• Matthias  Aeschbacher  vom Schwingklub Sumiswald (oben)  war  im Schlussgang  gegen  Joel Wicki der aktivere Schwinger und stand mehrmals ganz nahe am Sieg. Am Ende holte aber der 25-jährige Sörenberger den Königstitel. · Bilder: Barbara Loosli und Stefan Leuenberger

  • Im siebten Gang besiegte «Disu» den Halbzeit-Leader Adrian Odermatt aus Liesberg.

  • Schwingerkönig Stucki «Chrigu» gratuliert Konrad Steffen zum ersten ESAF-Kranzgewinn.

  • Kurz vor der Krönung bedankt sich Matthias Aeschbacher bei seinen Fans.

  • Die Sumiswalder Vereinskollegen trösten «Disu» nach dem knapp verlorenen Schlussgang.

30.08.2022
Sport

Matthias Aeschbachers Traum ist nicht geplatzt – nur aufgehoben

Die Schweiz hat einen neuen König. Er heisst Joel Wicki (25) und kommt aus Sörenberg. Beim grössten Schweizer Sport- und Volksfest des Jahres in Pratteln schafft es der 30-jährige Matthias Aeschbacher aus Rüegsauschachen in den Schlussgang. Trotz einer Glanzleistung unterliegt das Mitglied des Schwingklubs Sumiswald im finalen Kampf, obwohl er diesen dominiert. Neben «Disu» gewinnt auch sein Sumiswalder Klubkollege Konrad Steffen den begehrten Kranz.

Schwingen · «Wegen meiner Leistung im Schlussgang bin ich trotz der schmerzhaften Niederlage mit meinem Auftritt zufrieden», zog Matthias Aeschbacher Bilanz. «Ich habe mich sehr gut auf den letzten Kampf vorbereitet, war geladen und habe alles probiert.» Der auf 16 Minuten angesetzte Endkampf am Sonntag kurz nach 17 Uhr elektrisierte das Publikum. Beide Schwinger wussten, dass nur ein Sieg zum Königstitel reichen würde. «Disu» trat neben seiner explosiven Art und mit seinen Bärenkräften auch mit einer enormen Entschlossenheit auf. Dies brachte Wicki, der in seinem gestellten siebten Kampf gegen den Guggisberger Fabian Staudenmann sehr viele Körner verbrauchte, in grösste Schwierigkeiten. Der Rüegsauschacher powerte munter drauf los, verblüffte und begeisterte damit. «Wicki ist schnell und verfügt über eine ausgezeichnete Rumpfspannung. Ich hatte ihn nie ganz ‹pfannenfertig›, um am Boden zu vervollständigen. Es wäre immer noch ein Griffwechsel nötig gewesen», erklärte das Aushängeschild des Schwingklubs Sumiswald.

Elf Angriffe im Schlussgang
Aeschbacher setzte zu elf Angriffen an, wovon er Wicki sechsmal mit dem Rücken ins Sägemehl bettete – allerdings nicht wie für ein gültiges Resultat nötig auf beide Schulterblätter. Verteidigungskünstler Wicki – mit bloss fünf offensiven Schlussgang-Aktionen zu Buche stehend – setzte dann zum
grossen Coup an. Mittels Ableeren über das Knie drehte der bloss 182 cm grosse Sörenberger den Schlussgang-Dominatoren nach fulminanten 12:42 Minuten Kampfdauer gültig auf den Rücken. Nach dem Schlussgang-Abnützungskampf bei heissem Wetter, der in der Schwingsport-Szene seinesgleichen sucht, blieben beide Sägemehlgladiatoren vor Erschöpfung liegen, ehe sie sich freundschaftlich umarmten und beglückwünschten. «Ich war mehrere Male in Bedrängnis. Körperlich war ich am Ende. Doch im Kopf wollte ich diesen Titel nicht weggeben. Dank meinem Willen konnte ich mit Matthias Aeschbacher, vor dem ich meinen Hut ziehe, einen sehr guten Schwinger bezwingen», sagte der neue König zum finalen Sieg. Der Maschinenmechaniker und Landwirt aus dem Skiort krönte seine Karriere und gewann den 55. Kranz. «Aeschbacher hat alles richtig gemacht. Es hat ganz wenig gefehlt. Er hat sich überhaupt nichts vorzuwerfen. Er war Teil eines Spektakels», meinte der dreifache Toggenburger Schwingerkönig Jörg Abderhalden, der am Sonntag seinen 43. Geburtstag feierte. «Es war unglaublich. Diese Energie. Beide Schwinger sind top ‹zwäg›. Es war wunderbar zum Zuschauen», fand der Berner Schwingerkönig Matthias Sempach.

Verrückter Festverlauf
Damit es überhaupt zum Schlussgang Wicki gegen Aeschbacher kam, brauchte es einen verrückten zweitägigen Wettkampfverlauf. Nachdem der absolute Kronfavorit Samuel Giger (Ottoberg) früh strauchelte, standen neben den Schlussgang-Teilnehmern vor allem Pirmin Reichmuth (Steinen), Halbzeit-Leader und Überraschungsmann Adrian Odermatt (Liesberg) sowie Fabian Staudenmann (Guggisberg) im Fokus. Für Aeschbacher ideale Resultate in den beiden letzten Gängen stellte die Rangliste aber noch einmal auf den Kopf. «Nach der Blitz-Niederlage im sechsten Gang gegen Joel Wicki waren meine Hoffnungen praktisch weg. Doch nach dem Sieg über Adrian Odermatt im vorletzten Gang und dem Gestellten zwischen Staudenmann und Wicki im siebten Durchgang hat es tatsächlich noch gereicht.» Der nun 77-fache Kranzgewinner nennt den achten Kampf als sein klares Highlight. «Beim ersten Aufeinandertreffen mit Wicki im sechsten Gang zeigte ich meine klar schlechteste Leistung. Ich war viel zu passiv. Im Schlussgang war ich parat. Erfreulich waren natürlich auch die Siege gegen Werner Schlegel und Marcel Bieri.»

Schweizweit bekannt
Mit seinen vergangenen Wettkämpfen und Erfolgen hat sich «Disu» in der Schwingerszene einen Namen geschaffen. Mit dem beherzten Auftritt im ESAF-Schlussgang kennt ihn nun die ganze Schweiz. «Vor über 50 000 Leuten im Fokus zu stehen, ist schon grob. Wie sich mein Auftritt auf meine zukünftige Laufbahn auswirkt, wird sich zeigen.» Der 30-Jährige erhielt für seinen Erfolg im Rang 4a einen Lebendpreis. «Viele Leute haben mich in den letzten Monaten unterstützt. Allen voran meine Ehefrau Madlen. Aber auch mein Sohn Nino, der mir so viel Energie verlieh. Dann natürlich das gesamte Umfeld mit Familie, Trainern sowie den Sumiswalder und Berner Kantonalverbands-Schwingkollegen. Ihnen allen ein grosses Dankeschön», lobte Aeschbacher.

«Disu» unterstützt die Jungen
«Es ist wunderbar, wenn ein Sumiswalder den Schlussgang bestreiten kann. Von ‹Disu› können wir jüngeren Schwinger in jedem Training profitieren», sagte Vereinskollege Simon Röthlisberger, der in Pratteln als Berner Ersatzschwinger lediglich als Motivator am Rand der Arena zum Einsatz kam. Und was für ein toller Teamsportler «Disu» ist, bewies er am Samstag. Unmittelbar nach seinem Sieg im zweiten Gang gegen Michael Zurfluh (Attinghausen) war er schon auf dem Weg ins Berner Mannschaftszelt aus-serhalb der Arena, um sich optimal auf die nächsten Kämpfe vorzubereiten. Als er erkannte, dass der 18-jährige Newcomer und Sumiswalder Kollege Adrian Aebersold im Einsatz stand, kehrte er um, setzte sich an den Sägemehlrand und feuerte den Jungspund an. Eben ein Vorbild.

Weitere ESAF-Teilnahmen geplant
«Er ist ein so harter Krampfer. Er hat in den letzten Jahren immer wie mehr in das Schwingen investiert. Für die harte Trainingsarbeit bekommt er nun den verdienten Erfolg», meinte Damian Gehrig, langjähriger Weggefährte und jetziger Jungschwinger-Leiter beim Schwingklub Sumiswald, über seinen Freund. Doch ist Aeschbacher gewillt, diesen enormen Aufwand auch weiterhin zu betreiben, um ganz vorne mitzuschwingen? «Ich werde weiterhin ‹volle Pinte› geben, da mir das Schwingen grosse Freude bereitet. Mein Masterplan sieht das ESAF in Thun als Höhepunkt», verrät Aeschbacher. Definitiv ist der Traum des Rüegsauschachers nicht geplatzt. Nur aufgehoben. Und es muss nicht zwingend sechs Jahre dauern, bis «Disu» zuschlägt. Joel Wicki hat 2019 am letzten «Eidgenössischen» den Schlussgang gegen den Lysser Christian Stucki verloren. Drei Jahre später krönte er sich in Pratteln zum König. Gute Perspektiven für das ESAF 2025 im Glarnerland für den sympathischen und bärenstarken Matthias Aeschbacher ...

Erstkranzer Konrad Steffen
Verständlicherweise standen die restlichen zehn regionalen Schwinger etwas im Schatten des nun zweifachen Kranzgewinners am «Eidgenössischen». Doch mit Konrad Steffen holte ein zweiter Sumiswalder Schwinger das begehrte Eichenlaub. «Ich mag es ‹Könu› von Herzen gönnen», sagte «Disu». Der 28-jährige Ingenieur Holzbau konnte bei seinem bisherigen Karrieren-Highlight fünf seiner acht Gänge gewinnen und Kranzrang 7e belegen. «Mein Sieg im letzten Gang um den Kranz gegen Werner Suppiger werde ich nie mehr vergessen», meinte der Turnerschwinger, der sein zweites ESAF erlebte (2019 Rang 13 k). Apropos Werner Suppiger: Der 31-jährige Wauwiler, der früher für einige Zeit in Ufhusen lebte, sorgte an seinem fünften Eidgenössischen Schwingfest für einen der spektakulärsten Momente überhaupt. Im dritten Gang gegen den Berner Thomas Sempach konnte sich Suppiger während über einer Minute kopfüber im Sägemehl mit schnurgerade zum Himmel gestreckten Beinen halten, ehe er sich geschlagen geben musste. Zurück zu Kranzgewinner Konrad Steffen: «Die Niederlagen gegen die ‹Eidgenossen› Nick Alpiger und Armon Orlik gingen in Ordnung.» Der 15-fache Kranzgewinner setzte sich das Eichenlaub zum Ziel. «Ich habe von den älteren Sumiswalder Schwingern gelernt, dass man sich hohe Ziele setzen sollte, um einen Schritt vorwärts zu machen. Ich habe vom Kranzgewinn geträumt. Nun wurde dieser Traum Realität. Ich bin einfach nur happy.» Eiskalt lief es Steffen den Rücken hinunter, als er von der stets lautstarken Berner Zuschauerwand für seinen Kranzgewinn abgefeiert wurde.    

Berner Machtdemonstration
Wie immer an den vergangenen Eidgenössischen Schwingfesten waren die Berner das Mass aller Dinge. Nach 15 Kränzen in Zug 2019 gewinnen die Berner in Pratteln sogar 17 der 44 verteilten Kränze. Die restlichen Verbände: 10 Nordostschweizer, je 7 Innerschweizer und Nordwestschweizer sowie 3 Südwestschweizer. Was für eine Machtdemonstration. Mit einem kleinen, aber nicht ganz unwichtigen Schönheitsfehler: Erstmals seit 2007 und den Königen Kilian Wenger, Matthias Sempach, Matthias Glarner und Christian Stucki kommt der Schwingerkönig nicht aus dem Bernbiet. Mit Joel Wicki schwingt sich erstmals seit Harry Knüsel 1986 ein ISV-Athlet auf den Thron.

Auszug aus der Rangliste: 1. Joel Wicki, Sörenberg, 77,50; 2a. Fabian Staudenmann, Guggisberg, 76,75; 2b. Nick Alpiger, Seon, 76,75; 2c. Domenic Schneider, Friltschen, 76,75; 3. Adrian Odermatt, Liesberg, 76,25; 4a. Matthias Aeschbacher, Rüegsauschachen/SK Sumiswald, 76,00; 4b. Werner Schlegel, Hemberg, 76,00; 4c. Pirmin Reichmuth, Steinen, 76,00; 4d. Curdin Orlik, Thun, 76,00; 5a. David Schmid, Wittnau, 75,75; 5b. Kilian Wenger, Horboden, 75,75; 5c. Michael Bless, Gais, 75,75; 5d. Samuel Giger, Ottoberg, 75,75; 6a. Michael Ledermann, Mamishaus, 75,50; 6b. Thomas Sempach, Heimenschwand, 75,50; 6c. Lukas Döbeli, Sarmenstorf, 75,50; 6d. Stefan Gäumann, Häutligen, 75,50; 6e. Bernhard Kämpf, Sigriswil, 75,50; 6f. Armon Orlik, Maienfeld, 75,50; 7e. Konrad Steffen, Koppigen/SK Sumiswald, 75,25. – ohne Kranz: 13a. Gustav Steffen, Sumiswald/SK Sumiswald, 73,75; 14i. Philipp Gehrig, Heimisbach/SK Sumiswald, 73,50; 16g. Florian Weyermann, Schüpbach/SK Langenthal, 73,00; 16m. Dominik Zangger, Ufhusen/SK Langenthal, 73,00; 17j. Roman Sommer, Langnau/SK Sumiswald, 72,75; 21c. Valentin Steffen, Grünen/SK Sumiswald, 71,75; 27h. Adrian Aebersold, Walterswil/SK Sumiswald, 54,00; 28f. Thomas Kropf, Langenthal/SK Kirchberg, 53,75; 29a. Fabian Aebersold, Walterswil/SK Sumiswald, 53,50.

Von Stefan Leuenberger