«Hauptsache es wird viel Geld verdient» – Apotheken und Ärzte kritisieren «Goldgräber-Geschäft» von Testcentern

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«Hauptsache es wird viel Geld verdient»Apotheken und Ärzte kritisieren «Goldgräber-Geschäft» von Testcentern

Mit dem Ende der Kostenübernahme von Corona-Tests verschärft sich der Preiskampf unter den Testanbietern. Fachleute befürchten Missstände bei Discount-Testbetrieben.

Darum gehts

  • Ab Montag sind in der Schweiz die Antigen-Schnelltests kostenpflichtig.

  • Der Kampf zwischen Testanbietern geht weiter, die Preise für Tests sinken.

  • Fachleute befürchten, dass so die Qualität der durchgeführten Tests sinken wird.

  • Ein Berner Testcenter-Betreiber wehrt sich gegen diesen Vorwurf.

  • Der Infektiologe Christian Garzoni schätzt ein, ob durch die kostenpflichtigen Tests die Fallzahlen wieder steigen könnten.

Sei es für ins Restaurant, ins Kino oder ins Fitness: Wer ab Montag mittels Test ein Covid-Zertifikat will, muss diesen auch selbst berappen. Bisher vergütete der Bund jeden Antigen-Schnelltest mit maximal 47 Franken, für zahlreiche Testcenter-Betriebe ein lukratives Geschäft. Unter ihnen gibt es jedoch viele Negativbeispiele, wie anfangs Oktober eine Reihe unangekündigter Kontrollen des St. Galler Gesundheitsdepartements zeigte: Rund die Hälfte der geprüften Covid-Testbetriebe erfüllte die Anforderungen nicht.

Doch auch nach dem Ende der Kostenübernahme expandieren verschiedene Testcenter-Betreiber weiter, mit Tiefstpreisen von bis zu elf Franken buhlen sie um Kundinnen und Kunden. Dass es infolge des Sparprogramms zu Regelverstössen kommt, berichten verschiedene News-Scouts und auch Mitarbeitende der Testanbieter. Lorenz Schmid, Präsident des Zürcher Apothekerverbands, übt nun Kritik an den Discount-Testcentern: «Dass der Preiskampf stattfindet, ist legitim. Dass er auf Kosten der Qualität ausgetragen wird, jedoch nicht.»

Apotheken können bei Preiskampf nicht mithalten

Oftmals lasse die Arbeitsweise des Testpersonals zu wünschen übrig, sagt Schmid: «Die Abnahmetechnik wird immer unsorgfältiger. Wenn das Testpersonal das Teststäbchen nur im vorderen Nasenbereich etwas hin und her dreht, wird man kaum positive Testresultate erhalten.» Im Frühling sei noch die Vermeidung der Virusverbreitung im Vordergrund gestanden, heute fokussiere sich das Business nur noch auf den Erhalt eines Zertifikats, so Schmid. Spitäler und Arztpraxen seien bereits aus dem Preiskampf ausgestiegen. «Die Apotheken werden sich wohl bald auch zurückziehen.»

Auch Josef Widler, Präsident der Zürcher Ärztegesellschaft (AGZ), beanstandet das «Goldgräber»-Geschäftsmodell verschiedener Testcenter-Betreiber: «Zahlreiche Personen sind ins Test-Geschäft eingestiegen, weil es ein riesiges Business ist und nicht, weil sie der Gesellschaft einen Dienst erweisen wollen.» Das System rentiere auch nur, weil oftmals kein qualifiziertes Personal angestellt werde, das die Tests durchführe, so Widler. «Ob der Test korrekt durchgeführt wird und zum korrekten Resultat führt, ist ihnen egal – Hauptsache es wird viel Geld verdient.»

Dem Präsidenten der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte (VKS), Rudolf Hauri, sind entsprechende Missstände bekannt, wie er sagt: «Es ist uns zu Ohren gekommen und nicht akzeptabel, dass es rein kommerziell ausgerichtete und nicht sorgfältig arbeitende Testeinrichtungen geben soll.» Die Behörden würden dementsprechend durchgreifen und könnten solche Einrichtungen schliessen.

Täglich bis zu 4000 Corona-Schnelltests

Der Berner Clubbetreiber Jan Kamarys, der in der Bundesstadt mehrere Testcenter unter dem Namen Medica Care führt und pro Abstrich elf Franken verlangt, wehrt sich gegen die Vorwürfe: «Ein tiefer Preis mit einer hohen Qualität ist absolut möglich.» Einerseits spare man durch den für den Betrieb konzipierten digitalen Prozess viel Personal ein. Andererseits spiele das hohe Testvolumen auch eine wichtige Rolle bei der Preisgestaltung. «Wir führen an unseren Berner Standorten täglich bis zu 4000 Tests durch. Die Menge machts also aus.»

Das Geschäft läuft, Medica Care plant eine Expansion der Testcenter nach Zürich, Basel, Luzern und Solothurn. «Wir erhalten auch Anfragen aus dem Wallis oder Liechtenstein», so Kamarys. Ihm gehe es darum, den Test für einen möglichst fairen Preis anzubieten, um allen die Teilnahme am öffentlichen Leben zu ermöglichen. Der Gewinn spiele nur eine sekundäre Rolle: «Wenn die Pandemie morgen vorbei wäre und wir mit den Tests nichts mehr verdienen, wäre ich glücklich.»

Steigen die Corona-Fälle nun an?

Nach dem Ende der kostenlosten Tests warnt der Tessiner Infektiologe Christian Garzoni vor einem Anstieg der Corona-Fälle: «Die Hürden, um sich testen zu lassen, steigen durch die kostenpflichtigen Tests stark an.» Viele Personen, die sich bisher sicherheitshalber hätten testen lassen, verzichteten nun wohl darauf, so Garzoni.

Doch genau das sei verheerend: «Je mehr Tests durchgeführt werden, desto besser kann die Pandemie kontrolliert werden.» Nicht umsonst habe das Motto lange «testen, testen, testen» geheissen. «Die Tatsache, dass die Gratis-Tests wegfallen, kann also einen negativen Einfluss auf die Anzahl der Corona-Fälle haben.»

Dem pflichtet Philippe Luchsinger, Präsident der Haus- und Kinderärzte Schweiz, bei: «Insgesamt wird wahrscheinlich weniger getestet werden, mit der entsprechenden Folge, dass die infizierten Personen ohne Beschwerden weniger häufig erfasst werden.» Er hoffe, dass sich alle melden, die Beschwerden haben, damit die Erkrankungen weiter eingegrenzt werden können.

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