Stiftungsvermögen mündelsicher – diese Geschichte endet

Essay: Ein Blick zurück in die Anlage der Stiftungskapitalien

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Stiftungsvermögen mündelsicher
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Stiftungsvermögen mündelsicher anzulegen, das schreiben sich viele Stiftungen immer noch ins Pflichtenheft. Aber diese Geschichte endet. Denn das Wörtchen ‚mündelsicher‘ hat eine Geschichte, die heute einfach auserzählt ist. Sie taugt auch nicht mehr als Leitlinie für das Veranlagen von Stiftungsvermögen. Wann genau die mündelsichere Anlage hierzulande ihren Erfolgszug antrat, lässt sich genau sagen. Es ist eine Geschichte, die noch im 19ten Jahrhundert begann.

Seit dem Mittelalter errichteten Adelige und Bürger in ihren Gemeinden Stiftungen zur Förderung von Sozialeinrichtungen, von Bildungseinrichtungen und von Kultureinrichtungen. Meist geschah dies in der Form von unselbständigen Stiftungen. Deren Verwaltung wurde einer bereits bestehenden Institution wie der Kirche, dem Gemeinde- oder Stadtrat oder einer Schule anvertraut. Selbstständige Stiftungen wiederum, die eine neue Einrichtung begründeten, verwalteten sich selbst. Die Zahl der selbständigen und unselbständigen Stiftungen wuchs vor allem im 19. Jahrhundert stark an. Im Jahre 1900 stand mit rund 100.000 Stiftungen ein riesiges Kapital für Gemeinwohlzwecke in Deutschland zur Verfügung. Bis heute können die mit einem wiederaufgebauten Sozialkapital in rund 24.000 Stiftungen von diesen Summen nur träumen können.

TV-TIPP:
Dr. Thomas Adam hat im Rahmen des 3. Virtuellen Tags für das Stiftungsvermögen erörtert, woher es der Begriff ‚mündelsicher‘ kam und wie er „überwunden“ werden kann.

Ursachen der Zerstörung des Sozialkapitals

Seit der Industrialisierung wurden Stiftungen zumeist mit Geld ausgestattet, das ertragsbringend investiert werden musste. In allen deutschen Bundesstaaten wurden Stiftungen als Mündel und damit als rechtlich unselbständige Personen behandelt. Stiftungen galten demnach als schutzbedürftig und unfähig, Entscheidungen über die Anlage ihre Vermögen selbständig zu treffen. Der Staat übernahm daher die Rolle des Vormundes, der Vorschriften über die (mündel)sichere Anlage der Stiftungskapitalien entwickelte. Stiftungskapitalien sollten vor allem in staatliche Wertpapiere und anderen vom Staat als sicher erklärten Investitionsformen angelegt werden. Aktien wurden grundsätzlich als Anlageform für Stiftungsvermögen ausgeschlossen, um vordergründig riskante Spekulation mit Aktien zu verhindern und die ewige Existenz der Stiftungen und ihres Vermögens zu garantieren. Diese Begrenzung der Anlage von Stiftungskapitalien in staatlichen Wertpapieren gab dem Staat einen direkten Zugriff auf diese Gelder. Diese wurde über ihre Anlage in Staatsanleihen zur Grundlage eines komplexen Systems der staatlichen Defizitfinanzierung.

LESETIPP:
Petra Träg hat ‚Am runden Tisch‘, dem #fondsfibel-Kamingespräch, auch darüber gesprochen, was es heute braucht, um Stiftungsvermögen zeitgemäß anzulegen.

Das BGB regelte, was für das Stiftungsvermögen mündelsicher war und was nicht

Die Definition der Anlagen, die als mündelsicher eingestuft wurden, veränderte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts erheblich. Vor allem da die Mündelsicherheitsbestimmungen unbeabsichtigte Nebenwirkungen nach sich zogen, die der Staat jeweils zu korrigieren versuchte. Diese Interventionsspirale verstärkte sich nach der Reichsgründung im Jahre 1871. Sie führte zum Ausschluss zahlreicher Anlageformen wie etwa nicht-staatlicher und nun ausländischer (österreichischer) Wertpapiere. Auch wurden Anlagen in Immobilien schwieriger. Das Bürgerliche Gesetzbuch des Jahres 1900 erkannte als mündelsichere Anlagen für Stiftungskapitalien schließlich nur noch Anleihen an. Emittenten dieser Anleihen waren die deutsche Bundesregierung, die bundesstaatlichen Regierungen, Provinzialverwaltungen und Stadtregierungen. Ebenfalls als mündelsicher galt Grundbesitz. Mit dieser gesetzlichen Regelung verschaffte sich die kaiserliche Regierung einen permanenten Niedrig-Zins-Kreditmarkt. Über diesen konnten wichtige Staatsausgaben wie der Ausbau der Infrastruktur oder die militärische Aufrüstung – ohne Steuererhöhung – finanziert werden.

Wirtschaftliche Modernisierung litt

Die Lenkung der Investitionsströme wirkte sich durch die gesetzlich vorgeschriebene Anlage von Stiftungskapital in Staatsanleihen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Deutschen Kaiserreiches aus. Sie trug, wenn man zeitgenössischen Kritikern wie Felix Hecht, Theodor Kipp und Heinrich Rittershausen glaubt, sogar zu einer Verlangsamung des wirtschaftlichen Wachstums im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bei. Hecht ging noch weiter in seiner Kritik. Er argumentierte, dass diese Anlagebeschränkung die wirtschaftliche Modernisierung Deutschlands gebremst hätte.

Regierung nutzte Wachstum des Stiftungswesens

Das gewaltige Wachstum der in Stiftungen festgelegten Kapitalien, die entsprechend in Staatsanleihen anzulegen waren, ermöglichte es den deutschen Regierungen, mehr und mehr Anleihen auf den Markt zu bringen und ihre steigenden Ausgaben dadurch zu finanzieren. Die Möglichkeit der staatlichen Defizitfinanzierung hing somit direkt vom kontinuierlichen Wachstum des Stiftungswesens ab. Umgekehrt konnte nur so viel Stiftungskapital angelegt werden, wie Staatsanleihen verfügbar waren. Das ungeheure Wachstum der Defizitfinanzierung der kaiserlichen Regierung ging daher Hand in Hand mit dem gewaltigen Aufschwung des Stiftungswesens in Deutschland seit der Reichsgründung. Die Regierung hatte sich durch die Mündelsicherheitsvorschrift für Stiftungskapital nicht nur einen Kreditmarkt mit unkündbaren und niedrig verzinsten (drei bis vier Prozent) Anleihen geschaffen, sondern bestimmte weitgehend auch dessen Spielregeln.

Es kam für viele Stiftungsvermögen zur Katastrophe

Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges wuchs der Stiftungsbestand. Beide Seiten – der Staat und die Stiftungen – schienen von der mündelsicheren Anlageverpflichtung der Stiftungskapitalien zu profitieren. Der Staat konnte kontinuierlich Schulden machen, Stiftungen konnten sich auf eine niedrige aber fest garantierte Zinseinnahme verlassen. Die Entscheidung der kaiserlichen Regierung den Ersten Weltkrieg zu etwa zwei Dritteln durch den Verkauf von Kriegsanleihen zu finanzieren und die Stiftungen zum Kauf dieser Kriegsanleihen zu bewegen, führte dann aber zur finanziellen Katastrophe. In deren Ergebnis wurden Stiftungen praktisch enteignet. Etwa 2% der Kriegsanleihen – also etwa zwei Milliarden Mark – wurden von 1914 bis 1918 von Stiftungsverwaltern zur Anlage der Stiftungskapitalien aufgekauft. Einzelne Einrichtungen wie die Universität Tübingen und die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft legten weit mehr als 50% ihres Stiftungskapitals in Kriegsanleihen an.

Kriegsanleihen vernichteten Stiftungskapital

Dieses in Kriegsanleihen angelegte Kapital wurde in der Hyperinflation des Jahres 1923 fast vollständig entwertet. Mit dem Anleiheablösungsgesetz aus dem Jahre 1925 wurde es dann schließlich auf 2,5% des Nominalwertes abgewertet. Die Regierung der Weimarer Republik entledigte sich somit der aus den Kriegsanleihen stammenden Schulden in Höhe von fast 70 Milliarden Mark. Die Institutionen und Bürger, die diese Kriegsanleihen erworben hatten, verloren ihr darin angelegtes Vermögen fast vollständig. Die mündelsichere Anlagepflicht der Stiftungskapitalien wurde auch nach diesem Schuldenschnitt nicht in Frage gestellt und rechtlich weiterhin durchgesetzt.

Noch rund 250 Stiftungen, die älter als 500 Jahre sind

Heute gibt es noch 250 Stiftungen in Deutschland, die älter als 500 Jahre sind und ihr Stiftungskapital vor Anlagerisiken und Extremereignissen wie Hyperinflation und Depression zu schützen vermochten. Was ist das Geheimnis dieser Stiftungen? Ein gut gestreut investiertes Stiftungskapital, dass auch für die Extremereignisse gerüstet war. Auch wenn diese Stiftungen ebenfalls Einbußen bei mancher Assetklasse erlebten, so ermöglichten die verbliebenen Anlagen, dass die Stiftung ihre Fördertätigkeit nicht einstellen musste. Über die Zeit erhöhte sich das Stiftungskapital auch wieder durch Wertzuwächse.

Aus der Geschichte lernen!

Aus heutiger Sicht ist klar, dass die damaligen zahlreichen staatlichen Einschränkungen für Stiftungsanlagen keine diversifizierte Vermögensanlage, sondern eine Monokultur der Gläubigerpapiere und ein enormes Klumpenrisiko bedeuteten. Das trat dann auch tatsächlich 1923 ein und führte zur Vernichtung von über 90% der Stiftungen. Also genau zu einer Zeit, als viele Deutsche selbst durch die Kriegsfolgen und den Verlust ihrer Ersparnisse Hilfe bedurften.

Dies zeigt, dass Anleihen und Kontoguthaben nicht per se sichere Anlagen sein müssen und Sachwertanlagen und Produktivkapital – obwohl sie im Wert schwanken – Jahrhunderte Bestand haben können.

Stiftungsvermögen muss nicht mehr mündelsicher angelegt werden

Heute gibt es keine Pflicht mehr, Stiftungskapitalien mündelsicher anzulegen. Stiftungsvorstände können somit selbst entscheiden – sofern die Satzung nichts anderes besagt – in welche Anlagen sie investieren, um Erträge zu erwirtschaften und das Stiftungskapital zu erhalten. Dieses Privileg sollten alle Stiftungshandelnden nutzen und sich mit der Kapitalanlage auseinandersetzen. Entscheidend ist, dass die Anlageentscheidungen mit der Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmanns (eines ordentlichen Geschäftsführers) getroffen werden. Das heißt: Sich zu informieren, Risiken und Chancen abzuwägen und die Entwicklung der Rahmenbedingungen sowie der Stiftungsanlagen selbst zu überwachen. Dies ist umso wichtiger, wenn der Staat und die Europäische Union massiv in die Finanzmärkte eingreifen. Denn Zinsen bilden sich nicht mehr nur nach Angebot und Nachfrage, Staaten und Unternehmen sind erheblich verschuldet. Die Geschichte lehrt uns, dass Staaten wie die Weimarer Republik, ihre Schulden gern auf die Bürger abwälzen.

Zusammengefasst

Es gilt, das Sozialkapital Deutschlands, das viele Menschen über Jahrzehnte erspart und für das Gemeinwohl zur Verfügung gestellt haben, zu erhalten, damit die Erträge auch noch in wirtschaftlich schlechten Zeiten dort helfen können, wo der Stifter helfen wollte. Dafür müssen aber auch alte Glaubenssätze über Bord geworfen werden. Mündelsicher angelegt werden muss Stiftungsvermögen jedenfalls nicht. Und das ist nur einer dieser Glaubenssätze.

HINWEIS:
Der Text wurde ursprünglich im Jahr 2020 in der ausschließlich gedruckten Version der FondsFibel für Stiftungen & NPOs veröffentlicht.

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Petra Träg
Petra Träg steht im Besonderen als Ansprechpartnerin für alle Fragen zum Stiftungswesen bei SOS-Kinderdorf, hat zahlreiche Fortbildungen im Non-Profit-Bereich absolviert und durch Vorstandstätigkeiten ein hohes Maß an Praxiserfahrung im Stiftungswesen aufzuweisen. Nicht zuletzt gilt Petra Träg als ausgewiesene Expertin für die Kapitalanlagen von Stiftungen und bemüht sich hier sehr, anderen Stiftungen mit Knowhow und Anregungen zur Seite zu stehen. Sie ist in diesem Kontext als Fach-Autorin sehr aktiv. Unter anderem interviewte sie den Wirtschaftsprofessor Prof. Hans-Werner Sinn für die Fachzeitschrift „Stiftung & Sponsoring“ und schrieb 2019 für die „FondsFibel für Stiftungen & NPOs“ gemeinsam mit Prof. Thomas Adam den Artikel „Ein Blick zurück auf die Anlage der Stiftungskapitalien“. Hierin geht sie der Frage nach, woher das Anlageverhalten deutscher Stiftungen historisch resultiert und was Stiftungen hieraus für das Hier und Jetzt lernen können.