Das Gewissen – Segen oder Fluch?

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In der evangelischen Religionsklasse der 8 a und b beschäftigen wir uns zur Zeit mit dem Thema Gerechtigkeit. Unter anderem mit dem Propheten Amos, der die Ungerechtigkeit im Israel seiner Zeit mit scharfen Worten angeklagt hat. Zum Beispiel: „Weh euch, die ihr schlaft auf elfenbeingeschmückten Lagern und euch streckt auf euren Ruhebetten. Ihr esst die Lämmer aus der Herde und trinkt Wein aus Schalen und salbt euch mit dem besten Öl, aber bekümmert euch nicht um den Schaden Josefs.“ Mit Josef ist das Volk Israel gemeint. Im Religionsbuch wird ausgemalt, wie Amos den reichen Großgrundbesitzer Michael beobachtet, der ein elfenbeingeschmücktes Bett geliefert bekommt. Von dem, was es gekostet hat, hätten vier Familien zwei Jahre lang leben können. Das Geld hat Michael an sich gebracht, indem er Kleinbauern beim Spiel und mit anderen Mitteln über’s Ohr gehauen hat. Dass die dadurch bankrottgegangen sind, kümmert ihn nicht.

Die Schülerinnen und Schüler hatten die Aufgabe, einen Dialog zwischen Michael und seinem Gewissen zu schreiben. Dies ist ein Ergebnis:

Michael: „Oh wie ich mich freue! Auf mein weiches, warmes, sauberes und äußerst bequemes Bett! Wie schön es ist, wohlhabend zu sein! Heute habe ich gegen zwei Bauern gewonnen! Ein neuer Rekord. Die sind jetzt zwar bankrott, aber das interessiert mich nicht im Geringsten! Denn jetzt kann ich mir wieder was Gutes kaufen: Wein, Schinken… oh, ein Traum!

Gewissen: „Ist dir eigentlich bewusst, dass du nur an dich denkst?“

M: „Warum meldest du dich denn jetzt zu Wort?!“

G: „Weil du mich immer ignorierst und dir dein Wohlstand wichtiger ist als alles andere! Wie, nur so als Beispiel, dass du die kleinen Bauern ausbeutest!“

M: „Das stimmt doch gar nicht!“

G: „Oh doch! Das stimmt! Und du weißt das! Ich werde durch dein gigantisches Begehr nach Wohlstand immer kleiner und komme fast gar nicht mehr zu Wort! Es ist ein Wunder, dass wir gerade überhaupt reden! Du ignorierst mich, weil du weißt, dass du ein sehr großes schlechtes Gewissen haben müsstest! Also, nur so zur Klarstellung, ich bin nicht böse und schon gar nicht schlecht – moralisch jedenfalls – aber ich werde langsam sehr schlecht und böse gestimmt, wenn du so weiter machst! Also wirklich! Ich bin doch ein Teil von dir, du kannst mich doch nicht einfach ignorieren!“

M: „Also so langsam nervst du mich! Von dir werde ich ganz schlecht gelaunt! Die schöne Vorstellung von meinem Bett hast du mir jetzt kaputt gemacht!“

G: „Aha! Du hast keine Freude mehr auf dein Bett, weil du mich hörst und ich es geschafft habe, dich in ein Gespräch zu verwickeln! Dank meines Bedürfnisses, dich voll zu labern, weil ich schon lange nicht mehr zu Wort gekommen bin! Ich habe dich so brillant zugetextet, dass du jetzt doch dein Gewissen empfindest! Also ich wollte dir nur noch sagen, dass ich mich auch sehr schlecht fühle, weil ich als dein Gewissen die ganze Last trage, die du mir gibst durch deine Spielchen! Ich fühle mich schon seit Monaten so! Und du Dussel achtest noch nicht einmal auf mein Wohlbefinden, also auch auf dein Wohlbefinden.

M: „Na gut, du hast es geschafft mich weich zu kriegen! Aber ich genieße eben, dass ich mir endlich etwas leisten kann.  Hauptsache ich werde nicht wieder zu einem durch Ausbeutung geplagten Bauern!“

G: „Dir ist aber schon bewusst, dass es so vielen Bauern so geht, wie dir früher, oder? Du könntest denen ja wenigstens etwas abgeben von deinem Wohlstand, zum Beispiel etwas zu essen! Wer allerdings freiwillig mit dir um sein Land, Tier, etc. spielt, der verdient es auch nicht besser. Verstehst du?“

M: „Ja. Dann war es ja ganz gut, dass du dich endlich mal in meine Gedanken gekämpft hast! Hoffentlich geht es dir, durch meine guten Taten, mit denen ich gleich morgen anfangen möchte, auch besser! Also ich fühle mich schon um einiges entspannter mit dieser Lösung nach deiner Predigt! Du bist ein sehr guter Ratgeber! Danke! Melde dich gerne öfters mal! Ich versuche immer ein offenes Ohr für dich frei zu haben!“

Ist der Großgrundbesitzer ein Beispiel für einen gewissenlosen Menschen? Die Schülerinnen und Schüler haben gefragt: „Gibt es das, dass Menschen gewissenlos sind? Oder blenden sie ihr Gewissen nur aus? Haben sie ein deformiertes Gewissen?“

Ich habe bei dem Stichwort „gewissenlos“ sofort bestimmte Menschen vor Augen. Und ich finde solche Menschen ziemlich beängstigend. Menschen, die einen Krieg vom Zaun brechen und sich nicht um das Leid und die Zerstörung scheren, die dieser Krieg im Nachbarland anrichtet. Und ebenso wenig um den Tod ihrer eigenen Soldaten und den Schaden für ihr eigenes Land. Oder Menschen, die auf Biegen und Brechen ihre Macht erhalten wollen, dafür jede beliebige Lüge in die Welt setzen und denen es egal ist, dass sie damit die Gesellschaft spalten. In meiner Wahrnehmung haben diese Menschen an Stelle des Gewissens ein schwarzes Loch. Aber selbst, wenn sie ein Gewissen haben, so hat dieses keinerlei Einfluss auf ihr Verhalten. Letztlich ist es unerheblich, ob ihr Gewissen betäubt, deformiert oder tot ist.

Geht es solchen Menschen gut damit? Vielleicht, solange es ihnen gelingt, ihr Gewissen ruhig zu stellen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass das immer so bleibt. In einem Stück der Toten Hosen mit dem Titel Gewissen heißt es: „An deinem letzten Tag hol ich dich ein, nehm dich fest in meinen Griff. Dann kommst du nicht mehr an mir vorbei und ich zeig dir dein wahres Ich.“ Es ist vielleicht kein Zufall, dass der Großgrundbesitzer Michael Ähnlichkeit mit dem reichen Kornbauern aus einem Gleichnis Jesu im Lukasevangelium hat. Der hortet seinen Reichtum für sich, sieht plötzlich dem Tod ins Auge und erkennt, dass er sein Leben verfehlt hat. Vielleicht haben deshalb gewissenlose Menschen oft so panische Angst vor dem Tod. Ich finde das eine traurige Perspektive.

Das Thema Gewissen ist aber nicht nur eines für die Reichen und Mächtigen dieser Welt. Vergangene Woche habe ich über den Umgang miteinander in der Schule und am Arbeitsplatz gesprochen. Um andere klein zu machen oder bloßzustellen, muss man sein Gewissen auch betäuben. Und ein Gewissen, das ständig betäubt wird, wird auf die Dauer deformiert oder stumm. Das hat der Dialog der Schülerin schön vor Augen geführt. Und er hat auch gezeigt: So lästig das Gewissen manchmal sein kann, es ist gut und gesund, dass man es hat. Für die Mitmenschen und für einen selbst. Ein gesundes Gewissen ist notwendig für die Menschenwürde – die der anderen und die eigene. Es ist ein Geschenk Gottes und wir sind gut beraten, es zu schützen und zu pflegen.

Arnold Glitsch-Hünnefeld

Links:

Lk 12,16-21

„Gewissen“ – Die Toten Hosen