„Haha, böse!“ – denke ich, nachdem ich dieses Meme bei Instagram gefunden habe (vgl. unten Abb. 2). Politisch inkorrekte Memes findet man bei Instagram nicht gerade selten, wenn man den richtigen Meme- und Satireseiten folgt. Und auch nicht alle Memes sind zwangsläufig politisch inkorrekt: Neben Witzen zum politischen Zeitgeschehen oder über Politiker*innen stoße ich häufig auf Memes über Alltagssituationen. Und ganz ehrlich: Ich liebe Memes.

Abb. 2, Symbolbild inkorrekter Witz, Quelle: Instagram

Ich könnte stundenlang durch meinen Insta-Feed scrollen: Meme entdeckt, kurz schmunzeln, weiter scrollen – eventuell noch an Freunde weiterschicken oder sie markieren, wenn das Meme richtig gut ist. Aber manchmal stoße ich auch auf Memes, bei denen ich denke: „Nicht witzig!“ Und trotzdem stößt es manchmal irgendwo in mir auf Resonanz. Ähnlich funktioniert es auch mit Witzen.

Es ist schon ein paar Jahre her, da war ein junger Hamburger namens Chris Tall ganz weit oben auf der Liste der kontroversen Comedians. 2015 schaffte er es mit seinem Programm „Darf er das?“ zu TV total.[1] Das Konzept: Witze über Minderheiten. Sein Aufruf: „Ihr müsst Witze machen über alle: über Behinderte, über Schwule, über Schwarze.“ Für Chris Tall sind nicht die Witze diskriminierend, sondern er fände es diskriminierend, keine Witze über sie zu machen:

Viele sagen: ‚Ich mag keine Witze über Rollstuhlfahrer‘. Ja, dann stellt ihr euch aber über den. Also bildlich gesprochen.

Auf seine Witze über Menschen, die stottern, Rollstuhlfahrer*innen und Schwarze, die zumeist mit einer stereotypen und politisch inkorrekten Pointe enden, folgt in der Regel, dass sich Chris Tall erschrocken an die Wange fasst und ruft: „Darf er das?“ Er ist sich also durchaus bewusst, dass seine Witze und seine Haltung zu politisch inkorrekten Witzen umstritten ist. Bei vielen scheint er aber genau damit einen Nerv zu treffen. Mittlerweile hat der Auftritt über 13 Millionen Aufrufe (Stand: 10.05.2022). Der Top-Kommentar mit mehr als 12.000 Likes: „Grandios! Endlich hats einer mal verstanden und spricht es aus!“ Aber warum funktioniert dieser politisch inkorrekte Humor eigentlich bei so vielen?

Abb. 3, „Darf er das?“, Chris Tall bei TV total am 27.10.2015 Quelle

Politisch inkorrekte Witze und auch fast alle anderen Arten von Humor funktionieren ja eigentlich nur deshalb, weil ihre Pointen überraschend sind und sie mit Inkongruenz arbeiten. Inkongruenz bedeutet so viel wie mangelnde Übereinstimmung. Und bei Humor ist es die mangelnde Übereinstimmung zwischen dem, was man erwartet, und dem, was dann geschieht. Bei Witzen z. B. erwartet man ja die Pointe gerade nicht – würde man sie erwarten, wäre der Witz nicht mehr witzig. Man wird also überrascht. Diese mangelnde Übereinstimmung muss sich aber nicht nur auf die Erwartung beziehen, was gleich passiert, sondern kann sich z. B. auch auf Normen beziehen, also darauf, was man für anständig oder unanständig hält. Bei politisch inkorrekten Witzen z. B. werden in der Regel Normen verletzt – es findet ein Tabubruch statt. Es wird gezielt provoziert. Und ich denke mir: „Haha, böse!“, und Chris Tall fragt: „Darf er das?“

Chris Talls Frage ist dabei natürlich eher rhetorisch. Er hat sich bereits entschieden und macht sich über Menschen lustig, die solchen Witzen skeptisch gegenüber stehen. Aber mal im Ernst: Darf er das? Darf er – als weißer, gesunder, heterosexueller Cis-Mann – diese politisch inkorrekten Witze über Minderheiten machen? Und darf/kann/sollte ich beispielsweise seine Videos teilen oder seine Witze weitererzählen?

Abb. 4, Über die Anziehungskraft des Inkorrekten, Quelle: Autorin mit Memegenerator

Die Antwort darauf ist leicht und schwierig zugleich: Ich persönlich würde es nicht machen, aber ich wäre auch dagegen, es ihm oder anderen verbieten zu wollen. Denn in pluralistischen Gesellschaften wird es immer wieder Momente geben, durch die sich andere angegriffen oder diskriminiert fühlen. Die Rechtfertigung von Chris Tall, dass beispielsweise Rollstuhlfahrer*innen diejenigen Zuschauer*innen wären, die bei seinen Rollstuhl-Witzen am lautesten lachen würden, ist für mich deshalb nur ein Scheinargument. Rollstuhlfahrer*innen sind keine homogene Gruppe, in der alle die gleiche Meinung haben, die gleichen Interessen verfolgen oder den gleichen Humor haben. Und es wird mit Sicherheit auch Rollstuhlfahrer*innen geben, die durch Chris Talls Witze verletzt werden. Geht es um politisch inkorrekte Witze, müssen wir uns also fragen: Ist es uns egal, dass Menschen dadurch diskriminiert werden oder wollen wir das lieber vermeiden? Dass die letzte Option Sinn macht, darum geht es mir hier.

Die Frage, ob Witze okay sind oder nicht, lässt sich ganz gut beantworten, wenn man sich an den W-Fragen orientiert. Zum Beispiel an der Wer-Frage: Es macht einen Unterschied, wer Empfänger*in und wer Absender*in (also Witzemacher*in) des Witzes ist. Schlüssig auf den Punkt bringt dies aus meiner Sicht die Publizistin und Politikerin Marina Weisband auf Twitter:

Neben der „Wer?“-Frage gibt es allerdings auch noch die „Worüber genau?“-Frage. Chris Tall beispielsweise argumentiert: „Stellt euch mal vor, ich mache Witze über alle: über den Fotografen, über dich, über Stefan, aber nicht über Schwarze, weil ich sag: ‚Weil die anders sind!‘ Wisst ihr, wie man sowas nennt? Rassismus.“ Wenn man aber wirklich denkt, dass man über alles und jede*n Witze machen muss, warum macht man dann bei Stefan einen Witz über ihn als eigenständige Person, aber über andere Personen nur als Teil einer Gruppe, die meistens noch dazu eine diskriminierte Minderheit ist? Ja, vielleicht kannst du Witze über deine Freundin machen, aber musst du dich über sie als Frau lustig machen? Ich wette, sie hat noch 3.000 andere Eigenschaften, über die man sich lustig machen kann.

Neben der „Wer?“- und „Worüber genau?“-Frage ist außerdem aus meiner Sicht noch essenziell, sich zu fragen, welche Absicht hinter einer Botschaft bzw. einem politisch inkorrektem Witz steht. Dies gilt insbesondere dann, wenn es darum geht, Videos oder Memes zu verbreiten, die man in sozialen Medien findet. Wenn eine Frau einen sexistischen Witz macht, dann kann das zum Beispiel in die Kategorie „mithilfe von Humor mit Sexismus klarkommen“ fallen – ich erinnere an den Tweet von Marina Weisband. Es kann aber auch sein, dass etwas anderes dahinter steckt, beispielweise gezielte Abwertung. Diese Strategie findet man auch häufig bei Akteuren der extremen Rechten. Was sie machen, nennt man „abwertenden Humor“. Dieser abwertende Humor stellt Rassismus, Antisemitismus und Sexismus als akzeptabel und belanglos dar, weil die Aussagen ja „als Witz gemeint“ waren.[2] Im Endeffekt hat dieser abwertende Humor aber zwei Funktionen: „zum einen lassen sich öffentlich unvertretbare Inhalte unter dem Deckmantel von Witzen und Memes verbreiten, zum anderen können provokante Aussagen nachträglich, in Reaktion auf Kritik als scherzhaft gemeint präsentiert werden“.[3]

Jetzt kann man natürlich infrage stellen, ob Witze wirklich in der Lage sind, Unsagbares sagbar zu machen. Ich finde schon. Und überzeugt haben mich u. a. Studien aus der Sozialpsychologie: In einem wissenschaftlichen Experiment konnte der Psychologe Thomas E. Ford feststellen, dass Menschen sexistische Situationen eher tolerierten, wenn sie vorher einen sexistischen Witz gehört hatten.[4] Eine andere Studie kam zu dem Ergebnis, dass bei Männern die Freude an sexistischem Humor mit der Verharmlosung von Vergewaltigungsmythen in Zusammenhang steht.[5] Ähnliches gilt auch für anti-muslimischen Humor: Menschen fühlten sich nicht nur weniger schlecht, sondern sogar freier, ihre Vorurteile gegenüber Muslim*innen zu äußern, nachdem sie antimuslimische Witze lasen. Ähnliches wurde beispielsweise auch zur Wirkung schwulenfeindlicher Witze gefunden.[6]

Es scheint also, als würden Witze wirklich wirken. Und wenn die oben genannten Ergebnisse insbesondere für Menschen gelten, die Vorurteile gegenüber Minderheiten haben, muss man sich fragen, ob man mit dem schnellen Lacher nicht noch weitere Vorurteile fördert. Unabhängig davon finde ich, sollte man Witze der extremen Rechten wirklich nicht verbreiten, weil diese Witze nur Mittel zum Zweck sind, nämlich das Unsagbare sagbar zu machen. Soll heißen: Wenn ich bei Instagram ein Bild finde, das abwertenden Humor im Zusammenhang mit Minderheiten nutzt, sollte ich es nicht teilen. Und das gilt insbesondere dann, wenn ich nicht weiß, wer dahinter steckt und was die Person damit bezwecken will.

Geht es also um politisch inkorrekte Witze oder Memes, erscheint es zumindest aus meiner Sicht sinnvoll, sich die genannten W-Fragen zu stellen: Wer macht mit welcher Absicht einen Witz worüber? Was bewirke ich vielleicht bei anderen, wenn ich den Witz verbreite und wem spiele ich damit eigentlich in die Karten?

Ich persönlich finde mittlerweile ja auch noch eine ganz andere Art von Humor witzig – nämlich die, die solche Witze auf die Schippe nimmt. Und so musste ich doch sehr doll schmunzeln, als ich auf folgenden Tweet von El Hotzo gestoßen bin: „in Germany we don’t say ‚wow halt dein Maul und hör auf mir deinen rassistischen Bullshit als Witz zu verkaufen‘, we say ‚hahah böse‘“.[7] Darüber denke ich noch mal nach.

veröffentlicht am 10.05.2022

Einzelnachweise

  1. TV total vom 27.10.2015. https://www.youtube.com/watch?v=nwAL06N3XX4 [Zugriff: 10.05.2022] Zurückspringen
  2. Dittrich, Miro/Jäger, Lukas/Meyer, Claire-Friederike/Rafael, Simone (2020). Alternative Wirklichkeiten Monitoring rechts-alternativer Medienstrategien. www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/alternative-wirklichkeiten/ [Zugriff: 13.01.2022], hier S. 42. Zurückspringen
  3. Ebd. Zurückspringen
  4. Ford, Thomas E. (2000). Effects of Sexist Humor on Tolerance of Sexist Events. In: Personality and Social Psychology Bulletin, 26 (9), S. 1094–1107. DOI: 10.1177/01461672002611006. Zurückspringen
  5. Ryan, Kathryn M./Kanjorski, Jeanne (1998). The Enjoyment of Sexist Humor, Rape Attitudes, and Relationship Aggression in College Students. In: Sex Roles, 38 (9/10), S. 743–756. DOI: 10.1023/A:1018868913615. Zurückspringen
  6. Ford, Thomas E./Woodzicka, Julie A./Triplett, Shane R./Kochersberger, Annie O./Holden, Christopher J. (2014). Not all groups are equal: Differential vulnerability of social groups to the prejudice-releasing effects of disparagement humor. In: Group Processes & Intergroup Relations, 17 (2), S. 178–199. DOI: 10.1177/1368430213502558. Zurückspringen
  7. Hotzo (26.01.2022). Tweet vom 30.10.2020. https://twitter.com/elhotzo/status/1322309274161319936?lang=de [Zugriff: 26.01.2022] Zurückspringen