China
Ai Weiwei: «China hat noch nie ein gutes Verhältnis zu Russland gehabt»

Der Installationskünstler Ai Weiwei wird von den chinesischen Behörden überwacht, nur in Peking darf er sich bewegen. Im Interview sagt der Künstler, welchen chinesischen Traum er hat und wieso er sich trotz Internet-Verbot einloggen kann.

Felix Lee, Peking
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Impressionen des regimekritischen chinesischen Künstlers Ai Weiwei
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Der chinesische Künstler Ai Weiwei (Archiv)
Ein Plakat in Bregenz soll auf die Situation von Ai Weiwei aufmerksam machen
Ai Weiwei kurz nach seiner Freilassung
Zwei Chinesen solidarisieren sich mit dem Dissidenten Ai Weiwei
Imposant auf der alten Stadtmauer ist «Fairytale People» (2007) von Ai Weiwei
Ai Weiwei vor seiner Verhaftung durch das chinesische Regime
Demonstration für Freilassung von Ai Weiwei in Berlin
Demonstration gegen die Verhaftung von Ai Weiwei in Berlin (Archiv)
Protest für die Freilassung Ai Weiweis in Hongkong
Auch Ai Weiwei wurde ohne Angabe von Gründen festgenommen
Gegenwartskünstler und Regimekritiker Ai Weiwei
Ai Weiwei spielt mit seiner Kunstinstallation "Sunflower Seeds" in London (Archiv)
Der chinesische Avantgarde-Künstler Ai Weiwei steht unter Hausarrest Der chinesische Avantgarde-Künstler Ai Weiwei steht unter Hausarrest
Field des chinesischen Künstlers AI Weiwei
Die Installation "Moon Chest" von Ai Weiwei in Bregenz (Archiv)

Impressionen des regimekritischen chinesischen Künstlers Ai Weiwei

Keystone

Ai Weiwei, welchen Status haben Sie derzeit eigentlich? Sie sind ein Gefangener des chinesischen Staates und dürfen nicht ausreisen. Zugleich können Sie aber eifrig bloggen und zu allem Möglichen Ihre Meinung äussern.

Ai Weiwei: Ich bin zugegeben in einer sehr seltsamen Lage. Aber ich bin ja nicht der Einzige. China durchläuft derzeit einen gigantischen Modernisierungsprozess. Zugleich wird das Land aber seit 60 Jahren von Kommunisten regiert. Sie haben diese Veränderungen mit eingeleitet, trauen ihren Bürgern aber nicht. Die Regierung verwehrt uns freie Wahlen. Wir haben keine Meinungsfreiheit und keinen unabhängigen Rechtsstaat. Das schafft Widersprüche. Meine Lage spiegelt also bloss die Lage des gesamten Landes wider.

Haben die Behörden Ihnen denn klar mitgeteilt, was Sie dürfen und was nicht?

Ja, haben sie. Vor meiner Freilassung sagten sie, ich sei kein Künstler und würde Kunst lediglich für politische Zwecke nutzen. Sie warfen mir vor, von ausländischen Geheimdiensten angeheuert worden zu sein. Ich würde versuchen, China zu destabilisieren. Nach meiner Freilassung teilten sie mir mit: Wenn ich hart arbeite, könne aus mir mal ein guter Künstler werden. Ich solle mich doch auf meine Kunst konzentrieren und nicht auf die Politik. Eigentlich haben sie mir auch die Internetnutzung untersagt, vor allem soll ich nicht twittern. Zudem ist es mir untersagt, mich mit anderen Aktivisten oder mit ausländischen Journalisten zu treffen. Über meine Haft darf ich auch nicht reden.

Aber all das machen Sie jetzt.

Eigentlich haben Sie ja recht. Ich bin kein Politiker und nicht in der Position, die Probleme dieses Landes zu lösen. Doch in den meisten Punkten geht es unmittelbar um mich und vieles bedingt sich. Wenn sie mir eine Strafe von 15 Millionen Yuan aufbürden wollen und mir Steuervergehen unterjubeln, muss ich das doch richtigstellen dürfen.

Sie haben mehr oder weniger eingewilligt, sich politisch weniger einzumischen. Doch Ihre Kunst ist sehr politisch.

Diese Behauptung weise ich zurück, ich mache Kunst nicht aus politischen Gründen. Ich versuche eine Art der Kommunikation zu finden, die meine Gefühle zu unserer Zeit in unserer Welt zum Ausdruck bringt. Es geht mir darum, mein wahres Ich zu zeigen. Die Unterteilung in politisch und unpolitisch halte ich für fehl am Platz. Bei einem Fisch fragt sich ja auch niemand, ob er schwimmen will oder nicht. Ihm bleibt gar nichts anderes übrig. So wie er schwimmen muss, muss ich mit meiner Kunst ehrlich bleiben.

Was halten Sie von Chinas Staatspräsidenten Xi Jinping?

Er ist ein mutiger Mensch und hat einiges angestossen, etwa die Korruptionsbekämpfung. Ich sehe, wie schwierig es ist, dieses Problem anzugehen. Der heutigen chinesischen Politik fehlen die Rahmenbedingungen. Alles hängt vom individuellen Bemühen ab. Es fällt mir zugleich schwer, das politische Wirken von Xi Jinping wirklich beurteilen zu können, weil ich nicht weiss, welchen Anteil er woran hat. In China ist es selbst für einen Staatschef nicht möglich, seine eigenen politischen Visionen zu entwickeln.

Wenn Sie ihn treffen würde, was würden Sie ihn fragen?

Wo mein Pass bleibt.

In Anlehnung an den «American Dream» hat Xi nach seinem Amtsantritt vor einem Jahr auch einen «chinesischen Traum» eingefordert und damit eine Debatte angestossen, wohin China streben sollte. Was ist Ihr «chinesischer Traum»?

Mein Traum ist sehr einfach: Jeder Mensch muss das Recht haben, sich ohne Angst entwickeln zu dürfen. Jeder muss frei kommunizieren und sich vollständig informieren können. Er muss die Möglichkeit haben, seinen eigenen Lebensstil auswählen zu dürfen. Das ist ein sehr einfacher Traum, der unter kommunistischer Herrschaft aber leider nie Wirklichkeit wird.

Halten Sie es für absurd, unter diesen Voraussetzungen über den «chinesischen Traum» zu diskutieren?

Über Träume reden ist nicht absurd. Für absurd halte ich, dass die Partei denkt, den Traum vorgeben zu können. Sie glaubt, der Traum der Partei sei der Traum aller Chinesen.

Wie lebt es sich als festgehaltener Künstler?

Ich stehe wie die meisten Menschen hier in meiner Nachbarschaft frühmorgens auf und öffne meinen Rechner. Da es mir verboten ist, die sozialen Netzwerke des chinesischen Internets zu nutzen, übergehe ich die Internetblockade der Zensurbehörden und logge mich über einen ausländischen Server auf Twitter ein. Über die Einträge anderer erfahre ich, was im Land und im Rest der Welt passiert.

Ins chinesische Internet dürfen Sie nicht. Der Zugang ins ausländische Netz wird Ihnen aber gestattet?

Sie haben mir allgemein die Nutzung des Internets verboten. Ich widersetze mich dem aber. Wenn ich in chinesischen sozialen Netzwerken etwas poste, wird jeder Eintrag, jedes Bild von mir sofort gelöscht. Mein Name darf hier im Netz nicht auftreten. Das ausländische Netz können sie nicht zensieren.

Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, dass Sie für die chinesische Führung vielleicht eine bestimmte Funktion erfüllen? Sie sind quasi Chinas kritische Stimme und damit ein Feigenblatt, um dem Ausland zu zeigen: Meinungsfreiheit ist möglich.

Im Ausland werde ich nur deswegen wahrgenommen, weil viele Menschen mich kennen. Dieses Privileg haben die meisten anderen unterdrückten Chinesen nicht. Wissen Sie, selbst wenn mir hier die Kunst verboten werden würde, könnte ich für mich irgendwie ein Auskommen finden. Aber weil ich öffentlich wahrgenommen werde, sehe ich mich in der Pflicht. Dafür zahle ich einen hohen Preis: Ich wurde geschlagen, an einen mir bis heute unbekannten Ort verschleppt, durfte auch später nicht mein Grundstück verlassen.

Sie beschäftigen sich viel mit dem Westen und Chinas Verhältnis zum Westen. Wie würden Sie dieses Verhältnis momentan beschreiben?

China ist zu einem wichtigen Spieler auf der Weltbühne aufgestiegen. Trotzdem ist China auch weiterhin in einem sehr labilen Zustand. Solange sich China nicht zu einem demokratischen Staat mit einer gesunden Zivilgesellschaft entwickelt hat, wird das auch so bleiben. Wirtschaftlich hat sich China geöffnet. Und jedes Land versucht, daraus Profit zu schlagen.

Wie beurteilen Sie Chinas Rolle in der Krim-Krise?

China hat ein Problem. Bislang galt in der chinesischen Aussenpolitik das Prinzip, dass niemand an der Souveränität eines anderen Landes rütteln darf. Das ist im Fall von Putin und dem Anschluss der Krim an Russland eindeutig der Fall. Bislang hält sich die chinesische Führung mit Kritik zurück. Wenn China aber nun Putin unterstützen sollte, würde sich automatisch auch die Frage mit Taiwan und Tibet neu stellen. Davor hat die Kommunistische Partei aber Angst. China steckt also in einem Dilemma.

Haben China und Russland wirklich ein so gutes Verhältnis, wie beide Seiten gern behaupten?

China hat noch nie ein gutes Verhältnis zu Russland gehabt. Chinesen haben Russen nie vertraut und umgekehrt haben auch die Russen nie einen guten Eindruck von den Chinesen gehabt. Daran wird sich auch künftig nichts ändern. Strategisch brauchen sie sich aber.

Welches Bild haben Sie von Russland?

Leider ist Russland eine Nation, dessen Führung und wahrscheinlich ein Grossteil der Gesellschaft noch immer rückwärtsgewandt denkt.