La Grange Deutsche Zeitung. (La Grange, Tex.), Vol. 17, No. 41, Ed. 1 Thursday, May 23, 1907 Page: 2 of 12
twelve pages: ill. ; page 22 x 15 in. Digitized from 35 mm microfilm.View a full description of this newspaper.
Extracted Text
The following text was automatically extracted from the image on this page using optical character recognition software:
Des Gespenst.
Eine Geschichte aus dem österreichischen Rili-
tärleben von D Rebel.
„Reiheen reeechts um! Errrste
Wache--marsch!"
Das auf Wache Bertheiltwerben
war für die Freiwilligen stets eine
furchtbare Erregung. Wien ist zwar
groß, hat aber recht wenig behagliche
Waches, so wie die am Zollamt aber
gar im Augarten, wo zwei Freiwil-
lige sich es einst einfallen ließen, in
den monddurchstrahlten Alleen des
herrlichen Partes ben lang ber Ro-
tischa unb bes Soto aus bem „Mis
tabo" zu imitiren, bis was oor ihnen
stand, bas ihnen ben Weg versperrte.
Unb dieses Etwas mar ber Fürst
Hohenlohe in eigener Person, dem sie
— statt ihn im verwanzten Wachs
zimmer zu bemachen — einen nächt-
liehen Reigen barbrachten, ben ihnen
jedoch ber joviale alte Herr — Gott
hab ihn selig! — nicht weiter übel-
nahm.
Bor keiner aber zitterten sie so
wie vor ber Wache an ben Pulver-
magazinen.
Weniger deshalb, daß bie Pulder-
thürme in bie Luft fliegen tonnten,
als roegen ber sagenhaften Mären,
bie über bie bort wachestehenden Po-
ften erzählt murben. Unb bann me-
gen bes immensen Weges, ben man
hin unb zurüd machen mußte.
Sonst mar bie Wache ja gang
amüsant, meil sechzehn Mann dazu
tommanbirt murben unter Kommando
eines Offiziers, ber sich in einem im
ersten Stod-gelegenen Zimmer gang
behaglich fühlte. Denn biefe so meit
entlegene Offizierswache hatte selten
nur eine Revidirung zu gewärtigen,
um so mehr aber bie Wachmannschaft
durch ben Offizier.
Freiwilliger Brandhuber mar ein
Pechvogel. Nicht nur, daß er nach
bem Pulvermagazin auf Wache kom-
manbirt murbe; er hatte obendrein
noch ben Leutnant Andres, einen be-
kannten Freiwilligenfresser, zum
Wachtoffizier bekommen. .
Schon bei ber Bisitirung auf bem
Kasernenkorridor hatte er bas Wohl-
wollen dieses Vorgesetzten über sich
ergehen lassen müssen, baS sich barin
bekundete, daß Andres alle übrigen
„ruhen" ließ unb nur ben Einjährigen
Branbhuber liebend unb eingehend
einer Untersuchung unterzog, nament-
lich, ob ber Tornister vorschriftsmä-
Big gepackt mar.
Zum @lüd hatte ihm heute ber
Putzer irrthünlicherweise ben gepad»
ten hergerichtet; benn Branbhuber als
Kapitalist hatte beten zwei; einen
vorschriftsmäßig gepadten, unter bes-
sen Last ber nicht allzu kräftig ge-
baute junge Mann schier zusammen-
brechen zu müssen glaubte, unb einen,
in bem sic ein leeres Holzstelett be-
fand, bas bem Tornister baB Anse-
hen eines gepadten verlieh, jedoch bloß
bie Wichs, unb Bürstenrequisition
enthielt, höchstens noch eine Knopf-
gabel! Es braucht wohl nicht gesagt
zu werden, daß sich bie Freiwilligen
meist beB letzteren Tornisters bedien-
ten.
Branbhuber hatte erst feinen Putzer
heimlich einen „Riesentrottel" ge-
nannt, ba er beim Kommando: „an-
treten!" nicht mehr Zeit hatte, ben
bepackten mit bem leeren zu bertau-
schen — bann ihn aber als feinen
guten Genius gesegnet, als er von
Andres bisitirt murbe.
Strammen Schrittes unter ben
Klängen ber Regimentsmusit, bie in
her Ece bes Hofes ftanb, marschir-
ten bie Wachen aus ber Heumartts-
kaserne hinaus. Die meisten bogen
rechts ab, nur Andres zog nach lints
in’s feindiliche ßanb. .
Brandhuber stellte trübe Betrach-
tungen über ben Militarismus an.
Warum hatte er nicht dienstuntauglich
sein können? Aber ber Staat brauch-
te Solbaten. Unb beShalb hatte er
feine — baS heißzt feiner Eltern —
entzückende Billa in Dornbach ver-
lafsen, sich in ber Nähe ber Raferne
ein Zimmer miethen müssen, um nicht
zu spät zum Dienst zu kommen — er,
her sich ganz ber Wissenschaft, ber
vergleichenden Sprachforschung erge-
ben hatte, mußte sich nun schuhriegeln
lassen bon einem Offizier, ber seine
Ahnung bon Linguistik hatte, bessen
Schneib nur in seinem Exterieur be-
stand; benn ein hübscher Mensch mar
ber Andres, das musste ihm ber Neib
lassen, während er — Franz Brand-
huber — musste, daß er nichts weni-
ger als schön mar, daß ihm alle jene
Eigenschaften fehlten, bie aus einem
Manne etwas für bie Frau Unmi«.
derstehliches machen. Deshalb auch
mieb er bie Gesellschaft, für bie er
sich baburch schadlos hielt, daß er sich
allerlei Gethier — Geflügel, Kanin-
chen, Meerschweinchen — anschaffte
unb beten Aufzucht sorgsame Auf-
merksamkeit zutheil werden lieh.
Seine Gedanken weilten daheim in
Dornbach bei feinen Bestien, während
• ben enblofen Rennweg zurüdlegten.
mmer noch ging’s „Habt acht",
nblich „versorgte" Anbrea ben Säbel
unb steckte sich eine Cigarre an.
Branbhuber zog mit ben Schultern,
als wollte er unter ben eingehakten
Riemen, bie ihn einschnitten, hin-
durchschlüpfen. Da fiel sein Bild aus
seinen Puter, ber ihm mit breitem
Grinsen junidte, zu ihm herüberzu-
kommen. Was wollte benn ber Kerl
bon ihm? Auch ging er so sonderbar
leicht, sein guter Pole, ber für ae«
bestens eine Stunde, um bie ganz
Umfassungsmauer zu umgehen.
Der Unteroffizier inftruirte and
bie ßeute, bafe neben bem Schilber
haus bei Postens 5 eine Klingel an
gebracht mar, bie nur im Falle brin
genbster Roth gebraucht merben durfte
Die Drähte liefen an ber Sohle bei
Mauer entlang bis in’s Wachtzimmer
Diese Erzählungen maren gerab
nicht dazu angethan, ben Muth uni
baB Selbstoertrauen ber ßeute zu er
höhen. Unb jeber hatte ein heimliche:
Gruseln, menn er baran dachte, ei
könnte beu Auszenposten Ro. 5 er-
halten.
Der Unteroffizier meinte eS aber
gut mit seinem Wohlthäter, ber neuer,
bings Bier unb 32 Paar Krenwürstel
bestellte, unb führte ihn bereits um
acht Uhr- auf, um ihm bie gruselige
Mitternachtswache zu ersparen.
Man hatte noch ein gutes Ende zu
gehen, bis man zu ber Umfasjungs-
mauer bes riesigen Komplexes tam,
ber mit feinen weitragenden Thür-
men einer allen Ritterburg glich.
Kurz oor ber Mauer senkte sich ber
Weg nach lints, um als schmaler
Ronbenroeg dicht an ber Mauer da-
hinzulaufen. Man hatte ben Weg
erst ausschaufeln müssen, so bafe man
mie zwischen zwei Mauern daher-
schritt — rechts bie steinerne, lints
bie Don Schnee, bie bis an Schulter-
höhe reichte. Der Sturm pfiff gotts-
jämmerlich unb trieb ihnen Eistri-
stalle unb bide Flocken in’S Gesicht.
Die Racht mar pechschwars; ßaternen
.gab es meit unb breit nicht.
„Da sann man ja nicht bie Hand
Dor ben Augen sehen", stöhnte Franz,
„geschweige benn auf hundert
Schritt."
Der Unteroffizier zuckte bie Ach-
sein: „Ja, barum kümmert sich bie
Borschrift nicht. So, ba san mer. —
Unb ba iS auch bie Glocken, baS heißzt:
ber Griff zum Ziehen. — Also Sie
haben bie ganze Mauer hier zu über-
machen unb bis an bie Ede zu gehen.
Da biegt bie Mauer rechts ab. Der
Weg auch. Bon ber Eden müssen’s
schaun, ob alles in ber Ordnung ist
— unb ben nächsten Posten anrufen.
Schrein’s nur recht laut. Das ver-
scheucht bie Angst, menn’S a solche
haben sollten. Aber einer, mo Frei-
williger ist" —
„Wollen mir nicht lieber mal bie
Klingel probiren?" fragte schüchtern
Franz.
„Sie fan wohl nit ganz gescheidt?
Damit tonnen m’r ja bie ganze Wache
alarmiren."
„Ja — aber menn sie überhaupt
nicht funttionirt? WaS hat sie denn
ba für einen Zwed?" *
„Dafe s’ ba ist", lautete bie philo-
sophische Antwort.
Unb ehe sich’s Franz versah, nach-
bem ihm ber abgelöste Posten baS
Losungswort zugeflüstert hatte, mar
er bereits allein.
Franz überlegte. Sollte er auf
unb ab gehen? Dann mar ihm frei-
lich etmaS • wärmer. Aber mie leicht
tonnte ihn an der Ede Jemand über-
fallen unb niedermachen, ehe er baS
Gewehr nur schußzbereit gemacht hatte!
Dort unten ober bort brüben mo
sollten grofee Fabriken liegen, beren
Arbeiter gerabe ftreitten. Wie leicht
sonnten biefe Kerle eine solche Gele-
genheit benutzen! — — Herrgott,
$errgott, was für eine Ber»
antwortung lastete aus ihm! Angst-
schweiß flebte ihm auf ber Stirn
trot ber infamen Kälte. .
„Was mar baS? Schrie nicht e«ner?
Ja — das mar ein Hilferuf!"
Er schlich sich, baB Gewehr „fertig"
in ber Hand haltend, bis an. bie Ede,
brüdte sich dicht an bie Mauer, um
sich ben Rüden zu sichern — sah sich
noch einmal um, ob bon hinten teiner
tam — bann blickte er um bie Ede.
— Da! ES rief noch einmal!
„Ah, so!"
Franz athmete erleichtert aus. DaS
mar ja ber Nachbarposten, ber ihn
anrief.
Run mar es ganz still um ihn. Er
athmete auf. Da tonnte man boch
menigstenS hören, menn einer tam.
Da! — Was mar baB?
Franz sprang zurüd. Ganz deut-
lich hatte er gehört, mie etmaS fiel.
Ein grober Stein — ober so etmaS.
Er bildete sich sogar ein, eS gesehen
Zu haben.
„Halt! Wer ba?"
Keine Antwort. Rur baS Schla-
gen seines Herzens hörte er.
Er begann halblaut zu singen, um
sich Muth zu machen. Schrittweise
blieb er sieben unb horchte. So tam
er nach unb nach an bie Ede.
Beinahe hätte er laut aufgeschrieen:
Drei Kerle stanben vor ihm!
„Ra, Freiwilliger, mo sieden Sie
benn?" vernahm er bie bekannte
Stimme beB Unteroffiziers.
Frans mußte sich erst fassen. Dann
ertlärte er heldenhaft, er habe um bie
Ede etwas gehört unb sei nachsehen
gegangen, maS es sei, habe aber nichts
sehen tönnen.
Sein Putzer löste ihn ab.
Unb alB Franz bie Wachtstube mit
ihrem immer noch knallenden unb
tnadenben Ofen roiebet betrat, erschien
sie ihm mie ba* siebente Paradies.
Erschöpft bon ber gehabten Aufre-
gung marf er sich auf bie Pritsche.
Doch hatte er bie Rechnung ohne
den Wirth gemacht. Ein laute*
„Habt acht!" liefe alle Mann auf-
springen. ßeutnant Andres tam ree
wöhnlic viel eher wie ein Trampel-
thier als mie ein österreichischer Sol-
bat marschirte.
eigentlich wollte er — ber ange»
henbe Offizier in ihm sträubte sich
bagegen — bem Kerl nicht nachgeben;
menn er maS wollte, tonnte er hoch
herkommen. . Beim „Ruht" - Gehen
mar baS nicht so schlimm, menn man
mal eine Rotte wechselte. Dann aber
übermag bie Reugier, unb er wech-
feste mit feinem zweiten Rebenmann.
„Lossen’s Ihna aber nije merten,
Panje Friwillige! Hob ich umg’s
schnallt leichte, leere Turnister oon
Ihna. Schnall’n Sie ob Ihnerigen
unb geb’n mir zrud. Hier iS ber
Ihnerige leichte". Damit reichte er
ben leeren nach vorn.
Unb oor ihnen schritt ber Herr
Leutnant, ahnungslos, bafe man bi«
reft hinter seiner heiligen Person
solche Frechheit wagte.
Branbhuber aber sing an, oor sich
hinzujodeln, so bafe sich darob bafe
verwundert ber ßeutnant ummanbte
unb ben Freiwilligen oon oben bis
unten maß. „Ranu, Sie können ja
auch luftig sein?" meinte er erstaunt.
„Hielt Sie immer für einen hochge-
lahrten Herrn, ber es unter seiner
Würde erachtete, bie Freuden ber Ju-
genb mitzumachen. Sie schweben ja
förmlich, während Sie früher nicht
kriechen tonnten. Andere machen’S
umgekehrt: bie sind erst munter unb
später mübe. Rauchen Sie eine Gi-
garre?"
„Dante gehorsamst, Herr ßeut«
nant." Brandhuber nahm sie Hopsen«
ben Herzens. — Das mar ja ein fa-
moser Mensch, gar nicht so unaus-
stehlich, wie er anfangs gedacht hatte.
Ja, ja, man mufe seine ßeute nur erst
näher tennen lernen!"
Andres liefe ihn neben sich mar-
schiren und oon zu Haus erzählen.
„Sagen Sie einmal, Freiwilliger,
eS gibt wohl oiele Branbhuber in
Wien? — Das ist doch tein so extra-
orbinärer Rame?"
Franz lachte. „Rein. Sogar ein
ziemlich orbinärer. Aber, menn ich
gehorsamst fragen bars, marum!"
„AUch, ich habe im bortgen Jahr auf
bem Industriellen- ober Konkordia-
ball ein Fräulein Melanie Brandhu-
ber tennen gelernt."
„Das ist meine Schwester — so
eine grosze, etmaS üppige Blondine".
Der ßeutnant liefe sein Monokel
klirrend herabfallen: „Ac was! Der
Teufel! Ihre Schwester!"--Mit
sehr freundlichen unb wohlwollenden
Mienen betrachtete er ben Freimilli-
gen neben sich, ohne begreifen zu sön-
nen, mie ein so hässlicher Mensch, mit
ausgesprochenen X - Beinen, eine so
schöne Schwester haben tonnte.
Endlich mar ber Zug an Ort unb
Stelle, was auch bie abzulösende
Wache sehr erfreute.
Es fing an heftig zu .schneien, unb
man’ mar froh, unter Dach unb Fach
zu sein.
Die Wache lag ganz freundlich auf
einem etmaS erhöhten Punkt. Re-
ben an mar ein Wirthshaus, in dessen
erstem Stodmert ber Herr ßeutnant
sein bequemes Zimmer hatte. DaS
Wachlokal selbst — für bie Mann-
schaft — mar lang unb niedrig.
Schon brannten zwei ßampen.
Der ßeutnant liefe sich noch den
Unteroffizier tommen, bem er eS an’S
Herz legte, ben Freiwilligen ja ordent-
lich Posten stehen zu lassen, unb zwar
Mitternachts- unb Frühposten.
„Unb bafe ihr euch von dem X*
beinigen Kerl nicht trattiren laszt.-
Verstanden?"
„Zu Befehl, Herr ßeutnant."
Gleich barauf murbe bie ganze
Mannschaft oon Franz traktirt, ber
Unteroffizier natürlich reichlicher als
bie anderen.
„Hören's, Branbhuber, i mufe Sie
aber boch Posten stehen lassen. Der
ßeutnant hat mir's ausbrüdli auf bie
Seel’ ‘bunden."
„Meinetwegen."
„Ra, stellen's Ihna baS nur nit so
leicht oor. Hier is's kei' Bergnügen,
Posten 8‘stehen. Ma hat bo ei’ Sau-
verantwortung hier. Reuli erst ist
aus’n Posten geschossen morb'n. Die
anarchistischen Hund’ gebeten viel
brum her, menn ’S ba herei’ sonnten.
Am liebsten thaten’s bie Magazin’
in die Luft sprengen. Bis auf hun«
bert Schritt bars keiner an bie Um-
fassungsmauer heran. Hört’s, Rin-
ber? Unb menn’S einer boch thut,
gebt’s Feuer — natürlich nach vor-
herigem Anruf."
Unb bann begann er, nachdem bie
ersten Posten aufgeführt worden ma-
ren unb alle um ben rothsprühenden
Kanonenofen fafeen, in bessen gemun«
benen Röhren sich ber Wintersturm
oerfing, verschiedene schreckliche Dä-
ren zu erzählen: Wie man oor Jahren
auf Posten 5 ben einen Mann er-
schossen aufgefunden hatte — mause»
tobt, mitten in'S Herz getroffen.
Freilich hatte sich später herausgestellt,
bafe er sich selbst erschossen hatte. Ein
andermal mar ber Posten 5 oon brei
RombieB mit Steinen bemorsen mor-
ben. Denn menn bie mie eine Fe-
stung aufragenden Tagazine mit
ihren hohen, biden Mauern auch ganz
oon freien Feldern eingeschlossen ma-
ren, so mar bas Terrain boch sehr
unübersichtlich, so bafe man sich ganz
leicht b* an bie Mauern selbst heran-
schleichen tonnte. Jeder Posten sei
oon bem anbern etwa zehn Minuten
entfernt — unb man brauchte min-
vibiren. Er fragte, mer auf Posten
gewesen mar, unb schrie unb tobte,
als er erfuhr, bafe ber Einjährige
Don 8—10 gestanden hatte.
„Ich habe Ihnen boch befohlen,
Unteroffizier, bafe ber Einjährige um
Mitternacht stehen soll. Also mirb
er um Mitternacht noch einmal Po-
ften stehen. Ich roerbe mich selbst
baDon überzeugen. Ich merbe boch
sehen, ob meinem Besehl parirt mirb!"
Gleich bem grollenden Wotan marf
er bie Thür hinter sich zu.
Um ben Unteroffizier mieber für
ben Anschnauzer schadlos zu halten,
bestellte Trans, ber völlig geknickt mar,
eine neue Portion Würstel unb fri«
sches Bier. Bebauernb zudte ber
Gescholtene bie Achseln!
„3a, aber trotzdem, Branbhuber,
mufe ich Sie jetzt um Mitternacht
mieber aus’n Posten bringen. Sie
haben ’n ja selber g’hört. Wenn er
revidiren geht — unb Sie bann nit
borten find’t?" — --
Franz seufzte tief. WaS blieb ihm
benn anberS übrig, als sich zu fügen.
Ra, menigstenS jetzt wollte er eine
Stunbe schlafen, vorausgesetzt, bafe
ihn bie Ausregung schlafen liefe.
Eben hatte er sich abermals aus
bie Pritsche gelegt, als bie mürrische
Glocke bodig mit bem Kops madelte,
mie um einen Ton Don sich zu geben,
unb bann heiser zweimal anschlug,
während sich der Klingeldraht immer
noch in Zuckungen bewegte.
Alle — selbsi ber Unteroffizier —
maren blaß gemorben unb aufge-
sprungen. Jeder starrte nach ber
Glocke.
Franz fielen alle seine gräßzlichen
Erlebnisse oon vorhin ein. Also hatte
er sich boch nicht getäuscht! Unb in
fliegender Eile unb stoszweise erzählte
er, was ihm pafsirt mar. Gebanten-
schwer, aber boch energisch, befahl ber
Unteroffizier: „Wache antreten!" Er
übergab baS Wachttommanbo einem
Gefreiten, unb beauftragte ihn, bem
Leutnant über ben Borfall Meldung
Zu erstatten. Er selbst mit Dier Mann
— barunter Franz — begab sich
schleunigst nach bem Posten fünf, ber
in Gefahr schien.
Als ber Weg Dor bem Hauptein-
gang in baS Innere ber Magazine
nach links abbog unb sich nach ab-
märtS in ben schmalen Schneegang
fentte, liefe er bie ßeute „einzeln ab»
fallen" unb fommanbirte Franz als
ben ersten Mann hinter sich. Er
schärfte ben Leuten ein, ganz leise
sich heranzuschleichen; Direktion: das
Schilderhäuschen. Franz fühlte, mie
sein Herz ihm in ber Kehle schlug.
Weit unb breit mar sein Mensch
Zu sehen — unb auch der Putzer
ssranzenS, ber ben Posten inne hatte,
nicht. *
- Der Unteroffizier rief laut nach
bem Polacken; boch feine Antmort
kam.
„Gott, o Gott, ben haben sie viel-
leicht schon umgebracht", seufzte Franz
halblaut, sch dicht hinter bem Unter-
offizier haltend.
Der machte ein Zeichen. . Alle blie-
ben stehen unb lauschten. — Richtig
— nun hörten sie’s aud;! Ein leises
Trippeln, bann ein Schleifen — end-
lich ein Geräusch, als ob irgenb eine
Holzwand durchsägt mürbe.
„Sie stnb schon an ber Arbeit", flü-
sterte Franz. „Herr Unteroffizier,
geben Sie acht!"
Doch bieser sprang rasch Dor, unb
zwar so, bafe er unmittelbar oor bem
Schilderhäuschen ftanb: „Podwalzik!"
Der brave Pole, ber in seiner Hütte
etmaS eingedruselt mar, rief stramm
stehend bas . Losungswort: „Rönig»
grät!"
Der Unteroffizier gehörte nicht zu
Jenen, bie Jeden unbarmherzig an-
zeigten, obwohl eS ber Kerl oerbient
hätte. . Diesmal hatte er Wichtigeres
Zu fragen: „Warum haben Sie bie
Klingel gezogen?" fuhr er ben Polen
an.
Der zog ein bummes Gesicht, bann
grinste er: „Hob ich mich nic weg-
rührt, Panje Unteroffizier, unb nix
Klingel 'zogen."
„Du hast eben geschlafen, bu Fa-
lott, bu erbärmlicher. Dann hat sie
eben ein Anbeter gezogen. Unb bu
hast ben Anheren nicht gesehen."
Dem Podwalzik mar baB Weinen
nahe. „Hat nir ein Anbeter zogen.
Bin ich hier ‘west — nix meggangen."
Der «Unteroffizier ging mit zwei
Mann noch um bie Ecke herum, liefe
bie beiden Anderen in’S schneebedeckte
Gelände hinunterwaten unb Umschau
halten — boch sie. lehrten mit ber
Meldung zurüd, alles sei ruhig and
in Ordnung.
Da tam ihnen etmaS entgegen.
Der Peinb! — „Halt! Wer ba?" —
„Königgtät".
ES mar ßeutnant AnbreB mit Toch
zwei Mann. „WaS bimmeln Sie
benn ununterbrochen, Unteroffizier?
Sinb Si: beß Xeurels?"
Run mar eß an diesem, zu erstau-
nen. „Melde gehorsamst, Herr Reat-
nant, sein Mensch mar an ber Rlin
gel."
„Ra, Don selbst sann sie boch nicht
anfangen zu hüpfen mie eine alte
Balletteuse". Der ßeutnant schüttelte
nachdenklich ben Kops.
Im Wachtlotal mieber angelangt,
gab bie gespenstische Bimmel aber
mieber einen hüstelnden Klagelaut
Don sich, so bafe ber Unteroffizier be-
reit* zweimal auf bie Dielen gespudt
unb ausgerufen hatte: „Das geht nicht
mit rechten Dingen zu!"
Der arme Frang hatte gut all seine
Philosophie Zusammenzurufen unb sich
zu sagen, es gäbe keine Gespenster;
bann aber fiel ihm ein, bafe bereits ein
flügerer Mann als er einst gesagt
hatte: GA gibt mehr Ding’ im Hima
mel unb aus Eroen" — unb so weiter.
In einer halben Stunbe mufete er
mieber hinaus aus Borpoften in
Feindesland: Er sah schon im Geiste
seine Eltern unb Mela in Schwar
getleidet an seiner Bahre meinen.
Da ftanb er nun in einsamer Nits
ternacht. — Plötzlich vernarm er bicht
neben sich trampfen unb fauchen unb
am Schilberbäuschen kraßen.
Franz blieb ber Athem ftoden. -
Das Geräusch tam Don unten. Ein
längeres Warten mar zwedlos. Lieb
Vaterland, magst ruhig fein — —
unb mit „einem Sprung, mie ein
Sioux, ber hinter einem Baume her-
vorspringt, sprang Franz um bie
Ede unb hielt bie Mündung des Ge-
wehrs in bie ominöse Gegend. Gin
Fauchen ertönte — unb etmaS
Schwarzes, Unerkennbares, bas durch
ben länglichen Schatten Diel länger
aussah, als eS mar, rannte dabon.
Als sich Franz bon ber Kleinheit
seines Gegners überzeugt hatte, rannte
er diesem nach. Doch dem wunder-
lichen Gespenst schien bieser Wettlauf
nicht zu behagen. BumS — fafe es
ba, mie eine Kugel, unb rührte sich
nicht. „Run ärgere bu dich!" dachte
eS sch uns schinieg.
Franz überdachte sich bie Situa-
tion. Sah baS Ding nicht aus wie
eine Bombe? Trotz dem aber zog er
sein Bajonett unb berührte gans,
ganz sach! bas unheimliche Ding.
Jedenfalls mufete er eine kitzlige Stelle
getroffen haben, benn mit einem wü-
thenden Fauchen sprang eS in bie
Höhe, unb Franz tonnte mit feinen
bereits an bas Dunkel gewöhnten
Augen ein allerliebstes kleines
Schnäuzchen unb Dier Heine Pfoten
entdecken. Dann plumpste eS mieber
Zur Erbe mie eine Kugel unb blieb
bummstill.
„Ein Igel!" jauchzte Franz, bessen
Sehnen schon lange nach solch einem
Thierchen für feine Menagerie ftanb.
Da crblidte ber Igel Frans, unb
erschreckt über dessen Gegenwart, be-
gann ber drollige Geselle mit wahrer
Berserkerwuth bicht an ber Mauer
zu graben mie ein Teckel, mobei ihm
bie Drähte ber Gespenstergloche wie-
derholt unter bie Krallen kamen. Das
mar bes Räthsels Lösung.
Rasch breitete Franz fein Taschen-
tuch aus unb roßte ben Igel mittels
beS Bajonetts bis in bie Mitte bes-
selben. Dann padte er bie Dier
Zipfel zusammen unb brachte feine
Beute, nachbem .er sein Gewehr wieder
- aufgehober hatte, mie eine Trophäe
in baS Schilberhäuschen..
Balb barauf erschien auch ber Un-
teroffizier mit zwei Mann, ba er
behauptete, das Gebimmel sei mieber
Don Reuem, energischer benn je, los-
gegangen. Freudestrahlend zeigte ihm
Frans ben Attenthäter. „Herr Un-
teroffizier mir wollen bem ßeutnant
wohl sagen, bafe es ein Igel gewesen
ist — aber nicht, bafe ich ihn mit
auf bie Wachstube gebracht habe. Ich
möchte ihn nämlich mit nach Hause
nehmen."
„Wie wollen’s ihn benn bann hoam
krieg’n?"
„Im Tornister. Ich merbe ihn
leer machen" — — benn wozu
brauchte ber Unteroffizier zu wissen,
bafe er schon leer war? — „unb ben
Kerl reinflecken. Aber nichts sagen!"
Die Racht unb ber nächste Bor-
mittag vergingen ohne Zwischenfall.
Der Missethäter mar ja beseitigt 'mor=
ben. So um zwei Uhr rüstete man
Zum Aufbruch. Man hatte reichlich
gegessen unb gezecht; nur ber Igel
mar beleidigt unb afe nichts.
Roch viel giftiger murbe er, als
man ihn in ben Holzkasten, respektive
in baS holzstelett bes Tornisters
zwängen moßte. Fest zur Kugel ge-
roßt, liefe er sich ruhig einige Stacheln
abbrechen; aber hinein ging er des-
halb boch nicht. Auch sonnte man
ben stacheligen Körper ja nicht an-
fassen unb mit ber Hand nachhelfen.
Der Unteroffizier rieth, ein Brett
auf ben Igel zu legen unb drauf-
zutreten, bis ber Patron nachgab unb
in ben Tornister hineinrutschte. Franz
aber mehrte sich gegen solche Thier-
quälerei unb brach bie eine Ober-
leiste beB Tcrnisterinnengerüstes ent-
zwei--unb ber Igel roßte in
bie Tiefe.
Hurrah! Run mar er brin! Der
Tornister warb zugeschnallt unb auf-
gehängt.
Endlich hörte man in ber Ferne
ben Hornisten ber Ablösung. ES
murbe umgeschnallt unb angetreten.
Der ßeutnant befahl: „Doppelreihen
recht* um Wache — marsch!"
Tram—tataa trara—tamtataa —
tiratamm — tiratamm — tirataa
ging's in ben hellen, glitzernden Win»
tertag hinaus.
Aße maren vergnügt, nur Franz
ftanb Tobeßqualen auS. „Ich halt's
nicht mehr aus!" flüsterte er bem Un-
teroffizier zu.
„Waß haben's benn?" fragte bieser.
„Gott — ber Igel! Der ist jetzt
drinnen munter gemorben. Aße seine
Stacheln bringen mit in ben Rüden.
— Au!"
Den letzten Außruf hatte Anbreß
gehört. „Sie stnb wohl krank. Frei-
williger?" wandte er sich höhnisch
nach ihm um. „Ich merbe Sie gleich
mieber gesunb machen. — Freiwilliger
Branbhuber allein: habt acht!" Er
trat an seine Seite, um ihn zu beob-
achten. .
Franz konnte wirklich nicht mehr.
„Herr ßeutnant — Herr ßeutnant"
— jäh zudte er mieber zusammen:
„Au!" — Flehend, um Erbarmen
unb Mitleid flehenb, blickte er ihn an:
„Ich habe — ich habe solche Magen-
schmerzen!"
„Ra, bann moßen mir ein bissel
Laufschritt machen. Daß mirb auch
gutthun! — Werben Sie gleich bie
Schultern anziehen unb seinen sol-
chen Katzenbuckel machen?"
Franz versuchte bie Schultern zu-
rüdzuziehen, klappte aber sofort mie-
ber mit einem mimmernben „Mmm!"
nach innen.
Der ßeutnant bekams mit ber
Wuth. „Gerade gehen sollen Sie,
Himmeldonnerwetter! Weg mit bem
Buckel!" Unb er schlug mit ber fla-
chen Hand aus ben Tornister, zog sie
jeboch mieber mit einem wüthenden
„Au!" zurüd. Seine Wuth steigerte
sich. „Ich merbe Sie einen ganzen
Rachmittag Tornister packen lassen
unb Ihnen lehren, wohin bie Nadel
unb ber Zwirn gehören." Er blies
sich seine Finger. „Sehen Sie nur
an, Unteroffizier, mie ber Tornister
gepadt ist! Alles haudriwubri hinein-
gestopft mie eine Kugel."
„Au!" machte ber Freiwillige, bem
baS Heulen nahe mar. Er taumelte
mie ein Betrunkener.
Anbreß glaubte nun wirklich, eS mit
einem Rianten zu thun zu haben.
„Wache halt! Bei Fußz! Ruht!" Dann
trat er an Branbhuber heran, um ben
Delinquenten ober Patienten zu beob-
achten. Doch feine Blide murben von
ihm abgelenkt unb hefteten sich starr
auf ben Tornister.
Rein, nein! Er hatte sich nicht ge-
irrt! Der Tornister bernegte sich.
Da mar maß brin. .
Die Zornesröthe stieg Anbreß zu
Kops. „Unteroffizier, machen Sie
mal ben Tornister Dom Freiwilligen
'aus!"
Mit verhaltenem Lachen tam bie-
fer bem Befehl nach. Der ßeutnant
fafete mit ber Hand hastig hinein,
zog sie jeboch sofort aufbrüllend mit
einem „Kreuzhimmeldonnerwetter!"
zurüd unb schüttelte sie, als cb er in
lebendige Dornen gefafet hätte. .
Anbreß schnappte nach Luft. „WaS
— maß haben Sie benn ba brin ein- o
gepadt?" --
W«h unb abbittend tam eß, be-
gleitet Don einem zerknirschten Mär-
threrblic, Don Franzens ßippen:
„EinenIgel— au!"
Daß Gesicht Brandhubers unb seine
getnidte Leidensstellung maren berart
überwältigend, bafe Anbreß laut auf-
fachte. „DaS sieht Ihnen ähnlich!
Einen Igel! Ra, ich will bießmal
für den Marsch ein Auge zudrücken.
Weil Sie ihn nun schon mitgenommen
haben, foßen Sie ihn auch behalten.
Daß mirb Sie vielleicht von Ihrer
Igelsucht turiren. Wache, habt acht!
Schultert--marsch!"
Raum in ber Raferne angetommen,
riß sich Frans sein Folterwerkzeug
Don ber Schulter unb schmiß eS in
eine Ede, mo eß laut aufquietschend
Zu Boben fiel. . "Ja, krepire bu
nur, bu Beeft!" zischte er unb fiel auf
baß erste beste Bett.
Der Unteroffizier theilte 1hm mit,
bafe ber ßeutnant ihn — Franz —
zum Rapport bestellt habe.
Also obenbrein noch eine Arrest-
strafe! Ra ja, baß hätte er sich wohl
denken können !
Mit bem Igel, ben er in einer,
alten Scheuerlappen eingewickelt hatte,
marf er fuh in einen Fiaker unb fuhr
nach Dornbach hinaus, um feiner
Schwester sein Schmirzensvieh gu
bringen.
Melanie, bie gar nicht gewusst
hatte, bafe ßeutnant Andres in dem-
selben Regiment ftanb, in bem suh
auch bie Freiwilligen - Abtheilung
ihres BruberS befanb, gab Franz
ben Auftrag, ihr zu telegraphiren,
menn Anbreß mal Kaserneninspektion
habe.
Daß mar zufällig schon ben näch-
sten Tag ber Fall.
Gegen Abent betrat eine dichtver-
schleierte Dame bie Raserne unb sagte
bem Flurposten, er möge sie bei Leut-
nant Anbreß melben. . Dieser mar
gar nicht so sehr verwundert, als ihm
baß ber Posten melbete. . Denn seine
Schwester ober seine Cousine pflegten ,
ihn öfters zu besuchen, menn er In-
spektion hatte.
Ramenloß aber mar sein Erstaunen,
als bie Dame ihren Schleier hob:
„Fräulein Melanie Branbhuber! Sie
— bei mir?"
„Ja, um für meinen Bruber zu
bitten. Denn baß mit bem Jgel that
er boch mir zuliebe."
Sie hatte jedenfalls ziemlich lange
zu bitten. Denn erst nach einer Stun-
be verließ sie baß Inspektionszimmer.
Die Folge dieses Besuche* mar,
bafe Frans bie Strafe geschenkt murbe,
bafe ßeutnant Anbreß bald barauf bei
Brandhubers Visite machte, ber recht
Diele unb recht lange anbere folgten,
unb bafe nach einem Jahre, nachdem
Andres Oberleutnant gemorben mar,
bie Berlobung Melanies offiziell
murbe.
Der Igel aber murbe Don bem jun-
gen Paar heilig gehalten mie ber
3bis bei ben alten Aegyptern. Unb
stolz blickte Frans auf seine Wunben
im Rüden — bie einzigen, bie er im
Militärdienst erhalten; benn um thret-
mißen hatte er einen Schmager be«
tommen, ben er kolossal liebgewann.
Upcoming Pages
Here’s what’s next.
Search Inside
This issue can be searched. Note: Results may vary based on the legibility of text within the document.
Tools / Downloads
Get a copy of this page or view the extracted text.
Citing and Sharing
Basic information for referencing this web page. We also provide extended guidance on usage rights, references, copying or embedding.
Reference the current page of this Newspaper.
Heilig, G. A. La Grange Deutsche Zeitung. (La Grange, Tex.), Vol. 17, No. 41, Ed. 1 Thursday, May 23, 1907, newspaper, May 23, 1907; La Grange, Texas. (https://texashistory.unt.edu/ark:/67531/metapth1617414/m1/2/: accessed May 5, 2024), University of North Texas Libraries, The Portal to Texas History, https://texashistory.unt.edu; crediting Fayette Public Library, Museum and Archives.