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Warum ihr unbedingt „AktenEinsicht“ von Christina Clemm lesen solltet!

Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem (Ex-) Partner getötet. In den Medien werden diese Taten meist als Familiendrama bezeichnet. Oder als Ehrenmord, wenn der Täter einen Migrationshintergrund hatte. Das eine klingt harmlos, das andere nach etwas, was einen als Deutsche nichts angeht. Doch die Gewalt gegen Frauen endet zwar beim Mord, fängt aber viel früher an. Und so ist in den Erzählungen hier auch „nur“ ein Mord dabei, ansonsten handelt es sich um Vergewaltigungen und Körperverletzung.

Die Autorin ist Rechtsanwältin und spezialisiert darauf, die Opfer von Gewalttaten, die aus geschlechtsbezogenen, aber auch aus rassistischen und homophoben Gründen stattfinden, zu vertreten. Das auch oft als Anwältin der Nebenklage. In der Vorbemerkung macht sie deutlich klar, das sich diese Geschichten nicht genauso abgespielt haben, das geht schließlich schon durch die Schweigepflicht nicht. Aber die Fälle hätten sich genauso abspielen können.

Zusätzlich zu den reinen Erzählungen gibt sie auch immer wieder Aufschluss über die juristische Seite, erklärt Fachbegriffe wie „freiwilliger Rücktritt“ und schildert auch den ganz normalen Ablauf der Gerichtsverhandlungen. Sie bemängelt fehlende Schulungen den Umgang mit Opfern betreffend bei Polizei und Justiz. Ist die Frau selbstbewusst und kann sich gut ausdrücken – na, ob das dann stimmt, was sie sagt? Ist sie traumatisiert und nicht in der Lage, auszusagen – na, dann wird sie wohl irgendwas zu verbergen haben. Sonst würde sie ja reden. Natürlich muss herausgefunden werden, ob sich eine Tat wirklich so abgespielt hat. Natürlich darf niemand falsch verurteilt werden, aber es sollte auch niemand freigesprochen werden, der schuldig ist. Das traumatisiert noch zusätzlich. Es gibt aber Dinge, bei denen man merkt, das es für sie als Juristin unfassbar ist – so wird zum Beispiel der Täter weniger streng beurteilt, wenn er mit dem Opfer in einer Beziehung war als wenn er ein Fremder war.

Es war harter Tobak, das Buch zu lesen. In gewisser Weise haben fast alle Geschichten ein versöhnliches Ende. Aber: es werden ja auch nur die Geschichten erzählt, in denen es überhaupt zu einer Verhandlung kam. Wenn man sich die riesige Dunkelziffer anschaut, wenn man sich anschaut, wie viele Verfahren bereits im Vorfeld eingestellt werden, dann ist klingt es anders. Gewalt gegen Frauen ist vor Gericht und in der Gesellschaft Alltag und trotzdem wird sie nicht konsequent erfasst. Frauen wird oft davon abgeraten, Anzeige zu erstatten, und wenn sie es doch tun oder es sich um ein Offizialdelikt handelt, dann wird ihnen nicht geglaubt oder sie bringen sich noch zusätzlich in Gefahr durch die Aussage.

AktenEinsicht ist aufrüttelnd, verstörend, macht wütend und ist gleichzeitig auch ein sehr, sehr wichtiges Buch, ein Buch, dem ich noch sehr viele Leser*innen wünsche.

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