.
Für jedes neue Produkt müssen mehrseitige Schriften für
- Produkitnformation,
- Verkauf,
- Werbung,
- Wartung,
angefertigt und je Verkaufsland übersetzt werden. Jede Produktveränderung zieht neue Übersetzungen nach sich. Damit verlängert sich der "way to market" erheblich. Die Europäische Union schreibt inzwischen landessprachliche Beschreibungen, Betriebsanleitungen und Beipackzettel vor.
Ein guter Fachübersetzer übersetzt 2-3 Seiten pro Stunden. Terminologische Lexika besonders für entlegene Sprachen sind oft nicht erhältlich. In vielen Fällen muß sich der Übersetzer allgemeine Fachlexika oder firmenbezogene Terminologielisten beschaffen.
Die Europäische Kommission übersetzt zahllose Dokumente zwischen 9 und mehr Sprachen hin und her. Sie beschäftigt Tausende von Übersetzern, betreibt aber auch ein System zur maschinellen Übersetzung.
Durch die Rolle des Englischen und die kürzeren Publikationsfrequenzen nimmt in den Wissenschaften die Übersetzungstendenz ab.
Übersetzungsbedarf
1986 weltweit über 500 Millionen Seiten Übersetzungen, davon mehr als 100 Mio in Europa. Aber die Verteilung der Textsorten ist ganz anders als man als Geisteswissenschaftler annehmen sollte:
- 1% > "schöne Literatur"
- 30% staatliche Stellen
- 50% Industrie und Handel (überw. technische Dokumente)
Der Zuwachs in der zweiten und dritten Sparte betrgt jährlich mehr als 10%
F/uuml;r 1990 betrug der Marktwert von %Uuml;bersetzungen 500 Mio (nach Dataquest)
20% Verbesserung des Inhouse-Sprachendienstes durch computergestütztes Übersetzen (nach MBB)
80% des Übersetzungsbedarfs der EU zwischen Französisch und Spanisch wurde schon 1997 maschinell übersetzt.
Fachkommunikation und (Betriebs-) Soziologie
Folgende gemeinsame Forschungsinteressen existieren:
- Arbeit, Rolle und Sprache,
- Betriebsorganisation und sprachliche Gestaltung,
- Betriebliche Identifikation und sprachliche Adaption,
- Gruppenverhalten und Sprachverhalten,
- Sprachliche Verfahren bei Arbeitssitzungen,
- Arbeit, Sprache und Imponierhaltung,
- Soziales Berufsimage und Sprachverhalten,
- Funktion des Fachjargons,
- Informelle Arbeitskommunikation,
- Fachliche Sprachbarrieren,
- Kommunikation bei Job-Sharing,
Fachsprache und Fachdidaktik
Jedes Fach lehrt mit seinen Objekten, Verfahren und Relationen auch seine Terminologie oder Nomenklatur (typisch: Medizin)
Außerdem werden oft die üblichen Kommunikationsverhalten (z.B. Argumentationsweisen, Textsorten, Aussprache, Intonation) trainiert. (typisch: Jura)
Abhängig von den beruflichen Funktionen werden verschiedene Subsysteme der Sprache gelehrt:
- Wissenschaftssprache und wissenschaftliche Terminologie,
- Werkstatt- oder Umgangssprache,
- Verkaufssprache
Mehr dazu im Abschnitt Theorie
Fachsprache und Kognitionswissenschaft
Die Kognitionswissenschaft hat sich aus der Psychologie und der "Knstlichen Intelligenz" entwickelt. Sie zunehmend auch an Fachsprachen interessiert, etwa an den Fragen:
- Wie liest man Fachtexte?
- Fachtexte als räumliche Orientierungsanweisung
- Rolle des fachlichen Weltwissens in der fachlichen Kommunikation
- Einbettung von Bild und Sprache bei der Informationsübertragung
- Wie sind Fachinhalte mental repräsentiert?
- Wahrnehmung und Kommunikation in fachlichen Prozessen
- Fachliches Verstehen und Schematheorie
Der Platz der Fachsprachenforschung in der Linguistik
Zum Abschluß der Besprechung der Nachbarwissenschaften der soll der Platz der Fachsprachenforschung innerhalb der Linguistik behandelt werden:
Generell wird die Fachsprachenforschung als Teil der Soziolinguistik angesehen.
Einige spezielle Fragestellungen aus anderen Beschreibungsebenen der Linguistik seien genannt:
- Phonologie: Aussprachevarianten bei der Flugsicherung
- Morphologie: Derivationstechniken bei der Teminologie
- Syntax: Pronominalisierung in der juristischen Fachsprache.
- Semantik: Synonymenvermeidung bei der Terminologie
- Pragmatik: Implizitheit und Explizitheit am Arbeitsplatz
- Psycholinguistik: Satzlänge und Memorierfähigkeit unter Arbeitsstreß
- Sprachgeschichte: Geschichte des Wortes "Technologie"
- Diskursanalyse: Turntaking bei Geschäftssitzungen
zur Themenübersicht dieses Abschnitts