Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland Agenda
Stadt St.Gallen
13.11.2020
13.11.2020 14:10 Uhr

Mann entblösst sich im Trogener Bähnli

Bilder: Ausschnitte aus dem Video. Zur Verfügung gestellt für stgallen24
Bilder: Ausschnitte aus dem Video. Zur Verfügung gestellt für stgallen24 Bild: zVg
Im Frühjahr zeigte ein Mann während einer Bahnfahrt sein Glied unaufgefordert einer jungen Frau. Diese filmte und zeigte ihn an. Konsequenzen? Keine.

Es ist der 26. Mai 2020, ein aussergewöhnlich warmer Frühlingstag in St.Gallen. Die 25-jährige Aléna verabredet sich mit Freunden zum Grillen. Bepackt mit Einkaufstüten steigt sie in das Trogener Bähnli am Bahnhof St.Gallen und setzt sich in ein freies Viererabteil. Sie hört Musik. Ein Mann steigt dazu, setzt sich ebenfalls in ein freies Abteil, diagonal vor ihr und in entgengesetzter Fahrtrichtung. Er sucht Blickkontakt. Aléna schaut aus dem Fenster. Dann holt er eine Zeitung heraus und raschelt damit. Auffällig laut, denkt sie. Er wird noch lauter. Sie schaut hin und sieht, wie sein Blick sie fixiert. Er trägt eine kurze blaue Hose.

«Seine Mimik veränderte sich sofort»

So kurz, dass sein Glied herausschaut. Die 25-Jährige zuckt zusammen. «Besimmt aus Versehen», ist ihr erster Gedanke. Ihm huscht ein Grinsen übers Gesicht, er zupft an seiner Hose, um sein Glied noch mehr zu entblössen. Der Blick noch immer auf Aléna gerichtet. «Nicht aus Versehen», ist ihr zweiter Gedanke, und Übelkeit macht sich in ihr breit. Sie fasst allen Mut zusammen, zückt ihr Handy und beginnt zu filmen. Er bemerkt es, versteckt sein Glied, seine Haltung und Mimik verändern sich. Die Szenen spielten sich in der dreiminütigen Fahrt zwischen Bahnhof und Marktplatz St.Gallen ab. Während der restlichen Fahrt schaut er aus dem Fenster.

Drei Stunden befragt

«Nächste Haltestelle Notkersegg», ertönt es aus den Lautsprechern der Bahn. Aléna steigt aus. Er auch. Im raschen Tempo wechselt sie auf die andere Strassenseite, ihr Herz pocht. Er verschwindet hinter einem Haus. Die junge Frau zögert erst, dann ruft sie die Polizei. Fünfzehn Minuten später treffen zwei Beamtinnen und ein Beamter ein. Sie schildert, was passiert ist, zeigt den Polizisten das Video.

Mit einem Programm können diese den Mann ausfindig machen. Danach sprechen ihr die Polizistinnen Mut zu, dass sie unbedingt eine Anzeige machen soll. Gesagt, getan. Die St.Gallerin fährt drei Tage später zum Polizeiposten und wird über drei Stunden erzählen müssen, was sich in den wenigen Minuten im Trogener Bähnli abgespielt hat.

«Keine Absicht erkennbar»

Im September erreicht Aléna dann endlich ein Brief des St.Galler Untersuchungsamtes, der stgallen24 vorliegt. Dort heisst es: «Aus den Akten ergibt sich, dass der fragliche Strafbestand eindeutig nicht erfüllt ist (Art. 310 Abs. 1 Bst. a StPO).»

Weiter heisst es im Wortlaut: «Aus den Akten und den polizeilichen Einvernahmen ist glaubhaft erstellt, dass Daniel B.* keine Absicht hatte, Ärgernis zu erregen oder jemanden zu belästigen. Vorsatz ist in seinem Verhalten nicht erkennbar.» Unter diesen Voraussetzungen sei bezüglich der aufgeführte Straftatbestand keine Strafuntersuchung gegen Daniel B.* anhand zu nehmen.

«Frauen erleben so etwas täglich»

Die 25-jährige kann kaum glauben, was sie da liest: «Keine Absichten? Jeder normale Mann merkt doch, wenn sein Glied heraushängt und schaut einem dabei doch nicht extra noch an.» In ihrer Verzweiflung erzählt sie auf Instagram, was ihr widerfahren ist und Dutzende von Frauen melden sich bei ihr. Sie alle erzählen von ähnlichen Erlebnissen. «Fast alle Freundinnen haben schon mal ähnliches erlebt und nur die aller wenigsten haben sich je getraut eine Anzeige zu machen. Genau aus der Angst, dass am Schluss sowieso nichts passiert.» Auch viele Männer zeigten sich schockiert über das Ereignis. «Ich glaube, dass vielen Männern gar nicht bewusst ist, wie oft Frauen in solche Situationen kommen», so die 25-Jährige. 

 

  • Die Antwort des Untersuchungsamt löst auf Social Media viele wütende Reaktionen aus. Bild: zVg
    1 / 2
  • Dutzende Frauen haben schon ähnliche Situationen erlebt. Bild: zvg
    2 / 2

Weitere Schritte hat sie keine eingeleitet. «Ich habe drei Stunden dort gesessen und alles detailliert beschrieben. Wenn man mir da nicht glaubt, dann weiss ich auch nicht. Es steht Aussage gegen Aussage.» Trotzdem will die St.Gallerin anderen Frauen Mut zu sprechen und sie dazu bewegen, solche Geschehnisse nicht einfach hinzunehmen. «Ich hoffe, dass sich in Zukunft etwas tut und wir nicht darauf warten müssen, dass etwas Schlimmeres passiert um Gerechtigkeit zu erfahren.»

Wie Daniel B.* glaubhaft machen konnte, dass er keine Absichten hatte, wollte das St.Galler Untersuchungsamt gegenüber stgallen24 auch auf mehrmaliges Nachfragen nicht darlegen.

*Name durch die Redaktion geändert. 

Haben auch Sie ähnliche Erfahrungen gemacht? Dann schreiben Sie uns an redaktion@stgallen24.ch.

Miryam Koc