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BRISBANE/ Queensland Performing Arts Centre, Lyric Theatre, Brisbane/ Opera Australia: GÖTTERDÄMMERUNG. Premiere

07.12.2023 | Oper international

“ Götterdämmerung” – Premiere der Opera Australia, Queensland Performing Arts Centre, Lyric Theatre, Brisbane, 07. 12. 2023

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Die Nornen Celeste Haworth, Angela Hogan und Olivia Cranwell. Foto: Wallis Media/Opera Australia

Dritter Hauptabend des Opernzyklus “Der Ring des Nibelungen”; Text und Musik von Richard Wagner

 Der Schluß der Tetralogie muß, nach all dem bisher Gesehenen und Gehörten, eigentlich ein Feuerwerk werden… aber die Theaterwelt ist auch voller Fallstricke. Also sehen wir noch einmal genau zu, was das wird!

Der Beginn, perfekt orchestral mystisch untermalt, mit erneuter multilingualer „Buchstabensuppe“ über dem Titel, dauert nur kurz, dann öffnet sich der Vorhang für die Nornen. Aussehensmäßig nahe an Erda, im Hintergrund mit den Netzstrukturen, die wir schon bei Mime gesehen haben, fehlt ihnen aber nicht nur die Esche, sondern auch eine Tanne. Trotzdem holen sie ihre Seilstücke hervor, allerdings auf Kosten ihrer Kleidung – ferne Erinnerung an TV-Kommissar Kottan, 4. Episode, Franz Buchrieser mit seinem sich bei der Tatortbegehung auftrennenden Pullover.

Der Walkürenfelsen rollt herein, umgeben nach wie vor von glühenden Bergspitzen und wallender Lava. Der gasbefeuerte Loge-Drachen war schon nach der „Walküre“ in Pension geschickt worden. Siegfried verläßt die doch recht karge Wohnstätte, um auf Abenteuerzug zu gehen. Den Ring, den er seit Fafners Ende am Finger trägt, überläßt er vorschriftsmäßig Brünnhilde. Sie gibt ihm Grane mit – ahaaa, das ist ja der „Totenvogel“ aus dem zweiten Akt der Walküre! Die Rheinfahrt wird auf den schon bekannten Schnurvorhang als Spiel von in Punkte aufgelösten Wellen projiziert, mit Widerspiegelung auf den Hintergrund-LED-Paneelen.

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Hagen (Andrea Silvestrelli, Gutrune (Majia Kovalevska) und Gunther (Luke Gabbedy). Foto: Wallis Media/Opera Australia

Szenenwechsel zu den Gibichungen. Die wohnen in einem aus dem Gestein gemeißelten Bunker. Es dürfte kalt dort sein, denn es fallen vereinzelt Schneeflocken, und die Möblierung ist aus Eisziegeln zusammengebaut; die Bewohner tragen Pelz. Auch am Tisch stehen Eisblöcke, einer davon trägt ein LED-screen, auf dem Hagen Brünnhilde für Gunther präsentiert. Siegfried taucht ja alsobald in Person auf. Verabreichung des Zaubertrankes und Blutsverbrüderung dauern nicht lange, Grane scheint im Hintergrund zu warten. Wieder am Walkürenfelsen, sehen wir Waltrautes vergeblichen Versuch, das Schicksal zu wenden, in aller Intensität gespielt und gesungen, von beiden Schwestern. Dann schafft es der falsche Gunther rasch, den Felsen zu erklimmen, worauf die feuerroten Berge erblassen.

Hagen schläft im Stehen, als ihm Vater Alberich erscheint und ihn auf den machtvollen Ring ansetzt.  Eindrucksvoller Aufmarsch des Chores der Untertanen, auch diese alle recht aufwendig warm angezogen. Die schockstarre Brünnhilde marschiert mit ihren Fängern zombiehaft durchs Begrüßungsspalier der Gibichungen-Bevölkerung; auch alle folgenden Szenen bis hin zur Verschwörung von Hagen, Brünnhilde und (widerstrebend) Gunther auf den Speer Hagens werden mit gebührender Intensität gespielt.

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Die Rheintöchter (Stunt). Foto: Wallis Media/Opera Australia

Siegfried schlägt die Warnungen der Rheintöchter in den Wind, auch wenn diese wieder mit all ihrer Pracht und Doppelung durch Trapezdoubles samt Fischschwärmen auftreten. Die Jagdgesellschaft hält auf einer nach hohem Norden in der Manier Caspar David Friedrichs aussehenden eisigen Ebene Rast, bevor Siegfrieds Erinnerung absichtsvoll zur Wiederkehr gebracht wird und der Speer Hagens des Wotansenkels Leben beendet. Die Rückkehr an den Gibichungenhof mit dem toten Siegfried erfolgt auf einem mongolisch anmutenden, menschengezogenen Schlitten. Entsetzen und Trauer Guthrunes werden zu Brünnhildes von Zorn und Haßliebe zu ihrem Vater getriebener endgültiger Verzweiflung sorgfältig differenziert dargestellt. Siegfried hebt den Arm mit dem Ring, als sich Hagen annähert, wie es im originalen Regietext steht. Gunther stirbt abseits der Bahre Siegfrieds.

Vor dem schon recht brüchig wirkenden Walhall werden die starken Scheite als Pyramide aus weißen Plastikkuben  errichtet, die von innen beleuchtet ist. Brünnhilde wirft eine Fackel in diese Pyramide mit dem toten Siegfried. Auch Grane ist zugegen und stirbt auf deren Stufen, als die Welt mit einem über Lautsprecher zugespielten Knall im Feuer untergeht, Brünnhilde im Scheiterhaufen versinkt und Walhall endgüĺtig zerbröselt. Auch Hagen überlebt natürlich nicht.

Siegfried ist ein erneut bestens disponierter, kraftvoller und lebendiger Stefan Vinke, der mit Aplomb und guter Diktion besticht und auch erneut als Schauspieler überzeugt. Der Gunther von Luke Gabbedy ist ihm ein in allen Belangen exzellentes Gegenüber im Baritonregister, das auch Vinke in den Tarnhelmszenen gut ausfüllt. Warwick Fyfe kann in seiner kurzen Szene seinen Alberich wieder so glänzen lassen wie in „Rheingold“ und im „Siegfried“.

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Hagen (Andrea Silvestrelli) und Alberich . Foto: Wallis Media/Opera Australia

Als Hagen ist Andrea Silvestrelli der einzige der Solisten, der –  als auch zweimaliger Fafner und als Hunding – jeden Abend der Serie auf der Bühne steht und heute seine in diesem Werk mit Abstand größte Rolle sehr gut absolviert: dunkler, „böser“, zu beeindruckender Lautstärke fähiger Baß, eindrucksvolles Spiel, gute Diktion.

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Lise Lindstrom (Brünnhilde). Foto: Wallis Media/Opera Australia

Lise Lindstrom kann als Brünnhilde noch einmal ihr großes Können als Sängerin und als Akteurin demonstrieren – nicht nur mit intensiver Lautstärke und strahlenden Spitzen, sondern auch mit den ganz leisen, trotzdem sauberen und exzellent verständlichen Tönen. Die ungewollte Nebenbuhlerin Gutrune der Lettin Maija Kovalevska, die auf ihrer Engagementliste Mimi und Micaela an der Met sowie in München und an der Staatsoper Wien die Violetta anführen kann, steht ihr kaum nach. Die eindringliche Waltraute: Deborah Humble.

Die Rheintöchter Lorina Gore, Jane Ede und Dominica Matthews sind ebenso vorzüglich disponiert wie die Nornen Celeste Haworth, Angela Hogan und Olivia Cranwell.

Nachdem diesmal ja auch der Chor eine Rolle spielt: Die Herren des Opera Australia Chorus (Paul Fitzsimon und Michael Curtain sind die Verantwortlichen) sowie der Opera Queensland Chorus (Narelle French) sind stimmlich, in der Diktion und als Bühnenakteure sehr gut. Opera Australia Dancers und Dancenorth Australia stellen die Bewegungsensembles.

Es sei abschließend das Produktionsteam noch einmal aufgezählt: Unter der Leitung von Chen Shi-Zheng (Regie und designerische Gesamtleitung) wirkten Maruti Evans, Flora & Faunavisions unter Leigh Sachwitz mit Sebastian Grebing, Milena Mayer und Antonia Böhme, als Kostümbildnerin Anita Yavich, Lichtdesigner Matthew Marshall und Lucy Birkinshaw. Choreographie: Akasia Ruth Inchaustegui.

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Siegfried (Stefan Vinke),  Hagen (Andrea Silvestrelli) und die Jagdgesellschaft. Foto: Wallis Media/Opera Australia

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Der Untergang. Foto: Wallis Media/Opera Australia

Mit gewaltigem Jubel, der von der Theaterleitung aber wiederum per Vorhang auf 10 Minuten begrenzt wurde, endete diese Vorstellung; nur für das Regieteam gab es einige wenige Buhrufe.

Insgesamt nutzt und bringt dieser „Ring“ tatsächlich viel Neues, was rein von der Technik her definitiv erst im 21. Jahrhundert möglich geworden ist. Wobei wir als Linzer ganz frech auf ein konzertantes „Rheingold“ im Brucknerhaus mit elektronischer Visualisierung, teils auch mittels sowas wie einer Frühform der AI, im Jahre 2004 verweisen können: https://ars.electronica.art/futurelab/de/projects-das-rheingold-visionized/, das als einer der ersten Schritte in der Richtung, die sich hier nun voll manifestiert hat, gelten mag. Die Kombination der teils organischen, teils abstrakten, teils symbolhaften visuellen Welten mit wenigen, dafür spektakulären und ausdrucksstarken Bauten und Requisiten ergibt jedenfalls ein absolut stimmiges Bild, das höchstens in der „Götterdämmerung“ durch die vielen Ortswechsel etwas mühsam werden kann. Wobei letzteres Werk ein gebührend eindrucksvolles Finale spendiert bekommen hat. Und manchmal, wenn man sich denken könnte: „Jetzt wirds gleich kitschig“, biegt die Gestaltung anderswohin ab.

Das Bühnengeschehen selbst hält sich sehr eng an die Regieanweisungen des Autors – man muß eben nicht eine menschlich allzeit gültige Geschichte mit pseudoaktuellen Überbauten zu „verbessern“ suchen, denn: Die Gier, die jeden, auch den als edelsten Helden Erdachten, befällt, als blanker und barer succus der rund 16 Stunden Oper, findet und fand sich jederzeit als Triebfeder der üblichen unerfreulichen Tagesaktualitäten. Also eine Grundlinie, die vielleicht Wagners Zeitgenossen Marx und Bakunin nahesteht, aber sicher nicht einem tumb „Nazi-onalistischen“ Pseudogermanentum, wie es kürzlich ein angeblicher Philosoph in der Mittwochs-Religionssendung auf Radio Ö1 als felsenfeste Überzeugung von sich gab.

Hand in Hand mit diesem trotz aller Technik gewahrten Respekt vor dem Werk geht eine großteils sorgfältig erdachte und umgesetzte Personenregie. Im Großen wie mit kleinsten Details werden glaubwürdige Typen und Situationen auf die Bühne gestellt, die das Publikum mitnehmen.

Philippe Auguins musikalische Interpretation liefert dazu den nicht auf Höchst- sondern auf Bestleistung ausgerichteten Unterbau. Nie geht die Spannung verloren, egal, ob ein Einzelstück zu Referenzaufnahmen oder -aufführungen relativ langsam oder schnell genommen wird; und der „natürliche“ Farbenreichtum aus dem Orchestergraben kann sich mit dem „künstlichen“ auf den LED-Kulissen jederzeit messen. Das Queensland Symphony Orchestra erweist sich als Klangkörper exzellenter Qualität, der dieser Mammutaufgabe ohne Abstriche gewachsen ist. Letztere (Zahl der Kontrabässe oder der Harfen) sind allenfalls dem Platzangebot im Orchestergraben geschuldet, werden aber durch die Musikerinnen und Musiker wettgemacht.

Kurz: Man muß sich über nichts ärgern, über (fast) nichts rätseln – und deshalb kann man sich Musik, visuellen Eindrücken und den Figuren samt ihren Motiven und Emotionen uneingeschränkt widmen. Ein gewisser Chinabezug (nicht vordergründig in der Gestaltung, aber bezüglich der hintergründigen Politik) kann freilich vermutet werden. Generell steckte viel Sponsoring hinter der Produktion, wesentlich auch von der Gründerfamilie der „Lonely Planet“ Reiseführerserie.

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Schlussapplaus. Foto: Petra und Helmut Huber)

In Summe: Wir sind sehr froh, daß wir bei diesem vielleicht stilbildenden Ereignis dabei sein konnten!

Petra und Helmut Huber

 

 

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