Reisetagebuch Griechenland (18): Verständnislose Ommas

Tagebuch einer Motorradtour durch Griechenland. Tage 22 und 23 mit toller Landschaft und miesem Wetter.

Sonntag, 10. Oktober 2021, Kourouta

Für heute ist Weltuntergang angesagt. Ein großes Tiefdruckgebiet steuert vom Meer auf die Westküste von Griechenland zu. Es bringt unglaubliche Regenmassen mit sich, ein richtiges Wettermonster, und es wird mich genau erwischen wenn ich unterwegs bin – sagt zumindest die Wettervorhersage.

Aber so schlimm sieht es noch gar nicht aus, als ich zum ersten Mal um halb acht aus dem Fenster blicke. Ich mache mir einen Instantkaffe, dann trage ich die Koffer zum Motorrad. Als ich einen Fuß aus der Haustür setze, beginnt es zu tröpfeln. Fünf Minuten später regnet es.

Okay, dann jetzt gleich in die Regenkombi. Als ich gerade mal die Hose angezogen habe, setzt draußen der RICHTIGE Regen ein. Meine Güte, das macht so runter, dass ich kaum noch die Häuser am anderen Ende der Brache sehen kann. Lieber noch einen Moment warten.

Halb in Regenklamotten liege ich rücklinks auf dem Bett und scrolle durch Social Media. Draußen ändert sich das Wetter im Minutentakt, mal regnet es stärker und mal nicht so stark.

Oh, der Regen lässt etwas nach. Dann schnell die Regenjacke an und… ach, jetzt gibt es wieder die Urwalddusche. Meine Fresse.

Irgendwann ist mir das alles egal. Los jetzt, findet die Abfahrt halt im Starkregen statt. Was soll´s.

Es ist warm, und durch die vielen Schichten Motorradkleidung läuft mir schon der Schweiß in die Augen, als ich endlich auf der Suzuki sitze.

Anna rechnet die heutige und Route und teilt nach einer laaaaaangen Denkpause mit, das wir bereits gegen 13:30 Uhr am Ziel ankommen. Hä? Wieso so schnell?

Oh, 13:30 Uhr am morgigen Tag. HÄ?? Wieso sollen wir für eine Strecke von schlappen 250 kilometern 29 Stunden brauchen?

Ah, okay, sehe schon. Meine virtuelle Copilotin hat sich streng an die Vorgaben gehalten und Mautstraßen komplett ausgespart. Die Strecke, die sie sich ausgeknobelt hat, führt daher einmal auf kleinen Feldwegen um den Golf von Korinth herum. Nein, eine Mautstraße sei heute ausnahmsweise mal erlaubt. Die führt über eine mautpflichtige Brücke, aber das ist Okay. Anna rechnet noch einmal und kommt auf eine Ankunftszeit von 15:30 Uhr, aber am heutigen Tag. Gut, das passt besser.

Durch den strömenden Regen geht es nach Norden, immer parallel zur Küste. Dieser Teil des Peloponnes ist flach, landwirtschaftlich geprägt und langweilig zu fahren.

Erst als ich in die Hafenstadt Patras komme, wird die Fahrt etwas interessanter. Patras liegt an der Rio-Andirrio-Meerenge auf dem Peloponnes, also der südlichen Halbinsel von Festland-Griechenland. Nordgriechenland ist hier gerade einmal 2,5 Kilometer entfernt, aber dazwischen liegt viel Wasser, nämlich der Golf von Korinth bzw. der Golf von Patras, wie er hier manchmal genannt wird.

Das Wasser ist hier 65 Meter tief, der Meeresgrund ist wabbelig und instabil und die ganze Region ist ein Erdbebengebiet, weshalb der Bau einer Brücke an dieser Stelle lange Zeit als völlig unmöglich galt. Im Jahr 2000 wagte man es aber doch, und verwendete dabei Technologien aus von Offshore-Ölplattformen: Man stabilisierte den Grund, in dem man 30 Meter lange Stahlrohre in den Boden rammte. Darauf schüttete man Steine, und auf dieses Bett stellte man dann ganz locker die Pylonen, damit die im Falle eines Erdbebens ein wenig hin- und hergleiten können.

In die Pylone eingehängt sind Stahlseile, die vier Fahrbahnen tragen. Insgesamt ist die Brücke fast zweieinhalb Kilometer Lang und damit die zweitlängste Schrägseilbrücke der Welt. Die längste ist übrigens die Brücke von Millau, wo ich auch schon war und die ich für eine der schönsten Brücken der Welt halte. Auch die Charilaos-Trikoupis-Brücke, wie die Patras-Brücke offiziell heißt, ist wunderschön. Hier ein Foto bei gutem Wetter. Deswegen natürlich nicht von mir.

CC BY 3.0 Szandras

Besonders gut wirkt sie natürlich aus der Ferne, aber auch beim drüberfahren ist es ein Ehrfurcht einflößendes Gefühl.

Nicht witzig fanden übrigens die Fährschiffer die neue Brücke, die ihnen das Geschäft kaputt zu machen drohte. Nach langem Hin und Her einigte man sich auf folgenden Kompromiss: 1. Die Brückenmaut wird teuer, sehr viel teurer als eine Fähre und 2. die Fährschiffe bekommen Subventionen. Ironie der Geschichte: Viele Touristen nehmen heute nur deshalb eine Fähre, weil sie eine Aussicht auf die schöne Brücke ermöglicht.

Ich nehme die Brücke weil es am Schnellsten geht und ich im strömenden Regen nicht auf Fähren rumeiern möchte. Die Einfahrt auf die Brücke erfolgt ohn Beschränkungen, aber an ihrem Ende muss ich an einem Mautschalter halten. Hier sind die Preise angeschlagen. Autos bezahlen 16,50 Euro, Gespanne 22 Euro und Motorräder… ich fummele ein zwei Euro Stück aus der Brusttasche der Regenkombi und reiche sie der jungen Frau im Mautschalter. Ich bekomme sogar noch 10 Cent wieder. So ist das gut.

„Fünf ist gesperrt. Andere Route“, sagt Anna, zeigt einen Erdrutsch auf der geplanten Strecke und sucht einen neuen Weg. Die neu berechnete Strecke dauert etwas länger und führt etwas um die Berge herum statt mitten hindurch, aber wenn durch den starken Regen noch mehr Erdrutsche ausgelöst wurden oder Unterspülungen passiert sind, hat es auch gar keinen Zweck da rumzueiern.

Stattdessen bin ich froh, dass das Garmin sich die Informationen selbstständig holt und darum herumrechnet. Denn in den Bergen gibt es nicht viele Straßen, und wenn man unvermittelt vor einem Erdrutsch steht kann es sein, dass man ein, zwei Stunden wieder den Weg zurück fahren muss, den man gekommen ist.

Hinter Patras hört der Regen auf, und als ich durch einen Canyon in die Berge hineinfahre, kommt sogar die Sonne raus.

Die Gegend ist ziemlich menschenleer, hier gibt es fast nur dicht bewaldete Berge. Die Bäume sind noch grün, aber die Sträucher und Büsche haben zum Teil schon ein herbstliches Rot angenommen.

Nach 200 Kilometern komme ich an einer der letzten Tankstellen in dieser Region vorbei. Der Tankwart steht gerade an der Straße und plaudert mit einem Polizisten, aber ich fahre trotzdem an eine der Säulen.

Vor dem Laden sitzt ein alter Mann mit einem Schlapphut in einem Schaukelstuhl in der Sonne und mustert mich durch zusammengekniffene Augen. Ich komme mir ein wenig wie in einem Western vor. Eine kleine, alte Dame kommt herangewackelt. „Είστε σίγουροι ότι θέλετε ντίζελ;“ sagt sie.

„Tut mir leid, ich spreche kein griechisch“, sage ich und mache mein dümmstes Gesicht. Sie lacht und schüttelt den Kopf, dann zupft sie mich am Ärmel und zeigt auf eine andere Säule. Ich rollere die Suzuki dorthin und Oma, die so klein und gebeugt ist, das sie kaum über den Tank gucken kann, beginnt die Maschine zu betanken. Schnell stoppt sie aber unvermittelt und viel zu früh wieder. Ah, sie hat nach Ästhetik des Preises getankt. Genau 10 Euro zeigt die Zapfsäule. Ich will aber keine schönen Preise, ich brauche einen vollen Tank.

„Mehr, bitte“, sage ich und mache entsprechende Gesten, aber das interpretiert sie als „Danke, reicht so“. Was ist das nur, das alte Damen mich hier einfach null verstehen?!

Ich nehme ihr freundlich, aber bestimmt die Zapfpistole weg und fülle weitere zweieinhalb Liter in den Tank, dann bedanke ich mich und reiche den Rüssel zurück. Aber jetzt ist Omas Ehrgeiz gepackt, denn ich habe für einen ungeraden Betrag getankt. Sie hält drauf und kriegt glatt noch einen halben Liter mehr rein und macht eine Punktlandung bei 15 Euro. Gut, jetzt haben wir beide was wir wollten. Einen vollen Tank und einen gefälligen Preis.

Zur Bezahlung muss ich in das kleine Tankstellengebäude. Hinter der Kasse sitzt eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen habe, und spricht perfektes Englisch. Die Enkelin der Tankwartin.

Die Region, in der ich hier unterwegs bin, kenne ich bereits flüchtig. Bei meinem ersten Besuch in Griechenland, 2015, sind Modnerd und ich hier am ersten Tag durchgefahren. Damals ging schnell die Sonne unter, aber ich habe die ersten Ausblicke auf diese Landschaft nie vergessen – so wie diesen hier:

2015

Wirklich, seit sieben Jahren ist mir die Landschaft nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Ich wollte hier unbedingt noch einmal hin, und habe mir das quasi als Sahnestück bis fast zum Ende meiner Griechenland-Rundttour aufgehoben. Besonders um einen See wollte ich herumfahren, den ich damals nur aus der Ferne gesehen hatte.

Um den fahre ich jetzt herum und bekomme mich kaum noch ein, weil die Aussicht so fantastisch ist.

Wirklich, das hier ist die aufregendste und schönste Landschaft, die mir in Griechenland begegnet ist. Sicher, Wasser und Berge gibt es hier überall, aber die Kombination dieser zerklüfteten Felsen, der dichten Wälder und der Seen, das hat etwas ganz besonderes. Vielleicht spricht es mich auch nur deshalb so besonders an, weil ich im Harzvorland aufgewachsen bin, und das hier aussieht wie der Harz auf Steroiden.

Es ist deutlich zu sehen, wie sehr die Trockenheit der letzten Monate (und Jahre) den Pegel der gewaltigen Stauseen hat fallen lassen. Mindestens 15 Meter fehlen zum normalen Stand.

Zwanzig Kilometer vor dem Ziel klart es auf. Es ist warm und der Himmel so blau, dass ich beschließe die Regenkombi auszuziehen.

Sechzehn Kilometer vor dem Ziel beginnt es wieder zu regnen. Ach man, das war ja so klar.

Schnelles Vorankommen ist jetzt nicht mehr möglich, die Straßen sind klein und stellenweise voller Schlaglöcher und an anderen Stellen voller Ziegen.

Die letzten drei Kilometer sind mit das Heftigste, was ich bislang gefahren bin. Extrem steil windet sich die Straße den Berg empor. Die Kehren haben eine krasse Steigung bei gleichzeitig winzigem Radius, und die Fahrbahn ist nicht nur voller Risse, sie liegt auch stellenweise voller Steine und Äste oder ist bedeckt von einem glitschigen Teppich faulendem Laubs.


Ich passiere das Ortsschild von Granítsa, einem winzigen Bergkaff. Sofort finde ich die Straße mit meiner Unterbringung wieder, hier hat sich die letzten sieben Jahre echt nicht verändert.

Was sich nicht findet ist ein Parkplatz. Am Hotel gibt es nur drei kleine Stellplätze, und die sind belegt mit einem Kleinwagen und einem SUV. Ansonsten gibt es rund um das Haus keinen Meter grade, geschweige denn ebene Fläche, alles ist stark abschüssig und krumm und schief.

Und nun? Ah, da! Keine Ahnung ob das zum Hotel gehört, aber da ist eine ebene, betonierte Fläche. Da parke ich jetzt.

Beim Absteigen merke ich, dass ich unter einem Feigenbaum parke der nicht geerntet wurde. Die überreifen Früchte sind vom Baum gefallen, liegen auf der Betonfläche herum und faulen. Es riecht vergoren, und die faulige Feigenmasse ist glitschig und bleibt unter den Stiefeln kleben wie Hundescheiße.

Im Hotel ist die Begrüßung freundlich – und auf deutsch. Das kommt nicht ganz überraschend. 2015 hatte mir die Gastwirtin, die damals nur griechisch sprach, ein Telefon gereicht, und ich hatte mit jemandem telefoniert der Deutsch konnte. Das war wohl Nikos, ihr Ehemann, der heute auch hier ist. Nikos (warum heißen alle Nikos? Das ist schon der zweite oder dritte Nikos, dem ich auf der Tour begegne) hat lange in einer Bar in Berlin gearbeitet. Vor zwanzig Jahren ist er dann zurück nach Granízsa gekommen und hat das Hotel hier gebaut.

Leider ist mein Zimmer dieses Mal nicht mit dem Hotelnamensgebenden Panorama gesegnet. Es ist klein und blickt auf den Ort und einen Berg hinaus statt über die Täler.

Am Abend schlendere ich zu der kleinen Taverna hinüber, die ich noch vom letzten Mal kenne. Die ist in einem funktionalen und schmucklosen Bau untergebracht. Im kargen Gastraum stehen Tische mit einfachen Papierdecken. Hier essen Einheimische, da kommt es weniger auf die Ausstattung als auf gutes und günstiges Essen an. Ich wundere mich, das im Eingang schmutzige Eimer und Plastiktüten herumliegen, bis ich bemerke, das ich den falschen Eingang genommen habe und den Gastraum durch einen Lagerraum betreten haben.

Der Gastraum ist leer bis auf einen alten Mann, der in einer Ecke sitzt, raucht und Fernsehen schaut. „Open“? Frage ich. Er zuckt die Achseln und blickt wieder auf den Fernseher.

Nach einer Minute kommt eine gebeugte, alte Frau in den Gastraum gewackelt und fragt mich etwas aus griechisch. Ich sage freundlich „Ich suche was zu essen“ und deute auf meinen Mund.

Sie schaut mich an und sagt wieder etwas auf griechisch, gestikuliert dabei, dann hält sie inne und erwartet offensichtlich eine Antwort.
„Essen?“, frage ich noch einmal und lege den Kopf schief.

Sie setzt wieder zu einem Satz auf griechisch an und fuhrwerkt dabei mit den Armen in der Luft rum. Dabei fällt mir auf, dass sie eine Geste wiederholt: Sie tippt sich am Ende ihres Beitrags immer zwei Mal auf den Arm. Was bedeutet das?

„Ich suche etwas zu essen“ sage ich in den Übersetzer des Handys und zeige ihr das. Sie guckt da verständnislos drauf, dann blickt sie mich an ausdruckslos an, fragt wieder etwas und tippt sich am Ende wieder zwei Mal auf den Arm.
Ich verstehe nicht.

Sie wiederholt die Frage etwas LAUTER und LANGSAMER, was aber auch nicht dazu führt, das ich spontan griechisch kann. Danach schlägt sie sich regelrecht zweimal auf den Arm und schaut wieder fragend.

„ES-SEN“, sage ich und mache die universelle „Löffel in den Mund“-Bewegung, die überall auf der Welt verstanden wird.

Die alte Frau sieht mich an, wackelt mit dem Kopf, sagt etwas, gestikuliert ausufernd und zunehmend ungehaltener und beendet den Vortrag mit zwei Schlägen auf den Arm.

Was will die von mir?! So bringt das nichts. Ich starte den Google-Übersetzer und stelle ihn auf „Konversation“ ein, dann halte ich das Handy der Frau unter die Nase und und mache mit der Hand Bewegungen vom Mund zum Gerät. Damit will ich sie bitten hineinzusprechen, damit die Software übersetzen kann. Leider versteht sie das nicht, nimmt mir das Telefon aus der Hand und hält es sich ans Ohr.

„Nein, nein!“, rufe ich und mache wieder die Sprechgeste. Die alte Frau horcht angestrengter. Ich nehme ihr das Gerät aus der Hand und sage in den Übersetzer. „Sprechen sie in das Telefon was sie sagen möchten“ und halte es ihr wieder hin. Die alte Frau nimmt das Gerät entgegen, guckt auf´s Display, drückt auf Geratewohl irgendwo drauf und beendet damit die Textausgabe, dann zuckt sie mit den Schultern.

„Rein-Sprechen. Hier! Sagen sie was!“, rufe ich zunehmend verzweifelt, aber Omma bleibt stumm und guckt mich nur verständnislos an. Man! Das kann doch nicht sein! Dermaßen Lost in Translation war ich noch nie.

Die alte Frau guckt auch meinen rechten Oberarm und schlägt sich dann zweimal auf den eigenen. Hm. Ich habe die StormChaser-Jacke an. Die hat am Oberarm Zurrbänder. Soll ich meine Jacke ausziehen? Ich mache Anstalten dazu, aber Omma schüttelt den Kopf und wird laut.

Sie regt sich offensichtlich über mich auf und ruft das de, alten Mann am Tisch zu, aber der nimmt den Blick nicht vom Fernseher, zuckt nur mit den Schultern, schaltet auf Nachrichten um und dreht den Ton lauter.

Ich mache noch einen Versuch mit dem Übersetzer. Ich schalte ihn ein und halte ihn der alten Frau unter den Mund. Blitzschnell hat sie mir wieder das Gerät entwunden und horcht hinein. DAS GIBTS DOCH GAR NICHT!

„Reden! Sie müssen was sagen! Sprechen Sie da rein!!“, flehe ich. Sie guckt verständnislos das Handy an, dann wird sie plötzlich RICHTIG wütend und regt sich tierisch auf, während ich vor Verzweiflung fast lachen muss. Mensch, was passiert denn hier gerade?!

Wieder ruft sie etwas zu dem Mann am Tisch. Ich klicke nochmal auf den Übersetzer. Der hört jetzt zu und übersetzt in Echtzeit alles was er hört, aber leider nicht nur das, was die Frau sagt. Der Fernseher plärrt inzwischen so laut, dass das Gerät auch aufnimmt, was die Nachrichtensprecherin sagt.

Ich gucke mir die Textgrütze an, die der Translator auf dem Bildschirm anzeigt, während Omma schimpft. „Türkisch Schiff in Meer griechisch Hat keine Ahnung Wetter in den Tagen zu kommen Ich verstehe nicht das er nicht Impfung Regen…“

Moment – Impfung? Sie versteht nicht das ich nicht… Impfung?

Plötzlich muss ich Grinsen, was sie unter meiner Maske natürlich nicht sieht. „Sie wollen wissen ob ich zwei Mal geimpft bin?“, sage ich und schlage mir zwei mal auf den rechten Oberarm. Die Frau nickt und schlägt sich zwei Mal auf den eigenen Arm. „Ja!“, sage ich, „bin ich!“. Dann ziehe ich den Ausdruck des europäischen Impfzertifikats aus der Tasche und wedele damit.

Die alte Frau macht ein böses „warum-nicht-gleich-so-du-Trottel“-Gesicht und deutet wütend auf einen Tisch. Ich nehme Platz.

Auch die weitere Verständigung klappt überhaupt nicht. Sie fragt wohl, was ich essen möchte, aber auch das verstehe ich nicht – dafür fange ich mir gleich noch einmal böse Blicke ein. Am Ende hält sie mir zwei rohe Fleischlappen unter die Nase, von denen ich mir einen aussuchen soll. Ich deute auf einen davon, und sie trabt damit in die Küche und verwandelt den in ein gebratenes Schweinesteak oder so mit Pommes.

Dazu gibt es noch einen griechischen Salat.

Sehr lecker sehr, sehr gut, und das lobe ich auch mit Worten und Gesten und am Ende kann sich Omma sogar ein kleines Lächeln abringen. Sie ist immer noch sauer, aber jeder wird gerne für seine Arbeit gelobt.

Als ich ins Bett gehe, tobt ein Gewitter über den Bergen und der Regen prasselt laut auf das Dach meines Zimmers, das offensichtlich in einem Anbau ist. Man, bin ich müde.

Tour des Tages: Von Kourouta über Patras nach Granitsa, 263 Kilometer.

Montag, 11. Oktober 2021
Es regnet in Strömen. Anscheinend stimmt die Regenwahrscheinlichkeit in der Wetterapp (80-99%). Die darin angegebene Niederschlagsmenge (0,00) aber nicht. Starker Regen wechselt sich mit Gepladder ab, das wieder in Starkregen übergeht. Es ist, als hätte jemand vor dem Zimmerfenster eine Dusche angestellt.

Um 09:00 Uhr gehe ich runter und bekomme von Nikos und Annecka ein Riesenfrühstück aufgefahren.

Interessant ist, dass das Hotel mit den Bildern einer einheimischen Künstlerin geschmückt sind. Die Gemälde sind direkt auf die Wände gemalt, der Holzrahmen ist direkt ins Mauerwerk geschraubt.

Dann ziehe ich mich wieder zurück und lungere auf dem Zimmer herum. Lesen, Film auf Netbook gucken, Social Media. Das Hotel-WLAN ist nicht gut, aber ich habe meinen mobilen Hotspot mit einer österreichischen Three-Karte dabei, der liefert hier, in den Bergen, am Arsch der Welt, mit 50 MBit mehr Durchsatz als mein DSL zu Hause.

Zwischendurch gibt es immer mal wieder helle Wolken, aber immer regnet es nach einigen Minuten wieder. Ich kann auch weit über die Berge sehen, und mache aus, wie es überall verteilt regnet.

Eine Ausfahrt kann ich vergessen. Als es etwas weniger regnet, werfe ich mich in die Jacke der Stormchaser und erkunde Granítsa.

Viele Häuser sind alt, schon seit langer Zeit unbewohnt und stehen zum Verkauf. Ich kann verstehen, dass es schwierig ist hier zu wohnen. Granítsa liegt völlig abgelegen, ist schwer zu erreichen und hat außer einem tollen Ausblick auf die Berge wenig zu bieten.

Ich muss Nikos schon bewundern, das er den Mut und die Vision hatte, hier sein kleines „Hotel Panorama“ zu bauen, damit auch Fremde die Schönheit der Berge bewundern können – sollten sie sich hier hin verirren.

Am Wegesrand stehen, wie überall in Griechenland, diese kleinen Kirchen. Manchmal sind sie aus Ton, manchmal aus Kunststoff, manchmal aus Metall. Drinnen liegen meist Anhänger mit Ikonen, Zettel mit Wünschen und Gebeten und ein brennendes Licht sowie eine Flasche Öl, um das Licht nachzufüllen.

Touristen vermuten gerne, dass diese Schreine nur dort aufgestellt werden, wo Menschen im Straßenverkehr umgekommen sind. Das stimmt nur zum Teil. Ja, heute werden die Minikapellen auch zum Gedenken an Unfälle – ob mit oder ohne Opfer – aufgestellt. Aber die Tradition ist sehr viel Älter. Ursprünglich war es wohl so, dass die griechische Kirche verlangte, dass regelmäßig Gebete in einer Kirche verrichtet wurden. Und da Arbeiter auf dem Feld nicht einfach ihr Tagewerk unterbrechen und in eine, möglicherweise weit entfernte, Kirche wandern konnten, kam die Kirche einfach zu ihnen – in Miniaturform. Die Minikirchen werden Proskinitária genannt.

Ansonsten gibt es hier wirklich nicht viel. Die wenigen Straßen ähneln schmalen Gassen und ziehen sich teils in absurden Steigungen den Berg hoch.

Dann setzt wieder starker Regen und ich kehre zurück ins Zimmer, liege auf dem Bett rum und lese. Um 18:00 Uhr kommt noch einmal die Sonne raus und ich mache einen zweiten Spaziergang, dieses Mal bergab. Ok, die Kurven kamen mir beim Hochfahren gestern schlimm vor, aber runter sollte schneller gehen.

Es beginnt wieder stärker zu regnen, und ich laufe zum Hotel zurück. In meinem Zimmer checke ich das Wetter, und, sagen wir mal so: Es sieht so super nicht aus.

Die Lokalnachrichten beschreiben zahlreiche Erdrutsche hier in den Bergen. Glänzende Aussichten. Heute gehe ich nicht mehr aus dem Haus, auch nicht zum Essen in die Taverna der alten Dame. Das Frühstück war so reichlich, mehr brauche ich heute nicht. Ich drehe mich nochmal im Bett um und schlafe ein. Kraft sparen, für morgen. Morgen muss ich irgendwie aus diesen Bergen und aus diesem Hexenkessel von Wetter raus.

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Kategorien: Motorrad, Reisen | 5 Kommentare

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5 Gedanken zu „Reisetagebuch Griechenland (18): Verständnislose Ommas

  1. lukra

    Vielleicht doch nochmal über einen Laminatanzug nachdenken. Der hätte sich bei diesen Wetterkapriolen total gelohnt.
    Sehr schöne Bilder von den grandiosen griechischen Landschaften mit fast schon dramatischen Wetterunbilden.
    Was mich noch gefreut hätte: ein Bild von „eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen habe“. 🙂

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  2. Ich fotografier nicht einfach so fremde Frauen 😆
    Wie schon an anderer Stelle geschrieben: Anzüge mit Goretexlaminat sind m.E. nett für den Schauer zwischendurch. Bei echtem, starken Dauerregen ist aber eine echte Regenpelle unerlässlich. Die schützt halt alles, während bei Laminaten die äußere Schicht immer durchweicht und damit auskühlt.

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  3. Ali

    Nicht nur „lukra“, sondern auch mich würde die Göre interessieren. Aber Schönheit liegt auch im Auge des Betrachters.
    Die Allerschönste ist die Meinige gefolgt von der Mona Lisa.
    Nee, bei so viel Dauerpiss konnte ich regelrecht die Feuchtigkeit aus dem Bericht spüren. Ich sehe es nicht als positiv, soviel Schlechtwetter aus verschiedenen Modellen orakelt zu haben.
    Gerade aus deinem Bericht verfestigt sich meine Reiseroutings, die nicht festem Übernachtungsziel folgen sondern nach Lust und Laune sowie dem Wohlergehen des Popometers kreiert werden.

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  4. Was ich bei so richtigem Regen ätzend finde ist ja, dass das Wasser irgendwann am Kragen oben reinläuft und sich alles vollsaugt. Regenklamotten mit Kapuze für unter den Helm sind eher selten. Gleiches an den Bündchen.
    Laminate taugen nach meiner Erfahrung auch eher bei Schauern, nicht bei Weltuntergängen. Z-Liner saugen sich voll, Dreilagenlaminate nicht. Die sind dafür steifer.
    Der alte BMW Atlantis soll lt. verschiedener Tourguides super sein, den gibts aber nicht mehr neu.

    Ich lebe mit dem Kompromiss, habe bisweilen aber auch schon die gute alte Regenkombi vermisst… 😉

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  5. Die Stormchaser hat tatsächlich diese Kapuze für unter den Helm, und die leistet echt gute Dienste. Die Atlantis ist echt eine Legende, und so langsam wachse ich in deren Schnitt sogar rein. Die waren nämlich selbst im Standard immer eine „bauchgröße“ – BMW kennen halt seine Zielgruppe 😆

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