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Mensch

Hier rätseln Forscher: Besitzt der Mensch einen Magnetsinn?

Von mo

23 Februar, 2022

Burda

3d illustration of headache human, x-ray medical concept.
Besitzen Menschen ebenso einen Magnetsinn wie Zugvögel, Hummer, Meeresschildkröten, Schnecken, Frösche und manche Bakterienarten?
(GettyImages)
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Ein Sinn, der Magnetfelder erspüren kann: Bakterien haben ihn, ebenso Brieftauben und wie sich jetzt zeigte, vermutlich auch der Mensch. Dies ergab eine Studie, die eine Forschergruppe um den Biophysiker Joe Kirschvink vom California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena durchführte. Veröffentlicht wurde sie im Fachjournal „eNeuro“.

Forscher messen mit EEG Gehirnströme der Probanden

Kirschvink und seine Kollegen untersuchten bei 34 Versuchspersonen, wie sich wechselnde Magnetfelder auf die Aktivität des Gehirns auswirken. Dazu setzen sie die Probanden in eine abgedunkelte Aluminiumkammer, die sie vor elektromagnetischer Strahlung wie etwa Radiowellen abschirmte. In der Kammer waren große Spulen installiert, die bei Stromdurchfluss schwache Magnetfelder erzeugten. Deren Stärke glich der des Erdmagnetfelds in Bodennähe, in Deutschland beträgt sie 48 Mikrotesla. „Das ist etwa 100.000mal schwächer als bei einem Kernspintomographen“, erklärt Studienhauptautorin Connie Wang.

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Mit den Spulen ließ sich das Magnetfeld simulieren, das in den mittleren Breiten der nördlichen Hemisphäre der Erde herrscht. Dessen Feldlinien laufen in einem steilen Winkel auf die Erdoberfläche zu. In der Versuchsanordnung konnten die Forscher das Magnetfeld drehen, was den Drehungen des Kopfes einer Person entsprach. Dabei maßen sie die Hirnaktivität der Probanden per Elektroenzephalografie (EEG). Dabei wird die bioelektrische Aktivität bestimmter Gehirnregionen erfasst. Das EEG zeichnet dazu in vier Wellenlängenbereichen – den Alpha-, Beta-, Theta- und Delta-Wellen – rhythmische Spannungsschwankungen auf.

Experiment weißt asymmetrische Reaktionen auf

In einem der Experimente simulierten die Forscher durch Drehung des Magnetfelds eine Richtungsänderung von Nordost nach Nordwest; dies entsprach raschen Drehungen des Kopfes von links nach rechts. Prompt wurden die Alpha-Wellen um bis zu 60 Prozent schwächer – aber nur bei vier der in Ruhe befindlichen Probanden. Bei Feldänderungen in die umgekehrte Richtung war jedoch kein Effekt messbar. „Eine solche asymmetrische Reaktion hatten wir nicht erwartet“, bekennt Wang. Die Ursachen dafür sind unklar, es könnte sich aber um eine individuelle Eigenart handeln, so wie Rechts- oder Linkshändigkeit, vermuten die Studienautoren.

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Forscher vermuten, dass der Magnetsinn bei Ur- bzw. Frühmenschen noch stärker ausgeprägt war
(GettyImages)

Dafür reagierten die Gehirne weiterer Versuchspersonen auf Änderungen im Neigungswinkel der Feldlinien, was einer Wanderung von der Nord- auf die Südhalbkugel der Erde entsprach. „Es ist bekannt, dass die Stärke der Alpha-Wellen abnimmt, wenn das Gehirn ein Signal registriert, sei es ein visueller Eindruck, ein Geräusch – oder eben ein magnetischer Prozess“, schreibt dazu das Wissenschaftsjournal „Science“. Insgesamt zeigten sich die Effekte jedoch nur bei einem Drittel der Versuchsteilnehmer.

Phänomen wird bereits seit den 80er-Jahren untersucht

Die Frage ist nun, ob der Mensch ebenso einen Magnetsinn besitzt wie Zugvögel, Hummer, Meeresschildkröten, Schnecken, Frösche und manche Bakterienarten. Diese verfügen über eine Art eingebautes Navigationssystem, das sich an den Linien des Erdmagnetfelds orientiert. Darüber diskutierten Neurowissenschaftler bereits in den 1980er Jahren. Doch in der Folgezeit durchgeführte Untersuchungen blieben ohne Ergebnis. Im Jahr 2002 unternahm eine weitere Forschergruppe ebenfalls mittels EEG weitere Versuche, doch die Gehirne ihrer Probanden zeigten keine Reaktion auf sich wandelnde Magnetfelder.

Mittlerweile stehen aber bessere Methoden zur Datenanalyse zur Verfügung. Deshalb beschloss Kirschvink, einen neuen Anlauf zu nehmen. Dass er aber nur teilweise Erfolg hatte, erscheint rätselhaft, denn theoretisch könnte ein Magnetsinn auch beim Menschen existieren. Womöglich war er bei Ur- bzw. Frühmenschen noch stärker ausgeprägt und half ihnen, sich auf ihren Jagdzügen zu orientieren und den Weg zurück in ihre Lagerstätten oder Höhlen zu finden.

Besitzt der Mensch noch einen Teil seines Magnetsinns?

Im Verlauf der Evolution könnte sich der Magnetsinn bei den meisten Menschen dann zurückgebildet haben oder ganz verloren gegangen sein. Bei einem Teil der Weltbevölkerung blieb er aber erhalten. „Entweder wir verloren ein ursprüngliches magnetosensorisches System, oder das System weist eine neurale Aktivität auf, die wir aber nicht bewusst wahrnehmen können“, heißt es in der Studie. „So viele verschiedene Geschöpfe besitzen den Sinn, so dass wir glauben, dass Menschen zumindest eine Restfunktion davon aufweisen, selbst wenn wir das in unserem Alltag nicht mehr bemerken“, ergänzt Wang im Forschungsportal „LiveScience“.

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Mechanismus des Magnetsinns möglicherweise durch Magnetitkristallen

Noch wissen die Forscher nicht, auf welchen biochemischen Mechanismen der Magnetsinn beruht. „Ich bin nicht überrascht, dass es einen Effekt gibt“, konstatiert die Biologin Margaret Ahmad von der Sorbonne in Sorbonne in Paris, die nicht an der Studie beteiligt war. „Es gibt etwas in Zellen, dass sich in Anwesenheit eines Magnetfelds ändert. Wir sehen es in menschlichen embryonalen Nierenzellen.“ Ein Effekt in Hirnzellen sei sicher in ähnlicher Weise vorhanden.

Bei so genannten magnetotaktischen Bakterien ist der Mechanismus bekannt: Sie enthalten Ketten von „Magnetosomen" im Zellinneren. Diese bestehen aus winzigen Kristallen des magnetischen Eisenminerals Magnetit. Sie ermöglichen den Mikroben, die am Grunde von Gewässern leben, anhand der Magnetfeldlinien oben und unten zu unterscheiden und jene Wasserschichten anzusteuern, die ihnen gute Wachstumsbedingungen bieten. In Schnäbeln von Vögeln und Fischmäulern fand sich ebenfalls Magnetit – und auch im menschlichen Gehirn, wo Studienleiter Kirschvink es schon vor Jahrzehnten entdeckte.

Magnetitkristalle kommen auch im menschlichen Gehirn vor

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In einer im Sommer 2018 veröffentlichten Studie fand der Geophysiker Stuart Gilder von der Münchener Ludwig-Maximilian-Universität heraus, dass die Kristalle im ganzen Hirn verteilt vorkommen, sie aber im Hirnstamm und dem Kleinhirn – also den evolutionär ältesten Teilen des menschlichen Denkorgans – besonders hoch konzentriert sind. Das Magnetit, schlussfolgerte Gilder, müsse also einen biologischen Zweck haben, und den wollen seine Caltech-Kollegen nun entdeckt haben.

Zwar glauben andere Wissenschaftler, der Magnetsinn beruhe auf einem Protein namens Cryptochrom, das in der Netzhaut der Augen vorliegt und als Fotorezeptor für blaues Licht fungiert. Doch angesichts der Entdeckung des Münchener Forschers Gilder neige sich die Waagschale nun zugunsten des Magnetits, sagen Kirschvink und seine Kollegen.

Kausalität wird noch infrage gestellt

Ist eine Veränderung in Hirnwellen aber schon ein Sinn? Manche Forscher bezweifeln das. Zu ihnen zählt der Biophysiker Thorsten Ritz von der University of California in Irvine. „Wenn ich meinen Kopf in einen Mikrowellenherd stecke und den einschalte, sehe ich Auswirkungen auf meine Hirnwellen“, betont Ritz. „Das heißt aber nicht, dass ich einen Mikrowellen-Sinn besitze.“ Es wäre überzeugender, wenn sich anhand des menschlichen Verhaltens zeigen ließe, dass das Hirn magnetische Informationen verarbeitet.

Eine Untersuchung südkoreanischer Forscher deutet darauf hin, dass dies tatsächlich der Fall sein könnte. Im Fachjournal „Plos One“ berichten sie, dass Männer, die 20 Stunden im Dunkeln und ohne Sinnesreize gefastet hatten, sich häufig in eine Richtung bewegten, die mit einer früheren Nahrungsaufnahme zusammenhing.

Möglicher Magnetsinn des Menschen wirft weitere Fragen auf

Wie es um den mutmaßlichen Magnetsinn tatsächlich bestellt ist, können nur Folgeuntersuchungen zutage fördern, da sind sich die beteiligten Wissenschaftler einig. Kirschvink’s Gruppe arbeitet dazu bereits an einigen Experimenten – etwa, um herauszufinden, wie Drehungen des künstlichen Magnetfelds die Richtungserinnerung von Probanden beeinflussen. Andere Versuche sollen zeigen, ob sich magnetische Empfindungen nicht doch ins Bewusstsein rufen lassen.

Würde der Magnetsinn tatsächlich existieren, seien mögliche Probleme zu klären, mahnt Kirschvink. So könnten die Magnete in Kopfhörern die Richtungswahrnehmung von Piloten beeinflussen, und durch Untersuchungen in Kernspintomographen seien Änderungen im Magnetsinn möglich. Diese Besorgnisse will der Caltec-Biophysiker demnächst bei einem Expertentreffen am United Kingdom’s Royal Institute of Navigation im britischen Egham vortragen. Dann, sagt Kirschvink, habe er für die skeptischen Zuhörer endlich Daten in der Hand.

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