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Fiesling mit Weltniveau

| Ingo Flothen |

Zum 100. Geburtstag des Schauspielers Gert Fröbe erscheint eine neue Biografie.

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Er war – nach eigenem Bekunden – „ein hässlicher Rabe“. Er war ein Muttersöhnchen und ein Womanizer. Er war Kinderseele und Urvieh, Rabauke und Sensibelchen. Und: „Er war einer der Besten“, wie Artur Brauner, sein deutscher Entdecker, sagte. Selbstverständlich war das nicht. Denn das Leben des späteren Weltstars begann am 25. Februar 1913 in einer „dreckigen Ecke“, im sächsischen Oberplanitz, mitten im Steinkohle-Bergbau, kriegsgebeutelt und russgeschwärzt. „Gute Stube“, Gartenlaube und Zimmerpalme waren die Insignien seiner Jugend. Der Vater: ein fröhlicher Trinker; die Mutter: strenge Asketin. Und Klein-Gert mittendrin – als Familienkasper, spindeldürr.

Der später schwergewichtige Gert Fröbe nimmt einen Umweg: Musik und Malerei sind die ersten Leidenschaften. Als Stehgeiger spielt er zum Tanztee auf, als Maler bringt er es bis zum Sächsischen Kunstpreis. Aber dann schlägt seine Klamaukseele durch, seine unter Freunden erprobte Rampensau-Seligkeit. Er nimmt Schauspielunterricht bei Erich Ponto. Von da an ist er nicht mehr zu halten. Er tritt mit Karl Valentin auf („In München ist er weltbekannt“), er spielt den großen Clown Grock an die Wand, er ist auf den Brettern mit Curd Jürgens und O. W. Fischer, und er gibt in dem Nachkriegsfilm Berliner Ballade einen exquisiten Hungerleider. Den bemerkt Hollywood (Fröbe ist gerade mal Mitte dreißig), und die Paramount lädt ihn ein. Aber es wird nichts daraus. Es folgt viel Klein-Klein im deutschen Schnulzenkartell der fünfziger Jahre. Immer wieder bedient er gelangweilt „Opas Kino“. Ein Amerikaner in Paris, Jules Dassin, macht schließlich dann doch noch den Weg frei in die Internationalität; mit ihm beginnt eine deutsch-französische Liaison, die nie enden wird. Erst einmal angekommen im Starkino – seine Partner heißen Lino Ventura, Romy Schneider, Jean Gabin, Jeanne Moreau, Orson Welles, Danielle Darrieux, Alain Delon, Simone Signoret -, werden nun auch die „Filmfritzen“ in Deutschland wieder aufmerksam auf ihn. Jetzt endlich darf er auch hierzulande Großes spielen. Unvergessen: Es geschah am hellichten Tag, Fröbe als Dürenmatts Kindsmörder – eklig-düster, schaurig und beklemmend. Von hier ist es nur noch ein Schritt zum Weltfeind Nr. 1. Hollywood ruft ein zweites Mal, und diesmal klappt es: er wird der fieseste aller Bond-Bösewichte, er wird Goldfinger. „Mein bester Gegenspieler überhaupt“, sagt Sean Connery. Und das, obwohl er ein Furcht einflößendes „Knödel-Englisch“ spricht und ihn auf dem Set kein Schwein versteht.

Der Schurke wird Everybody’s Darling und glänzt im Weltruhm. Fröbe ist reich. Autos, Häuser, Frauen. Er prahlt und gibt den Wirtschaftswunder-Zampano. Da geschieht ein Unfall. „Of course I was a Nazi.“ – „Natürlich war ich Nazi.“ So steht es in der Daily Mail vom 30. November 1965. Fröbe hatte etwas getan, wozu sich die wenigsten seiner Generation bereit fanden – Walter Jens nie, und Günter Grass viel zu spät –, er bekannte sich zu seiner NSDAP-Mitgliedschaft. Dass er gleichzeitig eine Jüdin und ihren Sohn vor der Gestapo rettete, rehabilitiert ihn bald. Israel hebt den acht Wochen zuvor verhängten Boykott gegen sämtliche Fröbe-Filme wieder auf.

„Ich bin wie ein klares Glas Wasser. Schüttest du blau rein, bin ich blau; schüttest du rot rein, bin ich rot.“ So beschreibt er seine Schauspielerseele. Wenn er nicht gerade Chargentheater spielt, wenn er nicht gerade blödelt, „bis die Schwarte kracht“, kann er beängstigend realistisch sein. In Via Mala langt er mächtig zu, als er einer Kollegin die Bluse vom Leib reißen muss. Das Filmset ist schockiert. „Aus dem Bauch spielen“, nennt er es. Bei Marlon Brando hätte es Method Acting geheißen. – Wo waren eigentlich Schlöndorff und Herzog zu jener Zeit? Wo war Fassbinder? Von ihnen wäre er gerne noch wahrgenommen worden. Schade, wie sie doch hätten wuchern können mit diesen Pfunden.

Im September 1988, mit 75, reißt sich Gert Fröbe im Krankenhaus die Infusionsschläuche und EKG-Kabel vom Leib. Auch ein Urvieh wird einmal müde. Auf dem Waldfriedhof von Icking wird er begraben. Ein Sachse in bayrischer Erde. Noch einmal dieser Gegensatz, der sein Leben war. Und nun? Die Trauergäste sind gegangen. Ein kleiner alter Mann kommt den Weg entlang. Er legt eine Blume auf das Grab. Es ist Heinz Rühmann. So bescheiden erweisen die Großen den Großen ihre Ehre.

Michael Strauven: „Jedermanns Lieblingsschurke – Gert Fröbe. Eine Biographie“. Rotbuch Verlag, Berlin 2012. 256 S., geb., 19.95 Euro