The Man in Search of his Murderer

Originaltitel: Der Mann, der seinen Mörder sucht. (Jim, der Mann mit der Narbe.) Groteske 1931; 97 min.; Regie: Robert Siodmak; Darsteller: Heinz Rühmann, Lien Deyers, Raimund Janitschek, Hermann Speelmans; Ufa-Klangfilm.

Ein junger Mann, ob seiner Schulden lebensüberdrüssig, beauftragt einen Einbrecher ihn zu töten. Verliebt sich in ein Mädchen, möchte wieder Leben, sucht nach seinem Mörder, um den Auftrag zu widerrufen. In letzter Minute gelingt es.

Zusammenfassung
„Menschenskind, warum glaubst du bloß
Grade Dein Schmerz, Dein Leid, wären riesengroß . . . .“
So denkt sich kopfschüttelnd der Mond, der gerade gegen Mitternacht bleich und gespenstisch – wie sich das gehört – in Hans Herforts Dachwohnung scheint. Denn der jugendliche Besitzer, sichtbar ein ganz hübscher Mensch, unsichtbar jedoch von seiner Schuldenlast bereits halb erdrückt, will sich gerade vermittels einer Pistole das Leben nehmen. Was läßt er schon zurück auf dieser Welt? Enttäuschungen, Gläubiger und eine Lebensversicherungspolice, an der die Wucherer sich schadlos halten mögen . . . Also los! Die Hand mit der Waffe hebt sich – verdammt langsam, der Lauf ist auch so kalt an der Schläfe, – bereit, und vor ihm steht – ein mit allem Komfort der Neuzeit ausgestatteter Einbrecher. Die Herren machen sich miteinander bekannt, Kuttlapp, Otto Kuttlapp heißt der ungebetene Gast, sonst ein ganz netter Kerl, mit dem sich reden läßt. Es sind schlechte Zeiten für die Herren Ganoven, nirgends bares Geld, viele Kollegen daher „arbeitslos“, und auch Kuttlapp würde sich gern mit ein paar Tausendern zur Ruhe setzen –. Ein Wort gibt das andere, und schließlich kommt ein Vertrag zustande, in dem Herr Otto Kuttlapp sich verpflichtet, Herrn Hans Herfort bis 12 Uhr mittags am nächsten Tage vom Leben zum Tode zu befördern, gegen M. 15000.– aus der Versicherungssumme der Columbia-Gesellschaft,
Auf diese Weise ist allen geholfen, Herforts Gläubigern sowohl, die bei Selbstmord ausgefallen wären, und Otto Kuttlapp, der sich mit den 15000 Mark nach verbüßter Strafe zur Ruhe setzen könnte.
Wie, wo und wann Kuttlapp seinen Partner „erledigt“, bleibt ihm überlassen, nur der Termin steht fest, Hans kann also, als Kuttlapp verschwunden ist, ruhig noch einen Henkerbummel machen in seine Stammbar, – sein Mörder wird ihn schon finden . . .
Die Damen in der Tanzbar sind alle stark beschäftigt.
Am Montag hab’ ich leider keine Zeit,
Am Dienstag hab’ ich leider keine Zeit,
Am Mittwoch habe ich ein bißchen,
Am Donnerstag hab’ ich wieder keine Zeit,
Am Sonntag reicht’s für ein Küßchen.
Da will es das Schicksal, daß gerade an diesem Abend, als Herfort zum letztenmal seine Stammbar aufsucht, ein reizendes junges Mädchen namens Kitty auf nicht alltägliche Weise in sein so kurz befristetes Leben tritt. Während er Kitty, die seinen Schutz angerufen hatte, im Auto nach Hause bringt, explodiert, am falschen Fleck Kuttlapps Höllenmaschine . . . Kitty aber, die sich sofort in Herfort verliebt hat, will den Unglücklichen am Leben erhalten, sie redet ihm seine Todesabsichten so gründlich aus, daß er entschlossen ist, weiterzuleben. – Aber – wo ist Kuttlapp, der Mann mit dem Vertrag, der Höllenmaschine und dem Schießgewehr? Kitty hat eine Idee! Er muß den Vertrag zurückgeben. Den Preis muß die Columbia zahlen, die ja an Herforts Leben das größte Interesse hat. Kuttlapps Adresse in der Palisadenstraße wird ermittelt. Er ist Mitglied des Vereines der „Herren von der weißen Weste“, einer gehobenen Verbrecherzunft, deren Bundeslied lautet:
Wo gibt’s noch Männer voller Biederkeit,
Wer bewahrt sich sein kindlich Gemüt im Sturm der Zeit,
Die Herren von der weißen Weste.
Wir bringen in ehrenhafter Weise
Die verkorktesten Dinge ins Geleise,
Wer mit uns marschiert, ist unser Vertrauter,
Denn unsre Herzen sind lauter, ja lauter.
Um Kuttlapp nicht mißtrauisch zu machen, wird Hans in ein Krankenauto verfrachtet und bis zur Unkenntlichkeit bandagiert. Aber Kuttlapp wittert Gefahr, springt in das Krankenauto, rast los mit Hans hinter sich auf der Bahre. 120 km-Geschwindigkeit! Vorbei an der Gedächtniskirche! Kurve! – Achtung! Halt! Kuttlapp! Halt!! Der Funkturm rast heran! Hans entsetzt, rascher Entschluß, Ätherpulle, Auto halt! Zurück zur „Weißen Weste“. Aber alles ist umsonst – Kuttlapp hat den Vertrag verkauft an – Jim, den „Mann mit der Narbe“, den dreimal lebenslänglichen Raubmörder, „unser Bester“ sagt Kuttlapp.
Verzweifelt stürmt Hans zur Polizei. Es gelingt ihm, verhaftet zu werden. Noch ein Verbrecher sitzt in der Zelle. Furchtbar! Es ist Jim! Der Gewaltmensch zwingt Hans, den er noch nicht kennt, mit ihm zu fliehen. Er muß ja bis 12 Herrn Herfort „erledigen“.
Kurz vor 12 stehen Hans und sein Mörder auf dem Dach vor Hansens Wohnung. Da sieht Hans den verhaßten Nebenbuhler von der Columbia mit Kitty im Zimmer. Rasend vor Eifersucht gibt er sich Jim zu erkennen, stürzt ins Zimmer, 5 Minuten vor 12! Kinnhaken für Columbia! Jim zückt Maschinenpistole, Wurfmesser, Dolch und Handgranate. 11.59 Uhr: Kitty hat Jim alles erklärt. Zu spät?!?? 12 Uhr! Die Handgranate kracht, nachdem Columbia Jim im letzten Moment ausgezahlt hat. Als der Rauch sich verzieht – uff – können die Männer von der „Weißen Weste“ ein glückliches Paar mit Handschellen fürs Leben verbinden.
Ein Glücklicher hat seinen Mörder doch noch gefunden!

Kritik (Hans Feld, Film Kurier #031, 02/06/1931):
Noch tönt der Nachhall des Lachens im Ohr, mit dem ein gut gelauntes Publikum die nächtliche Flucht Herfort-Rühmanns vor dem selbst gedungenen Mörder aufnahm.
Lachen über Lachen . . ., ein guter Start für die erste deutsche Tonfilm-Groteske. Wiederholte Bestätigung gleichzeitig für die Geradlinigkeit, mit der Erich Pommer seine Produktion ausbaut, von Film zu Film.

Jeder neue Pommer-Film vermittelt eine Summe neuer Eindrücke. Nirgendwo anders wird der ewige Wandel aller Filmdinge spürbarer als bei diesem schöpferischsten producer, dessen Arbeit Welt-Echo und Welt-Beachtung findet.
Sein erster Tonfilm leitete die neue Aera der Groß-Erfolge ein. Seither ist es in anderthalbjährigem, planmäßigem Ausbau weitergegangen: Ein klassisches Schauspiel, das den Welt – Standard der Ufaton – Marke offenbarte. (Zudem eine Frau, bis dahin falsch beschäftigt, in die vorderste Reihe stellte; und in allem die Internationalität des großen Wurfs wieder bewies.)
Dann: Die Schaffung der Tonfilm-Operette, mit konsequenter Weiterentwicklung des Stils. Sofort hinterher erfolgte die Auflösung der endgültig geformten Gattung in die musikalische Komödie. Immer weiter, neuen Zielen zu, neue Attraktionen häufend.
Es ist die ungewöhnlich glückliche Verbindung des Film-Realpolitischen mit dem künstlerischen Wollen, die den Werken der Pommer-Produktion den Stempel gibt. Jene Verbindung von Schaumanns-Kunst, der ständige Variation selbstverständlich erscheint; und formende, zu ständig anderen Aus Drucksformen drängende Inspiration.
Erich Pommer, der Filmgestalter, hat sich als Regisseur Robert Siodmak geholt. Der Mann, der die Vorhut innerhalb der Industrie führt, verpflichtete den Avantgardisten zur Tätigkeit in erweitertem Rahmen.
Aus dem Streben nach einer Erneuerung des Stoffs hat sich die Eroberung neuen Filmgebiets ergeben. Und es entstand der Versuch einer Tonfilm-Groteske.

Ein Kind ist geboren, gesund und kräftig. Schon gibt es ganz beachtliche Töne von sich, und wir alle wünschen und glauben, daß es gut weitergedeihen wird: Die kleine deutsche Groteske.
Ein ernsthaftes Volk, wie das Kontingent der deutschen Kinobesucher es einmal ist, wünscht auch beim Lachen das Warum zu wissen. Die Groteske, Endpunkt einer Kunstgattung, die nichts erzielen will als Entspannung und Heiterkeit, birgt ihren Sinn in des Unsinns Fülle.
Ihre Wirkungen bezieht sie aus der präzisen Folge der Ereignisse. Konzentration und Tempo sind Voraussetzung, der Kontrast der Situationen gibt den Ausschlag.
Das Ueberraschungsmoment im Grotesken erzeugt durch Spannungswechsel jenen Effekt, in dem der Besucher, besser orientiert als der ahnungslose Akteur, dessen Bemühungen, mit denkbar untauglichen Mitteln über des Objektes Tücke zu obsiegen, mit Lachen quittiert. Und die Erkenntnis, durch eine unvermutete, plötzliche Wendung selbst düpiert zu sein, verstärkt das Lachen des Betrachters zum Gelächter.
Diese Ueberspitzung von Ereignissen und Szenen-Aufbau, diese Divergenz von Schauspieler und Vorgang, dieser Reiz des vorausgewußten Eclats mit gleichzeitig unterbewußter Erwartung, es werde ja doch anders kommen –, das alles zusammen ergibt die Absurdität der Groteske.
Den Erfolg zwingt die Unmittelbarkeit, mit der die Häufung der Antithesen gerade das voraussetzungslose Publikum in den Bann des Geschehens lockt. Unwahrscheinlichkeiten werden gern akzeptiert, eben weil sie sich von der (miesen) Realität entfernen.
(Die Summierung notwendiger Gedankentätigkeit zur Vortäuschung einer Primitivität ist es, die den Weg zur Groteske erschwert.
Sorgsamste Durchfeilung letztes Raffinement . . . zur Erzielung äußerer Einfachheit – wenn Sie wissen wollen, wie ungeheuer schwer das ist, dann sehen Sie sich die Partitur von Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ an.)

Keine Frage, die Pommer-Leute hätten es leichter haben können. Auch Robert Siodmak hatte zweifellos die Möglichkeit, mit Themen, die ihm nicht weniger lagen, auf einen sicheren Erfolg auszugehen. Sie haben es nicht gewollt.
Mit einer unendlichen Mühe von Detail-Leistungen ist das Neuland schrittweise in Besitz genommen worden. Die Siodmak-Autoren, Bruder Kurt und Billie Wilder, wurden durch einen Mann aus Wien, den Feuilleonisten und Humoristen Ludwig Hirschfeld unterstützt, dem manche heitere Wendung im Dialog gutzuschreiben sein dürfte.
Bildwitz und Dialog-Pointe ergänzen einander. Noch in den Nebenlichtern, die Zutaten nur sind und doch für die Gesamtimpression so wichtig, wird die bei Pommer bekannte Splendidität offenbar: Auflösung eines Schlagers nicht nur ins Optische; sondern, mehr als das, sein völlig organisches Werden aus der Unterhaltung heraus. Eine Schreckensfahrt im Krankenauto durch Berlin, der Urständ feiernde Haller-Revolver als Dirigentenstab . . . und vieles andere.
Der Vorwurf selbst erweist sich als durchaus ergiebig: Arabesken um den jungen Mann, der schuldenhalber aus dem Leben will, den Mut nicht findet, einen Einbrecher sich in aller Form zum Morde dingt; hernach, durch ein Mädel, wieder zur Prolongierung entschlossen, jagt er hinter seinem Geschäftspartner her – der den Vertrag mittlerweile zediert hat.
Umkehrung der Situationen, mit einem Schuß wirklichen Lebens drin: Wenn der Todgeängstigte Unterschlupf bei der preußischen Polizei sucht, die für Romantik und Scherze in Bürostunden wenig Verständnis zeigt. Hier, beim gemeinschaftlichen Gefängnis-Ausbruch mit dem Mörder und dem tollen Schluß-finish, geht das Publikum begeistert mit.
Ein gesundes Kindlein ist zur Welt gekommen. Wir gratulieren.

Dem Neugeborenen seien alle guten Wünsche übermittelt. Keine Sorge, die mit der Erziehung und Aufziehung Beauftragten werden schon noch die Voraussetzungslosigkeit lernen, die Vorbedingung für die Durchführung der Aufgabe ist.
(Noch spürt man häufig eine Verbrämung in der Pointierung, eine gewisse Scheu – „wirds auch gefressen werden?“ – und daraus resultierend eine Neigung dazu, die netten Witzchen zu entschuldigen. Es wird gefressen . . ., bestimmt. Bester Beweis sind die Lachsalven, wenn nach zögerndem Anlauf es richtig losgeht.)
Ruhig mehr Mumm also, ihr Herr Autoren: es wird schon –.
Die anderen, die Techniker am Werke: Der Kameramann Konstantin Tschet, Tonmeister Fritz Thiery, Cutter Viktor Gertler; Musik von Friedrich Hollaender, der auch als Mann mit der weißen Weste lustig agiert. Bauten von Herlth und Röhrig.
Im Ensemble: Gerhard Bienert, Hans Leibelt, Fritz Odemar (Gannoventype), ein liebenswerter Einbrecher, Raimund Janitschek; Mörder voller Bonhommie, Hermann Speelmanns.
Es war sehr schön, es hat uns sehr gefreut.
Des Films schwächste Leistung bietet Heinz Rühmann. Ein verwendbarer Chargenspieler, mit sanfter Gestaltungsgabe und gar nicht körper-expressiv. (Theater-Wirkungen sind ihm sicherer.)
Von reizvoller Mädchenhaftigkeit, überraschend frei in der sprachlichen Gliederung, Lien Deyers, in der difizilen Rolle des lockenden Lebens.

Mit Genugtuung konstatiert man den starken Schluß-Beifall, der die Darsteller und den Regisseur wiederholt auf die Bühne ruft. Eine neue Etappe im ehrlichen Ringen um die Erweiterung der Film-Grenzen.

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