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Fromageot, Matthias

Kollegiale Beratung

Die Gruppe ist klüger als der Einzelne

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 5/2019 , musikschule )) DIREKT, Seite 04

Mit der kollegialen Beratung lernen Kollegien, sich nach Absprache fachbezogen zu unterhalten – wertschätzend, konzentriert und fokussiert. Dies wirkt sich auf Fachkonferenzen und im Einzelgespräch gleichermaßen positiv aus, denn die Methode hebt die Fähigkeiten des Kollegiums zur Hilfestellung für andere. So wird das Gefühl von „Selbstwirksamkeit“ bei den Lehrkräften gestärkt, denn die Anregungen und Lösungsvorschläge kommen ausnahmslos aus der Gruppe.

Unsere Hauptressourcen sind die Kunst und das Bedürfnis, diese mit anderen zu tei­len. Letzteres nennt sich Pädagogik, wenn es nicht auf der Bühne, sondern im Unterrichtsraum stattfindet. Für unsere pädagogische Weiterentwicklung gehört der Austausch im Kollegium dazu. Kollegiale Beratung ist ein Baustein zur Professionalisierung unserer pädagogischen Arbeit. Ein weiterer ist das Angebot von Supervision oder professioneller Beratung. Hier sind die Musikschulleitungen gefragt.

Ich hab da was…

Man trifft sich, redet über ein Problem und erwartet vielleicht auch Ideen, die weiterhelfen. Die gutwilligen KollegInnen geben gerne gute Tipps und berichten vielfach selbst über ein ähnliches Problem, die Umstände, die dazu führten – und vergrößern so Ihren Fall… Oder erklären anhand Ihres Falles die Welt… Oder geben eine abschließende Bewertung… Oder entlasten sich selbst… All das führt ungewollt von Ihrem Prob­lem weg und Ihr Faden ist verloren gegangen.
Kollegiale Beratung ist ein niedrigschwelliges Selbstberatungsformat für Teams, deren Mitglieder hierarchisch auf gleicher Stufe stehen. Sie folgt klaren Regeln und Zeitvorgaben, die es ermöglichen, innerhalb von 45 Minuten ein Beratungsergebnis zu erzielen. Der Charme der Methode ent­steht – bei Einhalten der Regeln – durch die kurze Beratungszeit. Das sehr einfache Regelwerk gewährleistet die folgenden Standards, für deren Einhaltung die Moderation zuständig ist:
– Es wird weder bewertet noch interpretiert.
– Es wird beraten, ohne zu diskutieren.
– Der Fallerzähler steht im Mittelpunkt, nicht die eigene Meinung.
– Psychologische Interventionen gehören in professionelle Hände – es gibt in der kollegialen Beratung keine Küchenpsychologie.

Los geht’s

Die Initiative für die kollegiale Beratung an Musikschulen ging vom Landesverband der Musikschulen in NRW aus. In Nordrhein-Westfalen treffen sich Musikschulleitungen regelmäßig in sogenannten Inter­visionsgruppen, um sich gegenseitig kollegial zu beraten.
Es gibt mehrere Varianten der kollegialen Beratung und das Internet hält viele davon bereit. Die hier vorgestellte Variante in sechs Phasen ist am klarsten strukturiert. Unter Anleitung eines Moderators beraten alle Teilnehmer einen Fall und suchen nach Anregungen und Lösungsideen, die den Fallerzähler in seiner Fragestellung unterstützen.
– Die Teamgröße besteht aus ca. sechs bis zwölf Personen.
– Es gelten die allgemeinen Gesprächsregeln: Vertraulichkeit, Zuhören, Ausreden-Lassen, wertschätzender Umgang…
– Es nimmt kein professioneller Berater teil.
– Die Rolle sind austauschbar: heute Moderator, morgen Fallerzähler.
– Die Beratung findet in sechs Phasen statt, deren Ablauf und Methode allen Teilnehmenden bekannt sind.
– Jeder ist am Prozess aktiv beteiligt.
– In der Kürze liegt die Würze.
– Der Moderator steuert den Prozess und wird von allen als solcher anerkannt.
Zwei Umstände sind für das Gelingen unerlässlich: die Vertraulichkeit und die Abwesenheit von Vorgesetzten. Beide Gebote schützen Fallgeber und Gruppe. Die Vertraulichkeitsverabredung wird jedes Mal aufs Neue geschlossen, mit der Ausnahme von Gefährdungslagen für Schülerinnen und Schüler. Der Ablauf einer Beratung ist nachfolgend skizziert, die Zeitangaben sind nicht verbindlich, aber sinnvoll.

1. Rollenverteilung (5 min)

– ModeratorIn, FallerzählerIn, kollegiale BeraterInnen, SekretärIn, ZeitnehmerIn

2. Fallerzählung (10 min)

– Fiktive, bereits abgearbeitete Fälle sowie Fragen, auf die Sie selbst keinen Einfluss haben, können nicht beraten werden.
– Die Fälle müssen nicht vorbereitet sein.
– Die Gruppe hört nur zu.
– Verständnisfragen zulässig – Achtung: kei­ne Rückmeldungen an den Fallerzähler, keine erweiternden Fragen!

3. Schlüsselfrage (5-10 min)

– Verdichten der Fallerzählung auf eine Fra­­ge, die das Ziel der Beratung und den Wunsch an die Gruppe beinhaltet.
– Hat der Fallerzähler Schwierigkeiten bei dieser Frage, hilft die Gruppe. Das letzte Wort hat immer der Fallerzähler.
– Lässt sich keine Schlüsselfrage verdichten, ist die Beratungsmethode: „Schlüsselfrage finden“.
– Der Sekretär notiert die Schlüsselfrage für alle sichtbar am Flipchart.

4. Beratungsmethode (5 min)

– Fallerzähler und BeraterInnen tauschen sich über die Methodenwahl aus.
– Der Moderator erläutert eventuell die Methoden.
– Der Moderator erläutert nach Festlegung auf eine Methode die genaue Vorgehensweise in dieser Methode
– Beratungsmethoden (Auswahl):
> Brainstorming: Kurz und schnell Gedanken äußern.
> Ein erster Schritt: …mit dem du morgen anfangen kannst.
> Gute Ratschläge: Jeder Satz beginnt mit „Ich rate dir…“
> Erfolgsmeldung: So tun, also ob der Erfolg schon eingetreten sei, und in einfachen Sätzen benennen, was dafür rückblickend hilfreich war.
> Schlüsselfrage finden

5. Beratung (10-15 min)

) Der Fallerzähler hört nur zu und nimmt eventuell außerhalb des Teams Platz.
) Der Moderator hat die „Lizenz zum Eingreifen“: Es wird nur im gewählten Beratungsformat gearbeitet, ohne Rückfragen an den Fallerzähler, ohne Diskussion der BeraterInnen untereinander und ohne Kom­mentieren der Beiträge. Das ist wichtig.
) Der Sekretär notiert die Beiträge für alle sichtbar am Flipchart. Sind die Beiträge so nicht aufzuschreiben, hilft eine Nachfrage: „Ich brauche bitte einen Satz.“

6. Abschluss (5 min)

– Rückmeldung vom Fallerzähler, was an Ideen hilfreich ist.
– Dank und Feedback an den Moderator.
– Übergabe der Aufzeichnungen am Flipchart durch den Moderator als „Geschenk der Gruppe“.
– Keine weiteren Kommentare zum Fall!

Was geht kollegial…

– Pädagogische Themen (In meiner Gruppe ist jemand, der immer stört…)
– Fragen aus dem unmittelbaren Unterrichtskontext (Schülerin XY hat mir etwas Schwieriges erzählt, wie gehe ich damit um?)
– Organisatorische Fragen (Wie wird die Veranstaltung ein Erfolg?)
– Fragen zur beruflichen Weiterentwicklung (Ich weiß nicht, welche Fortbildung ich besuchen kann…)
– Probleme mit Vorgesetzten (Wie beginne ich das Gespräch mit XY?)

…und was braucht einen Profi

– Spannungen zwischen Anwesenden
– Fragen, deren Lösung andere Gruppenmitglieder betreffen
– Persönliche Themen, die sich beruflich auswirken
– Themen, die alle TeilnehmerInnen gleichermaßen betreffen

Die gute Nachricht zum Schluss

Kollegiale Beratung kann leicht erlernt wer­den – es gibt kein Hexenwerk, es wird mit Wasser gekocht. Teams benötigen einen ganztägigen Fortbildungstag, einen Auffrischungstag sowie Bereitschaft und Gelegenheit, kollegiale Beratung regelmäßig zu praktizieren. Das kann beispielsweise in Fachkonferenzen oder speziellen Treffen sein. Die Fortbildung in kollegialer Beratung wird in der Regel durch SupervisorInnen oder speziell ausgebildete TrainerInnen durchgeführt, sodass auch die Abgrenzung zur Supervision für die lernenden Teams klar erkennbar wird.
Weitere Informationen zur kollegialen Beratung an Musikschulen erhalten Sie über kontakt@lvdm-nrw.de oder den Autor.