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„Da ist die Welt zusammengebrochen“

Alexandra Popp kennt sich leider bestens mit Verletzungen und Rehaarbeit aus. Und hat Ihren Profialltag entsprechend angepasst. Die Nationalstürmerin über guten Schlaf, die Bedeutung von Daten und die emotionale Achterbahnfahrt bei der EM im Sommer.

Foto: WHOOP / Michael Romacker

Alexandra Popp, während Ihrer langen Karriere hatten Sie immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen. Solche wiederholten Rückschlag sind vermutlich nicht nur für den Körper, sondern auch für den Kopf eine Herausforderung. Wie hat sich Ihr mentaler Umgang damit über die Jahre entwickelt?
Tatsächlich gar nicht so sehr, weil ich von mir selbst sagen würde, mit einer guten mentalen Stärke ausgestattet zu sein. Natürlich ist es im ersten Moment immer schwer, Rückschläge zu verarbeiten. Ich kann zum Glück aber auf einen sehr starken Rückhalt durch Familie und Freunde zählen. Das ist für meinen Seelenfrieden das wichtigste.

Welcher ist der unterschätzteste Aspekt einer Reha?
Bezüglich der Rehazeit besteht bei manchen Menschen immer noch ein Irrglaube. Von wegen: Naja, du warst ja jetzt länger auf Krücken unterwegs und solltest dich gar nicht so viel bewegen. Das klingt ja wie Urlaub, du musst total erholt sein. Aber so ist es natürlich nicht. Reharbeit ist verdammt anstrengend. Und deswegen auch mental nicht ohne. Bei meiner letzten Verletzung war ich wirklich an dem Punkt, dass ich gesagt habe: Ich habe keinen Bock mehr auf diesen Scheiß. Ich höre jetzt auf, ich kann einfach nicht mehr. Umso wichtiger ist es, sich Pausen zu nehmen. Auch, um zu verarbeiten, was gerade eigentlich vor sich geht. Sich wirklich die Zeit zu nehmen, zu realisieren, was gerade los ist, wie es dazu kommen konnte und was jetzt zu tun ist. Denn dafür ist während dieses Prozesses manchmal zu wenig Zeit. Nach der Verletzung ist es oft so, dass es sofort unters Messer und dann direkt in die Reha geht, um schnellstmöglich wieder auf dem Platz zu stehen. Doch es ist ein Muss, sich während dieses Prozesses auch mal zu bremsen und durchzuatmen.

Wie motivieren Sie sich in den Momenten, in denen Sie die Kraft und Lust verlässt?
Ich setze mir gerne kleine Etappenziele. Wenn die Reha startet und ich nur mit Krücken laufen kann, ist das erste Ziel, wieder eigenständig gehen zu können. Danach arbeite ich daraufhin, wieder Fahrradfahren zu können. Wieder joggen gehen zu dürfen. Das sind ganz kleine Steps, aber die helfen dabei, sich auf das hier und jetzt zu fokussieren. Und das große Ziel, das ich im Sommer während meiner Knieverletzung natürlich im Hinterkopf hatte, war die Europameisterschaft. Das Nonplusultra. Es ist ja bekannt, wie wichtig es mir war, an dieser EM teilzunehmen. Weil ich die vorherigen alle wegen Verletzungen verpasst habe. In meinem Kopf habe ich mir also oft gesagt: Wenn du dich jetzt nicht ran hältst, wenn du nur ein bisschen Zeit verlierst, dann kann es echt knapp werden. Dann kann es sein, dass du wieder nicht zur EM fährst. Ich wusste: Wenn ich dann in den Spiegel gucken würde und mir eingestehen müsste, selbst nicht alles dafür getan zu haben – das hätte ich mir nie verziehen. Das wäre das Schlimmste für mich gewesen.

„Ich bin eigentlich immer im roten Bereich nach dem Spiel“

Bei der EM haben Sie dann groß aufgespielt und in fünf Spielen sechs Tore erzielt. Fühlen sich Tore nach so einer Leidenszeit anders an?
Vor der EM habe ich lange nicht mehr im Sturm gespielt und dementsprechend auch weniger Tore geschossen. Von daher war dieses Turnier mit den Toren echt ein brutales Gefühl. Ich kann das bis heute kaum beschrieben. Wieder in der Sturmspitze spielen zu dürfen, das Vertrauen zu bekommen und so zurückzahlen zu dürfen, das war einmalig. Mit der Art und Weise meines Spiels, mit dieser Wucht, mit dieser Freude und Dankbarkeit überhaupt auf diesem Platz zu stehen. Da habe ich den Emotionen während dieser Wochen in England wirklich freien Lauf gelassen. Auch wenn ich nicht genau beschreiben kann, wie sich diese Tore angefühlt haben, war es in jedem Fall ein anderes Gefühl als zum Beispiel in einem normalen Bundesligaspiel. Es war aufregender. Und an Schlaf war danach nicht zu denken. Was sich natürlich in meinen Fitnessdaten niedergeschlagen hat.

Dieses Interview wurde durch WHOOP ermöglicht. Die Firma bietet tragbare Fitnesstracker an und unterstützt Sportlerinnen und Sportler im Trainings- und Rehaalltag.

Inwiefern?
Ich arbeite mit einem tragbaren Fitnesscoach von WHOOP , der laufend meine Leistungsdaten und Erholungswerten misst. Am Morgen nach den Spielen hat der Tracker mir klar zu verstehen gegeben: Bleib' am besten im Bett. Meine Werte waren eine Katastrophe (lacht). Ich bin eigentlich immer im roten Bereich nach dem Spiel, weil ich ganz lange erst mal nicht schlafen kann. Wir haben bei der EM immer relativ spät gespielt und vor drei oder vier Uhr nachts habe ich kein Auge zugemacht. Am nächsten Morgen ging es um 9:00 Uhr dann aber schon weiter mit dem Frühstück. Im Normalfall hätte ich die Mahlzeit ausfallen lassen, aber wenn man einmal in diesem Turniermodus ist, will man den Rhythmus nicht verändern – zumal das Essen dann auch Teil der Regeneration ist.

Alles im Blick. Alex Popp nutzt den tragbaren Fitness & Gesundheitscoach von WHOOP.

Alles im Blick. Alex Popp nutzt den tragbaren Fitness & Gesundheitscoach von WHOOP.

Foto: WHOOP / Michael Romacker

Wobei hilft Ihnen der Fitness & Gesundheitscoachs genau im Trainingsalltag?
Vor allem misst der Tracker meinen Schlaf. Wie lange ich während der Nacht wach bin, wie lange mein Tiefschlaf ist. Er bemisst die Qualität meiner Nachtruhe. Gleichzeitig wird durch die Bemessung meines Schlafs und weiterer kardiovaskulärer Daten, wie Herzfrequenz-Variabilität, Ruheherzfrequenz, Atemfrequenz, ein Erholungswert ermittelt, der angibt, wie erholt ich in den Tag starte. Das finde ich wahnsinnig interessant, weil ich so auch immer abgleichen kann, was mein Körpergefühl sagt und was die Daten. Stimmt das überein oder gibt es da eine Diskrepanz? So entsteht ein besseres Bewusstsein für den Schlaf, für den Körper und eben auch für die Erholung.

Wird die Bedeutung des Schlafs im Profisport unterschätzt?
Ja, das glaube ich absolut. Denn es geht ja nicht nur um den Schlaf an sich. Viel mehr gibt die Analyse des eigenen Schlafs auch Auskunft darüber, wie fit ich mich am jeweiligen Tag fühle und wie viel Belastung dann überhaupt Sinn ergibt. Wenn ich weiß, dass meine Erholungswerte im roten Bereich liegen, dann kann ich natürlich am nächsten Tag keine 100 Prozent auf dem Platz geben. Das wäre total kontraproduktiv. Ich halte es für wichtig, solche Werte in die Belastungssteuerung mit einzubeziehen und entsprechend zu planen. Das kann ein riesiger Mehrwert sein.

Was ist denn wichtig für guten Schlaf?
Ich habe festgestellt, dass ich um die acht, neun Stunden schlafen muss, um wirklich gut erholt zu sein. Und in meinen Werten ist zu erkennen, dass ich relativ lange im REM-Schlaf liege. Also, in einem unruhigen Schlaf, in dem ich viel träume und eben nicht in den Tiefschlaf komme. Was sicherlich auch damit zu tun hat, dass man im Schlaf verarbeitet, was man tagsüber erlebt hat. Und je mehr das ist, desto unruhiger kann der Schlaf werden. Und gleichzeitig habe ich mit durchschnittlich zwei Stunden pro Nacht sogar einen vergleichsweise langen Tiefschlaf. Das ist extrem wichtig, um in die Erholungsphase zu kommen, weil erst dann die Regeneration der Muskulatur beginnt.

Zu allem Überfluss haben Sie sich kurz vor der EM noch mit Corona infiziert. Inwiefern hat sich die Erkrankung in Ihren Leistungsdaten bemerkbar gemacht?
Ich konnte zumindest sehen, dass ich ein paar Tage vor dem positiven Testergebnis schlechte Schlafwerte hatte. Meine Herzfrequenz war auch nicht in dem Bereich, wie ich es eigentlich von mir kenne. Speziell während des Schlafens. Ich habe mich trotzdem okay gefühlt und war dementsprechend völlig überrascht über das positive Ergebnis. Während der Quarantäne war dann aber sehr klar zu sehen, dass meine Werte in den Keller gegangen sind. Das war nicht so schön. Eine Sache fand ich besonders spannend.

Welche?
Ich habe mitunter wirklich brutal lange geschlafen – aber hatte nie eine gute Erholung. Ich kam mitunter auf mehr als zehn Stunden Schlaf, aber meine Erholungswerte waren immer nur bei rund 40 oder 50 Prozent. Was total paradox ist. Aber sobald ich dann wieder gesund war, haben sich diese Werte zum Glück recht schnell normalisiert.

„Ich habe zum ersten Schuss aufs Tor angesetzt und mir war sofort klar: Das kann ich vergessen“

Und dann konnten Sie im Finale gegen England nicht spielen – wieder mal verletzungsbedingt. Diesmal war es der linke Oberschenkel.
Ich hatte am Vorabend des Finals schon das Gefühl, dass es nicht klappen würde. Die Verletzung ist im Abschlusstraining so extrem geworden. Nach dem Training saß ich in meinem Zimmer und habe gespürt, dass da etwas nicht stimmt. Abends war ich noch in der Behandlung bei den Physios und später haben wir noch in den Muskel reingespritzt. Keine Schmerzmittel, sondern eher, um den Muskeltonus runterzufahren, um die Spannung aus dem Muskel zu nehmen. Am nächsten Morgen bin ich aufgestanden, hatte keine Probleme und habe ich ein klitzekleines bisschen Hoffnung gespürt. Dennoch war ich den ganzen Tag über extrem skeptisch. Mein Oberschenkel hat sich einfach nicht normal angefühlt. Wir haben dann abgemacht, dass ich es beim Aufwärmen probiere und schaue, wie der Muskel reagiert. Tja, dann habe ich zum ersten Schuss aufs Tor angesetzt und mir war in dem Moment sofort klar: Das kann ich vergessen.

Weshalb?
Ich habe überhaupt keinen Druck hinter den Ball bekommen, egal wie sehr ich es versucht habe. Ich hatte extreme Schmerzen und hätte auch gar keinen längeren Sprint anziehen können. Der Anpfiff rückte aber näher und natürlich musste ich eine Entscheidung treffen. Und ganz ehrlich: Das war so unglaublich hart. Ich konnte es nicht fassen. Zu Beginn des Turniers saß ich noch auf der Bank, habe dann durch die Coronainfektion von Lea Schüller meine Chance bekommen und Leistungen gebracht, die mir kein Mensch mehr zugetraut hatte. Ich selbst mir übrigens auch nicht. Und dann macht der Muskel genau vor diesem Spiel, vor diesem Traumfinale im Wembley, zu.

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Wie haben Sie das dem Team mitgeteilt?
Ich bin zur Trainerin gegangen und habe gesagt: „Martina, ich kann einfach nicht. Ich kann nichtmal richtig schießen.“ In dem Moment ist für mich kurzzeitig die Welt in sich zusammengebrochen. Gleichzeitig war mir aber klar, dass das Team mich trotzdem braucht. Ich weiß bis heute nicht, wie ich es geschafft habe, aber plötzlich habe ich einen Schalter umgelegt und mich nur noch darauf konzentriert, das Team zu pushen. Ich war es der Mannschaft auch einfach schuldig. Weil das Team und die Mitspielerinnen mich in den Tagen zuvor durch all die Unterstützung erst auf das Level gebracht haben, auf dem ich dann gespielt habe. Ich musste ihnen also etwas zurückgeben.

Inwiefern hat in diesen Momenten der Kopf über das Herz gesiegt?
Natürlich bin ich in meinem Kopf noch etliche Szenarien durchgegangen. Ich hatte aber das Gefühl, noch nicht mal bei 80 Prozent gewesen zu sein. Ich hätte wahrscheinlich einfach nur vorne rumgestanden und gewartet, bis der Ball irgendwann mal auf meinen rechten Fuß fällt. Mit links konnte ich ja nicht schießen. Aber ich hätte unser Spiel gar nicht aufziehen können, weil wir so ein extremes Pressing gespielt haben. Ich hätte mit dem Tempo und mit dieser Aggression gar nicht mitgehen können. Das wäre der Mannschaft gegenüber einfach nicht gerecht gewesen. Ich bin bis heute überzeugt davon, dass es keinen Sinn ergeben hätte. Egal wie viele Leute im Nachhinein gesagt haben: „Naja hättest du mal.“ Nein. Keine Chance.

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