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RL 94/9: Eigensicherheit im Fokus

Praktische Auswirkungen
RL 94/9: Eigensicherheit im Fokus

Die Richtlinie RL 94/9 richtet sich an die Hersteller von explosionsgeschützten Betriebsmitteln, während die RL 99/92 die Errichter und Betreiber betrifft. Der Praktiker sucht aber in beiden Richtlinien vergeblich nach Anweisungen, was er nun de facto zu tun hat. Hilfreiche Tipps und Hinweise für Hersteller wie Anwender gibt folgender Beitrag.

Dipl.-Ing. (FH) Volker Pohl

Die Verunsicherung beim Thema Atex ist nach wie vor groß. In der Vergangenheit hatten die Hersteller die Aufgabe, ihre explosionsgeschützten Geräte Atex-tauglich zu machen, jetzt beschäftigen sich die Anwender vermehrt mit dem Problem der Installation dieser Geräte. Am Beispiel der Eigensicherheit (Kategorie 1 und 2) lässt sich zeigen, was sich künftig ändern wird. Dabei spielen die Normen EN 60079–14, EN 50020 und EN 50014 eine größere Rolle als die Richtlinien selbst.
Mit der RL 94/9 waren und sind alle Hersteller von explosionsgeschützten Geräten gezwungen, ihre Produkte neu zu zertifizieren, um eine Baumusterprüfbescheinigung zu erhalten. Basis hierzu sind bei der Eigensicherheit die neuen Ausgaben der EN 50020 bzw. EN 50014. In diesen Normen gibt es einige neue Anforderungen an die Geräte, die nicht nur Auswirkungen auf die Entwicklung, sondern auch auf die Installation haben.
Bei den zugehörigen eigensicheren Betriebsmitteln gibt es die beiden Kategorien ia und ib. Diese Kategorien dürfen nicht mit den Kategorien 1, 2 und 3 der Atex-RL verwechselt werden. Die Kennzeichnung bleibt wie gewohnt bei z. B. [EEx ia] IIC, wobei die eckige Klammer darauf hinweist, dass dieses Gerät nur außerhalb des explosionsgefährdeten Bereiches installiert werden darf. Die Atex-RL ergänzt diese Kennzeichnung durch Ex II (1) G oder Ex II (2) G, wobei hier die runde Klammer das Pendant zur eckigen Klammer ist. Kategorie 1 ist eine notwendige Voraussetzung für die Zone 0, aber nicht die einzige. Vielmehr muss hier zusätzlich die EN 50284 beachtet werden. Neu ist auch, dass die galvanische Trennung zwischen eigensicheren und nicht eigensicheren Stromkreisen bei der Zone 0 nur noch empfohlen wird. Somit versucht man einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen nationalen Gepflogenheiten zu finden. Die Abkürzung G in der neuen Kennzeichnung erlaubt den Einsatz für den Gas-Explosionsschutz. Viele zugehörige eigensichere Betriebsmittel sind auch für explosionsgefährdete Bereiche, in denen Staub auftritt, zulässig (Staub Ex). Deshalb tragen sie die Kennzeichnung Ex II (1) GD (Dust).
Ex II 1 G oder Ex 2(1) G ?
Bei eigensicheren Betriebsmitteln wird die gewohnte Zündschutzart (z. B. EEx ia IIC T6) mit Ex II 1 G oder Ex II 2(1) G ergänzt. Die Interpretation sei am Beispiel eines Kopfmessumformers erklärt. Dieser wird i. d. R. in der Zone 1 installiert. Die Sensor- oder Fühleranschlüsse dürfen in die Zone 0 geführt werden dürfen (unter Berücksichtigung der EN 50284). Somit bedeutet 2(1): Installation in Zone 1 erlaubt 2, aber außerhalb der Zone 0 (1). Es gibt auch Kopfmessumformer am Markt, die nur die Kennzeichnung Ex II 1 G tragen, aber wie o.g. installiert werden.
Jeder Produzent von explosionsgeschützten Geräten (Kategorie 1 bzw. 2) muss neben der Neuzertifizierung auch auditiert werden. Die RL 94/9 bietet hierzu eine große Anzahl von Modulen an. Für viele Hersteller kommt eigentlich nur das Modul IV in Betracht. Das Audit führt eine Benannte Stelle durch und wird alle drei Jahre wiederholt. Zur Bestätigung erhält der Hersteller eine „Anerkennung der QS-Produktion“. Jede in Europa zugelassene Benannte Stelle hat eine 4-stellige Nummer, die auf dem Typenschild dem CE-Zeichen angehängt wird (PTB = 0102). Zu den Prüfungsunterlagen gehören übrigens auch die Betriebsanleitungen, so dass der Anwender hier die Gewissheit hat, dass er über alle sicherheitsrelevanten Informationen verfügt.
Praktische Auswirkungen
Die neue Kennzeichnung, die Auditierung und die Baumusterprüfbescheinigung sind die wesentlichen Neuerungen der Atex-Richtlinie, was die Produkte angeht. Während die Hersteller bei Neuentwicklungen alle neuen Anforderungen in die Entwicklung einfließen lassen, ergibt sich die Frage, was mit den Geräten passiert, die bereits seit langem auf dem Markt sind. Erfolgte hier keine Umstellung auf Atex, ist der Anwender gezwungen ein Ersatzprodukt zu suchen.
Wenn der Hersteller für sein konformitätsbescheinigtes Gerät eine Baumusterprüfbescheinigung beantragt, erhält er z. T. andere technische Daten, sofern er keine Änderungen vornimmt.
Auch hier gibt es ein Beispiel für die unterschiedliche Bescheinigungspraxis in Europa, bezogen auf die Lo- und Co-Werte. So gab es früher Speisegeräte mit einer maximalen Kapazität Co= 130 nF bei einer maximalen Spannung Uo= 28 V auf dem Markt. Das gleiche Speisegerät hat nach der Atex-Umstellung ein Co von 83 nF statt 130 nF. Das hat Konsequenzen bei der Installation und dem Nachweis der Eigensicherheit, weil das Co unmittelbar die maximale Länge der Installationsleitung bestimmt.
Wer mit Standard-Loops arbeitet, also Hersteller A immer mit Hersteller B zusammenschaltet, sollte nach der Atex-Umstellung die gegebenenfalls neuen elektrischen Daten besonders aufmerksam beachten.
EN 60079–14: Die neue VDE 0165
Von größerer Bedeutung als die Neuerungen durch die Atex-RL sind die parallel laufenden Normen. Am wichtigsten ist hier die EN 60079–14, die in Deutschland wieder unter dem Titel VDE 0165 erschienen ist. Obwohl der Titel gleich geblieben ist, gibt es bei einigen Zündschutzarten markante Unterschiede. Da die EN 60079–14 europaweit gilt, ist auch der Nachweis der Eigensicherheit in diesem Geltungsbereich gefordert.
Der PTB-Bericht W39 (Verschaltung linearer mit nichtlinearen Stromkreisen) konnte sich international noch nicht durchsetzen, so dass in der EN 60079–14 auf den Rat eines Experten hingewiesen wird. Der W39 ist neu und überarbeitet als TH Ex 10 erschienen.
Positiv zu erwähnen sind die Applikationsbilder in der EN 60079–14 Anhang A und B, die aufzeigen, wie der Nachweis der Eigensicherheit zu führen ist.
Der Nachweis der Eigensicherheit bei der Temperaturmessung
Die Zusammenschaltung von eigensicheren Betriebsmitteln wird hier am Beispiel einer Temperaturmessung erläutert. Die Messkette besteht aus einem Mantelthermometer mit Kopfmessumformer (Bild 1) und einem Speisegerät. Obwohl der Mantelthermometer ein einfaches eigensicheres Betriebsmittel ist, sollte er eine Ex-Zulassung haben. Andernfalls liegt die Verantwortung bezüglich Temperaturklasse, Abstände, etc. beim Anwender.
In diesem Messkreis erfolgt der Nachweis der Eigensicherheit gleich zwei Mal: zum einen für den Anschluss des Fühlers an den Kopfmessumformer, zum anderen beim Anschluss des Kopfmessumformers an das Speisegerät. Die Forderungen beim Nachweis der Eigensicherheit lauten: Ui $ Uo und Ii $ Io und Pi $ Po. Sind diese erfüllt, überprüft man die Energiespeicher (Spulen und Kondensatoren). Meist ist der Kapazitätswert Co kritisch. Für den Nachweis der Eigensicherheit subtrahiert man nun vom Co das (eventuell vorhandene) Ci des angeschlossenen Feldmessumformers sowie gegebenenfalls weitere Kondensatoren in der Verschaltung. Die restliche Kapazität steht für die Installationsleitung zur Verfügung. Typische Werte sind hier 120 nF/km.
Nachweis 1
Die elektrischen Daten des Mantelthermometers sind Ui = 10 V, Ii = 15 mA, und Li, Ci~0. Der Kopfmessumformer ist mit Ex II 2(1) G gekennzeichnet (s.o.) und hat am Messeingang (Fühleranschluss) die elektrischen Daten:
  • U: 6 V
  • Io: 15mA
  • Po: 39 mW
  • Co: 990 nF, Lo: 5 mH
und am Ausgang (Speisegerätanschluss):
  • Ui: 30 V
  • Ii: 160 mA
  • Pi: 1 W
  • Ci, Li~0
Ein Vergleich der Spannungs- und Stromwerte zeigt, dass die zuvor genannten Forderungen bezogen auf den Nachweis der Eigensicherheit erfüllt ist (Bild 2, links). Pi ist beliebig, da es in der Bescheinigung nicht definiert ist. Bei der Betrachtung der Co- und Lo-Werte (Co= 990 nF, Lo= 5 mH) stellt man fest, dass diese sehr groß sind. Das liegt daran, dass die Temperaturmessung hochohmig erfolgt und somit die Fühlerspannung klein ist. Obwohl das Co Kabellängen über mehrere km zulässt und in Mantelthermometern schon Längen über 1 m eher selten sind, sollte man auch hier pro forma den Nachweis führen.
Nachweis 2
Das Speisegerät ist mit Ex II (1) GD gekennzeichnet und hat die elektrischen Daten: Uo = 21V, Io = 75 mA, Po = 660 mW, Lo = 6,7 mH und Co = 178 nF.
Der Vergleich der Spannungs-, Strom und Leistungsdaten zeigt, dass auch hier die Bedingungen zum Nachweis der Eigensicherheit erfüllt sind (Bild 2, rechts). Bei diesem Beispiel stellt der Hersteller den oben geführten kompletten Nachweis der Eigensicherheit zur Verfügung (Bild 3).
Weil die maximale Umgebungstemperatur und Temperaturklasse unmittelbar zusammenhängen, hat der Hersteller im oben genannten Beispiel darauf geachtet, dass er beim Kopfmessumformer nicht nur eine Umgebungstemperatur angibt, sondern eine Matrix. Durch die Auswahl des entsprechenden Speisegerätes liegt es in der Hand des Anwenders, welche maximale Umgebungstemperatur für den Kopfmessumformer noch zulässig ist. Die Baumusterprüfbescheinigung inklusive Matrix steht für die Planung im Internet zur Verfügung. Zur Projektierung zeigt ein kurzer Vergleich, dass im gewählten Beispiel von P0 = 660 mW die maximale Umgebungstemperatur bei T6 57 °C und bei T4 80 °C beträgt.
Fazit
Wurde bei der Eigensicherheit bisher die VDE 0165 beachtet und der Nachweis der Eigensicherheit erbracht, so sollten auch im Atex-Zeitalter keine größeren Probleme auftreten. Jeder Errichter oder Betreiber sollte in seiner Anlage überprüfen, ob alle Nachweise der Eigensicherheit geführt sind. Besonderes Augenmerk gilt hier den Co-Werten und den damit verbundenen Leitungs- bzw. Kabellängen. Der frühzeitige Vergleich der elektrischen Daten z. B. via Internet schützt später vor unliebsamen Überraschungen.
cav 436
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