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In Genua werden zwei Tage nach dem Brückeneinsturz mit mindestens 38 Toten noch etliche Menschen unter den Trümmern vermutet. Die Zahl der Toten wurde leicht nach unten korrigiert.
"Es könnte noch 10 bis 20 vermisste Personen geben", sagte der leitende Staatsanwalt Francesco Cozzi laut Nachrichtenagentur Ansa am Donnerstag in der italienischen Hafenstadt. Angesichts der verstrichenen Zeit sei es "wenig wahrscheinlich, Überlebende zu finden", zitierte Ansa den Regionalpräsidenten Giovanni Toti.
Während eines Unwetters war am Dienstag ein Abschnitt des viel befahrenen Polcevera-Viadukts eingestürzt und hatte viele Fahrzeuge in die Tiefe gerissen. Die Angaben zur Länge des eingebrochenen Stücks variierten zwischen 100 und 250 Metern. Am Donnerstag verlautete aus verlässlicher Quelle, dass es sich um eine Länge von rund 180 Metern handelte.
Die Präfektur korrigierte laut Ansa am Donnerstag die Zahl der offiziell bestätigten Toten auf 38. Für sie soll es am Samstag ein Begräbnis geben und dann auch eine Staatstrauer gelten. Unter den Opfern sind mindestens drei Minderjährige im Alter von 8, 12 und 13 Jahren. 15 Menschen sind der Präfektur zufolge verletzt, 9 von ihnen befinden sich noch immer in einem kritischen Zustand.
Die Rettungskräfte setzten am Donnerstag die schwierige Suche nach Vermissten fort. Unterdessen verschärfte die Regierung ihre Vorwürfe gegen den Autobahnbetreiber Autostrade per l'Italia zu. Sie sieht die Verantwortung für die Katastrophe bei dem Unternehmen und will ihm die Lizenz für die Strasse entziehen.
Die EU-Kommission stellte am Donnerstag klar, die Morandi-Brücke war Teil eines europäischen Fernstrassennetzes und unterlag deshalb besonderen Prüf- und Sicherheitsauflagen der EU. Verantwortlich für die Umsetzung seien die italienischen Behörden.
Die Kommission wies abermals Aussagen des italienischen Innenministers Matteo Salvini zurück, wonach Brüsseler Sparvorgaben für die marode Infrastruktur des Landes mitverantwortlich sein könnten. EU-Staaten könnten politische Prioritäten im Rahmen der geltenden Haushaltsregeln selbst festlegen, wiederholte der Sprecher.
Während die Suche nach möglichen weiteren Opfern in den Trümmern der eingestürzten Autobahnbrücke von Genua weiterlief, hat die italienische Regierung am Donnerstag den Betreiberkonzern Atlantia erneut angegriffen.
Salvini forderte von der italienischen Infrastruktur-Gruppe Atlantia finanzielle Hilfe, um Familien und den örtlichen Behörden bei der Bewältigung des Unglücks zu helfen. "Wenn wir fünf Millionen Euro stellen, sollten sie 500 Millionen Euro anbieten", sagte er Reportern. Es brauche ein "unmittelbares, konkretes und spürbares Signal" an die Familien, fuhr der Chef der fremdenfeindlichen Partei Lega fort.
An der Börse in Mailand verlor die Atlantia-Aktie weiter an Wert. Der Kurs brach am Donnerstag um mehr als 22 Prozent ein. Zuvor war der Handel mit der Aktie des Mutterkonzerns des Autobahnbetreibers Autostrade per l'Italia kurzzeitig ausgesetzt worden.
Rom macht Autostrade per l'Italia für das Unglück verantwortlich und wirft dem Privatunternehmen mangelhafte Wartungsarbeiten vor. Die Firma betreibt die A10, zu der die eingestürzte Brücke gehört. Die Regierung drohte dem Unternehmen mit dem Entzug der Lizenz sowie hohen Strafzahlungen.
Autostrade per l'Italia wies die Vorwürfe zurück. Die Brücke sei vorschriftsmässig vierteljährlich überprüft worden. Ausserdem seien zusätzliche Tests mittels hochspezieller Geräte erfolgt.
Am Donnerstag kritisierte Atlantia, die Regierung habe mit dem Lizenzentzug gedroht, "ohne dass es irgendeine Überprüfung der Unglücksursache" gegeben habe. Der Konzern warnte, angesichts des noch bis zum Jahr 2038 laufenden Vertrags könnten der Regierung hohe Ausgleichszahlungen drohen.
Der Autobahnbetreiber teilte am Donnerstag mit, er hab zwischen 2012 und 2017 mehr als eine Milliarde Euro jährlich in die Sicherheit und Instandhaltung investiert. Die Staatsanwaltschaft geht allerdings davon aus, dass die Katastrophe kein zufälliges Unglück war.
Der mehr als 40 Meter hohe Polcevera-Viadukt, der auch Morandi-Brücke genannt wird, spannt sich unter anderem über Wohnhäuser, Gleisanlagen und Fabriken und ist seit langem umstritten. Die Brücke ist Teil der Autobahn 10 und verbindet den Osten mit dem Westen der Stadt. Sie ist als Ferienroute "Autostrada dei Fiori" bekannt und eine wichtige Fernstrasse nach Südfrankreich, in den Piemont und die Lombardei.
Die Tragödie hat Hunderte Menschen obdachlos gemacht: Sie mussten ihre Häuser nahe der Brücke aus Sicherheitsgründen verlassen. Regionalpräsident Toti erklärte laut Ansa am Donnerstag, dass die Häuser nicht wieder bewohnt werden können. In den nächsten Tagen sollen Häuser für die Betroffenen zur Verfügung gestellt werden.
Die Regierung hatte am Mittwoch den Notstand für die Hafenstadt verhängt und fünf Millionen Euro Nothilfe bereit gestellt. Das Dekret soll ermöglichen, erste wichtige Massnahmen in Gang zu setzen, um dem Ausnahmezustand zu begegnen. Der Notstand soll zwölf Monate gelten und in diesem Zuge auch ein Sonderbeauftragter für den Wiederaufbau benannt werden.