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ISBN 3-8300-1081-8 Der Schlüssel zu den Molukken Der Schlüssel zu den Molukken · Band I Der erste Band zeichnet den Aufstieg Makassars zur Handelsmacht und die Umgestaltung in eine Kolonialstadt nach. Jürgen G. Nagel Nagel Bis Mitte des 17. Jahrhunderts war die sulawesische Hafenstadt Makassar, der „Schlüssel zu den Molukken“, eine zentrale Drehscheibe des Gewürzhandels. 1669 wurde sie von den Niederländern erobert, doch verlor sie nie vollends ihre wirtschaftliche Dynamik. Die exemplarische Studie zu Makassar rekonstruiert die Vielschichtigkeit des asiatischen Wirtschaftslebens unter der vermeintlichen Vorherrschaft der Ostindienkompanien. Makassar und die Handelsstrukturen des Malaiischen Archipels im 17. und 18. Jahrhundert Eine exemplarische Studie Band I Verlag Dr. Kovac̆ Meinen Eltern Vorwort Das vorliegende Werk wurde im Wintersemester 2002/2003 vom Fachbereich III der Universität Trier als Dissertation angenommen. Die Begutachtung wurde von Professor Dr. Andreas Gestrich (Erstgutachter) und Professor Dr. Klaus Gerteis (Zweitgutachter) übernommen. Die mündliche Prüfung fand am 25. März 2003 statt. Die Arbeit wurde für die Publikation leicht gestrafft und um einige wenige Passagen sowie einige Tabellen und Karten mehr gekürzt. Bevor es überhaupt so weit kommen konnte, gingen allerdings etliche Jahre mehr oder weniger intensiver Arbeit ins Land, die ohne Hilfe und Unterstützung nicht zu überstehen gewesen wären. Zunächst gilt ein dankbarer Gedanke all den hilfreichen Geistern in den Archiven und Bibliotheken, die im Zeitalter der elektronischen Kommunikation für den Nutznießer nur allzu häufig anonym bleiben. Ganz besonders denke ich in diesem Zusammenhang an die Fernleihstelle der Universitätsbibliothek Trier, die im Laufe der Jahre wahre Bücherberge zu ungewöhnlichen Themen und Regionen bewegte. Auf eine ganz andere Art hilfreich war mein langjähriger Projektleiter, Professor Dr. Dietrich Ebeling, der bereit war, in seinem Forschungsprojekt einen wissenschaftlichen Mitarbeiter zu beschäftigen, der die Hälfte seiner Arbeitskraft dem Exotischen verschrieben hatte. Hierfür einen herzliches Dank. Äußerst dankbar bin ich Professor Dr. Andreas Gestrich für die spontane Bereitschaft, beratend in ein laufendes Unternehmen einzusteigen und das Erstgutachten zu übernehmen. Professor Dr. Eberhard Schmitt verdanke ich die Möglichkeit, erste Überlegungen in seinem Forschungskolloquium an der Universität Bamberg vorzustellen. Ähnliche Möglichkeiten wurden mir in den Kolloquien von Professor Dr. Helga Schnabel-Schüle (Trier) und Professor Dr. Horst Gründer (Münster) sowie auf internationalen Tagungen, die Professor Dr. Markus A. Denzel (Leipzig), PD Dr. Jörg Vögele und Dr. Margit Schulte Beerbühl (Düsseldorf) sowie das ‚International Institute of Social History’ (Amsterdam) und die ‚Europea Association of Urban Historians’ veranstaltet haben. Allen Veranstaltern und Teilnehmern sei für ihr Interesse und ihre hilfreichen Diskussionsbeiträge gedankt. Ganz besonderer Dank gilt zwei Personen – zum einen meinem Doktorvater Professor Dr. Klaus Gerteis, der einer verqueren Idee Interesse und Offenheit entgegenbrachte und sie bis in den wohlverdienten Ruhestand hinein auf dem Weg zur Dissertation begleitete, und zum anderen meiner Frau Dr. Christine Kracht, die unerschütterlich alle Höhen und Tiefen der letzten Arbeitsjahr mitlebte, ohne je den Glauben an Verfasser und Werk zu verlieren. Beide haben mit großer Geduld und vielen Ratschlägen tatsächlich das gesamte noch unvollendete Manuskript gelesen. Die Fehler und Irrtümer, die dennoch übrig geblieben sind, bleiben selbstverständlich ganz alleine meine Verantwortung. Es ist sicherlich keine Übertreibung, daß ohne diese beiden das Unternehmen kaum zu einem guten Ende gekommen wäre. Zum guten Schluß gilt ein herzlicher Dank meinen Eltern, ohne deren unermüdliche Unterstützung aus dem Autor nie ein Historiker geworden wäre, geschweige denn ein promovierter. Trier, im Juni 2003 Jürgen G. Nagel Erstes Kapitel Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt - 17 I. „Gentle Janus“ - eine Einleitung 19 II. Begriffe und Konzepte 23 1. Der Malaiische Archipel und das kapitalistische Weltsystem 23 2. Ebenen des Handels 31 3. Handelsformen und Handelsnetze 37 4. Handelskompanien und Kolonialismus 42 5. Emporien und Kolonialstädte 50 III. Fragestellungen und Vorgehensweise 61 1. Generelle Probleme und Fragen 61 2. Die Regionalstudie 62 3. Ansätze und Ziele 66 Zweites Kapitel Quellen, Methoden, Forschung - 71 I. Wege der Forschung 1. Die weite Perspektive: Malaiischer Archipel und die Welt des Indik 73 73 2. Die enge Perspektive: Spezial- und Lokalstudien zum Malaiischen Archipel 76 3. Der Beitrag Asiens 78 4. Der Beitrag Deutschlands 80 II. Quellen und Quellenkritik 85 1. Die Akten der Ostindien-Kompanien 85 2. Berichte und Beschreibungen 97 3. Indonesische Schriftquellen 106 4. „Imperial Eyes“ 110 Drittes Kapitel Raum und Menschen - 117 I. Der Malaiische Archipel 119 1. Der Raum 119 2. Die Kulturen 122 3. Die politische Geschichte 127 4. Die Grundlagen von Wirtschaft und Handel 130 149 II. Die Europäer 1. Das portugiesische Jahrhundert 149 2. Das Zeitalter der Handelskompanien 152 155 III. Die VOC 1. Die Struktur eines Handelsunternehmens 155 2. Die wirtschaftliche Entwicklung 158 3. Das Potential der VOC im Malaiischen Archipel 163 Viertes Kapitel Makassar und die Europäer vor 1666/69 - 167 I. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 169 1. Voraussetzungen und Gründung 169 2. Die politische Geschichte Makassars 183 3. Die Wirtschaftsgeschichte Makassars 203 4. Die Händlergesellschaft Makassars 265 II. Die VOC in Makassar 277 1. Die VOC und die Herrscher von Makassar 277 2. Die VOC und der Handel in Makassar 288 III. Die EIC in Makassar 296 1. Die EIC und die Herrscher von Makassar 296 2. Die EIC und der Handel in Makassar 302 IV. Organisationsformen des Handels 314 1. Indigene Organisationsformen 314 2. Europäische Organisationsformen 326 V. Europa und Asien in Makassar – eine Zusammenfassung 330 Fünftes Kapitel Makassar und die VOC nach 1666/69 - 335 I. Die Errichtung eines niederländischen Makassars 1 Der Makassarische Krieg und seine Auswirkungen 337 337 2. Der Vertrag von Bongaya 347 3. Die Neugründung 351 4. Die Garnison 358 5. Die Flottille 365 II. Zur Topographie Makassars 370 1. Die räumliche Gliederung 370 2. Die Bevölkerungsgruppen 385 3. Apartheid zwischen Anspruch und Wirklichkeit 398 III. Der Hafen 403 1. Die Hafenanlage 403 2. Die Organisation des Hafens 407 IV. Makassar, die VOC und das Hinterland 414 1. Die politische Perspektive 414 2. Die wirtschaftliche Perspektive 428 V. Die Stadt und die Kompanie 435 1. Makassar – Schlüssel zum Osten 435 2. Makassar im System der VOC 452 Sechstes Kapitel Makassars maritimer Handel nach 1666/69 - 469 I. Der Warenhandel des Hafens von Makassar 471 1. Weder Muskat noch Nelken - der Gewürzhandel 472 2. Von Leinen bis Seide - der Textilienhandel 475 3. Javanisch oder chinesisch - der Tabakhandel 494 4. Trepang und agar-agar - der Handel mit Meeresprodukten 498 5. Rattan, Wachs und Gummi - der Handel mit Waldprodukten 508 6. Eisen, Kupfer und Gold - der Metallhandel 513 7. Salz und Zucker, Tee und Opium - der Handel mit Genußmitteln 520 8. Nahrung für Gewürzbauern - der Reishandel 532 9. Gebrauchsgegenstände des Alltags 538 10. Sklaven - der Menschenhandel 541 11. Bargeld und ansonsten nichts - die Leerfahrten 546 II. Boote und Schiffe im Hafen von Makassar 550 1. „Onder’t Casteel“ – Schiffsbesitz in Makassar 550 2. Schaluppe, konting, prahu – Schiffseinsatz im Warenhandel 557 III. Handelswege und Handelsziele 568 1. Die Handelswege der VOC 569 2. Die Handelswege der privaten Händler I: Fahrten in den Nahbereich 572 3. Die Handelswege der privaten Händler II: Java 582 4. Die Handelswege der privaten Händler III: Nusa Tenggara 588 5. Die Handelswege der privaten Händler IV: die Molukken 595 6. Der Rückgang des überregionalen Handels 598 7. China und der ‚Junkenhandel’ 599 8. Makassars Rolle als Knotenpunkt 607 IV. Handel und Ethnizität 615 1. Europäer und Untertanen 615 2. Die auswärtigen Handelsnationen 621 3. Die sulawesischen Handelsnationen 625 4. Nachodas unter fremden Herren 632 V. Makassar - Emporium beschränkter Reichweite 638 Siebtes Kapitel Banjarmasin und die Europäer - 645 I. Banjarmasin bis zum 17. Jahrhundert 647 1. Die Entwicklung des Sultanats 647 2. Die wirtschaftliche Entwicklung 652 II. Die Europäer in Banjarmasin 657 1. Sporadische portugiesische Präsenz 657 2. Der gescheiterte Versuch der EIC 658 3. Die frühen Handelskontakte der VOC 665 4. Die Mission von Jan Landheer und Jan Mathijs de Broun 668 5. Banjarmasin gegen Ende des 18. Jahrhunderts 678 III. Handel in Banjarmasin 680 1. Handel und Händler 680 2. Europäisch-asiatische Interaktion 687 3. Organisationsformen des Handels 692 IV. Banjarmasin - ein erfolgreicher Konkurrent Makassars? 702 Achtes Kapitel Diaspora, Nomadismus und die Verschiebung der Netze - 705 I. Zur Rolle der Handelsdiaspora im Einflußbereich der VOC 707 1. Die Bugis – eine Kultur von Seefahrern 707 2. Bugis-Netzwerke im westlichen Archipel 718 3. Der Handel der Bugis im Reich der VOC 722 4. Weitere Diasporagruppen im Reich der VOC 735 5. Diaspora und Handelsnetzwerke 742 II. Die Rolle des Nomadismus im Einflußbereich der VOC 744 1. Die Bajau – eine Kultur von Seenomanden 744 2. Nomadismus und Handel 758 III. Vorherrschaft der VOC und Eigenständigkeit der einheimischen Händler 767 1. Der heimliche Aufstieg Serams 767 2. Ein Monopol wird unterlaufen 773 3. ‚Krijstochten‘ und ‚Exstirpationen‘ 785 4. Erfolg und Mißerfolg 798 IV. Zur Entwicklung komplexer Handelsstrukturen 800 Neuntes Kapitel Sulawesi, Kalimantan und der Malaiischen Archipel der VOC - 805 807 I. Makassar und die VOC 1. Makassar im 17. und 18. Jahrhundert – eine Zusammenfassung 807 2. Die Durchsetzungkraft der VOC 809 3. Kontinuitäten und Veränderungen im makassarischen Wirtschaftsleben 812 II. Handelsstädte, Handelssysteme und die VOC 818 1. Banjarmasin, Bugis, Bajau – eine Zusammenfassung 818 2. Zum Handelssystem der VOC im Malaiischen Archipel 821 3. Zu den asiatischen Handelsnetzen im Malaiischen Archipel 823 4. Europäisch-asiatische Interaktionen 831 III. Einige Gedanken zum Malaiischen Archipel und dem Rest der Welt 834 Anhänge - 837 I. Glossare 839 1. Begriffe 839 2. Maßeinheiten 841 II. Abkürzungen 844 III. Quellen und Literatur 845 1. Archivalien 845 2. Publizierte Quellen 846 3. Literatur 851 Erstes Kapitel Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt „The world of humankind constitutes a manifold, a totality of interconnected processes, and inquiries that disassemble this totality into bits and then fail to reassemble it falsify reality.“ (Eric R. WOLF, 1982) I. „Gentle Janus“ - eine Einleitung Die Bedeutung der regionalen Perspektive für den globalen Zusammenhang gerät angesichts der Fülle eigenständiger Regionalstudien nicht selten in Vergessenheit, doch kann sie kaum unterschätzt werden. Jede geographisch eng begrenzte Untersuchung bildet letztendlich einen Bestandteil des Gesamten. Lokale Einzeluntersuchungen und Überblicksdarstellungen sind mitnichten streng getrennte Bereiche. Die völlig berechtigte und hier gleich zu Anfang ausdrücklich unterstrichene Forderung nach detaillierten Einzeluntersuchungen zur Überwindung der „großen Geschichte“ aus einem Guß darf nicht auf der lokalen Ebene stehenbleiben. Genauso wie es geboten ist, die Tieflagen der regionalen Phänomene in ihren Einzelheiten zu erfassen, ist es nötig, sich wieder auf die grenzüberschreitenden globalen Ebenen zu begeben, um sich der Bedeutung des detailliert Erforschten für die Geschichte zu vergewissern, um den eigenen Standort und denjenigen seiner Ergebnisse zu verorten, und schließlich um nicht Gefahr zu laufen, die eigene so gut verstandene Welt versehentlich für das Universum zu halten. Die Idee zu der vorliegenden Studie wurde auf der globalen Ebene geboren, die Studie selbst dreht sich jedoch im wesentlichen um einen geographisch relativ eng gefaßten Raum. Am Ausgangspunkt des Interesses stehen Fragen nach der Bedeutung der Europäischen Expansion für das einheimische Wirtschaftsleben und nach der Bedeutung der einheimischen Strukturen für das System der europäischen Handelskompanien im 17. und 18. Jahrhundert. Da die Beantwortung solcher Fragen nicht in einer einzigen empirischen Studie möglich ist, steht eine Fallstudie im Mittelpunkt. Die Studie will einen Beitrag dazu leisten, den Blick für die komplexen Zusammenhänge und Entwicklungen im Zuge der „Europäisierung“ des Wirtschaftslebens zu schärfen. Das Ergebnis soll ein Steinchen in dem Mosaik sein, welches aus vielen solcher Einzelsteine bestehend ein neues, näher an der historischen Wirklichkeit liegendes Bild der globalen Zusammenhänge ergibt. Oder besser: das Einfügen dieses Steinchens in das gesamte Mosaik soll mithelfen, dieses in seiner beständigen Bewegung auf die historische Wirklichkeit hin voranzubringen. Die beiden Jahrhunderte, in denen die VOC im Malaiischen Archipel präsent war, bildeten alles andere als ein in sich geschlossenes Kolonialzeitalter. Nichts läge der Realität ferner als die Vorstellung, daß die niederländische Kompanie nach ihrer Gründung 1602 in Indonesien erschien, die Macht auf den über 13.000 Inseln übernahm, diese zwei Jahrhunderte lang in allen Bereichen des öffentlichen Lebens kon- 20 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt trollierte und schließlich mit ihrer Auflösung 1799 verschwand, um die Macht dem niederländischen Staat zu überlassen – eine Sichtweise, die lange sowohl von Befürwortern als auch von Opfern des Kolonialismus vertreten wurde. Zwar ist die historische Fachwissenschaft über eine solche simplifizierende Interpretation längst hinaus und hat in den letzten Jahrzehnten durch eine reichhaltige Forschung anhand vielfältiger Einzelbeispiele das Bild wesentlich ausdifferenziert, doch ist diese differenzierte Sichtweise nicht nur in der Öffentlichkeit bislang kaum angekommen. Leider sind oberflächliche Vorstellungen von den Kaufleuten der VOC als allgewaltigen, alles unterdrückenden Kolonialherren auch heute noch weit verbreitet. In der Realität war das Gesicht der VOC ein doppeltes. Die Kompanie hatte sehr wohl den Anspruch, zu dem zu werden, wozu sie im nachhinein nicht selten gemacht wurde: eine Macht mit konkreter territorialer Kontrolle. Sie wandte durchaus entsprechende Mittel an und pflegte nicht selten ein entsprechendes Auftreten. Doch neben dieser machtpolitischen Komponente war sie zuallererst ein kaufmännisches Unternehmen, das in Übersee auf seinen Profit bedacht war. Diesen zu erreichen erforderte nicht selten eine andere Vorgehensweise als des machtpolitisch orientierten Kolonialherren. Wir finden die VOC mancherorts als Herrscher über Land und Leute, über Leben und Tod, an anderen Orten als eine Gruppe unter vielen, und zumeist bei weitem nicht als mächtigste unter ihnen. Der ambivalente Charakter der VOC kam in der „tension between the merchant’s and the manager’s interest“ zum Ausdruck; die Kompanie war der „Gentle Janus“.1 Geht man davon aus, daß das Vordringen der VOC in den südostasiatischen Gewässern die Handelsbeziehungen aus den Angeln hob, schwingt dabei – beabsichtigt oder nicht – die Behauptung mit, daß alle Bereiche des Handels betroffen waren, sei es der private oder öffentliche Handel, der weitreichende oder kurzwegige, sei er auf internationaler, regionaler oder lokaler Ebene angesiedelt. Daß sich im Zuge der Entwicklungen des 17. und 18. Jahrhunderts auch auf den unteren Ebenen entscheidendes verändert haben mag, soll nicht in Abrede gestellt werden. Vielmehr sollen gerade solche Veränderungen problematisiert werden, geraten sie in der Forschung doch allzu oft aus dem Blickfeld, ist erst einmal die verändernde Kraft der VOC konstatiert. Die Handelsaktivitäten der VOC selbst können durchaus zu recht als gut, wenn auch nicht als abschließend erforscht gelten. Auf der Ebene des regionalen und des 1 Zitat: JÄCKEL, Changing Role, 394; die Bezeichnung stammt aus der Dissertation von Reinout Vos (VOS, Gentle Janus). „Gentle Janus“ – eine Einleitung 21 privaten Handels ihrer Zeit eröffnen sich hingegen noch beträchtliche Kenntnislücken. Wieweit die VOC direkt oder indirekt in einheimische Handelsstrukturen eingriff, in welchem Ausmaß sich die Strukturen im 17. und 18. Jahrhundert veränderten und welche Bedeutung solche Prozesse für die Einbeziehung einer Region wie des Malaiischen Archipels in ein sich ausbreitendes Weltwirtschaftssystem hatte, sind Fragen, die noch einer Reihe exemplarischer Studien und der Einordnung ihrer Ergebnisse in den globalen Zusammenhang bedürfen. Hier setzt die vorliegende Untersuchung an, indem sie diese Fragen für einen zentralen Operationsraum der VOC thematisiert, den Malaiischen Archipel. Dies geschieht anhand einer Fallstudie zu den Handelsstrukturen, die von der Hafenstadt Makassar auf Süd-Sulawesi aus faßbar sind. Die Fallstudie ist einerseits notwendig, um die Weite des Themenfeldes für ein einzelnes Buch operabel zu machen, andererseits nimmt sie einen „Fall“ in den Blickpunkt, der als städtisches Emporium charakteristisch für die Region ist, als solches eine besondere wirtschaftliche Bedeutung im regionalen Kontext hatte und in seiner Geschichte den Übergang vom Stadtstaat zur Kolonialstadt erlebte, wodurch sich Möglichkeiten des diachronen Vergleichs eröffnen. Die folgenden Ausführungen werden daher zunächst die Thematik näher durch die Einordnung in den konzeptionellen (Erstes Kapitel), den methodischen (Zweites Kapitel) und den allgemeinhistorischen Rahmen (Drittes Kapitel) bestimmen, um sie dann anhand des Beispieles der Stadt Makassar und ihres ethnischen wie geographischen Umfeldes beispielhaft zu untersuchen (Viertes bis Achtes Kapitel). Das abschließende Kapitel soll schließlich den Versuch wagen, aus den Ergebnissen der beispielhaften Studie Erkenntnisse für den Gesamtzusammenhang, für die Geschichte der VOC im Malaiischen Archipel, die Handelsgeschichte dieser Region im 17. und 18. Jahrhundert und für die Geschichte der Europäischen Expansion nach Südostasien zu gewinnen. Der Stolz des Forschers verbietet natürlich die Behauptung, daß seine Bemühungen Stückwerk bleiben müssen. Die wissenschaftliche Redlichkeit gebietet auf der anderen Seite den Hinweis auf eine zwar reiche, aber in vielerlei Hinsicht schwierige Quellenlage und auf das Problem, daß mit Hilfe europäischen Quellenmaterials von einem Europäer asiatische Geschichte untersucht werden soll. Die Überlieferungslage der VOC birgt das Paradoxon, daß sie gleichermaßen bruchstückhaft und uferlos ist. Wer sich ganz auf einen Ort oder ein Ereignis konzentriert, muß mit dem Fehlen größerer Bestände leben, das eine lückenlose Rekonstruktion von Ab- 22 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt läufen und Gegebenheiten oder die Erstellung statistischter Zahlenreihen unmöglich macht; wer die Gesamtheit der Überlieferung, die für seine Fragestellung unter Umständen bedeutungsvoll sein könnte, in den Griff bekommen möchte, sieht sich schon in Anbetracht der schieren Menge Papier vor einer unlösbaren Aufgabe. Dennoch bleibt die Überlieferung der VOC für das angeschnittene Thema von unschätzbarem Wert und ist letztendlich unverzichtbar, bedenkt man die geringe Verfügbarkeit einheimischer Quellen, die weniger durch die mangelnde Sprachkompetenz bedingt wird, sondern durch das weitgehende Fehlen schriftlicher Aufzeichnungen aus dem Bereich des malaiischen Wirtschaftslebens. Stehen der politischen Geschichte Südostasien zumindest noch indigene Chroniken, Epen und auch Selbstzeugnisse zur Verfügung, wurde der Handel dieser Region weitgehend auf mündlichen Kommunikationswegen abgewickelt. Rückschlüsse aus den Beschreibungen und Aktivitäten der Europäer, in diesem Fall der VOC-Bediensteten, werden so vorrangiges Erkenntnismittel. Die daraus resultierende doppelte europäische Ausrichtung ist in ihrer Problematik bekannt und kann durch eine hohen Anspruch an kritische Reflexion gemindert, nie jedoch völlig vermieden werden.2 Eine Untersuchung wie die vorliegende bleibt angesichts dieser Lage darauf angewiesen, Quellen sinnvoll und begründet auszuwählen, diese aus einer bewußt gemachten europäischen Sichtweise zu interpretieren und eine möglichst hohe Plausibilität im Gesamtzusammenhang anzustreben, ohne letztendlich umhinzukommen darauf zu warten, daß die eigenen Ergebnisse durch andere Zugänge erweitert, verändert, vielleicht sogar widerlegt werden. Daß dabei nicht nur Fragen beantwortet, sondern auch neue aufgeworfen und entsprechend benannt werden, ist nicht nur akzeptiert, sondern durchaus gewollt. 2 Eine vollständige Vermeidung dieses Problems würde in der Praxis nichts anderes als der Verzicht auf jegliche Forschung in diesem Bereich bedeuten. Einen durchaus wissenschaftlich kritischen, dabei aber auch pragmatischen Zugang verfolgt die sogenannte ‚Vergleichende europäische Überseegeschichte‘; siehe hierzu SCHMITT, Überseegeschichte, passim. II. Begriffe und Konzepte Bevor auf Fragestellung und Vorgehensweise im einzelnen eingegangen werden kann, sind einige zentrale Begriffe zu diskutieren und die Stellung der Studie in einem größeren Zusammenhang festzulegen. Es gilt, einen konzeptionellen Rahmen abzustecken, ohne daß ein geschlossener theoretischer Entwurf angestrebt wird. Die Untersuchung ist nicht das Kind einer bestimmten sozialwissenschaftlichen Schule, auch wenn sie von den Ideen und Begrifflichkeiten verschiedener theoretischer Ansätze zu profitieren sucht. Gegenstand, Zeitraum, Fragestellung und Quellenlage bedingen eine Methode, die gelegentlich „archäologisch“ anmuten mag, da sie den Versuch unternimmt, verstreute Einzelinformationen zu sammeln, vor dem konzeptionellen Hintergrund zu bewerten und in einem systematischen Zusammenhang zu verknüpfen. Dies umfaßt auch die qualitative Analyse quantitativer Materialien, die nicht in ausreichend dichter Überlieferung vorliegen, um die Anwendung komplexer statistischer Modelle zu ermöglichen. 1. Der Malaiische Archipel und das kapitalistischen Weltsystem Die Enstehung eines kapitalistischen Weltsystems in der frühen Neuzeit Am Beginn der Überlegungen steht die Weltsystemtheorie und damit zwangsläufig Immanuel Wallerstein, doch soll dieser Ansatz nicht als deterministisches Korsett, sondern als Ausgangspunkt eigener Überlegungen dienen.3 Unabhängig davon, ob seinem Modell Erklärungskraft zugebilligt wird oder nicht, ist die Tatsache nicht zu bestreiten, daß zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein kapitalistisches Weltwirtschaftssytem besteht, das seinen Ursprung in Europa hat und von europäischen Werten sowie Institutionen bestimmt wird.4 Ebenso unbestritten sollte sein, daß es ein System dieser Ausprägung zu Beginn der Europäischen Expansion nicht bestanden hat. Geprägt durch kapitalistische Wirtschaftsweise und europäische oder besser westli3 4 Zur Weltsystemtheorie siehe neben den Schriften Immanuel WALLERSTEINS v.a. die ausgezeichnete Einführung SHANNON, World-System Perspective, den aus geographischer Sicht verfaßten Überblick TERLOUW, Regional Geography, die knappe Zusammenfassung bei VESTER, Geschichte, 89-109, sowie die parallele deutsche Modellbildung NOLTE, Welt. Siehe hierzu SCHMITT, Europäische Expansion, 274/275. 24 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt che Dominanz, ist es das Ergebnis eines langfristigen historischen Prozesses, in dessen Verlauf die einzelnen Teilregionen der Welt nach und nach einbezogen wurden. Der Erklärungsansatz für diese Entwicklung, den Wallerstein ausgehend von einer Kapitalisierung der Landwirtschaft im 16. Jahrhundert anbietet, weist sicherlich eine Reihe Schwächen auf, die sich nicht nur auf eine unscharfe Verwendung von Begriffen beschränken. Vor allem seine Konzentration auf das rein Ökonomische, den Ausschluß aller kulturellen und sozialen Faktoren und damit die uneingeschränkte Adaption des realitätsfernen Konstruktes ‚Homo Oeconomicus’ fordert Kritik heraus. Daneben erscheint die für den Auf- und Abstieg von Regionen bedeutsame Unterscheidung von starken und schwachen Staaten wenig überzeugend. Erwähnenswert ist darüber hinaus Wallersteins Kapitalismusbegriffs, der das Profitstreben zum Wesensmerkmal erhebt und dabei die konkreten Produktionsformen und ihre gesellschaftlichen Bedingungen aus dem Blickfeld verdrängt, sowie sein Konzept des ungleichen Tausches. Gerade dessen innere Widersprüche aufzulösen erweist sich Wallerstein nicht in der Lage. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Frage, ob es rein ökonomisch oder in Abhängigkeit von der Staatsstärke abzuleiten ist, als auch, ob der ungleiche Tausch innerhalb des Weltsystems die bestehenden Ungleichheitverhältnisse zementiert oder Entwicklungen zuläßt.5 Trotz berechtigter Kritik gebühren Wallerstein auch unbestreitbare Verdienste. Seine Theorie läutete das Ende allzu einfacher modernisierungstheoretischer Annahmen ein, welche die Wirtschaftsgeschichte ihrer synchronen Verflechtungen berauben und sie auf den zeitlich versetzten Ablauf des immer gleichen Prozesses reduzieren. Wallersteins wohl größtes Verdienst ist es, statt dessen die funktionalen Zusammenhänge unterschiedlicher Wirtschaftsregionen im globalen Kontext betont zu haben. Dieser Sichtweise ist es zu verdanken, daß der Blick auf die räumliche Struktur des Systems ‚Weltwirtschaft‘ einschließlich ihrer Dynamik frei wird. Gerade diese räumliche Struktur der Weltwirtschaft ist es, die hier in den Mittelpunkt gestellt werden soll, da sie den dauerhaftesten Beitrag der Weltsytemtheorie zur Wirtschaftsgeschichte darstellen wird. Grundlegend besteht diese Struktur aus zentralen, semiperipheren und peripheren Räumen sowie diversen Außenarenen, die lose mit dem dreigliedrigen Weltsytem verbunden sind. Die einzelnen Zonen des Weltsystems sind durch ungleichen Tausch miteinander verknüpft. Die Peri5 Auf das mittlerweile schier unüberschaubare kritische Schrifttum zu den Thesen Wallersteins kann hier nicht näher eingegangen werden. Stellvertretend sei auf TORP, Weltsystemtheorie, hingewiesen – eine überzeugende und präzise Kritik, die sich nicht wohlfeil auf den Nachweis faktischer Fehler beschränkt, sondern anhand der Begriffe und Konzepte auf den Kern der Theorie zielt. Begriffe und Konzepte 25 pherie bietet dem Zentrum vor allem billige Arbeitskräfte und Rohstoffe an; im Gegenzug erhält sie Fertigprodukte, auf deren Produktion die Prosperität des Zentrums beruht. Dieses Zentrum zeichnet sich insbesondere durch seine komplexe Wirtschaftsstruktur, seine fortschrittliche Technologie, sein überdurchschnittliches Realeinkommen und die dadurch erreichte Lebensqualität aus. Regionen der Semiperipherie ist es in einigen Teilbereichen gelungen, aus dieser Abhängigkeit auszubrechen und selbst Waren zu produzieren, um nicht mehr auf den reinen Rohstoffexport angewiesen zu sein. Die Einführung der Semiperipherie macht aus Wallersteins Weltsystem mehr als ein statisches Konstrukt zur Beschreibung ungleicher ökonomischer Beziehungen; sie erlaubt die Einbeziehung beobachtbarer weltwirtschaftlicher Veränderungen in ein systemisches Verständnis, auch wenn nicht alle Erklärungsansätze Wallersteins überzeugen können.6 Die Außenarenen schließlich stehen in keiner Austauschbeziehung zu den verschiedenen Zonen des Weltsystems – mit der einen Ausnahme, daß das Zentrum aus ihnen exklusive Luxuswaren bezieht. Die Außenarenen, welche weder das Weltsystems noch andere Zonen strukturell beeinflussen, weisen einen relativ geringen Handel auf; die Handelsverbindung mit dem Weltsystem beschränken sich letztendlich auf unbedeutende Güter.7 Die weiterführende Diskussion hat inzwischen zu einer Betrachtungsweise geführt, die das moderne, kapitalistische Weltsystem als ein Phänomen unter vielen und die Geschichte als eine Abfolge und ein Nebeneinander verschiedener Weltsysteme begreift. Bereits vor und auch lange neben dem letztendlich siegreichen europäischen Weltsystem bestanden andere Systeme, teilweise unverbunden nebeneinander, teilweise in Konkurrenz zueinander. Fernand Braudel betont sowohl die Existenz nicht-ökonomischer Weltsysteme als auch das ursprüngliche Nebeneinander verschiedener Weltökonomien, unter denen er das System des ‚Fernen Ostens‘ besonders hervorhebt.8 In eine ähnliche Richtung argumentiert Janet L. Abu-Lughod, die bereits für das 12. und 13. Jahrhundert ein Weltsystem identifiziert, das sich aus insgesamt acht Zirkeln zusammensetzte.9 Schließlich geht Andre Gunder Frank von einem seit 5.000 Jahren bestehenden Weltsystem aus, wodurch die Wiedereinführung Asiens in die Geschichte der Weltwirtschaft erreicht wird.10 Ob man Begriff6 7 8 9 10 Für eine ausführlichere Darstellung der einzelnen Zonen siehe NOLTE, Welt, 59-84. TERLOUW, Regional Geography, 65/66. BRAUDEL, Aufbruch zur Weltwirtschaft, 44-73 sowie 540-596. ABU-LUGHOD, Hegemony, insbes. 352-373; hierzu kritisch HALL/CHASE-DUNN, Forward, passim. GILLS/FRANK, 5000 Years; FRANK/GILLS, 5,000-Year World System; DIES., World System Cycles; für eine kritische Würdigung siehe BERGESEN, Let’s Be Frank, passim. Eine umfassende Synthese über die asiatisch geprägten Epochen der Weltwirtschaft legte Andre G. Frank erst jüngst vor: FRANK, ReOrient. 26 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt lichkeiten auf diese Weise ausdehnen oder doch eher eng fassen will, ist letztendlich eine sekundäre Frage. Im Prinzip geht es nur um die unterschiedlichen Perspektiven, alle Strukturveränderungen innerhalb eines Weltsystems zu begreifen oder sie als Abfolge von Weltsystemen zu interpretieren. Eine expandierende, europäisch dominierte Weltwirtschaft ist in all diesen Vorstellungen zu finden. Um einen hinreichend offenen und flexiblen Begriff zu benutzen, der jedoch nicht der Beliebigkeit anheim fällt, soll hier auf Fernand Braudel zurückgegriffen werden, der mit einem gegebenen geographischen Raum, einem Zentrum sowie der Aufteilung in Zonen drei definitorische Merkmale einer Weltwirtschaft postuliert. Er betont, daß diese Weltwirtschaft, die sich im wesentlichen selbst versorgen kann und eine gewisse organische Einheitlichkeit aufweist, nur eine Ordnung neben anderen darstellt – namentlich solchen der Kultur, der Gesellschaft und der Politik. Alle diese Ordnungen sind miteinander verknüpft und bilden ein integratives Ganzes.11 Die Stellung des Malaiischen Archipels in der frühneuzeitlichen Welt Nach Wallerstein war der Malaiische Archipel zumindest zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht in das kapitalistische Weltsystem integriert, sondern durch die Ausfuhr von Luxusgütern lediglich als Außenarena lose angebunden. Während die Peripherie durch die kapitalistische Arbeitsteilung in das Weltsystems eingebunden wurde, da sie billige Arbeitskräfte und Rohstoffe für die Interessen der Zentren zur Verfügung stellte, hatten Außenarenen keine unabdingbare funktionale Bedeutung für das System. Die Beziehung zu einer Außenarena war zwar dank ihrer Güter für die Zentren nützlich, jedoch nicht existentiell notwendig. Wesentliches Merkmal einer Handelsbeziehung dieser Art war die unausgeglichene Handelsbilanz der Europäer, die ihre Zahlungen in Form von Edelmetallen leisten mußten, und die damit zusammenhängende Tatsache, daß der ‚mode of change‘ in der Außenarena bestimmt wurde.12 Auch für den Malaiischen Archipel war diese lose Verbindung zum europäischen Weltsystem nicht existentiell. Vielmehr befand er sich im Spannungsfeld verschiedener asiatischer Wirtschaftssysteme und bildete darüber hinaus eine eigene Einheit, die auf sich selbst gestellt bestehen konnte. In der Einschätzung Braudels war der Archipel vor dem Erscheinen der Europäer eine zunächst nicht näher bestimmte 11 12 BRAUDEL, Dynamik des Kapitalismus, 75; DERS., Aufbruch zur Weltwirtschaft, 18, 44-46. WALLERSTEIN, Weltsystem I, 450 , 473. Begriffe und Konzepte 27 periphere Zone einer indisch dominierten Weltwirtschaft, die den Indischen Ozean von der Ostküste Afrikas bis zu den indonesischen Inseln „in eine Art Binnenmeer zum eigenen Gebrauch“ verwandelte. Aber auch die chinesische Weltwirtschaft griff im Zuge ihrer Expansion im 15. Jahrhundert auf Randzonen wie den Malaiischen Archipel über, so daß dieser für mehrere Systeme einen Teil der Peripherie bildete. Grundsätzlich geht Braudel von drei traditionellen, sich überschneidenden Weltwirtschaften in Asien aus: den islamischen Bereich, der den Indischen Ozean, das Rote Meer und den Persischen Golf sowie den Wüstengürtel von Arabien bis China umfaßt; Indien, dessen Einflußbereich sich auf den ganzen Indik westlich und östlich von Kap Komorin erstreckte; und schließlich China als dominierende asiatische Kontinentalmacht wie auch als Seemacht in den Randbereichen des Pazifiks.13 Das mittelalterliche Weltsystem, das Janet Abu-Lughod als Vorläufer des kapitalistisch-europäischen Weltsystems beschreibt, bestand in Asien aus drei Zirkeln. Während der erste die Handelswelt des Persischen Golfs, der Arabischen Halbinsel und Ostafrikas mit den wesentlichen Handelszonen Indiens verband, war ein Teil des Malaiischen Archipels Bestandteil des mittleren Zirkels, der den Indischen Subkontinent mit dem südostasiatsichen Festland verband, und der gesamte Archipel Bestandteil des dritten Zirkels, der die Verbindung Südostasiens zu China herstellte.14 An dieser Grundstruktur der weiteren Einbindung änderten die ersten eintreffenden Europäer im 16. Jahrhundert zunächst nichts. Im Vergleich zum Handel innerhalb der drei von Abu Lughod beschriebenen Zirkel und zwischen ihnen war die neue europäische Beteiligung nur marginal. Unzweifelhaft ist jedoch, daß sich die Rolle der Europäer im Verlauf der frühen Neuzeit änderte und am Ende der Entwicklung eine Einbeziehung in ein europäisch dominiertes Weltsystem stand. Zu fragen ist jedoch, ob sich zwischen diesen beiden Polen eine Überlagerung, eine Verdrängung oder gar eine Zerstörung der asiatischen Strukturen abspielte. Die Expansion des kapitalistischen Weltsystems in Asien Zu den zentralen Fragestellungen der Weltsystemtheorie gehört die Integration externer Regionen in die Weltwirtschaft. Hierbei geht es vor allem um die Frage nach den konkreten Vorgängen bei der Einbeziehung in das Gesamtsystem und nach den Folgen eines solchen Prozesses.15 Allgemein bedeutet Inkorporation die Anpassung 13 14 15 BRAUDEL, Aufbruch zur Weltwirtschaft, 21, 39, 540/541. ABU-LUGHOD, Hegemony, 251, 253. VESTER, Geschichte, 93. 28 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt der Gesellschaft in der neuen Peripherie und ihrer Wirtschaft an die hierarchischen Strukturen des bestehenden Weltsytems sowie die Erfordernisse des Zentrums.16 Solange der Malaiische Archipel Güter lieferte, dies aber im wesentlichen innerhalb seiner eigenen Strukturen tat, an denen sich die Europäer nur beteiligten, konnte er aus dieser Sichtweise kein Teil des europäischen Weltsystems sein. Die Präsenz der iberischen Mächte in Südostasien führte eher zu einer weiteren Entfernung der Region vom europäischen Weltsystem als zu einer Eingliederung. Erst als ein Jahrhundert später die westeuropäischen Seemächte stark genug waren, wurde die Region allmählich inkorporiert.17 Aus der Perspektive Wallersteins bedeutet Inkorporation einer externen Zone vor allem die andauernde Transformation der regionalen ‚Ministrukturen’ durch Vertiefung der kapitalistischen Entwicklung. Beherrschten zuvor Luxusgüter den Export in das Zentrum, werden sie nun von Rohstoffen abgelöst. In der Gegenrichtung fließen nach der Inkorporation Fertigprodukte statt Edelmetalle in die neue Peripherie, wo dies die Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktion für Angebote auf dem Weltmarkt und den gleichzeitigen Rückgang der eigenen Warenproduktion bedeutet. Hinsichtlich der unterschiedlichen Resistenz von Regionen gegenüber der Inkorporation billigt Wallerstein dem Staat eine entscheidende Rolle zu. Ein starker Staat wie China konnte die Inkorporation seines Territoriums verhindern oder zumindest hinauszögern. Ein schwacher Staat unterlag weitaus eher der Expansionsdynamik des kapitalistischen Weltsystems. Allerdings beruht die Stärke eines Staates im wesentlichen auf seiner wirtschaftlichen Potenz.18 Ist letztere entscheidend, wie dies für das Malaiische Archipel angenommen werden darf, kann eine Region auch ohne die Ausprägung eines einheitlichen Staates, den es im Archipel trotz einiger Großreiche nie gegeben hatte, die Inkorporation lange verhindern. „Um nachvollziehen zu können, warum wir den Handel im Indischen Ozean nicht als Teil der europäischen Weltwirtschaft betrachten, obwohl er ganz von einer europäischen Macht [d.h. den Portugiesen] dominiert wurde, müssen wir untersuchen, welche Bedeutung diese Dominanz für die betroffenen asiatischen Länder und für Europa hatte.“19 Die massive Präsenz oder gar Dominanz einer europäischen Macht reichte nicht aus, um bereits die Inkorporation einzuleiten. Erst die Rückkopplung zu den Ländern im Zentrum wie auch in der entsprechenden Außenarena kann zu einem Ur16 17 18 19 WALLERSTEIN, Weltsystem I, 479; HOPKINS/WALLERSTEIN, Incorporation, passim. WALLERSTEIN, Weltsystem I, 484. VESTER, Geschichte, 106. WALLERSTEIN, Weltsytem I, 472. Begriffe und Konzepte 29 teil darüber führen, ob die Bedingungen für eine Inkorporation erfüllt waren. Allerdings bleibt an dieser Stelle unklar, wie eine Außenarena, die schließlich nach ihrer Definition ausschließlich zum Eintausch von Luxuswaren diente, vollständig von einer europäischen Macht dominiert werden konnte. Geht Wallerstein bei der Anwendung des Begriffs Dominanz von einer tatsächlichen Durchdringung der fraglichen Region aus, widerspricht er seiner eigenen Definition. Meint er mit dem Begriff jedoch nur eine Dominanz im ‚Luxushandel‘, kann kaum davon gesprochen werden, daß der Handel „ganz von einer europäischen Macht dominiert wurde“. Es konnte nicht ausbleiben, daß die Behandlung der Inkorporation Asiens und damit die konkrete Anwendung des Modells der Weltsystemtheorie auf diesen Kontinent in der Fachliteratur einige Kritik hervorrief. Wallersteins Erklärungen für die Funktionsweise der Inkorporation von Außenarenen sind typisch funktionalistisch und bleiben an der Oberfläche; kurzfristige und langfristige Dynamiken und unterschiedliche Akteure bleiben unberücksichtigt.20 Von dieser Kritik ausgehend lenkt Wolfram Jäckel den Blick weg von der angenommenen Entwicklung hin zu den Handelsstrukturen des Malaiischen Archipels. „It is quite evident that the mode of incorporation of the archipelago into the European world-system worked at least partly through the penetrating restructuring of the already existing commercial nets and structures of which […] the infrastructural subset was central.”21 Einen ähnlichen Perspektivwechsel führt Victor Lieberman durch, wenn er nicht nur nach der Möglichkeit der Europäer fragt, die Produktion von Rohstoffen zu erzwingen, sondern generell nach deren Potenz gegenüber den einheimischen kommerziellen und politischen Systemen. „Nonetheless, recent research leaves little doubt that Europeans were able to disrupt fundamentally the operation of Southeast Asian commercial and political systems long before they transformed agriculture or established extensive areas of direct rule. That is to say, although according to certain of Wallerstein’s criteria, achipelagic Southeast Asia remained external to the so-called European world-economy, according to other of his criteria, archipelagic Southeast Asia was well on the way to peripheralization by 1650 or 1700. […] The outsiders [d.h. die Europäer] were able to capitalize on a variety of local cultural traits which proved highly dysfunctional in the contest with Europeans – an inclination to import, rather than manufacture, military technology; a comparatively genteel tradition of warfare that was sparing of lives; and above all, endemic factionalism.”22 20 21 22 JÄCKEL, Changing Role, 398-400. Ebd., 400. LIEBERMAN, Wallerstein’s System, 74/75. 30 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt Durch ihre Vorgehensweise fragmentierte die VOC die einheimische politische Herrschaft im Archipel und schwächte den malayo-indonesischen Handel – ausdrücklich nicht den chinesischen. Diese Entwicklung ist nach Lieberman auch und vor allem für das 17. Jahrhundert zu beobachten. Wallersteins schematische Trennung zwischen Peripherie und Außenarena greift entsprechend im Falle Südostasiens nach Ansicht Liebermans nicht.23 Der Perspektivwechsel von der kapitalistischen Arbeitsteilung zu den kommerziellen und politischen Strukturen läßt die Außenarena ‚Malaiischer Archipel‘ weitaus näher an die räumliche Struktur der europäisch dominierten Weltwirtschaft heranrücken und ihre in der ursprünglichen Theorie frühestens für das 18. Jahrhundert vorgesehene Inkorporation bereits mit den ersten Jahrzehnten der Ostindischen Kompanien beginnen.24 Nils Steensgaard kritisiert treffend, daß Wallerstein und Frank die Inkorporation Asiens in die europäische Weltwirtschaft nur in das 18. Jahrhundert verlegen, grundlegend jedoch dadurch nichts an der Sichtweise einer europäischen Überlegenheit ändern.25 Der Grund für das Einsetzen der Inkorporation wäre nach wie vor der Niedergang des asiatischen Handels und seines Wirtschaftssystems. Peter W. Klein verlegt diesen Prozeß sogar in das 19. Jahrhunderts. Für das 17. und 18. Jahrhundert gehört er zu den konsequentesten Verfechtern einer europäischer Marginalität in Asien. Allerdings geht auch in seiner Betrachtungsweise der eigenständige asiatische Handel letztendlich unter.26 Unausgesprochen schwingt in dieser Einschätzung eine schlichte Gleichsetzung von territorialem Kolonialismus mit europäischer Dominanz in allen Bereichen einschließlich des Handels mit. Auf jeden Fall fehlt bei Klein eine differenziertere Sicht der Entwicklung unter dem territorialen Kolonialismus des 19. Jahrhunderts. Trägt man der Tatsache Rechnung, daß der Handel und seine Strukturen in der ursprünglichen Weltsystemtheorie gegenüber der Produktion und Arbeitsteilung nicht ausreichend zum Tragen kommt, ergibt sich ein Blickwinkel, welcher der kommerziell geprägten Welt des Malaiischen Archipels in der frühen Neuzeit weit- 23 24 25 26 Ebd., 77/78. Wallerstein macht diese Entwicklung an Indien, dem Osmanischen Reich, Rußland und Westafrika ab der Mitte des 18. Jahrhunderts fest (SHANNON, World-System Perspective, 51-71); für den Indischen Subkontinent bestätigen dies PALAT/BARR/MATSON/BAHL/AHMAD, Incorporation, 183/184, die für den Inkorporationsprozeß der vormals eigenständigen Weltwirtschaft Indien den Zeitraum ca. 1750 bis ca. 1860 veranschlagen. STEENSGAARD, Asian Trade, 229. KLEIN, China Seas, 386/387. Begriffe und Konzepte 31 aus gerechter wird. Eine klare Festlegung seiner Inkorporation in die Weltwirtschaft wird offenbar dadurch noch lange nicht möglich. Diese Fragestellung führt auf konkretere Ebenen, wo Indizien für eine Durchdringung asiatischer Handelswelten durch europäische Strukturen zu sammeln sind. 2. Ebenen des Handels Funktion, Raum und Reichweite Viele Urteile über den Charakter des asiatischen Handels nach Ankunft der Europäer und seine Eingliederung in das Weltsystem beziehen sich ausschließlich auf bestimmte Ebenen. Im Zentrum der Betrachtung stehen regelmäßig übergeordnete Ebenen, wie dies der Fall ist, wenn die Geschichte der Ostindien-Kompanien herangezogen wird, um Wandel und Kontinuität asiatischer Handelsbeziehungen zu beschreiben. Solche Sichtweisen können verzerrend sein, da sie außer Acht lassen, ob von einem grundlegenden Wirtschaftswandel auch dann die Rede sein kann, wenn sich die Entwicklungen im Fernhandel auf den Ebenen des lokalen oder regionalen Wirtschaftslebens nicht ausgewirkt haben. Spricht eine nur am europäischasiatischen Langstreckenhandel beobachtete Veränderung nicht eher für eine Veränderung der ‚termes of trade’ gerade oder gar ausschließlich auf dieser Ebene? Unter Umständen handelt es sich sogar nur um eine Veränderung in der Wahrnehmung der Beteiligten. Handel läßt sich nicht nur sinnvoll nach Organisationsformen differenzieren, sondern auch nach Ebenen, die sich in Funktion und räumlicher Reichweite unterscheiden. Funktion, Raum und Reichweite können dabei nur im Zusammenhang gesehen werden. Einzelne Handelsebenen unterscheiden sich in der Reichweite der Träger kommerzieller Aktivitäten und damit der von ihnen transferrierten Waren. Dadurch werden auf verschiedenen Ebenen verschieden große Räume in einen Handelszusammenhang eingebunden. Und dadurch erhalten die Ebenen verschiedene Funktionen, insbesondere hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Warenmärkte. Die Funktionalität muß im Zusammenhang mit den verbindenden Elementen betrachtet werden. Verschiedenen Handelsebenen stehen natürlich nicht unverbunden nebeneinander, sondern sind an vielfältigen Punkten auf vielfältige Weise miteinander verknüpft und gewinnen gerade dadurch ihre Funktionalität. Es liegt da- 32 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt her auf der Hand, daß sich bei der Betrachtung internationalen Handels im Rahmen eines Mehr-Ebenen-Konzeptes das Hauptinteresse auf die Verbindungselemente konzentriert, die den Austausch zwischen den Ebenen garantieren. Das Konzept der Handelsebenen stellt eine vertikale Ergänzung zum horizontalen räumlichen Modell der Weltsystemtheorie dar und erweitert das zweidimensionale Bild des Handelsnetzes um eine dritte Dimension. So wird die Einbeziehung von Handelsstrukturen sichergestellt, die bei einer zweidimensionalen Betrachtung allzu leicht unter den Tisch fallen. Von der Retourflotte zum dörflichen Markt – die Ebenen des Handels Ein Beispiel aus dem Wirtschaftsleben des Malaiischen Archipels soll verdeutlichen, von welchen Handelsebenen im vorliegenden Fall gesprochen werden kann. Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts beschränkte sich der exportorientierte Anbau der in Europa so begehrten Gewürznelken auf wenige Inseln in den Molukken. Im Süden dieses Archipels handelte es sich dabei ausschließlich um Ambon, im Norden um die Vulkaninseln Ternate, Tidore, Bacan, Macian und mit Einschränkungen Moti. Nicht alle nördlichen Inseln waren gleich günstig zu erreichen. Letztendlich beschränkten sich die Anlegemöglichkeiten von hochseegängigen Handelsschiffen auf Ankerplätze vor der Stadt Gilolo auf Halmahera sowie Buchten der Inseln Ternate, Bacan und Macian. Die Gewürzbauern brachten die Nelken entweder zu Fuß, in der Regel jedoch auf Wegen der Küstenschiffahrt zu den dort angesiedelten lokalen Märkten. Auf diesen Märkten setzten sie nicht nur ihre Nelken ab, sondern kauften die für den Lebensunterhalt notwendigen Dinge ein. Hier handelt es sich um die unterste Ebene des Systems, um die Ebene des lokalen Handels. Von diesen Sammelplätzen aus brachten Malaiien oder Javaner, Makassaren oder Bugis die Nelken zu den urbanen Warenumschlagplätzen des Malaiischen Archipels. Dort wurden sie für den Langstreckenhandel bereitgestellt, sei es auf den Märkten, über Mittelsmänner oder über die lokalen Herrscher. Dies spielte sich auf der Ebene des regionalen Handels ab, die eine Verbindungsebene zwischen lokalem Markthandel und Überseehandel darstellt. In den Emporien des Gewürzhandels konnten die Nelken einerseits an asiatische Langstreckenhändler wie die Gujaratis aus Indien oder die chinesischen Kaufleute veräußert werden. Diese brachten sie zumeist in ihre Heimat, wo sie entweder dem Konsum oder dem Weiterhandel zur Verfügung gestellt wurden. Hierbei handelt es sich um die Ebene des überregiona- Begriffe und Konzepte 33 len oder auch innerkontinentalen Handels. Andererseits konnten die Nelken in den Emporien auch von Europäern, sei es von den Ostindien-Kompanien oder von den Portugiesen, für die europäischen Märkte gekauft werden. Dies nun ist die Ebene des interkontinentalen oder auch globalen Handels. Auf allen Ebenen handelte es sich zwar um die gleiche Ware – um molukkische Gewürznelken –, doch wurde diese von unterschiedlichen Händlern in unterschiedlichen Organisationsformen, auf unterschiedliche Weise und aus unterschiedlichem Interessen heraus gehandelt. Da die Überlegungen auf ein expandierendes Weltsystem hinauslaufen, ist eine Betrachtung der Ebenen von oben nach unten sinnvoll. Die erste Ebene ist demnach die Ebene des interkontinentalen Handels. Was heute im Zeichen der Globalisierung in allen Wirtschaftsbereichen Normalität ist, war in der frühen Neuzeit das Besondere und Außergewöhnliche: ein Handel, der die Grenzen von Kontinenten überschritt und Ozeane überquerte. Dennoch und oder gerade deshalb ist es dieser Handel, der immer wieder im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses steht – war er doch aus europäischer Sicht der wichtigste und auch der aufsehenerregendste. Zugleich brachte er die meisten überlieferten Quellenzeugnisse hervor. Das Ergebnis ist ein typisches Beispiel dafür, daß das „Besondere“ die Aufmerksamkeit auf sich zieht und dadurch den Blick auf die Veränderungen im „Normalen“ verstellt. Die erste Ebene war im 17. und 18. Jahrhundert vor allem die Domäne der Überseehandelskompanien; in den Jahrhunderten zuvor dominierten die Langstreckenkarawanen, wie sie auf der Seidenstraße verkehrten. Die zentrale Funktion dieser Ebene besteht in der Verbindung geographisch weit entfernter Wirtschaftsräume. Somit kommt ihr für das expandierende moderne Weltsystem eine besondere Bedeutung zu, ermöglichte sie in der frühen Neuzeit doch erst die Verknüpfung zentraler, semiperipherer und peripherer Räume. Auf der zweiten Ebene spielte sich der überregionale Handel ab. Eine Trennung des regionenübergreifenden Handels in eine interkontinentale und eine kontinentale Ebene – schließlich könnte auch von einer gemeinsamen Ebene der Weltmärkte gesprochen werden – erscheint vor allem in historischer Perspektive und in Hinblick auf Asien sinnvoll. Die Europäer trafen auf eine komplexe asiatische Handelswelt mit eigenen Märkten, Akteuren, Organisationen und Strukturen, die von sich aus wenig mit Europa zu tun hatte, aber „intern“ beinahe einen ganzen Kontinent verknüpfte. Kann man heute tatsächlich von einer Ebene der Weltmärkte sprechen und sind die Grenzen zwischen erster und zweiter Ebene heute häufig nicht mehr zu erkennen, galten für die frühe Neuzeit noch ganz andere Bedingun- 34 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt gen. In ihr waren für den Aufbau von Handelsverbindungen zwischen Europa und Asien immense Entfernungen zu überbrücken, hohe Risiken zu akzeptieren und überdurchschnittliche Transaktionskosten aufzubringen. In der frühen Neuzeit war die zweite Ebene das Betätigungsfeld einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure. Sowohl die arabische Welt wie der indische Subkontinent, das chinesische Reich und das maritime Südostasien brachten Kaufleute hervor, die in verschiedenen Handelssektoren und auf vielfältigen Wegen einen ganzen Kontinent kommerziell integrierten. Mit dem Erscheinen der Europäer zur See wurde diese Breite noch beträchtlich erweitert. Nicht nur, daß viele europäische Privatiers sich am innerasiatischen Handel beteiligten, auch die privilegierten Handelskompanien bezogen einen beträchtlichen Teil ihrer Einnahmen aus dem sogenannten ‚country trade’. Die dritte Ebene, die Ebene des regionalen Handels, umfaßt weitaus geringere, wenn auch in der genauen Größe variable Räume und nimmt eine Schanierfunktion zwischen den Ebenen des Fernhandels und des lokalen Markthandels ein. Auf der dritten Ebene werden die an unterschiedlichen Plätzen produzierten Güter gesammelt und für den überregionalen Handel bereitgestellt. Umgekehrt treffen auf ihr die Fernhandelsgüter der oberen Ebenen ein, um auf die einzelnen lokalen Märkte der vierten Ebene verteilt zu werden. Die Beteiligten dieses Bereiches sind weder ethnisch noch individuell eindeutig zuzuordnen. Kaufleute können nacheinander, sogar gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen aktiv werden. Im Malaiischen Archipel der frühen Neuzeit waren vor allem indonesische Händler auf dieser Ebene zu finden, zunehmend jedoch auch europäische oder eurasische Privatiers. Der Handel der europäischen Kompanien fand hingegen nur ausnahmsweise auf der dritten Ebene statt; ihr ‚country trade’, der vor allem Indien, China, Japan und den Malaiischen Archipel verband, war im wesentlichen ein Phänomen der zweiten Ebene. Die vierte Ebene, die Ebene des lokalen Markthandels, übernimmt zwei wesentliche Funktionen. Zum einen stellt sie die unmittelbare Verbindung zu den Plätzen der Warenproduktion und des Konsums her, zum anderen handelt es sich um die Ebene der alltägliche Austauschbeziehungen und der Versorgung des Alltagslebens. Sie wird geprägt von Marktplätzen, auch von Austauschbeziehungen zwischen einzelnen Individuen und von einer Vielfalt der Handelsformen. Zumindest in der frühen Neuzeit war sie weitaus weniger von der Geldwirtschaft bestimmt als die höheren Ebenen. Hinsichtlich der Region und der Zeit, die hier von Interesse sind, begibt man sich auf ihr in den Bereich der Alltagsgeschichte, der unzulänglichen Quellenüberlieferung und der geringen wissenschaftlichen Greifbarkeit. Begriffe und Konzepte 35 Import und Export Im Zusammenhang der Handelsebenen sind die Begriffe ‚Import’ und ‚Export’ schärfer zu fassen, insbesondere angesichts der Funktion der vierten Ebene. In der Aussage, daß Asien Gewürze nach Europa ‚exportierte’, ist nicht wirklich von einem konkreten Exporthandel die Rede, da der Begriff ‚Asien’ viel zu weit gefaßt ist. In diesem Beispiel ist von Export ohne jegliche Verbindung zu den Produzenten und den Handelsakteuren die Rede; die Aussage enthält keine wirkliche Information über das Handelsgeschehen, sondern nur eine abstrakte Formel, die sich auf der höchstmöglichen Handelsebene bewegt. Angesprochen wird hier weniger ein tatsächlicher Export bestimmter Waren als vielmehr der Warenumschlag auf verschiedenen Ebenen oder von einer auf die andere Ebene. Pragmatisch werden die Begriffe ‚Export’ und vice versa ‚Import’ natürlich für solche Zusammenhänge üblich bleiben; für die Funktionsweise der Handelsebenen ist jedoch ein „reiner“ Import/Export oder ein Import/Export im „engeren Sinne“ zu bestimmen. Als reiner Export ist in diesem Zusammenhang der Warenumschlag von der vierten auf eine der höheren Handelsebene zu Verstehen. Dabei ist die Einschränkung zu berücksichtigen, daß bei einem reinem Export auf der vierten Ebene nicht unbedingt tatsächlicher Handel stattfinden muß, da der Produzent einer Ware den Umschlag auf die entsprechende höhere Ebene auch selbst durchführen kann. Unter reinem Import ist entsprechend der Umschlag von einer der oberen Ebenen auf die vierte Ebene zu verstehen, wo die Waren zum Konsum bereitgestellt werden. Hier muß in der Regel von einem Handel auf der vierten Ebene ausgegangen werden, da nur die Identität des Konsumenten mit demjenigen, der den Umschlag durchführt, oder ein reines Distributionssystem als Alternativen in Frage kommen. Der Malaiische Archipel im System der Handelsebenen Die Perspektive, die vier verschiedene, hierarchisch geordnete Ebenen des Handels unterscheidet, will keine streng schematische Einteilung der historischen Wirklichkeit anstreben. Grenzen können durchaus fließend gewesen sein, Zuordnungen uneindeutig. Dennoch erscheint eine solche Vorgehensweise für die Analyse sinnvoll, um Phänomene und Prozesse wieder in den Blick zu rücken, die bei einer umfassenden Betrachtung des Handels in Asien leicht überdeckt werden können. Die verschiedenen Ebenen bilden stets ein mannigfaltig miteinander verbundenes Ganzes. Da es um kommerzielle Beziehungen geht, handelt es sich bei den Ver- 36 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt knüpfungsstellen der Ebenen um Handelsplätze, die in Südostasien in der Regel urbanen Charakter hatten. Dort waren durchaus Verknüpfungen über mehrere Ebenen hinweg möglich, wie überhaupt die großen Handelsemporien der Region stets auf allen Ebenen positioniert waren. Auch Handelsrouten konnten ohne weiteres auf verschiedenen Ebenen verlaufen. Besonders deutlich wird dies an der Beteiligung der europäischen Handelsmächte am traditionell etablierten Gewürzhandel. Je nachdem, wer mit einem Gewürztransport den Weg nach Westen antrat, tat dies entweder auf der dritten Ebene, wenn er zum Weiterverkauf seiner Ladung ein Emporium ansteuerte, oder auf der zweiten Ebene, wenn er Ziele wie Indien oder China ansteuerte, oder schließlich auf der ersten Ebene, wenn die Häfen Europas unmittelbar Ziel des Transportes waren. Der Malaiische Archipel zeichnete sich im System der asiatischen Handelsebenen durch einige spezifische Gegebenheiten aus, insbesondere durch die exklusiven Vorkommen von Gewürznelken und Muskatprodukten sowie sein bedeutendes Angebot an Pfeffer und einigen anderen Luxusgütern wie Kautschuk, Benzoin, Ingwer, Sandel- oder Sappanholz. Diese Situation bietet beste Voraussetzungen zum Studium der für die dritte Handelsebene typischen Funktionen. Die innerhalb des Archipels angesiedelten Handelsnetze waren in der Regel Bestandteile der dritten Ebene. Gerade in der Zeitspanne, die Anthony Reid als ‚Age of Commerce‘ bezeichnet (1450 bis 1680), spielten die Strukturen dieser Ebene hinsichtlich der Zulieferfunktion für die ersten beiden Ebenen eine zentrale Rolle. Auf Grund der Tatsache, daß im Archipel den Exportgüter in Gestalt von Gewürzen, Duft- und Farbstoffen eine wesentliche kommerzielle Bedeutung zukam, war die Anbindung an die oberen Ebenen des Handels unabdingbar. Als Schaltstellen oder Scharniere zwischen den Ebenen dienten vor allem einige wenige bedeutende Städte, vor allem Malakka, Aceh, Palembang, Jambi, Banten, Batavia und Makassar, wobei bis 1641 Malakka die Führungsposition einnahm, bevor die Stadt nach der Eroberung durch die Niederländer von Batavia abgelöst wurde. Begriffe und Konzepte 37 3. Handelsformen und Handelsnetze ‚Peddling Trade‘ und die ‚Asian Trade Revolution’ Der unvollendeten und posthum erschienenen Dissertation des niederländischen Historikers und Kolonialbeamten Job C. van Leur verdankt die Forschung den Begriff des ‚peddling trade’, der sich auf den Hausiererhandel bezieht, bei dem die Kaufleute ihre Ware stets selbst begleiteten und auf den Märkten verkauften. Deren Bedingungen wie Angebot, Nachfrage und Preisentwicklung waren vorab wenig bekannt und kaum einschätzbar, weswegen sich unter solchen Kaufleuten, den ‚pedlars’, keine Spezialisierung entwickelte. Ihnen blieb gar nichts anderes übrig, als mit ihren Waren auf Reisen zu gehen, um vor Ort angemessen reagieren zu können.27 Aus der Sicht van Leurs war diese Form des Handels charakteristisch für das gesamte kommerzielle Leben in Asien. Die jüngere Forschung hat inzwischen in einer Vielzahl von Fallstudien sowohl Belege für die weit verbreitete Existenz des ‚peddling trade’ als auch für komplexere Handelsverbindungen, die wie bei Indern, Arabern oder Armeniern auch Kreditsysteme, Handelsniederlassungen und große Transportflotten aufweisen, gesammelt. Die Charakterisierung des asiatischen Handels insgesamt als ‚peddling trade’ darf als widerlegt gelten. Auf diesen Thesen aufbauend entwickelte der dänische Wirtschaftshistoriker Niels Steensgaard die Vorstellung von einer ‚Asian Trade Revolution’ im 17. Jahrhundert. Handelskompanien, so seine von der Forschung heute allgemein akzeptierte Schlußfolgerung, stellten eine institutionelle Innovation dar „in the sense of an institution that makes it possible to procure economic goods with a more economic use of scarce resources.“28 Dabei werden besonders die von Frederik C. Lane in die Debatte eingebrachten ‚protection costs’ angesprochen.29 Diese für das Erscheinen der privilegierten Kompanien durchaus überzeugende Vorstellung wird in dem Augenblick problematisch, wenn sie unreflektiert auf die verschiedenen Handelsebenen in Asien übertragen wird. So entstand die langlebige Sichtweise, die Kompanien hätten den Handel Asiens insgesamt revolutioniert – nicht nur den Handel der Europäer in Asien, sondern auch die kommerziellen Aktivitäten der Asiaten selbst. 27 28 29 LEUR, Indonesian Trade, 133; ROTHERMUND, Europa und Asien, 16/17. Eine ausführliche Schilderung des ‚peddling trade’, aufbauend auf van Leur, bietet STEENSGAARD, Asian Trade Revolution, 22-59. Ebd., 412, siehe auch 151-153, sowie DERS., East India Company, und DERS., Companies, jew. passim. LANE, Venice and History, 412-420. 38 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt Handelssphären Da sich bei der Untersuchung des maritimen Handels in Südostasien ein in vielerlei Hinsicht sehr komplexes und uneinheitliches Bild ergeben wird, soll hier zum Zwecke eines besseren Überblicks nicht nach einzelnen Warengruppen, sondern nach Handelssphären unterschieden werden. Auch eine Handelssphäre wird durch eine Ware oder Warengruppe bestimmt, bezieht jedoch die ethnischen, geographischen, kulturellen, organisatorischen oder auch religiösen Konnotationen eines Handelszusammenhanges ein. Ein und dieselbe Ware kann völlig unterschiedlichen Handelssphären angehören, wenn sie von unterschiedlichen Ethnien auf unterschiedlichen Wegen zwischen unterschiedlichen Märkten ausgetauscht wird. Die Sphären können durch diverse Faktoren eine spezifische Gestalt erhalten, abhängig von den religiösen Verpflichtungen ihrer Kaufleute oder den gesellschaftlichen Strukturen, in denen sich diese bewegen, aber auch durch den technischen Stand der eingesetzten Transportmittel oder durch die eingebundenen Warenumschlagplätze und Märkte. Berührungspunkte untereinander haben die Sphären auf den Märkten, die ihre Schnittmenge bilden und auf denen sie in Konkurrenz zueinander treten. Diese Art der Differenzierung ist insbesondere für die grundlegenden Fragestellung nach der Durchdringung einheimischer Handelsstrukturen durch die Europäer hilfreich. Ein abstraktes Beispiel: Kaufleute der asiatischen Nation A transportieren die Ware X seit Jahrhunderten von Ort I zu Ort II. Es besteht also eine Handelssphäre, die durch Gut X konstituiert und mit den ethnischen, gesellschaftlichen, politische oder religiösen Konnotationen der Nation A sowie den geographischen Konnotationen der Orte I und II versehen ist. Im Zuge der Europäischen Expansion können Europäer durchaus am Handel mit diesem Gut teilhaben, ohne die bestehende Handelssphäre unmittelbar zu beeinflussen. So erwerben Kaufleute der europäischen Nation B die Ware X an einem Ort III und transportieren sie zu Ort II. Abermals handelt es sich um eine durch Gut X konstituierte Handelssphäre, die jedoch einen anderen geographischen Raum abdeckt und im Unterschied zur ersten Sphäre die Konnotationen der Nation B und des Ortes III einbringt. Eine gegenseitige Beeinflußung ist durch die Berührung auf dem Markt von Ort II, auf dem beiden Nationen als konkurrierende Anbieter auftreten, denkbar; es kommt jedoch zu keiner Durchdringung der erstgenannten Sphäre und damit zu deren Europäisierung. Dies kann erst dann geschehen, wenn die europäische Nation B sich unmittelbar in die bestehende Sphäre drängt und die Ware X wie die asiatische Nation A von Ort I zu Ort II transportiert. Verändert diese unmittelbare Konkurrenzsituati- Begriffe und Konzepte 39 on die diversen Konnotationen der Sphäre, werden also beispielsweise europäische Transportmittel eingesetzt oder der Handel nach europäischen Organisationsformen abgewickelt, kann von einer Änderung der Handelssphäre und von ihrer Durchdringung gesprochen werden. Veränderung durch die europäischen Kompanien kann nur dann konstatiert werden, wenn sich in den bestehenden Handelssphären etwas veränderte, wenn die Sphären sich selbst änderten, sich gar auflösten oder in neuer Form konstituierten. Traten europäisch konditionierte Handelssphären lediglich zu den bestehenden hinzu, änderte sich zwar das Bild des Handels insgesamt, von einer Durchdringung des bestehenden Handels kann jedoch keine Rede sein. Dabei bestanden zwei unterschiedliche Möglichkeiten der Veränderung. Entweder drang die Kompanie selbst oder in ihrem Fahrwasser nach Asien gekommene Privatiers in die asiatische Handelssphäre ein und veränderten sie von innen heraus. Oder eine asiatische Sphäre wurde durch den Konkurrenzdruck einer europäisch dominierten zu Veränderungen gezwungen, um sich im Konkurrenzkampf behaupten zu können. Beides sind Formen europäischen Einflusses auf den asiatischen Handel, doch von sehr unterschiedlichem Charakter. Nur im ersten Fall kann gegebenenfalls von einer Europäisierung die Rede sein, wenn die europäischen Konnotationen die Oberhand gewannen. Es bestand jedoch auch die Möglichkeit, daß sich die europäischen Kaufleute den vorgefundenen Bedingungen anpaßten und somit ein Teil einer asiatischen (in geographischer Hinsicht) oder auch eurasischen (in ethnischer Hinsicht) Handelssphäre wurden. Netzwerke und Systeme des Handels Die am Handel beteiligten Kaufleute bewegten sich nicht nur in einzelnen Sphären, sondern bildeten unabhängig von diesenNetzwerke aus, die sich als „a specific type of relation linking a defined set of persons, objects, or events” definieren lassen. Dabei bestimmen „different types of relations […] different networks, even when imposed on the identical set of elements.“30 Angewandt auf die kommerzielle Welt handelt es dabei um Verknüpfung von geographischen Punkten durch Transportwege sowie zugleich um die Verknüpfung von Personen durch Kontakte, die dem Zweck des Waren- oder Informationsaustausches dienen. In der modernen ökonomischen Netzwerkanalyse sind drei Prozesse von besonderer Bedeutung: 30 KNOKE/KUKLINSKI, Network Analysis, 12. 40 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt „The increased intensity and complexity of human interaction. The decreasing importance of geographical territory as a determinant of accessibility. The failure of markets as a means to solve inter-firm relations when customised commodities are developed in complex environments.“31 Die frühneuzeitliche Situation gestaltete sich ein wenig anders. Sicherlich waren Interaktionen zwischen Individuen auch zu dieser Zeit von höchster Bedeutung, doch konnten sie im Zeitalter vormoderner Kommunikationsmittel nur vergleichsweise selten ausgeführt werden. Darüber hinaus kam dem geographischen Aspekt noch eine weitaus größere Bedeutung zu. Entsprechend beanspruchen die geographischen Komponenten einen besonderen Raum, befördert durch die Grenzen der Fallstudie und die Quellenlage. In ihrer graphischen Erscheinungsform handelt es sich bei diesen Netzen um ‚circuit networks’, welche auf eine Ebene verschiedene Punkte miteinander verbinden.32 Nach Hans-Jürgen Evers müssen sechs Bedingungen erfüllt sein, damit im Bereich des Handels von einem Netzwerk die Rede sein kann: „There is usually an ethnic or religious homogeneity of treaders, but diversity of partners, a regular interaction between trading partners along definite trade routes, an evolution of the trading networks over time, a typical inventory of trading goods, the development of distinctive trading practices, customs and types of exchange, including typical ways of travelling and typical means of transport, the utilization of a market place system.“33 Dem letztgenannten Punkt des Kriterienkataloges kommt eine besondere Bedeutung zu. Kein Netz besteht ausschließlich aus Fäden. Die einzelnen Fäden müssen an einigen Stellen miteinander verbunden sein, um ein tragfähiges Ganzes zu ergeben. Außerdem benötigt jedes Netz einige spezielle Knotenpunkte, die es mit seiner Umwelt verbinden. In einem Handelsnetz stellen Marktorte solche Knotenpunkte dar, die in Südostasien während des betrachteten Zeitraumes in der Regel urbanen Charakter hatten. Es waren die große Hafenstädte, welche die Fäden der Gewürzhandelsnetze zusammenführten und somit die malaiische Welt mit anderen Welten verknüpften. Die Funktion dieser Städte wird in der Regel mit dem Begriff Emporium charakterisiert.34 In einem engem Zusammenhang mit dem Netzwerk steht das System. Häufig werden sogar beide Begriffe synonym verwendet. Hier soll das ‚System’ gegenüber 31 32 33 34 KARLSSON/WESTIN, Network Economy, 2. Im Gegensatz zu hierarschischen ‚branching networks’ und auf verknüpfte Raumeinheiten bezogene ‚barrier netwokrs’; siehe zu dieser Typologisierung HAGGETT/CHORLEY, Network Analysis, 3-56. EVERS, Networks, 92. NAGEL, Makassar, 95. Begriffe und Konzepte 41 dem ‚Netzwerk’ als die komplexere Struktur verstanden werden. Systeme können mehrere Netzwerke und auch mehrere Handelssphären umfassen. Ungeachtet dessen bleibt es bei einer möglichst einfachen Definition als Grundlage: „A system is a set of units with relationships among them. The word ‚set’ implies that the units have common properties. The state of each unit is constrained by, conditioned by, or dependent on the state of the other units.“35 In diesem Zusammenhang wird „constrained by“ oft mit kausaler Beziehung der Einheiten untereinander gleichgesetzt, „conditioned by“ mit funktionaler Beziehung und „dependent by“ mit normativer Beziehung. Hinzu kommt bei allgemeinen Systemen die zentrale Unterscheidung in offene und geschlossene, wobei geographische Systeme stets als offen zu betrachten sind. Gleiches gilt für Handelssysteme, die geographische und ökonomische Eigenschaften in sich vereinen. Systeme können sich schließlich aus einem oder mehreren Subsystemen zusammensetzen.36 Der Begriff des ‚Systems’ wird im vorliegenden Zusammenhang nötig, weil zwischen den verschiedenen angesprochenen Elementen weitere Beziehungen bestehen, welche nicht durch eine Handelssphäre oder ein Netzwerk abgedeckt sind. Bereits die Tatsache, daß unterschiedliche Netze oder Sphären in einer bestimmten Hafenstadt zusammenlaufen, kann ein System bedingen. Wenn sie alle einheitlichen, von dieser Stadt definierten Bedingungen unterworfen sind, existiert ein ‚Handelssystem der Stadt X’. Dabei ist der Begriff flexibel genug, um auf verschiedenen Ebenen Anwendung zu finden. Es ist möglich, den gesamten Handel innerhalb des Malaiischen Archipels als System zu verstehen, da er auf vielfältige Weise trotz unterschiedlicher Handelssphären und kaufmännsicher Netzwerke miteinander verknüpft war. Auch im Handel eines bestimmten Produktes, das in verschiedenen Sphären durch verschiedenen Netzwerken umgesetzt wurde, kann ein System gesehen werden, das seine Verknüpfung alleine durch das einheitliche Gut erhält. Wie bereits beim Weltsystem steht auch hier im Vordergrund, daß die in den Quellen beobachteten Verhältnisse in ihren Zusammenhängen, damit in ihren gegenseitigen Abhängigkeiten und dadurch schließlich als System verstanden werden. 35 36 J. G. Miller, zitiert nach BIRD, Changing Worlds, 156/157. Ebd., 157. 42 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt 4. Handelskompanien und Kolonialismus Kolonialismus-Begriffe Der als Epochenbezeichnung für die neuzeitliche Geschichte Asiens wohl am häufigsten benutzte Begriff ist der des ‚Kolonialismus’. Vor allem in der deutschsprachigen Literatur, aber auch darüber hinaus, wird dieser häufig undifferenziert auf die gesamte Europäische Expasion angewendet. Auch das Zeitalter der Kompanien und seine Auswirkungen werden in der Regel im Zusammenhang des Kolonialismus diskutiert. Ohne daß es explizit gemacht werden müßte, wird damit weltweit mehreren Jahrhundert mit ihren grundverschiedenen Einzelprozessen eine spezifische Vorstellung von Gesellschaft und Politik übergestülpt. Eine wesentliche Ursache dieses Verwirrspiels liegt in der bislang fehlende Einheitlichkeit bei der Verwendung des Begriffs ‚Kolonialismus’. Trotz intensiver wissenschaftlicher Beschäftigung mit den historischen Phänomenen wie Europäischer Expansion, Kolonialherrschaft oder Imperialismus hat sich die Forschergemeinde noch auf keine allgemeingültige Definition einigen können. Nicht einmal von einer ernsthaften Beschäftigung mit der Begriffsgeschichte kann die Rede sein.37 Das Resultat ist eine Vielfalt von Kolonialismus-Definitionen oder – was schwerer wiegt – eine leichtfertige Anwendung des Begriffs ohne den Versuch einer definitorischen Klärung. Manche dieser Definitionen wie „eine bestimmte Form der Beherrschung fremder Länder durch die Großmächte der Neuzeit“ oder „Beherrschung durch ein Volk aus einer anderen Kultur“ sind von sehr schlichter Natur.38 Darüber hinaus ist es gängig Vorgehensweise, eine idealtypische Beschreibung des Phänomens Kolonialismus aus der Kenntnis nur eines spezifischen Falls zu entwickeln.39 Naheliegend ist daneben der Rückgriff auf den lateinischen Wortinhalt und den damit verbundenen antiken Typus einer „Pflanzstadt“. Doch weder die Beharrung auf dem ethymologischen Gehalt noch der Vergleich mit der Antike hilft bei den komplexen neuzeitlichen Expansionsprozessen sonderlich weiter. Die Neuzeit brachte nur in den seltensten Fällen die Kultursynthese der hellenistischen Kolonien hervor, weshalb Fremdheit im modernen Kolonialismus eine zentrale Rolle spielt.40 37 38 39 40 HORVATH, Colonialism, 45/46; OSTERHAMMEL, Kolonialismus, 8/9, mit dem Hinweis auf die frappierende Tatsache, daß die Herausgeber der ‚Geschichtlichen Grundbegriffe’ bei der Auswahl ihrer 119 Artikel die Berücksichtigung des Begriffs ‚Kolonialismus’ nicht für nötig befunden haben. VOGT, Kolonie, 240; sowie Philip D. Curtin, zitiert nach OSTERHAMMEL, Kolonialismus, 19. HORVATH, Colonialism, 46. OSTERHAMMEL, Kolonialismus, 19/20. Begriffe und Konzepte 43 Die 1970er Jahre erlebten den Umbruch von einer Kolonialgeschichte alten Stils zu einer Geschichte der kolonialen Peripherie. Weder die politische Ereignisgeschichte der Kolonialreiche noch reine Ausbeutungsgeschichte bestimmten fortan das Interesse. Vielmehr wuchs unter Einbeziehung strukturgeschichtlicher Konzepte und aus unvoreingenommenem Blickwinkel die Erkenntnis, daß im kolonialen Kontext auch Entwicklung stattfand und sogar Modernisierungsprozesse möglich waren. Nicht mehr der faktischen und politischen Geschichte einzelner Imperien verpflichtete Kolonialhistoriker bestimmen nunmehr die Forschung, sondern auf bestimmte Regionen spezialisierte Historiker, welche die Kolonisierten gleichrangig in ihre Untersuchungen einbeziehen und die Wechselwirkungen im kolonialen Kontext betonen.41 Im Zuge dieses Paradigmenwechsels wurde nach treffenderen und differenzierten Definitionen des zentralen Begriffs gesucht und gelegentliche Versuche der Theoriebildung unternommen. Eines der prominentesten Beispiele stellt der Versuch Ronald J. Hovarths dar, die Vielfältigkeit des historischen Phänomens in einer Definition zu erfassen. Im Ergebnis erreicht er eine Klassifikation, die typischerweise komplexer als eine schlichte Definition ist. Dennoch sind beide Formen eng miteinander verwandt, da bereits die einfachste Definition eine Klassifikation – in ‚zutreffend’ und ‚nicht zutreffend’ – beinhaltet.42 In seinem Verfahren der ‚definitional analysis’ seperiert Horvath verschiedene Formen von Dominanz, um am Ende ein Set von elf Definitionen herauskristallisiert zu haben.43 Kolonialismus und Imperialismus werden als Unterformen von Dominanzverhältnissen verstanden. Eine solche Definition kann eine bessere Anwendbarkeit auf komplexe historische Prozesse beanspruchen. Gleichzeitig enthalten Horvaths Kolonialismus-Begriffe eine markante Einschränkung: sie befassen sich ausschließlich mit dem Siedlungskolonialismus. Auf diese Weise werden etliche Formen von Fremdbestimmung oder Fremdherrschaft im Zuge der Europäischen Expansion außer Acht gelassen. Es darf durchaus argumentiert werden, daß diese nicht in eine enge Definition von Kolonialismus passen, doch dürfen sie nicht ohne nähere Bestimmung und ohne stichhaltige Begründung beiseite gelassen werden. Um nicht ein neues Feld der Begriffssuche aufzumachen, auf welchem letztendlich nur ein neues Wort ohne neuen Inhalt zu finden wäre, sind Kolonialismus-Begriffe von größerer Reichweite zu bevorzugen. 41 42 43 ALBERTINI/WIRTZ, Kolonialherrschaft, 9-13. Siehe grundlegend zu diesem Paradigmenwechsel die Aufsatzsammlung ALBERTINI, Kolonialgeschichte. HORVATH, Colonialism, 45. Ebd., 46-51. 44 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt Nach Stig Förster ist Kolonialismus eine spezielle Erscheinungsform des Imperialismus, eine „direkte imperialistische Herrschaft über Völker oder Regionen zum Zwecke der Herstellung oder Aufrechterhaltung ungleicher politischer, wirtschaftlicher und/oder sozialer Beziehungen zwischen Kolonialmacht und kolonisierter Bevölkerung.“44 Eine besondere Betonung liegt hier auf der Herstellung oder Aufrechterhaltung ungleicher Beziehungen. Förster legt Wert auf die Feststellung, daß es sich nur um eine formale Beschreibung bestimmter Expansionsprozesse handelt und somit Kolonialismus und Imperialismus universalhistorische Begriffe sind. Einen wohl noch schärferen, von Epochen und Regionen unabhängigen Kolonialismus-Begriff bietet schließlich Jürgen Osterhammel an: „Kolonialismus ist eine Herrschaftsform zwischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Berücksichtigung externer Interessen getroffen und tatsächlich durchgesetzt werden.“45 Diese Definition hat den Vorteil, eindeutig auf die Beziehung zwischen Gruppen und nicht auf Staaten, Territorien oder Epochen zu rekurrieren. Sie läßt sich auch auf kleine räumliche Einheiten anwenden, selbst dann, wenn sie nur Inseln in einer größeren räumlichen Einheit darstellen, die vom Kolonialismus völlig unberührt ist. Eine Stadt, in welcher die Beziehung zwischen einheimischen Bewohnern und fremden Herrschern nach der Definition Osterhammels kolonial geprägt ist, braucht keine territoriale Kolonie in ihrem Umfeld, um eine Kolonialstadt zu sein. Und eine Handelskompanie, die keine kolonialen Pläne als Daseinszweck hegte, konnte in bestimmten Regionen, in denen sie eine umfassende Kontrolle für nötig erachtete, eine so definierte Kolonialherrschaft ausüben, ohne daß deshalb für ihren gesamten Wirkungskreis ein Zeitalter des Kolonialismus ausgerufen werden darf. In diesem Zusammenhang kann von einem ‚punktuellen Kolonialismus’ gesprochen werden, der gerade für die Geschichte der VOC von großer Bedeutung ist. Koloniale Gesellschaft Bei der Bestimmung des Begriffs Kolonialismus bleibt die Frage nach der konkreten Ausformung der in der theoretischen Definition bestimmten Herrschaftsbeziehung nicht aus. Das prominentestes Konzept für die koloniale Gesellschaft stammt von 44 45 FÖRSTER, Kolonialismus, 1320. OSTERHAMMEL, Kolonialismus, 21. Begriffe und Konzepte 45 dem britischen Kolonialbeamten und späteren Oxford-Professor John S. Furnivall, der eine solche Gesellschaft als ‚plural society’ beschreibt, als eine Gesellschaft „comprising two or more elements or social orders which live side by side, yet without mingling, in one political unit.“.46 Diese Gesellschaftsform bildete zwar eine politische Einheit, die durch die Struktur der Kolonialherrschaft vorgegeben war, zerfiel darüber hinaus jedoch in verschiedene, nicht miteinander verknüpfte, sondern nur gemeinsam verwaltete Elemente. Die Grenzen der Elemente verliefen an den Grenzen der einzelnen beteiligten Kulturen – der kolonisierten und der kolonisierenden. Gelegentlich handelte es sich auch um mehrere kolonisierte Kulturen sowie um weitere in dem entsprechenden Territorium siedelnden Gemeinschaften. Alle diese Kulturen verfügten in den verschiedenen Lebensbereichen über keine Gemeinsamkeiten – mit Ausnahme des Marktes, dem einzigen Ort, an welchem sie zueinander in Beziehung traten. Weitergeführt wurde das Konzept von Michael G. Smith am Beispiel der Westindischen Inseln.47 Indem er den kulturellen Elementen einer kolonialen Gesellschaft einen höheren Stellenwert zumaß, verlagerte er den von Furnivall im Ökonomischen angesiedelten Schwerpunkt des Konzeptes. Darüber hinaus erweiterte er dessen Vorstellungen, die für eine auf Dominanz beruhende Gruppenbeziehung streckenweise zu egalitär anmuten, um die eindeutige Tendenz der Kolonisierenden zur kulturellen Dominanz. Der Vorteil des theoretische Ansatz einer strikt segmentierten Gesellschaft unter kolonialer Herrschaft gegenüber anderen Konzepten besteht darin, daß er über die schlichte und längst angezweifelte Dichotomie von Kolonialmacht und Unterdrückten hinausgeht, indem er, ohne den Zwangscharakter kolonialer Herrschaft zu leugnen, die Europäer in der kolonialen Gesellschaft nur als eine kulturelle Gruppe unter mehreren ansieht. Kritisiert wurde das Konzept hingegen hinsichtlich der Ausklammerung von Politik, der Unterschätzung von Eliten und der Unterbewertung sowohl von Konsensmöglichkeiten als auch von Konfliktpotentialen.48 Der Vorstellung einer segmentierten Gesellschaft steht für die niederländische Präsenz im Malaiischen Archipel das Konzept der ‚Indische culture’ entgegen, das von Pauline D. Milone eingeführt und von Jean G. Taylor weiterentwickelt wurde.49 46 47 48 49 FURNIVALL, Colonial Policy, 303-312; Zitat: DERS., Nederlands India, 446. SMITH, Plural Society. OSTERHAMMEL, Kolonialismus, 99. MILONE, Indische Culture, passim; TAYLOR, Social World, insbes. 114-158. Das Wort ‚Indische’ wird zur Charakterisierung dieser spezifischen kulturellen Entwicklung bewußt in allen sprachlichen Zu- 46 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt Entworfen wird das Bild einer Kultur, die im wesentlichen auf der Verbindung europäischer Männer mit indonesischen Frauen aufbaute. Zur Zeit der VOC stand einer relativ großen Zahl niederländischer Männer eine verschwindend geringe Zahl Frauen gleicher Herkunft gegenüber. In der Folge ehelichten die zum Bleiben entschlossenen Männer zumeist einheimische Frauen. Daraus entwickelte sich eine Mischgesellschaft, die europäisches Sendungsbewußtsein und indonesisches Standesdenken verband und weite Bereiche des alltäglichen und kulturellen Lebens langfristig beeinflußte. Viele dieser Frauen erlebten durch ihre Mischehe einen sozialen Aufstieg und wurden Teil der Führungsschicht. Durch die Dienstverpflichtungen der Männer, die zu geringer Präsenz in ihren Familien führten, konnten asiatische Kulturelemente über die Frauen stärker in deren neues Lebensumfeld eindringen, als dies im Rahmen eines tatsächlichen Siedlungskolonialismus der Fall gewesen wäre. Wurden die eurasischen Kinder aus diesen Mischehen von ihren europäischen Vätern anerkannt, blieben sie Mitglieder der Gesellschaftsschicht ihrer Eltern, wodurch die Mischkultur zunehmenden Einfluß in der Gesamtgesellschaft erlangen konnte.50 Es entstand ein Kultur- und Lebensstil, der auf niederländischen Vorstellungen aufbaute, jedoch mannigfaltige Elemente der indonesischen Kulturen inkorporierte, ohne den eigenen Überlegenheitsanspruch aufzugeben. Beide Konzepte wurden auf der Grundlage konkreter Einzelfälle entwickelt, um daraufhin verallgemeinert zu werden. Furnivall kannte aus eigener Erfahrung im Kolonialdienstes die britische Kolonie Burma sowie aus eigener Anschauung Niederländisch-Indien. Aus der Analyse der einen Kolonie und ihrem Vergleich mit der anderen entwickelte er seine Konzepte zu kolonialer Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Milone und Taylor beschäftigen sich ausschließlich mit der Stadt Batavia und übertragen die hier gefundene Mestizo-Gesellschaft auf alle anderen Orte unter niederländischer Herrschaft. Dabei werden sowohl die anderen in Batavia lebenden Bevölkerungsgruppen unterhalb der niederländisch-indonesischen Elite außer acht gelassen wie auch die Möglichkeit, daß andere indonesische Städte oder Regionen anders strukturiert waren.51 Von welchem Gesellschaftsmodell unter kolonialen 50 51 sammenhängen im Niederländischen belassen und ist keinesfalls mit dem englischen ‚Indian’ zu verwechseln. Der Augenzeuge John Crawfurd berichtet zu Beginn des 19. Jahrhunderts: „ purchase and hold lands, and in Java especially may fairly be considered as naturalized. The Creole and mixed races partake at least as much of the native character as of that if the genuine Hollander.“ (CRAWFURD, History I, 139/140). Verwiesen sei an dieser Stelle lediglich auf die außerordentliche Rolle der Chinesen in Batavia, auch als gesellschaftliche Eliten (BLUSSÉ, Batavia) und auf indonesische Städte ganz anderer Struktur wie die Migrantenstadt Kota Ambon (KNAAP, City of Migrants). Begriffe und Konzepte 47 Bedingungen man auch ausgeht, es gehört zu den größten Forschungslücken der europäischen Überseegeschichte, anhand von Einzeluntersuchungen Gültigkeit und Reichweite solcher Modelle zu überprüfen und ein konkreteres, differenzierteres Bild kolonialer Gesellschaften zu entwerfen.52 Koloniale Realitäten in Südostasien Anders als Lateinamerika unterlag Südostasien im 17. und 18. Jahrhundert keiner umfassenden territorialen Herrschaft durch europäische Kolonialmächte. Da die Europäer in Asien auf ein weitaus resistenteres Staatensystem als in Amerika gestoßen waren, hatte sich in der frühen Neuzeit ein vielschichtigeres Bild ihrer Präsenz entwickelt. Mancherort herrschten sie tatsächlich als Territorialherren, doch blieben diese Orte nur kleine Flecken auf der Landkarte. Andernorts spielten sie eine – nicht selten auf militärischer Macht basierende – gewichtige Rolle, die jedoch nicht ohne Widerstand blieb. Und gelegentlich waren die Europäer auch nur eine Gruppe unter vielen, die sich unter Umständen sogar an ihre asiatische Umwelt assimilierte. Diese recht bunten Formen der kolonialen Realität in Südostasien lassen sich aus drei Blickwinkeln zusammenfassen. Zunächst ist der völkerrechtliche Aspekt anzuführen.53 In Asien existierte bereits ein eigenständiges völkerrechtliches System. Die Europäer mühten sich daran teilzuhaben, hatten jedoch nicht selten Schwierigkeiten, überhaupt als gleichwertiges völkerrechtliches Subjekt anerkannt zu werden. Erst im Laufe ihrer Präsenz konnten sie ihre Position von der Vasallen- oder Partnerschaft hin zu einer dominanten Stellung verschieben. Dabei folgten sie der asiatischen Strategie bei der Veränderung der Völkerrechtsstellung: statt wie in Europa bei gleichbleibender Souveränität des unterlegenen Staates diesem Territorien aus seinem Souveränitätsbereich zu entreißen, wurde in Asien die allmähliche Nichtanerkennung von Souveränitätsrechten angestrebt.54 Die europäischen Expansionsmächte beteiligten sich damit lange Zeit als zusätzlicher Partner an den politischen Systemen Asiens. Hinzu tritt der wirtschaftliche Aspekt. Auch im Bereich des Handels waren lange vor dem Eintreffen der Europäer komplexe und widerstandsfähige Strukturen entstanden. Kontrolle konnte daher lange Zeit nur durch die Herrschaft über Knotenpunkte ausgeübt werden, das heißt durch die Eroberung von Emporien und ähnli52 53 54 Siehe auch NAGEL, Kota, 175/176, sowie DERS., Stadtstaat, 120/121 und 136/137. FISCH, Völkerrecht, 37-39; grundlegend DERS., Krieg und Frieden, 548-609 und 626-647. DERS., Völkerrecht, 38/39. 48 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt chen zentralen Orten. Konkret wurde diese Kontrolle durch Handelsregulierungen ausgeübt, sei es durch Verbote, Zulassungen und Reglementierungen oder sei es durch Abgaben wie Zölle, Steuern, Waagegelder und Hafengebühren. Es ist hingegen fraglich, ob und inwieweit solche Maßnahmen Auswirkungen auf den Handel außerhalb der Kontrollzentren hatten. Wenn nur punktuelle koloniale Regelementierungen möglich waren, bestanden angesichts der Weiten des Kontinentes und der beiden angrenzenden Ozeane ausreichend Ausweichmöglichkeiten. Etwas anders gestaltete sich die Situation in der Güterproduktion. Konnten die meisten Sektoren der gewerblichen Produktion, wenn überhaupt, erst im Zuge der territorialen Kolonisierung unter Kontrolle gebracht werden, erlebte das 17. wie auch das 18. Jahrhundert bereits tiefe Eingriffe in die Agrarwirtschaft, in der sich Formen der Plantagenwirtschaft unter unmittelbarer kolonialer Verwaltung oder mittelbar im kolonialen Herrschaftsbereich etablierten. Zunächst galt dies vor allem für den Gewürzanbau, später für die Kultivierung von Zucker, Tabak, Tee und Kaffee. Schließlich ist auf den militärischen Aspekt hinzuweisen. Im Gegensatz zu Afrika und Amerika waren die Staaten Asiens auch militärisch nicht zu unterschätzen. Waren die regionalen Herrscher nur sehr schwach und spielten nur eine untergeordnete Rolle, mußten die Handelskompanien lediglich geringe Anstrengungen aufwenden, um in den Besitz eines begehrten Landstriches zu kommen. Das bekannteste Beispiel hierfür ist die Gründung Batavias nach der Besetzung des alten Jakatra. Die Eroberung bedeutender befestigter Emporien wie Hormuz am Persischen Golf, Goa oder Kalikut in Indien, Malakka, Makassar, Banten oder Aceh im Malaiischen Archipeb waren hingegen – für die Verhältnisse einer Überseekompanie mit ihren geringen Nachschubmöglichkeiten – aufwendige militärische Operationen mit teilweise großen Verlusten. Entsprechend wäre die Kontrolle über die Einflußzonen der besiegten Gegner materiell und personell außerordentlich aufwendig gewesen. Angesichts von nur wenigen tausend europäischen Soldaten in Asien beschränkten sich die Kompanien auf die militärische Kontrolle wichtiger Zentren. Lediglich auf Java (VOC) und in Bengalen (EIC) wurden im fortschreitenden 18. Jahrhundert erfolgreiche Versuche der Erweiterung territorialer Kontrolle unternommen. Auch hierbei stieß vor allem die VOC auf nicht unerheblichen Widerstand. Immerhin reichte das militärische Potential, um Java letztendlich vollständig zu unterwerfen und die im Umfeld der bereits eroberten Zentren immer wieder ausbrechenden bewaffneten Revolten unter Kontrolle zu halten. Begriffe und Konzepte 49 Der Kolonialismus der VOC In ihren frühen Jahren waren Gedanken innerhalb der VOC durchaus lebendig, in Asien Siedlungskolonien zu errichten und die Kompanie somit zu einem realen Kolonialherren zu machen. Ihr prominentester Vertreter war Jan Pietersz. Coen, der Gründer der Stadt Batavia. In einer Vielzahl von Memoranden warb er für eine Niederlassungspolitik im gesamten Malaiischen Archipel und eine offiziell geförderte Migration von Bauern, Handwerkern, Lehrern und Pfarrern sowie nicht zuletzt heiratsfähigen Frauen. Die körperliche Arbeit hätten Sklaven verrichten müssen. Coen begründete seinen Standpunkt mit der Bewahrung der niederländischen Kultur, mit der langfristigen Senkung der Kosten für die Kompanie durch spätere Eigenfinanzierung der Kolonien und mit der Förderung des Handels, da geschlossene, niederländisch kontrollierte Handelsräume geschaffen worden wären.55 Solche Pläne konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Die auf niederländischen Wurzeln basierende Gesellschaft außerhalb des Mitarbeiterstabes der VOC blieb sehr klein. Sie setzte sich im wesentlichen aus Männern zusammen, die mit der Kompanie nach Asien gekommen waren und dort den Dienst verließen, um eine selbständige Existenz aufzubauen. Da im Zeitalter der Handelskompanien kaum je europäische Frauen den Weg nach Asien fanden, suchten sich diese Männer unter den Einheimischen ihre Partnerinnen und gründeten auf diese Weise nicht die von Coen erwünschte niederländische Siedlergesellschaft, sondern die erwähnte ‚Indische culture’, eine Mestizen-Kultur. Dennoch setzte die Kompanie an manchen Orten eine unmittelbare Herrschaft durch, die jeweils in engem Zusammenhang mit ihren wirtschaftlichen Interessen stand und nicht mehr auf Siedlungskolonien abzielte. Die Molukkeninsel Banda, welche im 17. Jahrhundert über das alleinige Anbaumonopol von Muskatnüssen verfügte, wurde 1621 von der VOC erobert. In der Folge dieses militärischen Schlages wurde die ursprüngliche Bevölkerung der Insel ausgelöscht und eine Gruppe von Pflanzern angesiedelt, die auf Sklavenarbeit beruhende Muskatplantagen betrieben, deren Produkte sie ausschließlich an die VOC veräußern durften.56 Ein nicht ganz so einschneidender Prozeß führte zu Kolonisation der Insel Ambon, die auf den Anbau von Gewürznelken spezialisiert war. Bis 1655 war auch diese Insel unter die militärisch durchgesetzte Kontrolle der VOC gebracht. Die Bevölkerung 55 56 Dokumente III, Nr. 16, 71-90; LADEMACHER, Batavia, 99 und 102. BECK, Monopol, passim; für einen weiteren Hintergrund einschließlich der langfristigen Folgen für das Eiland siehe HANNA, Indonesian Banda. 50 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt Ambons blieb von einem Genozid wie auf Banda verschont, doch wurde auch ihre Plantagenwirtschaft vollständig auf die VOC ausgerichtet.57 Dem Bild einer Kolonialmacht des 19. und 20. Jahrhunderts kam die VOC auf Java am nächsten. Als Pufferzone zum Schutz der Zentrale wurde zunächst das Umland Batavias unterworfen. Noch im 17. Jahrhundert folgten die mächtigen Rivalen Banten und Mataram samt ihres Territoriums und im 18. Jahrhundert Schritt für Schritt die übrigen Landstriche, so daß nach dem Wiener Kongreß die königlichniederländische Kolonialverwaltung hier das einzige schon geschlossene Territorium als Kern des zukünftigen ‚Niederländisch-Indien’ aus der Konkursmasse der VOC übernehmen konnte. Allerdings war diese Herrschaft noch sehr oberflächlich, da sie nur von den Residenzen in den zentralen Städten Javas ausgeübt wurde und keinen Siedlungskolonialismus beinhaltete. Darüber hinaus blieb die koloniale Kontrolle der Kompanie auf einzelne Städte beschränkt, wobei nicht unterschätzt werden darf, daß es sich im Laufe ihrer zwei Jahrhunderte währenden Präsenz um alle wesentlichen Seehäfen des Archipels handelte. In all diesen Fällen trifft für die Situation in der Stadt die Definition Osterhammels zu, selbst wenn die VOC im Umland gelegentlich keine Rolle spielte. 5. Emporien und Kolonialstädte Die Bedeutung von Städten in Südostasien Südostasien im allgemeinen und der Malaiische Archipel im besonderen wiesen bereits in der frühen Neuzeit einen hohen Urbanisierungsgrad auf; im 16. und 17. Jahrhundert lagen hier einige der größten städtischen Siedlungen der Erde, von denen einige zumindest zeitweilig die Marke von 100.000 Einwohnern überschreiten konnten.58 Allerdings weist die urbane Tradition des Malaiischen Archipels bei weitem nicht das Alter ihres europäischen Gegenstücks auf. Nach der gegenwärtigen Forschungslage entstanden städtische Siedlungen in Indonesien erstmals um 1200.59 Die erste archäologisch nachweisbare Siedlung, die zumindest nach Kriterien der 57 58 59 Grundlegend KNAAP, Kruidnagelen, insbes. 228-259. Siehe auch KEUNING, Ambonnezen, passim; GRAAF, Geschiedenis van Ambon, 68-129; ANDAYA, World of Maluku, 151-213. REID, Expansion and Crisis, 69, 71/72, 76. Zur Größenabschätzung siehe auch NAGEL, Kota, 163-165. MIKSIC, Frühe Stadtentwicklung, 93. Begriffe und Konzepte 51 Größenordnung städtischen Charakter hatte, war Kota Cina, ein Hafenplatz und Handelszentrum in Nord-Sumatra.60 Archäologisch nachweisen läßt sich auch die Hauptstadt des im 14. und 15. Jahrhundert blühenden javanischen Königreiches Majapahit,61 während die bedeutenden Hafenstädte an der Nordküste Javas erst durch chinesische Quelle für das 15. Jahrhundert bezeugt sind.62 Für Cirebon und Banten, die zu den ersten islamischen Städten auf Java zählten, verweisen Terrakotta- und Keramikfunde auf eine enge Verbindungen zur Kunst Majapahits.63 Dies sind die einzigen Beweise für eine Existenz dieser Städte vor der Islamisierung. Zur Zeit der frühen Großreiche wie Srivijaya oder Majapahit spielten städtische Siedlungen bereits eine wesentliche Rolle als herrschaftliche, religiös-kultische und ökonomische Zentren. Meist waren die politischen und religiösen Funktionen auf Städte des Landesinneren konzentriert, die ökonomischen auf die Hafenstädte. Mit dem Untergang der großen Reiche traten die nachwachsenden urbanen Zentren ihr Erbe an; der Malaiische Archipel des 16. Jahrhunderts war geprägt durch eine Vielzahl souveräner Stadtstaaten. Dabei darf nicht auf die Vorstellung eines Stadtstaates im gegenwärtigen europäischen Sinne zurückgegriffen werden; vielmehr ist hier von Stadtstaaten im Sinne des ‚focal urbanism‘ die Rede: „City-states are political entities more or less related to a particular capital and controlling an agrarian hinterland as well as part of the international trade (one of these often being dominant), and creating an agrarian surplus and a trade profit used for the maintenance of the urban population. The city-states often conquer and annex other city-states and can then be called incorporative city state. [...] Early Indonesian towns were the central point, the focus of the state, and as such they deserve to be appreciated as urban, for large aggregates of people existed, allowing numerous potential social relations and a high level of cultural heterogeneity.“64 Drei zentrale Faktoren bedingten den Aufstieg eines solchen indonesischen Stadtstaats: Zum einen ein ausreichender regionaler und internationaler Handel als ökonomische und fiskalische Grundlage, zum anderen die Kontrolle der Herrscher über die Arbeit und das Produkt der Landwirtschaft, und schließlich eine allgemein anerkannte Legitimation der monarchischer Macht.65 60 61 62 63 64 65 Ebd., 96-98; grundlegend: MILNER/MCKINNON/SINAR: Note on Aru, passim. MIKSIC, Frühe Stadtentwicklung, 102. MA HUAN, Ying-yai Shen-lan, 87. MIKSIC, Frühe Stadtentwicklung, 111. NAS, Early Indonesian Town, 18, 23. Ebd., 18. 52 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt Charaktermerkmale südostasiatischer Städte66 „The early Indonesian town had a very particular social and morphological structure, the latter clearly shown by the woods of valuable coconut, pineapple and banana trees, in which the towns were hidden. These green towns, however, were not always recognized as such by visitors used to the compact Western towns, although some did indeed call them towns and not villages.“67 Für die Europäer, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts erstmals Indonesien erreichten, boten die angelaufenen Häfen ein ungewohntes Bild. Die vorgefundenen Siedlungsformen entsprachen nicht dem aus der Heimat gewohnten Bild einer Stadt, auch wenn sie, sei es auf Grund der schieren Größe oder auch mangels anderer Begriffe, als solche bezeichnet wurden. So machte die Stadt Aceh an der Nordspitze Sumatras den Eindruck eines „bewohnten Waldes“. Die ersten europäischen Berichterstatter beschrieben eine Ansammlung Häuser aus Bambusrohr, Schilfrohr und Rinde, die großzügig über ein weites Areal zwischen Bäumen, Wiesen und Plätzen verteilt waren. Eine einheitliche Struktur war nicht zu erkennen; manche der Behausungen standen offenbar für sich, während andere Viertel bildeten. Bewußt war den europäischen Beobachtern allerdings, daß diese Siedlung eine aus europäischen Städten kaum gekannte Zahl an Menschen beherbergte.68 Einen ganz ähnlichen Eindruck hinterließ die Stadt Makassar bei den Briten, die dort 1613 eine Niederlassung gründeten. Sie erhielten vom Herrscher für diesen Zweck ein günstiges Grundstück in der Stadt, dessen Bewohner kurzerhand umgesiedelt wurden, indem ihre leicht gebauten Häuser abgebrochen und an anderer Stelle wieder errichtet wurden. Lediglich die Kokospalmen, die ihren Besitzern den persönlichen Lebensunterhalt garantierten und überhaupt das gesamte Stadtbild prägten, mußte den Eigentümern ersetzt werden.69 Auch die Stadt Pahang im Süden der Malaiischen Halbinsel wurde nur wenige Jahre zuvor von Cornelis Matelief auf die gleiche Weise beschrieben – als eine Siedlung voll von Kokospalmen und anderen Bäumen, die ihr eher den Charakter eines Vorortes aus Höfen und Gärten als den einer Stadt verliehen.70 Erbaut aus leichten Materialien wie Bambus oder Palmen, die sowohl vom tropischen Klima als auch von der Verfügbarkeit der Baumaterialien vorgegeben wurden, wies die indonesische Stadt ein in Europa nicht bekanntes, scheinbar fragiles Er66 67 68 69 70 Siehe hierzu auch NAGEL, Kota, 153-156. NAS, Early Indonesian Town, 22. John Davis, 147; Lettres edifiantes 16, 344/345 (Brief des Jesuiten P. de Premare aus Kanton, 17.2.1699). Journal of John Jourdain, 293; siehe Viertes Kapitel, III.1. MATELIEF, Historische verhael, 122. Begriffe und Konzepte 53 scheinungsbild auf. Wohnhäuser konnten bei Bedarf verlegt, das Stadtbild den gegebenen Bedingungen angepaßt werden. Die Bewohner der Häuser hatten einen Anspruch darauf, ihren Lebensunterhalt innerhalb der Stadt sichern zu können; kein Anspruch bestand indessen auf einen spezifischen individuellen Standort. Ganze Städte konnten in kürzester Zeit verlegt oder neu aufgebaut werden. In Notfällen, insbesondere bei bevorstehenden Angriffen, wurden sie kurzerhand an sichere Plätze verlegt, wie englische Reisende 1634 auf Sumatra feststellen mußten.71 Die beschriebenen Städte zeichnen sich in erster Linie durch ihre Offenheit aus, sowohl in topographischer als auch in ethnisch-kultureller Hinsicht. Jeyamalar Kathirithamby-Wells sieht auf Grund ihrer hohen Flexibilität im Inneren in der südostasiatischen Stadt einen „amorphous complex“.72 Auch in der Besiedlung war dieser amorphe Charakter zu entdecken. Nicht nur, daß mehrere einheimischen Ethnien ein gemeinsames urbanes Zentrum besitzen konnten, vielmehr ist auch die Anwesenheit einer großen Anzahl von Diasporagruppen festzuhalten. Diese hatten sich zumeist aus wirtschaftlichen Gründen angesiedelt und wurden nicht nur geduldet, sondern waren ein integrierter Bestandteil des städtischen Lebens, ohne durch Assimilation ihr eigenens kulturelles Gesicht zu verlieren. Für den Malaiischen Archipel gilt eine grundlegende und ursprüngliche Unterscheidung in Küsten- und Inlandstädte.73 Erstere hatten als Hafenstädte vor allem maritime Funktionen und bildeten die meisten wirtschaftliche Zentren. Manche von ihnen brachten es auf dieser Grundlage zu großer Macht und Reichtum und wurden zu Zentren der regionaltypischen Stadtstaaten. Die wirtschaftliche Funktion der Inlandstädte war vor allem agrarischer Natur. Hier ist vermehrt religiöse wie auch herrschaftliche Zentralität festzustellen, insbesondere in den älteren Territorialreichen. Die Entwicklung zwischen dem 15. und dem frühen 17. Jahrhundert brachte es mit sich, daß die großen maritimen Städte zu den prägenden urbanen Zentren des Malaiischen Archipels wurden. Gerade für sie war das von den ersten europäischen Reisenden überlieferte Bild charakteristisch. Die fortschreitende Islamisierung änderte daran nichts grundlegendes; erst die Ankunft der Europäer brachte eine Veränderung mit sich, als neue Bedrohungen eine Verstärkung der städtischen Verteidigungsanlagen notwendig machte.74 Viele Hafenstädte legten sich Befestigungsanlagen zu wie die fünf seewärts gewandten, mit europäischen Kanonen 71 72 73 74 RIED, Expansion and Crisis, 90. KATHIRITHAMBY-WELLS, Islamic City, 339. Ebd., 334/335; NAS, Early Indonesian Town, 23-30. KATHIRITHAMBY-WELLS, Islamic City, 336. 54 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt ausgestatteten Festungen Makassars oder die den Siedlungskern von Banten umschließende Stadtmauer. Wenn auch die gestiegene militärische Bedrohung den urbanen Zentren zusätzlich den Charakter von Festungsstädten verlieh, blieb doch die innere Struktur im wesentlichen die gleiche. Offen bleibt die Frage, ob sich dies unter kolonialer Herrschaft grundlegend änderte. Zentralität und Zentralitätsgefüge75 Der eigentliche Verdienst von Walter Christaller und seiner Theorie der zentralen Orte besteht weniger in einem Modell zur Regionenbildung und in der Grundlegung einer systematischen Regionalplanung, sondern darin, den Begriff des ‚zentralen Ortes’ in die Diskussion eingeführt zu haben.76 Damit wird nicht mehr nach einem allgemeingültigen und abgrenzenden Stadtbegriff gesucht, sondern nach Funktionen einer Siedlung gefragt und letztendlich eine dynamische Betrachtungsweise ermöglicht. Von besonderem Wert ist diese Sichtweise überall dort, wo Veränderungsprozesse beobachtet oder Siedlungsformen, die gar nicht oder nur schwer unter einen einheitlichen Begriff zu fassen sind, in eine vergleichende Betrachtung einbezogen werden sollen. Des weiteren führt der Ansatz Christallers über eine isolierte Betrachtung der Stadt hinaus und lenkt das Augenmerk auf die Beziehung der Stadt zu ihrem Umland.77 Schließlich bietet die Betrachtung des ‚zentralen Ortes’ anstatt der mit zahlreichen Konnotationen europäischer Geschichtsschreibung versehenen ‚Stadt’ eine willkommene Möglichkeit, Begriffsschwierigkeiten bei der Übertragung auf asiatische Verhältnisse und endlose Definitionsdebatten zu vermeiden. Allerdings kann weder die allgemeine historische Forschung noch die Untersuchung südostasiatischer Stadtgeschichte die an gegenwärtigen Verhältnissen entwickelten Modelle und Methoden uneingeschränkt übernehmen. Schon bei Christaller finden sich zwei Definitionen von Zentralität: Zum einen wird sie als Eigenschaft verstanden, Mittelpunkt zu sein, zum anderen als Eigenschaft, Bedeutungsüberschuß zu besitzen.78 Es liegt auf der Hand, daß sich insbesondere für die Geschichtswissenschaft das Problem der exakten Meßbarkeit ergibt. Wo Zentralität nicht exakt in Zahlen meßbar ist, bleibt eine Bewertung von Zentralitätskriterien 75 76 77 78 Die Überlegungen zu diesem Abschnitt wurden bereits ausführlich veröffentlicht (NAGEL, Kota, 165174) und werden hier nur knapp zusammengefaßt. CHRISTALLER, Orte; für einen allgemeinen Überblick siehe HEINRITZ, Zentralität, passim. MITTERAUER, Problem, 433-435. CHRISTALLER, Orte, 23 und 26/27; zur kritischen Diskussion siehe HEINRITZ, Zentralität, 12-17. Begriffe und Konzepte 55 unumgänglich. Der ausschließliche Bezug auf die Bevölkerungszahl oder eine abgeleitete Größe führt methodisch in die Irre.79 Praktikabler erscheint es, einen Ort dann als zentral anzusehen, wenn „von den Interaktionen innerhalb einer wohldefinierten Region mindestens eine auf diesen Ort gerichtet ist. Die Zentralität eines Ortes wird gemessen mit Hilfe der Zahl der auf ihn gerichteten Interaktionen.“80 Die Zumessung von Zentralität geschieht über die Feststellung der Interaktionen und die Bewertung ihrer Bedeutung. Dabei ist in Anbetracht der Erkenntnismöglichkeiten nicht nur nach Interaktionen, sondern auch nach deren Manifestationen zu fragen, also nach Institutionen und Einrichtungen, die Zentralität ausdrücken. Um die Stadt in ihrer Gesamtheit beschreiben zu können, wird ein Kriterienkatalog nötig, der über die zumeist betonten wirtschaftlichen Funktionen und demographischen Faktoren hinausgeht. Von den zehn Funktions- und Sachbereichen, in welche Dietrich Denecke die theoretische Literatur bündelnd und zugleich eine historische Allgemeingültigkeit anstrebend den Begriff ‚Zentralität’ gliedert, können zumindest sechs generell für den Malaiischen Archipel, auch für die Zeit vor der europäischen Dominanz, Anwendung finden:81 (1) Politische und administrative Einrichtungen, zumeist im Sinne von herrschaftlichen Institutionen wie dem Herrscherpalast, der zugleich Regierungssitz war. (2) Im engen Zusammenhang sowohl mit dem politisch-administrativen als auch mit dem kultischen Bereich – hier vor allem hinsichtlich des Islams – stehen die Einrichtungen des Rechtswesens. (3) Schutzfunktionen übernahmen zumeist Festungsanlagen, aber auch militärische Verbände des Herrschers, die häufig aus Sklaven zusammengestellt wurden. (4) Kultische und geistliche Einrichtungen finden sich in erster Linie im Zusammenhang mit dem Islam. An dieser Stelle sind Bildungseinrichtungen wie Koranschulen und Hochschulen anzuschließen, die in der islamischen Welt in unmittelbaren Zusammenhang mit den Moscheen stehen. (5) Einrichtungen des Handels spielten gerade in einer von Emporien geprägten Region eine besondere Rolle. Die meisten Warenumschlagsplätze waren Städte; häufig bildete der Handel das Fundament für die eigentliche Stadtentwicklung. (6) Funktionen und Einrichtungen des Verkehrs spielten daran anknüpfend ebenso eine wesentliche Rolle, vor allem in Gestalt des Hafens. 79 80 81 MITTERAUER, Problem, 448/449. GUSTAFSSON, Zentralitätsbestimmung, 11. DENECKE, Stadtbegriff, 43. 56 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt Für die übrigen Felder – Versorgungsfunktionen und karitative Einrichtungen, kulturelle Einrichtungen, Einrichtungen der Landwirtschaft sowie Handwerk und Gewerbe – liegen entweder keine ausreichenden Quellen vor oder besteht eine zu große Diskrepanz zwischen europäischen und indonesischen Elementen des Urbanismus. Diese Bereiche sind erst für Städte sinnvoll, in denen eine europäische Präsenz neue Institutionen schuf und neue Zentralitätsbereiche besetzte – Bereiche, die nicht zuletzt deshalb im traditionellen Indonesien fehlen, da keine strikte StadtLand-Dichotomie bestand. Für die Zeit der europäischen Präsenz in einer indonesischen Stadt, die freilich je nach Ort zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten einsetzte, können alle für Europa entwickelten Funktionsbereiche aussichtsreich auf Zentralität geprüft werden. Hier ist ausschließlich die Anwendung des Begriffs ‚zentraler Ort’, der Bestimmung der Zentralität und des daraus abgeleiteten Zentralitätsgefüges von Interesse. Von der Bestimmung idealtypischer Regionen nach Christallers Theorie, die von einer gleichmäßigen Verteilung zentraler Orte einer Ebene ausgehend zur formalen Konstruktion des Einzugsraum eines Ortes gelangt, hat sich die historische Stadtforschung weitgehend verabschiedet.82 Insbesondere für eine maritime Stadtlandschaft ist ein solcher Ansatz kaum fruchtbar. James H. Bird schlägt zur Verhinderung wenig erfolgversprechender Versuche, Seehäfen für die klassische Theorie „passend zu machen“, die Erweiterung des Konzeptes um den Ortstyp ‚gateway’ vor, der keine entsprechende Raumbildung hervorbringt und unter dem Gesichtspunkt seiner überregional verknüpfenden Funktion zu betrachten ist.83 Damit setzt er neben den Typ des ‚zentralen Ortes’, der auf Stadt-Umland-Beziehungen beruht, einen lange Zeit ignorierten Typ, der auf Außenbeziehungen zu nicht unmittelbar angrenzenden geographischen Einheiten basiert. Dieser gewinnt seine Zentralität nicht aus seiner Funktion dem eigenen Umland gegenüber, sondern aus seinen Beziehungen nach außen, zu weit entfernten Orten oder Regionen. Die Funktion als Einfalltor für äußere Impulse macht erst die Zentralität solcher Städte aus. Angesichts der maritimen Orientiertung der meisten indonesischen Städte wird das Konzept des ‚zentralen Ortes’ durch die gleichwertige Einbeziehung des ‚gateways’ für diese Weltregion überhaupt erst in gewinnbringender Weise anwendbar. 82 83 MITTERAUER, Problem, 442/443. BIRD, Central Places, 110-112, sowie DERS., Centrality and Cities, 115-121. Begriffe und Konzepte 57 Vorkoloniale Hafenstädte im Malaiischen Archipel Beschränkt man die Betrachung auf die wirtschaftlichen Funktionen der Hafenstädte, so ist das Emporium als wichtigste Erscheinungform des maritimen Asiens auszumachen. Dieses läßt sich nach Rothermund als „a market place in which a variety of goods is more or less continuously available and in which a plurality of buyers and sellers can meet without undue restraint under predictable conditions of supply and demand“ definieren.84 Den Emporien kam die zentrale Funktion als Knotenpunkte in den Handelsnetzwerken zu, bei besonders bedeutenden Städten auch als Anknüpfungspunkte eines Netzes an sein äußeres Umfeld. Im Gegenzug bezogen die Hafenstädte ihre eigene Zentralität aus diesen Funktionen. Im Anschluß an die Definition Rothermunds können fünf Voraussetzungen für die Entstehung und erfolgreiche Entwicklung von Emporien angeführt werden. Die ersten drei sind zwingend notwendig, die letzten beiden zwar nicht unerläßlich, konnten aber den Aufstieg eines Ortes zu einem bedeutenden Emporium wesentlich unterstützen:85 (1) die wirtschafts- und verkehrsgeographische Lage der Stadt. Durch einen entsprechend günstigen Standort wurde die Integration in aufsteigende oder bestehende Netzwerke erst ermöglicht. (2) die Garantie der persönlichen und materiellen Sicherheit für die Händer seitens der Herrscher. Dies setzte einen durchsetzungsfähigen Machthaber voraus. (3) die Schaffung von Rahmenbedingungen, die einen zumindest relativen Freihandel garantierten. Auch hierfür bedurfte es eines Herrschers, der nicht nur Willens war, eine entsprechende Wirtschaftspolitik durchzuführen, sondern auch in der Lage, diese durchzusetzen.86 (4) die Existenz eigener Handelsaktivitäten, sei es durch die einheimischen Ethnien oder durch den lokalen Herrscher. (5) die Möglichkeit, ein eigenes Exportgut auf dem Markt anbieten zu können. Ein solches Potential konnte insbesondere in Konkurrenzsituationen und in Krisenzeiten des Langstreckenhandels zu einem Standortvorteil werden.87 Der Großteil des Wirtschaftsverkehrs wurde in dieser Weltregion seit altersher auf maritimen Wegen abgewickelt, doch erlebten die Emporien Indonesien ihre große Zeit erst nach dem Ende Majapahits, als sie eigenständige Stadtstaaten herausbilde84 85 86 87 ROTHERMUND, Asian Emporia, 3 Diese Voraussetzungen wurden erstmals veröffentlicht in NAGEL, Makassar, 96/97. Wolfram Jäckel beschreibt die Autorität des Herrschers als Teil der „protective and organized infrastructure“: JÄCKEL, Changing Role, 388/389. Diesen bislang wenig beachteten Aspekt betont KATHIRITHAMBY-WELLS, Banten, 120. 58 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt ten. Trafen die fünf angeführten Voraussetzungen mit der herrschaftlichen Unabhängigkeit einer Stadt zusammen, konnten sich wirtschaftliche und politische Zentralität ungehindert entfalten. Die großen Häfen der Malaiischen Halbinsel (Malakka, Johor, Patani), Sumatras (Aceh, Palembang, Jambi), Javas (Banten, Surabaya, Semarang, Ceribon, Demak, Tuban, Gresik, Jepara) und Sulawesis (Makassar) wurden im späten 15. und im 16. Jahrhundert die politischen und ökonomischen Zentren Indonesiens. Aber auch weniger bedeutende Städte wie Banjarmasin, Sukadana oder Brunei auf Kalimantan, wie Bima auf Sumbawa oder Gilolo auf Halmahera spielten auf niedrigeren Ebenen des hierarchischen Zentralitätsgefüges eine nicht zu unterschätzende Rolle. Emporien waren die entscheidenden Anknüpfungspunkte der Ostindien-Kompanien. Dort befanden sich die Märkte, auf denen die von den Europäern begehrten Waren umgeschlagen wurden. Es ist kein Zufall, daß diese Städte zum Schauplatz des punktuellen Kolonialismus der VOC wurden. Dabei stellt Batavia, die in der Literatur am häufigsten herangezogene Stadt dieser Art, eine Ausnahme dar. Batavia wurde von der Kompanie als Emporium errichtet, war also eine Kolonialgründung europäischen Ursprungs. Zugleich fand sie ihren Platz in einem bestehenden asiatischen Zentralitätsgefüge. Batavia repräsentiert zeitgleich ein Emporium und eine Kolonialstadt, europäischen Charakter und asiatische Funktion. Kolonialstädte im Malaiischen Archipel Wie bei dem übergeordneten Begriff des ‚Kolonialismus’ besteht in der Wissenschaft auch keine einheitliche Vorstellung von der ‚Kolonialstadt’. Die meisten Definitionen repräsentieren zwei verschiedene, wenn auch durchaus verwandten Richtungen.88 Auf der einen Seite stehen Definitionen, welche die Gesellschaft in den Mittelpunkt stellen und auf Machtausübung und Dominanz rekurrieren. So beschreiben in einer der ersten theoretischen Auseinandersetzung die Anthropologen Robert Redfield und Milton B. Singer Kolonialstädte als „mixed cities on the periphery of an empire which carried the core culture to other peoples.“89 Ronald J. Horvath betont, daß „the key independent variable [...] to explain the colonial city is domination.“90 Auf der anderen Seite stehen Begriffe, welche die Wirtschaft in den Mittelpunkt stellen und auf kapitalistische Ausbeutungsformen abgestellt sind. 88 89 90 Siehe hierzu auch NAGEL, Stadtstaat, 137/138, sowie DERS., Kota, 176-179. REDFIELD/SINGER, Cultural Role, 62. HORVATH, Theory of Urbanization, 75. Begriffe und Konzepte 59 Oft werden Kolonialstädte im Rahmen des expandierenden kapitalistischen Weltsystems betrachtet.91 Terence G. McGee bringt diese Sichtweise auf den Punkt: „The most prominent function of these cities was economic; the colonial city was the ‚nerve centre’ of colonial exploitation. Concentrated there were the institutions through which capitalism extended its control over the colonial economy.“92 Eine allzu einseitige Festlegung auf ein einziges oder einige wenige definitorische Elemente wird jedoch den vielfältigen Erscheinungsformen nicht gerecht.93 Vielversprechender erscheinen definitorische Ansätze, die durch ein größeres Kriterienbündel einen flexibleren Begriff schaffen und die Kolonialstadt als einen eigenständigen Stadttypus begreifen.94 Eine umfassenden Definition, die den Begriff ‚Kolonialstadt’ über die enge Begrenzungen durch übergeordnete Theorien hinaus sinnvoll und anwendbar bleiben läßt, formuliert G. A. de Bruijne: „1. a town that was founded of developed under the influence of a Western colonial power; 2. having a central function on the colonial administrative of economic system; and 3. having a substantial portion of Western elements.“95 Die Vorherrschaft der Minorität manifestiert sich im ökonomischen, politischen, militärischen, technischen und sozialen Bereich, ohne daß dabei im Einzelfalle Vollständigkeit erreicht werden muß. Schließlich besteht ein Ermessensspielraum bei der Einzelfallbetrachtung, da solche Elemente durchaus auch bei nicht-kolonialen Städten auftreten können. Darüber hinaus bietet sich eine allgemeine Herangehensweise an, indem ein genereller, an den spezifisch historischen und regionalen Bedingungen entwickelter Stadtbegriff um das Element des Kolonialismus nach der Definition von Jürgen Osterhammel erweitert wird. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, daß mit dem Beginn kolonialer Herrschaft in der Stadt nicht zwingend von dem Auftreten eines völlig neuen eigenständigen Typus ausgegangen werden muß. Die bislang vorliegende Forschung zur indonesischen Stadtgeschichte hat gezeigt, daß die Niederländer zumeist in einem bestehenden Zentrum Fuß faßten und die Kontrolle übernahmen, ohne den ursprünglichen Charakter der Stadt von Grund auf zu verändern. Auch in den Städten, die völlig neu oder nach einer weitgehenden Zerstörung gegründet wurden, setzten sich die traditionellen Stadtstrukturen bald wieder durch. 91 92 93 94 95 KING, Urbanism, 15. MCGEE, Southeast Asian City, 56. Zur Formenvielfalt der europäischen Kolonialstädte und den Schwierigkeiten einer einheitlichen Begriffsbildung siehe POST, Kolonialstädte, passim. So WILLIAMS/BRUNN/DARDEN, World Urban Development, 8. BRUIJNE, Colonial City, 232; siehe selben Sammelband auch KING, Colonial Cities. 60 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt Vor diesem Hintergrund schlägt der niederländische Geograph Peter J. M. Nas eine Periodisierung vor, in der die traditionelle indonesische Stadt mit dem Eintreffen der Niederländer durch die ‚Indische town’ – geprägt durch die ‚Indische Culture’ – abgelöst wird und die Kolonialstadt erst um 1870 in Erscheinung tritt.96 Diese Form der Periodisierung spiegelt Umbrüche von einer Form urbanen Lebens zu einer anderen vor, die es so wahrscheinlich nie gegeben hat. Durch unterschiedliche Bezüge wird eine verzerrte Vorstellung der Entwicklung hervorgerufen. Die ‚Indische culture’ beschreibt die Sozialstruktur einer urbanen Elite; Kolonialstadt bezieht sich auf den Begriff Kolonialismus und damit letztendlich auf eine Herrschaftsbeziehung. Die zur Epochenbildung herangezogenen Begriffe müssen sich keineswegs widersprechen und können durchaus zeitgleich auf eine Stadt zutreffen. Im Zusammenhang des punktuellen Kolonialismus der VOC waren etliche Städte des Malaiischen Archipels auch schon im 17. und 18. Jahrhundert Kolonialstädte. Andererseits prägte die sich einmal herausgebildete ‚Indische culture’ solche Städte über die formale Grenze von 1870 hinaus. Auch eine noch so kritische Periodisierung kann eine intensive Einzelfallbetrachtung nicht verzichtbar machen. Die Zuordnung zu einer Epoche oder auch zu einem bestimmten Typ verrät noch lange nicht alles über eine real existierenden Stadt. Insbesondere hinsichtlich der Kolonialstädte ist zu beachten, daß, sind erst einmal koloniale Verhältnisse konstatiert, damit noch nicht eine neue Epoche eingeleitet worden sein muß. Eine Änderung der Dominanzverhältnisse bedeutete in den meisten Fällen nicht einen Bruch in allen gesellschaftlichen, politischen, religiösen und topographischen Kontinuitäten. Zur Einordnung der Stadt in einen größeren Zusammenhang sollte die Stellung der Kolonialstädte im Zentralitätsgefüge analysiert werden. Kolonialstädte wurden ein Teil des Zentralitätsgefüges, waren jedoch „speziell“ genug, um Verschiebungen im Gefüge hervorzurufen. Schon um zu vermeiden, daß man auf diese Weise in die Denkbahnen einer vorgefertigten historischen Sichtweise gerät, ist eine weite Definition von Kolonialstädten zu bevorzugen. Vor allem aber erhalten sie im folgenden den Vorzug, um die Stadt der Untersuchungsregion und des Untersuchungszeitraum möglichst in allen ihren Facetten erfassen zu können. Ausgangspunkt ist stets die Beziehung der verschiedenen kulturellen Gruppen zueinander. Aus dieser Perspektive ist die Anwendung des Kolonialismusbegriffs von Jürgen Osterhammel auf den ‚zentralen Ort’ in der Erweiterung von James H. Bird die vielversprechenste. 96 NAS, Introduction, 5. III. Fragestellungen und Vorgehensweise 1. Generelle Probleme und Fragen Es erfreut sich weitgehender Einigkeit, daß bis zum Ende des 18. Jahrhunderts von einer sehr geringen Präsenz der Europäer in Asien, die sich vorzugsweise auf einzelne Handelsniederlassungen konzentrierte, ausgegangen werden muß. Die wesentliche Innovation, welche die Europäer einbringen konnten, war die neuen ostindischen Kompanien. Dennoch blieb die Vorherrschaft der Asiaten und ihrer dynamischen Organisationsformen bestehen. Die Kompanien konnten nur in wenigen Ausnahmen bis Ende des 18. Jahrhunderts die völlige Beherrschung eines Handelssektors oder gar eines Territoriums erreichen. Weiterer Diskussionsbedarf dürfte in der allgemeinen Einschätzung der Epoche als Zeitalter bestehen und bei der Frage, ob es sich um ein ‚Age of Partnership’ oder doch eher um ein ‚Age of Competition’ handelte,97 oder ob unter weitgehender Marginalisierung der Europäer vielleicht von einem ‚Age of Commerce’ im Sinne Anthony Reids gesprochen werden kann. Auch der Begriff ‚Kolonialismus’ wird weiterhin uneinheitlich verwendet. Als weitgehend unbestritten darf daneben gelten, daß Südostasien und damit der Malaiische Archipel im Laufe der neuzeitlichen Geschichte in eine westlich dominierte Weltwirtschaft einbezogen worden ist. Weniger Übereinstimmung besteht bereits bei der Frage nach dem konkreten Zeitpunkt dieses Vorganges. Daß es sich dabei um einen längeren Prozeß handelte, ist wohl kaum zu bestreiten, doch gehen die Ansichten darüber, ob dieser Prozesses mit dem Erscheinen der Europäer oder Mitte des 18. Jahrhunderts oder erst mit der Etablierung kolonialer Herrschaft im Laufe des 19. Jahrhunderts begann, weit auseinander. Auch herrscht bei der Frage nach den konkreten Geschehnissen und Veränderungen vor Ort, die eine solche Einbeziehung hervorriefen, noch weitgehend Unklarheit. Die Frage, ob sich allerorts in Südostasien die Inkorporation in das Weltsystem auf die in der Theorie vorgesehene Weise abspielte bedarf ebenso weiterer Forschung wie diejenige, welche Akteure dies durch Anwendung welcher Maßnahmen einleiteten, oder auch in welcher Weise dies auf den Handelsverkehr zu übertragen ist. Im folgenden steht gerade der zuletzt angesprochene Bereich im Mittelpunkt des Interesses, handelt es sich 97 Diese Frage wurde zuletzt wieder aufgeworfen von CHAUDHURY/MORINEAU, Introduction, 9. 62 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt doch um die Verbindungsstruktur, ohne die ein räumliches System aus verschiedenen Zonen nicht hätte existieren können. Darüber hinaus rückt ein wesentlicher Wirtschaftszweig in den Blickpunkt, der in der Diskussion um die Expansion des kapitalistischen Weltsystems zugunsten der produzierenden und agrarischen Sektoren nur allzuoft beiseite geschoben wird. Dieser „Blick auf das Konkrete“ bedeutet zum einen, daß eine bestimmte Region respektive ein bestimmter Handelsplatz in räumlicher Hinsicht in den Mittelpunkt der Untersuchungen tritt. Zum anderen heißt es, daß die beteiligten Akteure und Institutionen sowie die ‚Handelsstrukturen‘ eines spezifischen Handelsplatzes zum zentralen Thema werden. Den Ausgangspunkt stellt der Fragenkomplex nach der Bedeutung der Inkorporation einer Region in das westliche Weltsystem, nach ihrer Europäisierung und Kolonialisierung im kommerziellen Alltagsleben sowie nach der Bedeutung der stets betonten europäischen Vorherrschaft im tatsächlichen Wirtschaftsleben dar. Ausgangspunkt ist aber auch das Desiderat bei der Rekonstruktion des einheimischen Handels unter den Umständen der europäischen Dominanz, welches sowohl für die Epoche der Ostindien-Kompanien wie auch für das sich anschließende Kolonialzeitalter zu konstatieren ist. 2. Die Regionalstudie Im Gegensatz zum Gesamtraum Südostasien, der nicht nur auf Grund seiner Ausdehnung als zu große Untersuchungseinheit erscheint,98 bietet der Malaiische Archipel zumindest in geographischer Hinsicht eine gewisse Einheitlichkeit des Raumes. Zwei Inselkette im Norden und Südem konstituieren eine äußere und eine innere maritime Welt; nur wenige tatsächlich genutzte Wasserstraßen verbinden diese innere Welt mit der äußeren. Dennoch gilt nach wie vor das Diktum Arun Das Guptas – „The Malay-Indonesian Archipelago is a geographically fragmented area open to outside contact.“99 –, welches den Zusammenhang zwischen Raumstruktur und kultureller Vielfalt herstellt. Im Gegensatz zum kulturellen Bereich, der von einer kaum überschaubaren Vielfalt einheimischer und zugewanderter Nationen 98 99 Auch sein Charakter als historische und kulturelle Einheit ist durchaus umstritten. Siehe hierzu VILLIERS, Südostasien, 12-14, und dagegen STAHR, Südostasien, 18. DAS GUPTA, Maritime Trade, 240. Fragestellungen und Vorgehensweise 63 geprägt ist, sorgten etliche Elemente des ökonomischen Lebens für eine Einheit des Archipels. Insbesondere gilt dies für den Seehandel, wobei der Handel auf der dritten Ebene eine entscheidende Rolle als integrierendes Moment im Malaiischen Archipel spielte. Ohne ein umfassendes System hierarchischer Ebenen zu entwickeln, hat Anthony Reid im Zusammenhang mit den Handelsbeziehungen der Städte Südostasiens bereits die Funktion der dritten Handelsebene beschrieben: „If the long-distance trade from China, India, and the Malukan spiceries brought these multitudes [der verschiedenen in Asien Handel treibenden großen Nationen] together, it in turn evoked an even busier local trade in supplying the port-cities with foodstuffs, building materials, and local trade items. Most shipping movements were by small Southeast Asian craft bringing rice, vegetables, dried fish, livestock, palm wine, sugar, and salt to feed the urban areas and cash-cropping centres, moving local metalware, ceramics, and cloth from producers to consumers, collecting export items, and redistributing imports. Those who serviced the extensive maritime network within the calm seas of Southeast Asia were overwhelming locally domiciled. They formed the sinews that linked the cities to their watery hinterlands and carried ideas and people as well as cargoes back and forth.“100 Die dritte Handelsebene bezieht ihre wesentliche Bedeutung aus der Zulieferfunktion für den Fernhandel auf den höheren Ebenen. Hinzu kommt stets die Distributionsfunktion für importierte Güter auf die vierte Ebene. Schließlich gehört in diesen Zusammenhang auch die Versorgungsfunktion für die zentralen Orte, welche die verschiedenen Ebenen miteinander verbinden. Neben diesem zentralen Funktionsbündel steht die Tatsache, daß auf der dritten Ebene die überwältigende Mehrheit der Akteure des maritimen Handels im Malaiischen Archipel angesiedelt waren. Ihre integrative Funktion für den gesamte Archipel, ihre Zuliefer- und Verteilungsfunktionen wie auch ihre Rolle als Heimat der meisten Kaufleute macht die dritte Handelsebene zu einem bedeutenden Forschungsfeld, wenn nach den konkreten Entwicklungen während der Inkorporation einer Großregion in ein bestehendes Wirtschaftssystem gefragt wird. Es liegt auf der Hand, daß die konkret am Handel beteiligten Personen oder Institutionen nur in überschaubaren räumlichen Einheiten sinnvoll zu untersuchen sind. Daher lohnt es sich, auf Wolfram Jäckels Vorschlag zurückzukommen, die Entwicklung der Infrastruktur durch die empirische Untersuchung der Knotenpunkte von Netzwerken, also der Hafenstädte, zu erfassen.101 Mit dem Emporium Makassar in Süd-Sulawesi bietet sich eine Stadt für eine solche exemplarische Studie 100 REID, Expansion and Crisis, 67. 101 JÄCKEL, Changing Role, 395 und passim. 64 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt an, die nicht nur auf Grund der Forschungs- und Quellenlage günstige Bedingungen aufweist, sondern auch auf Grund ihrer Funktion als Knotenpunkt von Handelsnetzen bedeutender Handelssphären, auf Grund ihrer Rolle als eine der zeitgenössischen Großstädte der Region, auf Grund ihrer zentralen Lage im Archipel und nicht zuletzt auf Grund ihrer Bedeutung für die VOC. Makassar, heute Ujung Pandang, war spätestens seit Ende des 16. Jahrhunderts einer der wichtigsten Umschlagplätze für molukkische Gewürze, aber auch für Pfeffer, Textilien und eine Vielzahl regionaler Produkte. Zugleich war die Stadt das Zentrum des Königreiches Goa-Tallo, das seit den 1580er Jahren einen rasanten Aufstieg zur regionalen Vormacht erlebte. Für eine vergleichsweise kurze Zeit war Makassar eines der größten freien Emporien Asiens. Diese Epoche endete mit einem Krieg, in dem es der VOC zwischen 1666 und 1669 gelang, den Konkurrenten zu entmachten und als Kolonialstadt unter eigene Kontrolle zu bringen. Vor wie nach der Eroberung eignet sich Makassar vorzüglich für Studien im skizzierten Rahmen, war die Stadt doch wie nur wenige andere in die Strukturen eingebunden, die das Forschungsinteresse dieser Studie bestimmen: „Lying in the southwest peninsular if Sualwesi, the port-town was ideally located to participate in various levels of trade. These ranged from the local coastal movements of good, through the busy inter-insular traffic among Java, Kalimantan (Borneo), Maluku (the Moluccas), Nusa Tenggara (the lesser Sundas), and the Philippines, to long range commerce connecting Europe, India, and China.“ (Heather A. Sutherland)102 Makassar war ein Verbindungspunkt zwischen den Handelsebenen und ein Knotenpunkt in den Netzwerken und Handelssystemen Südostasiens. Darüber hinaus bietet die Stadt auf Grund ihrer spezifischen Geschichte gute Vergleichsmöglichkeiten, welche die verändernde Kraft der Ostindischen Kompanien oder die Beharrungskraft der einheimischen Handelsstrukturen deutlich machen können. Dabei ist es wichtig festzuhalten, daß im Ergebnis eine exemplarische Studie zur südostasiatischen Handelswelt angestrebt wird und keine Stadtgeschichte im engeren Sinne. Eine Ausweitung des Forschungsgegenstandes über die Verhältnisse in Makassar hinaus ist nötig. Die Erweiterungen sollen sowohl den anhand der Hafenstadt gewonnenen Eindruck ergänzen als auch für Vergleichsansätze sorgen. Um eine Hafenstadt in Reichweite Süd-Sulawesis in die Untersuchung einzubeziehen, die nicht nur eine ähnliche Grundstruktur wie Makassar aufwies, sondern auch in einem funktionalen kommerziellen Zusammenhang mit Makassars stand, rückt zwangsläufig Banjarmasin in den Blickpunkt. Banjarmasin liegt rund 20 km 102 SUTHERLAND, Trepang, 74. Fragestellungen und Vorgehensweise 65 flußaufwärts von der Südküste Ost-Kalimantans entfernt am gleichnamigen Fluß, für die im indonesischen maritimen Handelsverkehr üblichen Schiffstypen problemlos erreichbar. Die Stadt war Zentrum des Pfefferhandels und zudem Sitz eines bereits im frühen 16. Jahrhunderts islamisierten Sultanats. Banjarmasin blieb trotz der sporadischen Anwesenheit europäischer Handelskompanien bis in die 1780er Jahre eine freie Hafenstadt, wodurch sie als Gegenstück zu Makassar zu einem interessanten Vergleichsobjekt wird. Die Vergleichsansätze sollen zur Erfassung von Veränderungen der Handelsstrukturen dienen, wobei zu ungleichgewichtigen Vergleichen, sowohl synchron als auch diachron, gegriffen wird. In diachroner Hinsicht bietet das Fallbeispiel Makassar die Möglichkeit, die Situation vor der Eroberung durch die VOC mit derjenigen danach zu vergleichen. Dieser Vergleich wird ungleichgewichtig sein, weil die Quellenlage für die beiden unterschiedlich strukturierten Epochen weit voneinander abweicht. In synchroner Hinsicht wird die Stadt Makassar unter VOC-Herrschaft einem zur gleichen Zeit unabhängigen Emporium gegenübergestellt. Hier ist von einer Ungleichgewichtigkeit auszugehen, da Banjarmasin nur als Hintergrundfolie herangezogen wird und aus Platz- wie aus Quellengründen nicht in gleicher Weise wie Makassar analysiert werden kann. Darüber hinaus rücken zwei seefahrende Ethnien in den Interessenbereich, deren Einbeziehung das Bild abrunden soll und bei den Rückschlüssen auf die „Vogelperspektive“ helfen kann. Neben den Makassaren spielten im geographischen Umfeld Makassars zwei weitere Völker eine wesentliche Rolle, die wie nur wenige andere mit Handel und Seefahrt in Verbindung zu bringen sind: die ursprünglich an den Küsten Süd-Sulawesis siedelnden Bugis und die auf See nomadisierenden Bajau. Die Bugis stehen bereits als Handelsnation, die im Hafen von Makassar präsent war, im Blickpunkt der Studie, spielen jedoch auf Grund ihrer maritimen Kompetenz und, nach ihrer Verstreuung über das gesamte Archipels in der Folge des Krieges von 1666/69, als Beispiel einer Handelsdiaspora eine besondere Rolle. Bei den Bajau liegt auf Grund ihrer Seegebundenheit und der Nähe ihrer Lebensräume zu Makassar die Frage auf der Hand, inwiefern der Nomadismus einen Beitrag zu den indigenen Handelsstrukturen leisteten. 66 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt 3. Ansätze und Ziele Zum Begriff der Handelsstruktur Titel und noch mehr Untertitel einer Studie sind, so sollte es bestenfalls sein, Programm. Im vorliegenden Fall wird das Augenmerk auf ‚Handelsstrukturen’ gelenkt. Dies bedarf einer näheren Erläuterung, um nicht den Verdacht zu erwecken, daß ein neumodischer Begriff wie „Strukturen“ als geeigneter Lack angesehen wird, nur weil er besonders wissenschaftlich klingt. Inhaltlich läuft der vielleicht weniger etablierte Begriff ‚Handelsstruktur’ auf die weitaus vertrautere ‚Infrastruktur’ hinaus. Letztere enthält jedoch in dem heute üblichen Gebrauch eine Reihe Konnotationen, die für die frühe Neuzeit nicht zutreffen, weswegen auf die unmittelbare Übernahme verzichtet wird. Die Bedeutungszusammenhänge von Infrastrukturen aus gegenwärtiger Sicht werden besonders bei Dirk van Laak deutlich, der in seiner Grundlegung einer modernen Infrastrukturgeschichte ein breites Spektrum wirtschaftlicher und sozialer Bereich anspricht, da „Infrastrukturen gesellschaftliche Integrationsmedien erster Ordnung darstellen.“103 Der Begriff, der ursprünglich aus dem Sprachgebrauch der Eisenbahner stammt und sich ganz auf die Sicherstellung von Mobilität bezog, geriet bald auch in den entwickelten Industrieländern zu einer handlichen, weil scheinbar unpolitischen und technischen Kategorie für staatliche Vorleistungen in den wirtschaftlichen und sozialen Sektoren. Van Laak weist zudem darauf hin, daß unter liberalen Wirtschaftswissenschaftlern nach wie vor eine Sichtweise vorherrscht, „die Infrastrukturen als diejenigen Einrichtungen definiert, bei deren Bereitsstellung der freie Markt insofern versagt habe, als hier entsprechende Verluste sozialisiert worden und statt dessen staatlich geduldete oder geförderte Monopolstrukturen gewachsen seien.“104 Um sich von diesem komplexen Verständnis von Infrastruktur und einer neuen, darauf basierenden und über die Wirtschaftsgeschichte weit hinausgehenden historischen Infrastrukturforschung abzusetzen – nicht aus Ablehnung, sondern aus Gründen des Themenzusammenhangs und der Operationalisierbarkeit – wird hier der Begriff ‚Handelsstruktur’ gewählt. Ihm kommt der Infrastrukturbegriff von Wolfram Jäckel, den dieser im Zusammenhang mit südostasiatischen maritimen Handel verwendet, weitaus näher: 103 LAAK, Infra-Strukturgeschichte, insbes. 367-371, Zitat 368. 104 Ebd., 381. Fragestellungen und Vorgehensweise 67 „The term infrastructure has a wide range of connotations of which the material side will be stressed here. Infrastructure thus means buildings, communication networks of every kind etc. which have the property of durability or, in economic terms, a long period of invested capital remuneration. [...] Returning to the present context of the 17th century Southeast Asia, infrastructure takes on special meanings, because nation-states which could provide infrastructural investments did not exist yet, and economic growth was not a collectively defined end to which action could be adhered to.“105 Hinzu kommt, daß neben den modernen Vorstellungen einer Infrastruktur auch die räumlichen Dimensionen des Handels, also Verbindungswege und miteinander verbundene Räume, durch den Begriff abgedeckt werden sollen. Zum einen ist dabei die Rede von Elementen, aus denen sich Handelsstrukturen zusammensetzen wie Handelswege, Handelsplätze, miteinander in Beziehung stehende Raumeinheiten, Waren auf den Handelswegen, Transportmittel, Kommunikations- oder Zahlungsmöglichkeiten. Zum anderen bestehen Elemente wie konkurrierende Akteure oder Institutionen, die durch ihren Einfluß Rahmenbedingungen schaffen, sowie naturräumliche Bedingungen oder Märkte. Die Einbeziehung weiterer Elemente, welche im Sinne van Laaks die Infrastruktur zu einer umfassenden Struktur innerhalb einer komplexen Gesellschaft machen, wären selbstredend auch für Südostasien sinnvoll. Allerdings stößt ein solcher Versuch an Grenzen – an die Grenzen der exemplarischen Studie und des Materials, das für Südostasien im 17. und 18. Jahrhundert zur Verfügung steht. Bedeutung und Entwicklung des einheimischen Handels Untersuchungen zum Handel in Asien während des 17. und 18. Jahrhundert konzentrieren sich entweder ganz auf die Tätigkeiten der europäischen Handelskompanien oder in der inzwischen fortgeschrittenen Forschung auf bedeutende asiatische Kaufmannsgemeinschaften, die sich vor allem durch Handel über große Entfernungen auszeichneten. Daher muß der über geringere Strecken verlaufende, von weniger weit verbreiteten Händlern oder Ethnien getragene Handel, der zumeist auf der dritten Ebene beheimatet war, zunächst identifiziert, strukturiert und gewichtet werden. Insbesondere gilt dies für die Entwicklung unter der Vorherrschaft der Kompanien. Es besteht gewisser Trend, für die Zeit vor 1500 den indigenen Handel facettenreich zu betrachten, das 16. Jahrhundert als eine Art Übergangsstadium zu 105 JÄCKEL, Changing Role, 383/384. 68 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt sehen und mit dem Erscheinen der Kompanien Handelsentwicklung im wesentlichen auf der Grundlage ihres Zahlenmaterials zu untersuchen. Die dritte Ebene verschwindet während der Zeit der Kompanien und noch darüber hinaus weitgehend aus dem Blickfeld, ebenso ganze Warengruppen, die mit dem Handel der oberen Ebenen vermeintlich nicht in Verbindung standen. „One of the shortcomings of modern historiography concerning early trade in Asia is its lack of attention to commodities other than high-valued luxuries. Many studies are devoted to such items as spices, silk or textiles, while bulk trade, meaning trade of relatively low-priced commodities in large quantities, is almost forgotten. They are not as ‚spectacular‘ as the luxury items, being seemingly always there, without being shipped to other continents. From a local viewpoint, however, bulk trade might have been much more important than trade in luxuries. It could be argued that bulk trade touched more upon the core of the economies involved and that study of such trade could provide important clues for a better comprehension of Asian societies. The commodities that were important for the Asians were not necessarily the same ones as the Europeans traded in. A real ‚Asian-centered‘ approach to history could therefore imply a shift in attention to other spheres of economic activity.“106 Der einheimische Handel setzte die größten Warenmengen um und bewegte zudem vieles, womit überhaupt nur einheimische Kaufleute handelten. Eine Konzentration auf den europäisch-asiatischen Austausch bedeutet eine Konzentration auf eine Besonderheit und kann nicht für sich in Anspruch nehmen, ‚asiatischen Handel’ als solchen zu behandeln. Die nachfolgenden Ausführungen wollen dem ein Stück weit entgegenwirken, indem sie versuchen, den gesamte Handel, insbesondere den Privathandel, eines bestimmten Warenumschlagplatzes zu rekonstruieren und die Lücken, die dabei auf Grund der Quellenlage entstehen, wenigstens ansatzweise mit Indizien zu füllen, die sich aus dem Bereich der geographischen und ethnographischen Erweiterung ergeben. Da bislang nur wenige Anstrengungen in diese Richtung unternommen wurden,107 ist die Rekonstruktion des Privathandels zunächst einmal berechtigter Selbstzweck. Darüber hinaus soll sie auch Auskunft über den Grad der Beeinflußung und Durchdringung durch die VOC geben. Gerade im Bereich der Handelsstruktur auf der dritten Ebene kommt die Tiefe der wirtschaftlichen Europäischen Expansion zum Ausdruck. Hier lassen sich die Fragen beantworten, ob die Europäer nur an der Oberfläche einer komplexen kommerziellen Welt präsent waren und 106 KNAAP/NAGTEGAL, Forgotten Trade, 127. 107 Eine bedeutende Ausnahme für Indonesien stellt seit kurzem KNAAP, Shallow Waters, dar, der in vielen Punkten ähnlichen Ansätzen wie die vorliegende Studie verfolgt, sich jedoch im wesentlichen auf die Rekonstruktion konzentriert. Fragestellungen und Vorgehensweise 69 sich nur bestimmte Güter von Interesse beschafften, oder ob ihre Anwesenheit tiefgreifende Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben der Einheimischen durch alle Ebenen und Sphären des komplexen Systems hatte, oder ob sie gar selbst überall dort präsent waren. „The process of European expansion, in terms of the subset infrastructure, may be described as a process of growing rigidity of the trade network; a growing ‚rigidization‘ as it was caused by fixed capital formation in ‚concrete space‘.“108 Wolfram Jäckel unterscheidet unter Rückgriff auf M. A. P. Meilink-Roelofsz und Merle C. Ricklefs drei Kategorien der Interaktion zwischen einheimischer Infrastruktur und europäischem Handel: „1. Connecting to, and utlizing of, the pre-existing infrastructure of the regional trading world, 2. reorganization of the trade infrastructure, in order to support a certain strategy of trade organization, 3. becoming a land-based power with growing political involvment in internal affairs including a growing portion of non-trade infrastructural activities.“109 Werden in den folgenden Betrachtungen europäische Aktivitäten thematisiert, wird der Schwerpunkt auf der VOC und ihren Institutionen liegen. Angesprochen werden ihre Reichweite, ihre Möglichkeiten, die einheimischen Handelsstrukturen zu dominieren, und die Frage nach der tatsächliche Durchsetzung von Dominanz. Die VOC rückt als auffälligster Repräsentant des expandierenden Europas im Malaiischen Archipel in den Mittelpunkt, ohne daß europäische Privatiers, soweit sie in den Quellen greifbar sind, vernachlässigt werden dürfen. Die von Wolfram Jäckel in seiner Kategorisierung implizit aufgeworfene Frage nach der Form der Interaktion zwischen VOC und einheimischen Handel soll anhand eines Fallbeispiels bestimmt und an den Entwicklungen in der näheren Umgebung abgeglichen werden, so daß das Fallbeispiel allgemeinere Aussagekraft entwickeln kann. Europäisierung oder Asiatisierung der Handelsstrukturen Gerade wenn der Blick auf den konkreten Handel vor Ort gerichtet wird, stellt sich die Frage nach der Gegenseitigkeit der Beeinflußungsprozesse. Veränderungen, die auf gegenseitiger Beeinflußung beruhen, sind beispielsweise am Gebrauch von Schiffstypen festzumachen. Es ist zu untersuchen, ob sich – auch und gerade bei europäischen Händlern – einheimische Typen durchsetzten, oder ob nach einer 108 JÄCKEL, Changing Role, 395. 109 Ebd., 386. 70 Malaiischer Archipel und frühneuzeitliche Welt Weile europäische Konstruktionsweisen dominierten, wie dies im 20. Jahrhundert zu beobachten ist. Solche Prozesse sind auch an der Zusammensetzung von Warenpaletten in Abhängigkeit von der Ethnizität der Schiffseigner oder Kapitäne, daneben an eventuellen neuen Waren oder Warengruppen festzumachen – oder an der Beschäftigung von Kapitänen durch Schiffseigner, untersucht man die Fragen, ob in dieser Hinsicht die beteiligten Ethnien unter sich blieben, ob nur indigene Kapitäne eingesetzt wurden oder ob auch europäische Kapitäne auf den Schiffen asiatischer Besitzer eine Rolle spielten. Zielrichtung solcher Fragestellungen ist die Beharrungskraft und Integrationsfähigkeit einheimischer Handelsstrukturen, nachdem zuvor im Zusammenhang mit der Frage nach der Durchdringung ihre Flexibilität angesprochen wurde. Die Frage nach der Europäisierung führt schließlich an den Anfang der Überlegungen zurück, an dem das expandierende, europäisch geprägte Weltsystem stand. Eine Einzelfallbetrachtung kann zunächst vor allem negative Aussagen über den Gesamtzusammenhang bieten. Theoretisch angenommene Tatbestände können durch gegenteilige empirische Befunde auf der lokalen Ebene widerlegt oder zumindest in ihrem Absolutheitsanspruch relativiert werden. Unter Vermeidung verabsolutierender Aussagen sind allerdings auch weitergehende, positive Aussagen möglich. Zum einen kann dies durch Vergleiche mit anderen urbanen Handelszentren oder anderen Handelssphären geschehen. Zum anderen ist die Rolle Makassars und auch Banjarmasins als Emporium für weitergehende Aussagen hilfreich. In ihren Häfen verkehrten Kaufleute und Seefahrer, die auch eine Vielzahl anderer indonesischer Häfen und Warenumschlagplätze besuchten. Strukturen, die sich aus ihrer Handelsbeteiligung in den untersuchten Häfen herauslesen lassen, dürften mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit auch in anderen Häfen Gültigkeit besessen haben. Bezieht man noch die bereits erforschten politischen und kulturellen Rahmenbedingungen in die Betrachtung ein, sind Aussagen allgemeinerer Natur sicherlich mehr als reine Spekulation. Zweites Kapitel Quellen, Methoden, Forschung „So sehr wir uns im Rahmen unserer intellektuellen und handwerklichen Schulung als professionelle Historiker bemühen, die Voraussetzungen, Bedingungen, Abläufe und Ergebnisse entsprechender Vorgänge [d.h. der Europäischen Expansion] aufzuklären und auch Quellenzeugnisse außereuropäischer Herkunft dabei zu Rate ziehen: Nie kommen wir in der Qualität zu einem anderen Ergebnis als es im Rahmen seines Berufsethos ein guter europäischer Kriminalist etwa in einem komplizierten und komplexen Ermittlungsverfahren erzielte. Immer schöpfen wir nämlich notwendig ganz überwiegend aus europäischen Quellen und befinden uns bei unsrem Denken, bei unserem Urteil und unsreren Schlußfolgerungen auf dem Boden europäischer Logik [und] europäischer Moral.“ (Eberhard SCHMITT, 1996) I. Wege der Forschung Die Literatur zur Geschichte Südostasiens zwischen 1500 und 1800 ist Legion. Auch wenn weiterhin noch zahlreiche Forschungslücken bestehen, ist die Menge des geschriebenen Wortes doch bereits beinahe unüberschaubar. Die folgenden Seiten widmen sich daher nicht einer Geschichte der Geschichte Südostasiens; ein umfassendes Werk zur europäischen Historiographiegeschichte Asiens muß weiterhin ein Desiderat bleiben. Es sollen nur einige Pflöcke zur Orientierung eingeschlagen werden, indem die wichtigen Grundströmungen und Marksteine angesprochen werden und somit die Einordnung des vorliegenden Buches ermöglicht wird. 1. Die weite Perspektive: Malaiischer Archipel und die Welt des Indik Spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in den Niederlanden eine intensive Kolonialgeschichtsschreibung. Ihre Wurzeln hatte sie in den landeskundlichen Beschreibungen von Kolonialbeamten vor Ort, die gleichermaßen dem internen praktischen Nutzen für die Kolonialverwaltung dienten wie sie einer wissenschaftlichen Zielsetzung verpflichtet waren. Die nach den Maßstäben ihrer Zeit wissenschaftliche Kolonialgeschichte blieb trotz ihrer zunehmend eigenständigen Entwicklung der Kolonialadministration eng verbunden.110 Im Mittelpunkt der zumeist sehrumfangreichen Werke stand vor allem die Geschichte von ‚NederlandschIndië’, wobei die Zeit der VOC im Malaiischen Archipel umstandslos in die niederländische Kolonialzeit einbezogen wurde. Thematisiert wurden vor allem die Etablierung der Niederländer im Archipel, bedeutende Vertreter des niederländischen Personals in Indien und gelegentlich auch die Verwaltungs- und Finanzgeschichte der Kompanie.111 Die Höhepunkt dieser Kolonialgeschichte stellen die klassischen mehrbändigen Gesamtdarstellungen der Geschichte Niederländisch Indiens dar, deren Tradition in den Überblicksdarstellungen zur gesamten Geschichte Indonesiens fortgesetzt wurde.112 110 MOLEWIJK, Geschiedsschrijving; WESSELING, Overseas History. 111 Zur Etablierung vor allem DEVENTER, Geschiedenis; STUERS, Vestiging; CHIJS, Geschiedenis; DERS., Vestiging; zu Personen vor allem RHEDE VAN DER KLOOT, Gouverneurs-Generaal; BOOL, Compagnie; zur Strukturgeschichte vor allem KLERK DE REUS, Überblick. 112 COLENBRANDER, Geschiedenis; STAPEL, Geschiedenis; GRAAF, Geschiedenis; VLEKKE, Nusantara. 74 Quellen, Methoden, Forschung Es war ebenfalls ein Kolonialbeamter, der die Wende zur Strukturgeschichte einleitete. Das Werk von Job C. van Leurs wird gerne als Revolution in der indonesischen Historiographie angesehen.113 Diesen Ruf verdankt der im Zweiten Weltkrieg mit gerade 34 Jahren gefallenen Historiker der Tatsache, daß er die wissenschaftlichen Begriffsbildung Max Webers in die asiatische Wirtschaftsgeschichte einbrachte und sie strukturhistorischen Fragestellungen zugänglich machte.114 Im Zuge seiner eigenen Analyse des indonesischen Handels, vor allem im 18. Jahrhundert, führte er mit der Vorstellung asiatischer Händler als ‚pedlars’ ein folgenreiches Diktum in die asiatische Wirtschaftgeschichte ein. Trotz seines Verdienstes, den indonesischen Handel als eigenständiges Phänomen aus dem Zusammenhang der VOC-Geschichte herausgelöst, für ihn eine nicht-eurozentrische Perspektive eingefordert und ihn zugleich in den internationalen Zusammenhang eingeordnet zu haben, konnte van Leur im Laufe der Forschungsentwicklung nicht unwidersprochen bleiben. Insbesondere die Grundannahmen van Leurs, die letztendlich bedeuten, daß südostasiatische Händler nicht in der Lage waren, temporäre oder permanente Allianzen zu schließen, verzerrt nicht nur die Perspektive zugunsten einer modernisierungsorientierten europäischen Sichtweise,115 sondern trifft vielerorts einfach nicht zu, wie bespielsweise die maritimen Gesetze von Malakka zeigen. Die von van Leur eingeleitete Loslösung des südostasiatischen Handels vom Handel im Rahmen des Europäischen Expansionismus zeitigte noch unmittelbar in der Kolonialzeit Folgen. Bertram J. O. Schrieke führte in seinen Werken umfassende Kenntnisse der indonesischen Kulturgeschichte mit der wirtschaftshistorischen Sichtweise zusammen. Diesen Studien verdankt die Wissenschaft die ersten Analysen zur ökonomische Rolle Makassars vor der Eroberung durch die VOC.116 Nur wenige Jahre nach dem Ende der Kolonialzeit in Indonesien entstand mit der Dissertation von Marie A. P. Meilink-Roelofsz eine der einflußreichsten Gesamtdarstellungen des Handels im Malaiischen Archipel.117 Darin geht sie über die Betonung der Eigenständigkeit des indonesischen Handels hinaus, indem sie ihn in den Vordergrund stellt und so zwangsläufig den europäischen Anteil phasen- und regionenweise zu einer Randerscheinung herabstuft. 113 Zu Leben und Werk van Leurs siehe vor allem den Sammelband BLUSSÉ/GAASRTA, Eighteenth Century; darin insbesondere VOGEL, Van Leur, (zur Biographie) und BAYLY, Van Leur (kritisch zum Werk). Zu letzterem Aspekt siehe auch BOXER, On the Eighteenth Century, passim. 114 TAN, Apects, 396/397; van Leurs Schriften wurden posthum herausgegeben: LEUR, Indonesian Trade. 115 BARENDSE, Kraton, 94. 116 Siehe vor allem SCHRIEKE, Shifts, passim. 117 MEILINK-ROELOFSZ, Asian Trade. Wege der Forschung 75 Kritik an Meilink-Roelofsz blieb nicht aus. In ihrem Verständnis trat dem ‚traditional Asian trade‘, der eine grundlegende, langfristig unveränderliche Struktur nahelegt, in welcher trotz mancher Änderung bei Häfen oder Routen die Handelsorganisation stets die gleiche blieb, der europäische Handel als ein Moment der ‚Modernisierung‘ entgegen. Dem ist entgegenzuhalten, daß im 14. Jahrhundert ein Handelssystem existierte, basierend auf unmittelbarem Warentausch ohne Edelmetalle mit Geldfunktion, das sich jedoch bereits ein Jahrhundert vor dem Eintreffen der Europäer kommerzialisierte. Vor diesem Hintergrund kann von einem ‚age of commerce‘ gesprochen werden, in dem auch Meilink-Roelofsz’ dichotome Unterscheidung in ‚Asiaten‘ und ‚Europäer’ noch keinerlei Bedeutung hatte.118 Für einen weiteren entscheidenden Fortschritt sorgte Niels Steensgaard mittlerweile klassische Monographie ‚The Asian Trade Revolution of the Seventeenth Century’, die den grundlegenden Wandel der asiatische Handelswelt durch die Handelskompanien der Niederländer und Engländer untersucht.119 Dabei entspringt einer allgemeineren Analyse des Phänomens ‚Ostindien-Kompanien’, die auf der Theorie der Rolle von Protektion in der Wirtschaft und den daraus resultierenden ‚protection costs’ von Frederick C. Lane aufbaut,120 gestützt durch eine Fallstudie zum Untergang der Hafenstadt Hormuz Steensgaards grundsätzliche Interpretation der westeuropäischen Monopolkompanien als entscheidender institutioneller Neuerung, die in der Lage war, den gesamten asiatischen Handel zu revolutionieren.121 Diesen herausragenden Werken zum asiatische Handel, die Wegmarken in der frühneuzeitlichen Wirtschaftsgeschichte darstellen, folgte eine Reihe großer Gesamtdarstellungen, die den gegenwärtigen Forschungsstand zu Wirtschaft und Gesellschaft des Indischen Ozeans und des Malaiischen Archipels repräsentieren. Ein weitgehender Einfluß von Fernand Braudels histoire totale’, seiner Betonung der sich langfristig kaum verändernden Strukturen und ihres Zusammenspiels mit Prozessen schnellerer Entwicklung und schließlich seiner Einbeziehung geographischer Bedingungen ist dabei unverkennbar. Insbesondere ist auf einerseits auf Kirti N. Chaudhuris große Synthesen zur Welt des Indischen Ozeans hinzuweisen,122 ande- 118 BARENDSE, Kraton, 88-90. Auf der Annahme eines ‚age of commerce‘ basierte das gesamte opus magnum von Anthony Reid (REID, Land below the Winds, und DERS., Expansion and Crisis). 119 STEENSGAARD, Asian Trade Revolution; zur Kritik an Steensgaards Darstellung des asiatischen Handels siehe vor allem MEILINK-ROELOFSZ, Structure of Trade, passim. 120 LANE, Venice in History, 373-428. 121 Zu dieser Interpretation siehe auch STEENSGAARD, Companies, und DERS., East India Company. 122 Bereits in CHAUDHURI, Trading World, wenn auch noch mit besonderem Bezug zur EIC, vor allem aber DERS., Trade and Civilisation, und DERS., Asia before Europe. 76 Quellen, Methoden, Forschung rerseits auf Anthony Reids Werk zum Malaiischen Archipel im ‚Zeitalter des Kommerzes’ (1450 bis 1680).123 Mit unterschiedlichen Schwerpunkten verbinden sie verschiedene Bereiche historischer Entwicklung wie Wirtschaft, Religion, Kultur und Alltag oder Technologie zu einem Ganzen und überwinden die Einteilung in europäische und asiatische Perspektive durch souveränen Umgang mit der Wahrnehmungsproblematik der Quellen zugunsten einer globalen Sichtweise. Insofern stehen sie am vorläufigen Ende einer Entwicklung, die von der Vorstellung einer simplen Europäisierung, die Hand in Hand mit dem europäischen Vordringen nach Asien ging, über die Auseinanderdifferenzierung europäischen und asiatischen Handels hin zu einem gesamtheitlichen Verständnis Südostasien vor der Etablierung eines territorialen Kolonialismus führte. 2. Die enge Perspektive: Spezial- und Lokalstudien zum Malaiischen Archipel Die neuere Forschung zum Malaiischen Archipel folgt seit ungefähr 1960 im Groben drei Grundlinien.124 Zum einen wird der regionale Handel in seiner Bedeutung für die politische Entwicklung betrachtet, insbesondere für die Staatenbildung und für die niederländisch-indonesischen Beziehungen. Zum anderen treten die einzelnen Güter der malaiischen Handelswelt in den Mittelpunkt des Forscherinteresses, wobei Gewürze trotz ihrer entscheidender Bedeutung im Archipel in dieser Einzelfallforschung eine geringere Rolle spielen, als man erwarten dürfte. Schließlich verfolgt eine dritte Grundlinie der Forschung die Geschichte einzelner Händlergemeinschaften oder -nationen, die im Malaiischen Archipel eine Rolle spielten, wobei den Chinesen besondere Aufmerksamkeit zukommt. Nur die allerwenigsten Studien konzentrierten sich auf den maritimen Handel allgemein. Eine große Synthese der indonesischen Wirtschaftsgeschichte im Zeitalter der Handelskompanien, die über die Darlegungen bei Anthony Reid hinausgehen und an die Klassiker von Schrieke und Meilink-Roelofsz anknüpfen könnte, steht nach wie vor aus.125 123 REID, Land below the Winds, und DERS., Expansion and Crisis. 124 Auf einzelne Literaturverweise wird in diesem Abschnitt weitgehend verzichtet; für bibliographische Hinweise siehe das Literaturverzeichnis im Anhang; kritische Einzelanmerkungen finden sich an passender Stelle des Gesamttextes. 125 Eine wichtige, wenn auch vereinzelte Ausnahme stellt die von Nicholas Tarling besorgte ‚Cambridge History of Southeast Asia’ dar; siehe HALL, Economic History, und REID, Change. Wege der Forschung 77 Im Vergleich zu anderen Regionen des Malaiischen Archipels kann die Südhalbinsel Sulawesis neben Java und den Molukken als besonders gut erforschter Landstrich gelten. Insbesondere die vorteilhafte Überlieferungslage, die zahlreiche einheimische Schriftstücke umfaßt und somit auch die Jahrhunderte vor dem Eintreffen der Europäer abdeckt, führte dazu, daß sich neben Historikern vor allem auch Völkerkundler, Sprachwissenschaftler und Malayologen mit der Region befaßt haben. So liegt eine nicht unbeträchtliche Forschungsliteratur zur buginesischen und makassarischen Geschichtsschreibung vor und zahlreiche Publikationen, die sich mit der politischen und kulturellen Geschichte der frühen Staaten Süd-Sulawesis befassen. Die kurze Blütezeit des Stadtstaates Makassar als regionale Vormacht ist in der Geschichte des Malaiischen Archipels aufsehenerregend genug, um auch die Aufmerksamkeit so nahmhafte Südostasienexperten wie John Villiers und Anthony Reid auf dieses Phänomen zu lenken.126 Besondere Verdienste kommen in diesem Themenzusammenhang David Bulbeck zu, der in mehreren Grabungskampagnen mit archäologischen Methoden die historischen Kenntnisse über Makassar nicht nur untermauerte, sondern in vielerlei Hinsicht entscheidend weiterführte.127 Der Makassarischen Krieg von 1666 und 1669 ist zweifelsohne der Abschnitt der regionalen Geschichte, der als der besterforschte und -dokumentierte gelten darf. Schon früh in der kolonialen Forschung, ja bereits in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung spielten die Ereignisse um die Eroberung Makassar durch Niederländer und Bugis eine herausragende Rolle.128 In jüngerer Zeit lieferten sie die Grundlage für das herausragendste Werk, das die Geschichtswissenschaft bislang über Makassar hervorgebracht hat: Leonard Y Andayas Geschichte Süd-Sulawesis im 17. Jahrhundert unter dem Titel ‚The Heritage of Arung Palakka’.129 Ihren ganz besonderen Stellenwert und ihre innovative Kraft verdankt die Studie der Vorgehensweise Andayas, aus drei verschiedenen Quellenkomplexen ebenso kritisch wie detailversessen ein überzeugendes Ganzes zu formen. Zur Anwendung kommen neben den niederländischen Quellen, vornehmlich aus den Beständen der VOC, und den buginesischen wie makassarischen Schriftquellen auch Dokumente der ‚oral history’ in Gestalt von Interviews zur lokalen mündlichen Überlieferungslage, die Andaya während eines Feldaufenthaltes in Süd-Sulawesi gesammelt hat. 126 VILLIERS, Makassar; DERS., Portuguese Connection; DERS., Doing Business; DERS., Especiallest Flower; REID, Rise of Macassar; DERS., Pluralism and Progress. 127 BULBECK, New Perspectives; DERS., Construction History. 128 STAPEL, Bongaais Verdrag; DERS., Speelman; CRUCQ, Heilig kanon. 129 ANDAYA, Heritage. Siehe hierzu auch BULBECK, Landscape. 78 Quellen, Methoden, Forschung Schließlich ist mit Heather A. Sutherland ein weiterer Name ist auf das Engste mit der Geschichtsforschung zu Süd-Sulawesi verbunden. Sie darf mit Recht als einzige Kennerin des kolonialen Makassar, insbesondere im 18. Jahrhundert, gelten und beschäftigte sich in zahlreichen Einzelbeiträgen mit wesentlichen Aspekten der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte von Stadt und Umland. Allerdings kamen die auf den Hafenmeisterlisten beruhenden handelshistorischen Untersuchungen, von einigen Vorstudien abgesehen, bis heute zu keiner umfassenden Ausarbeitung, und die angekündigte Monographie zur Geschichte des kolonialen Makassar ist bis heute nicht erschienen. Da Sutherland die einzige ist, die bislang auf diesem Felde tätig war, bleibt die Geschichte Makassars zur Zeit der VOC in vielerlei Hinsich noch Niemandsland.130 3. Der Beitrag Asiens Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts sah nicht nur die Unabhängigkeit der meisten Kolonien in Afrika und Asien, sondern – in Verbindung mit dem Aufstieg der Unabhängigkeitsbewegungen und des Nationalismus – auch die Entwicklung eigenständiger, nationaler Geschichtswissenschaften. In diesem Abhängigkeitsverhältnis stand vielfach zunächst die Geschichte der nationalen Unabhängigkeitsbewegungen im Mittelpunkt – eine Entwicklung, welche die beteiligten Historiker gelegentlich in die Sackgasse des nationalen Mythoslieferanten führte. Zudem bestand die Gefahr, die Europäische Expansion und den Kolonialismus aus einer Opferrolle heraus zu verstehen. Eine solche Ausrichtung kann ebenso Wertloses wie nationale Mythen liefern, sie kann aber auch auf höherem Niveau zu einer letztlich undifferenzierten Sichtweise der europäischen Anwesenheit in Asien führen.131 Je nach kolonialem Hintergrund nahm die Entwicklung der asiatischen Historiographie in den letzten Jahrzehnten eine sehr unterschiedliche Entwicklung. Vor allem Historiker aus dem ehemals britischen Kolonialreich, und unter ihnen vor allem Inder, leisteten einen großen Beitrag zur kritischen Geschichtswissenschaft. 130 Von weitaus größerem Interesse ist die Region und ihre Bevölkerung hingegen seit der Kolonialzeit für Ethnologen, deren Werke auch wertvolle Materialien für Wirtschafts-, Sozial- und Kulturhistoriker bergen (NIEMAN, Boeginezen; FRIEDERICY, Standen; CHABOT, Verwantschap, RÖSSLER, Soziale Realität; DERS., Lohn; RÖTTGER-RÖSSLER, Rang; ANTWEILER, Urbane Realität; PELRAS, Bugis; DERS., Bugis culture). 131 So geschehen z.B. in PANIKKAR, Asia. Wege der Forschung 79 Gerade in diesem britisch geprägten akademischen Umfeld fielen neuere Entwicklungen wie die Einbeziehungen der Wirtschaftsgeschichte einschließlich ihrer quantitativen Methoden in die Kolonial- und Überseegeschichte oder von den Annales geprägte Vorstellungen einer ‚histoire totale’ auf fruchtbaren Boden. Gerade Erforschung der europäischen Ostindien-Kompanien und ihrer Aktivitäten in Asien profitierten von der Adaption neuer wirtschaftshistorischer Ansätze. Außerhalb des britischen Einflußbereiches sieht die Situation doch deutlich anders aus. Von den nicht-kolonisierten Gebieten begab sich China in eine gleichermaßen nationalistisch wie maoistisch bedingte Isolation, während die traditionsreiche Historiographe in den meisten arabischen Ländern unter teils heftiger Abwehr europäischer Wissenschaftseinflüße stagniert. Nur in Japan setzte unter dem Einfluß Europas und vor allem der USA die Entwicklung einer vergleichbaren kritischen Geschichtswissenschaft ein. Darüber hinaus sind bislang weder im ehemals französischen noch im ehemals niederländischen Kolonialbereich vergleichbare Entwicklungen zu beobachten. Die indonesischen Bildungseliten hatten bis in die 1920er Jahre kaum Kontakt zur modernen Geschichtswissenschaft; ihre Entwicklung stand im engen Zusammenhang mit der Herausbildung einer nationalistischen Bewegung.132 So dauerte es bis zu Unabhängigkeit von 1950, daß die Dominanz niederländischer Autoren überwunden und eine eigenständige Geschichtswissenschaft betrieben wurde.133 Entsprechend dieser Entwicklung bildeten sich in der indonesischen Geschichtsschreibung heute noch gültige Schwerpunkte aus, die sich vorrangig auf die Geschichte des Kolonialwiderstandes und der Unabhängigkeitsbewegung sowie auf die Geschichte der vorkolonialen Reiche als identitätsstiftendes Moment konzentrieren.134 Die Politik der „gelenkten Demokratie“ unter Sukarno führte endgültig zum Primat der politischen Propaganda in der Historiographie und beendete die Entwicklung einer kritischen Geschichtswissenschaft. Vorrangig war, daß die Interpretation der Geschichte den Prinzipien der Staatsführung entsprachen. Hierzu gehörte die Vorstellung von 350 Jahren kolonialer Herrschaft, auch wenn moderne indonesische Autoren inzwischen ebenfalls betonen, daß Indonesien in der frühen Neuzeit mitnichten umfassend kolonial beherrscht wurde. Auch in der Zeit nach Sukarno blieb die Historiographie vielfach den politischen Zielen der Staatsführung 132 OETOMO, Some Remarks, 73. 133 Grundlegend zur indonesischen Historiographie siehe DENGEL, Neuere Darstellung; zur Historiographie vor allem vor der Unabhängigkeit auch KLOOSTERS, Indonesiers. 134 DENGEL, Neuere Darstellung, 7-9. 80 Quellen, Methoden, Forschung verpflichtet. Sie hatte Zulieferarbeit für den Schulunterricht, der für ein bestimmtes Nationalbewußtsein sorgen sollten, zu erbringen und wurde in die Findung nationaler Helden einbezogen. Gleichzeitig verstärkten sich jedoch auch die Einflüsse sozialwissenschaftlicher Methoden. Dies führte zu einer Dualität in der indonesischen Geschichtswissenschaft, in der unverbunden nebeneinander sowohl der Heldenfindung verbundene Historiker als auch sozialwissenschaftlich orientierte Wissenschaftler arbeiten.135 Auch für Makassar und Umgebung sind vor diesem Hintergrund indonesische Untersuchungen entstanden, die sich insbesondere mit der Blütezeit Goa-Tallos befassen. Zahlreiche dieser Arbeiten wurden an der Universität von Ujung Pandang angefertigt, bewegen sich jedoch zumeist auf dem – letztendlich geringen – Niveau von Abschlußarbeiten.136 Nur sehr wenige einheimische Wissenschaftler wie Zainal Abidin oder Mattulada, die zumeist von den besser entwickelten Disziplinen Sprachgeschichte oder Archäologie kommen, haben in jüngster Zeit wertvolle Beiträge geliefert und sind gleichrangig an die Seite der englischsprachigen Historiker, Philologen und Archäologen getreten, die bislang die historische Forschung zu dieser Region dominieren. 4. Der Beitrag Deutschlands Leider ist auch der Beitrag der deutschen Geschichtswissenschaft außerordentlich bescheiden. Weder institutionell noch thematisch kann die Überseegeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als fest verankerter Bestandteil gelten. Ein Grund hierfür ist innerhalb des Fachs selbst zu suchen, das sich auf diesem Feld in die Isolation begab, da der Wunsch, „die zukünftige BRD nach den Barbareien des Nationalsozialismus wieder nach Westeuropa zu integrieren, zur dominierenden geistigen Kraft“ wurde und die Geschichte dazu brachte, sich auf die „Wiederaufwertung des ‚europäischen Erbes’, der aus dem speziellen europäischen Charakter sich herleitenden Werte und zur Rückbesinnung auf den Mythos des Abendlandes“ 135 DENGEL, Neuere Darstellung, 91/92; zur nationalistischen Geschichtsschreibung in Indonesien siehe auch KLOOSTERS, Some Remarks, passim. 136 Bibliographische Hinweise zu den wichtigsten indonesischen Werken zur Geschichte Süd-Sulawesis siehe REID, Rise of Makassar, 153-160, und ANDAYA, Heritage, 337-345. Gerade in den Werken dieser beiden Autoren sind indonesische Forschungen eingegangen. Wege der Forschung 81 zu konzentrieren.137 Ein zweiter Grund findet sich in der institutionellen Zordnung. Die Geschichten der verschiedenen außereuropäischen Großregionen sind bis heute vorrangig in den entsprechenden Philologien angesiedelt, so daß sich stets – philologisch ausgebildete – Indologen für die Geschichte Indiens, Sinologen für die Geschichte Chinas zuständig fühlen. Eine der wenigen Ausnahmen stellt die Universalgeschichte dar, wie sie von der Wissenschaftlergruppe rund um die Zeitschrift ‚Saeculum’ betrieben wird. Zu Wort kommen in diesem Organ neben einigen Historikern vor allem Philologen sowie Islam- oder Religionswissenschaftler. Durch die Konzeption der deutschen Universalgeschichte bedingt fragen ihre Vertreter nach menschheitsgeschichtlichen Kulturzusammenhängen – ein Ansatz, dem Konzepte von Karl Jaspers oder Arnold Toynbee zugrundeliegen. Durch diese bis heute nur wenig veränderte Ausrichtung und die daraus resultierende Beliebigkeit in der inhaltlichen Zusammensetzung entfernt sich die Universalgeschichte zunehmend von der internationalen Forschungsdebatte, deren Teil sie anfangs sicherlich noch war. Natürlich fanden noch einige andere Richtungen der Überseegeschichte in der deutschsprachigen Nachkriegswissenschaft gelegentlich ihre Nische. Eine kleine Gruppe von Historikern aus Deutschland und der Schweiz betrieben Kolonialgeschichte unter Konzentration auf Ideengeschichte, Staatenbildung und deren Ausweitung um Fragestellungen und Methoden der Sozialgeschichte. Daneben spielte die Geschichte des deutschen Imperialismus lange die Rolle des am breitesten diskutierte Forschungsfeldes mit Überseebezug. Schließlich ist auch die kleine Gruppe der Lateinamerikahistoriker zu nennen, die mit der internationalen Entwicklung durchaus Schritt halten konnte, allerdings ohne eine Etablierung in der deutschen Geschichtswissenschaft zu erreichen, die beispielsweise der osteuropäischen Geschichte vergleichbar wäre. Bis 1989 konnte sich die deutsche Geschichtswissenschaft bequem auf eine Zuordnung der weithin akzeptierten Dreiteilung der Welt zu Einzeldisziplinen zurückziehen. Die „Erste Welt“ war mit der Geschichte der westlichen Industriestaaten, der Hauptdisziplin des Faches, in Verbindung zu bringen, und die „Zweite Welt“ mit der osteuropäischen Geschichte. Die „Dritte Welt“ wurde vorrangig mit der Entwicklungsforschung verknüpft und damit aus den eigentlichen historischen Disziplinen verdrängt. Aufgebrochen wurde dies durch die grundlegenden weltpolitischen Wandel um und nach 1989 und der unübersehbar rasch fortschreitenden 137 BLEY, Geschichte, 94/95. 82 Quellen, Methoden, Forschung Globalisierung in allen Lebensbereichen, wodurch auch eine Neudefinition von „außereuropäischer Geschichte“ erforderlich wurde, die über das negative „nichteuropäische“ hinausgeht. Bemühungen in dieser Richtung sind jedoch bei weitem noch nicht abgeschlossen.138 Ebenso wie eine Neudefinition ist die Etablierung derjenigen Wissenschaftler, welche die internationale Entwicklung inzwischen nachvollzogen haben oder mit ihr Schritt zu halten suchen, bislang kaum gelungen. Eine Situationsbeschreibung der Teildisziplin zur Jahrtausendwende konstatiert eine fehlende Institutionalisierung, fehlende deutschsprachige Grundlagentexte, während fremdsprachige häufig viel zu spät übersetzt werden, sowie die mangelnde Selbstverständlichkeit, in Publikationen oder Gremien der allgemeinen Geschichte Überseespezialisten aufzunehmen, wie es in den englischsprachigen Ländern an der Tagesordnung ist.139 Allerdings soll die Situation nicht allzu schwarz gemalt werden, ist sie doch inzwischen deutlich in Bewegung gekommen. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß sich die übergroße Mehrheit der deutschsprachigen Historiker, die an Überseethemen arbeiten, in einem Förderverein zusammengeschlossen hat, der sich die ‚Vergleichende europäische Überseegeschichte’ auf die Fahnen geschrieben hat. Damit ist nicht nur eine Interessenvertretung entstanden, sondern auch die Bemühung um eine wissenschaftliche Fundierung dieser Forschungsrichtung in Gang gesetzt worden. Vor allem Eberhard Schmitt und sein Bamberger Lehrstuhl sind maßgeblich an Konstituierung, Verbreitung und beginnender Etablierung der Teildisziplin ‚Überseegeschichte’ beteiligt. Inzwischen ist die Mehrheit der deutschen Überseehistoriker in der einen oder anderen Form an der ‚Vergleichenden europäischen Überseegeschichte’ beteiligt, die somit eine Chance zur Etablierung außereuropäischer Themen im Gesamtfach und der Integration zu einer tatsächlichen Teildisziplin darstellt. Auch wenn eine umfassende theoretische Ausbreitung derselben noch fehlt, besteht doch immerhin eine konzeptionelle Grundlegung, die hier in Ausführlichkeit zitiert werden soll, da sie auch die Basis der eigenen Herangehensweise und des Selbstverständnisses der vorliegenden Studie darstellt: „1. Vergleichende europäische Überseegeschichte geht grundsätzlich der Genese des Gesamtprozesses der ‘Ausbreitung der Europäer über die Erde’ (A. Rein) und seiner Teilentwicklung nach: Sie sucht also die Ergebnisse der europäischen Expansion von ihren Ursprüngen zu den Wirkungen zu verfolgen. Das heißt: Sie sieht den entsprechenden Prozeß bewußt und ohne aufgesetzte Genierlichkeit mit europäischen Au138 PIETSCHMANN, Geschichte der europäischen Expansion, 21-23. 139 OSTERHAMMEL, Außereuropäische Geschichte, 253-257. Wege der Forschung gen (was nicht identisch mit unreflektiertem Eurozentrismus ist), weil sie weiß, daß sie ohne Verlust ihrer Sehschärfe andere Perspektiven nicht gewinnen kann. Insofern ist sie ganz bewußt nicht ‘Dritte-Welt-Geschichte’ oder ‘Geschichte des Nord-SüdKonflikts’. Sie sieht die Vorgänge, die zum Prozeß der europäischen Expansion beitrugen, wohl mitunter aus der Perspektive, nicht aber mit den Augen der materiell und technologisch i.d.R. unterlegenen Ethnien in Übersee [...], sondern mit europäischen Augen. [...] So sehr wir uns im Rahmen unserer intellektuellen und handwerklichen Schulung als professionelle Historiker bemühen, die Voraussetzungen, Bedingungen, Abläufe und Ergebnisse entsprechender Vorgänge aufzuklären und auch Quellenzeugnisse außereuropäischer Herkunft dabei zu Rate zu ziehen: Nie kommen wir in der Qualität zu einem anderen Ergebnis als es im Rahmen seines Berufsethos ein guter europäischer Kriminalist etwa in einem komplizierten und komplexen Ermittlungsverfahren erzielte. Immer schöpfen wir nämlich notwendig ganz überwiegend aus europäischen Quellen und befinden uns bei unserem Denken, bei unserem Urteil und in unseren Schlußfolgerungen auf dem Boden europäischer Logik [und] europäischer Moral [...]. 2. Vergleichende europäische Überseegeschichte geht nach Möglichkeit komparatistisch vor. Dieser Ansatz bedingt allerdings, daß man Vergleichbares vergleicht, und das bedeutet, daß man jene Erscheinungen der europäischen Expansion, mit denen man sich als Forscher jeweils beschäftigt, von den Quellen her erst einmal neu daraufhin überprüft, ob sie überhaupt einer komparatistischen Fragestellung zugänglich sind. [...] Besonders fruchtbar kann das komparatistische Herngehen im Rahmen der Vergleichenden europäischen Überseegeschichte da sein, wo es um Transformationsprozesse in Übersee auf Grund der europäischen Expansion geht. Nicht schlechterdings auf Auslöschung oder auf Totalassimilation der angetroffenen Kulturen lief im Ergebnis oft das Auftreten der Europäer hinaus [...]: Manchmal, vielleicht besonders im Orient, ergaben sich gewisse Veränderungen der Gesellschaft durch Lernprozesse im Sinne einer kognitiven Interaktion [...]. 3. Vergleichende europäische Überseegeschichte geht beim gegenwärtigen Stand der Forschung skeptisch mit sog. ‘Theorien’ zur Erklärung von Ursprung, Verlauf und Ergebnissen der europäischen Expansion um. Sie benutzt entsprechende Erklärungsmodelle lediglich als untereinander konkurrierende Arbeitshypothesen für den Umgang mit dem amorphen Quellenmaterial, modifiziert sie jedoch unter allen Umständen, wenn sie mit aus der Quellenautopsie gewonnen Einsichten nicht übereinstimmen. [...] 4. Für Vergleichende europäische Überseegeschichte ist das Aufspüren, Sichten, Sichern, Edieren und sachgemäß-einfühlsame Übersetzen von Quellenmaterialien auf breitester Basis nicht ‘Materialhuberei’, nicht Ausdruck einer quellenpositivistischen Haltung, [...]. Die Arbeit an und mit Quellen trägt vielmehr dazu bei, ein gewaltiges Desiderat aller heutigen Historiographie zur Geschichte der europäischen Expansion zu mindern, das notwendig auf die Qualität Einfluß nimmt. [...] 5. Vergleichende europäische Überseegeschichte arbeitet schließlich heraus, was W. Reinhard kürzlich das ‘Prinzip der nichtbeabsichtigten Nebenwirkungen’ genannt hat und das ich eher das ‚Prinzip der verdeckten Folgen’ nennen würde, weil viele 83 84 Quellen, Methoden, Forschung davon keine Neben-, sondern Hauptwirkungen sind. Tatsächlich traten in der Geschichte der europäischen Expansion, nicht anders als in der Geschichte der Industrialisierung etwa, immer wieder in einem hohen Maße wirkungsmächtige Faktoren auf, die von Fall zu Fall verschieden auf die weitere Entwicklung Einfluß nahmen, die in ihrer Wirkung aber in keiner Weise von den Akteuren vorhersehbar waren, ja selbst von der Historie über lange Zeit hin und auch gegenwärtig nicht ohne weiteres hinreichend in ihrer Bedeutung für den Verlauf und die Wechselwirkung der weiteren Entwicklung eingeschätzt werden können. [...]“140 Diese Grundlegung stellt einen kritisch durchdachten Rahmen dar; sie definiert keine klar abgegrenzte Schule, die von den Vordenkern und Initiatoren der ‚Vergleichenden europäischen Überseegeschichte’ auch nie angestrebt wurde. Vielmehr erlaubt sie die Integration bestehender Richtungen wie auch neuer kultur- oder wirtschaftshistorischer Ansätze oder auch – zumindest potentiel – der historischen Ethnologie.141 Bei aller Integrationskraft ist der zentrale Ansatzpunkt dieser Richtung die Expansionsgeschichte, die im Urteil Osterhammels die wichtigste Brücke zwischen allgemeiner und außereuropäischer Geschichte darstellt. Dieser Ansatz ermöglicht die Integration vieler unterschiedlicher Bereiche: „von Imperialismusdeutungen, die ihr Telos im europäischen Juli 1914 finden, über Untersuchungen einzelner Kolonialregime und der interkontinentalen Handelsverflechtungen im modernen Weltsystem bis zu Betrachtungen über die globale Ausstrahlung der europäischen Zivilisation.“ Er ermöglicht, methodisch vom Vertrauten auszugehen: „von einem Verständnis europäischer Staatenbildung, Wirtschaftsdynamik und Mentalität, von Quellen in europäischen Sprachen.“ Er läuft aber auch Gefahr, „beim Vertrauten stehenzubleiben und Weltgeschichte der Neuzeit ausschließlich als eine der Entdeckungen und Berührung ‚fremder’ Zivilisationen durch Europa aufzufassen.“142 Die vorliegende exemplarische Studie zu Makassar versteht sich den Grundüberzeugungen der ‚Vergleichenden europäischen Überseegeschichte’ verpflichtet und versucht gleichzeitig der von Osterhammel angesprochenen Gefahr zu entrinnen – durch die Art der Fragestellung und den entsprechenden Umgang mit den mehrheitlich europäischen Quellen. 140 SCHMITT, Zwerg, 120-127; die gleichen Gedanken, jedoch unter konkreterem Bezug auf die Forschungszusammenhänge an der Universität Bamberg, finden sich schon in DERS., Überseegeschichte, 9-13. 141 Zum Forschungsprofil der wichtigsten Exponenten der ‚Vergleichenden europäischen Überseegeschichte’ siehe PTAK/BECK, Förderverein, 17-110. 142 OSTERHAMMEL, Außereuropäische Geschichte, 268/269. II. Quellen und Quellenkritik Der Umfang der Originalquellen im Allgemeinen Reichsarchiv in Den Haag und in der British Library in London, aber auch in einer Vielzahl kleinerer Archive und Quelleneditionen, die für das Thema der Studie wertvoll sein können, ist beinahe unüberschaubar.143 Aus der Vielfalt der verfügbaren Materialien mußte eine Auswahl getroffen werden, wohl wissend, daß dies nicht selten nur eine Annäherung an die historische Realität ermöglicht und weiten Raum für zukünftige Untersuchungen bietet. Die Auswahl wurde teilweise nach Maßgabe des Informationsgehalts der Einzelquelle getroffen, teilweise nach Maßgabe der thematischen Schwerpunktbildung. Im Zentrum stehen Zeugnisse, die sich unmittelbar auf Makassar beziehen. Banjarmasin wird nur als freies Emporium berücksichtigt, um den Gegensatz zur Kolonialstadt Makassar herstellen zu können. Ergänzende Quellen müssen einen engen Bezug zu Einzelaspekten wie dem Privathandel und seinen Wegen, den Austauschplätzen, Waren, Schiffen oder beteiligten Ethnien aufweisen. Die folgenden Ausführungen dienen einem knappen Überblick dieser Quellen, wobei grundlegende Probleme besonders berücksichtigt werden. 1. Die Akten der Ostindien-Kompanien Die Grundstruktur der VOC-Überlieferung Aufbau und Geographie der VOC-Verwaltung sorgten für die grundlegende Struktur der VOC-Überlieferung.144 Das eigentliche Zentrum der Kompanie war in den Niederlanden angesiedelt, wo sie trotz der Aufteilung in regionale Kammern zentralistisch auf Amsterdam als Sitz des Direktorengremiums ausgerichtet war. Die Akten, die für Gesamtkompanie bedeutend waren, landeten somit gechlossen bei der Kammer Amsterdam. Von dort sind sie geschlossen in den Besitz des Allgemeinen Reichsarchivs in Den Haag übergegangen. Hier wurden sie um Aktenbestände der anderen Kammern ergänzt, die im nachhinein zentalisiert wurden. Dadurch finden 143 Die besten, durch ausführliche Register erschlossenen Übersichten der entsprechenden Archivalien bieten ROESSINGH, Sources (Niederlande) und WAINWRIGHT/MATTHEWS, Guide (Großbritannien). 144 Grundlegend siehe PENNINGS, Origins, insbes. 30-34; siehe auch IRWIN, Historical Sources, 236-244, und BRUIJN/GAASTRA/SCHÖFFER, Dutch-Asiatic Shipping I, 195-209. 86 Quellen, Methoden, Forschung sich keine offiziellen VOC-Aktenbestände in den regionalen oder städtischen Archiven, wohl aber private Hinterlassenschaften von im Dienst der VOC oder zumindest in Kontakt zu ihr gestanden hatten. Daneben ergibt sich die Strukturvorgabe aus der Hierarchie der VOC in Übersee. Sieht man von der autonomen Verwaltung auf Sri Lanka ab, war Batavia das Zentrum aller asiatischen Niederlassungen. Diese hatten ihre jährlichen oder halbjährlichen Berichte an den Generalgouverneur und den ‚Rat von Indien’ in Batavia abzuliefern und die ihnen wichtig erscheinenden Dokumente als Anlage beizugeben. In Batavia entstand im gleichen zeitlichen Rhythmus die Generale Missive, der Rechenschaftsbericht der VOC-Administration. Diesem wurden für den Versand nach Europa die wichtigsten Dokumente aus Batavia und die übersandten Materialien aus den Einzelniederlassungen beigegeben, wodurch die nach Europa transferrierte Menge der Akten rasant anstieg. Durch diese Vorgehensweise entstanden zwei der zentralen Aktenbestände in der Gesamtüberlieferung. Das Rückgrat der Überlieferung bilden die Generalen Missiven als Gesamtüberblick der Entwicklungen in Asien und am Kap der Guten Hoffnung.145 Daneben steht das „Schatzhaus der Kompanie“, der Bestand der Overkomen Briefen, der die Gesamtheit der nach Europa gelangten Einzelberichte der Niederlassungen und ihren jeweiligen Dokumentenanhang darstellen. Da keine genauen Vorschriften existierten, welche Dokumente den jährlichen Berichten beizufügen waren, bestehen diese Anhänge aus den unterschiedlichsten Quellentypen und nehmen einen so außerordentlichen Umfang ein, daß sie noch vielen Forschergenerationen faszinierende Entdeckungen erlauben werden. Daneben besteht eine Vielzahl eigentständig aus Asien überführter kleinerer Bestände und vor allem Einzelakten. Einen großen Anteil am Gesamtbestand der VOC-Überlieferung haben schließlich in Europa entstandene Akten wie Musterrollen, Unterlagen der Finanzverwaltung, Briefwechsel der Kammern untereinander oder mit den Generalständen und ähnliches. Ergänzt wird all dies durch die vielen weit verstreuten Überlieferungen in kleineren Archiven oder in Privatbesitz. Zwar befinden sich auch in den Archiven Asiens VOC-Bestände, doch setzen sich diese in den meisten Fällen aus Abschriften der transferrierten Materialien zusammen – und dies zudem in weitaus geringerem Umfang. In Indonesien finden sich solche Bestände vor allem im Nationalarchiv von Jakarta.146 Daß sie dort über145 Werden seit 1960 in einer Kombination aus akribischer Edition und sorgfältigen Exzerpten publiziert. Bislang liegen zehn Bände für die Jahre 1610 bis 1737 und 1743 bis 1750 vor: Generale Missiven I-IX, XI. 146 CHIJS, Inventaris. Quellen und Quellenkritik 87 haupt noch verwahrt werden, steht im Zusammenhang mit dem Fortbestand einer lokalen Archivierung durch die Kolonialverwaltung, die der VOC folgte. Die nicht als Anhänge versandten Dokumente wurden als nicht wesentlich angesehen und vernichtet. Sie in Asien aufzufinden, ist in der Regel eine vergebliche Hoffnung. Die Überlieferungslage zu Makassar Vor 1669 war Makassar für die VOC eine von vielen asiatischen Metropolen, die im wesentlichen von außen betrachtet wurden. So entstand kein eigener Aktenbestand, zumal sich von den spärlichen Versuchen einer Faktoreigründung keine Materialien erhalten haben. Die Informationen zu Makassar vor der Eroberung sind aus den Generalen Missiven, aus zeitgenössischen Reiseberichten, aus den später entstandenen Landesbeschreibungen durch VOC-Beamte oder gelehrte Europäer aus dem Umfeld der Kompanie sowie aus verstreuten Akten, die ihren Ursprung in den frühen niederländischen Kontakten nach Süd-Sulawesi haben, zusammenzutragen. Seit 1669 unterhielt die VOC einen Gouverneurssitz in Makassar, wodurch die Stadt in das System der Aktenerstellung eingebunden wurde. Entsprechend findet sich seither in den Overkomen Briefen regelmäßig eine Abteilung ‚Makassar’, bestehend aus dem turnusmäßigen Bericht und seinen Anhängen, die regelrechten Konjunkturen unterlagen. Nicht zu jeder Zeit wurden die gleichen Dokumente für bewahrenswert gehalten. Durchgehend erhalten sind lediglich Einzelbriefe zumeist diplomatischen Inhaltes und die ‚Staaten’ – die Vermögensaufstellungen – der Niederlassung. Lokale Personalrollen und statistische Übersichten sind selten und unregelmäßig gestreut. Andere Quellentypen sind nur für bestimmt Perioden überliefert wie die Hafenmeisterlisten, die Berichte von Schiffsführern der regelmäßigen Kontrollfahrten oder die Aufstellungen des makassarischen Warenhandels der VOC. Syahbandars Specificatie In jeder von der VOC kontrollierten Hafenstadt wurden Listen zur Registrierung der ein- und auslaufenden privaten Schiffe (Syahbandars Specificatie) geführt. Kaum eine andere Quelle bietet ähnlich exakte Einblicke in den Privathandel Indonesiens. Sie enthält für jede einzelne Schiffsbewegung das Datum der Ankunft oder Abreise, den Ziel- oder Herkunftsort, den Namen des nachodas, seine Nationalität, den Typ des Schiffs, dessen Größe in Lasten, die Anzahl der Besatzungsmitglieder, den Namen 88 Quellen, Methoden, Forschung und die Nationalität des Schiffsbesitzers, falls es sich um eine andere Person als den nachoda handelte, sowie die Ladung spezifiziert nach einzelnen Waren und ihren Mengen. Je nach Liste und Schreiber variierend werden gelegentlich Angaben über Zwischenaufenthalte, über die Wohnorte des nachodas und des Besitzers, zur Ausstellung des Passes, zur Bewaffnung des Bootes und zum Empfänger oder Lieferanten einer Ware, insbesondere wenn es sich dabei um die VOC handelt, gemacht. Auch Aufzählungen eventueller Passagiere finden sich sporadisch. Bei der Erhebung wurde auf alle Angaben zum Paß, zur Bewaffnung der Boote und zu den Passagieren verzichtet, da sie für das Thema der Untersuchung keine Rolle spielen. Gleiches gilt für die Erfassung eindeutig diplomatischer Missionen, in deren Rahmen auswärtige Herrschern mit großen Gefolge und entsprechender Flotte in den Hafen einliefen. Ebenso wurde auf die Angaben zu Lieferant oder Empfänger von Waren verzichtet, weil sie zu sporadisch auftreten und damit unzuverlässig sind. Zudem wurde die Aufnahme der Waren insofern vereinfacht, daß die teilweise extrem detaillierte Differenzierung einzelner Waren unberücksichtigt blieb. So wird in den Originallisten nach verschiedenen Sorten Zucker, Tee oder trepang unterschieden, werden Haushaltsgerätschaften nach ihrem Zweck wie Wasser-, Reis- oder Teekessel unterteilt oder Textilien nach ihren Farben differenziert. Schließlich wurde die Bezeichnung pernakan, die ursprünglich zur Bezeichnung islamisierter, in Indonesien niedergelassener Chinesen diente, wegen ihres äußerst uneinheitlichen Gebrauchs nicht berücksichtigt. Wie alle seriellen Quellen der frühen Neuzeit weist auch diese eine Reihe von Problemen für die Auswertung auf: (1) Die Bezeichnung „companie-onderdaan“ findet im Laufe des 18. Jahrhunderts immer breitere Answendung, erlaubt jedoch kaum mehr die Identifikation der Nationalität des betreffenden Kapitäns oder Eigners. (2) Die Angaben zum Wohnort werden nicht regelmäßig durchgehalten, wodurch nicht zuletzt eine Möglichkeit, das erstgenannte Problem wenigstens in Ansätzen zu lösen, relativiert wird. (3) Die Bezeichnung „Bürger“ erlaubt, außer vielleicht über den Namen, keine Differenzierung in Niederländer und andere mit der Bürgerwürde bedachten Europäer. Zudem scheint der Begriff in späteren Jahrgängen auch Mestizen, die ursprünglich einzeln aufgeführt werden, zu umfassen. (4) Die Vielfalt der für die transportierten Waren genutzten Maßeinheiten macht gelegentlich eine Vereinheitlichung unmöglich. In vielen Fällen wird allenfalls Quellen und Quellenkritik 89 das Transportmittel bezeichnet wie das „Faß“ bei Getränken und Butter oder die für unterschiedlichste Dinge aufgeführten „Kisten“ und „Kasten“. (5) Von besonderer Bedeutung ist die Frage, wie weit die VOC die verschiedenen Nationalitäten unterscheiden konnte. Bei Ethnien aus dem Nahbereich, die sich schon durch ihre Sprache identifizieren ließen (Bugis, Makassaren), oder bei den auf Eigenständigkeit bedachten Chinesen dürfte die Zuordnung sehr zuverlässig sein. Bei den entlegeneren Ethnien steigt die Gefahr, daß aus einem Herkunftsort oder einer Herkunftsinsel sogleich eine Ethnie wird. So führt die Liste die Nation der „Endehneesen“ nach der zeitgenössischen Bezeichnung ‚Endeh’ für Flores. Aus dem gleichen Grund dürfte die Kategorie ‚Malaiien‘ weitaus diffuser sein als die Katergorie ‚Makassaren‘. (6) Weiterhin drängt sich die Frage auf, wie weit die VOC die einzelnen indigenen Schiffstypen unterscheiden konnte. Da auf eine generalisierende Angabe prahu zu Gunsten einer weitaus differenzierteren Bezeichnung verzichtet wurde, kann von einer weitgehend zuverlässigen Angabe ausgegangen werden, die sich offensichtlich auf die Bootsbezeichnung in den Pässen bezieht, so daß es sich um die Angaben der nachodas bei der Paßbeantragung handelt. Aus den Listen sprechen also die Eigenbezeichnungen der mehrheitlich einheimischen Schiffsführer. (7) Schließlich stellen die Namen der asiatischen nachodas oder Schiffsbesitzer ein Zuverlässigkeitsproblem dar, da sie teilweise – insbesondere bei den Chinesen – allenfalls lautmalerisch wiedergegeben sind und weit von den richtigen Namen der Asiaten entfernt sein dürften. Für die Analyse spielt dies nur eine untergeordnete Rolle, da die Namen ausschließlich zur Verknüpfung einzelner Fahrten herangezogen werden, wofür sie ausreichend sein dürften, da auch der falsche Eintrag im Paß einen kontinuierlichen Namenseintrag in der Liste sicherstellt. Auf ein weiteres Problem dieses Quellentypus weisen Gerrit J. Knaap und Luc Nagtegal hin: „First, it must be noted that anyone arriving in a port from a place where no passes were issued by the local authorities [...] might escape registration. Second, captains who came from a port where the local administrator was allowed to issue passes for a short distance only and not for journeys to places across the Java Sea and who intended not to break the cargo but only to harbour in the roadstead to obtain a pass for Kalimantan of the Straits of Melaka, might also escape registration.“147 Die beschriebene Situation führt zu einer „general tendency of under-registration“. Verstärkt wurde dies auch noch dadurch, daß Fahrten aus dem unmittelbaren Ter147 KNAAP/NAGTEGAL, Forgotten Trade, 149/150. 90 Quellen, Methoden, Forschung ritorium einer VOC-Besitzung nicht als Importe gewertet und deshalb unter Umständen nicht registriert wurden.148 Allerdings ist dieser Einwand Batavia-orientiert gedacht. Nirgendwo sonst im Archipel verfügte die Kompanie über territorial kontrollierte Besitztümer vergleichbaren Ausmaßes. Im Falle Makassars bezieht sich diese Unterregistrierung nur auf den vergleichsweise überschaubaren Küstenabschnitt zwischen Makassar und der Südspitze der Halbinsel bei Bantaeng. Die Specificatie ist ein Opfer der „konjunkturellen Überlieferung“, der die Dokumente im Anhang der Missiven unterlagen. Überliefert ist sie in den Overkomen Briefen aus Makassar für die Zeiträume April 1717 bis Oktober 1719, Oktober 1722 bis September 1728, Oktober 1730 bis September 1731, Oktober 1733 bis September 1734, Oktober 1766 bis September 1782, Juni 1783 bis Mai 1785, Juni 1786 bis Juni 1790, Oktober 1790 bis Juni 1791 und Oktober 1791 bis September 1792. Eine besonders auffällige und langanhaltende Überlieferungslücke besteht zwischen 1734 und 1766. Daraus ergeben sich für die Analyse von selbst zwei Beobachtungszeiträume, je einer für die erste und für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. Grundlage der vorliegenden Untersuchung des Privathandels bilden je fünf Jahrgänge pro Überlieferungsperiode. Die Entscheidung, lediglich Beispieljahrgänge auszuwählen, beruht zunächst auf Gründen der Arbeitsökonomie. Aber auch eine vollständige Aufnahme des Bestandes hätte auf Grund dieser Überlieferungslage kein geschlosseneres Bild ergeben. Maßgeblich für die Auswahl der Jahrgänge für Datenaufnahme und Analyse waren mehrere formale Kriterien. Es mußte sich um geschlossene Jahrgänge der Liste handeln, die in möglichst gleichmäßigen Abständen voneinander angesiedelt sind. Eine Gleichgewichtigkeit zwischen dem frühen und dem späten Überlieferungsblock mußte erhalten bleiben. Der Ausgangspunkt ist durch die Überlieferungslage mit dem ersten geschlossenen Jahrgang vorgegeben, der den Zeitraum zwischen April 1717 und März 1718 abdeckt. Die angestrebten 5-Jahres-Abstände konnten durch die Überlieferungslage nicht immer ganz eingehalten werden, ebenso wie der Wechsel zwischen ‚April März‘ und ‚Oktober - September‘ - ersterer wird durch den Beginn der Überlieferung vorgegeben, letzterer ist die übliche Einteilung im späteren Überlieferungsblock. Auf die Erfassung eines Jahrgangs aus den 1790er Jahren wurde bewußt verzichtet, um eine Extremsituation durch besondere Nähe zum Ende der VOC zu vermeiden. Erhoben wurden folgende Jahrgänge:149 148 Ebd., 148/149; SUTHERLAND, Trepang, 85. Sutherland geht davon aus, das nahe Inseln wie die Spermonde-Gruppe ebenso nicht registriert wurden wie bestimmte Bevölkerungsgruppen, z. B. die Bajau. 149 Bei allen Erwähnungen der erfaßten Jahrgänge wird im nachfolgenden Text auf Einzelbelege verzichtet. 91 Quellen und Quellenkritik Tabelle 2.1: Erhobene Jahrgänge der Hafenmeisterlisten Makassars Jahrgang Zeitraum Inventarnummer im ARA Den Haag 1717/18 April – März VOC 1894, VOC 1910 1722/23 Oktober – September VOC 1995 1727/28 April – März VOC 2072, VOC 2100 1730/31 Oktober – September VOC 2192 1733/34 Oktober – September VOC 2314 1767/68 April – März VOC 3210, VOC 3243 1772/73 Oktober – September VOC 3332 1777/78 April – März VOC 3493, VOC 3524 1781/82 Oktober – September VOC 3623 1787/88 April – März VOC 3760, VOC 3809 Trotz ihres bedeutenden Quellenwertes läßt die bisherige Untersuchung der Listen noch zu wünschen übrig. Im Falle Makassars wurde Ende der 1970er Jahre von Heather A. Sutherland und David S. Bree ein Projekt angestrengt, das die Hafenmeisterlisten zumindest in Teilen datentechnisch erfaßte. Erste, noch sehr rudimentäre Ergebnisse wurden in einigen Konferenzbeiträgen publiziert.150 Eine grundlegende Auswertung läßt bis heute auf sich warten. Für die javanischen Häfen hat Gerrit J. Knaap jüngst eine vergleichende Studie vorgelegt, die nicht nur ein umfassendes und eindrucksvolles Bild entwickelt, sondern zudem wertvolle Ansatzpunkte für den Vergleich mit Makassar bietet. 151 Überliefert ist diese Quelle für die Häfen mit syahbandar-Administration auf Java. Es handelt sich um Banten, Batavia, Cirebon, Tegal, Pekalongan, Semarang, Jepara, Juwana, Rembang, Gresik, Surabaya, Pasuruan und Banyuwangi auf Java selbst sowie um Bangkalan und Sumenep auf Madura. Allerdings sind die Hafenmeisterlisten dieser Städte lediglich für die späten 1760er und die 1770er Jahre überliefert. Anders als in Makassar läßt sich für Java dadurch kaum eine Entwicklung im Privathandel beobachten, dafür erlaubt die Breite der Überlieferung die Rekonstruktion eines komplexen Bildes zu einem 150 SUTHERLAND, Trade; DIES., Trepang; DIES./BREE, Harbourmaster’s Specification; DIES./BREE, Trading Communities; DIES./BREE, Approaches. Für die vorliegende Untersuchungen fiel die Entscheidung zugunsten einer eigenständigen Datenerhebung, da ihre spezifischen Fragestellungen ein Datenmodell unabhängig von bereits bestehenden Datenbeständen erforderlich machen. 151 KNAAP, Shallow Waters, passim, zur Quelle 181-188. 92 Quellen, Methoden, Forschung Zeitpunkt, als die Kompanie auf dem Höhepunkt ihres Einflusses im Malaiischen Archipel stand. Ganz am Anfang schließlich steht noch die Bearbeitung der für Malakka überlieferten Listen. Erste grundlegende Auswertungen zweier exemplarischer Jahrgänge (1761 und 1782/83) beweisen abermals die Wertigkeit der Quelle, bieten für eine vergleichende Betrachtung jedoch noch zu wenig Substanz.152 Missiven Schriftstücke unter der Bezeichnung Missive bestimmen weite Bereiche der VOCÜberlieferung. Das Wort ist zunächst die zeigenössische Bezeichnung für einen Brief. Große Teile der überlieferten Materialien bestehen aus der alltäglichen Korrespondenz zwischen verschiedenen Niederlassungen, deren Inhalt von den größten Banalitäten bis hin zu brisanten diplomatischen Missionen reichen kann. Auch Briefe asiatischer Absender finden sich als übersetzte Fassungen in den Beständen. Eine systematische Durcharbeitung ist angesichts der schieren Menge kaum möglich, so daß der Umgang mit dem allgemeinen Briefwechsel auf den unteren VOC-Ebenen auf Zufallstreffer angewiesen bleibt, die freilich wesentliche Erkenntnisfortschritte bringen können. Daneben bezeichnet Missive den jährlichen oder halbjährlichen Rechenschaftsbericht entweder einzelner Niederlassungen oder, als Generale Missive, des Generalgouverneurs und seines ‚Rates von Indien’. Diese Berichte entstanden unter Einbeziehung zahlreicher Einzelinformationen aus den jeweiligen Anhängen, wodurch sie in der Regel sehr komplexe Überblicke über die Tätigkeiten der Kompanie vor Ort darstellen. Schon die Generalen Missiven bieten eine Vielzahl an Details auch für einzelne Niederlassungen und stellen so eine unverzichtbare Quelle auch für Regionaloder Lokalstudien dar.153 Der zusammenfassende Charakter dieser Dokumente bringt es mit sich, daß darüber hinaus immer wieder auf die Berichte der einzelnen Niederlassungen und mehr noch auf deren Anhänge zurückgegriffen werden muß. Dies dient sowohl einer größeren Vollständigkeit als auch einer größeren Objektivität, ist doch nicht auszuschließen, daß die Verfasser der Generalen Missive die Berichte ihrer untergebenen Gouverneure dem eigenen beabsichtigten Tenor anpaßten. 152 LEE, Shipping Lists, passim. 153 Für eine eingehende Würdigung dieses Quellentypus siehe GOOR, Bron; DERS., India. Quellen und Quellenkritik 93 Statistisches Material Auch wenn sich viele Studien wie die vorliegende auf Zahlenmaterial der VOC stützen, kann ihre Ära kaum als ein „statistisches Zeitalter“ bezeichnet werden. Vor Ort wurden zwar zahlreiche Aufstellungen und Listen zur Mannschaftsstärke, zum Warenhandel und zur Bilanz einer Niederlassung sowie zur Bevölkerung und zum privaten Schiffsbesitz erstellt, doch fehlte es zumeist an der Regelmäßigkeit und der Standardisierung der Erfassung. Die Kriterien, was in welche Listen aufgenommen werden sollte, unterlag offenbar einem steten Wandel und waren von den Vorstellungen des Verfassers abhängig. Häufig sind die Erhebungseinheiten zu grob gewählt, um tiefergehende Auswertungen zu erlauben, zumal Informationen aus den Lebensbereichen der einheimischen Bevölkerung den Niederländern nur schwer zugänglich waren. Die lückenhafte Überlieferungslage tut ihr übriges dazu. Reihenuntersuchungen zu Makassar sind daher ebenso unmöglich wie zu allen anderen asiatischen Niederlassungen. Die alljährlichen Aufstellungen der Vermögenswerte einzelner Niederlassungen sind nur wenig aufschlußreich, zumindest dann, wenn der aktive Handel im Vordergrund stehen soll. Die aufgeführten Zahlen zu den Waren im Lager und den verdorbenen Gütern lassen nur sehr grobe Vermutungen über deren Absatzchancen zu. Interessanter sind hier die Aufstellungen zum Warenhandel der VOC, die für Makassar aber erst seit 1757 überliefert sind. Daneben bestehen für Makassar eine Reihe von unregelmäßigen Listen zum Kompaniepersonal in der Stadt und den unmittelbar untergebenen Stützpunkten, zur Bevölkerung im Herrschaftsbereich und zum Schiffsbesitz. Auf wenig Erfolg stößt die Suche nach Steuerlisten, deren Überlieferungslage nur eine Momentaufnahme für die 1730er Jahre erlaubt. Memories van Overgave Jeder scheidende Gouverneur hinterließ seinem Nachfolger ein Memorandum, in welchem er alle wichtigen Informationen über den Zuständigkeitsbereich zusammenstellte. Diese Memories van Overgave sind von sehr unterschiedlicher Qualität und sehr unterschiedlichem Informationsgehalt. Mancher Gouverneur entwickelte sich in seiner Amtszeit zu einem wahren Kenner der Region und dokumentiert dies auch in seinem Memorandum. Andere gaben – wahrscheinlich mangels besserer Kenntnis – nur oberflächliche Beurteilungen zur einheimischen Bevölkerung und 94 Quellen, Methoden, Forschung ihren Führern weiter. Eine Memorie van Overgave kann also den Rang einer wertvollen Landeskunde erreichen, oder auch beinahe ohne Quellenwert sein. Der neue Gouverneur erhielt nicht nur das Memorandum seines unmittelbaren Vorgängers ausgehändigt, sondern auch möglichst alle in der Geschichte der Niederlassung bereits entstandenen. Die Dokumente bauen also aufeinander auf; zudem werden in der Niederlassung archivierte Schriftstücke einbezogen. Entsprechend enthalten die Memoranden zahlreiche Bezüge auf zusätzliche Materialien. Insbesondere hinsichtlich der politischen Ereignisse im Umland, dem inhaltlichen Schwerpunkt der Memories, entstanden so regelrechte Fortsetzungshistoriographien. Die Memories van Overgave aus Makassar sind leider nur zu Teilen überliefert. Die meisten der heute zugänglichen Texte weisen einen guten Informationsgehalt auf, auch wenn manche reine Diplomatiegeschichten sind. Die Gouverneure Joan Frederik Gobius (1723-1728), Josua van Arrewijne (1728-1733) und Cornelis Sinkelaer (1760-1767) gehörten eindeutig zu den profundesten Kennern ihres Machtbereiches.154 Ihre Memoranden stellen eine wertvolle Quellengrundlage zu den ökonomischen Bedingungen während der VOC-Herrschaft in Makassar dar, auch wenn die entsprechenden Informationen teilweise in Nebenbemerkungen versteckt sind. Die Notitie des Cornelis Speelman Eine Ausnahmestellung in der Überlieferung zu Makassar nimmt die Notitie des Cornelis Speelman ein.155 Der spätere Generalgouverneur der VOC trug im Range eines Admirals die Verantwortung bei der Eroberung Makassars zwischen 1666 und 1669. Sein mehrere hundert Seiten umfassender Text stellt formal eine Memorie van Overgave an den Unterkaufmann Jan van Oyen und den Kapitän Jan Franszoon dar, die nach Speelmans Abreise provisorisch die Leitung der neu gegründeten Niederlassung übernahmen. Tatsächlich geht sein Wert viel weiter. Die Notitie führt mehrere wichtige Bereiche zusammen. Zum einen trägt Speelman den vollständigen Kenntnisstand der VOC zu Geschichte und aktuellen Gegebenheiten in ganz SüdSulawesi zusammen. Zum anderen sind in ihr die Vorstellungen der VOC, die vor allem die Vorstellungen Speelmans gewesen sein dürften, über die nun entstehende Kolonialstadt niedergelegt. Die Darlegungen des Admirals über das zukünftige Makassar, die Regelungen in ihrem Hafen oder seine Vorstellungen von einer strengen 154 ARA Den Haag, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 49-128 (Gobius); VOC 2285, Macassar, 1. Reg., 84-178 (Arrewijne); VOC 11254, 1-39 (Sinkelaer). 155 Ebd., Aanwinsten 1524: 1926 I 10-11. Quellen und Quellenkritik 95 Auslegung des Vertrages von Bongaya dürfen allerdings nicht dazu verleiten, dies als einzige Quellengrundlage für die Verhältnisse in Makassar nach 1669 anzusehen, zwingend, da der pragmatische Umgang mit den Alltagsgegebenheiten, den viele späterer Gouverneure und leitende VOC-Bedienstete an den Tag legten, zu etlichen Änderungen der ursprünglichen Vorstellungen führte. Die Überlieferung der britischen Faktorei in Makassar Die britische Faktorei in Makassar, die immerhin zwischen 1613 und 1665 existierte, hinterließ keinen in sich geschlossenen Aktenbestand. Vielmehr sind die relevanten Schriftstücke nach Empfängerprovenienz über die Akten der ‚Oriental and Incia Office Collections’ in der British Library verstreut. Einem verdienstvollen, gleichwohl namenlosen Archivar vom Beginn des 20. Jahrhunderts ist eine Zusammenstellung aus Exzerpten, Regesten und Originalabschriften aller dort versammelten Stücke mit Makassar-Bezug zu verdanken.156 Für detaillierte Informationen ist häufig noch immer der Rückgriff auf die Originalquellen nötig, doch sind diese so immerhin akribisch erschlossen. Der Großteil der aus Makassar überlieferten englischen Quellen besteht aus Briefen. Zumeist wurden sie von den Kompanievertretern in Makassar an die regionale EIC-Leitung in Batavia oder Banten gesandt, gelegentlich handelt es sich auch um Schreiben nach London. Hinzu kommen einige Bruchstücke von Annalen, Rechtstexte wie den Vertrag, den die EIC 1624 mit dem Sultan schloß, einige Erlasse der englischen Presidency und einige wenige Abrechnungen. Neben diesen und den verstreuten Preisangaben in den Briefen steht kein statistisches Material zur Verfügung. Ergänzt wird diese archivalische Überlieferung, die sich in kleineren Teilen in den Briefeditionen zur EIC wiederfindet,157 durch das unabhängig überlieferte und edierte Journal des Faktoreigründers John Jourdain.158 In der Zeit nach der Eroberung Makassars durch die VOC werden die Quellen der EIC für den Malaiischen Archipel sehr dürftig. Der Fall von Makassar bedeutete für die Briten den Verlust einer der letzten Niederlassungen in Indonesien. Die Faktorei in Banjarmasin blieb letztendlich ein Zwischenspiel; die entsprechende Überlieferung ist noch verstreuter als im Falle Makassars. Langfristig konnte sich die EIC 156 BL London, OIOC, G/10/1. 157 Dies gilt insbesondere für die Zeit der Gründung und ersten Jahre der Niederlassung in Makassar: Letters II, 31-46, 306-311; Letters III, 130-147; Letters VI, 58-64. 158 Journal of John Jourdain. 96 Quellen, Methoden, Forschung nur in Bengkulu auf Sumatra festsetzten.159 Eine ernsthafte Rückkehr gelang erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als sich die Engländer auf der Malaiischen Halbinsel festsetzen konnten. Dennoch stehen einige weitere interessante englische Quellen zur Verfügung, die das niederländische Material ergänzen können. Neben einigen Reiseberichten ist auf Alexander Dalrymple hinzuweisen, der 1767 einen Plan zur Verbesserung des englischen Handels in der Region veröffentlichte. Grundlage hierfür waren ausgezeichnete Kenntnisse von Land und Leuten sowie der regionalen Handelsstrukturen, die Dalrymple auf seinen Reisen in Indonesien hatte sammeln können. Der Plan enthielt im wesentlichen den Vorschlag, die Insel Balambangan vor der Nordostspitze Kalimantans zum Nutzen der EIC zu einem Emporium auszubauen.160 1773 wurde von der britischen Kompanie tatsächlich auf dieser Insel eine Niederlassung errichtet, die nach einer bewaffneten Auseinandersetzung 1775 vorerst wieder aufgegeben wurde. 1803 gab es einen weiteren Besiedlungsversuch, der jedoch ebenfalls scheiterte, da sich die Niederlassung nicht als lukrativ erwies.161 Die Überlieferungslage zu Banjarmasin Der Stadt Banjarmasin wurde von der VOC ursprünglich nur wenig Beachtung geschenkt. Erst von Banten, dann von Batavia aus wurden vereinzelte Versuche, am Pfefferhandel Banjarmasins zu partizipieren, unternommen. Diese Bemühungen hinterließen jedoch nur verstreute Nachrichten, vor allem in den Generalen Missiven. Die Verlagerung der Verantwortlichkeit für die Kontakte nach Banjarmasin nach Makassar änderte auch die Überlieferungslage. Als im frühen 18. Jahrhundert, zunächst 1711, vor allem aber ab 1727, wieder verstärkt Versuche der Kontaktaufnahme unternommen wurden, ging die Initiative wie auch die Fahrten von Makassar aus, auch wenn die Pfefferlieferungen dann unmittelbar nach Batavia verschifft wurden. Entsprechend finden sich die zugehörigen Dokumente in der Überlieferung zu Makassar innerhalb der Overkomen Briefen. Auf den dort aufbewahrten Akten beruhen wesentliche Teile der Banjarmasin-Skizze im Rahmen dieser Studie. Eine ununterbrochene Überlieferung aus Banjarmasin setzt innerhalb der Overkomen Briefen erst in den 1770er Jahren ein; zuvor wechselten sich Jahre, in denen die VOCVertreter in Südost-Kalimantan eigenständig Missiven und Akten übersandten, mit 159 Zur britischen Niederlassung in Bengkulu siehe: SCHWEIZER, Handelsnetze. 160 DALRYMPLE, Plan for Extending the commerce. 161 MILBURN, Oriental Commerce II, 421. Quellen und Quellenkritik 97 solchen ab, in denen nur indirekt über Makassar Informationen weitergegeben wurden. Daneben finden sich auch in anderen Überlieferungszusammenhängen gelegentlich Dokumente zu Banjarmasin. So befindet sich das Memorandum des außerordentlichen Rates Reinier de Klerk aus dem Jahr 1757, das für den vorliegenden Zusammenhang besonders wichtig ist, in den privaten Überlieferungen der Familie Radermacher.162 2. Berichte und Beschreibungen Typen europäischer Reiseliteratur Zur Ergänzung der Kompanie-Akten ist die Berücksichtigung beschreibender zeitgenössischer Quellen notwendig. Innerhalb der Überseegeschichte handelt es sich um eine der Quellengattungen die am häufigsten genutzt und am besten erforscht ist, nicht zuletzt, weil für bestimmte Orte zu bestimmten Zeiten gar keine anderen schriftlichen Überlieferungen vorliegen. Gelegentlich besteht sogar die Gefahr, außereuropäische Geschichte ganz auf solche Berichte zu stützen und sie somit als Geschichte der Reisen nach Übersee und ihrer Rezeption zu schreiben. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelten sich recht unterschiedliche Erscheinungsformen europäischer Reiseberichte, die sich zwischen den Polen nüchterner, knapper Faktenaufzählungen einerseits und phantasievoll ausgeschmückter, nur noch partiell auf dem Boden des real Beobachteten stehender Werke andererseits bewegten. Viele Autoren griffen nicht zum eigenen Ergötzen zur Feder und auch nicht aus wissenschaftlichem Antrieb, sondern wollten gelesen werden, um einen kommerziell lukrativen Absatz zu erzielen. Daher suchten sie die Erwartungen der potentiellen Leserschaft zu befriedigen, indem sie neben realen Beschreibungen bereits bestehende Klischees bedienten und tief in den abenteuerlichen Farbkasten griffen. Die Existenz solcher Berichte in ihren verschiedenen Abstufungen stellt hohe Anforderungen an die Quellenkritik. Zunächst muß die generelle Zielrichtung eines Textes geklärt sein, bevor der Wert der einzelnen Informationen durch Abgleich mit anderen Quelleninformationen zur Situation am beschriebenen Ort oder zu den in Europa bestehenden Topoi bestimmt werden kann. Einzelinformationen, 162 ARA Den Haag, Collectie Radermacher, Nr. 538. 98 Quellen, Methoden, Forschung die so weder falsifiziert noch verifiziert werden können, sind zwar durchaus verwendbar, jedoch stets unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, der durch die Zielrichtung der Quelle vorgegeben wird. Vor diesem Hintergrund ist auf eine Form der Reiseberichte hinzuweisen, die bislang nur wenig Beachtung gefunden hat: auf die Berichte von KompanieBediensteten über Reiseaktivitäten im Auftrag ihres Arbeitsgebers, die sich vor allem unter den Archivalien der VOC finden. Sie wurden bislang weder historischkritisch noch populärwissenschaftlich in größeren Umfang publiziert. Ihre Ausrichtung auf einen Adressaten innerhalb der Kompanie führte zu einer Darstellungsform, die sich durch ihren Faktenbezug und durch die Verwendung möglichst weniger Klischees und Topoi auszeichnet. In diesem Sinne bieten solche Berichte eine weitaus größerer Glaubwürdigkeit in ihren konkreten Informationen als viele zeitgleiche und vorwissenschaftliche Reisedarstellungen und sind daher sind sie von besonderem Wert, wenn nach Indizien für indigene Handelsnetzwerke außerhalb der unmittelbaren europäischen Kontrolle gefragt wird. Berichte aus dem Malaiischen Archipel Die ersten Reisen der VOC in den Malaiischen Archipel ließen auch die ersten niederländischen Beschreibungen von Stadt und Umland Makassars entstehen. Ein Teil dieser Berichte wurde 1645 in der von Isaac Commeling zusammengestellten vierbändigen Sammlung „Begin ende Voortgangh van de Vereenighde Nederlantsche Geoctroyeerde Oost-Indische Compagnie“ in Amsterdam gedruckt.163 Andere Berichte aus dieser Zeit wurden spät entdeckt und erst im 20. Jahrhundert der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.164 Die meisten von ihnen zeichnen sich durch knappe nüchterne Beschreibungen aus. Zumeist war Makassar nur ein Anlaufpunkt der Expedition unter vielen. Etwas anders lag der Fall bei dem ersten englischen Bericht, dem Reisejournal des John Jourdain, der Makassar gezielt anlief, um eine Faktorei zu gründen. Seine Kontakte zu Sultan und Reichsverweser, von denen er ausführlicher berichtet, als daß er das Stadtbild beschreibt, lassen zusätzliche Rückschlüsse auf die politische und soziale Situation zu.165 163 Mit Relevanz für Makassar: MATELIEF, Historisch Verhael; RECHTEREN, Journal; SOLT, Verhael; WARWIJCK, Historische Verhael. Weiterführend zu den großen Reiseberichtssammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts siehe LACH, Century of Discovery, 204-217. 164 JOOSTEN, Rapport; STEIJNS, Journal. 165 Journal of John Jourdain, 292-296. Quellen und Quellenkritik 99 Die bis dahin ausführlichsten Informationen über die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Verhältnisse in Makassar lieferten zwei katholische Missionare, die den Stadtstaat in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts besuchten.166 Der französische Jesuit Alexandre de Rhodes traf 1647 in Sulawesi ein, der italienische Dominikaner Domenico Navarette folgte zehn Jahre später. Beide waren Gäste der nicht unbedeutenden portugiesischen Gemeinde und unterhielten rege Kontakte zu dem jeweiligen Reichsverweser. Ihre Berichte lassen das Bild einer blühenden Hafenstadt mit einer gebildeten und weltoffenen Regierung entstehen, die sich allerdings jeglichen Christianisierungsversuchen gegenüber resistent erwies. Lediglich Navarette ließ in den ansonsten glaubwürdigen Schilderungen gelegentlich Fabelwesen von riesigen menschenfressenden Krokodilen bis zu Hermaphroditen unter der makassarischen Bevölkerung auftreten. Hier erwies sich der Europäer einheimischer Phantasie gegenüber als zu leichtgläubig.167 Bald nach der Abreise des Domenikaners überschattete der Krieg zwischen Makassar und der VOC alle anderen Themen, die für zeitgenössische Beobachter von Interesse hätten sein können. Auch in den späteren Beschreibungen spielte er stets eine hervorstechende Rolle.168 Hinzu kam, daß Makassar nicht mehr die freie Stadt war, die interessierte Reisende in ihren Bann ziehen konnte. Während der Kolonialzeit unter der Vorherrschaft der VOC stieg sicherlich der Verkehr von Europäern mit kommerziellen Interessen in der Stadt deutlich an, schriftstellerisch tätige Reisende aus Europa konnten jedoch nur noch selten begrüßt werden. Interessanter für den Gesamtzusammenhang der Handelsstrukturen im Malaiischen Archipel sind einige englische Berichte aus dem 18. Jahrhundert. Brachte der Bericht des Weltumseglers Philip Carteret, der in Süd-Sulawesi eine Zwangspause einlegen mußte, noch sehr wenige Informationen, die über seinen Streit mit den Statthaltern der Kompanie hinausgehen,169 bietet ein anderer Weltreisender, Sir William Dampier, bereits deutlich mehr Beobachtungen.170 Wesentlich wichtiger hingegen sind die Reisen der englischen Kapitäne Alexander Dalrymple und Thomas Forrest. Nur letzterer hinterließ von seinen mehrfachen Reisen durch die Gewässer Südostasiens tatsächlich Reiseberichte.171 Dalrymples Schriften, insbesondere sein umfassend begründeter Vorschlag zur Errichtung einer EIC-Niederlassung vor der 166 167 168 169 170 171 Rhodes of Viet Nam, 205-211; Travels and Controversies, 103-125. LACH/KLEY, Century of Advance, 1446. Ebd., 1446-1448. Carteret’s Voyage I, 209-241 (Journal), ebd. II, 365-414 (Korrespondenz). DAMPIER, New Voyage. FORREST, Voyage to New Guinea; DERS., Voyage from Calcutta. 100 Quellen, Methoden, Forschung Nordküste Kalimantans,172 beruhen jedoch auf seinen eigenen Reiseerfahrungen vor Ort, die in vielen Details Eingang gefunden haben. Beide Autoren verdienen insbesondere deshalb eine Erwähnung, da sie auf ihren Fahrten ein offenes Auge für die Aktivitäten der einheimischen Privathändler hatten und die hierzu gesammelten Informationen zumindest teilweise auch der Weitergabe für wert befanden. Interne Berichte von VOC-Bediensteten Während den bislang angesprochenen Reiseberichten und Beschreibungen stets noch eine gewisse Distanz zum geschilderten Objekt innewohnt, bieten die internen Berichte von Kapitänen oder Kaufleuten Informationen, die häufig unmittelbar dem Alltagsleben im Einflußbereich der VOC entstammen. Solche Berichte entstanden aus vielerlei Anlässen. Es konnte sich um gezielte militärische Einsätze gegen Schmuggler und Piraten handeln oder um Kontrollfahrten zu deren Aufspürung; es konnte sich ebenso um Expeditionen zur Vernichtung unerwünschter Gewürzkulturen handeln wie um Erkundungsfahrten, die in der Regel weniger mit den Entdeckungsreisen zu tun hatten als mit der Beschaffung von Marktkenntnissen, oder diplomatische Missionen, die meist zur Knüpfung von Handelskontakten dienten. Natürlich hinterließen große diplomatische Reisen der VOC, wie sie nach Peking oder Edo unternommen wurde, entsprechende Berichterstattungen, die in der Forschung bereits breiter rezipiert wurden, doch kamen Unternehmungen dieser Größenordnung im kleinstaatigen System des Malaiischen Archipels kaum vor. Die Form der internen Berichte, die aus der Rechenschaftspflicht der Kommandanten einzelner Unternehmungen ihren Vorgesetzten gegenüber heraus entstanden, war abhängig vom Zeitpunkt ihrer Entstehung. Entweder wurden sie in Gestalt eines Tagebuchs verfaßt oder als nachträglicher Rechenschaftsbericht. Letzterer wies stilistisch zumeist die Form eines Briefes auf, war nur selten nach einer abstrakten Struktur gegliedert oder gar wissenschaftsähnlichen Vorgaben verpflichtet. Das entscheidende Strukturelement war meist die Chronologie der Mission. Die Tagebuchform dieses Quellentypus konnte in ihrer Ausführlichkeit sehr unterschiedliche Varianten hervorbringen. Manche der in den Akten Makassars überlieferte Berichte bestehen nur aus stichwortartigen Notizen, die nach dem Datum geordnet sind; andere bieten Tag für Tag detaillierte Ereignisbeschreibungen. Bei größeren Unternehmen wie den Banjarmasin-Missionen der Herren Landheer und de 172 DALRYMPLE, Plan for Extending the Commerce. Quellen und Quellenkritik 101 Broun sind in den Akten beide Berichtsformen parallel überliefert und um die Korrespondenz der Expeditionsleiter ergänzt. Ihre besondere Glaubwürdigkeit beziehen solche Berichte aus dem Zweck ihrer Erstellung, der ausschließlich im Informationstransfer innerhalb der VOC bestand. Die Adressaten benötigten für ihre Aktivitäten konkrete, möglichst detaillierte und auf alle Fälle unverfälschte Informationen. Daher sind die Berichte insbesondere für einzelne faktische Informationen, die beispielsweise der Identifikation „illegaler“ Handelsplätze oder ähnlicher Gegebenheiten dienen, als Quelle besonders wertvoll und glaubwürdig. Das einzige quellenkritische Problem mag darin bestehen, daß solche Berichte auch zur Rechtfertigung der Verantwortlichen gegenüber ihren Vorgesetzten gedient haben und so unter Umständen zur Vertuschung von Fehlleistungen mißbraucht worden sein könnten. Die Erfahrung der Arbeit mit den entsprechenden Berichten, die im Zusammenhang mit Makassar überliefert wurden, deutet jedoch darauf hin, daß in solchen Fällen die Schilderung eher knapp wird und Ereignisse, die für den berichtetenden Kommandanten unangenehm gewesen sein könnten, im Extremfall lieber übergangen wurden. Gänzlich falsche Inhalte scheinen nach dem bisherigen Kenntnisstand nur Randerscheinungen gewesen zu sein. Allerdings bedarf diese Quellengruppe noch weiterer Forschung, ist sie doch bislang kaum als eigenständige Gattung aufgefaßt worden. Kompilationen und Handbücher Eine Publikationsform, die sich bei der wissenshungrigen, auf Neuigkeiten aus fremden Welten erpichten Leserschaft der frühen Neuzeit großer Beliebtheit erfreute, war die Kompilation. Informationen aus diversen Reiseberichten, aber auch aus Briefwechseln, Akten und manchen weniger glaubwürdigen Quellen, wurden zu Landesbeschreibungen, Völkerkunden, Geschichtswerken oder auch neuen, fiktiven Reisebeschreibungen zusammengestellt. Da auf korrekte Quellenangaben zu dieser Zeit nur selten Wert gelegt wurde, ist bei Werken, über deren Entstehungszusammenhang heute wenig bekannt ist, nur schwer zu erkennen, ob es sich um Informationen aus erster, zweiter oder gar dritter Hand handelt. Zu diesen Texten gehört eine sehr bekannte, häufig zitierte, dennoch wenig zuverlässige Quelle zu Makassar: die Beschreibung des Franzosen Nicolas Gervaise vom Ende des 17. Jahrhunderts.173 Er widmete der Geschichte und Beschreibung des 173 GERVAISE, Kingdom of Macasar. 102 Quellen, Methoden, Forschung makassarischen Reiches ein umfangreiches Buch, das kurz nach seinem Erscheinen in Paris auch ins Englische übersetzt wurde und angesichts seines sehr speziellen Themas eine erstaunlich weite Verbreitung erfuhr. Auf die Vielzahl seiner Informationen kann jedoch nur mit äußerster Vorsicht zurückgegriffen werden, hatte der Autor den Gegenstand seiner Beschreibung doch nie persönlich kennengelernt, sondern nur aus den Berichten eines geflohenen makassarischen Prinzen, den er in Thailand kennengelert hatte.174 Hinsichtlich des Entstehungszusammenhangs ähnlich gelagert, jedoch weitaus glaubwürdiger, ist die Geschichtsdarstellung des Roelof Blok aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.175 Sie ist besonders für die Zeit unmittelbar um den Makassarischen Krieg wichtig. Ergänzt werden diese Passagen um detaillierte Informationen über die politischen Verhältnisse im Umland, die in hohem Maße auf eigenen Erfahrungen Bloks während seiner Dienstzeit in Makassar beruhen und auch aus buginesischen und makassarischen Quellen geschöpft sind.176 Auch die große Beschreibung der VOC von Pieter van Dam kann in den Bereich der Kompilationen gefaßt werden.177 Für Makassar ist sie ebenfalls vor allem hinsichtlich des Krieges und der in seiner Folge entstandenen politischen Verhältnisse relevant. Konkretere Informationen zur Stadt Makassar selbst, ihrer Gestalt, dem Leben in ihr und auch ihrer Wirtschaft zur Kolonialzeit bietet erst François Valentijn (1666 – 1727).178 Der aus Dordrecht stammende calvinistische Predikant hielt sich zwei mal über einen längeren Zeitraum in Asien auf.179 Vor diesem Hintergrund entstand das monumentale Werk ‚Oud en Nieuw Oost-Indiën’, das zwischen 1724 und 1726 erschien. Trotz der eigenen Erfahrungen in Asien ist dieses Werk, das die europäischen Kenntnisse über Asien seiner Zeit entscheidend prägte, eine Kompilation. Es verarbeitet Eindrücke Valentijns, der auch persönlich Makassar besuchte, gleichermaßen wie die zu seiner Zeit verfügbaren Quellen zum Herrschaftsbereich der VOC. Das vorrangige Ziel des Autors war die Darstellung der Vision, die er von der Stellung der VOC in Asien hatte.180 Trotz dieser Zielsetzung, trotz Valentijns unverkennbarer Eitelkeit und trotz seiner ambivalenten Einstellung den Asiaten 174 175 176 177 LACH/KLEY, Century of Advance, 1448. Insgesamt zu Gervais ebd., 1448-1455. BLOK, Beknopte geschiedenis. CENSE, Aantekeningen, 43. DAM, Beschryvinge 2.I, 222-251. Zu Pieter van Dams Beschreibung der VOC siehe u.a. MEILINKROELOFSZ, Dutch Colonial Development, 59/60. 178 VALENTIJN, Oost-Indiën III, 108-123 (Beschreibung), 123-220 (zur geschichtlichen Entwicklung). 179 Valentijn hielt sich 1686-1694 als Pfarrer auf den Molukken auf, 1705-1707, auf Java, 1707-1712 auf Ambon und 1712-1714 in Batavia. Zu Leben und Werk siehe FISCH, Hollands Ruhm, 13-26. 180 Ebd., 135. Quellen und Quellenkritik 103 gegenüber handelt es sich bei seinem Werk nicht nur um eine Quelle zur Fremdwahrnehmung in kulturhistorischer Sicht.181 Gerade die aus eigener Anschauung schöpfenden Beschreibungen stellen eine wertvolle Informationsquelle dar, sind sie doch den meisten zeitgleichen Beschreibungen überlegen. Dies gilt auch für Makassar. Valentijn bietet eine wertvolle Beschreibung der Kolonialstadt unter der Herrschaft der Kompanie, die im 18. Jahrhundert kaum einmal das Interesse zeitgenössischer Berichterstattung erlangte. Allerdings läßt sich auch hier die Prägung durch die spezifische Sichtweise des Werkes beobachten. Mit dem beginnenden 19. Jahrhundert setzten sich mehr und mehr die auf kaufmännische oder kolonialadministrative Praktikabilität ausgerichteten Handbücher durch, die in ihrer Informationsbeschaffung durchaus noch als Kompilationen bezeichnet werden können, jedoch auf Grund der eigenen, strengen Maßstäbe einen gänzlich anderen Grad an Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit aufweisen. Herausragend in diesem Zusammenhang ist William Milburns Handbuch zum Asienhandel.182 Erschienen 1813 in London, handelt es sich um eines der frühesten Werke dieser Art. Der Charakter der Darstellung, vor allem der ständige Verweis auf die VOC, ihre Institutionen und ihre Verhalten, zeigt, daß die Darstellung auf Informationen zur Spätphase der VOC beruht und wahrscheinlich die Verhältnisse der 1780er und 1790er Jahre wiedergibt. Ebenfalls einen hohen Informationsgehalt bietet das Werk ‚Notices of the Indian Archipelago’ von J. H. Moor.183 Einige Jahrzehnte später erschienen, enthält es zusätzliche Informationen aus der frühen Kolonialzeit, ist jedoch weniger wirtschaftlich ausgerichtet als Milburns ‚Oriental Commerce’. Die Notices sind bewußt als Sammlung bereits bestehender Berichte angelegt. Moor war Herausgeber mehrerer englischer Zeitschriften, die in Britisch-Malaysia erschienen, und stellte für das Buch dort erschienene Artikel aus eigener Feder wie auch von einigen anderen englischen Autoren, die in Asien lebten, zusammen.184 Wenn sie von ihren Autoren auch als „histories“ bezeichnet wurden, haben Marsden Geschichte Sumatras, Raffles’ Geschichte Javas oder Crawfurds umfassende Beschreibung des Malaiischen Archipels sicherlich Handbuchcharakter.185 Sie benutzten „the title ‚History’ in something like the original Greek sense of inquiry; 181 182 183 184 185 Zur Quellenkritik in dieser Hinsicht siehe neben ebd., 27-134, auch FISCH, Beobachter, passim MILBURN, Oriental Commerce. MOOR, Notices. HARRISON, English Historians, 245, Anm. 1. MARSDEN, History of Sumatra; RAFFLES, History of Java; CRAWFURD, History. Siehe zu diesen Werken BASTIN, English Sources, 256-267. 104 Quellen, Methoden, Forschung it meant to them ‚a comprehensive view’ [...] or a general descriptive account of a country or region.“186 Ähnliches gilt für das als Reisejournal publizierte, jedoch mit landeskundlichen Beschreibungen gespickte Werk von Alfred R. Wallace.187 All diese Autoren verfügten über umfassende Asienkenntnisse, die sie als Reisende oder Kolonialbeamte vor Ort gesammelt hatten. Neben der Historie und der Beschreibung der aktuellen Zustände lagen ihnen auch die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten der beschriebenen Regionen im kolonialen Sinne am Herzen.188 Landeskundliche Beschreibungen aus der Kolonialzeit In der Kolonialzeit zwischen Wiener Kongreß und indonesischer Unabhängigkeit nahm das wissenschaftliche Interesse der Niederländer an der Landeskunde ihrer Kolonie deutlich zu. An die Stelle des vorrangig kommerziell ausgerichteten Leitungsgremiums der Kompanie war eine staatliche Administration mit einem umfassenden Verwaltungsverständnis getreten, das zu neuen wertvollen Quellentypen führte. Batavia erlebte die Gründung der Gesellschaft für Sprach-, Landes- und Völkerkunde, die eine eigene wissenschaftliche Zeitschrift herausgab (TBG), sowie mehrerer wissenschaftlicher Institutionen wie das Nautische Institut, der Botanische Garten und das Archiv der Kolonialverwaltung. Während des 19. Jahrhunderts wurden erste Unternehmungen ethnographischer Natur durchgeführt. Neben den daraus entstandenen Publikationen wurden auch weiterhin Reiseberichte aus Indonesien veröffentlicht, die inzwischen zunehmend wissenschaftlicher Natur waren.189 Vor allem interessierte und engagierte Beamte in den untergeordneten Verwaltungssitzen vor Ort verdankt die Wissenschaft wesentliche Beiträge zu einzelnen Regionen des Archipels.190 Einzelnen Landschaften Süd-Sulawesis und den größeren der vorgelagerten Inseln wurden erstmals umfassende Beschreibungen hinsichtlich ihrer Geographie, Bevölkerung, Geschichte, Wirtschaft und auch ihres Rechtes gewidmet.191 Die Südosthalbinsel Sulawesis trat überhaupt zum ersten Mal näher in das Interesse der auf der Insel aktiven Niederländer.192 Und die einzige zuverlässige Quelle zur Insel Bonerate stammt aus der Feder des Kolonialbeamten J. A. Bak186 187 188 189 190 191 192 HARRISON, English Historians, 246. WALLACE, Malay Archipelago. HARRISON, English Historians, 248. Beispielsweise, auf Sulawesi bezogen, BLEEKER, Reis door Minahasa. Für eine kritische Würdigung siehe auch WESSELING, Knowledge. EERDMANS, Landschap Gowa; DONSELAAR, Saleijer; LIGTVOET, Boeton. VOSMAER, Schiereiland. Quellen und Quellenkritik 105 kers.193 Sehr spät in der Kolonialzeit kam es auch zu den ersten intensiveren Kontakte von Europäern zu den nomadisierenden Bajau.194 Einerseits stellen solche Darstellungen den Quellen des 18. Jahrhunderts gegenüber eine Kenntnisverdichtung dar. Andererseits wirft die Nachzeitigkeit ihrer Entstehung ein nicht unbeträchtliches Problem für die Erforschung der VOC-Epoche auf. Es ist im Einzelfall zu klären, inwieweit eine Rückschreibung möglich ist und ob sich unter Zuhilfenahme der bestehenden Kenntnis des 18. Jahrhunderts die Informationen, die zunächst für das 19. Jahrhundert Geltung haben, zurückschreiben lassen oder sogar unverändert übertragen werden können. Die Beschreibungen der Bajau von Thomas Forrest nehmen in vielen Details die Beschreibungen dieses Volkes aus dem 19. Jahrhundert vorweg, so daß man davon ausgehen kann, daß auch umgekehrt Rückschlüsse auf die Zeit der VOC möglich sind.195 Dies gilt auch, vergleicht man die späteren Beschreibungen der Verkehrsverhältnisse im sulawesischen Binnenland mit den spärlichen Informationen hierzu aus den Akten der VOC. Und die wenigen überlieferten Beschreibungen einheimischer Schiffstypen machen deutlich, daß vor der Durchsetzung von Motoren und Metall im 20. Jahrhundert der Bootsbau relativ konstant blieb. Solche Parallelitäten zeigen, daß in vielen Bereichen von einer nur langsamen Entwicklung in Indonesien ausgegangen werden kann. Beschreibungen aus dem 19. Jahrhundert können also zumindest für das 18. Jahrhundert durchaus Quellenwert haben. Dies spricht weder dagegen, daß in anderen Bereichen Gesellschaft und Wirtschaft Indonesiens dynamisch waren, noch setzt dies die Notwendigkeit der Einzelfallprüfung außer Kraft. Quasi am Endpunkt der bei Milburn einsetzenden und von britischen wie niederländischen Kolonialbeamten fortgeführten Entwicklung steht die ‚Encyclopaedie van Nederlandsch Indië’ (ENI). Die Enzyklopädie stellt das erste reine Nachschlagewerk für den Malaiischen Archipel dar. Inhaltlich repräsentiert sie das Wissen der niederländischen Verwaltung und Wissenschaft über die indonesische Kolonie zu Beginn des 20. Jahrhundert. Geographische Länderkunde und Völkerkunde kommen in dem durch Supplementbände mehrfach aktualisierten Werk ebenso zu ihrem Recht wie Flora und Fauna. Ihr hohes wissenschaftliches Niveau macht die ENI auch hundert Jahre nach ihrem Entstehen zu einem unentbehrlichen Nachschlagewerk für alle, die sich mit der Geschichte des Malaiischen Archipels befassen. 193 BAKKERS, Bonerate. 194 VERSCHUER, Badjo’s; TAYLOR, Sea Gypsis. 195 SOPHER, Sea Nomads, 296. 106 Quellen, Methoden, Forschung 3. Indonesische Schriftquellen Formen indonesischer Überlieferung Anders als in Amerika oder Afrika, deren indigene Geschichtsüberlieferung lange nur einen minimalen Schriftlichkeitsgrad aufwies, sieht sich der Historiker in Südostasien einem reichen Bestand an schriftlichen Zeugnissen gegenüber, die weit in das europäische Mittelalter zurückreichen. Die überwältigende Mehrheit der indonesischen schriftlichen Überlieferung widmet sich jedoch der politisch-dynastischen Chronistik, wobei die Grenzen zwischen Tatsachen und reiner Mythologie nicht selten verwischen und die Darstellung formal der Epik mindestens so sehr verpflichtet ist wie der historischen Chronistik. Dennoch ist eine solche Überlieferung nicht wertlos. Das Verständnis der Interaktion zwischen europäischen und asiatischen Akteuren, das einen wesentlichen Teil der Expansionsgeschichte ausmacht, setzt auch ein Verständnis der Kultur und des Selbstverständnisses des Gegenübers der europäischen Seite voraus. Darüber hinaus ergeben sich dank neuer Fragestellungen immer wieder zusätzliche Erkenntnismöglichkeiten, die bei der Verfassung eines epischen Textes nicht intendiert waren. Das Nationalepos von Majapahit aus dem Jahre 1365, das Nagarakrtagama,196 erlaubt aus seinen geographischen Beschreibungen Rückschlüsse auf die Tributverhältnisse des javanischen Reiches und auf die Seewege seiner Zeit. Ein anderes berühmtes Beispiel der malaiischen Geschichtsschreibung, das Tuhfat al-Nafis,197 stammt aus dem 19. Jahrhundert und bezieht auch die Ereignisse des 18. Jahrhunderts mit ein und stellt eine wesentliche Quelle zur Bugis-Diaspora vor den Küsten der Malaiischen Halbinsel dar. Am wenigsten in der indonesichen Überlierung fündig wird der Wirtschaftshistoriker, der sich bis auf wenige Ausnahmen auf das europäische Quellenmaterial zurückverwiesen sieht. Das Wirtschaftsleben im Malaiischen Archipel beruhte im wesentlichen auf mündlichen Vereinbarungen. Zeugnisse aus dem unmittelbaren Geschäftsleben sind nicht überliefert und haben wahrscheinlich auch nie existiert. In einigen wenigen Fällen sind normative Texte erhalten geblieben, die tiefergehende Einblicke versprechen. Für den Malaiischen Archipel haben zwei bedeutende Quellen dieser Art ihren Weg bis in die europäischsprachigen Publikationen gefunden. Zum einen handelt es sich um die maritime Gesetzgebung Malakkas, die vom 196 KROM, Nagarakrtagama. 197 MATHESON, Tuhfat al-Nafis. Quellen und Quellenkritik 107 Sultan des Stadtstaates auf Veranlassung der Handelstreibenden selbst zwischen den 1640er und 1670er Jahren erlassen wurde. Zum anderen existiert eine entsprechende Kodifizierung der Seefahrts- und Handelsregeln Text aus Makassar selbst.198 Die Genauigkeit der Regelungen erlaubt Einblicke in die Organisationsformen indonesischen Privathandels. Auf Grund der Datierung auf die 1680er Jahre darf sogar mit einigem Recht angenommen werden, daß sie gleichermaßen für den Warenaustausch vor wie unter der Vorherrschaft der VOC gültig waren. Darüber hinaus bieten malaiische Quellen nur wenig Einblick in das konkrete Wirtschaftsleben. Ein Selbstzeugnis, wie es von einem Minangkabau-Pfefferhändler aus dem 19. Jahrhundert überliefert ist,199 bleibt eine rare Ausnahme und erweist sich letztendlich mehr als biographische Skizze denn als Informationsquelle zum Pfefferhandel. Chroniken aus Sulawesi und Kalimantan Unter der Bezeichnung lontara ist ein umfangreiches Schrifttum aus dem buginesisch-makassarischen Kulturkreis überliefert. Der Begriff wird unterschiedlos auf alle schriftlichen Dokumente angewendet; er basiert auf dem Schreibmaterial, den Blättern der lontara-Palme, und stellt somit keine inhaltliche oder formale Kategorie dar. Der Korpus der lontara-Schriften besteht aus Tagebüchern, Vertragstexten, Anmerkungen zum adat-Recht und Korrespondenzen.200 Während ihre Sprachen zwar eng verwandt, aber in Semantik und Grammatik sehr unterschiedlich ausgeprägt sind, erweist sich die Historiographie der Makassaren und Bugis als außerordentlich ähnlich. Die Mehrzahl der Schriften ist buginesischen Ursprungs, doch weisen sie zumeist deutliche makassarische und gelegentlich auch auswärtige Einflüße auf.201 Dennoch ist eine sehr eigenständige Entwicklung der sulawesischen Historiographie festzustellen. Insgesamt blieb der Einfluß fremder Kulturen gering, so daß ein simpler Import von Schrifttraditionen als Ursprung der regionalen Aufzeichnungen ausgeschlossen werden kann.202 Eine für Süd-Sulawesi typische Gattung stellen Tagebücher dar, die als Quellen für Einzelereignisse und für eine datenbezogene Überlieferung wertvoll sind. Eine bessere Bezeichnung für diesen Quellentyp als das gängige ‚Tagebuch’ (‚diary’) dürf198 Text der Quelle siehe Vertaling. Zur Quellenkritik siehe MATTHES, Wadjorezen; CARON, Handels- en zeerechten; TOBING, Amanna Gappa. 199 DREWES, Peperhandelaar. 200 CENSE, Aantekeningen, 42/43, 45; NOORDUYN, Aspects, 31/32. 201 NOORDUYN, Aspects, 30. 202 DERS., Origins, 144. 108 Quellen, Methoden, Forschung te auf Grund des Quellencharakters ‚Tagesregister’ (‚daily register’) sein. Die Texte entsprechen in der Regel nicht einem individuellen Tagebuch und enthalten keine persönlichen Sichtweisen oder gar emotionale Schilderungen, sondern sind tagtägliche Aufzählungen gesellschaftlicher Ereignisse unterschiedlichster Wichtigkeit.203 Auch Tagebücher, die nicht unmittelbar dem höfischen Kontext entsprungen sind, folgen dieser Tradition – so die Tagebücher der malaiischen Gemeindevorsteher in Makassar für den Zeitraum 1781 bis 1818.204 Auch persönliche Tagebücher sind zumindest gelegentlich bekannt. Arung Palakka selbst führte eines während eines Feldzuges gegen die Toraja und während seines Java-Aufenthaltes.205 Auch diese Schriften folgen dem nüchternen Stil der Ereignisaufzählung und ähneln kaum der europäischen Vorstellung eines persönlichen Tagebuchs. Solche Tagesregister wurden in der Regel für mehrere Jahre vorgearbeitet. Nur die für die einzelnen Tage gelassenen Lücken wurden aktuell aufgefüllt und die Texte um nachträglich verfaßte Notizen ergänzt oder gar – vor allem bei mehrere Jahrhunderte umfassenden Werken – umfassend bearbeitet.206. Die höfischen Tagebücher „were used to record public events and engagements, rather than personal reflections and feelings.“207 Vor allem deshalb gelten diese Texte in der Forschung als in ihrer Zuverlässigkeit einmalige indonesische Quellen.208 In Süd-Sulawesi läßt sich ein ichnung von Faktensammlungen aller Art feststellen, wie die makassarische und buginesische Historiographie überhaupt trotz der regelmäßigen Einbeziehung von Ursprungslegenden als faktennäher denn die vergleichbaren Quellen des Malaiischen Archipels gilt.209 Dieses Urteil wird auch auf die zweite große Gruppe historiographischer Schriften aus Sulawesi angewandt, auf die Chroniken. Diese stellen die eigentliche Form sulawesischer Geschichtsschreibung dar, die teilweise sehr lange Zeiträume abdeckt. Sie ist die Weiterverarbeitung des Stoffes aus den Tagebüchern und auch anderen lontara-Quellen.210 Ihre Zielset203 204 205 206 207 208 209 210 TOL, Separate Empire, 226; CENSE, Diaries, 420. CEPERKOVIC, Diary, 57 und passim. CENSE, Diaries, 425/426. NOORDUYN, Origins, 142; CENSE, Aantekeningen, 47. Als einziges Werk dieser Kategorie wurde bislang das Tagebuch der Fürsten von Goa und Tallo (17. und frühes 18. Jahrhundert), das für die Beziehungen zwischen Makassar und der VOC von großer politikgeschichtlicher Bedeutung ist, in einer europäischen Sprache publiziert (Transcriptie). GALLOP/ARP, Golden Letters, 108. REID, Pluralism, 60/61. NOORDUYN, Origins, 140 und 143, betont dies besonders; MACKNIGHT, Notes, 47/48, bestätigt diese Einschätzung letztendlich mit leichten Einschränkungen. Eine zweite Wurzel bildeten kurze historische Übersichten, die einfachen Notizensammlungen gleichen und im frühen 17. Jahrhundert vorkamen (CENSE, Aantekeningen, 50; NOORDUYN, Aspects, 32). Quellen und Quellenkritik 109 zung besteht darin, einer Nation, einem Staat oder auch nur einer untergeordneten Herrschaftseinheit eine eigene Geschichte zu geben. So brachte auch das unter der Herrschaft Goa-Tallos stehende kleine Maros eine Chronik hervor, die vom 16. bis zum 19. Jahrhundert reicht.211 Aus dieser Zielsetzung heraus behandeln die Chroniken häufig die Geschichte durchgehend von den mythologischen „Gründerzeiten“ bis zum 19. Jahrhundert. Allerdings gelangt man erst bei den Berichten aus dem 16. Jahrhundert langsam auf historisch einigermaßen sicheren Boden.212 Eines der herausragenden Werke dieser Art ist die Chronik des Bugis-Staates Wajo aus dem 18. Jahrhundert, die auch für sprachlich nicht-spezialisierte Wissenschaftler inzwischen zugänglich ist.213 Dies gilt leider nicht für die Chronik von Boné, die als Geschichte des größten einheimischen Rivalen Makassars von besonderer Bedeutung wäre. Aus Goa und Tallo selbst sind mehrere Chroniken aus der Mitte des 17. Jahrhunderts bekannt. Diese bieten ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür, daß solche Chroniken ihrer gepriesenen Faktizität zum Trotz in ihrer Darstellung auch eindeutig politischen Zielsetzungen folgen.214 Sie betonen die Gemeinsamkeit der ursprünglich wenig befreundeten Goa- und Tallo-Makassaren, während sie alles Trennende und sämtliche Konflikte mit Stillschweigen bedenken. Solche Sinngebungen können durchaus nachträglichen Bearbeitungen entstammen. Lediglich die kleineren Werke sind konstant in einer Version überliefert, während die großen Chroniken aus Wajo oder Boné in unterschiedlichen Varianten aus verschiedenen Zeiten bekannt sind, die eine stete Überarbeitung belegen.215 Aus den Chroniken entwickelten sich historische Dichtwerke, deren bekannteste Vertreter in den buginesische Heldenepen zu sehen sind.216 Diese Schriften enthalten zwar nach wie vor historisch zuverlässige Details, da ihre Autoren aus der einheimischen Chronistik ebenso schöpften wie aus anderen lontara-Quellen, doch ist ihre Darstellung so weit an die dichterische Zielsetzung angepaßt, daß nicht mehr von einer Primärquelle die Rede sein kann.217 Lohnender sind andere lontara-Überlieferungen,218 die häufig in größere Sammlungen von niederländischen Kolonialbeamten oder Missionaren nach Europa ge- 211 212 213 214 215 216 217 218 CUMMINGS, Reading, 1/2 und 18-28 (zur Quelle), 2-18 (zweisprachige Edition des Textes). CENSE, Aantekeningen, 52; NOORDUYN, Aspects, 32-34. NOORDUYN, Kroniek van Wadjo’. CUMMINGS, One People, 98/99 und passim. NOORDUYN, Aspects, 33; MACKNIGHT, Notes, 44/45. CENSE, Aantekeningen, 57-59. Siehe z.B. das gereimte Epors über den Makassarischen Krieg: ENTJI’ AMIN, Sja’ir Perang Mengkasar. Siehe hierzu ZAINAL ABIDIN, Notes, passim. 110 Quellen, Methoden, Forschung bracht worden sind.219 Auch für die Geschichtswissenschaft, selbst für die Wirtschaftsgeschichte, sind manche dieser Quellen inzwischen aufbereitet worden. So findet sich in der Manuskriptsammlung der Reichsuniversität Leiden ein von Benjamin F. Matthes zusammengestellter lontara-Bestand, der sich auf die matoas der Wajo-Gemeinde in Makassar bezieht und jüngst von Jacobus Noorduyn ausgewertet sowie zusammenfassend publiziert wurde.220 Doch es muß nicht nur auf solche Bearbeitungen gewartet werden. Viele niederländische Autoren, deren Schriften inzwischen selbst zu Quellen geworden sind, nutzten makassarischbuginesische Handschriften als Quellen – darunter VOC-Beamte wie Roelof Blok, Kolonialbeamte wie Ligtvoet oder Bakkers, oder Missionare wie Matthes.221 Eine vergleichbare indigene Historiographie ist aus Banjarmasin bislang nicht bekannt. Lediglich das Hikayat Banjar ist inzwischen von der europäischen Wissenschaft bearbeitet worden.222 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde diese Chronik mehrfach von älteren Handschriften in Kalimantan kopiert und ist seither in zwei Versionen überliefert. Auf diesen Abschriften beruht die gegenwärtige Kenntnis der Chronik, die den Zeitraum von der mythischen Gründung der banjaresischen Dynastie im 14. Jahrhundert bis zur Islamisierung in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts reicht. Für die Zeit der niederländischen Vorherrschaft im Malaiischen Archipel ist diese Quelle nicht relevant. Zudem ist sie in hohem Maße der malaiischen Historiographie verpflichtet und stellt den Historiker bei der Trennung historische Fakten von mythologischen Geschichten vor große Herausforderungen. 4. „Imperial Eyes“ Formen des Eurozentrismus I: die Welt der Handelskompanien Weder der „Wilde“ noch der „edle Wilde“ spielte in der Fremdwahrnehmung der VOC-Bediensteten eine Rolle. Der Eurozentrismus der Kompanie äußerste sich in anderen Formen als bei den frühen Reisenden nach Übersee, die erstmals unbekannten Ethnien gegenüber standen. Es darf nicht vergessen werden, daß die VOC ein gutes Jahrhundert nach der „Entdeckung“ des Seeweges nach Indien ins Leben 219 220 221 222 Siehe v.a. MATTHES, Kort verslag, und KERN, Catalogus. NOORDUYN, Merchants‘ Community, 96 und passim. CENSE, Aantekeningen, 42-45. DERS., Kroniek; RAS, Hikayat Bandjar. Quellen und Quellenkritik 111 gerufen wurde. In Europa verfügten Spezialisten und Interessierte inzwischen über ein relativ breites Asienwissen. Zu diesen Spezialisten gehörten natürlich die „men on the spot“ der niederländischen Ostindien-Kompanie. Dennoch war die VOC keineswegs vor jeglichem Eurozentrismus gefeit, der allerdings weniger auf Fremdwahrnehmung beruhte als auf ihrem Selbstverständnis. Für die VOC war ihr gesamter Operationsbereich gleichbedeutend mit dem Gültigkeitsbereich ihrer Monopolansprüche und ihrer Rechtsvorstellungen von Handel und Diplomatie. Alle indigenen Phänomene wurden letztendlich aus dem Blickwinkel eines Rechtskonstruktes betrachtet, das dem eigenen Selbstverständnis entsprungen war, jedoch für alle Beteiligten außerhalb der VOC eine Anmaßung darstellte. Hierin bestand der spezifische Eurozentrismus der VOC. Unmittelbar auf die Quellen schlägt dieser Eurozentrismus vor allem bei Verträgen durch. Vielfach war die Regelung für die regionale Handelswelt in Kontrakten zwischen der Kompanie und dem lokalen Souverän niedergelegt. Die VOC konnte sich darauf zurückziehen, daß es sich nicht um Machtanmassung oder die Überstülpung des eigenen Rechtskonstruktes, sondern um völkerrechtlich bindende Abkommen handelte. Das Konstrukt und damit die spezifische eurozentrische Sichtweise der Kompanie kommt in der Auslegung der Verträge zum Tragen. Bei den Vertragspartnern konnte ein durchaus unterschiedliches Verständnis der einzelnen Paragraphen vorliegen. Regelungen wurden nicht nur auf Grund von Sprach- und Verständigungsproblemen unterschiedlich verstanden, sondern auch auf Grund unterschiedlicher Auffassungen von Grundrechten. Manche Restriktion des maritimen Handels zum Beispiel konnte für viele indonesische Herrscher allenfalls eine rhetorische, Loyalität bekundende Formulierung oder einer Regelung nur für Euopäer sein, da in ihren naturrechtlichen Vorstellungen ein Handel auf hoher See niemals einer menschlichen Souveränität unterlag und damit keinerlei Reglementierung möglich war. Schmuggel und Handel – Sichtweisen der Legalität Die Niederländer in der VOC-Führung waren Pragmatiker und Usurpatoren zugleich. Dieser Dualismus findet seinen Ausdruck im Umgang der Kompanie mit den einheimischen Fürsten – in den absoluten Ansprüchen, die sie an diese herantrugen, und in den Verträgen, die sie schließlich oft mit ihnen abschlossen, als die Möglichkeiten, ihre Forderungen ungeteilt durchzusetzen, entweder nicht gegeben 112 Quellen, Methoden, Forschung waren oder zumindest unzureichend lukrativ erschienen. Er findet seinen Ausdruck auch im Umgang mit dem ureigensten Gebiet der VOC, dem Handel. Die Basis hierfür bildet der Monopolanspruch der Kompanie. Das tatsächlich von den Generalstaaten verliehene Monopol, welches die VOC vor niederländischer Konkurrenz in Asien schützte, wurde von der Kompanie auf ihren Operationsraum übertragen. Sie bezog es nicht nur auf die wichtigsten Handelsgüter, für die sie mit besonderer Intensität eine Marktbeherrschung anstrebte, sondern stets auf alle Bereiche einschließlich der Möglichkeit, ihm durch entsprechende militärische Einsätze Nachdruck zu verleihen. Die VOC maßte sich im Bereich des Handels für ihren gesamten Operationsbereich die Zuständigkeit für die Rechtssetzung an; damit bestimmte sie, was legal und was illegal war. Die Verhandlungen mit den einheimischen Machthabern und die daraus resultierenden Verträge dienten dazu, Statthalter dieser Rechtssetzung zu gewinnen. Stets wurde auf der Grundlage eines solchen Vertrages vom indigenen Vertragspartner die Durchsetzung der VOCeigenen Interpretation von legalem und illegalen Handel verlangt. Hier kam der usurpatorische Zug zum Tragen. Die Tatsache, daß viele Verträge in der Realität gar keine so weitreichende Vereinbarungen enthielten, war dem pragmatischen Zug der Kompanie geschuldet. Aus dieser grundlegenden Sichtweise sind die Quellen der VOC entstanden. In ihnen werden die Begriffe sluijkerhandel und morshandel unterschiedslos auf alle Formen des Warenaustausches angewandt, die nicht der Kompaniesicht von legalem Handel entsprachen. Neben einigen räumlich eng begrenzten Formen des Warenaustausches mühte sich die Kompanie überall um eine umfassende Kontrolle des Handels. Die Erlaubnis, Warenaustausch kommerziell zu betreiben, wurde in der Regel über die Ausstellung eines Passes erteilt. Dies gilt nicht nur für die Orte, an denen die VOC tatsächlich, also in der Regel mit einer Faktorei, vertreten war; vielmehr war im Zweifelsfalle immer irgendeine Niederlassung auch für den von den Niederländern noch so unberührten Ort zuständig. Der so definierte illegale Bereich des Handels wurde von der VOC in ihren Papieren konsequent als Schmuggel bezeichnet. Es wäre also nicht nur Eurozentrismus, sondern sogar VOC-Zentrismus, wenn dieser Begriff aus den Quellen übernommen und zugleich mit seinem heute geläufigen Bedeutungsinhalt verstanden würde. Näher läge es, den Quellenbegriff in seiner Umkehrung als Bezeichnung für allen Handel außerhalb der Kontrolle der VOC zu begreifen. Allerdings blickt auch dieses Verständnis durch die europäische Brille, läßt sie doch entsprechende Rechtssetzungen indigener Machthaber außer acht. Quellen und Quellenkritik 113 Der von der Kompanie so verstandene Schmuggel wurde zur radikalen Bekämpfung freigegeben. Der Einsatz militärischer Mittel diente dem Ziel der völligen Ausrottung. Die Frage nach dem ausreichenden militärischen Potentials vor Ort steht auf einem anderen Blatt. Von ihrem Anspruch her zielte die Kompanie auf ein hartes Durchgreifen und maßte sich sogar im Bereich des Güterverkehrs die Entscheidung über Leben und Tod der Beteiligten an. Die Gegenpositionen zu dieser Sichtweise wurden vor allem von den einheimischen Fürsten vertreten. Hierbei sind zwei Versionen zu unterscheiden. Entweder wurde unter Berufung auf das Naturrecht die völlige Freiheit aller Individuen auf dem Meer und im Handel postuliert, oder es wurde die eigene Souveränität und die daraus abgeleitete alleinige Zuständigkeit für Legalität oder Illegalität betont. Meist waren es keine reinen Formen dieser Varianten, welche die Sultane vertraten, doch neigten sie zumeist einer der beiden Richtung zu. Solche Positionen wurden allerdings häufig aufgegeben, wenn entweder eine Zusammenarbeit in Form eines Vertragsabschlusses mit der VOC für das Herrscherhaus günstiger erschien – ein Verhalten, das dem zweiten Argumentationsstrang näher stand – oder die Bedrohung durch den militärischen Machtfaktor VOC zu groß wurde – ein Schicksal, das eher den asiatischen Verfechtern des ‚mare liberum’ drohte. Im kommerziellen Alltagsleben vertraten die vielen tausend nachodas und Kaufleute auf den Gewässern des maritimen Südostasiens die Gegenposition zur VOC. Sie taten dies teils aus Unkenntnis der niederländischen Ansprüche, die sich jedoch nach und nach herumsprachen, und teils aus völligem Unverständnis für eine solche Sichtweise. Die für einen speziellen Hafen geltenden Regeln wie Abgaben, aber auch die Ausstellung von Pässen, wurden allgemein akzeptiert und befolgt, schließlich bestanden auch unter einheimischen Herrschern Regeln. Die Vorstellung jedoch, auf hoher See für alle Winkel des Malaiischen Archipels zuständig zu sein, dürfte südostasiatischen Händlern kaum vermittelbar gewesen sein. Die wachsende Anpassung oder Umgehung des VOC-Systems durch einheimische Handelstreibende führte auch bei der VOC zu einem gestiegenen ‚laisser-faire’ im Alltag der Handelsverwaltung. Im Anspruch und in der Radikalität bei der Bekämpfung des „illegalen“ Handels, wenn er denn in gezielten Aktionen durchgeführt wurde, fand dies jedoch keinen Niederschlag. Zumindest lassen die untersuchten Materialien nichts dergleichen erkennen. Abermals zeigt sich hier der Dualismus aus pragmatischem und usurpatorischen Charaktermerkmalen der VOC. 114 Quellen, Methoden, Forschung Formen des Eurozentrismus II: die Welt der modernen Wissenschaft Letztendlichkann kann eine eurozentrische Perspektive nicht vollständig vermieden werden. Einerseits ist dies auf Grund der Herkunft, Prägung, Umwelt und Ausbildung des Autors oder Historikers kaum möglich, andererseits auf Grund des verfügbaren Quellenmaterials. Die sehr spezifische, insbesondere für wirtschaftshistorische Fragestellungen sehr schwierige Überlieferungslage einheimischer Quellen zwingt zum Rückgriff auf europäische Quellen. Diese sind reichhaltig vorhanden, wenn auch nicht ohne Probleme. Natürlich unterliegt dieses Material den Bedingungen des zeitgenössischen Eurozentrismus. Vom Historiker ist also eine doppelte Bewußtmachung gefordert. In seiner Quellenkritik muß er die eurozentrische Perspektive seiner Quellen deutlich machen. Gleichzeitig muß er sich stets seiner eigenen eurozentrischen Perspektive bewußt sein. Gelegentlich kann eine darauf basierende Sorgfalt – durch die Einbeziehung überdurchschnittlich vieler Parallelüberlieferungen oder die Eleminierung aller zweifelhaften Punkte – aus den verwandten Materialien eine neutrale Aussage herausfiltern. Häufiger trägt die doppelte Bewußtmachung dazu bei, die Allgemeingültigkeit einer Aussage beurteilen zu können und eine solche Aussage im Gesamtzusammenhang zu gewichten. Manchmal bleibt allerdings nichts anderes, als eine Aussage trotz aller Bemühungen als eine eurozentrische zu kennzeichnen. Diese verliert dadurch dennoch nicht ihren Wert für die Wissenschaft. Da sie offen als eurozentrisch bewertet wird, ist sie auch offen für jede Kritik, sogar für ihre Widerlegung, und entspricht somit den Kriterien kritischer Wissenschaft. Sie bleibt ein Diskussionsbeitrag, bis sie vielleicht selbst ihre nicht-eurozentrische Konterkarierung oder gar Entkräftung hervorgerufen hat. Neben der Quellenproblematik bereitet auch die Anwendung von Begriffen Schwierigkeiten. Zum einen sind Bezeichnungen in den Quellen wie Schmuggel oder Piraterie heute so vertraut, daß man geneigt ist, sie sofort mit ihrem aktuellen, gegenwärtigen Bedeutungsgehalt zu übernehmen. Dieser hat sich geistesgeschichtlich innerhalb Europas herausgebildet, steht also in einer Entwicklungslinie zu den Bedeutungsinhalten in den Quellen der Kompanien, ist vielleicht – oder gar wahrscheinlich – nicht weit von ihnen entfernt. Insofern besteht die Gefahr, den Bedeutungsinhalt, den sie bei der VOC hatten, zu schnell zu übernehmen. Die Kenntnis des Kompaniesystems und der Perspektiven ihrer Bediensteten kann jedoch ein recht gutes Sicherungssystem gegen solche Fehleinschätzungen abgeben. Zum anderen besteht die Neigung, gängige und wohldefinierte Begriffe der westlichen Wissenschaft auf asiatische Erscheinungsformen anzuwenden. Dies ist durch- Quellen und Quellenkritik 115 aus berechtigt, bedarf jedoch einer Tiefenprüfung des nicht-europäischen Phänomens. Diese kann zur Feststellung der uneingeschränkten Übertragbarkeit führen, wahrscheinlicher aber zu einer ausdrücklichen Neufassung oder Schärfung des Begriffs, vielleicht auch zur Bevorzugung eines Ersatzes. Ein Beispiel ist der Begriff Diaspora, den der europäische Historiker – in den meisten Fällen – zunächst spontan mit dem verstreut siedelnden Judentum zwischen der Zerstörung des Tempels und der Shoah in Verbindung bringt. In Asien und im Zusammenhang dieser Studie tritt er nun vorrangig bei Kaufleuten und ihren Gemeinden auf, die sich außerhalb ihrer Heimat dauerhaft niedergelassen haben – sei es aus wirtschaftlichen Erwägungen, sei es auf Grund restriktiver Maßnahmen in ihrer Heimat. Auffälligstes Beispiel sind bis heute die Chinesen. Eine genauere Betrachtung solcher Strukturen im Vergleich mit jüdischen Diasporagemeinden in Europa fördert Ähnlichkeiten wie Unterschiede zu Tage. Es bedarf einer Schärfung des Begriffs, in diesem Falle durch eine Verallgemeinerung. Versteht man unter Diaspora schlicht eine Niederlassung oder Gemeinde in der Fremde und unter Handelsdiaspora eine Handelsansiedlung an einem fremden Handelsplatz oder einer fremden Stadt,223 ist der Begriff durchaus übertragbar. Hierbei handelt es sich um ein Beispiel für die Schärfung oder Anpassung eines eurozentrisch eingeführten Begriffes. Ein Beispiel für die Bevorzugung eines Ersatzes bietet der Begriff Stadt. Die unterschiedliche Gestalt und Umwelteinbindung führt zu einem Verständnis als zentralem Ort mit Siedlungsverdichtung. Dies kommt einer Ersetzung zumindest des klassischen deutschen Stadtbegriffs gleich, der auf Stadtrechten, Stadtmauern und einem Stadt-Land-Gegensatz beruht. Schließlich besteht die Gefahr, daß der Umgang mit umfassenden Gedankengebäuden wie einer ‚World History’ oder Weltsystemen den asiatischen Verhältnissen weitere europäische Spezifika überstülpt. Insbesondere bei wirtschaftlichen Mechanismen mag hier Kritik aufkommen, wenn die Frage aufgeworfen wird, ob eine Übertragung von Marktmechanismen „eins zu eins“ von Europa auf Asien möglich ist. Es darf jedoch in Frage gestellt werden, ob eine Sichtweise, die aus den Regionen der Welt isolierte Einheiten formt, wissenschaftlich sinnvoll ist. Kritikfähigkeit und Bewußtmachung hinsichtlich des wissenschaftlichen Eurozentrismus darf nicht zur völligen Isolierung einzelner Phänomene und einzelner Regionen oder Kulturen führen. Zumindest diese Studie bekennt sich zu einer ‚Geschichte der einen Welt’. 223 So CURTIN, Cross Cultural Trade, 1. Drittes Kapitel Raum und Menschen „Das Werden Südostasiens [...] ist nämlich vornehmlich von zwei Grundzügen geprägt. Dies ist einerseits die Lage zwischen den beiden großen alten Kulturräumen China im Norden und Indien im Westen [...]. Und dies ist andererseits eine gewisse geographie Offenheit des Raumes nach allen Seiten, manifestiert durch die Wasser zweier Weltmeere [...] Besonders der zweite Aspektder geographischen Offenheit nach allen Seiten hatte auch in anderer Hinsicht Offenheit zur Folge: für fremde Kultur- und Denkeinflüsse sowie für fremde Zivilisationen und Menschen.“ (Volker S. STAHR, 1997) I. Der Malaiische Archipel224 1. Der Raum Zu Wasser Den wohl einflußreichste naturgegebene Faktor im maritimen Südostasien stellt der Wind dar. Es ist der Monsun, der den Jahresrhythmus des Malaiischen Archipels über alle kulturellen Grenzen hinweg bestimmt. Insbesondere für die Seefahrt und damit für den maritimen Handel ist er von entscheidender Bedeutung: „The east and west monsoon have always dictated the prahu trading patterns. During the west monsoon or rainy saison, the winds blow from the northwest through the Malacca Straits and the Makassar Straits and from almost due west across the Java Sea, sometimes almost at gale force, whipping up fierce choppy seas. Towards the end of March they slacken, become unpredictably variable and about the end of April steady from the southeast, blowing almost from due east across the Java Sea. The east monsoon or dry season brings light winds at first, which strengthen during August and September, die out by November, are variable for a while and then, about the end of the month, set in again from the west. By the end of December most prahus, except for some large pinisi, have returned to their kampong where they shelter and are refitted before setting out again at the end of the west monsoon; some prahus spend almost six months on the kampong, from November to April.“225 Große Häfen im Westen des Malaiischen Archipels wie Aceh oder Malakka dienten ganzen Flotten über Monate als Ankerplatz, wenn ihre Kapitäne auf den für sie günstigen Monsun warteten. Im Winter hatten Schiffe, die den Archipel von West nach Ost durchquerten, den West-Monsun im Rücken. Im Sommer hingegen hätte ihnen der Ost-Monsun entgegengeblasen, so daß viele Seefahrer eine Wartezeit dem mühseligen Kreuzen gegen den Wind vorzogen. Reisen, die Indien mit China verbanden, konnten nicht in einer Saison zurückgelegt werden; am Südende der Chi- 224 Für eine umfassende Darstellung der facettenreichen Geschichte des Malaiischen Archipels ist an dieser Stelle kein Raum. Die folgenden Seiten dienen lediglich der Schaffung eines historischen Rahmens für die eingehende Untersuchung Makassars im 17. und 18. Jahrhundert, die entsprechende Schwerpunkte erfordert. Verwiesen sei an dieser Stelle nur auf die wichtigsten Handbücher und Überblicksdarstellungen: VLEKKE, Nusantara; MEILINK-ROELOFSZ, Asian Trade; VILLIERS, Südostasien; ROTHERMUND, Europa und Asien; GRAAF, Geschiedenis; HALL, History; ANDAYA/WATSON ANDAYA, History; RICKLEFS, History; HALL, Maritime Trade; REID, Land below the Winds; DERS., Expansion and Crisis; SHAFFER, Maritime Southeast Asia; TARLING, History; CRIBB, Historical Atlas. 225 DICK, Prahu Shipping I, 84. 120 Raum und Menschen nesischen See mußte zunächst der Wechsel der Windrichtung abgewartet werden.226 Wie weit der küstennahe Verkehr über kurze Strecken in gleicher Abhängigkeit stand, bleibt mangels fundierter Forschungsergebnisse für den Augenblick dahingestellt. Allerdings betont Cornelis Sinkelaar, daß es in Zeiten des West-Monsuns unmöglich war, von Sumbawa aus über Flores und die Insel Bonerate nach Sulawesi zu segeln.227 Neben der West-Ost-Richtung zwang der Monsun im Falle Sulawesis auch die Nord-Süd-Verbindungen unter sein Diktat. West-Monsun bedeutete in der Straße von Makassar und in den Gewässern zwischen Sulawesi und den Molukken eine Windrichtung aus Norden, Ost-Monsun hingegen aus Süden. Neben der prägenden Kraft der Winde bestimmte die zerrissene Inselstruktur das maritime Leben der Region. Sie war zugleich Schutz und Herausforderung für die einheimischen Seefahrer. Innerhalb der großen Inselketten, an denen die Sturmwogen des Indik und der Chinesischen See abprallten, herrschten weitgehend ruhige Bedingungen auf See. Diese Ruhe wird allerdings durch die Bedingungen an den Küsten und den Gefahren, die selbst auf offener See in Gestalt von Sandbänken oder Korallenriffen lauern, konterkariert. Die meisten kleinen Archipele Indonesiens sind entweder vulkanischen Ursprungs, der zu schroffen Küsten mit Untiefen aus messerscharfen Graten führen kann, oder Korallenatolle, vor deren Küsten zahlreiche Riffe lauern. Größere Inseln sind hingegen häufig von Schwemmland mit Untiefen oder von Mangroven umgeben.Der seefahrerische Umgang mit solchen Verhältnissen erfordert Ortskenntnisse und die Beherrschung der Fahrzeuge. Auch der Küste von Süd-Sulawesi sind zahlreiche Korallenriffe vorgelagert, die allerdings kein die Zufahrt abschottendes Barriereriff bilden. Für die Schiffahrt sind genügend Durchfahrten vorhanden, darunter die zwei großen Zufahrten nach Makassar aus Nordwesten und Südwesten (hovenvaarwater, zuidervaarwater). Untiefen wie Sandbänken finden sich vor den Flußmündungen, die dennoch für die einheimische Schiffahrt teilweise nutzbar sind. Dort, wo im Umfeld von Flußmündungen Waldgebiete bis an die Küste heranreichen, erlauben ausgedehnte Mangrovensümpfe allenfalls noch kleinen Fischerboote eine sichere Fortbewegung. Auch unmittelbar vor Makassar befinden sich Untiefen, die nicht nur die Zufahrt zum Hafen erschwerten, sondern auch dessen Ausbau durch Pieranlagen erleichterten.228 Angesichts der erforderlichen nautischen Fähigkeiten dürfen manche europäischen Berichte nicht in die Irre führen. So verbreitet sich John Crawfurd ausgiebig 226 CRIBB, Historical Atlas, 20; grundlegend zu den Monsun-Zyklen CHANG, Circulation, passim. 227 ARA Den Haag, Memorie van overgave, Conelis Sinkelaar, 4.6.1767, VOC 11254, 35. 228 VUUREN, Celebes, 150-196; WHITTEN/MUSTAFA/HENDERSON, Ecology, 105-108, 116-132, 210-216. Der Malaiische Archipel 121 über die angebliche Ignoranz der Einheimischen gegenüber geographischem Wissen.229 Diese und ähnliche Beschreibungen schließen umstandslos aus der beobachteten Küstenschiffahrt einheimischer nachodas auf deren nautische Inkompetenz. Andererseits kann ein intensiver indigener Schiffsverkehr im Malaiischen Archipel nicht geleugnet werden. Die indonesischen nachodas und Steuerleute waren Erfahrungsseeleute. Landmarken waren selbstverständliche Orientierungspunkte, wie zur gleichen Zeit auch in Europa, und führten hier wie da zur weiten Verbreitung der Küstenschiffahrt. Die Heimtücken der Ufergebiete gehörten ebenfalls zu diesem Erfahrungsschatz wie genaue Kenntnisse von Riffen und Untiefen auf offener See.230 Die nautische Kompetenz in Indonesien geht auf eine lange Tradition zurück. Bereits die austronesische Zuwanderung der Urbevölkerung hatten maritimen Charakter. Hierbei kamen aller Wahrscheinlichkeit nach Auslegerboote aus Bambus zum Einsatz,231 die schon während der bronzezeitlichen Dong-Song-Kultur von Schiffen, die bereits Beplankung und Mastbäume aufwiesen, abgelöst wurden.232 Bereits in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten danach hatte sich eine Segelschiffahrt entwickelte, wie zahlreiche Höhlenmalereien aus dem östlichen Archipel belegen.233 Die Reliefs des Tempelkomplexes Borobudur aus dem frühen 9. Jahrhundert zeigen große Segelschiffe mit einem oder zwei Masten und quadratischen Segeln, die bereits aus Tuch statt aus Matten bestanden. Die dargestellten Schiffe verfügten über hüttenähnliche Aufbauten sowie über Heckruder. Die Reliefs zeigen die hochseegängigen Schiffe für Passagiere und Handel, die im Zeitraum 800 bis 1300 die malaiischen Gewässer beherrscht haben dürften.234 Sie sind Zeugen eines eigenständigen Schiffbaus, der nicht von indischen oder chinesischen Einflüssen geprägt wurde, sondern einen eigenen Beitrag zur Entstehung einer hybriden Schiffbautradition leistete, die Pierre-Yves Manguin ‚South China Sea Tradition’ nennt.235 Zu Lande Neben der Vielzahl der Inseln, dem Meer und den Gebirgen, die beispielsweise auf Sulaweis mit dem Gandadiwata (3.074 m) und dem Lompobattang (2.871) hochalpi229 CRAWFURD, History I, 307-326. 230 Basierend auf den Erfahrungen der Alltagsseefahrt kam es zur Herausbildung von zahlreichen indigenen Seerouten von langer Persistenz: DICK, Prahu Shipping I, 84/85. 231 VILLIERS, Südostasien, 27; HORRIDGE, Design of Planked Boats, 3/4. 232 Ebd., 4; DERS., Sailing Craft, 4/5; SOEJONO, Remarks, 146. 233 KOSASIH, Role of Ships, 149/150; SOEJONO, Remarks, 146/147. 234 HORRIDGE, Design of Planked Boats, 6/7; MANGUIN, Southeast Asian Ship, 273/274. 235 DERS., Relationship, insb. 197-199; DERS., Southeast Asian Ship, 268-273. 122 Raum und Menschen nen Charakter hatte, prägt ein drittes Element das Gesicht des Malaiischen Archipels: der Wald.236 Er bot zahlreiche Nutzungsformen, von denen nicht nur Jäger und Sammler, die in enger Symbiose mit dem Wald lebten, profitieren konnten. Die Wälder waren Heimat zahlreicher Nutzpflanzen von überregionaler Bedeutung. Rattan, Edel-, Farb- und Dufthölzer sowie Wachs waren verbreitete Handelsgüter. Der Anbau einheimischer Pflanzen zur Ernährung ging häufig mit der Verdrängung des Waldes einher. Kokosnüsse, Bananen, im Westen Reis und im Osten Sago sowie Yams gediehen in erster Linie dort, wo der Wald abgeholzt und in agrarisches Kulturland, teilweise mit umfangreichen Bewässerungssystemen, umgewandelt worden war. Hinzu kamen Gewürze wie Pfeffer, Muskat oder Nelken und Genußmittel wie Betelnuß oder Tee; Zuckerrohr und Indigo schließlich wurden zur Zeit der VOC und des Kolonialismus zu bedeutenden Nutzpflanzen.237 Andere wurden nach Indonesien importiert. Süßkartoffeln und Maniok wiesen weitaus höhere Flächenerträge als Reis oder gar Sago auf und konnten sich so schnell durchsetzen. Als Zweitbebauung für die Trockenzeiten fanden Mais, Soja und Erdnuß rasche Verbreitung. Alle diese Pflanzen, wie auch Tabak, Kakao, Vanille, Chinarinde und Kautschuk, stammten aus Amerika und fanden ihren Weg durch europäische Reisende nach Asien. Im 16. und 17. Jahrhundert stellte der Transfer solcher Pflanzen den weitaus tiefsten Einfluß der Europäischen Expansion auf den Malaiischen Archipel dar. Er verwandelte agrarische Anbaugebiete ebenso gründlich wie das Ernährungs- und Genußverhalten der Menschen. Die anfängliche Präsenz von Europäern bedingte bei weitem nicht zu so weitreichenden Veränderungen.238 2. Die Kulturen Indisierung Die geographischen Bedingungen des Malaiischen Archipels schufen Raum für das Nebeneinander drei grundverschiedener menschlicher Kulturformen: für maritime Kulturen, die von Fischfang, Schiffahrt und Handel lebten und sich bis hin zum 236 Noch 1990 waren 60% der Oberfläche Indonesiens mit Wald bedeckt: ZIMMERMANN, Potentiale, 1. 237 Ebd., 4-7. 238 Ebd., 9/10; RUSSELL-WOOD, Portuguese Empire, 168-175. Grundlegend für diesen Zusammenhang, den „kolumbianischen Austausch“ von Pflanzen, Krankheiten etc. im Zuge der Europäischen Expansion: CROSBY, Columbian Exchange, passim; DERS., Früchte, insb. 133-214. Der Malaiische Archipel 123 Seenomadismus entwickeln konnten, für seßhafte Ackerbauern und für halbnomadische Waldkulturen. Nur wenige kulturelle Gruppen lebten allerdings in völliger Isolation. Die Kulturgeschichte Indonesiens ist vielmehr die Geschichte einer fortschreitenden kulturellen Vermischung, teilweise bis zur Symbiose oder neuen Kulturbildung, die zusätzlich durch auswärtige Einflüße unterstützt wurde. Die erste kulturelle Expansion, unter deren Einfluß weite Teile des Malaiischen Archipels gerieten, nahm seinen Ausgang auf dem indischen Subkontinent. Getragen wurde diese ‚Indisierung’ durch die Einwanderung Einzelner oder Gruppen. Es handelte sich also um keine peuplierende Einwanderung wie die austronesische, die in zwei Wellen die ursprüngliche Bevölkerung in die indonesische Inselwelt geführt hatte.239 Gelegentlich wird noch der Bevölkerungsdruck auf dem Subkontinent als Auslöser der indischen Expansionbewegung angesehen. Dieser Interpretationsansatz wird heute jedoch mehrheitlich nicht mehr verfolgt, zumal bei weitem nicht genug Personen abwanderten, um eine Überbevölkerung abbauen zu können. Vielmehr wird inzwischen davon ausgegangen, daß die Indisierung Südostasiens vorrangig wirtschaftliche Gründe hatte.240 Ausgangspunkt war die Durchdringung der betroffenen Regionen von einem Handel auf der Grundlage sehr alter kommerzieller Beziehungen. Die entsprechenden Handelswege gaben die Migrationswege vor. Zudem wurde die Migration größerer Gruppen durch natürliche Barrieren wie die Monsungrenze an der Straße von Malakka erforderlich. Der wachsende Bedarf an Rohstoffen und Luxusgütern, die in Indien nicht zur Verfügung standen, tat ein übriges. Die Zuwanderer brachten mit Hinduismus und Buddhismus ihre Religionen mit. Der Buddhismus lieferte auf Grund seines großen missionarischen Impetus eine zweite wichtige Ursache für die Indisierung. Der über mehrere Jahrhunderte verlaufende Expansionsprozeß hatte in den Zielregionen unterschiedliche Auswirkungen, die von kleinen Siedlungskernen mit kultureller Ausstrahlung in ihr Umland bis hin zur Staatenbildung reichten.241 Kleinere indisierte Staaten bestanden auf der Malaiischen Halbinsel bereits in den ersten drei Jahrhunderten nach Christi.242 Eine historisch greifbare Staatenbildung unter indischem Kultureinfluß erlebte der Malaiische Archipel gegen Ende des 7. Jahrhunderts mit dem Aufstieg Srivijayas auf Sumatra. Es folgte für mindestens ein halbes 239 Siehe hierzu v.a. VILLIERS, Südostasien, 22-31; CRIBB, Historical Atlas, 30; BELLWOOD, Southeast Asia, 102-106. Grundlegend zur Vor- und Frühgeschichte des Malaiischen Archipels: DERS., Prehistory. 240 Zu Ursachen und Voraussetzungen: VILLIERS, Südostasien, 44-59; COEDÈS, Indianized States, 19-21. 241 MABBETT, Prehistoric Sources, 13. 242 COEDÈS, Indianized States, 38-40. 124 Raum und Menschen Jahrtausend die Vorherrschaft indisierter Staaten im Malaiischen Archipel, die erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts endgültig von der Bildfläche verschwanden. Die Indisierung fand ihren Ausdruck im Malaiischen Archipel vor allem in Elementen neuer, hybrider Kulturen, da Indien selbst keine in sich geschlossene Einheit darstellte, sondern eine „arena of vastly different groups jostling together, with their several ethnic affinities, languages and cultures, and Sanskrit lore is like a great stain that has spread unevenly throughout the whole, changing its colour repeatedly as it came into contact with different elements.“243 Das vielleicht wesentlichste dieser Element waren die Religionen Hinduismus und Buddhismus, die über Jahrhunderte im Archipel vorherrschten, ohne die ursprünglichen animistischen Religionen wirklich verdrängen zu können.244 Erst der Islam konnte an dieser Situation etwas ändern. Daneben hielten zahlreiche Kunstformen und Stile Einzug in das Kulturleben,245 vor allem aber zahlreiche politische und gesellschaftliche Vorstellungen. Insbesondere gilt dies für das indische Konzepte des göttlichen Königtums, welches die Staatlichkeit Indonesiens bis in das 16. Jahrhundert hinein prägte. Die Indisierung Südostasiens hatte ihre Schwerpunkte in Vietnam, Kambodscha, Burma, auf der Malaiischen Halbinsel, auf Sumatra und Java. Den Malaiischen Archipel teilte sie kulturell in zwei Hälften. Der östliche Teil blieb von indischen Einflüssen weitgehend unberührt. Die – selbstredend diffuse und durchlässige – Grenze verlief durch die Straße von Makassar; Süd-Sulawesi blieb weitgehend unbeinflußt. Nur wenige indische Elemente können hier nachgewiesen werden. Neben einigen Begriffen in der Bugis-Sprache handelt es sich um rituelle und kosmologische Elemente des Reiszyklus, den javanesischer Sanskrit-Titel für die Herrscher Luwus, einige Ornamente auf königlichen Grabmälern sowie einige rituelle Waffen.246 Hier wurden kulturelle Einzelerscheinungen, die dank reger Handelskontakte ihren Weg nach Sulawesi fanden, von einer eigenständigen Kultur lediglich adaptiert. Sinisierung Ähnlich der indischen Ausbreitung ist in der frühen Neuzeit auch eine chinesische Expansion auf Grundlage der Auswanderung Einzelner zu beobachten. Die Bedeutung der staatliche Expansion Chinas zu Beginn des 15. Jahrhunderts blieb eher ge243 244 245 246 MABBETT, Historical Sources, 160. SOEBADIO, Indian Religions, passim. Siehe u.a. SEDYAWATI, „Fremdes“ und „Eigenes“, passim. CALDWELL, Power, 403. Der Malaiische Archipel 125 ring und beschränkte sich auf einige maritime Expeditionen zur Eintreibung von Tributen in Südostasien und Indien. Die bekannteste Fahrt unternahm der Admiral Cheng Ho zwischen 1403 und 1405, wobei nur der äußerste Westen des Malaiischen Archipels berührt wurde.247 Die kulturell einflußreichere chinesische Expansion wurde nicht nur von Privatpersonen getragen, sondern richtete sich gezielt gegen den Staat und seine Anordnungen. Die Ming-Dynastie kehrte bereits 1435 zur Isolationspolitik zurück und drängte durch ihr Verbot des privaten Überseehandels zahlreiche auf den Überseehandel ausgerichtete Kaufmannsfamilien in die Emigration. In der Folge enstanden an vielen handelsstrategisch zentralen Orten Südostasiens chinesische Diasporagemeinden,248 die allerdings nie einen kulturellen Einfluß erreichten, der eine Gleichsetzung von ‚Indisierung’ und ‚Sinisierung’ erlauben könnte. Islamisierung Ähnlich tiefgreifend, vielleicht sogar noch umwälzender als die Indisierung war die Islamisierung des Malaiischen Archipels. Auch die Muslime trafen auf den gängigen Handelswegen ein, wahrscheinlich bereits im 7. Jahrhundert. Allerdings wurden lange keine Missionierungsversuche unternommen. Elemente der islamischen Religion verbreiteten sich zunächst nur durch Kaufleute muslimischen Glaubens. Die eigentliche Islamisierung Indonesien begann gegen Ende des 13. Jahrhunderts, als die Nordspitze Sumatras bereits muslimisch geworden war.249 Bei der Islamisierung des Malaiischen Archipels ist einerseits zwischen ‚informeller‘ und ‚formeller‘ Islamisierung, andererseits zwischen Islamisierung von Küsten und von Inlandsgebieten zu unterscheiden.250 Die Unterscheidung zwischen formell und informell setzt Volker S. Stahr mit der Etablierung Malakkas als islamischen Staat um 1400 an, obwohl es schon frühere islamische Staaten wie Aceh im Malaiischen Archipel gab. Die Träger der Islamisierung in den Küstenregionen waren in der ersten Phase vor allem reisende Kaufleute, die ihren Geschäfte nachgingen und islamische Ansiedlungen weniger aus missionarischen Absichten gründeten, sondern um sich selbst heimatliche Stützpunkte zu schaffen. In diesen Zusammenhang 247 Siehe zur staatlichen maritimen Expansion Chinas im und 14. und 15. Jahrhundert PTAK, Expansion; DERS., China and Portugal; DERS., Seefahrtssystem; GUNGWU, China; DERS., Opening of Relations; JUKANG, Cheng-Ho’s Voyage. 248 Siehe CHANG, First Chinese Diaspora. 249 POLO, Il Milione, 292. 250 STAHR, Südostasien, 26-30. 126 Raum und Menschen gehört auch Makassar. Die relativ späte Islamisierung entspricht der Erschließung innerindonesischer Handelswege durch islamische Handelsreisende. Dem Stadtstaat Malakka folgten noch im 15. Jahrhundert einige wichtige Sultanate in die neue Religion. Gresik auf Java im Herrschaftsbereich des indischen Königreiches Majapahit wurde schon 1410 muslimisch, Demak folgte 1480. Hier zeigen sich auch politische Gründe der Religionsübernahme; der Islam wurde für Herrscher, die unter die Autorität Majapahits gezwungen worden waren, zum Zeichen der Opposition. Gleichzeitig leutete der Religionswechsel des Herrscherhauses eine Suche nach neuen Netzwerken der Solidarität ein. Auch in den Außenbereichen des Malaiischen Archipels fand vergleichsweise früh eine Islamisierung statt – in Ternate und Sulu schon um 1460, Brunei folgte um 1500. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts schlossen sich die meisten anderen Sultanate an den Küsten Kalimantans sowie Banten und Cirebon auf Java an.251 Sulawesi war eher ein Nachzügler, doch auch hier war der Islam schließlich schneller als das Christentum. Christliche Missionare waren nur dort erfolgreich, wo schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine völlige europäische Dominanz hergestellt werden konnte (Ambon) oder wohin der Islam nie vorgedrungen war (Torajas). Daneben behielt nur Bali seine Religion, den regional angepaßten Hinduismus, offiziell bei. Der Islam wurde bis Ende des 17. Jahrhunderts die vorherrschende offizielle Religion des Archipels.252 Eine ganz anderes Problem ist die Frage nach der Durchdringung einer Gesellschaft durch die adaptierte Religion. Johan Noorduyn unterscheidet drei Phasen der Islamisierung: ‚de komst van de Islam‘, getragen durch islamische Kaufleute, ‚de invoering van de Islam‘, getragen durch die regionalen oder lokalen Herrscher, die in der Regel als erste bekehrt wurden, und schließlich ‚de uitbreiding van de Islam‘, getragen durch expansive Mächte wie Malakka, Ternate oder auch Makassar.253 All dies blieb jedoch im Bereich der Eliten verhaftet. Die endgültige Islamisierung der Untertanen wurde zwar recht schnell offiziell erklärt, doch war eine weitgehende Durchsetzung privater Frömmigkeit kaum möglich und blieb in der Regel auch aus. Vielfach berichteten niederländische Kolonialbeamte davon, daß die Kenntnis des Islam in ihrem Zuständigkeitsbereich nur sehr gering und oberflächlich war und die Religion nur in einigen rein äußerlichen Formen ausgeübt wurde – so auch für das 251 Zur Chronologie der islamischen Ausbreitung: VILLIERS, Südostasien, 258-262; CRIBB, Historical Atlas, 44/45; STAHR, Südostasien, 26-30. 252 Siehe auch DREWES, New Light; HALL, Coming of Islam; TJANDRASASMITA, Introduction of Islam; KATHIRITHAMBY-WELLS, Islamic City; REID, Islmaization. 253 NOORDUYN, Islamisering, 248. Der Malaiische Archipel 127 winzige Bonerate-Archipel in der Flores-See und für die im wesentlichen von Makassaren besiedelte Insel Selayar unmittelbar vor der Südhalbinsel Sulawesis.254 Unter der Oberfläche des Volksglaubens hielten sich hartnäckig zahlreiche Elemente des älteren, animistischen Glaubens. Häufig blieb der Islam eine Religion der Eliten und Gelehrten. Dennoch darf sein Einfluß keinesfalls unterschätzt werden. Einerseits fügte er den synkretistischen Kulturen Indonesiens zahlreiche neue Elemente hinzu, andererseits leitete er erhebliche machtpolitische Veränderungen ein, und schließlich bildete er im Verlauf der Geschichte ein identitätsstiftendes Moment in einer Region, die sich durch ihre ethnische und kulturelle, sich von Insel zu Insel wandelnde Vielfalt auszeichnete. 3. Die politische Geschichte Über die frühe Staatenbildung im Malaiischen Archipel sind nur sehr wenige Informationen bekannt, die auf einigen archäologische Zeugnisse sowie auf spärlichen Erwähnungen in chinesischen Quellen beruhen und einen engen Zusammenhang mit der maritimer Entwicklung nahelegen.255 Die erste Großmacht, über die gesicherte historische Erkenntnisse vorliegen, entstand mit Srivijaya im Süden Sumatras im Zuge der Indisierung.256 Bereits Ende des 8. Jahrhunderts beherrschten die Flotten Srivijayas die Straße von Malakka. Das Reich baute ganz auf maritimer und kommerzieller Stärke auf, bestehend aus der Kontrolle einer zentralen Handelsroute und weitreichenden Handelskontakten innerhalb des Archipels, nach China, Indien und zum südostasiatischen Festland. Besonders günstig wirkte sich aus, daß das chinesische Kaiserreich im 9. Jahrhundert eine Phase der Öffnung nach außen erlebte und den Kaufleuten Srivijayas seine gewaltigen Märkte zugänglich machte. Nach javanischen Raubzügen (992) und Übergriffen der südindischen CholaHerrscher (1025) setzte der Untergang des mächtigen Reiches spätestens im 11. 254 BAKKERS, Bonerate en Kalao, 238; DONSELAAR, Saleijer, 289. 255 CRIBB, Historical Atlas, 73-75. Für eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang des maritimen Handels mit dieser frühen Staatenbildung siehe HALL, Maritime Trade, 1-25; hierin auch die Diskussion einer Modellbildung zu den zugrundeliegenden ‚riverine and rice plane exchange networks’ (ebd., 12-20; auch bei KULKE, Srivijaya, 48-53), die auf BRONSON, Exchange, zurückgeht. 256 Nach wie vor grundlegend zur Geschichte Srivijayas: WOLTERS, Commerce, und DERS., Srivijaya. Siehe darüber hinaus: NILAKANTRA SASTRI, History; COEDÈS/DAMAIS, Sriwijaya; SHAFFER, Maritime Southeast Asia, 37-64; COEDÈS, Indianized States, 130-132, 141-144, 147/148, 178-180; HALL, Maritime Trade, 78-102; DERS., State; ABDUL RAHMAN, Kingdom; KULKE, Srivijaya. 128 Raum und Menschen Jahrhundert ein. Srivijaya geriet zwischen die Fronten expandierender Mächte auf Java (Singasari) und in Thailand (Sukhothai). In Sumatra folgte auf die Vorherrschaft Srivijayas ein Zeitalter der Kleinstaaterei, in dem die Hafenstädte NordSumatras unabhängige Sultanate herausbildeten, während sich der Machtschwerpunkt Indonesiens nach Java verlagerte. Zunächst war dort das buddhistische Königreich Mataram der schärfste Rivale Shrivijayas, da es nicht nur eine militärische Bedrohung darstellte, sondern auch erfolgreich auf den selben Handelsfeldern tätig war. Mitte des 11. Jahrhunderts verfiel jedoch diese Macht, nachdem das Reich im Zuge von Erbstreitigkeiten geteilt worden war. Dies ermöglichte den Aufstieg von Singasari im Nordosten Javas, eines ehemaligen Vasallen Matarams, dessen Expansionspolitik endgültig die Machtgrundlagen Srivijayas zerstörte. Zugleich legte Singarasi die Grundlage für das bedeutendste javanische Großreich, Majapahit, das als erstes wieder die Machtfülle Srivijayas erreichen konnte.257 Die ungebrochene Expansionspolitik des neuen buddhistischen Königreiches, das aus einer Rebellion von Provinzfürsten in Singasari entstanden war, führte bis Ende des 14. Jahrhunderts zu einem Machtbereich, der das gesamte Malaiische Archipel umfaßte. Die militärische Unterwerfung beschränkte sich auf den Kernbereich auf Java und Sumatra. Die zeitgenössische Überlieferung deutet jedoch darauf hin, daß alle Herrscher des Archipels formal die Oberherrschaft Majapahits anerkannten und durch Tribute bestätigten. Majapahits Untergang hatte abermals vor allem wirtschaftliche Gründe, die sich in neuen Konkurrenzlagen wiederspiegelten. Im Westen hatte das Königreich dem aufstrebenden Malakka wenig entgegenzusetzen; auf Java selbst wurde das früh islamisierte Demak zu einer ernsthaften Bedrohung. Im Verlauf des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde die Vorherrschaft von Großreichen im Malaiischen Archipel durch kleinstaatige Strukturen abgelöst. Diese erneute Veränderung der Machtstruktur fand im Zuge der Islamisierung statt. Bei der Entstehung neuer Zentren, die nicht mehr großen Reichen zuzuordnen waren, sondern selbst eine politische Einheit bildeten, gingen Handel und Islam Hand in Hand. Solche Zentren entstanden an den Knotenpunkten der wesentlichen Handelsnetzwerke und an den Verknüpfungspunkten der verschiedenen Handelsebenen. Genau dort knüpfte der Islam seine ersten Kontakte mit dem Malaiischen Archipel. Die Emporien wiederum profitierten von der neuen Religion, weil sie ihnen 257 Grundlegend zu Majapahit siehe: SLAMETMULJANA, Story of Majapahit; STUTTERHEIM, Kraton; NOORDUYN, Majapahit; COEDÈS, Indianized States, 198-201, 232-234, 239-242; VILLIERS, Südostasien, 96-101, 104-109; SHAFFER, Maritime Southeast Asia, 90-98; HALL, Maritime Trade, 232-260; NOORDUYN, Eastern Kings, passim; KLOKKE, Tarumanagara, 78-91. Der Malaiische Archipel 129 neue zentralörtliche Funktionen einbrachte, neue Verbündete anbot, eine neue Identität für die gesamte Stadtgesellschaft schuf und eine Legitimierung für Expansionsunternehmen lieferte. Diese dicht besiedelten kosmopolitischen Städte bezogen ihre wirtschaftliche Stärke nicht mehr aus der Landwirtschaft, sondern aus dem Handel, den sie weit über das Niveau des ‚peddling trade’ hinaus entwickelten, und nutzten ihre daraus erwachsende Militärmacht konsequent zur Beherrschung ihres Hinterlandes.258 Die Stadtstaaten indonesischer Prägung wurden das vorherrschende politische Modell. Das wichtigste und bekannteste Beispiel hierfür ist Malakka an der Westküste der Malaiischen Halbinsel.259 Die von Anfang an islamische Stadt lag nicht nur an einer für den überregionalen Handel äußerst vorteilhaften Stelle, sondern entwickelte auch gezielt eine günstige Infrastruktur für den internationalen Handel. Es wurden ein rechtlicher Rahmen geschaffen, eine Hafenverwaltung aufgebaut, Maße, Gewichte und Währungen standardisiert, Lagerhallen und Unterkünfte errichtet sowie für einen freien und gleichberechtigten Zugang zu allen Märkten gesorgt. Etablierte Handelsnetze des Archipels verschoben sich, da sich das Gros des überregionalen Handels nach und nach auf Malakka ausrichtete. Der Überseehandel konnte zudem auf eine prosperierende und sehr flexible mikroökonomischen Wirtschaft zurückgreifen.260 Der daraus gewonnene Reichtum ließ zusammen mit einer geschickten dynastischen Politik aus der ökonomisch attraktiven Hafenstadt eine politisch bedeutende Macht werden. Sie kontrollierte im wesentlichen die Malaiische Halbinsel, große Teile der Ostküste Sumatras und die Wasserstraße dazwischen. Andere Stadtstaaten befanden sich in einer ähnlich günstiger Situation. Banten lag am Eingang der Sunda-Straße, des zweiten Zugangs zu den „Binnengewässern“ des Malaiischen Archipels, und wurde dadurch ebenfalls zum Anlaufpunkt maritimer Händler, vor allem auch aus Europa. Hierdurch erlangte das Sultanat die Vormachtstellung im westlichen Java. Ternate bezog seine Stellung aus der steigenden Bedeutung des Exportgutes Gewürznelken und brachte die nördlichen Molukken und das nördliche Sulawesi unter seine tributäre Kontrolle. Johor trat die Nachfolge Malakkas an, als dieses schrittweise seine Macht durch europäische Eroberungen verlor.261 Und das balinesische Gelgel kontrollierte im 17. Jahrhundert die gesamte Insel Bali, die ehemalige Majapahit-Provinz Balambangan am Ostende Javas, Teile 258 259 260 261 Anthony Reid in den Proceedings der 7. IAHA-Konferenz, Bangkok 1979, zitiert in HALL, Opening, 86. VILLIERS, Südostasien, 265-270; THOMAZ, Malay Sultanat, passim. MCROBERTS, Study of Growth, 47-57. Zu Johor siehe v.a. ANDAYA, Johor. 130 Raum und Menschen Lomboks und die nördlichen Küstenstriche Sumbawas.262 Auch noch gegen Ende des VOC-Zeitalters war der Aufstieg eines lokalen Sultanates zur politisch und ökonomisch starken Regionalmacht möglich, wie das Beispiel Sulu zeigt.263 Solche Ablösungsprozesse beruhten auf der spezifischer Machtstruktur im Malaiischen Archipel. Kleinere Sultanate existierten auch während der großen Reiche als zweite Ebene darunter. Die Schwäche der Großreiche und den Islam als neue Legitimation nutzend stiegen aus der Vielzahl solcher Lokalherrschaften neue Vormächte auf, die allerdings nicht mehr so weite Machtbereiche kontrollieren konnte wie Majapahit Mitte des 14. Jahrhunderts. Sie standen nicht selten in heftige Konkurrenz zueinander, da sich ihre Einflußsphären vielerorts berührten oder gar überschnitten – wie im Falle Ternates und Makassars im Norden Sulawesis. In Indonesien entwickelte sich ein brüchiges Machtgleichgewicht, das sich die Europäer bei ihrem Eintreffen nicht selten zu Nutzen machen konnten. 4. Die Grundlagen von Wirtschaft und Handel Die agrarischen Grundlagen Indonesien bietet klimatisch und vegetativ günstig Bedingungen für die agrarwirtschaftliche Produktion. Die alles überragende Kulturpflanze ist spätestens seit der frühen Neuzeit der Reis, der auf Luzon, Sulawesi, Java, Sumatra sowie in Thailand und Vietnam mit regelmäßigen Überschüssen angebaut wurde. Im Malaiischen Archipel wurde außerhalb der ursprünglichen Reisanbaugebiete zunächst auf Sago, Yams oder Taro als Grundnahrungsmittel zurückgegriffen, bis sich seit dem 15. Jahrhundert der Reis überall durchsetzte. Dies konnte gelingen, da sein Anbau in drei grundlegenden Formen möglich ist: der Wechselwirtschaft auf gerodeten Flächen, die vor allem in dünn besiedelten Hochländern und auf den Molukken praktiziert wurde, der Aussaat auf Schwemmebenen und der Naßreiskultur, bei der Setzlinge in bewässerte Felder gepflanzt werden, wie es auf Java und Sulawesi üblich war. Da diese Art des Anbaus zwei Ernten im Jahr erlaubt, wurde die intensivere Naßreiskultivierung durch den zunehmenden Bevölkerungsdruck forciert. Zur Ausdehnung der Kulturflächen stand allen bislang ungenutztes Land zur Verfügung. 262 CRIBB, Historical Atlas, 96. 263 Siehe v.a. WARREN, Trade. Der Malaiische Archipel 131 Hierarchien, die auf unterschiedlich verteiltem Wohlstand beruhten, ergaben sich nicht aus dem Umfang des Landbesitzes, sondern aus der Qualität des bebauten Landes, dem Eigentum an Vieh, Gerätschaften, aus Protektion und Patronage, aus dem erbringbaren Brautpreis oder dem Zugriff auf menschliche Arbeitskraft.264 Die Landwirtschaft schuf auch die Basis für Handelssphären, die von zentraler Bedeutung für die Wirtschaftsentwicklung des Malaiischen Archipels waren, indem sie ihn in den Mittelpunkt europäischen Interesses rückten. Pfeffer gedieh insbesondere in den Waldgebieten Sumatras und Kalimantans. Die Muskatpflanze, die sowohl die „echten“ Muskatnüsse als auch Macis lieferte, war nach dem frühneuzeitlichen Kenntnisstand der Europäer nur auf den Inseln des winzigen Banda-Archipels zu finden.265 Ebenfalls nur auf wenigen Inseln wurden Gewürznelken gewonnen – einerseits auf Ambon und den Inseln in unmittelbare Umgebung,266 andererseits auf einigen Vulkaninseln in den nördlichen Molukken. In seinen Ausführungen, die den europäischer Wissensstand zu Beginn des 16. Jahrhunderts repräsentieren, berichtet Tomé Pires von fünf Molukken-Inseln, auf die sich die Produktion konzentrierte: Ternate, Tidore, Moti, Makian und Bacan.267 In der Regel nahm der Gewürzanbau die gesamte agrarische Kapazität der Inseln in Anspruch, deren Fruchbarkeit bis zu sechs Ernten jedes Jahr erlaubten. Auch wenn sich die zeitgenössischen Angaben über die Ernten unterscheiden – so spricht der Chronist der Magellan’schen Weltumseglung, Antonio Pigafetta, von lediglich zwei Ernten im Jahr,268 während Pires andeutet, daß er auch von einer durchgehenden Saison für Gewürznelken gehört habe – waren die überaus günstigen Bedingungen auf diesen Inseln für eine vollständige Ausrichtung auf den Export der Gewürze unstrittig. Städtische Wirtschaftszentren Auch wenn sich städtische Siedlungen im Malaiischen Archipel später als in Europa entwickelten, hatte sich hier in der frühen Neuzeit schnell eine hochgradig urbanisierte Region entwickelt. Maßgeblichen Anteil hieran hatten die großen Emporien, die im Zuge der Islamisierung die entscheidende Kraft geworden waren. Bis zum Eintreffen der Europäer war Malakka die wirtschaftlich bedeutendste Hafenstadt. 264 265 266 267 268 Zu den agrarischen Grundlagen: REID, Land below the Winds, 18-26. BECK, Monopol, 71-75. KNAAP, Kriudnagelen, 228-234. PIRES, Suma Oriental, 212-223, umfaßt die gesamte Beschreibung der nördlichen Molukken. PIGAFETTA, Magellan’s Voyage II, 117. 132 Raum und Menschen Nach den Steuererhebungen unterhielt sie im Westen Kontakte nach Indien, Arabien, Thailand, Burma, Tenasserim, Pegu, Kedah, Pedir und Pasai, im Osten nach China, Japan, Luzon, Riukiu und in den Malaiischen Archipel.269 Mit ungefähr tausend Einwohnern stellten die indischen Gujaratis zu dieser Zeit die mächtigste Händlergruppe in Malakka.270 Zu ihnen gesellten sich aus dem Norden vor allem Chinesen und aus dem Osten die wichtigsten Seehandel treibenden Nationen des Archipels, vor allem Minangkabau, Javaner, Bugis, Makassaren, aber auch Gruppen aus den verschiedenen Teilen der Molukken. Zusammen mit den einheimischen Ethnien, den Malaiien als ursprüngliche Stadtbevölkerung und den in der Straße von Malakka aktiven Seenomaden, trugen sie ein urbanes Wirtschaftsleben, das im 15. Jahrhundert in Südostasien keine Parallele kannte. Malakka war das Paradebeispiel für eine multiethnische, auf Kommerz ausgerichtete Stadt, die alle Charaktermerkmale einer südostasiatischen Metropole ihrer Zeit aufwies. Ihr Stadtbild wurde von der Vielzahl der hier aktiven Nationalitäten geprägt, die von den Herrschenden nicht nur geduldet, sondern bewußt gefördert wurden. Dies spiegelte sich auch in der Verwaltungsstruktur des Hafens wieder. Das Amt des Hafenmeisters, des syahbandar, existierte in Malakka vierfach: der erste war für die Gujaratis zuständig, der zweite für die Indonesier aus Java, Sumatra und dem östlichen Archipel, der dritte für Kaufleute aus Bengalen, Pegu und Pasai, und der letzte für Händler aus China und Indochina.271 Die wirtschaftsgeographische Lage, die anfängliche Protektion durch China, die Politik ihrer Herrscher und die eigenen Möglichkeit des Zinnexports hatten Malakka in kürzester Zeit zur Wirtschaftsmetropole gemacht.272 Neben diesem Oberzentrum blühten weitere urbane Wirtschaftszentren im Malaiischen Archipel. Banten profitierte von den Auseinandersetzungen in der Straße von Malakka und den Kontrollbemühungen der Portugiesen. Die javanische Hafenstadt lag an der Sunda-Straße sehr günstig für alle, die eine Alternative zur Straße von Malakka suchten und die Westküste Sumatras bis Java entlag segelten. Noch entscheidender aber war die Verbindung nach China, auf der im 16. Jahrhundert große Mengen des hier angebotenen Pfeffers verschifft wurden.273 Banten war einer der großen Pfefferexporthäfen des Archipels – wie Palembang und Jambi, die an 269 270 271 272 273 MCROBERTS, Study of Growth, 57, 60. DAS GUPTA, Maritime Trade, 247. VILLIERS, Südostasien, 267; DAS GUPTA, Maritime Trade, 249. REID, Land below the Winds, 115. DAS GUPTA, Maritime Trade, 259. Der Malaiische Archipel 133 den Ausläufern der Pfefferanbaugebiete Sumatras lagen und zugleich über schiffbare Flüsse auch Meereszugang hatten, oder wie Aceh, das günstig am Eingang der Straße von Malakka lag. Auch hier kauften die Chinesen große Teile des Pfeffermarktes auf; und hier taten die Europäer seit Ende des 16. Jahrhunderts alles, um es ihnen gleich zu tun.274 Eine etwas andere Rolle spielte Johor an der Südspitze der Malaiischen Halbinsel. Die Stadt versuchte die Nachfolge Malakkas anzutreten und möglichst eine vergleichbare Palette an Handelssphären anzulocken. Bis 1641 gelang dies jedoch kaum. Johor blieb weitaus eher in den innerindonesischen Handel integriert als daß es lukrative Verbindungen zur zweiten oder gar ersten Handelsebene aufbauen konnte. Dies änderte sich erst schrittweise, nachdem die VOC Malakka erobert und die Rolle Acehs beschnitten hatte.275 Um die Riege der urbanen Zentren vergleichbarer Größenordnung zu vervollständigen ist noch auf die nordjavanischen Häfen wie Demak, Jepara, Cirebon oder Gresik und auf Brunei in Nordwest-Kalimanta hinzuweisen. Die javanischen Städte stellten sich als junge islamische Sultanate erfolgreich gegen die Vorherrschaft der indisierten Königtümer und profitierten wirtschaftlich von ihren Verbindungen zu den Molukken und den regionalen Reisanbaugebieten. Brunei hingegen war ein weiterer wichtiger Warenumschlagplatz auf dem Weg nach China. Diese Hafenstädte bestimmten das Bild des Malaiischen Archipels, das sich den Europäern bei ihrer Ankunft bot. Als Emporien hatten sie zentrale Positionen im Warenhandel inne. Als Kristallisationspunkte der indonesischen Stadtstaaten bildeten sie die Machtzentren des Malaiischen Archipels. Zudem waren sie Zentren gewerblicher Produktion wie religiöser und wissenchaftlicher Gelehrsamkeit. Auffällig ist ihre Konzentration auf den westlichen Teil des Archipels. Banjarmasin und vor allem Makassar sollten die östlichsten Emporien vergleichbarer Bedeutung werden. In den Molukken existierten nur kleinere städtische, wahrscheinlich kaum von größeren Dörfern unterscheidbare Siedlungen. Die größten und bedeutendsten unter ihnen dürften noch die Hauptorte der Inseln Ternate, Tidore und Ambon oder der Königreiche Nusa Tenggaras oder auch ein Hafenstädtchen wie Gilolo auf Halmahera gewesen sein. 274 Ebd., 261; WATSON ANDAYA, Cash Cropping, 97-109. Zu den Städten im 15., 16. und 17. Jahrhundert siehe grundlegend, aber auch mit zahlreichen Einzelbeispielen: REID, Expansion and Crisis, 62-131. 275 DAS GUPTA, Maritime Trade, 261/262. 134 Raum und Menschen Handwerk und Gewerbe - ein marginaler Sektor? Es wäre es eine grobe Fehleinschätzung, die vorkoloniale Ökonomie der indonesischen Inselwelt auf den Anbau und die Verschiffung einiger hochwertiger Agrarprodukte zu reduzieren. Auch gewerbliche Produktion fand im Malaiischen Archipel auf zahlreichen Branchen statt, teilweise mit höchster handwerklicher Perfektion. Der wichtigste nichtagrarische Produktionsbereich war sicherlich das Textilgewerbe. Indonesien verfügt über eine reiche und alte Tradition, die sich mit Begriffen wie batik oder ikat verbindet. Bereits John Crawfurd schloß aus der Tatsache, daß im Malaiischen und Javanischen Webereibegriffe eigenständig sind, auf eine unabhängige Entwicklung. Er beschreibt die Produktion relativ grober, aber auch sehr haltbarer Baumwollstoffe, bei deren Weiterverarbeitung weder höherwertiges Färben noch Bedrucken üblich wäre. Zwar gesteht er der Farbqualität der blauen oder dunkelroten Textilien bei weitem nicht die indische Eleganz und Brillianz zu, doch betont er auch, daß es die besten Tuche, vor allem aus Sulawesi und Java, mit den Produkten der Manufakturen Manchesters und Glasgows aufnehmen konnten.276 Vor allem in Süd-Sulawesi und Selayar war eine hochwertige Kattunweberei entstanden, die erst im 19. Jahrhundert durch die Konkurrenz industriell erzeugter europäischer Produkte Schaden nahm.277 Dieses Gewerbe konnte sich auf den exportorientierten Baumwollanbau auf Java, Bali und Lombok, aber auch auf die Baumwollkulturen Selayars, Butons, Sumbawas und Manggarais auf Flores stützen und blieb so von Importen weitgehend unabhängig. Zudem wurden Seidenraupen in Wajo im Südwesten Sulawesis gezüchtet.278 Vor und neben der Baumwolle wurden verschiedene Pflanzenfasern für einfache Alltagsstoffe, Säcke, Planen oder Seile genutzt, darunter Wildpflanzen wie Banane oder Ananas, verschiedene Palmenarten, Pandanus, Sago, lange Gräser oder Bambus.279 Solche Produkte spielten allerdings im Export keine Rolle. Die in Südostasien verbreiteten Techniken des Spinnens und Webens waren weitgehend einheitlich. Das Spinnrad setzte sich erst im 16. Jahrhundert durch. Älter war der bis nach Süd-Sulawesi und in den Molukken verbreitete einfache Webstuhl, der nur die Produktion von schmalen Tuche erlaubte, so daß bereits Sarongs aus zwei oder mehreren Stücken zusammengenäht werden mußten. Die geringen technischen Möglichkeiten bedingten langsame Arbeitsprozesse. Für ein Pfund 276 277 278 279 CRAWFURD, History I, 180; DERS., Dictionary, 445/446. DERS., History I, 181; DONSELAAR, Saleijer, 302. CRAWFURD, History III, 350; REID, Land below the Winds, 91, 93, 95. ABDURACHMAN, Impact, 273/274. Der Malaiische Archipel 135 Baumwollgarn wird für eine javanische Frau des 18. Jahrhunderts eine Herstellungszeit von einem Monat geschätzt; ein weiterer Monat war für ein Baumwolltuch von gut neun Metern (zehn yards) nötig. Während die Weberei weitgehend einheitlich war, wiesen die Färbung und das Bedrucken mit Mustern regionale Spezialisierungen auf. So war auf Java die Färbung im Garn unbekannt, weswegen hier die aufwendige batik-Technik angewandt wurde. Im Gegensatz dazu wurden auf Bali oder Sumbawa Tuche hergestellt, deren Garn schon vor der Weiterverarbeitung gefärbt wurde.280 Sämtliche Arbeitsschritte waren im Archipel Frauenarbeit. Dies galt auch in den Regionen, in welchen nicht nur für den heimischen Gebrauch, sondern ebenso für Handel und Export gewebt wurde. Frauen dominierten sowohl die Produktion von Textilien als auch deren Vermarktung.281 Bei aller Eigenständigkeit der Entwicklung konnte die Textilproduktion in einer vom Überseehandel geprägten Region nicht unberührt bleiben.282 Schon früh unterlag sie mannigfachen Einflüssen vor allem aus den Herkunftsgebieten der importierten Webwaren in Indien und China. Aus beiden Kulturkreisen wurden neue Moden in Kleidung, Farbgebung und Mustern importiert, aber auch rituelle Nutzungsformen. Hinzu kamen neue Verarbeitungstechniken für Baumwolle aus Indien und für Seide aus China.283 In einigen Fällen konnten importierte Textilien lokale Produkte verdrängen, weil sie als qualitativ besser angesehen wurden oder billig genug waren, um ihren Einkauf wirtschaftlich sinnvoll erscheinen zu lassen. Jedoch wurden einheimische Textilien nie völlig vom Markt verdrängt, sondern allenfalls einheimische Handwerker zur Adaption neuen Techniken oder Moden veranlaßt.284 Weitere Einflüsse brachte die Islamisierung mit sich. Die traditionell im Malaiischen Archipel getragene Kleidung wurde erweitert; zum Sarong traten bei der Frau eine Tunika, bei den Männern Jacken und Kopfbedeckungen.285 Ein zweiter wichtiger Gewerbesektor im Malaiischen Archipel war die Metallverarbeitung. Sowohl Waffen als auch Gebrauchsgegenstände des Alltags wurden nicht nur für den Eigenbedarf hergestellt, sondern auch aus kommerziellen Gründen von Spezialisten gefertigt. Grundlage waren reiche Eisenvorkommen in Zentral-Sulawesi, Zentral- und West-Kalimantan, auf Belitung und in Zentral-Sumatra, lukrative Kupferminen in Nordwest- und West-Sumatra und im westlichen Zentral280 281 282 283 284 285 REID, Land below the Winds, 94. CRAWFURD, History I, 178; DERS., Dictionary, 445; HALL, Textile Industry, 103. HALL, Textile Industry, 87, Zu den indischen Einflüssen siehe MAXWELL, Tradition, 149-237; zu den chinesischen ebd., 239-297. HALL, Textile Industry, 87/88. REID, Land below the Winds, 89. Zu den islamischen Einflüssen siehe MAXWELL, Tradition, 299-351. 136 Raum und Menschen Java sowie die umfangreichen Zinnlagerstätten der Malaiischen Halbinsel. Sowohl die Gewinnung des Rohmaterials aus den Erzen als auch die Weiterverarbeitung in Schmiedewerkstätten war ausschließlich Männerarbeit. Das Können der teilweise hochspezialisierten Tätigkeiten wurde innerhalb der Schmiedefamilien von Generation zu Generation weitervererbt. Mancherorts entstanden regelrechte Schmiededynastien – eine Seltenheit in einer Wirtschaft ohne formalisierte Spezialisierungen. Die Verarbeitung der Metalle erfolgte in der Regel fundortnah, so daß sich Zentren des metallverarbeitenden Gewerbes in der Nähe von Erzlagerstätten herausbildeten. Dies verringerte die Materialkosten für die Handwerker und sorgte zugleich für einen umfangreichen Handel mit den Endprodukten, da die Absatzmärkte teilweise in weiter Entfernung lagen. So entstanden Zentren des Metallgewerbes im Siedlungsbereich der Minangkabau auf Sumatra, auf den Inseln Bangka und Belitung, sowie auf Java, wo unter Verwendung von Eisen aus Sulawesi und Kalimantan kunstvolle Kris-Dolche und Schwerter entstanden, die bis nach Persien exportiert wurden.286 Auf Sulawesi selbst war vor allem das Bugis-Reich Luwu für sein Eisen berühmt. In Form von Äxten, Messern und Schwertern oder auch Barren zur Weiterverarbeitung gehörte das sogenannte „Luwu-Eisen“ Anfang des 17. Jahrhunderts zu den wichtigsten Exportgütern nach Java und in die Molukken.287 An der Westküste Kalimantans und auf den vorgelagerten Inseln, insbesondere Karimata, wurden Äxte, parang-Messer und ähnliche Werkzeuge oder Waffen produziert, die weite Verbreitung im Malaiischen Archipel fanden.288 Zudem entwickelte sich in den wirtschaftlich erfolgreichen Städten spezialisiertes Handwerk bis hin zu Kunstschmieden, die Gold und Silber in Schmuck und Weihegaben verarbeiteten.289 So wurde in Malakka das Gold und Zinn, das als Tribut in die Stadt gelangte, unmittelbar dort weiterverarbeitet. Vielfach entstanden Kunstgegenstände, später folgte die Herstellung von Kris-Dolchen, anderen malaiischen Waffen, Gewehren und Kanonen. Außerdem wurden aus beiden Metallen Münzen geprägt.290 Sumatra und Java gehören zu den wenigen Ländern, die in den Quellen nicht als Importeure von japanischem oder chinesischem Kupfer in Erscheinung treten. Gleichwohl exportierten sie aber kupferne Fertigprodukte wie Kessel, Tabletts, Lampen, Betelsets, aber auch Gongs und Kanonen aus Bronze. Der ursprüngliche 286 287 288 289 290 REID, Land below the Winds, 109/110. DERS., Trade Goods, S. 259-260; DERS., Land below the Winds, 110; VILLIERS, Economy, S. 83. REID, Land below the Winds, 111. Beispielsweise in Aceh, siehe VELTMAN, Nota. MCROBERTS, Study of Growth, 48. Der Malaiische Archipel 137 unmittelbare Zugriff auf eigene Ressourcen, der hierin zum Ausdruck kommt und auch die Ansiedlung der kupferverarbeitenden Gewerbe bestimmte, endete mit dem Überangebot an chinesischem, japanischem und europäischem Rohkupfer seit Ende des 17. Jahrhunderts.291 Neben den Importrohstoffen waren auch die geringen Preise und der Variantenreichtum der chinesischen Metallwaren von großem Einfluß auf die indonesische Metallproduktion und den entsprechenden Handel.292 Doch wie bei den Textilien bedeuteten äußere Einflüsse noch lange kein Untergang eigenständiger Gewerbe. Lediglich der Metallbergbau Indonesiens erlebte im 17. und 18. Jahrhundert einen Niedergang. Haupthandelssphären I: Nahrungsmittel So bedeutend das produzierende Gewerbe in der indonesischen Wirtschaft auch war, der prägende Faktor war doch stets der maritime Handel. Dabei spielte der Gewürzhandel mit Sicherheit nicht die vorherrschende Rolle. René J. Barendse nennt vielmehr den Reishandel an erster Stelle. Er schätzt für das Jahr 1640, daß über Batavia 5,4 Millionen Pfund Reis aus- und 4 Millionen Pfund eingeführt wurden.293 Da Reis in seinen ursprünglichen Anbaugebieten innerhalb des Archipels zumeist mit Überschüssen angebaut wurde, machte schon die Ausbreitung des Grundnahrungsmittels über den gesamte Archipel einen Lebensmittelhandel unabdingbar. Vor allem Java und Sulawesi entwickelten sich zu bedeutenden Reisexporteuren; hier wurde Reis gezielt als ‚cash-crop’ angebaut.. Zentral-Java exportierte im 16. Jahrhundert seinen Reis über Jepara nach Banjarmasin, Banten, Jakatra und zu den Molukken. Mutmaßlich handelte es sich dabei um 15.000 metrische Tonnen pro Jahr.294 Später übernahm Semarang eine ähnliche Rolle für die gleichen Anbaugebiete. Auch die Hafenstädte des östlichen Javas wie Surabaya oder Gresik exportierten ansehnliche Mengen. Süd-Sulawesi verfügte zeitgenössischen Berichten zufolge sogar über den qualitativ besseren Reis, der über Makassar exportiert wurde. Auf den Schiffen im Malaiischen Archipel fanden sich auch andere grundlegende Nahrungsmittel. Stets von besonderer Bedeutung bei der tagtäglichen Bedarfsdeckung ist das Salz. Fast alle Küstenbewohner im Archipel verfügten über Methoden der Salzgewinnung, meist durch einfache Salzpfannen, in denen der Rohstoff durch 291 292 293 294 REID, Land below the Winds, 117/118. Ebd., 112. BARENDSE, Kraton, 90. REID, Land below the Winds, 23/24. 138 Raum und Menschen Verdunstung des Meerwassers gewonnen wurde. Dennoch gab es offenbar ein Ungleichgewicht der Versorgung, denn Salz wurde exportiert. Insbesondere Nord- und Ost-Java machten als salzexportierende Regionen von sich Reden. Von hier wurde das „weiße Gold“ nach Sumatra, Sulawesi und zu den Molukken transportiert.295 Neben solchen Versorgungsfahrten über größeren Entfernungen existierten engere Handelsnetzwerke, die der kleinräumigen Versorgung dienten. So betont Tome Pires in seiner Beschreibung der nördlichen Molukken, daß außer Moti die kleineren Inseln überhaupt keine Lebensmittel produzierten, sondern das gesamte verfügbare Land für den Gewürznelkenanbau bereitstellten.296 Neben Moti verfügten nur die größeren Inseln Halmahera und Morotai über einen Nahrungsmittelüberschuß. Auf den kleinen Vulkaninseln mußten in erster Linie Reis und Sago importiert werden, um den Grundbedarf der Bevölkerung zu decken. Sago wurde auf den Kai- und den Aru-Inseln für den Export gewonnen, Reis aus Java und auf Sulawesi importiert. Diese weiter entfernten Quellen wurden durch eine Verteilung des Nahrungsmittelangebots in den Nord-Molukken selbst ergänzt. Dabei handelte es sich ebenfalls neben Sago um zahlreiche Früchte, Baumprodukte und ähnliches. Organisiert war dieser Handel als ‚peddling trade’, in Form einer Küstenschiffahrt von Hafen zu Hafen. Einen solchen gab es auch in anderen Regionen und mit anderen Produkten der Nahrungssicherung. So wurde im Küstenverkehr Handel mit lebendem Nutztieren wie Schweinen, Schafen, Büffeln, Rindern, Pferden oder Hunden betrieben.297 Faßt man die weitreichenden und die kleinräumige Netzwerke zusammen, muß festgestellt werden, daß wohl keine Handelssphäre einen solchen Umfang erreichte wie die der Nahrungsmittel.298 In das Blickfeld der Europäer trat sie jedoch allenfalls dann, wenn sich die Notwendigkeit ergab, größere Besitzungen und Plantagenwirtschaften versorgen zu müssen. Haupthandelssphären II: Textilien Die zweite bestimmende Handelssphäre des Malaiischen Archipels, der Textilienhandel,299 beruhte auf zwei Säulen. Auf der einen Seite standen die einheimischen Produkte. Im 16. Jahrhundert waren wahrscheinlich Ost-Java, Bali und Sumbawa 295 Ebd., 28. 296 PIRES, Suma Oriental, 212-223. 297 REID, Land below the Winds, 34. 298 DERS., Trade Goods, S. 249-252. 299 ABDURAHMAN, Impact, passim; REID, Trade Goods, S. 252-254. Der Malaiische Archipel 139 die Hauptexporteure von Textilien. Javanische Textilien waren seit dem frühen 15. Jahrhundert in Nord-Sumatra, gestreifte lurik aus Panarukan und Pasuruan Ende des 16. Jahrhunderts in Malakka populär. Für den molukkischen Markt kauften javanische Händler in Gresik maduresische Tuche sowie in Bali und Sumbawa farbenfrohe ikat ein. Die eigene batik-Stoffe aus Java waren nicht konkurrenzfähig, da die Färbemethode einen enormen Arbeitseinsatz erforderte.300 Spätestens mit dem Aufstieg des Emporiums Makassar kamen auch die von Crawfurd als hochwertigste indonesische Produkte eingeschätzten Textilien aus Sulawesi zu ihrem Recht. Auf der anderen Seite stand der Handel, der für das gängige Image des Malaiischen Archipels sorgte, lediglich Konsument indischer oder chinesischer Textilien zu sein.301 Eingeführt wurden Textilien vorrangig aus Indien eingeführt. Die Fertigprodukte aus Baumwolle und Seide, hergestellt in Gujarat und Koromandel, standen bei der Nachfrage an erster Stelle, wobei die feinen Tuchsorten insgesamt zwar begehrter waren, letztendlich jedoch alle Sorten ihren Absatz fanden. Noch gefragter, aber auch seltener waren luxuriöse Seidenprodukte aus China. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß viele dieser Produkte auf Grund ihrer Qualität so teuer waren, daß sie nur als Luxusgut und nur von bestimmten Schichten erstanden werden konnten. Ihre reinen Absatzmengen dürfen daher nicht überschätzt werden. Für den Alltagsbedarf wurde auf dem Land im wesentlichen selbst gewebt. In der Stadt war dies teilweise auch möglich, doch wurden hier im größeren Ausmaß die benötigten Textilien eingehandelt. So behielten einheimische Produkte stets ihren Markt, nicht zuletzt dadurch, daß für allzu schlichte Produkte der Transportweg aus Indien oder China letztendlich zu teuer war. Auswärtige Textilprodukte waren in allen Häfen des Malaiischen Archipels zu finden. Besondere Umschlagplätze waren die großen Emporien im Westen Indonesiens, die auch als Drehscheiben des Gewürzhandels dienten. Gerade für diesen waren hochwertige Textilien von enormer Bedeutung. Die javanischen oder malaiischen Seehändler, die auf die Molukkenfahrt spezialisiert waren, kauften sie in Emporien wie Malakka oder Aceh ein, um sie von dort in den Osten mitzunehmen. Auf den Molukken erfuhren indische und chinesische Stoffe eine große Nachfrage, so daß der Erlös aus ihrem Absatz den Einkauf größerer Mengen Gewürze ermöglichte. Neben den Textilien waren hier nur noch Edelmetalle mit den gleichen Erfolgsaussichten einsetzbar. 300 DERS., Land below the Winds, 94. 301 Ebd., 90. 140 Raum und Menschen Haupthandelssphären III: Gewürze302 Nach Tomé Pires hatte die Kultivierung der zuvor wildwachsenden Gewürznelken in den Molukken nur wenige Jahre vor seiner Ankunft im Malaiischen Archipel (1511) eingesetzt. Unausgesprochen legt er sogar nahe, daß die Ursache hierfür in der Nachfrage durch die Portugiesen zu suchen sei.303 Diese Auffassung gilt in der Forschung allgemein als gesichert, obwohl die Quellengrundlage kaum über die Angaben von Pires hinausgeht. Andererseits finden sich schon in indischen und chinesischen Schriften des ersten nachchristlichen Jahrhunderts Hinweise auf den Gebrauch von Gewürznelken. Importe des Gewürzes in beide Länder lassen sich für die Zeit des europäischen Mittelalters ebenso nachweisen wie dessen Bedeutung für den Aufstieg maritimer Königreiche wie Srivijaya. Hinzu kommen die Transporte auf dem Landweg zu den Häfen der Levante und Ägyptens. In Anbetracht dieser weit zurückreichenden Nachfrage in Asien und Europa sowie der extrem geringen Anbauflächen auf den Molukkeninseln liegt doch die Frage auf der Hand, ob es sich bei dieser Überlieferung nicht um ein Quellenproblem handelt. Es ist durchaus denkbar, daß bereits im 14. und 15. Jahrhundert Gewürznelken als ‚cash-crop’ angebaut wurden, davon jedoch mangels europäischer Berichterstatter keine schriftlichen Überlieferungen bekannt sind. Diese Möglichkeit wird um so wahrscheinlicher, wirft man einen Blick auf die Rekonstruktion der frühen Produktions- und Exportzahlen. Im 16. Jahrhundert, als die Portugiesen die Produktion entscheidend angeregt haben sollen, wurde lediglich ein Viertel bis ein Drittel der aus Südostasien exportierten Nelken nach Europa verschifft. Bei den Abnehmern handelte es sich demnach vor allem um Asiaten einschließlich der Araber, die auch Ostafrika abgedeckt haben dürften. Diese Abnehmer hatte es mit Sicherheit bereits vorher gegeben. Wenn die Europäer tatsächlich für die Steigerung der Produktion und damit des Exportes verantwortlich gewesen wären, hätten sie auch einen entsprechend hohen Anteil an den Exporten beanspruchten, was eindeutig nicht der Fall ist. Wesentlich höher ist dieser Anteil im 17. und 18. Jahrhundert bei einem nur vorübergehendem Anstieg des Exportes in der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert. Weniger die reine Nachfrage durch europäische Handelsnationen war entscheidend, sondern deren verbesserte Zugriff auf die verfügbare Nelkenmenge, der erst durch die merkantile Innovation der Handelskompanien und deren gewaltsamen Monopolbestrebungen gegeben war. 302 Siehe auch NAGEL, Makassar, 97-111. 303 PIRES, Suma Oriental, 218/219. Der Malaiische Archipel 141 Tabelle 3.1: Ausfuhr und Produktion von Gewürznelken in Tonnen304 Anteil der EuropaimImporte nach Exporte aus Produktion in Jahrzehnt porte an den Europa Südostasien Südostasien305 Exporten aus Südostasien 1490-99 50 200 1500-09 30 170 1510-19 18 160 1520-29 62 170 36,5% 1530-39 50 200 25,0% 1540-49 65 220 29,6% 1550-59 65 220 29,6% 1560-69 70 230 1570-79 75 240 1580-89 170 260 65,4% 1590-99 140 250 56,0% 1610-19 237 300 1620-29 330 450 1630-39 300 400 1640-49 205 308 1650-59 200 1660-69 1670-79 1600-09 Anteil der Importe nach Europa an der Produktion in Südost-Asien 25,0% 17,7% 250 11,3% 7,2% 30,4% 450 31,3% 16,7% 300 460 79,0% 51,5% 460 75,0% 300 175 66,7% 114,3% 107 160 201 66,9% 53,2% 91 136 330 66,9% 27,6% 73,3% 65,2% 66,6% 1680-89 89 134 342 66,4% 26,0% 1690-99 117 176 408 66,5% 28,7% 1700-09 148 213 459 69,5% 32,2% 1710-19 215 280 340 76,8% 63,2% 1720-29 175 240 210 72,9% 83,3% Wie sicher auch immer die Schätzwerte sein mögen – drei Jahrzehnte, in denen angeblich mehr exportiert als produziert wurde, weisen doch auf größere Probleme in 304 Zahlen nach BULBECK/REID/TAN/WU, Exports, 54/55. 305 Entspricht im hier wiedergegebenen Zeitraum der Produktion auf den Molukken. 142 Raum und Menschen den Quellengrundlagen hin –, es kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß stets eine umfangreiche innerasiatische Nachfrage bestanden hat und die Europäer erst nach und nach in diesen Markt eingedrangen, weshalb sie als Auslöser einer exportorientierten Gewürzkultivierung kaum in Frage kommen. Natürlich dürften bedienten die Kompanien in späteren Jahrzehnten auch große Teile der innerasiatischen Nachfrage, doch ist dies innerhalb ihres Expansionsprozesses zu sehen. Tomé Pires’ Beschreibungen des Gewürzhandels sind deswegen nicht wertlos, bieten sie doch einen ersten Eindruck von den engeren Transportnetzwerken der Region. Lediglich drei der fünf kleinen Molukken-Inseln – Ternate, Makian und Bacan – besaßen neben der Stadt Gilolo auf Halmahera Anlegestellen, die auch für größere Handelsschiffe geeignet waren. Die molukkischen Gewürzbauern waren für den Vertrieb ihrer Produkte im wesentlichen auf diese drei Inseln angewiesen. Aus dieser Sicht kann nicht in aller Ausschließlichkeit gelten, daß die Molukker am maritimen Gewürzhandel nicht beteiligt waren, weil sie über keine Transportkapazitäten verfügten und sich ihre Seefahrt auf die geruderten Kriegsboote kora-kora beschränkte. Immerhin muß ein Küstentransport von nicht unbedeutenden Umfang zu den hochseegängigen Häfen bestanden haben, um die Gewürze der maritim weniger bevorzugten Plätze dorthin zu transportieren. Umgekehrt mußten aus teilweise nicht unbeträchtlicher Entfernung Nahrungsmittel herangeschafft werden. Auch zum Hafen von Gilolo mußten Frachtverbindungen bestanden haben, wurden doch dort die Säcke für die Verschiffung der Gewürznelken hergestellt.306 Richtig ist jedoch, daß sich in keiner Quelle ein maritimer molukkischer Gewürzhandel nachweisen läßt, der über dieses enge Kernnetzwerk hinausführte. Es fehlte den Molukkern offenbar an hochseegängigen Flotten, und es fehlte in Anbetracht der bunten außerregionalen Händlerschar auf ihren Inseln auch an der Notwendigkeit, sich an der überregionalen Schiffahrt zu beteiligen. Diese auswärtigen Händler stammten in der Regel aus dem Malaiischen Archipel oder aus China. Nachdem die Chinesen ursprünglich in Java und Sumatra Gewürze eingekauft hatten, waren sie zumindest vom späten 13. bis in das 15. Jahrhundert hinein in den nördlichen Molukken präsent. Danach war für sie Malakka, später auch Makassar bequemer zu erreichen.307 Unter den Indonesiern, die nach der Umorientierung der Chinesen bis zur Ankunft der Europäer auf den Molukken unter sich waren, dominierten nach den frühen europäischen Quellen Javaner und die 306 CIDADE/MÚRIAS, João Barros III, 259. 307 MEILINK-ROELOFSZ, Asian Trade, 13-27. Der Malaiische Archipel 143 Malaiien. Die Javaner erlebten ihren Aufstieg als bedeutende Molukkenhändler insbesondere unter der Protektion Majapahits, dessen Niedergang jedoch nicht auch den Niedergang des javanischen Handels bedeutete.308 Tomé Pires erwähnt drei Junken, die einem in Gresik ansässigen Kaufmann gehörten und jährlich die Molukken anliefen, und fügt hinzu, daß eine Reihe kleinerer javanischer Händler ebenfalls regelmäßig die Gewürzinseln besuchten.309 Die Malaiien verdankten ihre Bedeutung dem Aufstieg Malakkas zum zentralem Gewürzumschlagplatz. Aus dieser Stadt reisten auch zahlreiche Schiffe indischer Eigner, die unter dem Kommando malai-ischer nachodas standen, zu den Molukken.310 Haupthandelssphären IV: Sklaverei und Sklavenhandel Sklaven gehörten zum selbstverständlichen Erscheinungsbild fast aller indonesischen Kulturen. Ihre Haltung war im Archipel unabdingbar, da keine freie Lohnarbeit existierte und nur auf einkaufbare Sklavenarbeit zurückgegriffen werden konnte. Sklaven waren in mehrfacher Hinsicht ein zentraler Wirtschaftsfaktor: „The importance of vertical bonding in Southeast Asia was influenced by three vital factors. First, control over manpower was seen as the vital index of power and status, since labour rather than land was identified as a scarce resource. [...] Second, human transactions were generally expressed in monetary terms. Maritime commerce had for so many centuries penetrated their region that Southeast Asians appeared accustomed to thinking even of themselves as assets having a cash value. Third, there was a relatively low level of legal and financial security available from the state, so that both patrons and clients needed each other’s protection and support.“311 Prinzipiell konnte das Schicksal der Sklaverei jeden ereilen. Die in südostasiatischen Gesetzestexten anerkannten Wege in die Unfreiheit lassen sich in fünf Hauptursachen zusammenfassen. Zunächst konnten Personen bereits unfrei geboren werden, diesen Status also von ihren Eltern erben. Zum zweiten konnte man durch die Eltern, den Ehemann oder auch durch sich selbst in die Sklaverei verkauft werden. Weitere Möglichkeit waren die Kriegsgefangenschaft und die Sklaverei als gerichtlich verhängte Strafe. In diesem Zusammenhang war es auch möglich, daß die Unfähigkeit, eine Geldstrafe zu bezahlen, in die Skaverei führte. Schließlich konnte 308 Ebd., 21-23. 309 PIRES, Suma Oriental, 214. 310 Pires erwähnt, daß acht malaiische Junken, die einem indischen Kaufmann gehörten, pro Jahr die Gewürzinseln ansteuerten (ebd., 214). 311 REID, Land below the Winds, 129. 144 Raum und Menschen auch das Versäumnis, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, die persönliche Freiheit kosten.312 Die Mehrheit der indonesischen Unfreien lebte in offenen Sklavereisystemen.313 Dies gilt insbesondere für die prosperierenden Städte und einige Gegenden, in denen ein Arbeitskräftemangel herrschte. Geschlossene Sklavereisysteme herrschten in Gebieten vor, in welchen relativ statische Gesellschaften arbeitsintensive Wirtschaftsformen, vor allem Naßreisanbau, betrieben. Zwar galten Sklaven auch dort als Eigentum, doch war ein Handel mit ihnen selten. Dieser war eher in den offenen Systemen der Seestädte anzutreffen, was jedoch nicht heißt, daß dort Sklavenhaltung gezielt als Grundlage einer Handelssphäre betrieben wurde. Ursprünglich stand stets der Einsatz von Arbeitskraft im Vordergrund. In beiden Systemen konnten Sklaven Eigentum besitzen und sich freikaufen, mit Ausnahme der königlichen Sklaven, die in der Regel aus strafrechtlichen Gründen ihre Freiheit verloren hatten.314 Doch nur im offenen System konnten sie in beschränkten Umfang berufliche Karriere machen, sozialen Aufstieg erleben oder ein Teil der versklavenden Gesellschaft werden.315 Eine besondere Rolle hinsichtlich des indonesischen Sklavenhandels spielte die Insel Bali. Sie war eine der ersten, auf denen sich der Status des Sklaven von der unfreien Arbeitskraft zum Handelsgut weiterentwickelte. Nachdem um 1500 – wahrscheinlich im Zuge der Islamisierungskriege – Java der größte Sklavenexporteur war,316 wurde spätestens im 17. Jahrhundert Bali das Zentrum des kommerzialisierten Sklavenhandels. Auf Bali bestanden drei Möglichkeiten, in die Sklaverei zu geraten. Zum einen konnten Flüchtlingen, die einer Strafverfolgung oder ihrer Ehe zu entkommen suchten, als Sklaven Aufnahme finden. Zum anderen führten zahlreiche interne Kriege zur Versklavung von Kriegsgefangenen. Und schließlich konnten während eines Kriegszuges alle Einwohner eines gegnerisches Territorium versklavt werden.317 Daneben waren balinesische Frauen auf Grund ihres fehlenden Zugangs zu Landbesiz, ihrer Schutzlosigkeit in dem patrilinearen Familiensystem und ihres niederen sozialen Status, der auf den hinduistischer Einfluß zurückging, 312 Ebd., 131. 313 Ein ‚offenes System’ läßt sich definieren als „one which is acquiring labour through the capture or purchase of slaves, and gradually assimilating them into the dominant group“; ein ‚geschlossenes System’ hingegen als „one oriented primarily towards retaining the labour of slaves by reinforcing their distinctiveness from the dominant population.“ (REID, Slave Systems, 156). 314 CRAWFURD, Dictionary, 404/405. 315 Zum Charakter und Gegensatz der beiden Systeme in Südostasien siehe REID, Slave Systems, passim. 316 DERS., Land below the Winds, 133. 317 KRAAN, Bali, 322/323. Der Malaiische Archipel 145 besonders gefährdet, in Sklaverei zu geraten. Sie konnten von ihrem Ehemann verkauft werden oder wurden nach dessen Tod versklavt. Landfrauen konnten ihre Freiheit durch die Ehe mit einem Sklaven verlieren, wobei es sich häufig um erzwungene oder arrangierte Heiraten handelte.318 Die Grundlagen für die balinesische Sonderentwicklung sind einerseits in der für Indonesien einmaligen Gesellschaftsformation zu suchen, andererseits in der Überbevölkerung der relativ kleinen Insel.319 Da der kulturell, geschlechtsspezifisch und sozioökonomisch bedingte Umfang der Versklavung auf Bali in keinem Verhältnis zum dortigen Bedarf an unfreier Arbeit stand, ergab sich regelmäßig ein Surplus, das über chinesische Kaufleute exportiert wurde. 7.000 bis 8.000 balinesischen Sklaven wurden während des im 17. Jahrhundert jährlich in Java importiert. Allerdings waren bei weitem nicht alle in Bali gehandelten Sklaven Balinesen; die Insel diente zusätzlich als Entrepôt für Sklaven aus dem Osten des Malaiischen Archipels. Nach Bali die meisten Sklaven brachte Sulawesi in diesen Handel ein.320 Anders als auf dem hinduistischen Bali, dessen Sklavenexporte auf einer Sonderentwicklung beruhten, kannte Sulawesi zunächst die gleichen Grundlagen der Unfreiheit wie die meisten anderen Regionen des Archipels. Auch hier herrschten offene Sklavereisysteme vor. Die für Süd-Sulawesi bezeugten Möglichkeiten der Versklavung unterscheiden sich kaum von der allgemeinen Systematisierung solcher Ursachen für Südostasien.321 Niederländische Beobachter berichteten von einer guten Behandlung der Sklaven, die eher Familien- und Haushaltsmitglieder waren als Ausgebeutete und Geknechtete. Häufig wurde die unfreie Arbeit von pandelingen ausgeübt, also von Individuen oder ganzen Familien, die sich selbst für eine bestimmte Summe verpfändet hatten und im Gegensatz zu echten Sklaven nicht gegen ihren Willen verkauf werden konnten.322 Der Kolonialbeamte W. M. Donselaar schrieb Mitte des 19. Jahrhunderts über die Verhältnisse in Selayar und Süd-Sulawesi: 318 Ebd., 323-325; andernorts war die Hochzeit einer freien Frau mit einem Sklaven nicht zulässig: DONSELAAR, Saleijer, 297. 319 KRAAN, Bali, 328/329; BARENDSE, Kraton, 97. 320 NEEDHAM, Sumba, 6. 321 A. J. A. F. Eerdmans führt als Möglichkeiten auf: Kriegsgefangenschaft; Selbstverkauf bei Schulden; Selbstverkauf, um einer Strafe zu entgehen, der allerdings nur mit Genehmigung des Fürsten möglich war und gegen Entrichtung eines Blutgeldes durch den Käufer; unfreiwilliger Verkauf bei Schulden; Sklavenjagd, die angeblich Ende des 19. Jahrhunderts – im Gegensatz zu „früher“ – kaum noch üblich war (EERDMANS, Landschap Gowa, 43). 322 Ebd. 146 Raum und Menschen „Behalve de slavernij is op Saleijer, evenzeer als op geheel Zuidelijk Celebes het pandelingschap in algemeen gebruik. Oorspronkelijk bestaat dit onder de inlanders daarin, dat vrije menschen zich, wegens eene geldelijke schuld, in diensten stellen van hunne schuleischers. Daarbij ontvangen zij, die zich aldus verpand hebben, alleen voedsel en kleeding, terwijl van de verschuldigde som niets wordt afgeschreven, hoe lang de pandeling ook ion dienst van den schuldeischer blijve. Eerst dan verkrijgt hij zijne vrijheid terug, wanneer hij de som in haar geheel heeft voldaan. Op die wijze gebeurt het niet zelden, dat de pandeling, het zij man of vrouw, levenslang in dien dienstbaren staat blijft verkeeren, wijl hem natuurlijk veelal de gelegenheid ontbreekt, om de vereischte som te bekomen.“323 Kurz zuvor hatte J. N. Vosmaer über die Sklaverei auf der südöstlichen Halbinsel Sulawesis ähnliches berichtet: „De slavernij, of liever de dienstbarheid, is onder hen volstrek niet drukkend: de salven worden door hunne meesters als leden der familie beschouwd. Het onaangename, met beschaafde beginselen strijdige denkbeeld, hetwelk de Europeanen zich gewoonlijk van dien stand vormen, bestaat dus eigenlijk meer in de voor hen zoo aanstootelijke benaming. De hoofdzaak, het lot dier menschen, wordt onder hen niet verwaarloosd; en waarlijk, wanneer men hetzelve met dat der geringere volksklasse, zelfs onder de beschaafdste volken vergelijkt, is dat van de zoogenaamde slaven, misschien oneindig dragelijker dan dat der laatsten.“324 Ein Teil der einheimischen Sklaven Sulawesis wurde, gerade in Zeiten steigender Nachfrage, sicherlich auch weiterveräußert. Die insgesamt aus Sulawesi exportierten Sklaven hatten jedoch ein breiteres Herkunftsspektrum. Neben Torajas und andere Einheimischen aus dem Landesinneren stammten sie aus Seram, aus dem SuluArchipel, von Banda und den südwestlich und südöstlich davon gelegenen Insel oder aus Neuguinea.325 Vielfach waren sie Opfer von Sklavenzügen, die insbesondere in das Landesinnere von Sulawesi führten.326 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts konnte sich mit Sulu sogar ein mächtiger Staat auf ganz der Grundlage des Sklavenhandels entwickeln. Die für eine solche Expansion des Sklavenhandels notwendige Nachfrage ging zum einen von den prosperierenden Hafenstädten aus. Dort wurde das Gros der notwendigen unfreien Arbeit durch Kriegsgefangenschaft oder durch Sklavenhandel rekrutiert.327 Von den Städten ging die Weiterentwicklung der auf persönlichen Beziehungen aufbauenden südostasiatischen Sklavereisystemen hin zu einem System des Sklavenhandels aus, da „Merchants from diverse backgrounds needed legal safeguards for their slaves as property, in a way that was unnecessary in either the closed slave systems relying on shared cultural assumptions or in the agrarian autocraties. The constant influx of new captives and imports created a market situation 323 324 325 326 327 DONSELAAR, Saleijer, 299. VOSMAER, Schiereiland, 98. NEEDHAM, Sumba, 6/7. Siehe hierzu v.a. BIGALKE, Dynamics, passim. REID, Land below the Winds, 133. Der Malaiische Archipel 147 which needed to be regulated. Moreover, many members of the slave-owning merchant class had strong roots in the Islamic world, which had a clear body of law on slaves as property.“ 328 Ein weiterer Faktor der im 17. und 18. Jahrhundert steigenden Nachfrage war europäischen Ursprungs. Im Archipel war es vor allem die VOC, die einen neuen Bedarf an unfreier Arbeit einführte. Schon Jan Pietersz. Coen forderte im Zuge seiner Kolonisierungspläne den Einsatz zahlreicher Sklaven.329 Nicht nur auf dem Papier der unverwirklichten Ansiedlungspläne, auch in ihrem alltäglichen Leben hatte die VOC Bedarf an Sklavenarbeit. Der Aufbau und Betrieb des VOC-Systems beruhte nicht zuletzt auf unfreier Arbeit. Ob die VOC den Sklavenhandel über den Umfang des partiell schon vorhandenen kommerziellen Sklavenhandels hinaus tatsächlich stimulierte, wie in der Forschung immer wieder angenommen wird, bedarf allerdings noch eingehender Überprüfungen.330 Die konkrete Abwicklung des Handels überließ die Kompanie in der Regel den Privatiers. Der Sklavenhandel gehörte nicht zu den Handelssphären, welche die VOC zu monopolisieren versuchte.331 Indonesien im asiatischen Wirtschaftssystem vor 1500 Ein wesentliches Charakteristikum des Malaiischen Archipels vor 1500 war seine geographische Lage am Schnittpunkt großer Handelsrouten und Warenströme auf der zweiten Ebene und die daraus resultierende Situation, Ziel einer Vielzahl von Fremden zu sein. Daraus entwickelte sich zumindest an den Küsten eine Kultur, die bei aller Ausdifferenzierung Multiethnizität und Kommerz als Selbstverständlichkeit ansah. Kaufleute aus China, Indien, aus Arabien und Persien hatten die Grundlagen hierfür gelegt, noch lange bevor der erste Europäer sich in die Inselwelt Nusantaras traute. Die ersten Neuankömmlinge nach den vorgeschichtlichen austronesischen Wanderungen waren die Chinesen. Sie kamen spätestens im ersten Jahrhundert, als der Seeweg zwischen China und Indien, der durch das Nadelör der Straße von Malakka führte, zur gängigen Handelsroute wurde. Auch wenn die Politik der chinesischen Kaiser das Mutterland in unregelmäßigen Abständen öffnete und wieder isolierte, blieben die Chinesen im Malaiischen Archipel stets präsent. Nach ihnen, vielleicht 328 329 330 331 Ebd., 134. BARENDSE, Kraton, 97. KRAAN, Bali, 329. Ebd., 330. 148 Raum und Menschen in ihren Anfängen sogar parallel, kamen die Inder nach Indonesien, wo sie zunächst eine mindestens ebenso starke Position einnahmen. Kulturell waren sie sogar deutlich einflußreicher als die Chinesen. Spätestens im 8. Jahrhundert folgten ihnen arabische und persische Kaufleute und Seefahrer.332 Zusammen mit den Indern brachten sie eine weitere Welle der kulturellen Beeinflußung mit, den Islam. Kultureller und wirtschaftlicher Einfluß waren nur die eine Seite der Medaille. Die in spezialisierten Gruppen zugewanderten Nationen wiesen auch eine große Fähigkeit auf, sich in die Welt des Malaiischen Archipels zu integrieren. Die pernakang-Chinesen ließen sich auf Dauer nieder und wurden Muslime, und auch arabische Gruppen wie die Hadrami aus dem Jemen blieben für immer.333 Darüber hinaus wurden chinesische und arabische Seeleute zu den besten Kennern der nicht ungefährlichen Gewässer des westlichen Archipels.334 Mit der Etablierung der Europäer zeigte sich, daß die Chinesen unter diesen Gruppen einen Ausnahmefall darstellten. Im Gegensatz zu ihren islamischen Konkurrenten stieg ihre Bedeutung sogar an, da sie als Puffer gegen Schwankungen auf dem Pfeffermarkt, als Anbieter begehrter chinesischer Waren und Schlüssel zu den chinesischen Märkten und schließlich als Kapitalgeber wichtige Funktionen für die Niederländer erfüllten.335 Wirtschaftlich wurde der Malaiische Archipel früh in die größeren ökonomischen Zusammenhänge integriert. Er verdankte dies seiner geographischen Lage, deren Zerissenheit und Ostausdehnung nur auf den ersten Blick einen peripheren Eindruck vermittelt, und einem beträchtlichen wirtschaftlichen Eigenbeitrag. Allerdings wurde der Archipel, stützt man sich auf den aktuellen Forschungsstand, nicht als geschlossene Einheit integriert. Nicht nur die prägenden Hafenstädte konzentrierten sich auf den Westen des Inselreiches, sondern auch die Mehrheit der auswärtigen Kaufleute, welche die Dynamik in den Integrationsprozeß brachten. Die starken inneren Verflechtungen des Archipels, die zweifelsohne in vielen Handelssphären vorhanden waren, hatten nicht automatisch Auswirkungen auf die Strukturen, die sich durch das Zusammenwachsen des kommerziellen Asiens im Südosten des Kontinents entwickelten. 332 333 334 335 MEGLIO, Arab Trade, 105/106. Grundlegend hierzu SERJEANT, Hadrami Network. Grundlegend hierzu MILLS, Chinese Navigators; DERS., Navigators. BARENDSE, Kraton, 100/101. II. Die Europäer in Asien 1. Das portugiesische Jahrhundert Die Reise des Vasco da Gama, die am 20. Mai 1498 im indischen Kalikut endete,336 läutete die zweite Phase der portugiesischen Expansion ein.337 Den schrittweisen Erkundungen neuer Seewege und Landeplätze folgte ein Zeitalter der Eroberungen und der Etablierung portugiesischer Interessen in Asien, das nicht mehr vom Pioniergeist eines Prinzen Heinrich, sondern dem bedenkenlosen Vorgehen von Männern wie Vasco da Gama oder Alfonso d’Albuquerque geprägt wurde. Bereits die zweite portugiesische Expedition nach Kalikut, die unter dem Kommando von Pedro Alvares Cabral stand, verstrickte sich dort in bewaffnete Auseinandersetzungen, die da Gama auf seiner zweiten Indienreise mit gezielten Terroraktionen fortsetzte.338 1509 schlug Francisco de Almeida, der erste Vizekönig Portugals in Indien, die Flotten Ägyptens und Gujarats vor Diu, und 1510 erobert sein Nachfolger Alfonso d’Albuquerque die bedeutende Hafenstadt Goa.339 Portugal hatte sich gewaltsam mehrere Brückenköpfe auf dem indischen Subkontinent gesichert, die ihnen den Zugriff auf indische Textilien und auch auf Gewürzmärkte ermöglichten. Dieser Zugang zu den Gewürzen der Molukken war jedoch weder der preisgünstige, noch war er exklusiv. Hierfür bedurfte es der eigenen Präsenz unmittelbar auf den Molukken oder der Kontrolle über die Stadt, über deren Hafen beinahe der gesamte Gewürzhandel abgewickelt wurde. Entsprechend richtete sich das portugiesische Augenmerk schnell auf das Emporium Malakka. Mit einer Flotte aus 17 oder 18 Schiffen, darunter drei schwere Galeeren, mit insgesamt 1.200 Mann Besatzung eroberte Alfonso d’Albuquerque am 24. oder 25. August 1511 die malaiische Hafenstadt. Bedingt durch die starke Befestigung Malakkas, 336 Siehe zu dieser Reise neben den üblichen Handbuchpassagen ROTHERMUND, Vasco da Gama, insbes. 200-205, und DIFFIE/WINIUS, Portuguese Empire, 175-186. 337 Eine allgemeine Einführung zur Vorgeschichte ist an dieser Stelle nicht möglich. Zu den Ursachen der Europäischen Expansion siehe SCHMITT, Europäische Expansion; für eine kritische Würdigung der Motive der portugiesischen Expansion im 15. und 16. Jahrhundert siehe LEHNERS, Anfänge, 175-183; zur Ereignisgeschichte der portugiesischen Expansion bis zur Eroberung Malakkas siehe u.a. MATTHÉE, Christen, 194-202; DIFFIE/WINIUS, Foundations, 57-112; BOXER, Portuguese Seaborne Empire, 15-38. 338 ROTHERMUND, Vasco da Gama, 205-207. 339 DIFFIE/WINIUS, Portuguese Empire, 220-254. 150 Raum und Menschen die zahlreichen Kanonen, die malakkischen Heerestärke und die javanischen, türkischen und persischen Söldnern sowie eine gujaratischen Flotte, die Sultan Mahmud unterstützten, war der Einnahme eine mehrwöchige Belagerung vorangegangen. Unmittelbar nach der Eroberung gingen die Portugiesen an den Neuaufbau, der eine großen Festungsanlage zur Kontrolle von Stadt, Hafen und Seeweg und ein neues Stadtzentrum für portugiesische Ansiedler umfaßte. Muslimische Händlermußten die Stadt verlassen; hinduistische Händler nahmen ihre Rolle ein und wurden zur mächtigsten lokalen Handelsdiaspora.340 Das wichtigste Ziel der Portugiesen war die Wiederbelebung und Förderung ihres Handels. Unter dieser Vorgabe wurden große Teile der vorkolonialen Verwaltung in die portugiesische Administration übernommen und alle Privathändler ihren Kontrollen unterworfen.341 Mit Malakka war der wichtigste Handelsplatz für Gewürze in die Hand der Portugiesen gefallen. Diese verfolgten aber weiterhin das Ziel, die Hand an die Produktionsgebiete selbst zu legen. Bereits im Dezember 1511 und im Januar 1512 erreichten erste portugiesische Expeditionen Banda und Ambon. 1522 errichteten die Portugiesen auf Ternate ein Fort, das sich erfolgreich gegen die Ansprüche Spaniens zur Wehr setzten. 1525 erhielten sie auf Ambon, an der Küste der Landschaft Hittu, die Erlaubnis zur Errichtung einer Faktorei; 1547 folgte der erste Jesuitenmissionar. Auf Banda hingegen konnten die Portugiesen neben Handelsfahrten keine dauerhafte Präsenz etablieren.342 Mit der Eroberung Cochins (1502), Sokotras am Eingang zum Roten Meer (1506), Goas (1510), Malakkas (1511) und Hormuz (1515) sowie der Präsenz auf mehreren Molukkeninseln, sahen sich die Portugiesen in der Lage, das Monopol auf die Seewege, die ihre Besitzungen in Asien im weitesten Sinne passierten, zu beanspruchen. Dies fand seinen Ausdruck in einem Paßsystem (cartaz-System), das formal ein System der Erteilung von Schutzbriefen darstellte. Jeder Privatier hatte einen vom Estado da India ausgestellten Paß zu erstehen, der das Befahren der Strecke gestattete. Unter Androhung bewaffneter Gewalt wurden die Schiffe zum Ansteuern der portugiesisch kontrollierten Häfen und zur Kontrolle von Paß und Ladung gezwungen.343 Sowohl als System des umfassenden Kontrollanspruchs eines Einzelstaates wie auch als ein System der Protektionsdienste stellten die cartazes eine Neue340 THOMAZ, Communities, 60-65. 341 DESAI, Administration, insbes. 503-507. 342 ABDURACHMAN, Responses, 170-185; KEUNING, Ambonnezen, 135-145; VILLIERS, Tomando tributo, passim; SILVA, Trade in Cloves, 252-257. 343 Zum System der cartazes siehe MATHEW, Trade, 74-78. Dieses System stellte auch das Vorbild für die Vorgehensweise der Niederländer im Einflußbereich ihrer Ostindien-Kompanie dar. Die Europäer 151 rung in Asien dar.344 Die Einnahmen aus Zöllen und cartaz-Erteilung wurde zu einer wichtigen Einnahmequelle des Estado da India, die bald alle Einkünfte durch den Handel übertraf. Der Bedeutungsverlust des Handels ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß der Zugriff auf die molukkischen Gewürze letztendlich scheiterte. Die Warenzusammensetzung der Rückfahrten nach Portugal belegen eine Konzentation auf den Pfeffer. Die molukkischen Gewürzen hingegen blieben bis zu Jahrhundertwende stets unter einem Anteil von 10%. Danach verloren sie unter den portugiesischen Asienimporten auf Grund der niederländischen Aktivitäten jegliche Bedeutung.345 Der Estado da India, der portugiesische Staat in Asien, drohte zur peripheren Erscheinung innerhalb Asiens zu werden und seine Rolle als Repräsentant portugiesischer Macht in Übersee sowie als Versorger der Heimat mit Luxusgütern zu verlieren. Es war ihm nicht gelungen, über seine Besitztümer, insbesondere Malakka, die Ströme des Gewürzhandels im eigenen Sinne umzuleiten. Der wirtschaftliche wie politische Niedergang des Estado da India war kein schlagartiger Zusammenbruch, sondern gestaltete sich als schleichender Übergang zu einem losen Verbund von Landsleuten in der Fremde, die wirtschaftlich ihre eigenen Wege gingen. Die fehlenden Mittel der kaufmännischen Eliten, die nach 1570 mehr und mehr die Führung des Estado aus der Hand der portugiesischen Nobilität übernahmen, und ihr mangelndes politisches Interesse schwächten ihn im Angesicht des niederländischen Ansturms zusätzlich. Weitere systeminterne Faktoren des Niedergangs wurden und werden vielfach diskutiert, ohne daß völlige Einigkeit bestünde.346 Sie umfassen die „gegen Ende des 16. Jahrhunderts immer größer werdenden Verlustquoten auf See, bedingt durch maßlose Überladung der Karracken, durch nachlässige Wartung der Schiffe, durch Nichtbeachtung von Wind- und Strömungsverhältnissen, eine oft sehr ineffiziente Verwaltung, der Mangel an Menschen und Material, die Einführung der cartaz-Scheine, welche aus aktiven Händlern häufig passive ‚Kassierer’ machte, eine stellenweise verfehlte Investitionspolitik, die schwierige Kommunikation zwischen den einzelnen Gliedern des Estado.“347 Offiziell blieb der Estado da India bis in das 19. Jahrhundert bestehen. Als die Summe von Diasporagemeinden in Süd-, Südost- und Ostasien, die sich auf portugiesische kulturelle Wurzeln beriefen, legte er eine erstaunliche Langlebigkeit an 344 345 346 347 PTAK, Seefahrtssystem, 97/98. STEENSGAARD, Return Cargoes, 22. Sehr kritisch bewertet aus ökonometrischer Perspektive die gängigen Argumente DUNN, Pfeffer, 29-36. PTAK, Seefahrtssystem, 99. 152 Raum und Menschen den Tag. Die Blüte des 16. Jahrhunderts konnte er freilich nie wieder erreichen. Durch die übermächtige europäische Konkurrenz wurde er auf seine letzten Bastionen Goa, Makau und Ost-Timor zurückgedrängt. Auch dort setzte im Verlauf des 17. Jahrhunderts der ökonomische Niedergang ein.348 In der Realität bestand der Estado da India nach seiner Blütezeit aus einer Vielzahl privater Händler, die sich den asiatischen Gegebenheiten anpaßten und in ihren Organisationsformen kaum mehr von ihnen zu unterscheiden waren.349 Die eigentlichen wirtschaftlichen Erben des feudalstaatlich organisierten Asienhandels waren die portugiesischen oder lusoasiatischen Freihändler, die noch lange nach dem Ende des Estado da India in den meisten Regionen des maritimen Asiens anzutreffen waren. 2. Das Zeitalter der Handelskompanien Letztendlich ist eine Diskussion, die nur einzelne Untergangsfaktoren des Estado da India bewertet, müßig. Jede angeführte Einzelbeobachtung hat durchaus ihre Berechtigung; in der Summe trugen sie zu einer spezifischen Situation des Estado in dem Moment bei, in welchem er sich einer neuen, westeuropäischen Herausforderung gegenüber sah. Im Gegensatz zur asiatischen Konkurrenz waren Engländer und Niederländer darauf aus, die Portugiesen aus ihren Positionen zu verdrängen. Dieser Form von Konkurrenzkampf war der Estado da India in seiner spezifischen Situation, bedingt durch die zahlreichen Einzelfaktoren, nicht gewachsen. Weder ökonomisch, noch nautisch, noch machtpolitisch konnte er mit der VOC und der EIC mithalten. Langfristiger wirksam und damit noch wesentlicher als die aggressive Vorgehensweise gegen die Portugiesen war, wie Niels Steensgaard herausgestellt hat, die institutionelle Innovation, welche die Kompanien darstellten.350 Der dabei postulierte quasi-monopolistische Zugang zu den asiatischen Märkten ist noch weiteren Prüfungen zu unterziehen, ebenso die Bedeutung der administrativen Macht der Kompanien in Steensgaards Schlußfolgerung „their historical significance was the unique combination of the time perspectives of power with the time perspecti348 Siehe zu Makau PTAK, Macau und Japan, 192/193, DERS., Wandel, insbes. 77/78; zu Goa DISNEY, Twilight, insbes. 50-70. 349 Siehe zu diesen Entwicklungen SOUZA, Survival, 213-225 und passim. 350 STEENSGAARD, Asian Trade Revolution, insbes. 151-153; DERS., Companies, insbes. 251-264; DERS., East India Company, passim. Zur Vorgehensweise gegen den Estado da India siehe BLUSSÉ/WINIUS, Origin. Die Europäer 153 ves of profit, in other words in the balance between the forces of the market and the power of government.“351 Unbestritten ist jedoch, daß der interpretatorische Ansatz der institutionellen Innovation treffend die Wesenselemente der privilegierten Kompanien beschreibt, insbesondere im Gegensatz zum Estado da India.352 Vor allem der verbesserten Kostensituation, der Risikominimierung und der Überwindung singulärer Handelsunternehmungen zugunsten einer permanenten Unternehmensform hatte der Estado da India nichts gleichwertiges entgegenzusetzen, zumal ihm auf Grund der angedeuteten inneren Situation zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Innovationskraft fehlte. Es waren also vornehmlich wirtschaftliche Gründe, angesiedelt in einem neuen Konkurrenzverhältnis, die zum Niedergang der portugiesischen Staatsmacht in Asien führte. Aus Sicht der westeuropäischen Kompanien war der Kampf gegen den Estado da India das geringere Problem. Als weitaus intensiver sollte sich der Konkurrenzkampf der beiden großen Ostindien-Kompanien untereinander erweisen. Die EIC wurde 1600 gegründet, die VOC folgte mit dem Gründungsjahr 1602 nur kurz danach. Mit Indien und Ceylon, dem Malaiischen Archipel und später auch China hatten beide Kompanien wesentliche Stoßrichtungen in Asien gemein. Gleiches gilt für den Kern ihrer Existenz: den eigenen Zugang zu den asiatischen Luxusgütern, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch im wesentlichen aus Gewürzen bestanden und aus englischer oder niederländischer Sicht in Europa nur den Monopolinhaber, der nun Portugal statt Venedig hieß, gewechselt hatten, ohne daß sich für die anderen Handelsnationen die Marktsituation verbessert hätte. Es ist also kein Zufall, daß es bei der Expansion in Asien zu ständigen Auseinandersetzungen zwischen den Rivalen kam.353 Da beide Seiten mit militärischer Souveränität ausgestattet waren, standen kriegerische Auseinandersetzungen insbesondere in der Anfangsphase auf der Tagesordnung. Engländer und Niederländer erreichten zeitgleich die nördlichen Molukken. Es gelang jedoch nur der VOC, mittels militärischer Präsenz die Konkurrenz fernzuhalten und sich dort dauerhaft festzusetzen. Von den ursprünglichen Niederlassungen der EIC im Malaiischen Archipel blieb Ende des 17. Jahrhunderts nur Bengkulu auf Sumatra übrig. Die Faktorei in Batavia war 1624 freiwillig geräumt worden; die Niederlassungen in Makassar und Banten mußten mit der jeweiligen Eroberung durch die VOC verlassen werden. Die VOC hatte sich vorläufig als einzige europäische Macht im Archipel etab351 STEENSGAARD, Companies, 264. 352 Einen interessanten Vergleich der beiden führenden Kompanien bietet NEAL, Companies. 353 Das grundlegende Standardwerk zur Rivalität der Kompanien ist nach wie vor FURBER, Rival Empires. 154 Raum und Menschen liert. Die EIC trat nur noch mit gelegentlichen Expeditionen und der einen oder anderen sehr kurzlebigen Faktoreigründung wie in Banjarmasin in Erscheinung. Die Verdrängung der Engländer aus dem Malaiischen Archipel bedeutete für die VOC noch nicht den alleinigen, ungehinderten Zugang zu den Gewürzmärkten. Der einheimische Freihandel und seine Umschlagplätze beeinträchtigten diesen sogar noch weitaus mehr und forderten zusätzliche Maßnahmen der VOC heraus. Auch als portugiesische Kolonialstadt war Malakka ein erfolgreiches Emporium im Handel mit Pfeffer, molukkischen Gewürzen, Textilien und anderen Produkten des Malaiischen Archipels und Chinas geblieben.354 Um diese Funktion nicht dem portugiesischen Rivalen überlassen zu müssen, begann die VOC nach den ersten beiden Etablierungsjahrzehnten mit Blockaden der Stadt, die jedoch nicht zum erwünschten Erfolg führten. 1640 begann der Eroberungsfeldzug, der nach mehrmonatiger Belagerung und einem Verlust von annähernd 1.000 Menschenleben für die Niederländer und ihre malaiischen Verbündeten schließlich zum Erfolg führte.355 Der Estado da India war im Malaiischen Archipel marginalisiert. Malakka verlor nach der gängigen Forschungsmeinung unter niederländischer Herrschaft seine wirtschaftliche Bedeutung, da sich die VOC nicht zwischen Förderung des Emporiums und Unterdrückung der einheimischen Handelsfreiheiten entscheiden konnte.356 Viele Handelswege wurden nun nach Batavia umgeleitet. Diesem Ziel diente auch das 1654 erlassene Verbot für chinesische Schiffe, den Hafen von Malakka anzulaufen.357 Zugleich wurde der Versuch unternommen, den aus dem Westen kommenden Privathandel an der „Barriere Malakka“ aufzuhalten. Für Fahrten aus Indien oder dem südostasiatischen Festland wurden nur noch Pässe bis Malakka ausgestellt. Da dieses Vorgehen auch darauf abzielte, indische Händler zu schwächen, die auf der Malaiischen Halbinsel eine starke Stellung behaupteten, fand die VOC unter vielen regionalen Fürsten sogar Zustimmung und Unterstützung.358 354 Siehe zur Handelssituation im portugiesischen Malakka u.a. SUBRAHMANYAM, Commerce, passim; VILLIERS, Portuguese Malacca, 41-47, 52, 57. 355 LEWIS, Jan Compagnie, 15. 356 ARASARATNAM, Some Notes, 481/482 und passim. Eine Untersuchung der privaten Handelsstrukturen Malakkas unter VOC-Herrschaft, vergleichbar der vorliegenden Studie zu Makassar, steht noch aus. 357 LEWIS, Jan Compagnie, 17/18. 358 Ebd., 19/20. III. Die VOC 1. Die Struktur eines Handelsunternehmens Ein Direktor der Amsterdamer Kammer der VOC bemerkte im Jahr 1684, daß es „ein allgemeines und in gewissem Sinne wahres Wort [ist], daß die Niederländische Ostindische Kompanie nicht nur eine Handelsgesellschaft, sondern auch eine Kompanie der Herrschaftsausübung ist.“359 Daraus erwuchs die beliebte Sichtweise, die VOC als Kolonialmacht zu beschreiben. Eine Rückbesinnung auf den Ausgangspunkt und das vorrangige Ziel ist jedoch unbedingt notwendig, insbesondere dann, wenn man die Herrschaftsausübung der Kompanie eingehender überprüft. Die VOC wurde zuallererst zum Zwecke des Handels gegründet. In Asien betrieb sie in erster Linie Handel, und alle anderen Aktivitäten, die sicherlich mit der Erlangung und Ausübung von Herrschaft im engen Zusammenhang standen, waren dem Ziel untergeordnet, einen möglichst gewinnreichen Kommerz zu etablieren. Die niederländischen Bemühungen, einen eigenständigen Handelskontakt zu den Herkunftsregionen von Pfeffer und anderen Gewürzen herzustellen, wurde zunächst in einer Reihe Einzelunternehmen organisiert, den sogenannten ‚Vorkompanien’.360 Erst auf Druck des Prinzen Mauritz von Oranjen und seines Kanzlers Johan van Oldenbarnevelt beendeten die beteiligten Kaufleute ihren Konkurrenzkampf und schloßen sich 1602 zur Vereinigten Ostindischen Kompanie zusammen, die umfassende Privilegien erhielt. Sie war nicht nur die einzige niederländische Organisation, die in Asien wirtschaftlich tätig werden durfte, sondern verfügte dort auch über weitreichende Souveränitätsrechte, die es ihr ermöglichte, eigene Armeen aufzustellen, Kriege zu führen und gleich einem souveränen Herrscher Diplomatie zu betreiben sowie völkerrechtlich bindende Verträge abzuschließen. Dem portugiesischen System wurde mit dem Typ der ‚joint-stock-company’, der hier seine Geburtsstunde erlebte, ein neuer und durchsetzungsstarker Ansatz entgegengestellt. In den Niederlanden betrug die Ursprungseinlage 6.424.588 Gulden. Vermögende Kaufleute konnten Anteile an dem neuen Unternehmen erwerben, die 359 Coenraad van Beuningen, zitiert nach GAASTRA, Compagnie, 20. 360 Zu den Vorkompanien siehe ausführlich, allerdings etwas veraltet TEPSTRA, Voorcompagnien; darüber hinaus GAASTRA, Compagnie, 5-7, HAAN, Moedernegotie, 79-88, BRUIJN/GAASTRA/SCHÖFFER, Dutch-Asiatic Shipping I, 1-6. 156 Raum und Menschen ihnen regelmäßige Dividenden versprachen und zugleich als handelbare Geldanlage dienten. Abgesehen von einer kleinen Anpassung im Jahr 1693, durch die sich die Gesamteinlagen um knapp 20.000 Gulden erhöhten, blieb dieses Stammkapital die gesamte Zeit über konstant. Die Anleger stammten in erster Linie aus Holland und Seeland. Die Beteiligung anderer Provinzen mit eigenen Kammern war eher innenpolitischen Gründen geschuldet als Fragen der Finanzierung. Trotz ihres vordergründig föderalen Aufbaus war die VOC ein relativ zentralistisch organisiertes Unternehmen. Nicht zuletzt bedingt durch die Verteilung der beteiligten finanzkräftigen Kaufleute wurde die Kammer Amsterdam zum Zentrum der Kompanie. Von den insgesamt sechs Kammern – neben Amsterdam noch Seeland mit Sitz in Middelburg, Rotterdam, Delft, Hoorn und Enkhuizen – hatte sie den größten Anteil am Kapital erbracht und stellte entsprechend die größte Mitgliederzahl in den beiden Führungsgremien. Im obersten Gremium, den Heren XVII, wurde nur durch die Regelung, einen zusätzlichen Direktorenposten zwischen den anderen Kammern rotieren zu lassen, eine Stimmenmehrheit gegen die Kammer Amsterdam erreicht. Der Vorsitz wechselte jedoch stets zwischen Amsterdam und Seeland. Diese beiden Kammern hatten in vielerlei Hinsicht den größten Einfluß und waren im Falle ihrer Einigkeit in keinem Gremium der Kompanie zu überstimmen. Amsterdam war Sitz dieser Leitungsgremien, die in der Ansprache von außen nicht selten mit der Kammer gleichgesetzt wurden. Der 17köpfige Vorstand der Kompanie hatte die Aufgaben, die Größenordnung von Schiffen, Mannschaften und Gütermengen der jährlich nach Asien segelnden Flotten zu bestimmen. Grundlage war die regelmäßige Anforderungsliste (Generale Eis van Indië) der asiatischen Kompanieleitung in Batavia. In diesem Zusammenhang waren die Gold- und Silbermengen festzulegen, die für den Warenankauf in Asien vorrangig waren. Zugleich stellten die Heren XVII ihrerseits eine Anforderungsliste auf, welche ihren Vertretern in Asien eine Vorgabe für die einzukaufenden Waren lieferte. Schließlich war der Vorstand für die Vorgaben zu den Warenversteigerungen zuständig, die sich an die glückliche Ankunft der Retourflotte anschlossen..361 Die einzelnen Kammern waren unterhalb dieser Leitungsgremien angesiedelt und hatten vor allem die Aufgabe, deren Bechlüsse umzusetzen. Ihnen wurden nach einem festen Schlüssel sowohl die Ausrüstung und Zusammenstellung der regelmäßigen Flotten nach Asien als auch der konkrete Verkauf der asiatischen Waren auf Versteigerungen in ihren Hauptorten übertragen. Die Kammern unterhielten die 361 GAASTRA, Compagnie, 57/58; BRUIJN/Gaastra/SCHÖFFER, Dutch-Asiatic Shipping I, 11-19. Die VOC 157 notwendigen Kontore, Lagerhäuser und Werfteinrichtungen und waren in ihren Städten bedeutende Arbeitgeber.362 Noch zentralistischer war die Situation in Asien. Seit 1619 verfügte die VOC mit Batavia über eine Zentrale; lediglich die VOC-Niederlassungen auf Ceylon blieben unabhängig.363 Alle anderen Gouverneure in Indien, auf der arabischen Halbinsel und am Persischen Golf, im Malaiischen Archipel sowie auf Taiwan und in Japan waren dem Generalgouverneur in Batavia und dem ‚Rat von Indien’ als Direktorenkollegium für den asiatischen Bereich unterstellt. Batavia war neben seiner Rolle als politisches Zentrum der Kompanie auch der wichtigste Sammelplatz für die Retourflotte, die einmal jährlich, im 18. Jahrhundert auch zweimal jährlich den Warenrücktransport nach Europa sicherstellte. Generalgouverneur und Indienrat unterstanden offiziell den Heren XVII, hatten deren Anordnungen zu folgen und waren ihnen Rechenschaft schuldig.364 In der Realität ermöglichte ihnen jedoch die Entfernung zwischen Amsterdam und Batavia eine weitgehende Selbständigkeit. Auch im kleineren Maßstab waren solche Bedingungen nicht ohne Bedeutung. Die nur langsam zu überbrückenden Entfernungen und die mangelnden Ortskenntnisse in Batavia versetzten die untergeordneten Niederlassungen in eine weitgehend eigenverantwortliche Position. Die Hierarchie der Niederlassungen spiegelte sich in der Bezeichnung ihrer Leiter. Die wichtigsten, die auch über gewisse Territorien und Untertanenverbände zu bestimmen hatten, wurden von Gouverneuren geleitet (Makassar, Ambon, Banda, Ternate, Koromandelküste, Ceylon, Malakka, Kapkolonie, javanische Küste). Darunter fanden sich Niederlassungen von einiger wirtschaftlicher Bedeutung, die von einem Direktor geleitet wurden (Bengalen, Surat, Persien). Eher militärisch ausgerichtet waren Niederlassungen unter einem Kommandeur (Malabarküste, Padang, Banten). Ziviler, aber auch deutlich tiefer in der Hierarchie angesiedelt fanden sich Residenten (Cirebon, Palembang, Banjarmasin) und opperhoofds (Japan, Timor).365 Diese Vorsteher einer regionalen Niederlassung regierten ihren Bereich zusammen mit dem ‚Politischen Rat’, der sich aus den höchsten zivilen und militärischen Funktionsträgern vor Ort zusammensetzte. Die Funktionsweise der Leitungsebene war in den Außenstellen vergleichbar mit der Organisation in Batavia. Dem Gouverneur folgte in der Rangordnung zumeist ein Oberkaufmann, der ihm im zivilen 362 363 364 365 GAASRTA, Compagnie, 60/61; BRUIJN/GAASTRA/SCHÖFFER, Dutch-Asiatic Shipping I, 19-21. GAASTRA, Compagnie, 18/19. Zum Leitungsgremium in Batavia siehe BRUIJN/GAASTRA/SCHÖFFER, Dutch-Asiatic Shipping I, 119-121. GAASTRA, Compagnie, 26; BRUIJN/GAASTRA/SCHÖFFER, Dutch-Asiatic Shipping I, 121/122. 158 Raum und Menschen Bereich vertrat, und der Fiskaal, der die oberste Ordnungsmacht repräsentierte, indem er Funktionen des Richters, Staatsanwaltes, Polizeichefs und Innenrevisors in einer Person vereinte. In einigen asiatischen Niederlassungen wurde zwischen 1698 und 1719 der Versuch unternommen, das Amt eines unabhängigen Fiskaals einzurichten. Dadurch sollte eine bessere Kontrolle der Niederlassung ermöglicht werden. Der Versuch scheiterte jedoch nach zwei Jahrzehnten, weil statt unabhängiger Kontrolle eine Verselbständigung der Amtsinhaber zu beobachten war.366 Nur wenige Niederlassungen waren unumschränkte Herrscher in ihrem Bereich. Im Malaiischen Archipel traf dies allenfalls auf Banda zu, nachdem die Herrschaft auf den Inseln von der Kompanie durch Genozid übernommen worden war.367 Mehrheitlich stieß die freie Entfaltung eines Gouverneurs auf einheimische Souveräne, mit denen Verträge bestanden, die den Aktivitäten der verantwortlichen Niederländer weitaus engere Grenzen setzte, als dies der Generalgouverneur in Batavia gemeinhin tat. 2. Die wirtschaftliche Entwicklung Gewürze, Tee, Kaffee – die Entwicklung des Imports Pfeffer und hochwertige Gewürze waren vor der Industrialisierung in Europa durchgehend Luxusgüter. Im 16. Jahrhundert sorgten hierfür vor allem die hohen Preise, im 17. und 18. Jahrhundert die gesunkenen Realeinkommen. Im 18. Jahrhundert ging in den bessergestellten Kreisen die Verwendung hochwertiger Gewürze offenbar zurück, woraus jedoch noch nicht auf die Verbrauchsgewohnheiten der niedrigeren Schichten geschlossen werden kann. Insgesamt kann von einem wesentlichen Rückgang des Gewürzverbrauches im 18. Jahrhundert im Vergleich zum 16. Jahrhundert nicht die Rede sein.368 Der Rückgang des Gewürzanteils an den Importen der VOC hatte seine Ursache in der rapiden Bedeutungszunahme von Plantagenprodukten. Während der Zucker, der auf Java Grundstein einer blühenden Wirtschaft wurde, im wesentlichen in Asien selbst, insbesondere in Persien, abgesetzt wurde, standen bei den Importen nach 366 Siehe hierzu vor allem GAASTRA, Independent Fiscaals, passim. 367 BECK, Monopol, 78/79; LADEMACHER, Gewürze, 280-282. 368 MAURUSCHAT, Gewürze, 160-162, 173-177. Die VOC 159 Europa Tee und Kaffee an der Spitze. Kaffee wurde zunächst über Mocha aus dem Jemen importiert. Ende des 17. Jahrhunderts waren es Mengen zwischen 300.000 und 400.000 Pfund im Jahr. Steigende Kosten in Mocha veranlaßten die VOC, ab 1707 die einheimische Kultivierung auf Java zu forcieren. Zehn Jahre später legte sie eigene Plantagen auf Ambon und Ceylon an. In der Folge erreichte der Kaffeeimport nach Europa 1,5 Millionen Pfund im Jahr.369 Der Tee, den die VOC handelte, stammte vorrangig aus China. Zunächst kaufte ihn die Kompanie vor allem in Batavia, wohin er von chinesischen Junken gebracht wurde. Die vorsichtige Öffnungspolitik der Mandschu-Dynastie ließ den direkten Teeinkauf durch die Europäer in Kanton stetig wachsen. Der drastische Rückgang von Teeexporten aus China ab Mitte der 1730er Jahre machte Kanton endgültig zur zentralen Bezugsquelle für die VOC.370 Während Tee und Kaffee im 17. Jahrhundert unter den Importen so gut wie keine Rolle spielten, erreichten sie im 18. Jahrhundert die Bedeutung der Gewürze – ohne Pfeffer – und wurden nur von Textilien übertrumpft. Die Kammer Amsterdam erzielte Ende der 1730er Jahre 24,9% ihrer Einnahmen aus dem Verkauf von Kaffee und Tee, Ende der 1770er Jahre noch immer 22,9%.371 Daneben spielten Textilien – Baumwollstoffe aus Indien und Seidenwaren aus China – in der Importpalette eine wesentliche Rolle, im 18. Jahrhundert sogar die größte. Sie erreichten in den Verkäufen der Kammer Amsterdam zu Beginn des 18. Jahrhunderts einen Anteil von 43,6% erreichte; Ende der 1730er Jahre waren es noch 28,3%, Ende der 1770er 32,7%.372 Nicht alle Einkäufe der VOC in diesem Bereich erreichten tatsächlich Europa. Vielmehr wurden Textilien einerseits zu einem wichtigen Produkt des ‚country trade’, andererseits waren gerade einfache Baumwollprodukte in Westafrika sehr begehrt. Insgesamt stiegen die Importe, gemessen am Warenwert in Asien, bis in die 1720er Jahre. Dann pendelte sie sich zwischen sieben und neun Millionen Gulden im Jahr ein. Erst die letzten Jahre der Kompanie sahen einen drastischen Einbruch dieser Zahlen.373 Der östliche Teil des Malaiischen Archipels blieb im 17. und 18. Jahrhundert weitgehend dem Gewürzanbau verhaftet und wurde entsprechend im wirtschaftlichen Gesamtinteresse an den Rand gedrängt. Zu einem tiefgreifenden Bedeutungsverlust kam es dennoch nicht, schließlich bestand weiterhin eine relativ konstante 369 KNAAP, Coffee for Cash, 34-40; GLAMANN, Dutch-Asiatic Trade, 183-212. 370 PTAK, Teehandel, 93-104; GLAMANN, Dutch-Asiatic Trade, 212-244. Zum chinesischen Junkenhandel mit Batavia siehe BLUSSÉ, Chinese Trade, passim; DERS., Junk Trade to Batavia, 114-155. 371 GLAMANN, Dutch-Asiatic Trade, 13/14. 372 Ebd., 14. 373 DERS., Geld tegen goederen, 254. 160 Raum und Menschen Nachfrage nach Gewürzen. In Amsterdam machten sie stets zwischen 24% und 28% der Gesamtverkäufe aus, während der Pfeffer von knapp 33% in den 1640er Jahren auf 11% in den 1770er Jahren zurückging.374 Auch standen den molukkischen Gewürzen zahlreiche asiatische Märkte zur Verfügung, die von ganz anderen Moden und Notwendigkeiten abhängig waren als die europäischen. Diese Situation spiegelt sich in den unverminderten Bemühungen der VOC nach Erhaltung und Erweiterung ihrer Marktmonopole in diesem Bereich wieder. Edelmetalle und ‚Country Trade’ – die Entwicklung der niederländischen Gegenleistung Das Geld, welches für den Einkauf von Gewürzen oder Textilien benötigt wurde, war auch nicht annähernd aus den europäischen Exporten zu erlösen, die in Asien nur sehr geringe Marktchancen hatten. Die VOC mußte von Anfang an große Mengen Silber und Gold nach Asien exportieren, deren Gesamtsumme sich bis ca. 1680 noch zwischen 0,5 und 1,2 Millionen Gulden bewegte und daraufhin einen steilen Anstieg bis Ende der 1730er, Anfang der 1740er Jahre erlebte. Für den Rest ihrer Existenz exportierte die VOC jährlich Edelmetalle im Wert zwischen vier und sechs Millionen Gulden.375 Trotz hoher Gewinnspannen in den Niederlanden wäre die Kompanie als reines Importunternehmen für asiatische Waren wahrscheinlich nicht zwei Jahrhunderte lang lebensfähig gewesen. Der ‚country trade’, die Beteiligung am innerasiatischen Handel mit asiatischen Waren auf der zweiten Handelsebene, bildete das zweite Standbein der Geschäfte. Er diente nicht zuletzt der Refinanzierung des enormen Edelmetallabflusses aus Europa. Die VOC handelte dabei mit allen Gütern, die sie auch nach Europa verschickte. Für die molukkischen Gewürze hatte sogar der asiastische Handel Vorrang; nur die Überschüsse wurden in die Heimat gesandt. Welche Mengen des Pfeffers der VOC in Asien zum Verkauf kamen, wurde von der Marktsituation in Europa abhängig gemacht. Baumwolle aus Indien diente als Tauschware für Gewürze. Daneben konnte wenigstens ein Teil des Edelmetallbedarfs in Asien gedeckt werden. Vor allem Japan exportierte bis zum Ausfuhrverbot von 1668 Silber, daneben auch Gold und Kupfer. Im Gegenzug verkaufte die VOC dort Textilien und eine breite Palette asiatischer Waren. Die Edelmetallexporte Ja374 GLAMANN, Dutch-Asiatic Trade, 14. 375 DERS., Compagnie, 52-54, 89; DERS., Geld, 253/254; SCHÖFFER/GAASTRA, Import, 224/225. Grundlegend zur Problematik des Edelmetallabflusses nach Asien siehe ATTMAN, Bullion Flow, und DERS., Dutch Enterprise. Zum ‚country trade’ mit Edelmetallen siehe GAASTRA, Intra-Asiatic Trade. Die VOC 161 pans gingen allerdings Ende des 17. Jahrhunderts zurück, wie überhaupt die asiatischen Quellen hierfür im 18. Jahrhundert versiegt waren.376 Unterstellt man, daß der ‚country trade’ zur Finanzierung der Präsenz in Asien diente, und stellt dessen Einnahmen den Kosten vor Ort gegenüber, so zeichnet sich eine Entwicklung mit einer dramatischen Wende ab. Nach einer notwendigen Anlaufphase zur Erschließung neuer Märkte brachte der innerasiatische Handel der Kompanie im 17. Jahrhunderts ansehnliche Gewinne, die einen deutlichen Höhepunkt in den 1660er Jahren erlebten. Zum Einbruch kam es in den 1690ern. Seither stiegen die Verluste in Asien, mit einer kurzen Entspannung in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Zu einer katastrophalen Entwicklung kam es seit ungefähr 1770. Dabei blieben die Einnahmen aus dem ‚country trade’ weitgehend konstant. Entsprechend war die VOC ein kontinuierlich präsenter Akteur auf der zweiten Ebene des asiatischen Handels. Explodiert waren die Ausgaben, die sich im 18. Jahrhundert gegenüber dem 17. Jahrhundert verdoppelten.377 Preise und Gewinne – Konjunkturen des niederländischen Asienhandels Die Wirtschaftsgeschichte der VOC weist eine Reihe Kontinuitäten auf, die für ein Unternehmen dieser Lebensdauer ungewöhnlich sind. Mit Ausnahme der Kriegsjahre, von denen die Kompanie als niederländische Institution unmittelbar betroffen war, erzielte sie stets Gewinne zwischen 10% und 39%.378 Dabei konnte sie auf relativ stabile Preise in ihren Kerngeschäften zurückgreifen. Der Rückgang des Pfefferpreises nach 1640 wurde im 18. Jahrhundert mehr als wettgemacht; zudem standen den niedrigsten Preisen die größten Absatzmengen gegenüber.379 Bei Gewürznelken und Muskatnüssen konnte die Kompanie auf Grund ihrer Monopolstellung über lange Perioden sogar Festpreise bestimmen. Macis und Zimt blieben bei etwas größeren Schwankungen ebenfalls relativ stabil. Erst die Krise der VOC in den letzten Jahren ihrer Existenz ließ die Preise auf Grund der Unterversorgung des Marktes in die Höhe schnellen. Den in den ersten vier Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts leicht sinkenden Teepreisen stand ein rasanter Preisverfall in Kanton gegenüber,380 so daß Gewinnspannen und Absatzmengen der VOC steigen konnten. Auch die 376 377 378 379 380 Ebd., 46-49. Ebd., 49. LADEMACHER, Gewürze, 288. GLAMANN, Dutch-Asiatic Trade, 297. Ebd., 285/286, table VI, 310, table XVIII. 162 Raum und Menschen Preise der Textilien sanken in diesem Zeitraum leicht,381 doch kann von einer Krise im Absatz indischer Baumwollprodukte und indischer wie chinesischer Seidenwaren nicht die Rede sein, schließlich wurden sie gleichzeitig zur führende Warengruppe unter den Importen der Kompanie. Diese kaufmännisch positiven Entwicklungen fanden ihren Niederschlag in der Gesamtbewertung des Unternehmens. Der Wert der Anteile schwankte zwar anfangs recht stark (1606 bei 200%, 1610 bei 126%), stieg jedoch im Laufe des 17. Jahrhunderts steil an und verblieb dann auf hohem Niveau (1678 bei 400%, 1688 bei 550%).382 Allerdings erlebte die Kompanie keine Kapitalerhöhung. Das eingelegte Kapital reichte schnell nicht mehr aus, um die notwendige Liquidität für die laufenden Geschäfte sicherzustellen. Diese Problem behob die Gesellschaft regelmäßig durch Schuldenaufnahme. Seit 1622 gab sie Obligationen aus, die von vielen als Geldanlage genutzt wurden und mit denen entsprechend intensiv Handel getrieben wurde. Weitere Möglichkeit der Kreditaufnahme durch die Kompanie waren die anticipatiepenningen, die Vorschüsse auf kommende Versteigerungen darstellten. Der VOC gelang es schon bald nicht mehr, ihre Schulden nachhaltig abzubauen. Sie löste zwar immer wieder Kredite ab, doch nahm sie jährlich zehn bis 12 Millionen Gulden neu auf.383 Zu den steigenden Schulden kommt, daß der Zeitraum zwischen 1680 und 1740 eine Umbruchsphase in der Geschichte der VOC darstellte, wie Kristof Glamann seine Untersuchungen zum niederländisch-asiatischen Handel resümiert: „From a European view there is just in the commercial aspect many features which indicate that in the period of 1680 to about 1740 there was a number of displacements that depreciated the Company’s position in Asia, which had hitherto been so advantageous. These decisive years changed the character of the European-Asiatic commercial intercourse. In the volume of trade there was a boom on the basis of the cottons and silks, which were in great demand. A couple of new articles, coffee and tea, developed into main commodities, the profitableness of which came to consist in a great turnover at moderate profits and in fast transport. The displacement on the requirements of the European market, its fashion and taste, changed Asiatic conditions, and an increasing number of competing companies strained the company system and undermined it.“384 Obwohl aus den Umsatzzahlen der Kompanie nicht immer ersichtlich, leitete diese Entwicklung den Untergang der Kompanie ein. Vielfach wird der Krieg gegen Eng381 382 383 384 Ebd., 284-286, table VI. GAASTRA, Compagnie, 9. Ebd., 8/9. GLAMANN, Dutch-Asiatic Trade, 265. Die VOC 163 land zwischen 1780 und 1784 als Hauptursache für die Krise und den Untergang der VOC genannt, da die finanziellen Erlöse der Kompanie nicht einbrachen, sondern sich nach 1760 sogar verbesserten.385 Dem intensiv diskutierten Ursachenbündel werden weiterhin die Korruption der Angestellten in Übersee, die Versäumnisse der Direktoren in den Niederlanden und ein Kräfteverschleiß durch zunehmende Territorialherrschaft hinzugefügt. Dennoch waren die Ursachen für den Niedergang letztendlich wirtschaftlicher Natur. Die von Glamann beschriebene tiefgreifende Positionsveränderung für die VOC wurde begleitet von ihrer Unfähigkeit, im Mutterland ihre Schulden abzubauen, und von den explodierenden Kosten in Übersee, die dort nicht mehr aufgefangen werden konnten. Das Jahrzehnt vor dem Kriegsausbruch 1780 brachte in den Niederlanden einen Verkaufsüberschuß von 14 Millionen Gulden. Demgegenüber wurde allein zwischen 1774 und 1779 die gleiche Summe an Verlusten in Übersee gemacht. Teilweise konnte solche Verluste durch eine Kapitalverminderung von drei Millionen Gulden ausgeglichen werden. Der Rest war aus den Erlösen der Kammern aufzubringen.386 3. Das Potential der VOC im Malaiischen Archipel Entgegen verbreiteter Ansichten stellte Batavia nicht das Modell für alle anderen Städte unter Kontrolle der Kompanie dar,387 sondern entwickelte als niederländisches Machtzentrum in Asien ein besonderes Gepräge. Gegründet wurde die Stadt 1619 durch Jan Pietersz. Coen, nachdem die VOC bis dahin ihr Hauptquartier in Banten unterhalten hatte. Dort ließ sich weder ein günstiger Rendezvous-Hafen für die Retourflotten aufbauen noch die englische Konkurrenz abschütteln, da der Sultan von Banten nicht gewillt war, seine Unabhängigkeitspolitik aufzugeben. Daher nutzte Coen die erste Gelegenheit, die sich in Form innerstaatlicher Zwistigkeiten im Reich von Banten bot, um den bis dahin nur zweitrangigen Stützpunkt in Jakatra unter dem Namen Batavia zum neuen Sitz der VOC auszubauen. Die Stadt war nicht nur Sitz der meisten VOC-Angehörigen, sondern auch Anziehungspunkt für viele andere Europäer und Asiaten. Hier lebte mit mehreren tau- 385 STEUR, Herstel, 161-186. 386 GAASTRA, Compagnie, 66. 387 NAGEL, Stadtstaat, 139-143. 164 Raum und Menschen send Personen die größte niederländische Gemeinde in Asien. Keine andere VOCStadt hatte einen niederländischeren Charakter, zumal das Stadtbild nach Vorbildern aus der Heimat geplant worden war. Auf dieser Grundlage konnte wie in keiner anderen VOC-Stadt die ‚Indische culture’ entstehen. Auch andere Gruppen siedelten sich vor allem aus wirtschaftlichen Gründen weit überdurchschnittlich an. Batavia war die Heimat der größten chinesischen Diasporagemeinde, die bereits 1673 2.747 Seelen umfaßte.388 Nirgendwo außerhalb Chinas war die Machtstellung und die Selbständigkeit der Chinesen so groß, bis es 1740 zur Katastrophe kam.389 In Batavia taten 1687/88 2.641 VOC-Angestellte Dienst, darunter 1.803 Soldaten. Während die Verhältnisse von zivilen zu militärischen Angestellten im wesentlichen konstant blieben, wuchs die Gesamtzahl doch beträchtlich. 1753, auf dem Höhepunkt der Entwicklung, beschäftigte die VOC 4.860 Personen in ihrer Hauptstadt.390 Daneben lebten rund 2.000 zivile Niederländer in der Stadt.391 Batavia verfügte über eine ausgezeichnete europäische Infrastruktur und über die einzige asiatische Werft der VOC in Asien, auf der systematisch Neubauten entstanden. Hierdurch und durch die Rolle als Anlaufpunkt der Heimatflotten stand in Batavia stets eine größere Flotte zur Verfügung, die auch zu Kriegszwecken einsetzbar war. Weitaus geringer waren die Möglichkeiten der nachgeordneten Niederlassungen, selbst wenn die kleine Residenzen außen vor läßt. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts unterhielten im Malaiischen Archipel Banda und Ambon mit etwas über 700 Personen das größte VOC-Personal. Niederlassungen wie Malakka, Banten oder Ternate waren mit knapp über 400 Bediensteten wesentlich kleiner. Größer hingegen waren die Gouvernements an den indischen Küsten, die zwischen 600 und 700 Mann Besatzung hatten. An die Zahlen von Batavia kam jedoch nur das Gouvernement Ceylon heran, das jedoch seine 2.631 Bediensteten im Jahr 1687/88 über ein großes Territorium verteilen mußte.392 Insgesamt beschäftigte die VOC in Asien in 1687/88 11.551 Personen, von denen 7,6% mit Handel und Verwaltung befaßt waren, 67,6% Militärdienst leisteten und 12,2% als Seeleute beschäftigt waren. Bis zur folgenden Jahrhundertwende hatte das Personal in Übersee 18.117 Mann erreicht, Mitte des 18. Jahrhunderts sogar 24.879, um im Jahr 1780 wieder auf 18.452 zurückgegangen zu sein.393 Setzt man diese Zah388 389 390 391 392 393 ABEYASEKERE, Jakarta, 19. BLUSSÉ, Batavia, 167-169. GAASTRA, Compagnie, 82/83. ABEYASEKERE, Jakarta, 19. GAASTRA, Compagnie, 82. Ebd., 82/83. Die VOC 165 len, wie es Femme S. Gaastra tut, mit den geschätzten 350 Millionen Einwohnern Asiens im 17. und 18. Jahrhundert in Beziehung, sind solche Größenordnungen verschwindend. Allerdings kann dies kaum die angemessene Bezugsgröße sein. Wesentlich wichtiger erscheint der Bezug auf den zu kontrollierenden Raum. Allein der Malaiische Archipel erreicht eine Ausdehnung, die mit dem europäischen Kontinent vergleichbar ist. In ihm fand sich zudem kein Machtzentrum, das alleine auszuschalten genügt hätte, sondern zahlreiche zentrale Orte, die zumeist politisch unabhängig waren. Die eindrucksvollsten militärische Einrichtungen der Kompanie waren ihre Festungsanlagen. Die dienten zur Kontrolle und Sicherung ihrer wichtigsten Positionen im Archipel und waren vor allem in den größeren Kolonialstädten zu finden, vor allem natürlich in Batavia mit Fort Nassau. Fort Rotterdam in Makassar, die von den Portugiesen übernommenen Festung in Malakka sowie die Anlagen auf Ambon und Ternate waren diesem ebenbürtig und von Größe und Stärke her durch einheimische Revolten kaum einzunehmen. Im Laufe der Zeit wurden auch die Faktoreien zu kleineren Befestigungsanlagen ausgebaut. Dort, wo eine territoriale Kontrolle ausgeübt wurde, entstanden siedlungsunabhängig kleinere Festungen, sogenannte Schanzen. Insgesamt waren diese Anlagen defensiv ausgerichtet und von relativ geringer Reichweite. Zur weitergehenden militärischen Kontrolle des Raumes wurden Besatzungen benötigt, die an Zahl und Ausrüstung ausreichend waren, um die sicheren Mauern der Festung auch zu verlassen. So reichte der Machtbereich mancher Schanze nur so weit, wie ihre Kanonen schießen konnten. Weniger beeindruckend war die ständig im Malaiischen Archipel präsente Flotte. 1721 besaßen die indonesischen Niederlassungen (Makassar, Malakka, Palembang, Banda, Ternate und Ambon) jeweils zwischen sechs und zwölf Schiffe entweder einheimischer Bauart oder des kleinen europäischen Typs Schaluppe.394 In Batavia hingegen standen sechs Vollschiffe von über 145 Fuß Länge sowie sieben Fleuten und eine Jacht von unter 145 Fuß Länge neben neun indigenen pencalang und 36 kleineren Booten zur Verfügung. Ähnliche Größenordnungen wiesen lediglich die indischen Gouvernemente und die Nordküste Javas auf, die jedoch ihr Potential über gut ein Dutzend unterschiedlicher Häfen verteilen mußte. Für eine größere Auseinandersetzung zu See waren alle indonesischen Niederlassungen auf die Zentrale in Batavia angewiesen. 394 ARA Den Haag, Navale Magt van India, VOC 11338. 166 Raum und Menschen Karte 3.1: Der Malaiische Archipel Viertes Kapitel Makassar und die Europäer vor 1666/69 „The islands of Macassar are four of five day’s journey beyond the islands we have describes, on the way to the Moluccas. [...] They are all heathens. They say that these islands have more than fifty kings. These islands trade with Malacca and with Java and with Borneo and with Siam and with other places between Pahang and Siam.“ (Tomé Pires, 1515) „Macassar: Stadt auf der größten unter den Inseln Celebes, in Asien, nebst einem Haven, im Königreich Macassar. Der König ist mohammedanisch, wie auch die meisten Einwohner, welche überaus streitbar und herzhaft sind.“ (Zeitungs-Lexicon, 1784) I. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 1. Voraussetzungen und Gründung Die Vorgeschichte im Licht der Archäologie Die südwestliche Halbinseln Sulawesis, in der Regel kurz Süd-Sulawesi genannt, tritt erst spät in den Kreis der Regionen ein, die ihre Geschichte auf Grund schriftlicher Zeugnisse erzählen können. Wer sich nicht gänzlich auf die mündlichen Traditionen ihrer Bewohner verlassen will, bleibt bis in die europäische ‚Frühe Neuzeit‘ auf die Erkenntnisse der Archäologie angewiesen. Die Geschichte der systematischen Archäologie in Süd-Sulawesi begann Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Schweizer Fritz und Paul Sarasin besuchten 1902 und 1903 die Halbinsel und gruben vor allem bei Maros im Nordosten der Stadt Makassar. Zwischen 1933 und 1937 wurden mehrere Grabungskampagnen von P. V. van Stein Callenfels durchgeführt, die sich über die gesamte Südhalbinsel erstreckten. Kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und auch nach dem Kriegsende setzte H. R. van Heekeren die archäologischen Untersuchungen fort.395 Die letzten großen archäologische Kampagnen auf Sulawesi, die sich auf die Frühgeschichte der Südhalbinsel konzentrierten, fanden gegen Ende der 1960er Jahre statt, teilweise in australisch-indonesischer Kooperation.396 In der Folgezeit wurde in Ujung Pandang, wie das nachkoloniale Makassar nun hieß, eine Altertumsbehörde eingerichtet. Diese führte vor allem kleinere Grabungen durch, die den Aufstieg Makassars zu einer Regionalmacht in den Mittelpunkt rückten. Die bedeutendsten Untersuchungen zum diesem Themenkomplex führte der Australier F. David Bulbeck durch; mehrere Grabungskampagnen in den 1980er Jahren erlaubten ihm die Rekonstruktion der Frühgeschichte Makassars.397 Die heute bekannten Ethnien in Süd-Sulawesi, die sich aus den Bugis, den Makassaren, den Toraja und den Mandhar zusammensetzen, gehören sämtlich der austronesischen Sprachfamilie an. Die ursprüngliche austronesische Besiedlung, die von 395 MULVANEY/SOEJONO, Archaeology, 27/28. 396 DIES, Expedition, passim; DIES., Archaelology, 28-33; TJANDRASASMITA, Excavation Project, passim. 397 BULBECK, Construction History, DERS., New Perspectives, DERS. Landscape, sowie in MACKNIGHT, Early History. 170 Makassar und die Europäer vor 1666/69 den Philippinen nach Kalimantan, Sulawesi und schließlich zu den Molukken wanderten, wird im allgemeinen zwischen 1500 und 500 vor Christi angesiedelt; die genaue Ankunft in Süd-Sulawesi ist kaum rekonstruierbar.398 Schon lange vor der Besiedlung durch Angehörige dieser Völkerschaften existierte in Süd-Sulawesi eine indigene Bevölkerung. Der älteste Besiedlungsnachweis läßt sich ungefähr auf die Zeit um 30000 vor Christi datieren.399 Die erste nachweisbare Kultur in SüdSulawesi, die über Einzelfunde hinausgeht, ist die steinzeitliche Toala-Kultur, die etwa zwischen 4000 und 1500, nach großzügigeren Schätzungen zwischen 6000 und 1000 vor Christi bestand. Es handelte sich um eine relativ weit entwickelte Gesellschaft von Jägern, Sammlern und Fischern, die ihre Bezeichnung nach den Toala erhielt, die in den von den Brüdern Sarasin erforschten steinzeitliche Höhlen lebten und als direkte Nachkommen der steinzeitliche Bevölkerung angesehen wurden. Vor allem Höhlen und Gräber konnten untersucht werden, die eine breites Spektrum an Steinwerkzeugen und -gerätschaften enthielten. Manche Archäologen sahen sich dazu veranlaßt, von einer Toala-Steinindustrie zu sprechen.400 Die frühesten Zeugnisse der in historischer Zeit dominierenden Kulturen förderten die Archäologen in Gestalt von Gräbern zu Tage. Die untersuchten Grabstätten reichen von den frühesten steinzeitlichen Belegen bis weit in die Zeit der VOC und erstrecken sich über die gesamte Südhalbinsel. Bezüglich der makassarische Kultur lag der Schwerpunkt der Grabungen im Bereich von Maros. Dabei konnte ein grundlegender Unterschied in den Bestattungsriten ausgemacht werden. Während die Bugis wie auch die Mandhar die Feuerbestattung pflegten, bevorzugten die Makassaren die Beisetzung des unversehrten Leichnams, ganz so wie es auch den Traditionen der Torajas im Bergland entspricht, zu denen die Makassaren vordergründig keine tieferen kulturellen Beziehung hatten.401 Die Frage, wann auf Sulawesi die Steinzeit in die Bronze- oder Eisenzeit überging, läßt sich nur sehr vage beantworten. Die Unklarheiten resultiert trotz vergleichsweise umfangreicher archäologischer Forschung aus etlichen Lücken, die erst durch weitere Grabungskampagnen geschlossen werden können, und nicht zuletzt aus der schwierigen Gräberzuordnungen. Viel mehr als daß sich der Epochenwandel im 1. Jahrtausend v. Chr. abgespielt haben muß, läßt sich heute kaum sagen.402 398 MACKNIGHT, Early History, 5/6; BELLWOOD, Prehistory, 117-119. 399 MACKNIGHT, Early History, 6. 400 BELLWOOD, Prehistory, 191-196; HEEKEREN, Stone Age, 106-125; MACKNIGHT, Emergence, 129/130; DERS., Early History, 6; MULVANEY/SOEJONO, Archaeology, 27. 401 MACKNIGHT, Early History, 38. 402 BELLWOOD, Prehistory, 304-306. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 171 Neben den frühen Steingeräten und dem Nachweis der verschiedenen Beisetzungstraditionen förderten die archäologischen Untersuchungen vor allem eine große Menge und Vielfalt an Keramik zu Tage. Die Fundorte der frühen Stücke konzentrieren sich auf Luwu und Selayar, während Keramik aus dem 14. und 15. Jahrhundert auch vielfach im Landesinneren entdeckt wurde. Die Importware des 13. bis 16. Jahrhunderts, sogenannte Handelskeramik (‚trade ceramics‘), fand sich vor allem in den Gräbern an der Westküste.403 Stammt die Keramik der Frühzeit zumindest zu größeren Teilen noch aus einheimischer Produktion, ist diejenige der späteren Jahrhunderte zumeist aus China oder Regionen importiert, deren Keramikproduktion unter chinesischen Einfluß stand.404 Dabei wird im allgemeinen davon ausgegangen, daß ihr Erscheinen nicht für den Beginn des internationalen Handels, sondern für Ursprung und Entwicklung des chinesischen oder chinesisch inspirierten südostasiatischen Exports von Handelskeramik steht.405 Diese feinsinnige Unterscheidung ändert jedoch nichts daran, daß die speziellen Keramiksorten, die sich in enormen Mengen in Süd-Sulawesi finden, über den Seeweg nach Sulawesi gebracht worden waren und entsprechend etwas mit einem wie auch immer gearteten Seehandel zu tun gehabt haben müssen. Neben der Rekonstruktion der prähistorischen Vergangenheit trägt die Archäologie auch wesentlich zum Verständnis dieser Region in ‚historischer Zeit‘ bei, die nur auf einen bruchstückhaften Bestand an schriftlichen Zeugnissen zurückgreifen kann. So belegt die gefundene Handelskeramik die schon früh einsetzenden auswärtigen Handelsbeziehungen und lassen einen Eindruck von ihrem Umfang entstehen. Zudem vervollständigen die Ausgrabungen von Festungsanlagen das Bild der makassarischen Topographie zum Zeitpunkt der ersten europäischen Kontakte nicht unwesentlich. Die Vorgeschichte im Licht der Mythen und der frühen Schriftquellen Die Suche nach den Anfängen der Doppelmonarchie Goa-Tallo, deren Zentrum später die Stadt Makassar bilden sollte, stößt zunächst auf einen Mythos. Dieser berichtet, daß die Nymphe Tumanurunga an jenem Platz vom Himmel herabstieg, der später in Goa als zentrales Heiligtum verehrt wurde, und sich einen Sterblichen namens Karaeng Bayo zum Mann nahm. In den verschiedenen Fassungen des 403 CALDWELL, Power, 409. 404 Grundlegend: BROWN, Ceramics; GUY, Trade Ceramics. 405 CALDWELL, Power, 409. 172 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Gründungsmythos trägt dieser Ehemann verschiedene Titel oder Beinamen: König von Bantaeng, ein Mann aus Bantaeng oder einfach ein Mann aus dem Süden, dessen Land man nicht kennt.406 Die Nymphe Tumanurunga wurde von neun örtlichen Gemeinschaften, deren Selbstverständnis als lokale Fürstentümer an ihrem Charakter als Dorfgemeinschaften wenig änderte, als Herrscherin anerkannt. Diese nannten sich fortan kasuiang salapanga (Neun Gefolgsleute), später bates salapanga (Neun Banner). Bevor die Nymphe ebenso geheimnisvoll verschwand wie sie erschienen war, schenkte sie einem Sohn das Leben, der alle ihre magischen Kräfte erbte. Dieser Sohn, Massalangga Baraya, gilt als Gründungsvater der Dynastie von Goa. In dieser Dynastie vererbten sich eine Reihe heiliger Gegenstände, auf deren Existenz und Verehrung die Macht des Herrscherhauses beruhte. Als bedeutendste dieser Gegenstände sind die Hälfte der goldenen Kette, die Tumanurunga vom Himmel mitgebracht hatte, und das Schwert des Lakipadada, des jüngeren Bruders Karaeng Bayos, zu erwähnen.407 Von historischer Relevanz sind in dieser Legende vor allem drei Elemente: die Rolle von Bantaeng, einem bedeutenden Ort an der Südküste der Halbinsel, der in historischer Zeit ein Untertan Makassars war, dann der Name Karaeng Bayo, der nach Anthony Reid als Verweis auf die Bajau interpretiert werden kann,408 und schließlich die Figur des Lakipadada, die über diese Legende hinaus eindeutig in die Mythologie der Toraja gehört und in den Mythen der übrigen Einwohner SüdSulawesis nicht zu finden ist. Es kann mit einigem Recht davon ausgegangen werden, daß dieser Mythos geschaffen wurde, um sich eindeutig von den benachbarten Rivalen, den Bugis, abzusetzen – ein Hintergrund, der diesen Elementen allerdings ihre historische Relevanz nimmt und nur ein bezeichnendes Licht auf den klassischen Antagonismus zwischen Makassaren und Bugis wirft. Will man die genannten Elemente historisch ernst nehmen, scheinen sie einen Fingerzeig auf die Herkunft der Makassaren zu liefern, doch wird dieser nicht eindeutig. Einerseits wird die vom Himmel herabgestiegene Nymphe von bereits ansässigen Bevölkerungsgruppen als Herrscherin anerkannt, wodurch die Zugehörigkeit der Makassaren zur ursprünglichen Bevölkerung oder ein entsprechendes Selbstverständnis angedeutet werden könnte. Andererseits kommen mit Karaeng Bayo und seinem der Toraja406 Solche Legenden sind eindeutig lokalen Ursprungs; das indische Konzept des Weltenherrschers hat Sulawesi offenbar nie erreicht, siehe REID, Pluralism, 62. 407 RIED, Rise of Makassar, 117/118; siehe auch BLOK, Beknopte geschiedenis, 7/8, ERKELENZ, Rijk Gowa, 81/82, FRIEDERICY, Gowa-Federatie, 365/366, EERDE, Investituursteenen, 820/821; BULBECK, New Perspectives, 11-14; MATTULADA, South Sulawesi, 133/134. 408 Siehe hierzu auch PELRAS, Populations aquatiques, 163. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 173 Mythologie entsprungenen Bruder Lakipadada auswärtige Ursprünge ins Spiel. Bezieht man Bayo tatsächlich auf das Volk der Bajau, stützt dies die von Anthony Reid angenommene Bedeutung dieser Seenomaden für die Genese Makassars. Auch die Rolle Bantaengs, eines traditionellen Hafenortes, deutet in diese Richtung. Daß mit Lakipadada und auch mit den bereits erwähnten Bestattungssitten die bergbewohnenden Toraja und damit die genau entgegengesetzte Blickrichtung in den Vordergrund tritt, schwächt diese Annahme allerdings nicht unbeträchtlich. Ein zumindest teilweiser Ursprung im Seenomadentum, zu dem sich später in der Phase der Mythengenese aus bewußter Absetzung den verfeindeten Bugis gegenüber Elemente eines eindeutig nicht-buginesischen Volkes, der Torajas, gesellten, ist damit jedoch keinesweg ausgeschlossen. Darüber hinaus besteht ein weiterer Anlaß für frühe Kontakte zur Toraja-Region im Landesinneren. Dort fanden sich die fortschrittlichsten Kenntnisse in der Metallverarbeitung, die von den Torajas sowohl nach Goa-Tallo als auch in die Siedlungsgebiete der Bugis transferiert wurden.409 Neben den angesprochenen Abgrenzungen, die wie ein früher mythischer Widerhall eines noch heute sehr lebendigen Selbstverständnisses klingen,410 finden sich weitere Indizien, die für einen deutlichen Abstand zwischen Bugis und Makassaren sprechen. Aus linguistischer Sicht fällt besonders die geringe Verwandtschaft der makassarischen Sprache mit allen Sprachen ihrer Umgebung auf. Aus archäologischer Sicht trifft dies auf die oben angesprochenen unterschiedlichen Beerdigungspraktiken zu. Schließlich ist die Tatsache anzuführen, daß das bedeutende BugisEpos I La Galigo unter Makassaren völlig unbekannt ist.411 Diese mythische Chronik beschreibt in epischer Breite – europäischen Experten sind rund 6.000 Seiten des Epos bekannt – die Geschichte des Bugis-Staates Luwu von der Erschaffung der Welt über die Ankunft des ersten, von den Göttern abstammenden Königs bis hin zu den komplexen dynastischen Verflechtungen des Staates.412 Zwar verfügen die Makassaren von Goa über einen ganz ähnlich konstruierten Entstehungsmythos, mit dem Unterschied, daß in den buginesischen Mythen keine weiblichen Nymphen, sondern männliche Stammväter von den Göttern herabsteigen, doch finden Goa-Tallo oder Makassar keinen Eingang in das Epos, während beinahe alle bedeutenden Bugis-Königtümer ihren Platz darin haben. 409 410 411 412 REID, Rise of Makassar, 130. RÖSSLER, Soziale Realität, 17/18. REID, Rise of Makassar, 121. MACKNIGHT, Early History, 25-37; ZAINAL ABIDIN, Epic Cycle, passim; MATTULADA, South Sulawesi, 129/130. 174 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Die Chroniken des Staates Goa beginnen mit dem frühen 16. Jahrhundert und mit Tumapa’risi Kallonna (ca. 1512 – 1548), der als erster Herrscher die Gesetze des Landes kodifizierte, die Entwicklung einer makassarischen Schrift verfügte und einen syahbandar, einen öffentlich bestallten Hafenmeister, einsetzte.413 Auch für Tallo, den kleineren Teil des Doppelstaates, existiert eine entsprechende Chronik, allerdings von geringerem Umfang. Historisch zuverlässiger ist das Tagebuch der Fürsten von Goa und Tallo, das im knappen Stil rein ereignisbezogener Annalen den Zeitraum von 1545 bis 1751 abdeckt.414 Insgesamt jedoch weisen die frühen sulawesischen Schriftquellen nur einen geringen Umfang auf. Neben den genannten Chroniken und dem bislang bekannten Korpus der lontara-Schriften steht kein Material zur Verfügung. Auch epigraphische Zeugnisse, wie sie im westlichen Indonesien bis zurück in das frühe erste Jahrtausend existieren, sind im östlichen Teil des Archipels nicht vorhanden.415 Eine Rekonstruktion der Geschichte des selbständigen Makassars allein aus indigenen Zeugnissen ist kaum möglich. Auch auswärtige Erwähnungen Goa-Tallos sind eher selten. Das Nagarakrtagama von 1365, welches den Herrschaftsbereich Majapahits auf dem Höhepunkt seiner Macht beschreibt und die tributpflichtigen Staaten aufzählt, erwähnt zumindest die entsprechende Region und ordnet sie somit für das 14. Jahrhundert politisch zu. Weitere Informationen, abgesehen von einigen handelsgeographischen Interpretationen, lassen sich daraus allerdings nicht gewinnen. Das Sejarah Melayu, die Chronik des Sultanats Malakka, berichtet von einem gewissen Keraing Semerluki aus Makassar, der einen Angriff auf Malakka durchführte. Diese Person war unter Umständen mit Karaeng Sumanga’rukka von Tallo identisch, von dem die Chronik aus Tallo eine solche Attacke überliefert.416 Auch diese malaiische Fundstelle bietet über das singuläre Ereignis selbst hinaus keine tieferen Einblicke in die frühe makassarische Geschichte. Hinzu kommt, daß die für andere südostasiatischen Regionen wichtigen chinesischen Schriftquellen für den östlichen Archipel keine Rolle spielen.417 413 VILLERS, Makassar, 143; der Bericht in den Chroniken ist freilich nicht als historisch exakte Darstellung zu verstehen. Villiers beurteilt die von ihm zitierte Quelle folgendermaßen: „The Makassarese and Buginese chronicles are notable for their concern for historical accuracy rather than for merely giving an idealized account of the deeds and exploits, real and imagined, of impossibly heroic rulers. The Makassarese for ‚chronicle‘ is pattorioloang, which means ‚the things concerning the people of former times.‘ Their use of this term indicates how they themselves saw the function and purpose of such records.“ (ebd., 146, Anm. 1). Nach Noorduyn kann überhaupt erst seit dem 16. Jahrhundert von einer Schriftlichkeit in Makassar ausgegangen werden: NOORDUYN, Origins, 153. 414 Transciptie. 415 MACKNIGHT, Early Maritime Trade, 198. 416 ZAINAL ABIDIN, Emergence, 205; MACKNIGHT, Emergence, 131. 417 MACKNIGHT, Emergence, 131/132. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 175 Die ersten europäischen Quellen, welche den Malaiischen Archipel beschreiben – sieht man einmal von den kursorischen Bemerkungen eines Marco Polo ab –, stammen aus portugiesischer Feder. Die erste umfassende Beschreibung ist die berühmte, oft zitierte Suma Oriental von Tomé Pires, worin sich auch die erste europäische Beschreibung von Makassar, hier noch im Sinne von Süd-Sulawesi, findet: „The islands of Macassar are four or five day’s journey beyond the islands we have described, on the way to the Moluccas. The islands are numerous. It is a large country. One side goes up to Buton and Madura and the other extends far up north. They are all heathens. They say that these islands have more than fifty kings. These islands trade with Malacca and with Java and with Borneo and with Siam and with all the places between Pahang and Siam. They are men more like the Siamese than other races. Their languages is on its own, different from the others. They are all heathens, robust, great warriors. They have many foodstuffs. These men in these islands are greater thieves than any in the world, and they are powerful and have many paraos. They sail about plundering, from their country up to Pegu, to the Moluccas and Banda, and among all the islands around Java; and they take women to sea. They have fairs where they dispose of the merchandise they steal and sell the slaves they capture. They run all round the island of Sumatra. The are mainly corsairs. The Javanese call them Bugis, and the Malays call them this and Celates. They take their spoils to Jumaia which is near Pahang, where they sell and have a fair continually. Those who do not carry on this kind of robbery come in their large well-built pangajavas with merchandise. They bring many foodstuffs: very white rice; they bring some gold. They take bretangis and cloths from Cambay and a little from Bengal and from the Klings; they take black benzoin in large quantities, and incense. These islands have many inhabitants and a great deal of meat, and it is a rich country. They all wear krises. They are well-built men. They go about the world and everyone fears them, because no doubt all the robbers obey these with good reasons. They carry a great deal of poison[ed weapons] and shoot with them. They have no power against the junks which can all defend themselves, but every other ship in the country they have in their hands.“418 Zu der Zeit, als sich Tomé Pires im Malaiischen Archipel aufhielt, galt Celebes den europäischen Seefahrern noch als ein eigenes Archipel und Makassar diente in der Regel als Bezeichnung für eine der südwestliche Insel. Wie auch die entsprechende Nennung im javanischen Nagarakrtagama bezieht sich Makassar in diesem Kontext nicht auf die konkrete Stadt, für die es bis zu diesem Zeitpunkt keine gesicherte Erwähnung gibt, sondern auf die weitere Umgebung. Auch treten die Makassaren als Ethnie bei Pires nicht in Erscheinung, vielmehr verweist die Beschreibung der seefahrenden Völker ausdrücklich auf die Bugis. Allerdings bereiste Pires Sulawesi nicht persönlich, sondern bezog seine Kenntnisse von Gewährsleuten in javanischen Hafenstädten. Bei diesem vagen und indirekten Kenntnisstand des Autors ist eine bewußte Unterscheidung zwischen Bugis und Makassaren eher unwahrscheinlich. Es ist sogar durchaus denkbar, daß hier aus Unkenntnis der ethnischen Situation 418 PIRES, Suma Oriental, 226/227. 176 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Bugis und Bajau unbeabsichtigt in einen Topf geworfen wurden, zieht man die Betonung der Piraterie, die im allgemeinen noch mehr als den Bugis den Bajau zugeschrieben wurde, und die angeblich malaiischen Bezeichnung als Celates in Betracht. Auch wenn Makassar und die Makassaren noch nicht in ihrer Eigenständigkeit in Erscheinung treten, beschreibt Pires doch erstmals grundlegend ihr Umfeld. Er betont die maritime Prägung der Region und ihrer Bewohner, ihre feste Integration in den südostasiatischen Handel und auch den Reichtum des eigenen Landes, insbesondere an Nahrungsmitteln, unter denen der hochwertige weiße Reis besonders hervorgehoben wird. In den Jahrzehnten nach dieser ersten Beschreibung wird Celebes zwar gelegentlich in iberischen Quellen erwähnt, doch geht der Wissensstand nicht über den von Pires hinaus.419 Erst mit den Bemühungen der Jesuiten, auch im östlichen Archipel das Christentum zu verbreiten, wird das Bild der Insel Sulawesi klarer. Als António Pavia 1544 die Westküste der Südhalbinsel Sulawesis bereiste und dabei von Siang weiter in eine schon blühende, aber noch unter der Oberherrschaft Siangs stehende Hafenstadt namens Makassar fuhr, war sein Reisebericht die erste tatsächliche Erwähnung der Stadt Makassar in ihrer Funktion als Hafen- und Handelsstadt.420 Staatenbildung und Staatensystem in Süd-Sulawesi Die politische Landschaft Sulawesis war stets von einer Vielfalt kleiner Königreiche geprägt. Die fünfzig von Tomé Pires erwähnten Herrscher unterstreichen dies, auch wenn die Zahl eher symbolisch zu verstehen ist. Dieser bunte Flickenteppich auf der politischen Landkarte änderte sich bis zur Errichtung einer tatsächlichen kolonialen Herrschaft im 19. Jahrhundert nicht grundlegend. Weder in der Frühphase süd-sulawesischer Staatenbildung, als Soppeng und Luwu die vorherrschenden Staatsgebilde waren, noch während der größten Machtausdehnung Goa-Tallos oder der folgenden Vorherrschaft Bonés, noch nicht einmal unter dem Einfluß der VOC wurde der Bestand oder die ungefähre geographische Ausdehnung der unterschiedlichen Staaten der Bugis, der Makassaren, der Mandhars und der Torajas existenziell bedroht. Charakteristisch für die Region war vielmehr ein stetes Wechselspiel von Vorherrschaften und Abhängigkeiten, an dem sich die meisten Staaten mit wechselndem Erfolg beteiligten. Ein Herrscher konnte Vasall eines mächtigeren Königs 419 LACH, Century of Discovery, 600-602. 420 JACOBS, Christianity, passim. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 177 sein und zugleich von mehreren abhängigen Staaten Tribut beziehen. Es bestand ein mehrstufiges hierarchisches System der Machtausübung, das außerordentlich fragil und instabil war und entsprechend häufig Veränderungen und sogar größere Umstürze erlebte. Territoriale Ausdehungen sind in erster Linie als Ausweitung einer Föderation zu verstehen, wobei lokale Herrscher, die sich auf der untersten Ebene der politischen Hierarchie bewegten, sich einem mächtigeren Staat anschlossen, ohne ihre eigene kleine Souveränität aufzugeben. Ian Caldwell spricht in diesem Zusammenhang von einer dreistufigen politischen Struktur aus ‚kingdom‘, ‚domain‘ und ‚settlement‘.421 Die Bezeichnung Königreich (kingdom) wird hierbei als Synonym für eine Reihe einheimischer Bezeichnungen verwendet, die nicht im europäischen Sinn verstanden werden dürfen. Ein solches Königreich setzte sich in der Regel aus mehreren Domänen (domains) zusammen, wobei die zentrale Domäne dem Staat seinen Namen und seinen Herrschersitz gab. Die anderen Domänen, von einem Adeligen mit dem Titel matoa beherrscht, lagerten sich um dieses Zentrum herum an und ergaben zusammen ein föderatives Staatsgebilde. Die einzelnen Domänen wiederum bestanden aus Siedlungen (settlements), geführt von Noblen mit der Bezeichnung arung, die das Rückgrat der Königtümer darstellten. Die erwähnte Eroberungs- und Bündnisstruktur legte sich über diese Untergliederung. Sie bildete die politische Metastruktur aus, die zusammen mit den mehrstufig hierarchisierten souveränen Staaten keine schlichte zweidimensionale politische Landkarte erzeugten, sondern ein komplexes Staatensystem. In der unterschiedlichen Zahl an Domänen, aus denen sie sich zusammensetzten, manifestierte sich die unterschiedliche Bedeutung der einzelnen Königreiche. Viele kleine Reiche bestanden nur aus ihrer zentralen Domäne, während sich mächtige Staaten wie Luwu, Soppeng, Sindereng, später Boné, Wajo und Goa-Tallo aus zahlreichen Domänen zusammensetzten, die sich einer zentralen unterordneten. An dieser Stelle ergeben sich allerdings auch mögliche Unschärfen, denn eine als eigenständiges Königreich firmierende Domäne konnte durchaus in Abhängigkeit eines großen Königtums geraten und gleichzeitig Vasallendomäne werden.422 Die politische Landschaft Süd-Sulawesis stellte ein System dar, das nicht nur durch verschiedene Hierarchieebenen mit unterschiedlichen Bezugsformen seine Komplexität erhielt, sondern diese durch unscharfe Übergänge und mehrdeutige Zuordnungen zu verschiedenen Hierarchieebenen noch verstärkte. 421 CALDWELL, Power, 395-399. 422 Ebd., 401. 178 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Bei der Rekonstruktion von Grenzen innerhalb eines solchen Systems ist besondere Vorsicht geboten. Ian Caldwell warnt davor, die aus europäischen Quellen des 17. Jahrhunderts bekannten Grenzen auf frühere Jahrhunderte zu übertragen. In Anbetracht des föderativen Charakters der Staaten und der Vielschichtigkeit der politischen Verhältnisse scheint eine weitergehendere Warnung durchaus angebracht. Auch die Grenzen des 17. Jahrhunderts sollten nicht so ernst genommen werden, wie dies für das 19. und 20. Jahrhundert üblich ist, auch wenn sie später die Kommunalgrenzen der Kolonialverwaltung ausmachten. Bei letzteren handelte es sich wohl nur um Festschreibungen früherer europäischer Mutmaßungen, weniger um Manifestationen gesicherter Erkenntnisse über traditionelle Grenzziehungen.423 Im Zentrum einer Gemeinschaft, in der Regel einer Domäne, in Ausnahmefällen auch einer bedeutenden Siedlung, stand zumeist ein gaukang, ein heiliger Gegenstand, der ein Stein, ein Gebrauchsgegenstand, eine Waffe oder ein Banner sein konnte. Dieser Gegenstand garantierte den Zusammenhalt der Gemeinschaft. Dem gaukang wurden magische Kräfte zugeschrieben, die auch seinen Entdecker auszeichneten, der zumeist dadurch als Autorität anerkannt wurde und so zum Herrscher der Gemeinschaft aufstieg. Das Wachstum der gaukang-Gemeinschaften führte zu einer zunehmenden Konkurrenz um die fruchtbaren Areale der Halbinsel, wodurch eine schrittweise Integration der verstreuten Domänen in größere Einheiten stimuliert wurde, der wahrscheinlich eine Reihe Verteidigungsallianzen zum Schutz ihrer Mitglieder vorausgingen.424 Da sie keine weiteren Autoritäten über sich kannten und von daher über völlig gleichrangige Herrscher verfügten, wurde eine Konfliktlösung durch eine höhere Autorität notwendig. Hier sieht Leonard Andaya den Ansatzpunkt der tomanurung-Legenden.425 Da die Entstehung für alle Staaten der Region deutlich vor die Zeit der ersten Schriftquellen zu datieren ist, stehen lediglich Mythen für dieses Ereignis zur Verfügung. Außer Wajo besitzen alle Königtümer in Süd-Sulawesi tomanurung-Erzählungen, die beschreiben, wie die jeweilige Dynastie, meist göttlicher Abstammung, an die Macht 423 Die von G. J. Resink behauptete Existenz klar definierter Grenzen in Süd-Sulawesi überzeugt nicht (RESINK, Volkenrecht, 395-397). Die Feststellung, daß für die Teilung von Goa-Tallo in zwei Einzelfürstentümer eine eindeutige Grenze zwingend notwendig sei, nähert sich dem Problem von der falschen Seite, da sich Goa und Tallo im Laufe des Staatswerdungsprozesses zusammengefunden haben und nicht geteilt wurden. Die von Resink hergestellte Analogie zur chinesischen Mauer als definierte Grenze hat nicht mehr Beweiskraft als der berühmte Vergleich von Äpfeln mit Birnen, und der Hinweis auf die exakten Begrenzungsangaben („een canonschoot“) in Verträgen der VOC mit einheimischen Machthabern spiegelt nur den niederländischen Wunsch nach klar geregelten Machtverhältnissen. 424 CALDWELL, Power, 402. 425 ANDAYA, Nature of Kingship, 118. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 179 kam.426 Am Anfang stand stets ein aus den göttlichen Sphären herabgestiegener legendärer Staatsgründer, der die Menschen aus dem Chaos der Konkurrenzsituation rettete und eine Dynastie gründete. Auch der Beginn des gigantischen I La GaligoEpos ist nichts anderes als die tomanurung-Legende des Königtums von Luwu. Neben dem göttlichen Ursprung zeichneten sich die buginesischen und makassarischen Herrscher Süd-Sulawesis durch Grundeigenschaften aus, die aus dem adatRecht und dem darin festgeschriebenen Herrscherideal abgeleitet wurden.427 Die Herrscher wurden gleichermaßen als Vermittler zwischen Gottheiten und Menschen als auch zwischen den Menschen ihres Herrschaftsbereichs untereinander angesehen. Verstieß der Herrscher gegen die im adat vorgegebenen Herrschaftsideale, beschwor er beträchtlichen Schaden wie Mißernten im Reisanbau für sein Volk herauf. Insofern war es durchaus möglich, einen Herrscher abzulehnen und seines Amtes zu entheben. Auch bei der Neubestimmung eines Herrschers waren in gewisser Weise die Untertanen beteiligt, wenn auch wohl nur die männlichen Mitglieder der Nobilität. Der Nachfolger wurde zwar nach Möglichkeit vom vorangegangenen Herrscher vorgeschlagen, mußte aber nach dessen Ableben von den so vertretenen Untertanen bestätigt werden. Ausschlaggebender Faktor in der Hierarchie der süd-sulawesischen Königreiche war der Status einer Person (siri), der nicht durch Geburt vorgegeben war, sondern erworben werden mußte.428 Besondere Bedeutung kam in der Konsolidierungsphase dieser Königtümer der Heiratspolitik zu, wobei in einer Gesellschaft, welche die Polygamie zuließ, die Erstverheiratung die entscheidende war. Viel wichtiger als die Verbindung zwischen zwei benachbarten Königreichen war im 15. und 16. Jahrhundert die Verbindung innerhalb des Königtums. Hochzeiten wurden nicht zwischen zwei Herrschern ausgehandelt sondern zwischen einem Herrscher und seinem lokalen arung – also dem Führer einer Domäne. Als typisches Beispiel hierfür mag die Heirat des La Makkanengnga gelten, der als König von Soppeng die Tochter des Wé Téna zur Frau nahm, da dieser als arung der Bergfeste Bulumatanré den Paß zwischen Soppeng und der Westküste kontrollierte.429 Die Heirat zwischen dem Herrscher und der Tochter eines einflußreichen Gefolgsmannes diente zur inneren Konsolidierung des Staates. Dies ändert sich erst in islamischer Zeit, als die Königtümer offenbar inner- 426 427 428 429 ZAINAL ABIDIN, Emergence, 248 und passim. ANDAYA, Nature of Kingship, 117-119. DERS., Heritage, 15-17; CALDWELL, Power, 404-407; ZAINAL ABIDIN, Emergence, 207/208. CALDWELL, Power, 397. Zur Bedeutung der Heiratspolitik bei der Konsolidierung des Reiches von GoaTallo siehe BULBECK, New Perspectives, 14-16, und DERS., Politics of Marriage, passim. 180 Makassar und die Europäer vor 1666/69 lich gefestigt waren. Hochzeiten wurden dann immer häufiger zwischen verschiedenen Herrscherhäusern aus bündnispolitischen Beweggründen heraus veranlaßt. Die niederländischen Berichte für die Zeit nach 1669 geben Zeugnis von zahlreichen Heiratsereignissen über die Grenzen der einzelnen Königtümer hinweg. Die ewige Rivalität zwischen Goa-Tallo und Boné wurde abgeschwächt, betrachtet man die wiederholten Verheiratungen zwischen ihren Königshäusern. Aus den schriftlichen Zeugnissen der Makassaren und der Bugis läßt sich für ca. 1500 schließen, daß in Süd-Sulawesi sechs vorherrschende Königreiche, von der Forschung gelegentlich auch als Föderationen bezeichnet, bestanden haben: Luwu, Soppeng, Sidenreng, Boné, Wajo und Goa-Tallo.430 Zwischen dem 10. und dem 14. Jahrhundert war Luwu der mächtigste und einflußreichste Staat in Süd-Sulawesi. Dies wird nicht zuletzt dadurch deutlich, daß so bedeutende Orte wie Selayar, Siang, Lamatti und Bulo-Bulo in ihren Legenden ihren ersten Herrscher aus Luwu kommen lassen, wie überhaupt der Nobilität des Bugis-Staates in den frühen Zeugnissen der lontara-Periode höchste Achtung gezollt wurde.431 Die Etablierung Soppengs als Königreich wird allgemein auf ungefähr 1300 datiert. Der Staat wird zwar im I La Galigo-Zyklus erwähnt, dies jedoch ohne zeitliche Relationen, die eine genauere Datierung ermöglichen.432 Seine Blütezeit hatte das Königtum im 15. Jahrhundert, als es offenbar Sidenreng neben einigen kleineren Staaten unter seine Kontrolle brachte und sich so einen Meereszugang und günstige Bedingungen für den eigenen Seehandel schuf. Im frühen 16. Jahrhundert änderten sich die Machtverhältnisse wieder. Sidenreng wurde zur einflußreichsten Macht im nördlichen Gebiet der Halbinsel bis hin zur Westküste, als das Königtum Suppaq aus der Machtsphäre Soppengs in diejenige Sinderengs wechselte.433 Die Rückrechnung der überlieferten dynastischen Daten des nach 1669 vorherrschenden Bugis-Reiches Boné erlaubt die Annahme, daß dessen erster König zwischen 1398 und 1424 regierte.434 Der Beginn des Aufstieges, der mehr oder weniger parallel zu demjenigen des konkurrierenden Bugis-Reiches Wajo als auch des makassarischen Goa-Tallo verlief, läßt sich anhand der einheimischen Texte auf das frühe 15. Jahrhundert datieren.435 430 431 432 433 434 CALDWELL, Power, 395. ZAINAL ABIDIN, Emergence, 212. Ebd., 230. CALDWELL, Power, 402. ZAINAL ABIDIN, Emergence, 229. Ausgangspunkt der Rückrechnung ist die Niederlage Bonés gegen Goa im Jahr 1611. 435 CALDWELL, Power, 402. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 181 Der gelegentlich erweckte Eindruck, daß dieses Staatensystem in Süd-Sulawesi mit dem Einzug des Islams zu Beginn des 17. Jahrhunderts und der daraus mittelbar resultierenden Machtfülle Makassars sein Ende fand, trügt. Zwar konnte Makassar eine besonders große Anzahl lokaler Herrscher unter seine Vorherrschaft zwingen und eine für süd-sulawesische Staaten bislang unbekannte geographische Ausdehnung über Sulawesi hinaus erreichen, doch blieb in der Vorgehensweise alles beim Alten. Die „eroberten“ Staaten und ihre Dynastien existierten weiter, und der Islam als Legitimationsmittel war nur eine zusätzliche Waffe im altbekannten Spiel der regionalen Machtverschiebungen. Auch die VOC stellte letztendlich nichts anderes dar als einen weiteren Teilnehmer an diesem Spiel, der sich, vom angeeigneten Territorium Goa-Tallos aus, die Macht über eine große Anzahl lokaler Dynastien in Süd-Sulawesi mit dem Bugis-Staat Boné teilte. Goa und Tallo Die Vorläufer des Königtums Goa waren die neun unabhängige Domänen, die unter dem Namen bate salapang (Neun Banner) eine lockere Föderation bildeten. Die Häupter der einzelnen Gemeinden stellten einen Ältestenrat, der einen aus seiner Mitte stammenden Herrscher berief und als sein Berater fungierte. Diese Förderation war trotz ihres eher informellen Charakters expansiv ausgerichtet und zwang im Laufe der Zeit diverse Nachbarn unter ihre Kontrolle. In der Folge bestand bei der Tumapa’risi Kallona zugeschriebenen Gründung von Goa ein zwar immer noch kleines, aber unter den kleinen politischen Einheiten Süd-Sulawesis doch herausragendes und wohl organisiertes Staatswesen, das eine deutlich ausgeprägtere Neigung zur Zentralisierung aufwies als etwaige konkurrierende Nachbarn.436 Die Gründung Goas, wie sie in den Chroniken überliefert ist, stellt also keine wirklich neue Staatsgründung dar, sondern eher die Gründung einer neuen Residenz und die Reorganisation eines bereits bestehenden politischen Gebildes. Die zentrale Domäne Goa, die an ihrem Herrschersitz die im Gründungsmythos verankerten heiligen Gegenstände (gaukang) aufbewahrte, wurde endgültig zum Mittelpunkt des Königreiches erhoben. Die zukünftige Erfolgsgeschichte konnte Goa allerdings nicht alleine bestreiten. Der entscheidende Schritt war die Allianz zwischen dem bereits relativ mächtigen Goa, dessen Zentrum und Heiligtum sich zu jener Zeit noch sechs Kilometer landeinwärts befand, und dem nördlich davon gelegenen, 436 VILLIERS, Makassar, 143. 182 Makassar und die Europäer vor 1666/69 nur aus einer Domäne bestehenden Tallo, das an einem günstigen Ankerplatz an der Küste lag und dessen Territorium sich entsprechend vorteilhaft an der Küste entlang erstreckte.437 Diese Allianz, die wenige Jahre später in die Doppelmonarchie Makassar überging, bestand erstaunlich stabil bis zur entscheidenden Niederlage gegen die VOC 1669 und eigentlich sogar darüber hinaus – dann aber nur noch als lose miteinander verbundene Vasallen der niederländischen Kompanie. Die Entstehung des Doppelkönigtums Goa-Tallo war eine strategische Entscheidung, die weniger auf militär- oder machtpolitische Vorteile aus war, sondern einen eigenen Meereszugang und einen vorteilhaften Hafen im Auge hatte. Eine günstige maritime Lage scheint als wesentliche Voraussetzung für eine prosperierende Staatsentwicklung angesehen worden zu sein. Die Verbindung zwischen Goa und Tallo spricht für eine frühe kommerzielle Ausrichtung des Staates Makassar, wie er vor allem von europäischer Seite unter Anwendung des alten Namens für die Region schließlich genannt wurde, und legt zudem nahe, daß die Makassaren selbst bereits im 15. und frühen 16. Jahrhundert intensive Seefahrt betrieben. Allerdings war die Verbindung der Königtümer Goa und Tallo zum neuen Reich Makassar kein urknallgleicher Beginn einer Regionalmacht. Vielmehr fand sich auch die neue Allianz zunächst in der landestypischen ambivalenten Lage wieder. Einerseits legte der erste in den Chroniken aufgeführte Herrscher, Tumapa’risi Kallonna (ca. 1512 – 1548), entscheidende Grundsteinde für ein im regionalen Kontext modernes Staatswesen. Die angesprochene Überlieferung, daß er das Amt des syahbandar einrichtete, untermauert kaum die Vermutung, daß erst zu seiner Zeit Schiffahrt in Makassar überhaupt eine Rolle spielte; vielmehr steht dieser Bericht symbolhaft für die Schaffung einer staatlichen Verwaltungsstruktur – zumindest für deren Anfänge. Daß in diesem Zusammenhang ausgerechnet das Amt des Hafenmeisters überliefert wird, spricht weitaus eher für eine lokale maritime Tradition als gegen eine solche. Die an gleicher Stelle überlieferte Kodifizierung einer makassarischen Schrift deutet über den an sich bedeutsamen Akt hinaus darauf hin, daß unter seinem ersten König dem makassarischen Volk eine eigene Identität gegeben wurde. Andererseits war Goa-Tallo zu dieser Zeit noch nicht so vollständig unabhängig, wie die Berichte aus den Herrscherannalen nahelegen. Bekannlich berichtete der Jesuit António Pavia im Jahr 1544, also in der Spätphase der Herrschaft Tumapa’risi Kallonnas, von der Vorherrschaft des nördlich gelegenen Küstenstaates Siang.438 437 REID, Rise of Makassar, 134. 438 JACOBS, Christianity, passim. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 183 Goa-Tallo war also bei aller eigenständigen Politik nach wie vor als Vasall eines Mächtigeren in die Strukturen der wechselnden Abhängigkeiten des regionalen Staatensystems eingebunden. Die Abhängigkeit von Siang konnte erst unter Tumapa’risi Kallonnas Sohn Tunipalangga (1548 – 1566), erreicht werden. John Villiers führt diese Machtverschiebung auf die Tatsache zurück, daß es den ersten portugiesischen Missionaren gelungen war, den Herrscher von Siang zum Christentum zu bekehren, verbunden mit der Vermutung, daß die vornehmlich islamischen Händler daraufhin einen religiös neutralen Hafenplatz vorzogen.439 Diese Interpretation mag durchaus ihre Berechtigung haben. Da jedoch nach wie vor weitgehend unklar ist, wie tief die Bekehrung einzelner lokaler Fürsten durch die Jesuiten im 16. Jahrhundert überhaupt wirkte, entzieht sie sich weiterer Überprüfungen. Der Machtzugewinn, der dem aufstrebenden Makassar durch die Verbindung von Goa und Tallo zufloß, war sicherlich ein weiterer Faktor für die Lösung aus der Vorherrschaft von Siang. 2. Die politische Geschichte Makassars Makassar und der Islam Die Geschichte des Aufstieges Makassars zur regionalen Vormacht ist eng mit der Geschichte des Islam in Sulawesis verbunden. Über dessen Aufstiegsphase lassen sich allerdings nur Vermutungen anstellen.440 Die einheimischen Chroniken berichten von der Islamfreundlichkeit Königs Tunijallos (1566 – 1590). Aus Quellen von der Molukkeninsel Ternate geht hervor, daß der dortige Sultan diesen König im Jahre 1580 besuchte, um mit ihm einen Beistandspakt zu schließen. Als Gegenleistung für seine militärische Hilfe forderte er den Übertritt Makassars zum Islam ein.441 Allerdings herrschte schon vor der offiziellen Islamisierung rege Handelsschiffahrt in Makassar. Entsprechend war ein steter Kontakt zu Muslimen gegeben, waren doch die Malaiische Halbinsel, Sumatra und Java zumindest an den Küsten bereits islamisiert. Viele dieser Muslime lebten über längere Zeitspannen in Makassar. So wie später Christen in der islamischen Stadt die Erlaubnis erhielten, ihre eigenen 439 VILLIERS, Makassar, 147. 440 Die Phase des ‚komst van de Islam‘ nach der Periodisierung von J. Noorduyn. Siehe Drittes Kapitel, I.2. 441 NOORDUYN, Islamisering, 249/250. 184 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Kirchen zu bauen, war es den islamischen Malaiien bereits unter Tunijallo gestattet, im noch animistischen Goa-Tallo ihre Moscheen zu errichten.442 Aus den meisten lokalen Überlieferungen Sulawesis ist bekannt, daß die einheimische Tradition stets den eigenen Herrscher an den Beginn des islamischen Zeitalters setzt und den ersten Kontakt mit islamischen Kaufleuten, die nach Noorduyn Träger der Verbreitung der neuen Religion waren, verschweigt. Es liegt nahe, die angebliche Forderung des Sultans von Ternate, dessen politische Kontakte nach Makassar auch die Chronik von Goa bestätigt, als eine solche nachträglich gefundene Erklärung aufzufassen. Auch über die exakte Datierung der ‚invoering van de Islam‘ bestehen abweichende Angaben; sie schwanken zwischen 1603 und 1607. Nach der Zusammenstellung Noorduyns ergeben sich vier Datierungen.443 1603 beruht einerseits auf dem Journal des Paulus van Solts, der über den ersten niederländischen Besuch in Makassar berichtet, und andererseits auf den Annalen von Goa-Tallo, dem sogenannten Dagboek, sowie auf der Notitie des Cornelis Speelman, der jedoch sicherlich eine der beiden Quellen als Grundlage gehabt haben dürfte. 1605 beruht auf der Chronik von Tallo und auf den Informationen von François Valentijn (‚Oud en Nieuw Oost Indie‘, 1724-26) und John Crawfurd (‚History of the Indian Archipelago‘, 1820), die als nachträgliche Chronisten jedoch auch über eine frühere Informationsquelle verfügt haben müssen. 1606 beruht auf der Chronik von Goa und einigen anderen makassarischen Legenden, während 1607 schließlich auf einer zweiten Lesart und früheren niederländischen Ausgabe der Annalen von Goa-Tallo beruht. Noorduyn selbst kommt nach quellenkritischen Betrachtungen, die alle verfügbaren Texte unter Einbeziehung des islamischen Mondkalenders und seiner Abweichungen vom christlichen Sonnenkalender vergleicht, letztendlich zu einer exakten Datierung des Tages, an dem Karaeng Matoaya, Herrscher von Tallo, öffentlich den Islam annahm: den 22.9.1605. Der Tag, an dem ihm sein jüngere Cousin und Protegé Ala’uddin, König von Goa, folgte, ist nicht ganz klar. Der Schritt muß aber unmittelbar nach dem entscheidenden Schritt Matoayas unternommen worden sein.444 Bis zur formalen Einführung des Islams unter der Bevölkerung sollten noch zwei Jahre vergehen. Die offizielle Vollendung dieses Prozesses wird durch das erste öffentliche Freitagsgebet bestimmt, das auf den 9.11.1607 datiert werden kann.445 442 443 444 445 REID, Rise of Makassar, 139. NOORDUYN, Islamisering, 252/253. Ebd., 259; NOORDUYN, Makasar, 313/314; siehe auch CHAMBERT-LOIR, Dato’ri Bandang, 140/141. NOORDUYN, Islamisering, 265; DERS. Makasar, 314. Um die Bekehrung der Herrscher von Goa-Tallo ranken sich mehrere Legenden, deren bekannteste von drei Islamgelehrten berichtet, die in Sulawesi landeten und die Grundlage für eine umfassende Islamisierung legten (RÖSSLER, Soziale Realität, 30/31). Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 185 Da hier keine religionshistorische Untersuchung beabsichtigt ist, sollen diese Daten ohne weitere Diskussion als gegeben hingenommen werden. Es ist jedoch anzumerken, daß selbst bei völliger Exaktheit nur zwei formale Eckpunkte, die im wesentlichen für die Anerkennung innerhalb der islamischen Welt Bedeutung hatten, benannt worden sind, nämlich die individuelle Bekehrung des Königs und der – letztendlich auch von ihm ausgehende – rein formale Eintritt der Bevölkerung in die islamischen Glaubenswelt. Die späteren Berichte, die sämtlich von einer großen Frömmigkeit des neu-muslimischen Herrschers berichten, der alle Vorschriften peinlich genau einhielt und alle wesentlichen Rituale des Islam durchführen ließ, legen nahe, daß es sich auch bei der Einzelperson des Herrschers um einen längeren Informationsprozeß gehandelt haben muß, der Übertritte von heute auf morgen, wie in der Erzählung vom Bündnis mit Ternate angesprochen, ausschließt.446 Zufällig fand der erste niederländische Besuch in Makassar noch vor dem ersten öffentlichen Freitagsgebet statt, nämlich im Mai 1607. Die Beobachtungen des Paulus van Solt fallen also noch in die Phase der offiziell durchgeführten Islamisierung. Der Chronist hat folgendes zu berichten: „Alderhand fruyten van Indsen zijnder abondant, oock Bocken, Buffels, ende Verckens, dan die kann men nu qualijck bekomen, overmits dat den Coninck over vier jaer de Mahometische W.et aenghenomen heeft, die hy door sijn heel landt will onderhouden hebben. Waren eerst Heydenen ghelijck de Siammers, ende Pegeurs, die sy niet ongelijck van aengesicht, ende couleur en zijn, met hooghe voor-hoofden, generalijck lanck, ende gros van proportie, de Mans dragen gemeenlijck een, twee, ofte meer bollen in haer roede, vande selfde groote, als die van Siam, doch niet hol, noch klinckende, dan van Elpen, ofte Vischbee Massijf ‘t welck nu oock onder haer afkomt, door de veranderinge der Secte, terweijle sy Heydenen waren, sneden de Vrouwen het hayr op een Kam, dan nu laten het mede lanck wassen, ende bindent op de maniere der Malaysche Vrouwen, de Slavinnen die men achter strate het water siet dragen, hebben het boven lijf met de borsten gantsch bloot, ende dragen een Broeck, die haer tot den navel komt; als sy haer wasschen, staen sy moeder naeckt, de Mans soo wel als de Vrouwen, by de water putten, d’welck ick noch in geen plaetsen van Indien ghesien en heb, als hier.“447 Zwar vernahm van Solt durchaus, daß Makassar vor kurzem das Glaubensbekenntnis („die Sekte“) gewechselt hatte, doch weiß er von einer Reihe eindeutig vorislamischer Elemente zu berichten, die nach wie vor gepflegt und offensichtlich auch nicht behindert wurden: sei es die Aufzucht von Schweinen, verschiedene „heidnische“ Moden wie Haartrachten oder die vielerorts in Südost-Asien vorkommenden Ballen am männlichen Geschlecht, oder sei es die Unbekümmertheit, mit der Mann und Frau unbekleidet nebeneinander Körperpflege betrieben. Man kann ohne große 446 DERS., Islamisering van Makasar, 262/263. 447 SOLT, Verhael, 82. 186 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Fahrlässigkeit in der historischen Interpretation davon ausgehen, daß sich an diesen Umständen auch ein halbes Jahr später, als der Prozess der inneren Islamisierung offiziell für beendet erklärt wurde, kaum etwas geändert hatte. Auch in der Zeit danach waren nur langsame Veränderungen hin zu einer islamischen Durchdringung aller Lebensbereiche zu erwarten, die uneingeschränkt, zumindest in orthodoxer Sichtweise, nie stattgefunden hat. Gerade Sulawesi gehört zu den indonesischen Regionen, in welchen die strenge Orthodoxie die ursprüngliche Vorherrschaft der weitaus offeneren Mystik nie wirklich hat überlagern können und in welchen religiöse Mischkulturen durch Beibehaltung zahlreicher traditioneller Elemente aus der Welt des Animismus und des adat entstanden und bis heute lebendig blieben.448 In den europäischen Quellen, die über die Islamisierung Makassars berichten, wird mehrfach die gleiche Geschichte kolportiert. Demnach hätte der Herrscher von Makassar nach muslimische Gelehrten – in der Regel aus Aceh – und christlichen Missionaren – in der Regel aus Malakka – geschickt, die sein Volk jeweils in ihrer Religion unterweisen sollten. Diejenige Religion, deren Vertreter als erste Makassar erreichten, wollte der Herrscher und damit sein Volk übernehmen. Nach dieser Legende waren es die muslimischen Gelehrten, die zuerst eintrafen, wodurch die Makassaren zu Beginn des 17. Jahrhunderts Muslime wurden.449 In der Tat hatte das Christentum ein Rennen verloren, allerdings eines über einen langen Zeitraum. Beide Religionen waren schon lange Zeit vor dem entscheidenden Jahr 1605 auf Sulawesi present gewesen; das Christentum im Gegensatz zum Islam sogar in Gestalt von gezielten Missionierungsversuchen. Die vielzitierte Legende vom Wettlauf der Religionen, die bezeichnenderweise in der einheimischen Überlieferung keinerlei Platz findet, ist kaum mehr als ein selbstgespendeter Trost der christlichen Seite für den Umstand, daß ihre Religion für die Herrscher wie die Bevölkerung dieser Region bei weitem nicht die Anziehungskraft ausstrahlte wie es der Islam vermochte. Für den Herrscher einer offenen Hafenstadt war der Islam – 448 NIEUWENHUIJZE, Indonesien, 179-181; STAHR, Südostasien, 30/31; zur historische Genese der spezifischen religiösen Situation in Süd-Sulawesi siehe PELRAS, Religion, passim. 449 Travels and Controversies, 113 (mit der Variante, daß die Muslims aus Siam kamen anstatt aus dem üblicherweise angegebenen Aceh); Rhodes of Viet Nam, 207/208; Jesuit Makasar Documents, Nr. 36, Bericht des António Francisco Cardim zwischen 1650 und 1652, 114-118, § 2; Nr. 46, Bericht des André Ferrão von 1658, 151-157, § 3; Nr. 52, jährlicher Brief des Matias da Maya aus Macau nach Rom von 1661, 166-174, § 2; Nr. 62, jährlicher Brief des Matias da Maya von Macau nach Rom von 1666, 198-209, § 3/4; Appendix 1, Bericht des Luis de Andrade über die Mission in Asien von 1629, 253-257, § 75/76; Appendix 2, Itinerario des Sebastião Manrique Osa von 1649, 257-262, § 5; GERVAISE, Kingdom of Macasar, 124-129. Nach Donald F. Lach war es Alexandre de Rhodes, der diese Geschichte erstmals in Umlauf setzte (LACH/KLEY, Century of Advance, 1445). Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 187 einmal abgesehen von ganz persönlichen Überzeugungen und Präferenzen – in Anbetracht der überwältigenden Mehrheit islamischer Händler die günstigere Entscheidung. Der breiten Bevölkerung war eine Bekehrung zum Islam auf Grund der weitaus größeren Flexibilität des vorherrschenden Mystizismus und der damit verbundenen unproblematischen Integration eigener animistischer Glaubenselemente und der Welt des adat-Rechtes wesentlich leichter zu vermitteln. Hinsichtlich der makassarischen Geschichte geht die Bedeutung der Islamisierung jedoch weit über diejenige eines gewonnenen Bekehrungswettstreites hinaus. Die Herrscher des Doppelkönigtums leiteten aus der neuen Religion und der Tatsache, in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle in Süd-Sulawesi übernommen zu haben, die Legitimation ab, den neuen Glauben und damit die eigene Einflußsphäre auch mit Waffengewalt auszuweiten. War Goa-Tallo schon früh expansiv ausgerichtet, nicht zuletzt durch den wirtschaftlichen Erfolg als zunehmend bedeutsamer Hafen- und Handelsplatz, bedeutete die Islamisierung einen letzten entscheidenden Impetus. Es dauerte nur wenige Jahre, bis alle Bugis-Reiche der Halbinsel zum Glaubenswechsel und zur Anerkennung der makassarischen Oberhoheit gezwungen worden waren. Die gewaltsame Bekehrung der benachbarten Königtümer findet nach den fürstlichen Tagebüchern von Goa und Tallo im Rahmen des Tamappalo-Krieges in den Jahren 1609 (Soppeng im November) und 1610 (Wajo im Mai und Boné im November) statt.450 Noorduyn datiert die Islamisierung Bonés auf Grund niederländischer Quellen auf 1611 und betont, daß es sich um das letzte Bugis-Reich handelte, daß auf diese Weise von Makassar zum Islam „bekehrt“ wurde.451 Spätestens vier Jahre nach dem offiziellen Abschluß der inneren Islamisierung war auch die regionale Islamisierung vollendet; Goa-Tallo hatte die Vormachtsstellung in Süd-Sulawesi inne. Makassar als Zentrum des Doppelkönigtums war zudem zu einem regionalen islamischen Zentrum des religiösen Unterrichtes, der geistlichen Forschung und der Mission geworden.452 Mit diesem machtpolitischen Siegeszug, der in Schnelligkeit und Ausmaß unter den Machtverschiebungen der vorangegagnenen Jahrhunderte seinesgleichen sucht, waren dies Expansionsbestrebungen noch lange nicht befriedigt. Vielmehr nahmen sie Ausmaße an, welche die Leitungsgremien der VOC, für die rein religiöse Bekehrungsversuche sicherlich unbedeutend gewesen wären, mit Sorge erfüllten: 450 Transciptie, 86/87. 451 NOORDUYN, Islamisering, 256/257; zur Islamisierung der einelnen Bugis-Reiche siehe CHAMBERT-LOIR, Dato’ri Bandang, passim; sowie PELRAS, Religion, 119-123. 452 VILLIERS, Makassar, 153. 188 Makassar und die Europäer vor 1666/69 „De Macassaren waren met twee joncken op Aru geweest, die daer alreede eenige orangcays ende inwoonders Moors gemaect ende seven mosquiten opgerecht hadden, daer dagelijcx den Moorschen dienst in gedaen wiert. ‘t Is te duchten, so wij daer niet in voorsien, dat dese secte alle dese eylanden, die noch meest heydens sijn (ende mogelijcx tot het Christengeloof wel souden connen getrocken worden), doorcruypen ende infecteeren sal.“453 Neben diversen weniger bedeutenden Inseln wie dem erwähnte Aru-Archipel nahmen Karaeng Matoaya, Ala’uddin und dessen Reichsverweser Pattingalloang im Zuge ihrer Islamisierungspolitik auch Teile der im Süden gelegenen Kleinen SundaInseln (Nusa Tenggara) ins Visier. Die bedeutendste und auch letzte Eroberung machten sie mit der Insel Sumbawa, mit deren verschiedenen Königreichen (namentlich Sanggar, Papekat, Tambora, Sumbawa und Bima) schon traditionell intensive Beziehungen bestanden. Diese wurden von Makassar im Zuge vier militärischer Expeditionen zum Islam „bekehrt“ und unter makassarische Oberhoheit gestellt. Die ersten beiden Expeditionen fanden in den Jahren 1618 und 1619 statt, die dritte 1626, die letzte schließlich, nach einem bewaffneten Aufstand in Bima, 1632/33.454 Danach war auch der widerspenstigste Teil der Nobilität von der Sinnlosigkeit seiner Gegenwehr überzeugt. Sumbawa war eine islamische Insel geworden, und die im Amt verbliebenen, nun jedoch muslimischen Könige erkannten die Herrscher von Makassar als ihre Oberhäupter an und akzeptierten ihre neue Tributpflicht. Nach der staatlichen Konsolidierung durch die Verbindung von Goa und Tallo war die Islamisierung der zweite Grundstein für die Expansionspolitik Makassars. Neben einer graduellen Befreiung aus den lokalen Machtstrukturen brachte die Annahme des muslimischen Glaubens zusätzliche Legitimation ein und garantierte die Einbindung in das mittlerweile nicht unbeträchtliche islamische Netzwerk.455 Das erste öffentliche Freitagsgebet bedeutete den offiziellen Übergang Makassars aus dem dar al-harb, dem Gebiet der Ungläubigen und des heiligen Krieges, in das dar alIslam, das Haus des Islam, der muslimischen Weltgemeinschaft, die zur gegenseitigen Solidarität, insbesondere den Ungläubigen gegenüber, verplichtet ist. Letzteres gewann vor allem dadurch Bedeutung, daß die makassarische Islamisierung in eine Periode verstärkter Kontakte zwischen den klassischen Zentren den Islams im arabisch-persischen Kulturraum und den neu islamisierten Regionen Südostasiens fiel, die sich nicht zuletzt durch die Entsendung islamischer Gelehrter auszeichneten.456 453 Generale Missiven I, 27.1.1625, 166/167. 454 NOORDUYN, Makasar, 338/339 und passim; Transcriptie, 90, 93/94. 455 Anthony Reid sieht in der Annahme des Islams durch die makassarischen Eliten neuerdings „a concious attempt by rulers to break free of the constraints imposed by a multiplicity of small communities all sanctified by their own arajang and their own revered customary laws.“ (REID, Pluralism, 63). 456 WATSON ANADAYA, Religious Developments, 520. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 189 Makassar und das Christentum Trotz langjähriger Präsenz in Süd-Sulawesi konnte die christliche Mission dem Siegeszug des Islams nichts entgegensetzen – ein Schicksal, das in den verspätet eintreffenden Missionaren in der angesprochenen Islamisierungslegende seine bildliche Entsprechung gefunden hat. Den bereits seit den 1520er Jahren in der Region tätigen katholischen Predigern war nur die Bekehrung einzelner Herrscher gelungen, wie etwa die Taufe der Könige von Supa und Siang während der Reise des António Pavia um 1544. Eine tiefergehende Missionierung der jeweiligen Bevölkerung fand nie statt. Der neu christianisierte Herrscher kümmerte sich nicht darum, sondern betrachtete seine vordergründig religiöse Entscheidung letztendlich nur als politisch-taktisches Manöver. Die katholischen Missionare verfügten nicht über das Personal und die kontinuierliche Präsenz, um sich dieser Aufgabe zu widmen. Die meisten Könige der Region verhielten sich dem Christentum gegenüber eher abwartend. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts sah die Lage der christlichen Mission so unvorteilhaft aus, daß eine aus dem indischen Goa nach Makassar gesandte Augustiner-Delegation bereits in Malakka den Entschluß faßte umzukehren.457 Nach der geradezu blitzartigen Islamisierung der Südhalbinsel waren christliche Missionare weiterhin vor Ort präsent, doch hatten sie eher eine seelsorgerische als eine missionarische Funktion. Insbesondere waren es Jesuiten, in der Regel portugiesischer Nationalität, die sich entweder längerfristig in Makassar aufhielten oder die Stadt zumindest vorübergehend besuchten.458 Zwischen 1617 und 1647 war Makassar Teil der Jesuiten-Provinz Cochin, danach wurde die Provinz Japan zuständig. Auch wenn immer wieder Missionierungsversuche unternommen wurden und zumindest zeitweise ein reger religionsgelehrter Disput mit dem Herrscherhaus gepflegt wurde, stand die Präsenz der Jesuiten vor allem mit der in Makassar kontinuierlich wachsenden portugiesischen Gemeinde im Zusammenhang.459 Entsprechend endete ihre Tätigkeit mit deren Ende zu Beginn des Makassarischen Krieges. Bis Mitte des 17. Jahrhunderts genossen die in Makassar ansässigen Christen und ihre Geistlichen eine Zeit der außerordentlichen Toleranz. Den Portugiesen erschien insbesondere Pattingalloang (1600 – 1654), der für den König von Goa als 457 JACOBS, General Introduction, 5*; siehe zur frühen Missionsgeschichte Sulawesis auch WESSELS, Wat staat geschiedkundige vast, DERS., Katholieke Mission, und JACOBS, Christianity. 458 Für eine äußerst detaillierte Geschichte der Jesuiten in Makassar einschließlich der biographischen Zusammenstellung aller hier tätigen Missionare siehe JACOBS, General Introduction, 9*-29*. 459 Zwischen 1618 und 1646 hielt sich kein Jesuit ständig in Makassar auf, lediglich Besuche von Ordensmitgliedern wurden registriert, siehe ebd., 9*. 190 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Reichsverweser oder oberster Minister die politischen Geschäfte führte, als christenfreundlich und westlich gebildet.460 Alexandre de Rhodes, der ebenfalls von dessen außerordentlicher Bildung und großem Interesse an europäischer Kultur und Wissenschaft berichtet, verstieg sich sogar zu der Einschätzung, daß der karaeng nominell zwar Muslim war, jedoch so nahe am Christentum lebte, daß er ein gutes Leben führte – was er nicht zuletzt mit der Tatsache begründete, daß Pattingalloang nur eine Frau hatte.461 Nicht nur Zeitgenossen waren in Anbetracht eines erfolgreichen Staatsführers wie Pattingalloang, der Interesse an Predigten zeigte und gelegentlich christliche Gottesdienste besuchte, geneigt, einen großen christlichen Einfluß in Makassar zu konstatieren. Auch die neuere Forschung gelangt gelegentlich zu derartigen Interpretationen. Aus dem Nebeneinander diverser christlicher und islamischer Elemente in Makassar und insbesondere an den Höfen von Goa und Tallo, welches beispielsweise in den unterschiedlichen genutzten Kalendern oder der Vielfalt der von Matoaya geprochenen Sprachen zum Ausdruck kam, ja sogar aus der WettlaufLegende schließt Anthony Reid auf einen fast gleichwertigen Einfluß von Christentum und Islam.462 Auf dieser Grundlage nimmt er an, daß zu Beginn des 17. Jahrhunderts gewissermaßen eine offene Entscheidungsmöglichkeit für das Königtum zwischen diesen beiden Religionen bestanden hat. Die Islamisierung wird dadurch mehr oder weniger zu einem reinen Zufallsprodukt degradiert. Trotz unzweifelhafter Toleranz gegenüber dem Christentum und tatsächlichem Interesse an europäischer Bildung, deren Vermittler Christen waren, sei an dieser Stelle ausdrücklich vor einer Überschätzung der Rolle des Christentums in Makassar gewarnt. Immerhin war es zumindest genauso lange, wenn nicht weitaus länger als der Islam auf Sulawesi präsent, ohne daß irgendein langfristiger Erfolg nachzuweisen wäre. Vielmehr hatte das Christentum mit großer Wahrscheinlichkeit nie eine reelle Chance. Hintergrund für die relativ ungestörte Existenz einer christlichen Gemeinde und das Vordringen christlicher Elemente über die Gemeindegrenzen hinaus war das Zusammentreffen zweier Traditionen: zum einen der lokalen Tradition des offenen Hafens, die Kaufmannsgemeinschaften aller Religionen und Kulturen einschließlich der Portugiesen gleichermaßen ihre Entfaltung garantierte, 460 Jesuit Makasar Documents, Nr. 36, Bericht des António Franc. Cardim zwischen 1650 und 1652, 114118, § 1; so auch Nr. 62, jährlicher Brief des Matias da Maya von Macau nach Rom von 1666, 198-209, § 6-8. 461 Rhodes of Viet Nam, 209/210; 16 Jahre später wird sogar von dem Gerücht berichtet, daß Pattingalloang seine Frau kurz vor ihrem Tod getauft habe: Jesuit Makasar Documents, Nr. 62, jährlicher Brief des Matias da Maya von Macau nach Rom von 1666, 198-209, § 7. 462 REID, Indonesian Family, 14. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 191 und zum anderen der islamischen Tradition, Andersgläubigen, die sich als Angehörige einer Buchreligion (dhimmis) unter den Schutz des islamischen Herrschers stellten, Sicherheit und Eigenständigkeit zu garantieren. Die Ära des wohlwollenden Verhaltens dem Christentum gegenüber endete anch dem Tod Pattingalloangs unter Karaeng Cronron. Dieser ließ eine offene christliche Mission verbieten und die großen Ordenskirchen niederbrennen.463 Die christliche Mission wurde bald mit der Todesstrafe belegt. In der Folge mußten die Jesuiten frisch Konvertierte, die es trotz allem in sehr geringer Zahl immer wieder gab, heimlich aus Makassar herausschmuggeln.464 Ein Beispiel aus dem Jahr 1655 berichtet von einigen konvertierten Frauen, die in einer Nacht- und Nebelaktion Richtung Macau eingeschifft wurden.465 Allerdings stand Karaeng Cronron seinem Vorgänger in Bildung und Religionskenntnis nur wenig nach. Die von mehreren Missionaren beschriebene Bibliothek und die bemerkenswerte wissenschaftliche Sammlung wurden Domingo Navarette, der Makassar 1657/58 besuchte, mit Stolz vorgeführt.466 Auch konnte die Christenfeindlichkeit dieser Zeit nicht übermäßig groß gewesen sein, konnte Navarette doch ungehindert während seines Aufenthaltes predigen. Die Position der geschützten dhimmis hatten die Portugiesen und Jesuiten demnach noch immer inne; lediglich allzu offene Bekehrungsbemühungen und Kirchen, die in Größe und Ausstattung den Moscheen nicht nachstanden und auf diese Weise dem Herrschaftsanspruch des Islam allzu offensichtlich entgegenstanden, waren beseitigt worden. Neben den Jesuiten waren stets einige Dominikaner mit ihrer eigenen Kirche in Makassar präsent, die den gleichen Toleranzkonjunkturen unterlagen.467 Die Dominikaner waren 1641 wie viele andere Christen aus Malakka hierher geflüchtet.468 Darüber hinaus wird in jesuitischen Quellen auch von der Anwesenheit von Augustinern und Franziskanern berichtet, von denen letztere ein eigenes Hospital in der Stadt unterhielten.469 All diese christlichen Geistlichen waren geduldet und durften ihren missionarischen und seelsorgerischen Tätigkeiten nachgehen. An der islami463 Travels and Controversies, 114/115; Jesuit Makasar Documents, Nr. 45, Bericht des André Ferrão von 1658, 151-157, § 4; ebd., Nr. 55, Bericht des Giovanni Filippo de Marini von 1662, 184-189, § 3/4. 464 Ebd., Nr. 17, jährlicher Brief des António Ferreira aus Macau von 1645, 63-66 § 3; Nr. 62, jährlicher Brief des Matias da Maya aus Macau von 1666, 198-209, § 12. 465 Ebd., Nr. 41, jährlicher Brief des João Nunes aus Macau von 1655, 140-143, § 5. 466 Travels and Controversies, 114/115. 467 Jesuit Makasar Documents, Nr. 45, Brief des Joseph Tissanier aus Tonkin nach Rom von 1658, 149/150; Nr. 62, jährlicher Brief des Matias da Maya aus Macau nach Rom von 1666, 198-209, § 2. 468 Ebd., Nr. 18, Bericht des Stanislao Torrente von 1646, 66-70, § 2. 469 Ebd., Nr. 62, jährlicher Brief des Matias da Maya aus Macau nach Rom von 1666, 198-209, § 2. 192 Makassar und die Europäer vor 1666/69 schen Durchdringung der makassarischen Gesellschaft konnte diese Präsenz jedoch nichts ändern. 1662 kam der Jesuit Giovanni Filippo de Marini desillusioniert zu dem Schluß, daß Makassar ohne einen neuen, christenfreundlichen König lediglich als Hafen für das Sandelholz aus Solor und die Gewürze der Molukken nützlich sein konnte.470 Aufstieg zur Regionalmacht Bereits der erste Herrscher Goas soll die Insel Selayar südlich von Süd-Sulawesi und die Hafenstadt Bulukumba an der Südspitze der Halbinsel unterworfen und zu Tributen verpflichtet haben. Die tatsächliche Eroberung dieser Regionen fiel jedoch erst in die 1560er und 1570er Jahre, immerhin noch drei bis vier Jahrzehnte vor der Annahme des Islams als Staatsreligion. Selayar war auf Grund seiner weißen und karierten Baumwollstoffe von besonderer handelspolitischer Bedeutung. Diese selayar cloths hatten bald in Makassar ihren wichtigsten Ausfuhrhafen, nach dem sie auch die Bezeichnung makassar cloths trugen. Auch zur Zeit der VOC-Vorherrschaft in Süd-Sulawesi waren diese Produkte unter der niederländischen Bezeichnung saleijers kleeden ein wichtiges Handelsgut der Region. Die Stadt Bulukumba war neben ihrer eigenen Rolle als Hafen insbesondere für ihre buginesischen Werften berühmt, die ihr Umland zur wichtigsten Schiffbauregion Süd-Sulawesis machten.471 Entscheidend für den Aufstieg Makassars zur Regionalmacht war dennoch die Islamisierung und der durch sie eingebrachte expansive Impetus. Zuvor hatte sich Goa-Tallo die Rolle einer starken Macht unter mehreren auf der Südhalbinsel Sulawesis erkämpft. Das islamische Makassar war von der neuen Religion dermaßen „extrem infiziert“, wie zwei jesuitische Missionare 1616 dem Provinzoberhaupt in Cochin berichteten, daß es einen zehnjährigen Krieg gegen die Bugis entfachte, um diesen ihre neue Religion aufzuzwingen.472 Trotz großer militärischer Erfolge wie der Eroberung Butons 1626, die nach makassarischen Angaben die erste Eroberung der Insel überhaupt war und trotz des „Ewigen Bündnisses“ zwischen der VOC und Buton gelang,473 oder der Unterwerfung der gesamten Insel Sumbawa bis 1633 stieß die gewaltsame Expansion auch bald an ihre Grenzen. Ein niederländischer Brief von 1614 berichtet, daß die Insel 470 471 472 473 Ebd., Nr. 55, Bericht des Giovanni Filippo de Marini von 1662, 184-189, § 9. REID, Rise of Makassar, 138. Jesuit Makasar Documents, Nr. 5, jährlicher Brief des Manuel da Costa aus Chochin von 1618, 8-14, § 6. Transcriptie, 89; SCHOORL, Buton, passim. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 193 Solor, die zuvor zum Machtbereich Ternates gehörte, seit einigen Jahren Makassar tributpflichtig war. Um ihre Ansprüche auch nach der Errichtung eines VOC-Forts auf Solor durchzusetzen, schickte Makassar eine Kriegsflotte von 32 Kora-Koras, die jedoch unverrichteter Dinge wieder die Heimreise antreten mußten, so daß Solor nach kurzer Zeit wieder aus dem Herrschaftsbereich von Goa-Tallo herausfiel.474 Auch wenn gelegentlich betont wird, daß Karaeng Matoaya und Ala’uddin von den geschlagenen Staaten nur die Annahme des Islams forderten und alle beteiligten Königtümer nach der Islamisierung Süd-Sulawesis auf einer gemeinsamen Konferenz als Gleichrangige ein großen Bündnis schlossen,475 behielt Makassar die unbestrittene Vormachtstellung. Die untergeordneten Herrscher hatten die Pflicht, GoaTallo im Kriegsfalle Hilfe zu leisten, deren Herrschern jährlich durch Geschenke zu huldigen und bei den großen Festivitäten wie Hochzeiten anwesend zu sein.476 Reaktionen der betroffenen Bugis-Eliten wie der Gruppe um Arung Palakka in der Mitte des Jahrhunderts sprechen allerdings eher dafür, daß nicht nur informelle Führung, sondern doch längerfristige und repressive Unterwerfung im Spiel war. Unstrittig ist, daß mit der Islamisierung Sumbawas die Phase der territorialen Expansion beendet war und eine neue Orientierung für die – freiwillig oder unfreiwillig – entstandenen Bündnisse gegen die Feinde von See notwendig wurde.477 Der Konsolidierung des neuen, islamisch geprägten Großreiches im Herzen Indonesiens, die nicht zuletzt dem politischen Talent der überragenden Führungspersönlichkeiten von Karaeng Matoaya und Pantillagoang zu verdanken war,478 mußte spätestens in den 1630er Jahren in Anbetracht der immer wachsenden Bedrohung durch die Niederländer die Priorität vor weiteren Ausdehnungen des Machtbereiches zugestanden werden. Als in den 1660er Jahren die VOC erfolgreich gegen Makassar zu Felde zog, beherrschte dieses Reich große Teile Sulawesis sowie die gesamte Insel Sumbawa. Es ist jedoch schwer, die Grenzen dieses Einflußbereiches exakt zu ziehen. Diese Einschränkung liegt sowohl im Charakter einer solchen Vorherrschaft als auch der Quellenlage begründet. In der Regel werden dem Einflußbereich Landstriche auf Sulawesi, die über die eigentliche Südhalbinsel hinausgehen – insbesondere die nörd474 Bouwstoffen I, Nr. VIIIb, Brief des Adriaen van de Velde aus Solor an Pieter Both, 1.5.1614, 95. 475 REID, Indonesian Family, 16/17; VILLIERS, Makassar, 153. Gelegentlich kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, daß der gerne als weise und friedliebend geschilderte Karaeng Matoaya auch bei kritischen Autoren der Heldenverehrung anheim fällt. 476 EERDMANS, Landschap Gowa, 4. 477 NOORDUYN, Kroniek van Wadjo‘, 268/269. 478 Zur Persönlichkeit Karaeng Matoayas und Pantillagoangs siehe REID, Indonesian Family, passim. 194 Makassar und die Europäer vor 1666/69 lich gelegenen Siedlungsgebiete der Mandhar und Teile der Osthalbinsel –, und einige Gebiete an der Ostküste Kalimantans zugeschlagen.479 Für Eroberungen der Mandhar oder etwa des Mündungsgebiets des Mahakam auf Kalimantan liegen jedoch keine Quellenzeugnisse vor; intensive Handelsbeziehungen können diese Landstriche genauso in das Blickfeld gerückt haben wie gewaltsame Eroberungen. Doch all dies bleibt Spekulation. Auch im Landesinneren kann nicht von einer flächendeckenden Kontrolle die Rede sein. Die in den Gebirgsregionen lebenden Toraja haben nie den Islam angenommen, sondern wurden erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum Christentum bekehrt. Es spricht einiges dafür, daß dieses Volk im 16. und 17. Jahrhundert völlig außerhalb des Interessenbereiches der konkurrierenden Regionalmächte lebte. Es bleibt also auch für Makassar nichts anderes, als von einer ungefähren Einflußzone auszugehen, die im Westen von derjenigen Matarams, im Osten derjenigen Ternates und im Norden vom Vorherrschaftsgebiet Bruneis begrenzt wurde. Ausbau Makassars zur Festungsstadt480 Der entscheidende erste Schritt weg von einer Reihe kleinerer Siedlungen hin zu einer Hafenstadt Makassar war schon mit der Verbindung der beiden Königtümer Goa und Tallo getan worden. Dank der günstigen Lage dürfte es schon lange kleinere Siedlungen mit Ankerplätzen für Fischerei und geringfügigen Warenaustausch gegeben haben, doch erst staatliche Maßnahmen, nicht zuletzt baulicher Art, ließen hier rasch ein urbanes Gebilde mit bedeutender zentralörtlicher Funktion wachsen. Schon in die Regierungszeit Tunipalanggas (1548 –1566) fallen die ersten Baumaßnahmen zur Befestigung Makassars. Tunipalangga ließ rund um die bestehenden Ansiedlungen, die noch einen weitgehend zertstreuten Eindruck gemacht haben dürften, erste Verteidigungsanlagen bauen. Für die zentralörtliche Funktion Makassars beinahe noch wichtiger war die Tatsache, daß er an der Mündung des Flusses Jeneberang, den befestigten Herrschersitz Sombaopu errichten ließ.481 Das alte Zentrum Goas wenige Kilometer flußaufwärts hatte seither nur noch kultische Funktion; die Machzentren des Doppelkönigtums waren vollständig an die Küste 479 Vgl. z.B. die Karte in VLEKKE, Nusantara, 156. 480 Die derzeit detaillierteste Darstellung der Festungsanlagen bietet BULBECK, Construction History. Dort finden sich auch exakte Informationen über den physischen Zustand des Mauerwerks (Material, Maße, Stärke etc.), worauf im folgenden nicht näher eingegangen werden kann (ebd., 33-77 und 84-101). 481 VILLIERS, Makassar, 150; BULBECK, New Perspectives, 11; DERS., Construction History, 77-79; im Juni 1618 kam mit Tamalate ein weiterer Palast des Königs von Goa im Stadtgebiet hinzu: Transcriptie, 88. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 195 gerückt. Dort entwickelte sich nun mit zunehmender Geschwindigkeit aus einer Handvoll kleinerer Siedlungen und Anlegestellen die Hafenmetropole Makassar. Bereits ihr erster europäischer Besucher António Pavia konnte über regen Handelsverkehr an diesem Platz berichten. Daß aus dieser Hafenstadt im Laufe der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch eine Festungsstadt wurde, ist in erster Linie auf die Bedrohung von See her zurückzuführen. Darunter konnten nur die Niederländer der VOC zu verstehen gewesen sein, der einzigen seefahrenden Macht in diesen Breiten, die gegen freie Häfen wie Makassar ein Monopol durchsetzen wollte und dies im Zweifelsfalle auch mit Waffengewalt tat. Im August 1615 schrieb George Cockrayne, der britische Resident in Makassar, an John Jourdain in Banten, daß auf Grund der niederländischen Feindseligkeiten, die dem Herrscher große Sorgen bereiteten, zwei Festungen in der Stadt fertiggestellt wurden, wofür die gesamte Bevölkerung von Goa-Tallo mit der Herstellung von Ziegeln beschäftigt war.482 Die fürstlichen Tagebücher von Goa-Tallo vermelden erst zwei Jahrzehnte später ernsthafte Festungsanlagen. Die Vollendung der ersten Ummauerung von Ujung Pandang, die diese Hafenschutzanlage drei Kilometer südwestlich des traditionellen Herrschersitzes von Tallo erst in eine Festung verwandelte, datieren die einheimischen Annalen auf den 9.8.1634.483 In derselben Quelle wird berichtet, daß am 30.4.1635 die Mauer von Barombong unmittelbar im Süden von Sombaopu verstärkt wurde. Zugleich wird die Stärke der befestigten Palastanlage mit 855 „Köpfen“ angegeben, wobei nicht klar wird, ob damit lediglich die militärischer Besatzungsstärke oder die Größe des gesamten Hofes gemeint ist.484 Sombaopu erhielt zwei Monate später eine zweite Mauer, die bis zum Hafen führte, der sein Zentrum mittlerweile rund um das Mündungsgebiet des Jeneberang gefunden hatte.485 Auch die südlichste Festung der Hafenstadt, Barombong, wurde durch eine zweite Mauer ausgebaut, allerdings erst im August 1662, als die Bedrohung durch die Niederländer schon bedrückend geworden war und die Festungsstadt bereits einen Krieg hatte überstehen müssen.486 Im August 1665 wurde schließlich nördlich von Ujung Pandang ein Erdwall aufgeworfen, der das andere Ende der Stadt absichern sollte.487 482 483 484 485 486 487 BL London, OIOC, E/3/3, Nr. 290, George Cockrayne an John Jourdain, 17.8.1615, 45. Transcriptie, 95. Ebd., 96. Ebd., 96; siehe auch BULBECK, Construction History, 80. Transcriptie, 120; siehe auch BULBECK, Construction History, 81/82. Transcriptie, 123. 196 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Die städtebaulichen Maßnahmen wurden vorranging durch Sklavenarbeit realisiert. Dabei handelte es sich zumeist um ata, der Arbeitsverpflichtung eines Herrn gegenüber, die durchaus mit dem europäischen Robot vergleichbar war. Nach der Eroberung neuer Landstriche wurde das Land an die beteiligten Adeligen verteilt, denen die Arbeitskraft der jeweiligen Einwohner als Einkommensquelle zustand. Darüber hinaus wurde von auswärtigen Territorien, welche in die Föderation eingegliedert wurden, Arbeitskräfte als Tribut eingefordert. So konnten in den 1630er Jahren bis zu 17.000 Menschen bei der Errichtung der Stadtmauer und der Erweiterung Sombaopus eingesetzt werden. Für Kanalbauarbeiten im Jahr 1660 wurden 10.000 buginesische Arbeitskräfte aus Boné angefordert, eine übertriebene Forderung, die durchaus eine der Ursachen für die folgende Rebellion gewesen sein könnte.488 Die zunehmenden Bemühungen, Makassar auszubauen und durch Festungsanlagen zu sichern, blieb der VOC nicht verborgen. Die Berichte und Einschätzungen ihrer Bediensteten stellen neben den Annalen von Goa-Tallo eine wichtige Informationsquelle über den Zustand der Stadt in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts dar. Im April 1632 besuchte der VOC-Bedienstete Seyger van Rechteren die Stadt, über deren Zentrum er in seinem Reisebericht schreibt: „De plaetse waer in den Coningh sijn Hof houdt is rontom bemuert wel een half myl in ‘t ronde welcke bemueringe aen de Westzijde teghen de Zeekant leydt met vier stercke Bolwercken waer op meer als 20 stucken gros geschut leggen so yser als Metael die hem van verscheyden Christenen sijn geschoncken [...]“.489 Eine Einschätzung aus dem Jahr 1637 charakterisiert die Stadt wie folgt: „Macassar is wel gefortificeert, heeft drij treffelijcke casteelen met schut wel voorsien, leggende opt vlacke strandt, daer wel te landen is ende g’eschaleert connen worden. Soo laten ons voorstaen bij aldien de Compie daeraen gelegen ware, gelijck neen, dat gevoechlijck ende met minder hasard als Luciella t’incorporeren ende aff te loopen sij.“490 Von besonderer Bedeutung für den Generalgouverneur und die Räte von Indien in Batavia waren die Aussagen des Hendrik Kerckringh, der sich Ende der 1630er Jahre mehrfach für längere Zeit in Makassar aufhielt. „‘t Fort Sambopo op Macassar geleegen direct aen strant op 5 graden en 4 minnuten suyder breedte is seer groot int begrijp, rontom met eenigh corael en meest met roode gebacken steenen op getrocken; aen de see kant. heeft 2 bolwercken; [...] aen de landtsijde heeft meede sijn bolwercken doch sonder geschut, en begint op sommige plaetsen aen dese cant te vervallen. Den coninck en andere grooten houden haer wooningh binnen t fort in huysen op dicke balcken gebouwt met plancken, bamboesen als anders opgemaeckt en met adap gedeckt. Aende Noortsijde ontrent een mijl van Sambopo leyt een fort dicht aent strant, genaempt Oudioupanda. Dit casteel is bij d’onse altijt voor Tello gehouden, t’welck een mijl verder aen de groote revier Noor488 REID, Pluralism, 69; BULBECK, Construction History, 81. 489 RECHTEREN, Journal, 40. 490 Bouwstoffen II, Nr. LXXIV, Brief des Antonio van Diemen an die Bewinthaber, 9.12.1637, 325. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 197 delk leght, met coraelsteen opgetrokken. [...] Ongevaerlijck ¼ mijl van Sambopo aen de suytsijde leyt een fortgien genaemt Grisse ofte Pannakoeka.“491 Die Topographie Makassars wurde in zunehmendem Maße von Befestigungsanlagen geprägt. Der geschäftige Hafen, der in frühen europäischen Berichten noch die auffälligste Erscheinung der Stadt war, trat in diesen Beschreibungen schon beinahe in den Hintergrund. Die „treffelijcken casteelen“ waren neben dem von Mauern geschützten Königshof das Auffälligste. Nimmt man die Beschreibungen und die archäologischen Befunde zusammen, ergibt sich in den Grundzügen folgendes Bild.492 Den südlichen Fixpunkt der Stadt bildete die Festung Barombong, die sich am Nordufer der Mündung des Flusses Aeng befand. Ungefähr anderthalb Kilometer nördlich befand sich am südlichen Mündungsarm des Jeneberang oder Garassi die größere Festung Panakkukang, die zugleich die Südflanke des eigentlichen Hafenbereichs absicherte. Letzterer umfaßte im wesentlichen das Mündungsdelta, dessen drei Arme zwei Inseln umfaßten. Die Küstenlinie des Deltas läßt sich heute nur noch anhand von Luftbildern rekonstruieren, da der Jeneberang stets größere Mengen Schlamm mit sich führt, welche die Küste bis heute mehrere hundert Meter in das Meer hinaus geschoben haben. Auf der südlichen der beiden Inseln befanden sich zwei weitere kleinere Festungsanlagen; die nördliche wurde von dem ummauerten Palastbezirk Sombaopu beherrscht. Sombaopu bestand zeitgenössischen Darstellungen zufolge aus zwei großen hölzernen Palästen, einer Moschee und einem Warenhaus im Südwesten, um das sich im Norden und Osten eine Reihe kleinerer Gebäude für den Hofstaat und die Bediensteten gruppierten. Waren Barombong und Panakkukang durch eine Steinmauer miteinander verbunden, die archäologisch nachgewiesen ist, kann eine ähnliche Absicherung zur See hin auf den beiden Inseln im Mündungsdelta nur vermutet werden. Der nördliche Arm des Deltas wurde von den Makassaren als ‚der neue Fluß‘ bezeichnet, da er offensichtlich keinen natürlichen Ursprung hatte, sondern auf Anweisung Karaeng Matoayas zur Erweiterung des Hafens angelegt worden war. Nördlich dieses künstlichen Hafenausbaus schlossen sich die Stadtbezirke an, die gänzlich dem Handel gewidmet waren. Hier vermuten Bulbeck und Macknight ein malaiisches Viertel, obwohl einiges dafür spricht, daß diese sich über das Stadtareal verstreut angesiedelt hatten;493 hier standen die Faktoreien der verschiedenen europäischen Ostindienkompanien; und hier 491 Bouwstoffen II, Nr. LXXV, ‚Corte Remonstrantie‘ des Oberkaufmanns Hendrik Kerckringh, 24.9.1638, 335. 492 Nach REID, Rise of Makassar, 140-150, MACKNIGHT, Early History, 22-25, insbes. figure 5, BULBECK, Construction History, passim. 493 Bouwstoffen II, Nr. LXXV, ‚Corte Remonstrancie‘ des Hendrick Kerckringh, 24.9.1638, 336. 198 Makassar und die Europäer vor 1666/69 fand sich auch die Stelle mit der Bezeichnung Borrobos, die den Portugiesen 1641 zur Besiedlung bereitgestellt worden war. Jenseits dieses Areals, jeweils im Abstand von 2,5 Kilometern, befanden sich drei größere Festungsanlagen mit Mariso oder Sabong Jawa, mit Ujung Pandang, die sicherlich die bedeutendste von allen war, und mit Ujung Tana, der nördlichsten der eigentlichen Festungsanlagen. Auch zwischen diesen Anlagen wird eine Steinmauer vermutet, ohne daß sie bislang nachgewiesen worden wäre. Mit Ujung Tana endete das Stadtgebiet wahrscheinlich noch nicht, denn etwas mehr als drei Kilometer weiter an der Küste entlang kam man an die Mündung des Flusses Tallo und den gleichnamigen Herrschaftssitz. Da dieser Ausgangspunkt für die Verlegung des ganzen Staatszentrums an die Küste gewesen war, kann davon ausgegangen werden, daß er ebenfalls noch Bestandteil des Stadtareals war. Ob sich dieses nördlich von Tallo bzw. südlich von Barombong noch weiter die Küste entlang erstreckte, läßt sich leider nicht sagen. Immerhin ergibt sich aus diesen Eckpunkten eine Nord-Süd-Ausdehung der Stadt von rund 13 Kilometern. Wie weit sich die Stadt von der Küste weg ins Landesinnere ausdehnte, ist ebenfalls nicht gesichert. Nur zwei Anhaltspunkte lassen sich einigermaßen rekonstruieren: eine weitere Festungsanlage namens Bonto Alak, die anderthalb Kilometer von Ujung Pandang im Landesinneren gelegen haben muß, und den ursprünglichen Herrschersitz mit dem spirituellen Zentrum von Goa, Kale Goa oder Tamalate, rund sechs Kilometer flußaufwärts. Für beide Anlagen kann man mit Recht vermuten, daß sie innerhalb oder zumindest am Rande des dicht besiedelten Areals gelegen haben müssen. Die planmäßigen Erweiterungen der Stadt und die daraus gewonnene zunehmende innere Sicherheit beförderte ein rapides Wachstum, gespeist durch einwandernde Kaufleute unterschiedlichster Nationen und Zuwanderung aus den ländlichen Regionen Goa-Tallos. Diese Entwicklung zog jedoch auch eine größere Krisen- und Katastrophenanfälligkeit nach sich. Nach englischen Angaben zerstörte 1614 ein Stadtbrand 1.260 Häuser,494 1636 erhielt die Presidency in Banten durch malaiische Händler die Nachricht, daß in Makassar die Pest („plague“) herrschte, die innerhalb von 40 Tagen 60.000 Menschenleben gefordert hatte.495 1665 wird abermals von der „plague“ berichtet, die neben Sumatra, Java und Bali auch Makassar heimgesucht hatte.496 Auch die Tagebücher der Fürsten von Goa und Tallo berichten, 494 BL London, OIOC, E/3/2, Nr. 142, George Cockrayne (Makassar) an John Jourdain (Banten), 24.4.1614, 13; die englische Faktorei blieb von der Katastrophe offenbar unberührt. 495 Ebd., G/10/1, Presidency of Bantam to the Court, 20.12.1636, 73. 496 Ebd., G/10/1, Bantam to Surat, 28.7.1665, 252. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 199 Karte 4.1: Der Stadtbereich des unabhängigen Makassar497 Tallo Ujung Tana Bonto Alak Ujung Pandang Mariso (Sabong Jawa) Portugiesisches Viertel (Borrobos) Dänische Faktorei Englische Faktorei Sombaopu Niederländische Faktorei Malaiisches Viertel (?) Kale Goa (Tamalang) Panakkukang Barombong 497 Grundlage: BULBECK, Construction History, 69; DERS., New Perspectives, 12; MACKNIGHT, Early History, 24; REID, Rise of Makassar, 143; DERS., Expansion and Crisis, 82; ANDAYA, Heritage, map 4. 200 Makassar und die Europäer vor 1666/69 daß 1665 in der Stadt die Pest herrschte, die Nicholas Gervaise neben dem Makassarischen Krieg für den Niedergang Makassars verantwortlich machte.498 Die Bevölkerungszahlen der Stadt Makassar vor ihrer Eroberung durch die VOC lassen sich nur grob schätzen. Die archäologischen Befunde leisten einen wertvollen Beitrag zur Beschreibung der Topographie dieser Zeit; Mutmaßungen über die Einwohnerschaft des andeutungsweise abgegrenzten Areals lassen sie nicht zu. Die wenigen Erwähnungen in schriftlichen Zeugnissen ermöglichen nur sehr vorsichtige Hochrechnungen. Die englischen Quellen berichten neben den 1.260 zerstörten Häusern in 1614 und den 60.000 Pesttoten in 1636 noch von 16.000 bewaffneten Männern, die Makassar im Jahr 1615 hätte rekrutieren können.499 Darüber hinaus existiert nur noch eine Zahlenangabe von Gervaise, der von 160.000 waffenfähigen Männern berichtet.500 Zieht man hinsichtlich der letzten Zahl in Betracht, daß Gervaise Makassar selbst nie betreten hat und sein Wissen aus zweiter Hand schöpfte, erscheint diese überdimensionale Angabe wie ein Lesefehler der entsprechenden britischen Angabe von 1615. Daß Anthony Reid in seinen Bevölkerungschätzungen501 diese Angabe als Grundlage für eine geschätzte Bevölkerungszahl von 640.000 benutzt, erscheint angesichts der Unzuverlässigkeit Gervaises unverständlich, zumal eine solche Zahl auch unter Einbeziehung des unmittelbaren Umlandes äußerst unwahrscheinlich ist. Weitaus realistischer erscheinen seine Schätzungen auf Grundlage der englischen Angaben. Diese bewegen sich zwischen mehr als 20.000 Einwohnern, geschätzt auf Grundlage der verbrannten Häuser, über 64.000 Einwohner, die auf den 16.000 waffenfähigen Männern beruhen, bis zu einer Bevölkerungszahl von mehr als 100.000, die auf Grund der 60.000 Pesttoten geschätzt wurde. Zumindest die letzten beiden Zahlen dürften auch Personen aus dem Umland einschliessen, so daß die Zahl für das eigentliche Stadtareal, soweit es vom Umland zu trennen ist, niedriger gewesen sein dürfte. Die Zahl 100.000 kann also sehr grob als Obergrenze angesehen werden, während die 20.000 wohl zu gering veranschlagt sind, da kaum die ganze Stadt abgebrannt sein dürfte. Bei allen Vorbehalten kann festgehalten werden, daß Makassar in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit 50.000 bis 100.000 Einwohnern sowie einer außerordentlichen Dichte an Verteidigungsanlagen zu den imposantesten Metropolen des Malaiischen Archipels zählte.502 498 499 500 501 502 Transcriptie, 123; GERVAISE, Kingdom of Makassar, 60. BL London, OIOC, E/3/3, Nr. 290, George Cockrayne an John Jourdain, 17.8.1615, 46. GERVAISE, Kingdom of Makassar, 60. Die Schätzungen bezüglich Makassars: REID, Rise and Demise, 72. Neuerdings schließt Reid auf eine Bevölkerung von einigen Tausend in den 1590er Jahren, rund 25.000 1615 und rund 100.000 auf dem Entwicklungshöhepunkt zwischen 1640 und 1660 (REID, Pluralism, 58). Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 201 Makassar als Fluchtpunkt nach 1641 Schon früh, lange bevor die Eroberung Malakkas durch die Niederländer im Jahr 1641 zu einer regelrechten Fluchtwelle führte, wurde Makassar durch die Politik der Offenheit zum Fluchtpunkt für Menschen, die durch die mannigfaltigen Auseinandersetzungen im Malaiischen Archipel und die Expansionsbestrebungen der VOC ihre angestammte Heimat verloren hatten oder dort mit allzu ungünstigen Lebensumständen rechnen mußten. So zogen es Portugiesen und Mestizen nach der niederländischen Festsetzung auf Solor vor, sich in Makassar niederzulassen, anstatt vor dem dortigen VOC-Fort unter Kontrolle der Kompanie zu siedeln.503 Überhaupt verzeichneten europäische Beobachter ein Wachstum der Hafenstadt, daß sie auch auf die ständige Zuwanderung zurückführten.504 Nach diversen vergeblichen Anläufen und einer fünfmonatigen Belagerung gelang es der VOC am 14.1.1641, die Handelsmetropole Malakka, die 130 Jahre unter portugiesischer Herrschaft gestanden hatte und beinahe seit zweieinhalb Jahrhunderten die dominierende Handelsmacht des Archipels gewesen war, zu erobern.505 Die Hafenstadt auf der Malaiischen Halbinsel war fortan für alle anderen europäischen Händler tabu; die indigenen Kaufleute wurden unter strenge Aufsicht gestellt, denen sich bei weitem nicht alle Betroffenen unterordnen wollten. Ein Exodus von Angehörigen der unterschiedlichsten Nationen setzte ein. Allerdings erlebte Malakka durch die niederländische Eroberung nicht nur einen Aderlaß. Immerhin war die Stadt als Emporium auch in ihren anderthalb niederländischen Jahrhunderten nicht ohne Bedeutung. So war aus der chinesischen Gemeinde, die bei der Eroberung 400 Seelen zählte, ein Jahrhundert später, im Zuge der allgemeinen chinesischen Zuwanderung in die südostasiatischen Städte unter VOC-Kontrolle, eine Kolonie von rund 2.000 Angehörigen geworden.506 Es waren nicht nur die Händler, die Malakka verließen, da sie unter der Kontrolle der VOC ihre ökonomische Basis verloren hatten. Es folgte ein Exodus der portugiesischen Bevölkerung. Als Fluchtpunkt bot sich ihnen neben den verbliebenen, relativ weit entfernten Besitzungen in Macau an der chinesischen und in Goa an der indischen Küste vor allem Makassar an. So floh auch der portugiesische Gourverneur mit einer großen Zahl Priester nach Süd-Sulawesi; zugleich wurde das gesamte 503 504 505 506 Bouwstoffen I, Nr. VIIIb, Brief des Adriaen van de Velde aus Solor an Pieter Both, 1.5.1614, 95. Bouwstoffen II, Nr. LXI, Brief des Hendrik Brouwer and die Bewinthaber, 27.12.1634/8.1.1635, 260. SUBRAHMANYAM, Portuguese Empire, 175. ANDAYA, Interactions, 368. 202 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Domkapitel von Malakka nach Makassar transferiert.507 Vorübergehend existierten sogar zwei jesuitische Residenzen in Makassar, nachdem noch zwei Missionare aus der Cochin-Provinz hinzukamen. Als diese jedoch nach Jambi, wo eine Christengemeinde von angeblich 1.000 Getauften existieren sollte, weiterbeordert wurden, fiel die Entscheidung, Makassar der jesuitischen Provinz Japan zuzuschlagen.508 Es war vor allem Pattingalloang, der dafür sorgte, daß die Portugiesen einen angemessenen neuen Wohnplatz in Makassar fanden und mit den notwenigen Baumaterialien ausgestattet wurden. Zudem garantierte er ihnen freie Glaubensausübung, während den Niederländern nie eine offizielle, also als solche erkennbare Kirche zugebilligt wurde.509 Den Portugiesen, deren Zahl nun drastisch gestiegen war, erhielten ein eigenes Stadtviertel einschließlich einer eigenen Kirche, das sich an einem Platz namens Borrobos nördlich von Sombaopu und des Stadtareals um den Königspalast befand.510 Zwischen diesem Viertel und Sombaopu befanden sich die Faktoreien der Engländer, Dänen und der Niederländer, die allerdings zu dieser Zeit entweder verlassen oder nur provisorisch besetzt waren. Die Angaben über die portugiesische Bevölkerungszahl in Makassar sind nicht eindeutig und darüber hinaus interpretationsbedürftig. 1649 ist von 3.000 Katholiken im portugiesischen Viertel die Rede,511 eine Zahl, die im Folgejahr indirekt durch die Meldung, daß in der Stadt 3.000 Christen lebten, bestätigt wurde.512 1666, unmittelbar vor Ende der portugiesischen Präsenz in Makassar, ist sogar von 7.000 Erwachsenen die Rede, wobei ausdrücklich die auf den Schiffen segelnden Katholiken nicht mitgezählt wurden.513 Trotz aller Bedeutung der portugiesischen Metropole Malakka und des Flüchtlingsstromes nach Makassar erscheinen diese Zahlen außerordentlich hoch. Eine portugiesische Gemeinde, die 7.000 Erwachsene und damit sicherlich annähernd 10.000 Mitglieder insgesamt ausgemacht hätte, wäre mit Abstand die größte ethnische Gruppe in der Stadt gewesen – eine Annahme, die in Anbetracht der schlichten Tatsache, daß es sich um eine makassarische Stadt handelte, und der immensen Bedeutung malaiischer Händlergruppen in dieser Zeit wenig haltbar erscheint. Die Zählgewohnheiten in multiethnischen südostasiatischen 507 Jesuit Makasar Documents, Nr. 22, Jährlicher Brief des Baltasar Caldeira aus Japan nach Rom von 1648, 77-81, § 5/6; ebd., Nr. 45, Bericht des André Ferrão von 1658, 151-157, § 4. 508 Ebd., § 7/8. 509 Ebd., § 5/6; ebd., Nr. 27, Bericht des Alexandre de Rhodes von 1650, 89-100, § 5, 7. 510 Ebd., Nr. 36, Bericht des António Francisco Cardim zwischen 1650 und 1652, 114-118, § 3. 511 Ebd., Nr. 25, Bericht des Giovanni Maracci von 1649, 86/87. 512 Ebd., Nr. 36, Bericht des António Francisco Cardim von 1650/52, 114-118, § 8. 513 Ebd., Nr. 62, jährlicher Brief des Matias da Maya aus Macau nach Rom von 1666, 198-209, § 1. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 203 Städten dieser Zeit und nicht zuletzt die beiläufige Bemerkung Navarettes, daß die Portugiesen Sklaven geradezu im Überfluß besaßen,514 legt die Vermutung nahe, daß solche Zahlen durch die Einbeziehung der Haussklaven in portugiesischem Besitz entstanden sein müssen. Die wenige Jahre später getroffene Annahme Speelmans, daß die portugiesische Gemeinde zwischen 1.500 und 2.000 Personen umfaßte, kommt einer realistischen Größenordnung weitaus näher.515 Neben den gezielt aus Malakka vertriebenen Portugiesen dürfte auch eine nicht unbeträchtliche Zahl von Malaiien 1641 ihre Heimatstadt verlassen haben. Zwar lag es nicht in der Absicht der VOC, die Stadt von ihrer indigenen Bevölkerung zu säubern, doch waren sicherlich viele Händler, die einen allgemeinen Freihandel gewohnt waren, nicht bereit, sich den niederländischen Restriktionen zu unterwerfen. Leider liegen zum Umfang dieser Fluchtbewegung keine zuverlässigen Quellenbelege vor. Es kann nur vermutet werden, daß die etablierte große malaiische Gemeinde in Makassar eine beträchtliche Zahl an Landsleuten nach Süd-Sulawesi gelockt hat. Auch in den folgenden Jahren war das freie Makassar immer wieder die letzte Hoffnung auf der Flucht vor der VOC. So fand hier 1656 der molukkische Adelige Majira Zuflucht, der im Südlen seines Heimatarchipels einen erfolglosen Aufstand angezettelt hatte.516 Insgesamt war die Funktion Makassars als Fluchtpunkt ein zusätzlicher Dorn im Auge der VOC, gewann der Konkurrent doch nicht nur an Bevölkerung, sondern vor allem zusätzliche Wirtschaftskraft; schließlich waren unter den Flüchtlingen in besonders hohem Maße kommerzielle Eliten vertreten. 3. Die Wirtschaftsgeschichte Makassars Neben einer günstigen geographischen Lage waren ein eigenes Exportgut und eine Politik des Herrschers, welche den Handel förderte und ihm vor allem günstige Rahmenbedingungen bot, für den Aufstieg eines Handelsemporiums von besonderer Bedeutung.517 Für den Fall Makassar lassen sich solche Voraussetzungen konstatieren, die zu einem entsprechenden wirtschaftlichen Aufstieg, insbesondere in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, führten. 514 515 516 517 Travels and Controversies, 122. ARA Den Haag, Notitie des Cornelis Speelman, Aanwinsten 1524: 1926 I 10-11, 427. Memories, Nr. XVI, ‚Memorie‘ des Arnold de Vlaming van Oudshoorn, 24.5.1656, 192, Anm. 9. Siehe auch NAGEL, Makassar, 96/97, sowie ROTHERMUND, Asian Emporia, 3. 204 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Geographische Rahmenbedingungen Die verkehrsgünstige Lage innerhalb des Malaiischen Archipels war der entscheidende geographische Standortvorteil Makassars. Die Stadt befand sich auf halbem Wege zwischen den Handelsmächten im Westen, allen voran Malakka auf der Malaiischen Halbinsel, und den Produktionsstätten der Gewürze im Osten. Da die schiere räumliche Ausdehung des Archipels Reisen mit kleinen Segelfahrzeugen ohne Zwischenstop von einem Ende zum anderen kaum erlaubte, wurden Hafenstädte, die unterwegs Proviant und gegebenenfalls auch Instandsetzungen bieten konnten, nicht nur begrüßt, sondern dringend benötigt. Davon profitierte Makassar genauso wie etliche Hafenstädte an der javanischen Küste. Der zweite geographische Standortvorteil war der sichere Hafen, über den Makassar verfügte. Auch wenn vor der Südhalbinsel Sulawesis durchaus Korallenriffe und Untiefen in Form von Sandbänken zu finden sind, besteht doch gerade zum Zentrum von Goa-Tallo ein maritimer Zugang, der zwar Ortskenntnisse voraussetzte, aber die Seefahrt vor keine unüberwindlichen Schwierigkeiten stellte. Die sichersten Wege fanden im 18. Jahrhundert auch Eingang in die kodifizierten Segelorder der VOC, säuberlich getrennt nach den unterschiedlichen Bedingungen der verschiedenen Jahreszeiten. Bei West-Monsun war die Inselgruppe der ‚Drei Gebrüder‘ anzusteuern und „tusschen deze Noordelyke en de middelste der Gebroeders door houden en vorders op het Eylandje Gallissong aan, en langs de strekking van de wal naar de rheede van Macasser“ zu segeln; bei Ost-Monsun sollte die Java-See erst auf Höhe der Insel Sumbawa gequert werden „tot de Goenong-Apy of daar beoosten ophaalen, om met de hier wayende Oost-ZuydOost en Ooste winden, gerustelyk boven de Postilions eylanden, naar de Zuyd cust van Celebes over te steken en dezelve met voorzigtigheid aan te doen; alwaar men digt by heen houd, om tusschen gemelde cust, en het eyland Tanakeke door te lopen naar de rheede van Macasser.“518 Die Reede selbst befand sich zwar vor Schwemmland, lag jedoch jenseits der Untiefen und gefährlichen Riffe, die vielerorts im Archipel die Schiffahrt erschwerten. Sie war zudem weitestgehend sturmgeschützt. Die kontinuierliche Schiffbarkeit oblag einer eigens für diesen Hafen zuständigen Behörde unter der Leitung des syahbandars. Im Gegensatz zu den weitaus komplizierteren Bedingungen an den anderen Küstenabschnitten Sulawesis erlebte die Südhalbinsel nur jeweils eine Ebbe und Flut pro Tag, wenn auch von wechselnder Höhe.519 Im frühen Oktober erreichte die tägliche Flut ihren höchsten Stand. Gelegentlich entwickelte sich daraus eine 518 ARA Den Haag, VOC 11346, Nr. 9, Zeylaas-ordre van Batavia naar Macasser, 2.9.1760. 519 WHITTEN/MUSTAFA/HENDERSON, Ecology, 105. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 205 Springflut, die für Überschwemmungen sorgte.520 In der Zeit des NordwestMonsuns (ungefähr von November bis April) herrschen unmittelbar vor der Küste Makassars auf den ersten Blick unproblematische Strömungsverhältnisse. Die Strömungen, die ganzjährlich von Norden nach Süden die Küste entlang laufen, verbinden sich an der Südspitze der Halbinsel mit der großen Meeresströmung von West nach Ost. In den restlichen Monaten kompliziert sich die Lage, da im Süden eine gegenläufige Küstenströmung hinzukommt, die vor Makassar auf die anderen stößt.521 Selbstverständlich war die Seefahrt auch in einem Hafen wie Makassar monsunabhängig. Gerade durch seine geschützte Lage bot er sich für Langstreckenhändler an, um hier die Monate bis zur Rückkehr der günstigeren Monsunverhältnisse abzuwarten. Ein Blick auf die Ein- und Ausfahrten privater Händler im 18. Jahrhundert in den Hafenmeisterlisten spiegelt in der Tendenz die Monsunabhängigkeit wider. Allerdings konnte kein Mosun die Schiffahrt völlig zum erliegen bringen. Auch gibt es keine direkte Abhängigkeit von Zureise (aus den Handelshochburgen im Westen) zur Zeit des West-Monsuns und Ausreisen (zurück zu diesen Hochburgen) zur Zeit des Ost-Monsuns. Vielmehr behinderte der West- oder NordwestMonsun generell die Seefahrt, während offenbar zu Beginn und gegen Ende des West-Monsuns die günstigsten Verhältnisse herrschten. Dabei spielten die Strömungsbedingungen keine wesentliche Rolle, während die besonders hohen Tiden im Oktober die Schiffahrt, wenn sie überhaupt einen Einfluß hatten, begünstigten. Der Grund dafür, daß auch zu den ungünstigsten Jahreszeiten der Verkehr nicht annähernd zum Erliegen kam, ist insbesondere darin zu suchen, daß viele der in der Statistik repräsentierten Fahrten in den Nahbereich führten und jederzeit durchgeführt werden konnten. Der Umgang mit den Windverhältnissen war den makassarischen, buginesischen oder malaiischen Seefahrern eine Selbstverständlichkeit. Im Ergebnis war Makassar ein ausgezeichneter Liegeplatz sowohl für kurze Pausen als auch für lange Wartezeiten bis zu den erwünschten Monsunbedingungen – trotz der zahlreichen Riffe unmittelbar vor der Küste.522 Das Land bot Süßwasser und Nahrungsmittel im Überfluß an, so daß es ein natürlicher Versorgungsposten war. Zudem bestand in der Stadt ein lebhafter Markt, vor allem durch die vielen Gäste selbst, so daß auch längere Aufenthalte mit lukrativen Geschäften sinnvoll ausgefüllt werden konnten. 520 Ebd., 107. 521 Ebd., 108. 522 VALENTIJN, Oost-Indiën III, 110. 206 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Reisanbau Makassar profitierte in hohem Maße von der reichhaltigen Lebensmittelproduktion im Hinterland, die nicht nur die Versorgung der ständig wachsenden urbane Bevölkerung sicherstellte, sondern den städtischen Markt mit wichtigen Exportgütern versorgte. Dabei spielten neben dem Reisanbau auch andere landwirtschaftliche Produkte eine nicht unwesentliche Rolle: Sago, Kokosnüsse, Bananen, Hirse und eine Reihe von Wurzeln und Gemüsen.523 Schon Tomé Pires betonte in seiner Suma Oriental den Reichtum an Nahrungsmitteln in der Region Maçaçar.524 Damit sprach er die Grundbedingung für die Expansion der Königtümer Süd-Sulawesis an, die nur durch Expansion der Landwirtschaft und damit verbunden der Entwicklung effektiver Bewässerungssysteme möglich war. Es ist daher nicht verwunderlich, daß in den Chroniken der einzelnen Reiche die tomanurung zumeist mit der Besitznahme von Land, seiner Urbarmachung und der Anlage erster Bewässerungsnetze in enger Verbindung stehen.525 Trotz der agrarischen Vielfalt wurde der Reis das dominante Produkt der regionalen Landwirtschaft. Die Konsolidierung der Königtümer um 1400 brachte einen tiefgreifender Wandel in der Landwirtschaft Sulawesis mit sich.526 Kern dieses Wandels war die Intensivierung des Landbaus insbesondere durch Bewässerungssysteme. Dies brachte eine Konzentration auf den sehr wasserintensiven, aber auch äußerst ergiebigen Anbau von Naßreis mit sich. Die landwirtschaftlichen Methoden bewegten sich zunehmend weg von der „swidden agriculture“, dem Feldbau in den Wäldern, der vielerorts erst durch Brandrodung ermöglicht wurde, hin zur planmäßigen Anlage von Terassen, auf denen zweimal jährlich geerntet werden konnte.527 Die Methoden des Naßreisanbaus haben sich seither nur wenig geändert, so daß der Bericht eines schiffbrüchigen englischen Kapitäns aus dem Jahr 1793 sicherlich auch für die Zeit anderthalb bis zwei Jahrhunderte zuvor Gültigkeit beanspruchen kann: „Many of the rice grounds are made on sloping lands, where the natives form little canals at about twenty yards distance from each other, in order to water the grounds. These divisions are levelled by carrying the higher part of the land to the lower, so as to form steps. This is performed by women and children, by means of small baskets. The land is overflowed six inches deep for about fourteen or sisteen days, when it becomes very moist. they then turn in about 20 bullocks, used to the emloyment, which are driven round the rice- 523 MACKNIGHT, Rise of Agriculture, 97. 524 PIRES, Suma Oriental, 227. 525 Zur gesellschaftspolitischen Bedeutung der Landwirtschaft und ihrer Verankerung in den Gründungsmythen siehe MACKNIGHT, Rise of Agriculture, 101-107 und passim. 526 Ebd., 99/100. 527 WHITTEN/MUSTAFA/HENDERSON, Ecology, 585. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 207 fields to make the land poachy. [...] This being done, the let the water in, which overflows it again, and renders the land fit for planting.“528 Der Reis gewann insbesondere als Exportgut an Bedeutung.529 Schon früh wurde europäisches Interesse an diesem spezifischen Produkt der Region geweckt. Bereits Paiva und Pinto berichteten in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts davon, daß die Gebiete von Maros im Norden Makassars und Takalar im Süden für den Naßreisanbau erschloßen wurden.530 Aus der Notitie des Cornelis Speelman geht hervor, daß Maros unter Tunijallo mit dem Ziel erobert und besiedelt worden war, daß makassarische Edelleute dort Reisplantagen anlegen konnten. Speelman ergänzt, daß auch die Landschaft Wajo, von Bugis besiedelt und außerhalb des Territoriums von Goa-Tallo gelegen, unter den gleichen Bedingungen für ihren Reisreichtum bekannt wäre.531 Eine englische Quelle erwähnt den Reis sogar als einziges Exportgut der Region. Dies trifft in dieser Ausschließlichkeit nicht zu, spricht aber für die Wahrnehmung seiner Bedeutung von außen. Die Quellen betonen weiter die Qualität, welche diejenige des javanischen Reis deutlich überträfe.532 In einem Memorandum von 1617, das alle asiatischen Stützpunkte der EIC beschreibt, wird zu Makassar vermerkt, daß dieses Land neben Schildpatt den besten Reis in Überfluß böte.533 Hauptbestimmungsorte der Exporte waren die Molukken. 1610 wurden allein aus der Region Maros 1.000 Tonnen im Jahr exportiert, genug, um ca. 6.000 Menschen zu ernähren.534 Sowohl Engländer als auch Niederländer waren schon in der Frühzeit ihrer Aktivitäten auf Sulawesi intensiv darum bemüht, Reis auch vor Ort anzukaufen. In einem Brief aus Makassar an Präsident Barkley in Banten vom 10.8.1617 findet sich folgender karge Bericht: 528 David WOODWARD, The Narrative of Captain David Woodward, London 21805, zitiert nach BRAY, Rice Economies, 33. 529 Anthony Reid geht davon aus, daß Reis in Indonesien in erster Linie zum Eigenbedarf angebaut wurde und lediglich die Überschüsse verkauft wurden, woraus er den Schluß zieht, daß beim Reisanbau nicht von einem cash-crop gesprochen werden kann (REID, Change, 472). Im Zuge wachsenden Schiffsverkehrs in Makassar selbst und damit drastisch steigender Nachfrage nach Proviantierungsgütern scheint diese für die Frühphase zutreffende Aussage für das 17. Jahrhundert in Süd-Sulawesi nicht mehr unbedingt haltbar. Makassar war nicht zuletzt wegen seiner Versorgungsmöglichkeiten in die Rolle eines Emporiums hineingewachsen, wodurch eine gezielte Bereitsstellung des Hauptproviantgutes Reis erforderlich und durch gezielte Intensivierung des Anbaus auch erreicht wurde. Siehe auch NAGEL, Makassar, 108/109. 530 VILLIERS, Makassar, 152. 531 ARA Den Haag, Notitie des C. Speelman, Aanwinsten 1524: 1926 I 10, 586/587; VILLIERS, Makassar, 152. 532 BL London, OIOC, G/10/1, George Cockrayne (Makassar) an Thomas Smith (Banten), 16.7.1615, 2-3. 533 Ebd., E/3/5, Nr. 595, George Ball, Thomas Spurway und John Byndon, 19.1.1617, 258v. 534 REID, Pluralism, 58; allerdings ging der Surplus in den 1620er Jahren zurück, in den 1650er Jahren mußte sogar Reis aus Bima importiert werden (ebd.). 208 Makassar und die Europäer vor 1666/69 „Withers had been up the country with Throgmorton, at a place called Lambasor, where the Dutch formerly bought much rice; a quantity might at present be had there for 11 Mas per douyan. [...] Throgmorton could not obtain a loan but at great loss: but the king has promised when the shipping shall come to give us a House at Lambasor, and to procure rice at a short warning.“535 Solche Aktivitäten beruhten auf der generellen Einschätzung der Lage, wie sie im gleichen Jahr von der EIC-Führung in Banten nach London übernittelt wurde: „At Macassar, the best rice in India could be bought, and about forty thousand rials per annum of Cambaya and Coromandel cloths sold; but this place was resorted to by the Portuguese, though abandoned by the Dutch.“536 Engländer und Niederländer erstanden nicht nur im Hafen oder auf dem städtischen Markt das wichtige Grundnahrungsmittel, sondern unternahmen weite Reisen in das Landesinnere zu den Anbaustätten selbst; man konnte sich sogar vorstellen, eine Niederlassung vor Ort einzurichten. Ob eine solche jemals verwirklicht wurde, ist allerdings nicht bekannt. Die Sicherstellung der eigenen Versorgung und die Hoffnung auf wesentlich günstigere Preise dürften die ausschlaggebenden Faktoren für solche Anstrengungen gewesen sein. Immerhin war nicht einmal vor Ort garantiert, daß auch tatsächlich eine lohnende Menge Reis einzukaufen war. Die hohe Nachfrage durch die Vielzahl der seefahrenden Nationen in Makassar und durch den Bedarf an Grundnahrungsmitteln der ländlichen und städtischen Bevölkerung, aber auch die Vorratspolitik des Staates machte Reis zu einem knappen Gut. Paulus van Solt berichtete 1607 von dem eminenten Reisangebot in den Dörfern Goa-Tallos und von der Reislagerpolitik Karaeng Matoayas: „Het geheele landt door in alle Steden, ende Vlecken heeft hy [d.i. Karaeng Matoaya] schoone Schuren, ghestadigh vol Rijs, die niet geledight worden om te verkoopen, tot dat het nieu ghewas in is om door eenigh ontijdigh Iaer geen gebreck te lijden.“537 Nicht nur die Produktion von Reis hatte zu Beginn des 17. Jahrhundert eine bislang unbekannte Größenordnung erreicht, sondern auch die Nachfrage nach dem Grundnahrungsmittel, das alle anderen agrarischen Produkte weit überflügelte. Anthony Reid nimmt mit Berufung auf Speelman und auf einheimische Chroniken an, daß vor dem 16. Jahrhundert kein intensiver Reisanbau in der Umgebung von Makassar betrieben wurde, daß es sich bei der regionalen Landschaft lediglich um „lar535 BL London, OIOC, G/10/1, William Withers (Makassar) to Pres. Barkley (Banten), 10.8.1617, 17. 536 BRUCE, Annales, 190, auf Grundlage eines Briefes aus Banten an den Hof vom 19.1.1617. 537 SOLT, Verhael, 82. Die Angabe Villiers, diese Passage wurde 1646 von Admiral van der Hagen niedergeschrieben (VILLIERS, Makassar, 152) beruht auf einem doppelten Irrtum: Steven van der Hagen war der Admiral, unter dessen Kommando der eigentliche Autor Paulus van Solt zwischen 1605 und 1608 nach Indien und Indonesien reiste; das Jahr 1646 bezieht sich auf die Veröffentlichung der auf dieser Reise entstandenen Berichte durch Isaac COMMELIN im zweiten Band seiner ‚Begin ende Voortgangh van de Vereenighde Nederlantsche Geoctroyeerde Oost-Indische Compagnie‘. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 209 gely brackish swamps not yet intensively cultivated“ handelte.538 Gestützt wird diese Ansicht von einer möglichen Interpretation des I La Galigo-Zyklus, der sich auf die Zeit zwischen 1000 und 1500 bezieht und als Grundnahrungsmittel nur Yams, Taro und Sago nennt.539 Die erwähnten Portugiesen hätten demnach lediglich die Anfänge eines intensiven Naßreisanbaus miterlebt. Da sie jedoch von umfassenden Reisanbaugebieten mit gezielten Maßnahmen zur Urbarmachung berichteten, sollte der überschußorientierte Reisanbau für Süd-Sulawesi nicht allzu spät angesetzt werden, zumal die Region schon wesentlich früher Anlaufpunkt für Fernhändler war, die mit Sicherheit nicht zuletzt aus Proviantisierungsgründen einen Halt zwischen Java und den Molukken einlegten. Politische Rahmenbedingungen Sowohl unter Zeitgenossen als auch unter Wissenschaftlern herrschte stets Übereinstimmung, daß in der Hafenstadt Makassar der Handel uneingeschränkt und offen durchgeführt werden konnte, daß die Kaufleute vorteilhaft behandelt wurden und daß die Obrigkeit nur geringe Zölle erhob.540 Gelegentlich war sogar von Gebühren- und Zollfreiheit die Rede; lediglich Geschenke an den syahbandar scheinen – folgt man dem Jesuiten Domingo Navarette – üblich gewesen zu sein.541 Makassar war in der Frühzeit der europäischen Präsenz ein Emporium, das sich durch einen unbeschränkten Zugang und das Bemühen auszeichnete, durch Aufrechterhaltung dieser Situation möglichst viele Schiffe anzulocken. Dies beruhte nicht nur auf der merkantilen Entwicklung bedingt durch ein übergreifendes Handelssystem, sondern vor allem auf der Grundüberzeugung der verantwortlichen Herrscher. Gesandte der VOC, die schon vor der Eroberung Makassar auf dem Verhandlungswege in ihr System der Monopole und Privilegien einbinden wollten, erhielten am Hof von Goa-Tallo eine eindeutige Antwort, die als eine Art Grundgesetz des Emporiums angesehen werden kann und in der niederländischen Überlieferung folgendermaßen lautet: 538 REID, Rise of Makassar, 120. 539 RÖSSLER, Lohn der Mühe, 96: „Zu Beginn des buginesischen, prä-islamischen I-La-Galigo-Textes [...] werden weniger der Reis, sondern vielmehr Yams, Taro und Sago als Grundnahrungsmittel herausgestellt. Geht man davon aus, daß in der dichterischen Dartellung der göttlichen Erschaffung der ‚Mittelwelt‘ diejenigen Nahrungsmittel genannt sind, die zum Zeitpunkt der Niederschrift von primärer Bedeutung für die hier lebenden Menschen waren, so lassen sich entsprechende Rückschlüsse auf die damals dominanten landwirtschaftlichen Produkte ziehen.“ 540 SCHRIEKE, Shifts, 70. 541 Travels and Controversies, 114. 210 Makassar und die Europäer vor 1666/69 „God heeft d’aerde ende de zee gemaekt, d’aerde onder de menschen verdeylt ende de zee gemeyn gegeven. Noyt is gehoort, dat yemant de zeevaert verboden zij. Wilt ghij het doen, doo beneempt ghij de luyden het broot uyt de mont. Ick ben eeen arm coninck. [...] Mijn landt staet open voor alle natiën, en ’t geene ic heb is so wel voor u lieden als voor den Portugeesen.“542 Die zitierten Äußerungen werden dem König von Goa, Ala’uddin, zugeschrieben, doch stellen sie die grundlegende Haltung der makassarischen Herrscher in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts dar und können so auch auf Äußerungen Karaeng Matoayas zurückzuführen sein, der als Herrscher des eigentlich kleineren Tallo dem wesentlich jüngeren Ala’uddin gegenüber die Rolle eines einflußreichen väterlichen Freundes einnahm. Sie entsprechen weitgehend dem Ideal des Mare Liberum, wie es von Hugo Grotius postuliert und von den Generalstaaten für Europa eingefordert, jedoch nicht auf das eigene Verhalten in Asien übertragen wurde. In Makassar dürfte dieses Prinzip weniger auf theoretischen Überlegungen beruht haben, sondern auf der ganz praktischen Erkenntnis, daß der Reichtum des Landes und die Machtposition seines Herrschers vorrangig auf der Möglichkeit möglichst vieler beruhte, die günstige handelsstrategische Lage der Stadt gewinnbringend auszunutzen. Allein der eigene Reisexport hätte für eine solche Position nicht ausgereicht. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Selbstbezeichnung des Herrschers als „armer König“ zu verstehen – als König, der wenig eigenes anzubieten hat und so von der Freiheit der Meere leben muß, die er entsprechend nie preisgeben konnte. Anders als die Herrscher von Aceh oder Banten hatten die makassarischen Sultane lange keine aktive Rolle im Handel gespielt, geschweige denn war dieser auf ihren Anstoß und ihre herrschaftliche Ausgestaltung zurückzuführen. Es erschien ausreichend, auf die günstige Lage des Hafens zu vertrauen und diese allen Interessenten zugänglich zu machen. Auch spätere Handelsaktivitäten des Herrscherhauses veränderte diese Prinzipien nicht, sondern dienten lediglich einem zusätzlichen Einkommen für die königliche Kasse.543 Entsprechend beruhten die politischen Rahmenbedingungen des Handels in Makassar auf zwei Säulen: der Garantie maritimer Handelsfreiheit und der moderaten Erhebung von Abgaben, welche durch ein institutionalisiertes Geschenksystem ergänzt wurde.544 Über Abgaben, die auf den Marktplätzen der Stadt erhoben wurden, und die Besteuerung der Bevölkerung, die ja auch vom Handel profitierte, läßt sich allenfalls spekulieren. 542 Zitiert nach STAPEL, Bongaais Verdrag, 14 und 12. 543 Vielleicht liegt es in dieser Grundhaltung begründet, daß immer wieder behauptet wird, Makassar hätte lange nur als Emporium gedient, während die Makassaren selbst erst spät zum Handel gefunden hätten. 544 Der Austausch von Metallen und vor allem Textilien als Geschenke auf diplomatischer Ebene war im Malaiischen Archipel weit verbreitet: HALL, Textile Industry, 92. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 211 Zu den politischen Rahmenbedingungen im weiteren Sinne kann ein Faktor gezählt werden, der insbesondere in der zweiten Hälfte der 1650er Jahre den Warenhandel zusätzlich zur schwierigen Konjunkturlage ungünstig beeinflußte: wie die meisten anderen Emporien des Malaiischen Archipels verfügte auch Makassar mit dem mas über eine eigene Goldwährung, die in der Stadt selbst geprägt wurde und dort verpflichtendes Zahlungsmittel war. Schon lange bevor der makassarische Herrscher durch eine verfehlte Währungspolitik das mas schwächte, hatte die makassarische Währung keinen allzu guten Ruf, vor allem auf Grund der schwierigen Konvertibilität der Münze.545 Immerhin wurde die Goldmünze in den 1630er und 1640er Jahren in den internen Berechnungen der Kompanien noch mit der gängigen überregionalen Währung, dem Real, gleichgesetzt oder schlechtestenfalls mit 1 : 1¼ bewertet; die EIC rechnete gewöhnlich mit 6 ½ Shilling pro mas.546 1655 jedoch emittierte König Hassanuddin, der zwei Jahre zuvor an die Macht gekommen war, eine neue Standardmünze, das sogenannte mas checoe, dessen Edelmetallgehalt es nicht einmal mehr ermöglichte, den labilen Status quo zu erhalten. „Macassar say: another cause of dear prices is this: the king of Macassar hath issued a new sort of coin, which is so base and low, compared with the former, and yet must be both received and paid at the same nominal value, that whereas previoulsy the Rate of Exchange between Rials of Eight nd Mas was only 25 per cent; and the former when sold as a Commodity bore a premium of only 33 per cent; by the deterioration of the Mas Dollars have become one of the most profitable Imports, fetching 200 and 210 Mas per 100. [...] The Money of Macassar is now so exrtaordinary bad, that the Factory do not know how to rate it in the accounts. They enclose twenty of the debased Mas as a Specimen, and request Bantam to fix the value in dollars.“547 Der Kurs der neuen Münze verfiel zusehens. 1657 erhielt man schließlich für sieben Real 16 mas, was ungefähr einem Kurs von 1 : 2¼ entsprach.548 Ende des Jahres erkannte auch Hassanuddin, daß die neue Währung unter Kaufleuten nie akzeptiert werden würde, und versuchte durch die Ausgabe einer neuen Münze, des kopang im Wert von einem Viertel mas, ein völliges Desaster des makassarischen Währungssystems zu vermeiden. Bereits im Januar 1658 wurde das mas checoe als Zahlungsmittel im Überseehandel abgeschafft. Nur noch das mas zu vier kopang war zulässig.549 Ei545 Generale Missiven II, 12.12.1641, 139. 546 Die Gleichsetzung von Real und mas wird im Vertrag zwischen der VOC und Makassar aus dem Jahr 1637 festgeschrieben: Corpus Diplomaticum I, Nr. CXXIV, 305. Siehe auch Generale Missiven I, 22.12.1638, 668; BL London, OIOC, E/3/15, Nr. 1540, Residence of Bantam to the Court, 1.12.1634/31.1.1635, 61; BASSETT, English Trade, 26. 547 BL London, OIOC, E/3/24, Nr. 2479, J. Bostocke and H. Thurcroft (Makassar) to Bantam Agency, 1.5.1655, 243/244. 548 Ebd., G/10/1, Macassar Factory to Bantam Agency, 18.9.1657, 143. 549 BASSETT, English Trade, 27. 212 Makassar und die Europäer vor 1666/69 ne gewisse Übergangszeit muß es dennoch gegeben haben, berichtete die englische Faktorei in Makassar im Juli 1658 doch über ihre aktuelle Situation: „Although Bantam had complained that Tortoiseshell bought at 465 Mas per the Bahar of 400 [Pfund] were too dear; yet the Factory had been forced to buy three Bahar more at 520 to clear themselves of this Country’s bad coins, namely, the late Checol Mas. Shells are now at 470 Old Mas per Bahar; Cloves 700 to 730 per Bahar; Gold 36 Mas per Tael; Rials of Eight for 14 Mas. The East-India Merchant, Private Trader, had bought up most of the Cloves and Shells.“550 Nachdem die letzten mas checoe, wenn auch nur verlustreich, abgestoßen waren, stabilisierte sich die makassarische Währung allmählich. Im gleichen Schreiben bestätigte die englische Faktorei einen Kurs zwischen Real und mas von 1 : 2, während sich ein Jahr später das Verhältnis auf ungefähr 1 : 1¾ eingependelt hatte.551 Die verfügbaren Quellenzeugnisse bieten keine Anhaltspunkte dafür, in welchen Währungen der alltägliche Handel in Makassar abgewickelt wurde. Wie weit das spanische Real tatsächliches Zahlungsmittel war oder ob es nur als Rechengeld in den europäischen Überlieferungen auftaucht, läßt sich nur vermuten. Auch über die konkreten Anordnungen des Herrschers bei den Währungsänderungen 1655 und 1657 wissen wir nichts. Die Annalen der Fürsten von Goa und Tallo erwähnen die währungspolitischen Experimente Hassanuddins mit keinem Wort. Die Tatsache, daß vor allem die englische Kompanie, die vor Ort aktivste europäische Handelsorganisation, ihre Transaktionen in mas berechnete und durch dessen Verschlechterung eindeutig Schaden erlitt, läßt es sicher erscheinen, daß Handelstreibende im Hafen von Makassar die einheimischen Währung als obligatorisches Zahlungsmittel akzeptieren mußten. Die zitierte Klage der niederländischen Konkurrenten, aus Makassar die nur ungünstig konvertierbaren mas mitbringen zu können, deutet in die gleiche Richtung. Geht man von dieser Annahme aus, hatte der Herrscher von Makassar in der zweiten Hälfte der 1650er Jahre ohne aus heutiger Perspektive ersichtlicher Not nicht nur für Verunsicherung unter den Kaufleuten gesorgt,552 sondern deren Handel insgesamt geschädigt, und dies ausgerechnet unter dem Vorzeichen einer sich ständig verschärfenden Nachschubkrise bei den molukkischen Gewürzen. Auf diese Weise konnten sogar in dem Emporium Makassar, das sich allgemein durch ein betontes handelspolitisches laissez-faire auszeichnete, die Gestalter der politischen Rahmenbedingungen unheilvollen Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung ausüben. 550 BL London, OIOC, G/10/1, Macassar Factory to Bantam Agency, 22.7.1658, 148. 551 Ebd., G/10/1, Macassar Factory to Bantam Agency, 22.7.1658, 147; ebd., Inventory of Remains in Macassar Factory, 5.4.1659, 170. 552 Wie sie BASSETT, English Trade, 27, betont. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 213 Frühe makassarische Kontakte zur See Frühe Kontakte Makassars zu anderen Inseln des Malaiischen Archipels werden häufig unter Hinweis darauf bezweifelt, daß kaum eindeutige Quellenzeugnisse hierfür vorliegen – so vor allem von dem französischen Ethnologen Christian Pelras.553 Zweifel an der Beteiligung von Makassaren und Bugis am Seehandel bis zum 16. Jahrhundert äußert auch der Historiker Ian Caldwell und führt als Begründung die fehlender Nachweise in den einheimischen Schriftzeugnissen an.554 Auf der gleichen Grundlage geht Anthony Reid davon aus, daß erst durch die Niederlassung von Malaiien Makassar nennenswerte Handelsaktivitäten entwickelte.555 Allerdings führen diese Schriftquellen ökonomische Aktivitäten so gut wie gar nicht auf und konzentrieren sich weitgehend auf die Kriege und dynastischen Entwicklungen der beschriebenen Herrscherhäuser. Das gesamtgesellschaftliche Leben auf diesen Blickwinkel zu verengen, verbietet sich von selbst. Das Fehlen von Belegen merkantiler Beschäftigung von Makassaren und Bugis in den regionalen Schriftzeugnissen charakterisiert vorrangig die Quellen und nicht das Wirtschaftslebens. Die Äußerung des Königs von Goa, daß die Makassaren nur mit Landhandel befaßt seien und der Seehandel ganz in malaiischer Hand läge,556 diente lediglich zur besseren Begründung dafür, daß er, der König, über keinen ausreichenden Einfluß verfüge, um den indigenen Handel mit Gewürznelken und Muskatnüssen zu unterbinden. Auch diese Aussage aus dem Zusammenhang früher diplomatischer Bemühungen der VOC, Makassars in das eigenen Monopol einzubinden, kann nicht als Beleg für eine verspätete maritime Entwicklung Makassars herangezogen werden. Die Einbeziehung von Überlieferungen anderer Art, weit über die spärlichen Schriftquellen hinaus, erlaubt eine ganz andere Sichtweise, wie sie insbesondere von Campbell C. Macknight vertreten wird: „There is, however, one common feature of almost all this evidence which, in my opinion, allows us to move forward a little, that is, its relation either to external contact, or to trade, or to areas in Sulawesi easily reached by boat. The basic pattern of life was probably much the same as in the period before 1.000 A.D., with a relatively small population scattered in settlements throughout the peninsula, but especially in locations where the resources of sea, lake or river could supplement the returns of swidden agriculture. What changes is the slow growth of society’s integration in all its aspects: economic, cultural, social and religious. While much of the detail of this 553 554 555 556 PELRAS, Célèbes-Sud, 177/178; DERS., Pantheon, 96. CALDWELL, Power, 411. REID, Pluralism, 57. Bouwstoffen II, Nr. XIV, Memorandum des Herman van Speult, Gouverneur auf Ambon, 10.8.1625, 86. 214 Makassar und die Europäer vor 1666/69 will always, perhaps, remain beyond our understanding, the available evidence does allow us, in my view, to see that external contact and trade were important elements in that integration. Moreover, that contact and trade may have been more substantial than we can now document very clearly.“557 Macknight bezieht sich neben sulawesischen und anderen indonesischen Quellen auch auf materielle, archäologische und linguistische Zeugnisse. Einerseits führt er die ersten Erwähnungen Makassars in indigenen Quellen, insbesondere den nichtsulawesischen, und regionale mythische Berichte wie den einer Heirat zwischen dem Herrscher von Tallo mit einer molukkischen Prinzessin aus der Chronik Tallos an. Andererseits verweist er auf die Existenz diverser Ortsnamen in Süd-Sulawesi, die auf javanische Ursprünge zurückgehen, auf verschiedene technische Fachwörter und andere sprachliche Einsprengsel im Makassarischen und Buginesischen, die ebenfalls der javanischen Sprache entstammen, sowie auf deutliche auswärtige Einflüsse im Kunsthandwerk.558 Darüber hinaus lassen archäologische Funde in der Gegend von Soppeng, das mehrere Jahrhunderte lang über die Vasallen-Siedlung Batu-Batu Seehandel betrieb, einen eindrucksvollen Handel Süd-Sulawesis erahnen.559 Von besonders hoher Aussagekraft für frühre makassarische Handelskontakte ist die in Süd-Sulawesi gefundene Keramik. Die Funde, die vor allem David Bulbeck während der Grabungskampagnen im Rahmen seines Dissertationsprojektes sowie die zu Beginn der 1970er Jahre gegründete Altertumsbehörde in Ujung Pandang gemacht haben, weisen deutlich auf frühe Kontakte der Region über See hin. Neben den Funden mit Bezug zur archäologischen Siedlungsforschung, welche auf Grund der modernen Überbauung des frühneuzeitlichen Makassars nur in Ansätzen möglich ist, handelt es sich vorrangig um Grabfunde. In den meisten BugisGesellschaften diente Keramik nicht nur als Grabbeigabe, sondern wurde auch als Urne bei der traditionellen Brandbestattung genutzt. In makassarischen Gemeinden wurde die Erdbestattung bevorzugt, bei der im allgemeinen keramische Grabbeigaben üblich waren.560 David Bulbeck hat die von ihm gefundenen Keramikobjekte in 31 Klassen kategorisiert, mit deren Hilfe sich sowohl die ungefähre Herkunft als auch die ungefähre Zeit des Eintreffens der Objekte in Süd-Sulawesi erschließen lassen.561 Die veröffentlichten Daten der sulawesischen Altertumsbehörde lassen zwar 557 558 559 560 MACKNIGHT, Rise of Agriculture, 94. Ebd., 95. CALDWELL, Power, 412. HADIMULJONO/MACKNIGHT, Imported Ceramics, 68-72. Zur Datierung asiatischer Keramik siehe MARTIN, Use of Ceramics, insbes. 144-147. 561 Tabelle in MACKNIGHT, Early History, 17, nach der unveröffentlichten Dissertation von D. BULBECK. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 215 keine derart feine Differenzierung zu, wie sie Bulbeck anbieten kann, jedoch erlaubt die chinesische Keramik, die auch hier den Schwerpunkt bildet, zumindest eine Zuordnung nach dynastischen Stilelementen.562 Zur genaueren Betrachtung der Fundsituation im Bereich der Handelskeramik empfiehlt es sich, auf ein zeitliches Hilfskonstrukt zurückzugreifen und den Zeitraum bis Ende des 18. Jahrhunderts grob in vier Perioden einzuteilen. Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts kann von einer ‚vorhistorischen Periode‘ gesprochen werden, für welche keinerlei schriftliche Erwähnungen Makassars bekannt sind, weder als Stadt noch als Region. Der Zeitraum zwischen der ersten Erwähnung im Nagarakrtagama bis zum Erscheinen der Europäer im Malaiischen Archipel, von der Mitte des 14. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, kann als ‚frühhistorische Periode‘ in der Geschichte Makassars tituliert werden. Als ‚portugiesische Periode‘ soll hier der darauf folgende Zeitraum bis zur Vertreibung der Portugiesen bezeichnet werden, also das 16. und die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die anderthalb Jahrhunderte bis zum Ende der VOC-Vorherrschaft um 1800 können unter der Bezeichnung ‚VOCPeriode‘ gefaßt werden, während die folgenden Jahrhunderte ohne größere Differenzierung als die ‚Nach-VOC-Periode‘ zusammengefaßt werden sollen. Für die ‚vorgeschichtliche Periode‘ liegen nach den Ergebnissen der Bulbeck’schen Kampagnen bereits Keramikfunde vor. Es handelt sich zwar lediglich um 0,7% aller von Bulbeck gefundenen Keramik bzw. um 1,4% der gefundenen Keramik für den Zeitraum bis Ende des 18. Jahrhunderts, doch ist die bloße Existenz für diese frühe Zeit allein bemerkenswert. In der Regel wird für die früheste importierte Keramik eine Datierung auf das neunte oder zehnte Jahrhundert angenommen.563 Es handelt sich vornehmlich um schlichte, frühe chinesische Waren, zu denen sich im geringen, aber steigenden Umfang auch vietnamesische Waren gesellten. Festzuhalten ist, daß selbst in diesen frühen Zeiten, für die rege Handelsaktivitäten der Region um Makassar bislang nicht zur Diskussion standen, Handelskeramik aus China, aus Regionen unter deutlichem chinesischen Einfluß und auch aus Vietnam, auf welchen Wegen auch immer, nach Süd-Sulawesi gelangten. Auch für die ‚frühhistorische Periode‘ finden sich bei Bulbeck kleine, aber durchaus signifikante Mengen an Importkeramik (1,1% aller Funde und 2,4% der Funde aus dem hier interessierenden Zeitraum). Der Schwerpunkt der Herkunft war in diesem Zeitraum vollständig auf Südostasien übergegangen. Die ebenfalls 562 HADIMULJONO/MACKNIGHT, Imported Ceramics, 77 563 Ebd., 67. 216 Makassar und die Europäer vor 1666/69 gefundenen Ming-Keramiken spielten offenbar nur eine sekundäre Rolle. Vorherrschend war zum einen Keramik aus Vietnam, vor allem blau-weiß glasierte Waren – eine Entwicklung, die sich schon in der vorangegangenen Periode durch die Zunahme einfarbiger und schwarz-weißer Waren aus Vietnam angedeutet hatte. Die neue blau-weiße Keramik war in Vietnam unter starker chinesischer Einflußnahme während der Okkupation des Landes durch die Ming-Dynastie entstanden.564 Zum anderen fand sich im großen Umfang Handelskeramik aus Thailand, insbesondere einfarbige und schwarz-weiße Sawankhalok-Keramik, die aus dem zwischen 1220 und 1250 gegründeten Königreich Sukhotai stammte und dort neben der nach dem Reich selbst benannten Keramik die zweite große Stiltradition begründete.565 Den Zeitraum, in dem sich bereits Europäer in Makassar aufhielten und der hier pragmatisch ‚portugiesische Periode‘ heißt, dominierten verschiedene Formen von Handelskeramik aus dem China der Ming-Dynastie. Eine große Rolle spielte blauweiß glasierte Keramik, die sehr hochwertig sein konnte. Noch bedeutender war jedoch Swatow-Keramik, die den Großteil der Funde aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ausmachen. Bei Swatow handelte es sich um Gebrauchskeramik von geringerem Wert, die nach ihrem Exporthafen in China benannt wurde. Auffallend dekoriert und glasiert handelte es sich um eine Modeware, die sich dem „gemeinen“ Geschmack anpaßte.566 Die Zeit, in der Makassar seinen Höhepunkt als Emporium erlebte, brachte auch einen ersten Massenimport von keramischen Gebrauchswaren mit sich – immerhin umfaßt diese Periode gut ein Viertel der Keramik, die Bulbeck dem vorliegenden Untersuchungszeitraum zuordnet (24,6% bzw. 11,8% aller Funde). Das bedeutet jedoch nicht, daß ausschließlich Massenwaren den aufblühenden Hafen erreichte, spielte doch wertvolle Keramik zu Statuszwecken stets eine wesentliche Rolle.567 Die Bedeutung der Sawankhalok-Waren aus Thailand blieb in absoluten Zahlen während des 16. Jahrhunderts noch konstant, doch wurden sie durch die bislang nicht gekannten Zahlen chinesischer Keramik in den Hintergrund gedrängt. Sowohl der Übergang von den Ming auf die mandschurische Ch’ing Dynastie in China (1644) als auch die Machtübernahme der VOC in Makassar (1666/69) fiel ungefähr in die Mitte des 17. Jahrhunderts. Entsprechend wandelte sich die Stilrichtung der nach Makassar importierten chinesischen Keramik, ihre Bedeutung verlor 564 565 566 567 Zur vietnamesischen Keramik siehe BROWN, Ceramics, 5-25, und GUY, Trade Ceramics, 45-58. Zur thailändischen Keramik siehe BROWN, Ceramics, 45-61, und GUY, Trade Cermics, 59-67. Ebd., 144; HADIMULJONO/MACKNIGHT, Imported Ceramics, 78. Ebd. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 217 sie jedoch nicht – ganz im Gegenteil. 71,5% der von Bulbeck dem Zeitraum bis Ende des 18. Jahrhunderts zugeordneten Keramikfunde gehören in die ‚VOC-Periode‘ (34,1% aller Funde). Nach wie vor war es Swatow-Ware, die eine wesentliche Rolle spielte. Daneben erlangte die höherwertige blau-weiße Ch’ing-Keramik eine noch weitaus größere Bedeutung. Mit der Anwesenheit der VOC und mit dem Wachstum der chinesischen Einwohnerschaft in der Kolonialstadt war ein weitaus größerer Abnehmerkreis für chinesische Handelskeramik entstanden. Andere Keramik spielte in dieser Periode keine Rolle mehr. Bezüglich der Keramikimporte wie auch in mancherlei anderer Hinsicht war die ‚VOC-Periode‘ Makassars auch das ‚chinesische Zeitalter‘ der Stadt. Ein völlig verändertes Bild bieten die Funde Bulbecks für die Jahrhunderte nach der Präsenz der VOC. Im 19. Jahrhundert verlor China zunächst seine führende Position im Keramikexport nach Süd-Sulawesi, während erstmals europäische Keramikwaren nicht nur eine Rolle spielten, sondern den Markt offenbar dominierten. Das 20. Jahrhundert stand dann wieder ganz im Zeichen schlichter chinesischer Ware, sowohl aus den letzten Jahren den Ch’ing-Dynastie als auch aus dem kommunistischen China. Bei beiden Keramikgruppen kann davon ausgegangen werden, daß es sich vorrangig um in Manufakturen oder Fabriken hergestellte Massenwaren handelte. Zudem wurde in diesen beiden Jahrhunderten auch erstmals Handelskeramik aus Japan nach Süd-Sulawesi eingeführt. Ein Vergleich der Häufigkeitsverteilung der Funde Bulbecks mit den Keramikfunden, welche der ‚History and Antiquities Service South Sulawesi‘ zwischen 1973 und 1977 registrierte, unterstreicht wesentliche Ergebnisse der bisherigen Auswertung. Präsenz und Bedeutung der Ming-Handelskeramik, der Swatow-Waren wie auch der Sawankhalok-Keramik werden so bestätigt, wie sie auch in der Aufstellung Bulbecks gewichtet sind. Auch die Größenordnung japanischer Importware wird bestätigt, auch wenn sie ohne Zeitzuordnung angegeben sind. Die erst im 19. Jahrhundert beendete Selbstisolierung Japans läßt jedoch mit Sicherheit darauf schließen, daß auch diese japanischen Funde dem 19. und 20. Jahrhundert zuzuordnen sind. Verstärkt durch die Zahlen der indonesischen Behörde wird die Bedeutung der ‚vorgeschichtlichen‘ und der ‚frühgeschichtlichen Periode‘, die mit den Tang-, Songund Yuan-Dynastien in China zusammenfallen. Von allen zwischen 1973 und 1977 registrierten Funden machen sie gut ein Zehntel aus (10,6%), während sie unter der Gesamtheit der Bulbeck’schen Funde nur auf 1,8% kamen. Bereits aus den Zahlen des australischen Archäologen konnte durchaus auf auswärtige Handelskontakte der 218 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Region geschlossen werden; die Zahlen der indonesischen Behörde bestärken diesen Schluß nur noch ausdrücklich. Unzweifelhaft stößt die Aussagekraft solcher Aufstellungen an ihre Grenzen. Zunächst handelt es sich lediglich um archäologische Fundstatistiken von Handelskeramik und nicht um tatsächliche Importzahlen. Da letztere nicht vorliegen, bleibt kaum eine Alternative zum Rückgriff auf die archäologische Fundsituation. Die systematische Arbeitsweise von David Bulbeck sowie der Umfang und die Bandbreite seiner Funde garantieren, daß die entsprechenden Auswertungen zumindest sehr zuverlässige Tendenzen hinsichtlich der Einfuhr auswärtiger Keramiktypen, ihrer Herkunft und ihrer zeitlichen Abfolge verraten. Die Zahlen der Antikenbehörde mögen auf etwas weniger systematischen Wegen zustande gekommen sein, doch ergeben sie über weite Strecken das gleiche Bild und verstärken die Aussagen der Bulbeck’schen Zahlen noch, die zumindest die Existenz von Handelskontakten über See und deren Schwerpunkte zu bestimmten Zeiträumen zeigen können. Für die frühen Jahrhunderte der makassarischen Geschichte, für die noch keine wirtschaftshistorischen Quellen im engeren Sinne vorliegen, bilden diese Materialien beinahe die einzige Grundlage für Aussagen über frühe Handelsbeziehungen der Region. Dabei ist zu beachten, daß die Zeitspanne, welcher ein bestimmter Keramikfund zugeordnet wird, seine Herstellungszeit angibt. Dies kann, muß jedoch nicht mit der Einfuhrzeit nach Süd-Sulawesi identisch sein. Diesem zweiten Einwand gegen die Aussagekraft der Statistiken muß allerdings die geringe Wahrscheinlichkeit entgegengehalten werden, die für einen längeren Verbleib von Handelskeramik außerhalb der Herstellungsregion vor dem Weiterverkauf spricht. Weder eine langfristige Lagerhaltung von Handelskeramik in einem Zwischenland noch ein Verkauf „aus zweiter Hand“ scheinen besonders sinnvoll gewesen zu sein. Daß es zum Weiterverkauf von großen Keramiksammlungen gekommen ist, mag im Einzelfall, bei besonders wertvollen Stücken, der Fall gewesen sein, nicht jedoch für große Keramikmengen, auf welche die teilweise sehr beträchtlichen Fundzahlen schließen lassen. Das bedeutendste Argument ist jedoch die Dominanz schlichter Gebrauchsware unter der Handelskeramik. Mit 6.941 Fundstücken nehmen die Swatow-Waren alleine unter den Funden Bulbecks, die dem Zeitraum bis Ende des 18. Jahrhunderts zugeordnet werden konnten, 39,4% ein. Auch unter den registrierten Funden der Antiken-Behörde zwischen 1973 und 1977 stellt Swatow immerhin ein Viertel der Gesamtmenge ein. Solche Waren wurden mit Sicherheit zeitlich direkt an den Ort Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 219 ihres Endverbrauchs verkauft, auch wenn geographisch einige Zwischenstationen zwischen Herstellungs- und Absatzregion gelegen haben mögen. Damit ist bereits ein dritter Einwand angesprochen: Der zugeordnete Herkunftsort eines Keramiktyps muß noch nicht eine unmittelbare Handelsverbindung zwischen diesem und der Fundregion anzeigen. Für den vorliegenden Fall heißt dies, daß nicht von direkte Beziehungen zu China, Vietnam und Thailand vor dem 17. Jahrhundert ausgegangen werden kann – eine Feststellung, der hier gar nicht widersprochen werden soll. Nach wie vor ist davon auszugehen, daß die erste Junke aus China im Jahr 1614, bezeugt von der gerade eingerichteten EIC-Faktorei, die Reede von Makassar erreichte. Solange keine andere Quelle diese Information modifiziert, soll diese Einschätzung auch unangetastet bleiben, zumal die seit Mitte des 17. Jahrhunderts sprunghaft steigenden Zahlen chinesischer Handelskeramik in SüdSulawesi in die gleiche Richtung deuten. Die chinesische Seefahrt erlebte zwar im 14. und 15. Jahrhundert zwei bedeutende Expansionsphasen (1300 – 1368 und 1403 – 1435), doch konzentrierten sich die großen Reisen und die Verbindungen des Langstreckenhandels dieser Zeit auf das südostasiatische Festland und Südasien. Innerhalb des Malaiischen Archipels wurde neben Malakka und der Malaiischen Halbinsel, die auf dem Weg nach Vietnam, Thailand, Sri Lanka oder Indien passiert werden mußten, lediglich Java häufiger aufgesucht.568 Darüber hinaus lag noch neben etlichen Inseln vor allem die Westküste Kalimantans auf den alten chinesischen Routen, welche Java und die Straße von Malakka ansteuerten.569 Ein früher chinesischer Zugang zu den nördlichen Molukken existierte durch die Sulu-See, daneben wurde wahrscheinlich der Wasserweg zwischen Sulawesi und Kalimantan über Makassar in den frühen Phasen der maritimen chinesischen Expansion genutzt.570 Das schon früh nach China importierte Sandelholz aus Timor wurde in der Regel über Zwischenhändler verschifft.571 Da für die Zeit vor dem 17. Jahrhundert kein Hinweis auf chinesische Schiffe in Makassar besteht, geht Anthony Reid davon aus, daß die chinesische Keramik ausschließlich durch javanische und malaiische Händler nach Süd-Sulawesi gelangte.572 Eine Gegenmeinung vertritt Campbell C. Macknight, der unter Berufung auf eine chinesische Quelle aus dem frühen 13. Jahrhundert annimmt, daß die frühen Han- 568 569 570 571 572 PTAK, Expansion, 7-9, 16-27; siehe auch GUNGWU, China, und DERS., Early Ming Relations. PTAK, Quanzhou, 269-271. DERS, Northern Trade Route, passim; DAS GUPTA, Maritime Trade, 264. PTAK, Transportation, passim. REID, Rise of Malakka, 122. 220 Makassar und die Europäer vor 1666/69 delskontakte zwischen China und Makassar vor allem über die südlichen Philippinen hergestellt wurden.573 Es sind vor allem enge Beziehungen nach Java, welche die frühen Zeugnisse betonen. Sowohl archäologische Funde als auch etliche Ortsnamen der Südhalbinsel Sulawesis verweisen darauf, daß javanische Händler, wohl auf dem Weg zu den Molukken, hier bereits lange vor dem Eintreffen der Europäer Halt machten. Auch die javanische Hofhymne Nagarakrtagama verweist auf intensive Verbindungen nach Süd-Sulawesi, werden in ihr doch neben den Orten Bantaeng und Luwu auch die Inseln Makassar, Buton, Banggai, Kumir, Galuyao und Selayar als Untertanen von Majapahit genannt, worunter wohl Tributpflichtige zu verstehen sind.574 Christian Pelras merkt in diesem Zusammenhang allerdings zu Recht an, daß mit Makassar nicht unbedingt die Gegend der späteren Stadt oder diese selbst gemeint sein muß.575 Die Bezeichnung von Makassar als Insel spricht eher für rudimentäre geographische Kenntnisse über Sulawesi auch auf einer von maritimen Völkern bewohnten Nachbarinsel. Insgesamt ist jedoch der Bezug auf Süd-Sulawesi im Nagarakrtagama eindeutig. Neben der reinen Erfassung des Herrschaftsbereiches von Majaphait und der Aufzählung der Tributpflichtigen dieses Reiches läßt die spezifische Anordnung von Toponymen im Nagarakrtagama auch auf einige Schiffahrtsrouten zurückschließen, welche die Molukken mit dem westlichen Archipel verbanden.576 In Verbindung mit ähnlichen Informationen, die sich in chinesischen Quellen finden, sowie den spärlichen Indizien in anderen asiatischen Quellen und aus der archäologischen und anthropologischen Forschung läßt sich rekonstruieren, daß im Malaiischen Archipel bis zu den tiefgreifenden Eingriffen durch die VOC drei wesentlich Handelsrouten zu den Molukken genutzt wurden.577 Neben einer südlichen Route, die über Java und die Sunda-Inseln zu den südlichen Molukken (Banda, Ambon, Seram) führte, und einer nördlichen Route, die durch die Sulu-See verlief und auf dem Weg zu den nördlichen Molukken sämtliche Emporien innerhalb des Archipels umging,578 bestand ein dritter Schiffahrtsweg. Dieser führte durch die Java-See nach Kalimantan und von dort nach Sulawesi, von wo aus bequem sowohl die nördli- 573 574 575 576 577 MACKNIGHT, Rise of Agriculture, 95. VILLIERS, Makassar, 143; REID, Rise of Makassar, 122/123. PELRAS, Célèbes-Sud, 154. LAPIAN, Maritime Network, passim. Grundlegend für die Schiffahrtsrouten vor der VOC: SULEIMAN, Maritime Routes; WHITMORE, Opening; WISSEMAN, Markets and Trade; LAPIAN, Maritime Network; ABDURACHMAN, Impact; REID, Trade Goods. Siehe daneben auch NAGEL, Makassar, 99 und 106/107. 578 Siehe zu dieser speziellen Route PTAK, Northern Trade Route, passim. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 221 chen als auch die südlichen Molukken erreicht werden konnten. Alternativ bot sich auch eine „kombinierte“ Route an, indem man erst ab Sumbawa die Java-See Richtung Sulawesi durchquerte.579 Naturgemäß war, neben Sukadana und Banjarmasin auf Kalimantan, Makassar ein wesentlicher Knotenpunkt dieses Handelsweges. In maritimer und ökonomischer Hinsicht stellte die Route eine gleichwertige Alternative zu der warscheinlich älteren im Süden der Java-See dar. So wurde sie auch von Tomé Pires – vielleicht in der Absicht, die zu seiner Zeit noch als sehr stark empfundene Konkurrenz der Javaner zu umgehen – seinen Landsleuten als den günstigsten Seeweg von Malakka zu den Molukken empfohlen.580 Darüber hinaus weiß Pires nicht allzu viel über die Handelsaktivitäten der Einwohner Süd-Sulawesis zu berichten.581 Er legt größeren Wert darauf zu betonen, daß es sich bei ihnen um Seeräuber handelt, die zwischen Pegu, Java, den Molukken und dem Banda-Archipel Raubzüge durchführten. Seine Anmerkung, daß diese geübten Seefahrer ihre Frauen mit auf See nahmen, legt nahe, daß er an dieser Stelle vor allem Informationen über die Bajau verarbeitet, zumal er sie als Bujuus bezeichnet.582 Allerdings gesteht Pires diesen Seefahren auch zu, neben dem Raub auch Handel mit Nahrungsmitteln, vor allem Reis, und Gold zu treiben und dafür Textilien aus Indien entgegenzunehmen. Diese Ausführungen, die letztendlich eigene makassarischen Handelsaktivität zwar andeuten, jedoch diesen zumindest im Vergleich zu anderen Emporien wie Malakka keine große Bedeutung zugestehen, veranlassen John Villiers zu dem Schluß, daß Makassar zur Blütezeit des Konkurrenten Malakka nur eine untergeordnete Rolle spielte.583 Auch der Bericht des António Paiva von 1545, der einen Besuch des Jesuiten ein Jahr zuvor an der Küste SüdSulawesis schildert, weist in diese Richtung. Seine Ausführungen lassen vermuten, daß die Stadt in ihrer Frühphase noch ein Hafen unter der Vorherrschaft des weiter nördlich gelegenen Siang war.584 Allerdings beziehen sich diese Angaben eher auf die politischen Verhältnisse. Einerseits betont Paiva, daß er einen Vasall Siangs besucht, andererseits nennt er Goa eine große Stadt. Eine endgültige Aussage über eine wirtschaftliche Vorherrschaft oder Unterordnung läßt sich daraus nicht ablesen. 579 580 581 582 CALDWELL, Power, 410/411. PIRES, Suma Oriental, 219. Ebd., 226/227. Die vom Herausgeber Cortesão dafür gewählte Übersetzung ‚Bugis‘ dürfte in diesem Zusammenhang ein Fehler sein und darauf beruhen, daß das Volk der Bajau zum Zeitpunkt der englischen Edition (1944) weitgehend unbekannt war. 583 VILLIERS, Makassar, 145. 584 JACOBS, Christianity, 294; VILLIERS, Makassar, 146/147. 222 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Auch aus der Einführung des syahbandar-Amtes in Makassar kann kein endgültiges Urteil abgeleitet werden, wie dies Anthony Reid versucht, der hierin einen Beleg dafür sieht, daß „foreign traders were for the first time doing substantial business with Gowa.“585 Die Argumentation, daß erst mit Einführung eines bestimmten, auf maritimen Handel bezogenen Amtes der Handel selbst in Gang gekommen sein kann, ist kaum haltbar. In der Regel waren es bestehende Handelsaktivitäten, die staatliche Institutionen zu ihrer Kontrolle nach sich zogen. Da hier von einem Handelssystem die Rede ist, dessen Rhythmus von Monsun und Ernteperioden bestimmt wurde und nicht von einem auf Stiftungen beruhenden Messesystem wie aus Europa bekannt, kann nicht von einem handelsstiftenden Einfluß einzelner Herrscher ausgegangen werden. In Anbetracht der Indizien, die für einen lange bestehenden, kontinuierlich wachsenden Seehandel in Süd-Sulawesi sprechen, muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß die Notwendigkeit zu dessen Kontrolle und der Wunsch nach eigenem Profit für den Herrscher von Makassar erst entstanden, als ein solcher Handel tatsächlich in ausreichend interessantem Umfang auszumachen war. Die von Reid erhobene Behauptung, der Bericht Paivas würde die zitierte Interpretation unterstützen, bleibt in diesem Zusammenhang einigermaßen unverständlich, berichtet der Jesuit doch von lebendigem Handel und in Goa anwesenden Händlern, nicht jedoch von einem in jüngster Vergangenheit anzusiedelnden „Urknall“ des Seehandels, geschweige denn von Ursachen für eine solche Entwicklung. Es scheint klar zu sein, daß ein umfassender maritimer Handel in Süd-Sulawesi während der ersten portugiesischen Besuche zum ökonomischen Alltag gehörte. Mit einiger Sicherheit kann dabei allerdings bislang nur von der aktiven Rolle auswärtiger Händler, Javanern und Malaiien, ausgegangen werden. Über die makassarische Beteiligung am Seehandel kann nur wenig gesagt werden. Immerhin gibt eine portugiesische Quelle, die ungefähr parallel zu Paivas Bericht entstanden ist, erste Hinweise. In ihrer Aufzählung der ersten Seefahrer, welche die Molukken besucht hatten, wird auch die „Insel Macassar“ genannt. Und die gleiche Quelle berichtet, daß António Galvão, Kommandeur der portugiesischen Flotte, die sich 1537 auf den Molukken aufhielt, „sent another fleet under Diogo Lopes de Azevedo against some people of Java, Macassar, and Banda, who had come to Maluku to sell artillery and other arms and to trade.“586 Die Flotte dieser Händler wurde vernichtet; das einzige Boot, das den Kampf überlebte, erhielt das Verbot zurückzukehren. 585 RIED, Rise of Makassar, 134. 586 Treatise on the Moluccas, 79 und 305 (Zitat) Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 223 Immerhin verweisen diese Äußerungen von 1544 darauf, daß makassarische Seefahrer bereits in den aktiven Molukkenhandel involviert waren, als die ersten Portugiesen ihre Heimat erstmals besuchten. Hinsichtlich der passiven Anbindung Makassars an die regionalen und überregionalen Handelsnetze vor Eintreffen der Europäer kann nach dem gegenwärtigen Forschungsstand davon ausgegangen werden, daß die maritimen Kontakte weitgehend über Java und die Malaiischen Halbinsel hergestellt wurden, ohne alle anderen Möglichkeiten restlos auszuschließen zu können. Dies gilt insbesondere für die Außenanbindung zum südostasiatischen Festland (Vietnam, Thailand) und nach China. Es erscheint äußerst unwahrscheinlich, daß küstenbewohnende und Fischerei betreibende Völker wie die Makassaren und Bugis über Jahrhunderte einem wachsenden maritimen Warenaustausch in ihren Landen zugesehen haben, ohne sich jemals mit eigenen Fahrzeugen und eigenen merkantilen Unternehmungen daran zu beteiligen, zumal zu den hier ansässigen Völkern auch die an weite maritime Reisen gewöhnten Seenomaden der Bajau gehörten. Daß diese Völker zu Beginn des 16. Jahrhunderts plötzlich und ausgerechnet mit dem Erscheinen der Portugiesen geradezu aus dem Nichts in den bestehenden Handelsnetzen auftauchten, klingt, vorsichtig ausgedrückt, ungewöhnlich und nur sehr schwer nachweisbar. Dennoch: auch eine frühere Beteiligung von Makassaren, Bugis oder Bajau am aktiven Handel kann nur vermutet werden; eine exakte Beweisführung ist bis auf die wenigen angeführten Indizien nicht möglich. Makassarische Handelsverbindungen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nach Cornelis Speelman Erlebte das 16. Jahrhundert einen rasanten Aufschwung der Hafenstadt Makassar als Emporium, so war die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts unzweifelhaft die Periode ihrer größten wirtschaftlichen Blüte. Die VOC, die sich zur gleichen Zeit erfolgreich im Malaiischen Archipel festsetzte, erkannte schnell die herausragende Rolle, die Makassar in den regionalen Handelsnetzwerken spielte, und war somit zugleich einer ihrer mächtigsten Konkurrenten. 1625 schätzten Generalgouverneur und Rat von Indien in der Generalen Missive die Bedeutung Makassars entsprechend hoch ein: „‘t Sedert dat wij ‘t vaerwater van Malacca soo gestadich becruyst hebben, heeft Maccassar seet toegenomen; in regard van den handel in dese Oostersche quartieren, als voor Borneo, Java, Balij, Solor, Thymor, Amboina, Moluco ende andere plaetsen mees is Macassar beter gelegen als Malacca, daerbeneffens dat Maccassar voor Malacca ende Moluco een redelijcke spijcamer is; ‘t sal derhalven soo nodich wesen, dat men haer daer vernestele als in ’t vaerwater van Malacca.“587 587 Generale Missiven I, 27.10.1625, 182. 224 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Eine umfassende Beschreibung der Handelsverbindungen Makassars am Vorabend der Eroberung liegt in Gestalt der Notitie des Cornelis Speelman vor, der nicht nur der erfolgreiche Feldherr bei der Eroberung Makassars, sondern auch der beste europäische Celebes-Kenner seiner Zeit war.588 Eine Zusammenfassung der Informationen Speelmans soll zunächst eine erste Beschreibung des Status quo in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts bieten, bevor das Bild durch die Konfrontation mit anderen Quellenaussagen des gleichen Zeitraumes verfeinert wird. Dieses Bild gibt lediglich die Wahrnehmung der europäischen, in erster Linie der niederländischen Seite wieder, aber in Verbindung mit den übrigen Ausführungen dieses Kapitels sollte eine Einordnung des unabhängigen Makassars in die maritimen Netzwerke des Malaiischen Archipels möglich werden. Die Südhalbinsel Sulawesis spielt in Speelmans Beschreibung der Handelsbeziehungen Makassars keine Rolle. Hinsichtlich des Handels im Nahbereich des Emporiums legt er vor allem Wert auf die Insel Buton vor der Küste der Südosthalbinsel.589 Dorthin brachten insbesondere malaiische Seefahrer ein breites Spektrum indischer Textilien, wofür sie im Gegenzug Sklaven einhandelten. Darüber hinaus werden die Inselgruppe Banggai vor der Ostküste Sulwasis und der dieser gegenüber an der Küste gelegenen Hafenort Tambuku, das heutige Bungku, erwähnt. Auch zu diesem Hafen wurden einige Textilien verschifft; erstanden wurden einheimische Schwerter, Schildpatt und kleinere Mengen Bienenwachs. Weitaus größere Aufmerksamkeit räumt Speelman dem westlichen Nachbarn Makassars ein, der Insel Kalimantan und ihren wichtigsten Hafenstädten.590 Wesentlich für die Bedeutung dieser Insel war ihr Pfefferexport, handelte es sich doch nach Sumatra um den zweitgrößten Exporteur Indonesiens. Aus diesem Grund wurden jährlich allein nach Banjarmasin von Makassar aus mindestens sechs bis acht Fahrten unternommen, die sämtlich dem Erwerb von Pfeffer dienten. Lediglich wenn der Markt von Banjarmasin nicht ausreichend Pfeffer anbieten konnte, wurden auch Gold oder Bezoarsteine eingekauft.591 Die im Gegenzug gelieferten Produkte umfaßten eine reiche Palette. An der Spitze standen Sklaven, die für die Arbeit auf den Pfefferplantagen benötigt wurden. Daneben wurden einheimische Textilien aus 588 ARA Den Haag, Notitie des Cornelis Speelman, Aanwinsten 1524: 1926 I 10-11. Die hier angesprochenen Passagen finden sich in Teil 1 auf den Seiten 718-729 und wurden, allerdings ohne jeden Versuch der Einordnung oder Analyse, von Johan Noorduyn ediert (NOORDUYN, Handelsrelaties, 103-118.) 589 ARA Den Haag, Notitie des Cornelis Speelman, Aanwinsten 1524: 1926 I 10, 719. 590 Ebd., 728/729. 591 Magensteine, aus verschluckten Haaren oder Pflanzenfasern bestehende steinartige Klumpen im Magen verschiedener pflanzenfressender Säugetiere, die in Asien zu medizinischen Zwecken benötigt wurden. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 225 Sulawesi angeboten sowie weitere Handelstextilien; hinzu kamen Porzellan und andere chinesische Waren. Zwei bis drei prahus fuhren im Jahr auch den weiter westlich gelegenen Hafen Sukadana an, um Pfeffer zu erstehen. Geliefert wurden vorwiegend Sklaven neben einheimischen Textilien, die vor allem aus Selayar stammten. Von Sukadana aus wurde gelegentlich auch die südwestlich gelegene Insel Karimata angelaufen, Herkunftsort von Beilen und den begehrten, parang genannten Hackmessern. Weniger Fahrten als nach Sukadana, in der Regel nur eine Fahrt von ein bis zwei Schiffen alle zwei bis drei Jahre, verzeichnet Speelman für einen Ort unter der Bezeichnung ‚Negrie Borneo‘, die Noorduyn, leider ohne Angabe von Gründen, mit dem Hafen von Brunei gleichsetzt. Dorthin wurde ein durchschnittliches Sortiment Textilien und nicht weiter spezifizierte „groove chineese plunderagie“ transportiert, um im Gegenzug Sklaven, Wachs, Schildpatt und Kampfer zu erstehen. Diese Handelsgüter waren dort offenbar nicht ausreichend günstig zu beziehen als daß sich ein regelmäßigerer Handelskontakt gelohnt hätte. Erstaunlich ist, daß die beiden Königreiche Pasir und Kutai an der Südostküste Kalimantans, die nur 70 Meilen von der sulawesischen Küste entfernt und damit in unmittelbarer Nähe zu Makassar lagen, zwar ausdrücklich erwähnt werden, jedoch nur mit dem Hinweis, daß hierhin kein Handelsverkehr bestand. Auch von den südlichen Nachbarinseln, unter denen Sumbawa mit dem Königreich Bima die herausragende Rolle spielte, weiß Speelman von keinem nennenswerten Handel zu berichten.592 Nur Gelegenheitsfahrten mit der „ordinairen“ Fracht, bestehend aus einigen chinesischen Tuchen, Salempoeris und Cassas sowie Bargeld in goldenen mas, die auf dem Rückweg neben einheimischen Kleidern aus Bima vor allem Pferde, Büffel und das rotfärbende Sappanholz mitnahmen, wären auf der Route nach Süden zu verzeichnen. Wichtiger für den makassarischen Handel war nach Speelmans Ausführungen die südöstliche Inselwelt, allen voran Timor und Flores.593 Seinen Ausführungen zufolge wurde von Makassar aus jährlich eine große Fahrt nach Timor unternommen – die Anzahl der beteiligten prahus verrät er leider nicht –, auf der diverse Sorten Textilien indonesischer und indischer Herkunft sowie Webwaren aus Selayar und chinesischer Messing, chinesische Gongs, Schwerter aus Tambora auf Sumbawa, goldene Armreifen, und schließlich malaiische Hackbeile (bilion) und –messer (parang) 592 ARA Den Haag, Notitie des Cornelis Speelman, Aanwinsten 1524: 1926 I 10-11, 719. 593 Ebd., 718/719. 226 Makassar und die Europäer vor 1666/69 mitgeführt wurden. Auf Timor selbst wurde dafür Bienenwachs, Sandelholz, Sklaven und bei Gelegenheit Bernstein eingehandelt. Die jährliche Reise auf die Insel des Sandelholzes bot darüber hinaus günstige Gelegenheit, auch andere Inseln anzulaufen. Das bedeutendste Ziel war dabei Flores, genauer die Landschaft Manggarai, gelegen im Nordwesten der Insel. Hier wurde neben ein wenig Wachs und einigen Sklaven vor allem wilder Zimt (cassia lingua) erstanden, eine Zimtsorte, die bei weitem nicht die Qualität des kommerziell angebauten Gewürzes aus Sri Lanka erreichte, im Archipel jedoch häufig in den Warenpaletten der einheimischen Händler zu finden war. Neben Flores wurden auf dieser Reise auch häufig die nördlich von Timor gelegenen Inseln Solor und Alor besucht, gelegentlich sogar das entlegene Tanimbar. Auch von diesen Inseln erreichte den makassarischen Hafen Bienenwachs, Bernstein und Sklaven, darüber hinaus auch Schildpatt. Stete Handelsbeziehungen nach Java werden auch von Speelman bestätigt.594 Die Häfen an der javanischen Küste wurden mit Textilien sowohl sulawesischer Produktion als auch indischer Herkunft versorgt, daneben wurde Bienenwachs und, falls keine ausreichende Menge der gewünschten Textilien zur Verfügung stand, auch Eisen aus Luwu und Bargeld dorthin exportiert. Eine Ausnahme von den regen Handelsverbindungen nach Java bildete die alte Metropole Banten, wohin schon lange keine Handelsfahrt mehr unternommen worden war. Sollte doch einmal wieder Kontakt aufgenommen werden, dann rechnete Speelman mit Verhältnissen vergleichbar mit Batavia. Mit der Hauptstadt der VOC im Malaiischen Archipel bestanden nämlich durchaus kommerzielle Beziehungen, die Sandelholz, Wachs, Sklaven, Schildpatt und „alle soorte van coopmanschappen, welcke op de Macassarze bazaar uijt allen oirt placht te werden aengebracht“ nach Batavia und eine ebenso breite Palette an Waren, an der Spitze kostbare Tuche, zurück nach Makassar brachten. Ursprünglich bestanden wohl im Rahmen der häufigen Java-Fahrten auch Kontakte nach Bali, wo vor allem Kattungarn und auch daraus hergestellte Kleidungsstücke attraktiv waren. Doch zu der Zeit, in welche Speelman seine Beschreibung niederlegte, verweigerten die Balinesen seit geraumer Zeit makassarischen Händlern den Zugang zu ihre Märkten. Über Java hinaus, nach Sumatra und zur Malaiischen Halbinsel, wurde der makassarische Handelsverkehr sichtlich geringer.595 Auf Sumatra erfreuten sich noch Aceh, Palembang und Jambi regelmäßiger makassarischer Besuche. Für den Fall 594 Ebd., 725/726. 595 Ebd., 725-728. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 227 Acehs gibt Speelman zwei bis drei prahus pro Jahr an, die regionale (Sandelholz, wilden Zimt, Sklaven, Schildpatt) und chinesische Waren (Golddraht, Porzellan, etc.) gegen Tuche eintauschten. In Palembang und Jambi, in der Regel via Batavia angesteuert, verkauften sich die meisten regionalen Waren etwas schlechter, dafür wurde hier auch Pfeffer aus Kalimantan abgesetzt – vermutlich an europäische Händler, die das Pfefferangebot aus Sumatra gelegentlich ergänzten. Für die Rückfahrt wurden Güter eingekauft, die sich in Batavia an die VOC absetzen ließen, um im Gegenzug von der Kompanie wieder Textilien zu erstehen. Teilweise konnten schon in Jambi Tuche aus „Compagnies ofte Engelse sorteringe“ erstanden werden, die auf dem makassarischen Markt eine Gewinnspanne von 30% bis 50% einbrachten. Von Palembang aus wurde schließlich auch die Insel Biliton angelaufen, wo vor allem Diamanten lukrativ waren. Es wurden jedoch auch Beile und Hackmesser eingekauft – erstere mehr, letztere weniger als auf Karimata vor der Südwestküste Kalimantans. Einen deutlichen Rückgang vermeldet Speelman für den Handel mit der Malaiischen Halbinsel trotz der Existenz einer großen malaiischen Kolonie in Makassar. Für die Stadt Johor an der Südspitze der Halbinsel vermerkt er immerhin noch, daß Sandelholz und Reis geliefert und Textilien erstanden wurden. Er berichtet aber auch, daß im letzten Krieg von drei nach Johor aufgebrochenen Schiffen nur eines zurückkehrte. Kaum noch der Rede wert war der Handelskontakt zu der einstigen kommerziellen Metropole Malakka, wohin nur noch alle zwei bis drei Jahre ein Schiff aus Makassar aufbrach. Die Eroberung der Stadt durch die Niederländer 1641 hatte auch die meisten Handelsrouten dorthin zum Erliegen gebracht. Selbst der Hafen von Patani an der Ostküste der Halbinsel wurde nur noch selten besucht. In Patani wurden Bethilles verkauft und einheimische Kleidungsstücke eingekauft. Verursachten im Falle der Malaiischen Halbinsel die Aktivitäten der Niederländer die geringen kommerziellen Kontakte, war nach Speelmans Einschätzung für weite Bereiche des südostasiatischen Festlandes das wenig lukrative Warenangebot dafür verantwortlich.596 Dies galt vor allem für Thailand, wo gelegentlich Textilien auf den Markt kamen, die aus der birmanischen Hafenstadt Tenasserim stammten, und außerdem nur Indigo, Elfenbein und gelegentlich japanisches Stabkupfer angeboten wurden. Aus Makassar wurde vorrangig Sandelholz nach Thailand transportiert, begleitet von geringen Mengen Schwefel und Kauris. Eine Ausnahme auf dem südostasiatischen Festland bildete Kambodscha. Dorthin segelten immerhin zwei bis drei prahus pro Jahr aus Makassar, die Textilien, Sandelholz und Kattungarn mit 596 Ebd., 724. 228 Makassar und die Europäer vor 1666/69 sich führten. Interessant war Kambodscha als Umschlagplatz von chinesischen Gütern wie gelber Rohseide oder Porzellan und von japanischen Kupferprodukten einschließlich Rohkupfer. Da die Bedeutung von Thailand für die letztgenannten Waren offenbar nur noch sehr gering war, scheint für Makassar Kambodscha die einzige Möglichkeit gewesen zu sein, an die begehrten Kupferprodukte von dem weitgehend isolierten Inselreich im Norden zu gelangen. Daneben bot Kambodscha auch eine Reihe eigener Produkte an wie Benzion, Elfenbein, den aus Schildläusen gewonnenen Farbstoff amabalau und Gummilack. Am Rande erwähnt Speelman, daß in früheren Zeiten ähnliche Handelsfahrten auch nach Cochin-China üblich waren. Aus diesen Beschreibungen kann zusammenfassend durchaus geschlossen werden, daß in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts der makassarische Handel mit dem Festland Südost-Asiens rückläufig war. Obwohl Makassar seit dem zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts auch von chinesischen Junken besucht wurde, erwähnt Speelman in Bezug auf China ausschließlich die Kontakte nach Macau.597 Diese Stadt wurde ausschließlich von in Makassar ansässigen Portugiesen angelaufen, die für diese Reisen bei der EIC Textilien einkauften und darüber hinaus Sandel- und Sappanholz aus Sumbawa und Thailand, Bienenwachs, Rattan, Elfenbein und Pfeffer aus Kalimantan sowie spanisches Bargeld mitführten. Für den Rückweg kauften sie in Macau Radix China, Porzellan, Gold, Kupfer und Kupferwaren, Messing und Spiauter, eine Legierung aus Blei und Zinn. In der Frühzeit dieser Handelsbeziehung wurden auch Waffen aus Macau nach Makassar gebracht, doch unterband Pattingalloang diesen Handel. Einen besonders großen Raum räumt Speelman den Handelsbeziehungen zu den Philippinen ein.598 Nach den Gewichtungen in seinen Ausführungen zu urteilen, handelte es sich dabei um die wichtigsten Handelsverbindungen Makassars, die über die Inselwelt Indonesiens hinausgingen. Die Ausführlichkeit und Detailfreude, mit der er beispielsweise die Zusammensetzung der Warenpalette aus Manila beschreibt, läßt allerdings den Verdacht keimen, daß ihm für die Beschreibung der Kontakte zu den Philippinen die besten und meisten Informationen vorlagen. Mindanao, die südlichste der großen philippinschen Inseln, war nach diesen Ausführungen das bevorzugte Ziel der in Makassar ansässigen Malaiien, die zwischen zwei und vier Fahrten von großem Wert (8.000 – 10.000 mas) im Jahr dorthin durchführten. Sie brachten eine große Auswahl Textilien einschließlich sulawesi597 Ebd., 721. 598 Ebd., 720-723. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 229 scher Kleidungsstücke nach Mindanao und kamen mit wildem Zimt, Wachs, Sklaven, Gold, Perlen, Tabak und ein wenig Schildpatt zurück. Auf der Fahrt nach Mindanao wurden diverse Inseln der Sulu-See wie Tawi-Tawi, Seboto oder Solot angelaufen, wo die gleichen Produkte wie auf den Philippinen Absatz fanden. Eingekauft werden konnte auf diesen Inseln vor allem Perlen, wilder Zimt, Wachs, Schildpatt, Kauris, Gold, spanische Real und Sklaven. Während der Regentschaft Karaeng Patingalloangs wurde Manila laut Speelman nur ein einziges Mal von einem Portugiesen angelaufen. Nach dem Tod Patingalloangs 1654 etablierten sich regelmäßige Fahrten nach Manila; in der Regel besuchten zwei Junken im Jahr die spanische Kolonialstadt mit einer Fracht im Wert von 3.000 bis 4.000 mas. Dabei wurden wie auch nach Mindanao große Sortimente indischer Tuche verkauft und spanische Real, Gold, Porzellan, japanisches Stabkupfer und Tabak eingekauft. Unter der Oberherrschaft von Manila stand die Insel Cebu, die ebenfalls von Malaiien aus Makassar zwei- bis dreimal im Jahr angefahren wurde, um Gold, spanische Real, Zucker und Schildpatt einzukaufen. Erstaunlich ist, daß Speelman die Molukken, die als Gewürzinseln ein Kernstück der Handelsbeziehungen innerhalb des Malaiischen Archipels darstellten, überhaupt nicht erwähnt. Nicht nur der Gewürzhandel der 1660er und 1670er Jahre bleibt ungenannt – ein Umstand, der auf Grund der zunehmenden Durchsetzung des niederländischen Marktmonopols auf diesem Bereich noch verständlich wäre. Speelman ignoriert aber auch völlig frühere Handelsverbindungen zwischen Makassar und den Molukken, obwohl er in anderen Zusammenhängen – z.B. bei der Erwähnung Cochin-Chinas im Rahmen der Kontakte zum südostasiatischen Festland – auch ältere, teils aufgegebene Verbindungen anführt. Die einzige Insel der Molukken, die er namentlich erwähnt, ist Seram, die nicht zu den klassischen Gewürzinseln zählt, und denen er attestiert, daß Makassar keinen eigenen Handel mit ihr unterhielt, sondern daß sie nur als Herkunftsort des Bastes vom Massoia-Baum, mit dem die Bandanesen handelten, diente.599 Der Molukkenhandel Folgt man der Notitie des Cornelis Speelman, könnte der Eindruck entstehen, daß Makassar keinerlei Handelskontakte zu den Molukken unterhielt und somit nicht am regionalen Gewürzhandel beteiligt war. Andere Quellen aus europäischer Feder 599 Ebd., 719. 230 Makassar und die Europäer vor 1666/69 sprechen jedoch eine gänzlich andere Sprache. Bereits Steven van der Haghen, einer der ersten VOC-Offiziellen, die bis zu den Gewürzinseln vordrangen, schrieb 1618 im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, das südmolukkische Ambon von konkurrierenden Händlern frei zu halten: „Aende cleeden mogen wij wat verdienen maer aenden rijs weinich ofte niet ende maken ons derhaluen soo odieus niet alleen bij de Moluquesen, Ambonesen ende Bandanesen maer ook bij de Jauanen, Macassaren, Maleyen ende andre natien, want de cleine cramers wort daerdoor tbroot wt de mondt genomen. Derhaluen ist geen wonder dat se onse vianden werden.“600 Gerade dieser Dreiklang, die Nennung der drei Handelsnationen der Javaner, Malaiien und Makassaren im Zusammenhang mit dem Molukkenhandel, ist in den europäischen Quellen des frühen 17. Jahrhunderts keine Seltenheit. Jan Joosten berichtet im Jahr 1621 von Makassaren, Javanern und Malaiien, die von Banda kommend in Makassar Gewürze an die Europäern vergekauften.601 Drei Jahre später erwähnt Pieter de Carpentier in einem Brief an die Bewinthaber die Makassaren, die Javanern und „die van Malacca“, die im Austausch mit Reis Gewürznelken von Ternate und Tidore nach Makassar brachten.602 In einem wesentliche späteren Brief wird betont, daß die Makassaren in den südlichen Molukken „de minste zijn ende de daer coomende vremdelingen mees Mannacabers, Jooreesen, Pataneesen, Javanen van Japparen, Gresej, Joortan ende Bantam zijn“, d.h. die in der Region von Ambon am wenigsten vertretene („minste“) Nation nach den Minangkabau aus Sumatra, den Malaiien aus Johor und Patani und den Javanern war, und nicht die im zeitlichen Sinne letzte, wie Schrieke fälschlicherweise übersetzt und so die Aussage des makassarischen Königs, daß nur Malaiien den Gewürzhandel betrieben, glaubt stützen zu können.603 Bereits drei Jahre zuvor hatte derselbe Briefeschreiber, der ambonesische Gouverneur Artus Gijsels, berichtet, daß die konkurrierenden europäischen Nationen vor allem von – in dieser Reihenfolge – Minangkabau, Malaiien und Makassaren mit Gewürznelken beliefert wurden, wobei er betont, daß diese großen Mengen nicht alleine aus Ambon kamen, sondern auch von außerhalb zum Weiterverkauf auf die Molukken gebracht wurden.604 Zum Teil mag Gijsels damit Lieferungen von den NordMolukken gemeint haben. Dies entspräche der Beschreibung der Situation im regi- 600 601 602 603 Bouwstoffen I, Nr. XVIIk, Brief des Steven van der Haghen an die Bewinthaber, 20.8.1618, 231. JOOSTEN, Rapport, 370/371. Bouwstoffen I, Nr. XXIIf, Brief des Pieter de Carpentier an die Bewinthaber, 3.1.1624, 355. Bouwstoffen II, Nr. Brief des Artus Gijsels, ehem. Gourverneur von Ambon, an die Bewinthaber, 1.1.1636, 289; SCHRIEKE, Shifts, 66. 604 Bouwstoffen II, Nr. LVIII, Brief des Artus Gysels, Gouverneur von Ambon, an den Generalgouverneur, 12.6.1633, 246. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 231 onalen Gewürznelkenhandel, die ein Jahr später Generalgouverneur Brouwer nach Europa sandte: „Het sijn oock niet alleen de nagelen van de Amboynse quartieren, die hij UE. onttreckt, maer sijn volck weeten de Tidoorese, de Meaose, die van Buro ende de Macquianse mede te crijgen door joncquen die op Zula, Zulabessy, Sapelulo, Buro, Oubij ende op de custe van Weda haere handelingen soecken, daer hun gemelte nagelen van Tidoresen ende onse Macquianen bedecktelijcken bij cleyne ende groote partyen toegebracht werden, ende UE dienaeren in Tarnata ende Macquian paeyt men met praetiens, beclach van quade gewassen ende de tochtdoeningen van Hamsia.“605 Zum Teil kann Gijsels mit seiner Aussage aber auch Gewürze gemeint haben, die tatsächlich außerhalb der Molukken geerntet und nicht zuletzt von Makassaren auf den allgemeinen Gewürzmarkt gebracht wurden. Belege für „alternative“ Anbaugebiete existieren in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zumindest für Leti, Nila, Kisar und Relawan am Südende der Banda-See und östlich von Timor.606 Bei ihren Aktivitäten im molukkischen Gewürzhandel profitierten die Makassaren gleich zweifach von der spezifischen Situation des frühen 17. Jahrhunderts. Zum einen stießen sie dank des anmaßenden Verhaltens der Niederländer auf besonders freundliche und entgegenkommende Aufnahme. Die Verbitterung der Herrscher von Hittu, Mamale und Hitulama, die als drei der nelkenreichsten Plätze galten, war sogar nach niederländischen Kenntnissen so groß, daß sie das barot Nelken, das 0,02 bahar entsprach, lieber für ¼ Real an die Makassaren verkauften als sie den Niederländern anzubieten, die bis zu 2 Real das barot zu zahlen bereit gewesen wären.607 Diverse Lokalherrscher auf Ambon erlaubten den Makassaren darüber hinaus für den Nelkeneinkauf den freien Zugang zu ihrem Strand, von dem sie die VOC mit Waffengewalt zu vertreiben suchten.608 Zum anderen wurden die makassarischen Schiffe, die zum Nelkenhandeln in die Süd-Molukken aufbrachen, in Makassar häufig von Engländern, Dänen und Portugiesen mit Barschaft, Textilien und anderen Handelswaren versehen.609 Die Makassaren profitierten – zumindest vorübergehend – von der Tatsache, daß die europäischen Konkurrenten sich nicht mehr selbst in die von der VOC kontrollierten Ge605 Ebd., Nr. LXI, Brief des Hendrik Brouwer an die Bewinthaber, 27.12.1634/8.1.1635, 260/261. 606 Generale Missiven II, 19.12.1651, 495; Generale Missiven III, 26.12.1662, 409/410; ebd. 21.12.1663, 454. Die Identität der in den Quellen ‚Relawan‘ genannten Insel ist unklar. 607 Generale Missiven I, 13.12.1626, 218. 608 Memories, Nr. IX, ‚Sommier Verbael‘ des Philip Lucasz, 23.5.1631, 80. 609 Bouwstoffen II, Nr. XXIV, Brief des Jan van Gorcum, Gouverneur von Ambon, an den Generalgouverneur, 6.8.1627, 113. Richard Leirissa spricht davon, daß die makassarischen Händler von den Europäern finanziell unterstützt worden wären, und somit implizit von einem Abhängigkeitsverhältnis (LEIRISSA, Bugis-Makassarese, 241). In der Realität handelte es sich um schlichte Vorfinanzierungen von Handelsfahrten durch die Europäer, die selbst die Anbaugebiete der Gewürze nicht mehr aufsuchten. 232 Makassar und die Europäer vor 1666/69 wässer wagen konnten; sie übernahmen gewissermaßen für einige Europäer eine Zwischenhändlerfunktion. 1632 beklagen die Generalen Missiven: „Niet en isser, dat alle dese natien [Portugiesen, Spanier, Engländer, Dänen, Franzosen und alle ‚indische natien‘] Maccassar meer doet frequenteren ende aansoecken als sleet van cleeden ende procure van nagelen, welcke de Maccassaren met cleen vaertuych de Comp.te sinisterlijck in de quartieren van Amboyna door de valsche ontrouwicheyt der inwoonderen voor alderhande snuysterijen, eenige cleeden ende contanten ontrecken ende voor retour in Maccassar ooverbrengen.“610 Auf diese Praktiken angesprochen, wich der Herrscher von Makassar mit der Behauptung aus, daß es sich nicht um seine Untertanen handelte, sondern um Malaiien, über die er keine Macht ausüben konnte – eine Behauptung, die im Malaiischen Archipel als Ausflucht recht beliebt war. Sie findet sie sich nicht nur mehrfach im Zusammenhang der Differenzen zwischen der VOC und Goa-Tallo, sondern wurde auch an anderen Orten wie Banten gepflegt. Der Generalgouverneur schrieb in seiner Generalen Missive entsprechend, der makassarische König „speelt de Bantamse commedie naar“. Offenbar waren einige indonesische Höfe der Meinung, daß diese Behauptung für die Niederländer nur schwer zu überprüfen war. Jedoch ließ sich die VOC dadurch nicht täuschen, denn alle ihre Berichte sprechen eindeutig dafür, daß die Bediensteten der Kompanie sehr wohl in der Lage waren, zumindest die größeren seefahrenden Ethnien des Archipels voneinander zu unterscheiden. Bereits für die 1620er Jahre ist davon auszugehen, daß die Makassaren in den Molukken eine starke Position einnahmen. Den Malaiien und Javanern gegenüber waren sie zwar allein schon auf Grund des schieren Größenunterschiedes der Völker von geringerer Bedeutung, doch werden sie stets als eine der Nationen aufgeführt, die regelmäßig und traditionell die Gewürzinseln besuchten. Für die südlichen Molukken, also vorrangig Ambon, berichtete der dortige Gouverneur 1628: „Wat aenlangde de Macassaren, conden dezelve t’acces niet ontseggen, ten ansien voor lange jaren aldaer gefrequenteert ende hun met verscheyde notwendigheden (voor hun gelt) accommondeerden, doch soo wanneer daer over des Conincx expresse ordre bequamen ende zijne Magt. [hen] voor vijanden verclaerde wilden dezelve niet alleene alle toeganck ontseggen, maer zelffs helpen massacreren.“611 Für die nördlichen Molukken wurde 1624 aus Fort Mauritius berichtet, daß 400 bahar Nelken neben anderen Nationen vor allem von Makassaren abtransportiert wurden. In den folgenden Jahren wiederholen sich die Erwähnungen.612 Aus dieser 610 Generale Missiven I, 6.1.1632, 325. 611 Bouwstoffen II, Nr. XXX, Brief des Philip Lucasz, Gouverneur von Ambon, an den Generalgouverneur, 10.9.1628, 132/133. 612 Ebd., Nr. VIII, Brief des J. le Febvre, Gouv. der Molukken, an den Generalgouv., 26.3.1625, 40; ebd., Nr. XI, Journal einer VOC-Expedition, 14.5.-23.6.1625, 56/57; Nr. XX, Brief des J. van Gorcum, Gouv. auf Ambon, an den Generalgouv., 28.4.1626, 99; Nr. XXI, Journal des J. van Gorcum, 9.1625 – 5.1626, 105; Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 233 Situation seine Schlüsse ziehend schlug im Juli 1625 Gouverneur Jan van Gorcum in Ambon vor, daß die VOC-Flotte auf dem Rückweg nach Batavia doch in Makassar prüfen möge, ob mit dem dortigen Herrscher nicht ein vorteilhafter Vertrag zu schließen wäre.613 Aus der Sicht eines betroffenen Provinzgouverneurs waren die Makassaren offenbar ein außerordentlich schädlicher Konkurrent um die Gewürznelken. Eine gütliche Einigung schien ihm weitaus bessere Geschäfte zu versprechen als der Weg der offenen Konfrontation. In der Tat hielt sich daraufhin Herman van Speult vom 3. bis 10.8.1625 in Makassar auf. Ob jedoch seine Vorgehensweise der rechte Weg zu einer gütlichen Einigung war, wie sie van Gorcum vorgeschwebt hatte, mag bezweifelt werden. Er machte dem makassarischen König Vorhaltungen, daß dessen Untertanen die VOC um die Gewürznelken betrögen, die ihr alleine gehörten. Er spracht von einem Betrug im Umfang von 20.000 bahar und einem Schaden von 20.000 Real. Letztendlich zeigte sich der König zwar an einer Freundschaft mit den Niederländern interessiert, sah sich aber nicht in der Lage, etwas gegen Händler auf See zu unternehmen. Wieder einmal schob er die Malaiien als die eigentlich Beteiligten am Gewürzhandel vor. Die niederländische Seite verharrte abermals auf ihren für maritime indonesische Staaten nicht nachvollziehbaren Monopolforderungen. Der makassarische König zog sich im Gegenzug völlig auf das rein Floskelhafte zurück. Nach Austausch von Geschenken – zwei Lasten Reis und drei Büffel für die Niederländer gegen 500 Pfund „cleyne metalen dragontgens“ für den König – trennt man sich wieder.614 Ohne die Einschätzung, daß makassarische Handelsschiffe eine ernstzunehmende Rolle im Handel innerhalb der Molukken spielten, hätte die VOC sicherlich nicht diesen – wenn auch untauglichen – diplomatischen Versuch unternommen. In den 1630er Jahren verstärkte sich noch der Eindruck der Niederländer, daß ihnen eine zunehmende Präsenz der Makassaren in den Molukken zu schaffen machte.615 Auch für die Süd-Molukken häuften sich nun Berichte, daß der Kompanie von den Makassaren die Nelken regelrecht weggekauft wurden.616 Wurde im Falle der NordMolukken fast ausschließlich von den Makassaren berichtet, waren sie in diesem Fall eine Händlernation unter mehreren; an ihrer „schädlichen“ Präsenz änderte 613 Ebd., Nr. XII, Brief des Jan van Gorcum, Gouv. auf Ambon, an den Generalgouverneur, 15.7.1625, 79. 614 Ebd., Nr. XIV, Memorandum des Herman van Speult, Gouverneur auf Ambon, 10.8.1625, 83-87. 615 Generale Missiven I, 15.8.1633, 383; ebd., 31.12.1635, 494. Evtl. profitierte Makassar dabei von der vorübergehenden Ausschaltung der javanischen Häfen durch Mataram (DAS GUPTA, Maritime Trade, 263.) 616 Memories, Nr. IX, ‚Sommier Verbael‘ des Philip Lucasz, 23.5.1631, 77; Nr. XIV, ‚Cort Verhael‘ des Arend Gardenius, 25.7.1636, 153; Bouwstoffen II, Nr. XLVII, Brief des Antonio van Diemen an die Bewinthaber, 5.6.1631, 179; 234 Makassar und die Europäer vor 1666/69 dies nichts. Hilflos mußte die VOC-Leitung in Batavia 1636 registrieren, daß Dänen und Engländer scheinbar mühelos erhebliche Mengen Nelken in Makassar einkaufen konnten.617 Eine gewisse Hilflosigkeit spricht auch aus den Zeilen, die Hendrik Brouwer im gleichen Jahr an die Bewinthaber in der Heimat richtete: „Wij sein hoe UE. nogh in gevoelen sijn dat onder den naem der Maccassaren veele vreemde natien schuylen, die de Compie de nagelen ontvoeren ende die alleen te Macassar brengen om den hoogen prijs doe se daer connen maecken. Item dat den Coninck van Macassar op de claghte van d’onse. over ’t vervoeren der nagelen gedaen, soude hebben geantwoort, dat het geschiedde bij sijn onderdanen buyten sijn ordre, ende wel lijden moghte wij die becomende naer ons believen straffen etc. Item dat [wij] de Macassaren, sijnde en vrye natie, den nagelhandel door gewelt niet en behooren te beletten maer sijn onderdaenen te straffen als die ter plaetse daer de naegelen ontvoert werden becomen connen.“618 Der Markt von Makassar war ausreichend mit Gewürzen versorgt; eine Vielzahl an indigenen Handelsnationen, teils Makassaren, teils solche, die diesen Namen nur führten oder aus Unkenntnis zugewiesen bekamen, sorgten für den Bestand dieser Situation. Und wenn die VOC auf diplomatischen Wege zu intervenieren versuchte, hörte sie stets die gleiche Grundüberzeugung der makassarischen Herrscher: sowohl die Makassaren als Volk als auch der Handel mit Gewürzen auf den Meeren war frei. Sie dachten gar nicht daran, sich in irgendeiner Weise in den Handel einzumischen, der Makassar zu seiner einzigartigen Position verholfen hatte. Dabei war die Stadt durchaus nicht ohne Konkurrenz. Gelegentlich zeigte sich, daß andere Handelsplätze im Verlauf der Auseinandersetzungen um die Kontrolle auf den Molukken günstigere Preise anzubieten hatten. So konnten 1630 die Malaiien, nachdem sie vorübergehend freien Handel auf Ambon erkämpft hatten, ihre Vorteile nutzend Nelken in Banten zehn bis zwölf Prozent billiger anbieten als in Makassar.619 Unberührt davon waren die Makassaren fester Bestandteil in den Netzwerken des Molukkenhandels entgegen der diesbezüglichen Nichterwähnung bei Speelman. Sie hatten auch Zugang zu den engeren Netzwerken um die nördlichen Molukkeninseln, welche die notwendige Nahrungsmittelversorgung der wichtigsten nelkenproduzierenden Vulkaninseln sicherstellten, da auf diesen keine Möglichkeiten mehr zur Kultivierung weiterer Agrarprodukte über Gewürznelken hinaus bestanden.620 Neben dem aus ihrer eigenen Heimat stammenden Reis handelten die makassarischen Seefahrer dabei auch mit Sago,621 der nicht aus Sulawesi ausgeführt wurde, 617 Ebd., Nr. LXX, Brief des Antonio van Diemen an die Bewinthaber, 28.12.1636,304. 618 Ebd., Nr. LXV, Brief des Hendrik Brouwer an die Bewinthaber, 4.1.1636, 280/281. 619 BL London, OIOC, E/3/12, Nr. 1326, William Hoare (Banten) to the Court, 6.12.1630, 176/176v, und Nr. 1337, William Hoare (Banten) to the Court, 2.1.1631, 3.1.1631, 23.1.1631, 1.3.1631, 226. 620 Zu diesen Netzwerken siehe NAGEL, Makassar, 99-103. 621 Bouwstoffen III, Nr. XXXII, Brief des G. Demmer, Gouv. von Ambon, an den Generalgouv., 31.5.1644, 218. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 235 sondern seinen Ursprung in der Regel auf einigen weniger bedeutsamen Molukkeninseln oder im äußersten Südosten des Malaiischen Archipels hatte. Waren die Zugänge zu den Handelsstrukturen des Molukkenhandels nicht so wie gewünscht, fanden durchaus auch bei Makassaren und anderen einheimischen Nationen gewaltsame Methoden Anwendung. So berichtet 1628 ein VOC-Bediensteter von der Eroberung der zu Ternate gehörenden Insel Gapy durch 30 makassarische Kriegsschiffe.622 Einige Jahre später werden 43 makassarische Schiffe erwähnt, die auf „Manipes, Kelangh ende andere omleggende plaetsen“, also auf Ambon, Eroberungszüge durchführten und viele Einwohner zur Flucht zwangen.623 Nicht nur für die VOC war der Gewürzhandel existenzbegründend. Das in hohem Maße auf dem gleichen Handel aufbauende Emporium Makassar wahrte auch dann seine Interessen, wenn es – ganz ähnlich wie im Falle der VOC, allerdings bei weitem nicht so konsequent – über das Prinzip des freien Handels zur See hinausgehen mußte. Ruft man sich die Zahlen ins Gedächtnis, die Cornelis Speelman für die makassarischen Handelsfahrten zu anderen Orten innerhalb und außerhalb des Malaiischen Archipels angibt, zeigt sich im Vergleich, daß in den 1620er und 1630er makassarische Handelsbeziehungen zu den Molukken in sehr beträchlichem Umfang unterhalten wurden. 1624 berichtete der Gouverneur von Ambon, Herman van Speult, daß sich 22 oder 23 makassarische Schiffe mit einer Besatzungsstärke von insgesamt 500 bis 600 Mann an zwei verschiedenen Liegeplätzen in den Molukken aufhielten und von den Einheimischen Gewürznelken aufkauften.624 1632 ging die englische Faktorei in Makassar davon aus, daß trotz der erheblichen Behinderung dieses Handels durch die VOC rund 60 prahus in Makassar mit Waren im Gesamtwert von 30.000 Real ausgerüstet würden, um nach Ambon und Banda zu segeln.625 Der Optimismus der Briten war offensichtlich begründet. Im folgenden Jahr wurden nach niederländischen Angaben 2.000 bahar Nelken in Makassar angelandet. 626 Hinsichtlich des Banda-Archipels, dem einzigem Herkunftsort der Muskatnuß, wurde noch in den 1640er Jahren berichtet, daß die Makassaren neben anderen Nationen jährlich zwischen 40.000 und 50.000 Pfund Muskatnüsse und Macis erstanden.627 622 Bouwstoffen II, Nr. XXXII, Brief des Gillis Seys, President auf den Molukken, an Jacques le Febvre, Gouverneur von Ambon, 22.5.1628, 138. 623 Generale Missiven I, 6.1.1632, 315. 624 Bouwstoffen II, Nr. V, Brief des Herman van Speult, Gouverneur auf Ambon, an den Generalgouverneur, 15.5.1624, 15. 625 BL London, E/3/14, Nr. 1474, Agency of Bantam to the Court, 10.12.1632, 86. 626 Bouwstoffen II, Nr. LXI, Brief des Hendrik Brouwer and die Bewinthaber, 27.12.1634/8.1.1635, 260. 627 Bouwstoffen III, Nr. XXXVI, Brief der Räte von Indien an die Bewinthaber, 17.12.1645, 245. 236 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Unter dem zunehmenden Druck der VOC ließ letztendlich auch die Präsenz der Makassaren in den Molukken nach, ohne daß sie völlig aus dieser Region verschwunden wären. Bereits Ende der 1630er Jahre wurde die Situation zunehmend schwieriger. 1638 wurden nicht mehr als 50 bahar von Manipes auf Ambon nach Makassar gebracht, und bis Mitte September 1639 hatte, abgesehen von einer geringen Menge Nelken aus Tidore, noch gar keine Lieferung aus den Molukken Makassar erreicht.628 Anfang der 1640er Jahre verzeichnete nach niederländischer Einschätzung Makassar einen deutlichen Rückgang des Gewürzhandels in seinem Hafen.629 Bestätigt wurde dies auch durch Meldungen von den Molukken, daß keine einzige Gewürznelke durch fremde Händler verloren gegangen war.630 Über etliche Jahre waren keine Nelken mehr in Makassar zu erhalten. Ende der 1640er Jahre deutete sich wieder eine leichte Besserung an; immerhin erreichten im Jahr 1648 wieder 60 bahar den Hafen.631 1649 allerdings blieben solche Lieferungen wieder gänzlich aus.632 Zwei Jahre später tauchten abermals Gewürznelken auf, doch waren die Mengen so gering, daß die Aufkäufer aus England und Indien bislang nicht dagewesene Preise zwischen 300 und 400 Real das bahar bezahlen mußten.633 Zu dieser Zeit konnte kaum mehr als von Zufallslieferungen für den makassarischen Markt gesprochen werden, wurden die Makassaren doch 1647 von der VOC mit Waffengewalt erfolgreich aus Ambon vertrieben.634 Allerdings bedeutete dies nicht, daß sie die Molukken überhaupt nicht mehr aufsuchten. Nach Informationen der VOC sollen im Jahr 1652 immerhin fünf makassarische Schiffe in Ambon gewesen sein, auf Buru drei und in Seram zwei – letztere jedoch eher zum Einkauf von Massoia-Bast als zum Gewürzhandel.635 Entsprechend konnte seitens der VOC auch niemals vollends unterbunden werden, daß „Macassar van tijt tot tijt al groote quantiteyt nagelen weet uyt te geven, die wij niet en weten, waer sj vandaen crijgen, hetwelck ons in groote becommerimg hout.“636 Dies mußte festgestellt werden, obwohl in den 1650er Jahren mehrfach blockiert worden war und wiederholt Erfolgsmeldungen von den Molukken eintrafen, daß weder Makassaren noch „andere Fremdlinge“ erschienen wären.637 628 629 630 631 632 633 634 635 636 637 Generale Missiven II, 18.12.1639, 17, 20, 23. Bouwstoffen III, Nr. XXVII, Brief des Antonio van Diemen an die Bewinthaber, 23.12.1644, 191. Ebd., Nr. XLIII, Brief des Cornelis van der Lijn and die Bewinthaber, 21.12.1646, 275. Ebd., Nr. LV, Brief des Cornelis van der Lijn an die Bewinthaber, 18.1.1649, 358. Ebd., Nr. LXIV, Brief des Cornelis van der Lijn an die Bewinthaber, 31.12.1649, 454. Generale Missiven II, 19.12.1651, 498. Memories, Nr. XV, Memorie des Gerard Demmer, 3.9.1647, 171. Generale Missiven II, 24.12.1652, 587. Generale Missiven III, 24.12.1655, 5. Ebd., 16.12.1659, 248. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 237 Noch 1662 war ein makassarisches Schiff nebst einem aus Bima auf Seram Laut beobachtet worden, dessen Handel die VOC mit einem zugedrückten Auge gestattete, da man wohl eher von Massoia-Handel als von Gewürzeinkauf ausging.638 Sicher konnte sich die Kompanie mit dieser Einschätzung allerdings nicht sein, sollte sich doch Seram samt seiner vorgelagerten Inseln als wichtiger Produzent „illegaler“ Nelken erweisen. Freilich schaffen all diese Äußerungen in den Quellen keine völlige Klarheit über die Nationalität der behandelten seefahrenden Kaufleute. Hendrik Brouwers Anmerkung „dat onder den naem der Maccassaren veele vreemde natien schuylen“,639 verweist bereits auf die Frage, wer sich hinter der Bezeichnung ‚Makassaren‘ verbirgt. Wenn von den Handelsbeziehungen Makassars die Rede ist, kann nicht selbstverständlich davon ausgegangen werden, daß dabei nur Handelswege der einen, spezifischen Ethnie gemeint sind. Gleiches gilt auch für die den Quellen entnommenen Begriffe ‚Makassaren‘ und ‚makassarisch‘. Es ist nicht auszuschließen, daß sich hinter solchen Bezeichnungen auch Angehörige anderer Ethnien aus Sulawesi verbergen können. Das weitaus größere seefahrende Volk der Bugis wird im Zusammenhang mit dem Molukkenhandel eher selten erwähnt, seine diversen Untergruppen wie z.B. die sehr aktiven Wajos gar nicht, ebensowenig wie andere auf Sulawesi ansässige Völker, geschweige denn die Seenomaden der Bajau. Ausdrücklich erwähnt werden hingegen Malaiien, Javaner und die diversen Völker Sumatras, allen voran die Minangkabau. Diese Gruppen waren sicherlich auch von weniger erfahrenen VOCBediensteten von sulawesischen Seefahrern zu unterscheiden. Entsprechend verbergen sich Angehörige dieser letztgenannten Gruppen nicht hinter dem Begriff ‚Makassaren‘. Dies gilt auch dann, wenn unterschiedliche Quellen gelegentlich zu Widersprüchen führen. So legt ein britischer Bericht von 1643 nahe, daß ausschließlich die Malaiien die Verbindung zu den Molukken aufrecht erhielt. Die Angehörigen dieser Nation hatten sich auf Grund der Gefährdungen durch die Niederländer geweigert, die Reise zu den Molukken aufzunehmen.640 Andererseits berichten vor allem niederländische Quellen von der Präsenz makassarischer Schiffe in den Molukken bis in die 1660er Jahre hinein. Auch wenn dieser Widerspruch nicht gänzlich aufzulösen ist und nicht ausgeschlossen werden kann, daß gelegentlich auch Malaiien als Makassaren eingestuft wurden, ist die Quellenlage dennoch dicht ge638 Ebd., 26.12.1662, 404. 639 Bouwstoffen II, Nr. LXV, Brief des Hendrik Brouwer an die Bewinthaber, 4.1.1636, 280/281. 640 BL London, OIOC, E/3/18, Nr. 1822, True Relation of the State of Macassar of Francis Mountfort and Christopher Willoughly, delivered to the Presidency in Bantam, 22.3.1643, 207. 238 Makassar und die Europäer vor 1666/69 nug, um von einer bedeutenden Handelsverbindung zwischen Makassar und den Molukken auszugehen. Dabei ist es sogar von sekundärer Bedeutung, ob es sich bei den entsprechenden Seefahrern tatsächlich um ethnische Makassaren, um in Makassar ansässige Angehörige anderer indonesischer Nationen oder um gemischte Schiffsbesatzungen handelte, die vielleicht sogar unter gemischten Besitzverhältnissen fuhren. An der Position des Emporiums in diesem bedeutenden Teilnetzwerk der innerindonesischen Handelsstrukturen ändert dies nichts. Sulawesi und der Sklavenhandel Für die Handelskontakte in den Nahbereich Makassars liegen nur wenige Quellenzeugnisse vor, welche die Ausführungen Speelmans ergänzen könnten. Die Führung der VOC in Batavia nahm wenig Notiz davon, was sich im unmittelbaren Umfeld Makassars ereignete. Derartige Entwicklungen störten zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Unternehmungen der Kompanie. Auch bezüglich des Sklavenhandels, eines wesentlichen Sektors der merkantilen Beziehungen in den Nahbereich, liegt wenig Konkretes vor, das über Speelman hinausführte. Auf der Grundlage seiner Notitie und der allgemeinen Erkenntnissen zum Sklavenhandel im Malaiischen Archipel geht der aktuelle Stand der Forschung von der Existenz eines auf Makassar ausgerichteten Netzwerkes aus, das John Villiers treffend beschreibt: „Makassar was the centre of a vast slave-trading network that stretched from Sumatra to the Tanimbar Islands. Most of the slaves sold on the Makassar market came from Sulawesi itself or from nearby islands [...], but many also came from northeast Borneo, from Timor, Solor, Flores, Alor and Sumba in the Lesser Sundas, from the Tanimbar Islands, and from Mindanao and Sulu in the Philippines. Most of them were bought, usually in exchange for cloth, for work in the pepper plantations of Banjarmasin, Palembang, Jambi and Aceh, Johor, Sukadana and Batavia. Their buyers were therefore chiefly Malays and Sumatrans or rich Chinese and Dutch and other Europeans from Batavia. Many of these slaves were what the Dutch authorities in Batavia called ‚stolen people‘, that is to say forcibly abducted in slave-raiding expeditions.“641 Die Grundlagen dieses Handelssystems beschreibt Heather Sutherland: „The native market for slaves was, at least partly, a direct result of the need of labour. This market was supplied by the native slave trade, which also fed people into the VOC market, via such networks as that based on Makassar, or connections with 641 VILLIERS, Makassar, 151. Die Rolle im regionalen Sklavenhandel muß noch nicht eine bedeutende Rolle der Sklaverei in Makassar selbst bedeuten, wie Anthony Reid betont: „Makassar at its heigh similarly marked the lowest ebb of private slavery in South Sulawesi. Bugis-Makassarese slaves were not reported in this period, and Gervaise was told slaves were less common in Makassar than in the neighbouring states.“ (REID, Pluralism, 68). Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 239 the Acehnese and Malay slave run, such as that providing Nias slaves from Baros, or the Jambi market. [...] It is quite probable that there were two types of slave exports from Makassar. Not only was there an entrepot trade in slaves, with people obtained from the east and south being re-exported by local traders or visiting Sumatrans and Malays, but there was also a considerable export of local people, presumably victims of the recent wars, or the ‚robbed people‘ mentioned in the Batavian prohibition.“642 Makassar spielte im Netzwerk des indonesischen Sklavenhandel, das sich auf der Grundlage des Arbeitskräftebedarfs vor allem der Pfefferplantagen verstärkt ausgeweitet hatte, eine zweifache Rolle. Zum einen war es der zentrale Umschlagsplatz der menschlichen „Ware“, zum anderen sorgten die Makassaren oder die in Makassar ansässigen Händler selbst für die Beschaffung eines ausreichenden Angebotes auf diesem Markt. In der Tat berichtete Hendrik Kerckringh, der dank persönlicher Erfahrung vielleicht der beste Makassar-Kenner der niederländischen Kompanie vor Speelman war, daß sich jährlich im Dezember, Januar und Februar bis zu 40 Schiffe auf den Weg von Makassar nach Seram und Ambon machten und dabei einen Zwischenhalt auf Buton einlegten, um Sklaven einzukaufen.643 Diese Form der Nachschubsicherung für den makassarischen Sklavenmarkt war jedoch im Laufe der Entwicklung nicht ausreichend. Da die verkauften Sklaven am Ende des Handelsweges im wesentlichen auf Plantagen eingesetzt wurden, die sich selbst wiederum vor allem durch die Europäer einer steigenden Nachfrage ihrer mit Sklavenarbeit erzeugten Produkte gegenüber sahen, entstand eine stetig wachsende und immer schwerer zu befriedigende Nachfrage. Spätestens im Verlaufe dieser Entwicklung waren auch gewaltsame Beschaffungsmaßnahmen seitens der makassarischen Sklavenhändler notwendig. Noch im Jahr vor dem Makassarischen Krieg, welcher der Selbständigkeit des Emporiums ein Ende bereitete, liefen rund 200 bewaffnete makassarische Schiffe die Insel Sula an und machten dort eine Beute von 1.000 bis 1.500 Sklaven.644 Dies legt nahe, daß in Zeiten, die für die makassarischen Seefahrt günstiger waren, solche Expeditionen durchaus häufiger und vielleicht auch größer in Umfang und Beute gewesen sein konnten. Die zunehmende Exportorientierung beim Anbau von Gewürzen und später auch anderen Genußmitteln und die damit notwendig gewordene Ertragssteigerung führte auch zu einer zunehmenden Kommerzialisierung des indonesischen Sklavenhandels – eine Entwicklung, 642 SUTHERLAND, Slavery, 268. 643 Bouwstoffen II, ‚Corte Remonstrancie‘ des Hendrik Kerckringh, 24.9.1638, 336; siehe auch SCHRIEKE, Shifts, 66, und VILLERS, Makassar, 151; letzterer interpretiert die Stelle unverständlicherweise als eine Beschreibung der 1620er Jahre. 644 Generale Missiven III, 25.1.1667, 526. 240 Makassar und die Europäer vor 1666/69 die in Formen des Menschenraubes ihren Ausdruck fand; und eine Entwicklung, von der offenbar gerade auch Makassar profitieren konnte. Sulawesi und der Reishandel Neben seiner Versorgungsfunktion für Molukken spielte der Reishandel auch für den Nahbereich eine bedeutende Role. Die Anbaugebiete im Hinterland Makassars gehörten zu den ergiebigsten auf ganz Sulawesi. Etliche der kleinen vorgelagerten Inseln konnten außer Fischfang nichts Eigenes zur Ernährung beitragen. Dementsprechend war der Reishandel einer der wesentlichen Faktoren, auf die sich der Aufstieg Makassars stützen konnte. Bedingt durch die Grundbesitzverhältnisse in den reisproduzierenden Landstrichen war dieser Handel der einzige in einem ansonsten freien Hafen, der sich unter unmittelbarer Kontrolle des Herrschers befand.645 Bereits Manuel Pinto, der Mitte der 1540er Jahre auf der zweiten europäischen Reise nach Makassar überhaupt einen portugiesischen Jesuiten begleitete, erwähnt ausdrücklich den Export von Reis wie auch anderer Nahrungsmittel.646 Was den indigenen Gewürzproduzenten recht war, konnte der VOC nur billig sein. Auch sie nutzte den Reismarkt in Makassar, um größere Reisladungen zu erstehen und die Versorgung ihrer eigenen Einrichtungen des Gewürzanbaus sicherzustellen.647 Der früheste bekannte Beleg hierfür stammt von der britischen Faktorei in Makassar, die bestätigt, daß 1614 zwei niederländische Schiffe 300 koyang Reis luden, eine Ladung, die rund 520 metrischen Tonnen entsprach.648 Im selben Jahr baute die niederländische Kompanie ein eigenes Reislager in der Stadt.649 Jan Joosten, der 1621 Makassar besuchte, bestätigt die hohe Bedeutung des Reis‘ für den Export: „Den rijs gelt op Macassar soo aen Engelschen, Portugiesen, Maleijen ende andere natien, alsse goedencoop is 8 a 14 a 16 R ende ten alderduersten 20 R met alle oncosten; ende thoochste t‘ Macasser sal connen jaerlijcx becomen worden, is 500 a 600 cojangen in als ende als.“650 Neben dem Reishandel beobachtete Joosten auch einen umfangreichen Handel mit anderen Nahrungs- und Genußmitteln. Es kann davon ausgegangen werden, daß Makassar auch eine Drehscheibenfunktion in den Versorgungsnetzwerken für die 645 VILLIERS, Doing Business, 153. 646 DERS., Makassar, 147. 647 Bouwstoffen I, Nr. XVIIIa, Brief des Jan Pietersz. Coen an die Bewinthaber, 6.5.1621, 274; Bouwstoffen III, Nr. XVIII, Brief des Antonio van Diemen an die Bewinthaber, 22.12.1643, 135. 648 BL London, OIOC, E/3/2, Nr. 142, G. Cockrayne (Makassar) to Cpt. Jourdain (Banten), 24.4.1614, 13. 649 Ebd., E/3/2, Nr. 142, George Cockrayne (Makassar) to Cpt. Jourdain (Banten), 17.7.1614, 17. 650 JOOSTEN, Rapport, 371. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 241 exportorientierte Plantagenwirtschaft auf den Molukken und auf Kalimantan, vielleicht auch auf Sumatra spielte: „Wat aengaet de quantiteit van aracq, ister genoech te becomen als bij den Chinees die daer is, vaeten gelaeten worden, alsoo der quaelijck potten syn te becomen; ende dat den legger gemeenen aracq tegen 16:18 a 20 R., naer den rys dier off goedemcoop is, ende 40 R. de legger aracq apy; 4 à 5 hoenderen ¼ R.; de visch is mede goedencoop; de buffels t stuck a 4 realen.“651 Kalimantan Zwei Faktoren bestimmten die Verbindung zwischen Makassar und der Nachbarinsel Kalimantan, wobei auch die ergänzenden Quellen zwar Kontakte zu den Städten der Südküste, jedoch nicht zu den kleineren Königreichen der Ostküste bestätigen. Der eine Faktor war die nördlichen Route durch die Java-See zu den Molukken, die Sukadana und Banjarmasin auf Kalimantan sowie Makassar einband. Der anderen ist der Pfeffer, der neben Sumatra auch auf Kalimantan für den Export angebaut wurde. Die britische Faktorei lieferte die ersten Belege aus europäischer Sicht für die Seeroute über Kalimantan. 1615 erwähnt George Cockrayne ein Schiff, das er als ‚Junke‘ bezeichnet, jedoch sicherlich nicht chinesischen Ursprungs war. Dieses Schiff, wahrscheinlich javanischer Herkunft, führte aus Banten kommend Rohseide mit sich und steuerte sowohl Sukadana als auch Makassar an.652 Auch die Dänen nutzten die nördliche Route in umgekehrter Richtung, indem sie von Makassar nach Banjarmasin und Sukadana weiterfuhren – so erwähnt in einem Brief der Residency in Batavia aus dem Jahr 1626.653 Im Verlauf der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wuchs die Bedeutung der Verbindung zwischen Makassar und Kalimanatan sogar noch, bedingt durch das Scheitern der ersten Versuche europäischer Mächte, sich in Banjarmasin festzusetzen. Statt in der nicht leicht zugänglichen Metropole Südost-Kalimantans einen direkten Zugang zum dortigen Pfeffermarkt zu etablieren, waren nun auch die europäischen Handelskompanien darauf angewiesen, den begehrten Pfeffer in Makassar einzukaufen, wohin dieser nun vorrangig transportiert wurde. 1651 wurden 2.000 pikul Pfeffer – rund 124 metrische Tonnen – aus Banjarmassin kommend in Makassar gelöscht und dort für sieben bzw. acht Real das pikul verkauft. Alleine 1.200 pikul, also 651 Ebd. 652 BL London, OIOC, G/10/1, G. Cockrayne (Makassar) to Gov. Thomas Smith (Banten), 16.7.1615, 2. 653 Ebd., E/3/11, Nr. 1229, Presidency at Batavia to Mr. Harris (mutmaßlich in Jambi), 10.6.1626, 120. 242 Makassar und die Europäer vor 1666/69 60% der Gesamtlieferung, erstand die VOC.654 Ende der 1650er Jahre wurde Makassar folgerichtig von der niederländischen Kompanie als Hauptumschlagsplatz für Pfefferlieferungen aus Kalimantan, namentlich nach Macau, eingeschätzt.655 Die britische Konkurrenz konstatierte 1661 ergänzend: „The Court are informed, that since our company withdrew the Factory at Banjarmassin, and the Dutch also left that place, the Natives of Banjar have curried their Pepper to Macassar. Bantam is therefore to send to Macassar 2 or 3 Chests of Dollar to buy Pepper, in case the Importers will not barter it for cloth.“656 Nusa Tenggara In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts spielt unter den im Süden und Südosten Sulawesis liegenden Kleinen Sunda-Inseln in der europäischen Überlieferung Timor die größte Rolle als Handelspartner Makassars, während die später so bedeutende Insel Sumbawa mit ihren Königreichen Bima, Sumbawa, Tambora und Dompo kaum Erwähnung findet. Sandelholz war die Grundlage für das große Interesse, das Timor bei auswärtigen Händlern hervorrief. Es wuchs nur hier in größeren Mengen und wurde gezielt für den Export geschlagen. Hauptabnehmer des ölhaltigen Kernholzes, das in Asien vor allem als Räuchermittel Anwendung fand, war China. Abermals profitierte Makassar von seiner geographischen Lage, da die günstigste Verbindung von Timor nach China durch die Straße von Makassar verlief. Für die Versorgung der Chinesen, die sich in den verschiedenen Hafenstädten Südostasiens oder auch Indiens niedergelassen hatten und dieses Edelholz genauso intensiv nachfragten, konnte Makassar ebenfalls die Rolle der zentralen Drehscheibe erringen. Entsprechend fiel den Niederländern neben der Präsenz der Javaner die Beteiligung der Makassaren am Handel mit Sandelholz in Timor besonders auf.657 Makassar wurde von der VOC zudem als Verkehrsknotenpunkt von Solor und den umliegenden „anderen Quartieren“ nach Malakka und Macau eingeschätzt.658 Neben den indigenen Handelsnationen des Malaiischen Archipels hatten sich vor allem die Portugiesen auf Timor festgesetzt und sich dort eine starke Position erarbeitet, da sie dank ihrer großen Kolonie und ihrer Kolonialstadt Macau an der Südküste Chinas eine zentrale Rolle im Sandelholzhandel spielen konnten. Den Niederländern fiel es entsprechend schwer, sich bei solch großer Konkurrenz, zu der sich 654 655 656 657 658 Generale Missiven II, 31.1.1653, 658. Generale Missiven III, 16.12.1659, 284. BL London, OIOC, G/10/1, The Court to the Agency of Bantam, 10.4.1661, 222. Bouwstoffen I, Nr. V, Brief des Jan Pietersz. Coen an die Bewinthaber, 1.1.1614, 58. Bouwstoffen II, Nr. XLVII, Brief des Antonio van Diemen an die Bewinthaber, 5.6.1631, 180. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 243 gelegentlich auch spanische Schiffe gesellten, auf der Insel einen Anteil an dem lukrativen Handel zu erobern, obwohl sie schon in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts entsprechende Anstrengungen unternahmen.659 In den Generalen Missiven von 1640 findet sich eine Beschreibung der Handelssituation auf Timor, die noch einmal die Rolle der Makassaren und Portugiesen auf dieser Insel verdeutlicht: „Wort ons de negotie van Portugesen uyt Maccassar ende noch meer van de Maccassaren dapper getroubleert, ter oorsaecke dicht bij de wercke sijn ende de havens voor onse compste occuperen, als wanneer in den sandelhandel niet te doen valt; oock compt ’t jonghst genegotieerde hout incoops te costen acht realen ’t picol, twelck hier aen de Chinesen in Tayouan, op Coromandel, Suratte ende Parsia van 22 tot 25 realen rendeert, waeruyt wel te besluyten is, geconsidereert de costen van de equipagie derwaerts, ‘t verlies en de sieckte onses volckx, desen handel de Compagnie cleene voordeelen aanbrenght ende verhopen de saecke in corte daertoe te brengen, die negotie geheel sullen mogen abandonneren ende echter met den sandel worden gedient emmers soo redelijckx coops, als die selver gaen halen, in vertrouwen den Portugees ende Maccassar ons die coopmanschappen eerlangh sullen toebrengen. Present hebben geen ander verthier als op Macao, dat verhopen, niet langh duyren ende Larentucque van selver smelten sal. ‘t Hout, dat ons van Maccassar wort toegrbraght, betalen noch al 18 ende 20, verhopen tselve wel op 15 realen ’t picol te brengen, daervan dan d’incomste voor in- ende uytvoeren trecken.“660 Wie an vielen anderen Orten auch waren die wichtigsten Importgüter nach Timor Textilien vornehmlich indischen Ursprungs. Insbesondere makassarische, javanische und sumatraische Händler brachten diese zu den Sunda-Inseln. Bis 1663 hatte sich die VOC ihrer merkantilen Probleme auf der Sandelholzinsel nicht entledigen können. Zwar mochten die Portugiesen in ihrer Position im Malaiischen Archipel insgesamt inzwischen geschwächt sein, doch führten die Aktivitäten der einheimischen Kaufleute zu einer für die Niederländer äußerst ungünstigen Preissituation: „In de lijwaten is daer mede seer soberen aftrek, hetwelk veroorsaekt word door de handelaers, soo van Makassar, Patani als andere plaetsen daer aengecomen, die ’t land met allerhande sorteringen kleden vervuldt hebben ende die ook oorsaek sijn, dat het goudt daer tot seer hogen prijs gesteygert sij.“661 Die traditionellen und intensiven Beziehungen zwischen Makassar und Timor bedingten auch enge politische Verbindungen. Während die auf Christianisierung bedachten Portugiesen sich schnell Feinde auf Timor machten – „Onder alle deese is eenen Kitchyl van grooten aensiene, is weel er christen geweest, ende dar toe gedwongen van de Portegijsen die zijn vader omgebracht hebben, derhaluen van den zelue een groot vijandt is“ – und die Niederländer als Nachzügler nur schwer Fuß fassen konnten, stützten sich manche einheimischen Fürsten gegen neue Eindringlinge auf indonesische Nachbarvölker und hielten „groo- 659 Bouwstoffen I, Nr. II, Brief des Apollonius Scotte, Kapitän auf Makian, an Matthijs Couteels, Generalbuchhalter in Batavia, 5.7.1613, 19-24. 660 Generale Missiven II, 30.11.1640, 118. 661 Generale Missiven III, 21.12.1663, 455. 244 Makassar und die Europäer vor 1666/69 te correspondentie met de coningen van Bouthon, Macasser, Byntam ende met eenen Raya Mena, den principaelen coninck op Tymor, bij den welcken ons oock voordelijk is.“662 1613 stellte Makassar einem solchen lokalen Herrscher auf Timor 33 Kriegsschiffen als Geleitschutz für seine Verhandlungen mit Niederländern, Portugiesen und Spaniern zur Verfügung.663 Das timoresische Sandelholz war das Kernstück der makassarischen Handelsbeziehungen zu den Kleinen Sunda-Inseln, doch wurden daneben eine ganze Reihe kleinerer, teilweise sehr entlegener Inseln angelaufen, um eine breite Palette regionaler Produkte einzukaufen. Schildpatt wurde in großen Mengen auf den Inseln Mola, Kora, Larat, Timorlaut und Sera eingekauft und nach Makassar gebracht.664 Auf Masela handelten die Makassaren gewöhnlich Bernstein ein.665 Für das Jahr 1651 wird berichtet, daß makassarische Händler eine Reihe kleiner, teils unter den angegebenen Namen nicht mehr identifizierbarer Inseln der Region anliefen, um vor allem Muskatnüsse, aber auch Wachs, Sandelholz, Schildpatt, Vogelnester und Sklaven einzukaufen. Bei den Inseln handelte es sich um Leti, Kisar und das nicht identifizierte Relawan. Diese wiederum wurden von den Eilanden Damar, Nila, Serua, Couwer und Cassawy versorgt, wobei die letzteren beiden ebenfalls nicht eindeutig zu identifizieren sind, aber in der unmittelbaren Nachbarschaft der übrigen genannten liegen müssen.666 Es ist durchaus nicht auszuschließen, daß makassarische Seefahrer auch auf den zuletzt angeführten, auf die Versorgung der Muskat produzierenden Inseln spezialisierten Eilanden zu finden waren. Auf Leti und Nila, so wurde der VOC berichtet, sollten zudem unkontrollierte Nelkenbäume wachsen, die sich die „vremden natien“ zu Nutze machten. 1662 wurden elf makassarische Schiffe in diesen Archipelen gemeldet; ein Jahr später war sogar von 17 oder 18 makassarischen „Junken“ die Rede, worunter wohl prahus zu verstehen sind.667 Auch noch entfernter gelegene Inseln waren für makassarischen Seefahrer interessant. So wurde 1654 Tanimbar als Zielort zweier makassarischer Handelsschiffe erwähnt, die nach Damar weiterfuhren.668 Auch auf den Kay- und Aru-Inseln in den Breiten Neuguineas handelten Makassaren, die dort von den Einwohnern Muskatnüsse und Macis erstanden, die wiederum aus Banda herbeigeschafft wurden.669 662 Bouwstoffen I, Nr. II, Brief des Apollonius Scotte, Kapitän auf Makian, an Matthijs Couteels, Generalbuchhalter in Batavia, 5.7.1613, 19. 663 Ebd., 23/24. 664 Bouwstoffen III, Nr. LV, Brief des Cornelis van der Lijn an die Bewinthaber, 18.1.1649. 665 Generale Missiven III, 26.12.1662, 409. 666 Generale Missiven II, 19.12.1651, 495. 667 Generale Missiven III, 26.12.1662, 409/410; ebd., 21.12.1663, 454. 668 Generale Missiven II, 7.11.1654, 749. 669 Generale Missiven I, 15.8.1633, 384; ebd., 31.12.1635, 494; ebd., 4.1.1636, 534. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 245 Java Auf seinen Reisen zu Beginn des 16. Jahrhunderts kam der Portugiese Tomé Pires bis nach Java. Dort fand er seine Gewährsleute, die ihn auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen mit Informationen über die weiter östlich gelegenen Teile des Archipels und auch über die von dort nach Java kommenden Seefahrer versorgten. Hinsichtlich der Emporien an der javaischen Küste schreibt er in seiner Suma Oriental: „The port of Calapa is a magnificent port. It is the most important and best of all. This is where the trade is greatest and whither they all sail from Sumatra and Palembang, Laue, Tamjompura, Malacca, Macassar, Java and Madura and many other places. These nations trade also in the other ports [auf Java].“670 Diese kurze Textstelle zeigt, daß die Makassaren bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts ausdrücklich zu den Handelsnationen gezählt wurden, die regelmäßig in Java verkehrten. Wenn Pires dies in solcher Selbstverständlichkeit von seinen einheimischen Gewährsleuten erfuhr – und eben keine Formulierung, die ihn veranlaßt hätte, die Makassaren als Nachzügler, Ausnahmen oder ähnliches zu bezeichnen –, kann mit Recht davon ausgegangen werden, daß Seefahrer aus Makassar auch schon im 15. Jahrhundert in den javanischen Häfen verkehrten. Die für noch frühere Zeiten aus archäologischen Zeugnissen geschlossenen Verbindungen zwischen Java und Süd-Sulawesi finden hier ihre Fortsetzung. Javanische Häfen blieben ständiges Anlaufziel für Seefahrer aus Makassar. Dabei ist bemerkenswert, daß die Präsenz der Javaner selbst in Makassar weitaus geringer ausfiel als beispielsweise der Malaiien. Sie entsprach zumindest nicht der Bedeutung der Javaner für den Molukkenhandel, wie sich dies an ihrem regen Seeverkehr in das östliche Archipel ablesen läßt. Die südliche Route durch die Java-See hatte auch im 17. Jahrhundert ihre Bedeutung nicht eingebüßt. Eher waren es die Makassaren und andere in Makassar ansässige Nationen, die nach Java segelten. Allerdings ergibt die Auswertung des daghregisters keine nennenswerten Schiffsbewegungen zwischen Batavia und Makassar für die Endphase der Unabhängigkeit Goa-Tallos.671 Diese Beobachtung steht eindeutig im Widerspruch zu Speelman, der Batavia für die Handelsbeziehungen Makassars eine wichtige Rolle einräumte. Die zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen der VOC und dem sulawesischen Emporium mag die Erklärung hierfür sein, vorausgesetzt, das auf die Ereignisse ganz Asiens bezogenen Daghregister war überhaupt in der Lage, tatsächlich die Gesamtheit aller Schiffsbewegungen in Batavia wiederzugeben. Rege, auch im Sinne beidseitiger Besuche, 670 PIRES, Suma Oriental, 172. 671 RANTOANDRO, Commerce, passim. Eine zuverlässige Rekonstruktion der Herkunftsorte von Schiffen erlaubt das daghregister von Batavia erst ab 1659 (ebd., 52). 246 Makassar und die Europäer vor 1666/69 war die Beziehung zu der älteren javanischen Handelsmetropole Banten. Im Zusammenhang mit kriegerischen Konflikten zwischen ihr und dem Stadtstaat berichtete die VOC, daß Händler aus Banten neben Selayar, Bima, Sumbawa, Lombok und dem östlichen Java regelmäßig Makassar anliefen.672 Selbst 1655 gelangten noch Nelken aus Makassar nach Banten, wie der Resident in letzterer Stadt berichtete.673 Sumatra und die Malaiische Halbinsel Wie auch Java zählten Sumatra und die Malaiische Halbinsel zu den Regionen des Archipels, zu denen seefahrende Kaufleute aus Makassar seit sehr langer Zeit Kontakte pflegten. Schon Tomé Pires führt in einer Aufzählung der Inseln „which Malacca trades, and which trade with Malacca“ Makassar auf.674 Er ergänzt diese Information durch den Bericht, daß Palembang große Mengen schwarzen Benzoins exportierte, das unter anderem in Makassar genutzt wurde.675 Etwas später findet sich im Text der Suma Oriental eine Auflistung von Herkunftsorten, deren Händler Malakka besuchten, die abermals Makassar enthält.676 Wieder wird von Pires ausdrücklich auch auf den Eigenhandel der Erwähnten hingewiesen, woraus abermals zu schließen ist, daß zumindest in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts Makassaren diese Region bereisten. Dabei dürften die meisten der wichtigeren Hafenstädte an der Straße von Malakka den Seefahrern aus Süd-Sulawesi bekannt gewesen sein. Es waren nicht zuletzt Schiffe aus Makassar, die zwischen 1613 und 1618 Johor wieder zu einiger Prosperität verhalfen, nachdem die Hauptstadt Lingga, die als Zwischenstop auf dem Weg nach Malakka diente, zuvor vom Sultan von Aceh zerstört worden war.677 Andere wesentliche Handelsplätze erwähnt Antonio van Diemen in seinen Briefen an die Bewinthaber. 1636 beschreibt er den Gewürzhandel der Stadt Aceh, wohin Makassaren die nicht unbeträchtliche Menge von 300 bis 400 bahar giroffel-Nelken brachten. 1638 gehörten die Makassaren neben den Malaiien und Javanern aus Banten und Mataram zu den Handelsnationen, von deren häufiger Anwesenheit in Pera, Keda und Lada zum Textil-, Pfeffer- und Zinnhandel van Diemen berichtet.678 672 673 674 675 676 677 678 Generale Missiven I, 31.12.1635, 492. Generale Missiven III, 24.12.1655, 43. PIRES, Suma Oriental, 223. Ebd., 156. Ebd., 283. ANDAYA, Johor, 25. Bouwstoffen II, Nr. LXX, Brief des Antonio van Diemen an die Bewinthaber, 28.12.1636, 308; ebd., Nr. LXXVI, Brief des Antonio van Diemen an die Bewinthaber, 22.12.1638, 360. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 247 Ein Bericht des vor Ort ansässigen VOC-Vertreters über die Verhältnisse des Handels in Jambi zu Beginn der 1640er Jahre nennt Makassar als eines der Ziele neben Java, Patani und Johor, die von dort aus angesteuert wurden.679 Ein nahezu parallel entstandenes Traktat, welches das gleiche Thema behandelt, bestätigt, daß neben Thailändern, Chinesen, Javanern und Kaufleuten aus Kalimantan auch Makassaren in Jambi aktiv Handel betrieben.680 Die Handelsmetropole auf Sumatra verfügte also zu dieser Zeit noch immer über Kontakte nach Süd-Sulawesi und wurde zugleich aus makassarischer Sicht als lohnendes Ziel angesehen. Selbst in den krisengeschüttelten 1650er Jahre fanden gelegentlich noch Handelsfahrten von Makassaren nach Aceh statt. So brachten 1655 drei Schiffe größere Mengen Nelken nach Süd-Sulawesi. Zumindest zwei von ihnen hatten zudem Sandelholz, Messing, Porzellan und Golddraht geladen.681 Diese Handelsverbindungen blieben in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht gänzlich von den Aktivitäten der VOC unbeeinflußt. Insbesondere die Tatsache, daß sich makassarische Kaufleute nicht auf einen zentralen Hafen der Region konzentrieren, hatte ihre Ursache in den Aktivitäten der niederländischen Kompanie. Die Blockade des Stapelplatzes Malakka, welche die VOC in den 1630er Jahren aufrecht erhielt, und dessen Eroberung 1641 führte dazu, daß gerade Gewürznelken in größeren Mengen bis nach Aceh transportiert wurden. Ursprünglich war auch für die makassarischen Kaufleute Malakka das wichtigste Emporium in der westlichsten Region des Malaiischen Archipels, wie bereits Tomé Pires ausführlich betont. Bis in die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts blieb diese Situation konstant, allerdings waren für die Verbindung zwischen den beiden Städten die portugiesischen Seefahrer, die in beiden Emporien größere Ansiedlungen unterhielten, noch bedeutender als die makassarischen Händler oder auch die anderen in Makassar ansässigen indonesischen Handelsnationen.682 Nach der Eroberung Malakkas durch die VOC konzentrierten sich die Portugiesen ganz auf Makassar und die Handelsverbindungen, die sie dort aufrecht erhalten konnten, während die Makassaren sich in Sumatra und der Malaiischen Halbinsel neue Häfen als Ausweichgelegenheiten suchten und bereits bestehende Beziehungen vertieften. Direkte Kontakte zum niederländischen Malakka enstanden nicht. Den Portugiesen war diese Option auf Grund der Bestimmungen der VOC grundsätzlich verschlos- 679 Bouwstoffen III, Nr. XVI, Brief des Hendrik van Gent, Oberkaufmann in Jambi, an den Generalgouverneur, 31.8.1642, 121. 680 Ebd., Nr. XXIV, ‚Tractaedt‘ des Pieter Sourij, 6.7.1643, 163. 681 Generale Missiven III, 24.12.1655, 19, 23. 682 MEILINK-ROELOFSZ, Asian Trade, 163/164. 248 Makassar und die Europäer vor 1666/69 sen; die von Makassar aus operierenden indigene Händler zogen es offenbar vor, den niederländischen Einflußbereich mit seinen Restriktionen zu umgehen. Das südostasiatische Festland Über die Malaiische Halbinsel hinaus wurde auch das südostasiatische Festland besucht. Es findet sich wenig, das der zurückhaltenden Einschätzung der Bedeutung von Handelsfahrten nach Thailand widerspräche, doch läßt sich immerhin eine gewisse Breite der ausgetauschten Warenpalette feststellen: „In Siam waren gecomen vier Maccassaerse vaertuyghen, medebrengende 70 à 80 p.ls giroffelnagelen, 50 à 60 p.ls wasch, 10 p.ls schiltpatshoorn, 30 à 40 picols peper, in Ligor geruylt, ende 8 à 10 slaven. De nagelen hebben aldaer 20 tayl, dat is 126 guldens, ‘t p.l vercocht, ‘t wasch 9, cicer off schiltpatshoorn 25 tayl ’t picol, peper 20 tayl de bh.r van 3 picol, de slaven van 20 to 23 tayl ijder. In retour hebben vervoert 70 à 80 p.ls gommelacca, gommen, robijnen, geslagen goudt, copere beckens etc.a, met eenige cleeden ende oliphantstanden.“683 Auch für 1659 vermeldet die VOC zwei makassarische Schiffe, die in Thailand Handel trieben, ohne jedoch näher auf die getauschten Waren einzugehen.684 Daß es sich um eine vergleichbare Palette gehandelt hat, kann nur vermutet werden. Gelegentlich erscheint darüber hinaus Kambodscha im Zusammenhang mit Makassar in den europäischen Überlieferungen, vor allem im Jahr 1652, als sieben malaiische „Junken“ mit 650 pikul Benzoin an Bord aus Kambodscha kommend im Hafen von Makassar festmachten.685 Hier verweist nicht die Häufigkeit der tatsächlich belegten Fahrten auf die Bedeutung dieser Route, wenigstens aber die Zahl der einlaufenden Schiffe, die für die privat organisierten Handelsfahrten des 17. Jahrhunderts schon eine beträchtliche Größe aufwies. Die Menge des mitgebrachten Benzoin erscheint für eine solche kleine Flotte allerdings sehr gering. Wahrscheinlich befanden sich noch andere Güter, von denen nach Speelman in Kambodscha eine interessante Auswahl angeboten wurde, auf den Schiffen. Noch für 1665, kurz vor dem Ende des freien Emporiums Makassar, wurde das Eintreffen von Schiffen aus Thailand und Kambodscha verzeichnet, die japanisches Kupfer, Benzoin und Elfenbein sowie einige Importe aus Macau brachten.686 Dennoch bleiben die Erwähnungen solcher Verbindungen in den Quellen spärlich, doch bestätigt sich zumindest das von Speelman gezeichnete Bild einer bestehenden, wenn auch nur in größeren Abständen genutzten Handelsverbindung. 683 684 685 686 Generale Missiven I, 9.12.1637, 648. Generale Missiven III, 16.12.1659, 289. Generale Missiven II, 31.1.1653, 658. BL London, G/10/1, Macassar General to Bantam, 11.1.1665, 253. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 249 Die Philippinen Die regelmäßige Verbingung zu den Philippinen wurde offenbar vor allem über Manila aufrecht erhalten. Vor allem der in Makassar ansässige Francisco Vieira, der als einflußreichster und wohlhabenster Angehöriger seiner Nation im unabhängigen Goa-Tallo gelten konnte und zwischen Indien und China rege Handelsbeziehungen pflegte, war in diesem Bereich engagiert.687 Die für ihn wichtige Verbindung nach Macau dürfte hierfür eine wesentliche Rolle gespielt haben. Doch auch über die Tätigkeiten des Francisco Vieira hinaus existierte ein regelmäßiger Austausch mit der spanischen Kolonialstadt. Zwischen 1641 und 1667 stammten mehr als 11% aller Schiffe, die im Hafen von Manila festmachten, aus Makassar.688 Darüber hinaus wurde einmal jährlich in Makassar ein besonderes Schiff, für gewöhnlich als ‚Junke‘ bezeichnet, aus Manila erwartet. Das Eintreffen dieser Junke war, folgt man den Auskünften der EIC-Vertreter in Makassar, insbesondere für den Absatz von Textilien von eminenter Bedeutung: „The nonarrival of the annual ship from Manilla, which comes chiefly for Long Cloth and Salampores makes the Market for sales dead. An intestine war contributes to make Trade stagnate there. 100 Bales of Freight Goods, brought on the Marygold, add to the difficulty of disposing of her large cargo for the company. As to Investments, there will be no cloves till August, the last price 750 Mas per Bahar. Gold uncoined is not procurable, two ships from Macao bringing only 60 Pauns. Tutenague is 38½ and 40 Mas per Pecul. Pepper 8 or 9 Mas per Pecul.“689 Für die englische Vertretung war diese Handelsmöglichkeit nach Manila und von dort weiter nach China die letzte Option, unter zunehmend schlechteren Bedingungen noch einigermaßen lukrative Verkäufe zu tätigen. Der Gewürzmarkt war 1659 durch die Politik de VOC in den Molukken zusammengebrochen; wenn überhaupt noch entsprechende Waren auf dem makassarischen Markt erhältlich waren, dann zu völlig überteuerten Preisen. Als dann auch noch das jährliche Schiff aus Manila ausblieb, bestand überhaupt keine Möglichkeit mehr, mit englischen Waren Handel zu treiben. Als auch im darauffolgenden Jahr ebenso verzweifelt wie vergeblich auf die Junke aus Manila gewartet wurde, von der man eine große Menge „coast goods“ – Waren von der südchinesischen Küste wie Seide und Porzellan – erwartete, wurde die Lage der englischen Faktorei zunehmend kritisch. Ihr endgültiger Niedergang zeichnete sich deutlich ab.690 687 688 689 690 BOXER, Francisco Vieira, passim. REID, Pluralism, 57. BL London, OIOC, G/10/1, Macassar General to Bantam, 12.6.1659, 171. Ebd., G/10/1, Macassar Factory to the Court, 8.6.1660, 193. 250 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Vor allem für Warengruppen, an denen auch die europäischen Kaufleute großes Interesse hatten, war die Verbindung nach Manila eine lebenswichtige Verkehrsader. Da das Ausbleiben der Manila-Junke im Urteil der Briten einen wesentlichen Faktor für den Niedergang des gesamten Handels in Makassar darstellte, scheint ein nicht unbedeutender Teil des makassarischen Warenaustausches über diese Handelsverbindung abgewickelt worden zu sein. Allerdings war die Verkehrsader recht anfällig, da sie zumindest in den 1650er und 1660er Jahre von nur wenigen Schiffen bedient wurde. In besseren Jahren wie 1649, als zwei makassarische und ein portugiesisches Schiff aus Manila mit Gold und Zucker eintrafen,691 waren noch mehrere alternative Handelsmöglichkeiten gegeben. In schwierigeren Zeiten konnte offenbar der Ausfall der Verbindung nach Manila den Markt für Produkte, mit denen auch die Europäer in großem Umfang handelte, weitgehend zusammenbrechen lassen. In diesem Zusammenhang sind auch die Spanier aus Manila zu erwähnen, die aus den gleichen Interessen heraus nach Makassar reisten. So erschien 1645 Pedro de la Matte mit 70.000 Real Münzgeld, um molukkische Nelken und Seidenwaren von den Portugiesen zu kaufen.692 Es handelt sich dabei um die einzige direkte Handelsverbindung spanischer Kaufleute nach Makassar. Ob es sich bei der Manila-Junke um ein chinesisches oder spanisches Schiff handelte, läßt sich kaum klären. Zwar spricht die Bezeichnung des Schiffstyps – ‚Junke‘ – eher für die erste Möglichkeit, doch ist dies angesichts der sprachlichen Unklarheit bei der Bezeichnung von Schiffstypen in den europäischen Quellen des frühen 17. Jahrhunderts ein eher schwaches Argument. Daß „coast goods“ von der Junke erwartet wurden und auch Gewürze abgesetzt werden sollten, spräche eher für China als Herkunftsort – die Tatsache, daß man insbesondere Textilien indischer und indonesischer Herkunft absetzen wollte dagegen nicht. Manila diente als Relais im Handel zwischen China und Makassar, doch ermöglichte dies auch Spaniern oder Portugiesen, die Rolle der Zwischenhändler einzunehmen. Die Portugiesen unterhielten allerdings regelmäßige Handelsbeziehungen nach China über ihre südchinesische Niederlassung Macau. Selbst 1665, unmittelbar vor Ausbruch des Makassarischen Krieges, der jegliche Beteiligung von Portugiesen am Handel in Süd-Sulawesi beendete, kamen noch drei Schiffe aus Macau in Makassar an.693 Über Macau wurden große Mengen Gold, japanisches Kupfer, teilweise in Form von Kanonen, die für die Festungsanlagen unentbehrlich waren, sowie Zu691 Bouwstoffen III, Nr. LXIV, Brief des Cornelis van der Lijn an die Bewinthaber, 31.12.1649, 455. 692 Ebd., Nr. XXXVI, Brief der Räte von Indien an die Bewinthaber, 17.12.1645, 238. 693 BL London, OIOC, G/10/1, Macassar Factory to the Court, 8.6.1660, 193. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 251 cker und zahlreiche chinesische Produkte, vor allem Textilien, nach Makassar geliefert.694 Die Verbindung Macau-Makassar war die eigentliche Lebensader des chinesisch-sulwasischen Handels. Von weiteren unmittelbaren Verbindungen mit SüdChina ist für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts wenig bekannt. 1615 erreicht nach den Berichten der EIC-Faktorei die erste chinesische Junke überhaupt die Reede von Makassar, wo sie ihre Waren billiger als in Banten verkauft.695 Es handelte sich vornehmlich um Rohseide, Seidentuche, Porzellan und diverse Gebrauchsgegenstände, welche die chinesischen Kaufleute in solchen Mengen auf den Markt warfen, daß die Vertreter der englischen Kompanie Mühe hatten, ihre eigenen Waren an den Mann zu bringen. Von weiteren Besuchen dieser Art durch chinesische Überseehändler wissen die Europäer aus Makassar nichts zu berichten. Der erst gegen Ende der Ming- und zu Beginn der Mandschu-Dynastie wiederbelebte Außenhandel der südchinesischen Provinzen konzentrierte sich zunächst auf Batavia. Bezüglich der Philippinen bestätigen lediglich die Informationen zu Manila die Ausführungen Speelmans. Die intensiven Kontakte nach Mindanao durch die SuluSee, von denen Speelman wahrscheinlich durch Gewährsleute erfahren hat, waren den englischen oder niederländischen Beobachtern vor Ort entweder nicht bekannt oder als nicht wesentlich erschienen. Schließlich handelte es sich um Kontakte zu schwer überschaubaren maritimen Regionen, die zudem Waren austauschten, die nur auf geringes Interesse seitens der Europäer stießen. Indien Mit zumindest gelegentliche Direktkontakte zu den Küsten des indischen Subkontinentes erscheint eine weitere Handelsverbindung Makassars in den zeitgenössischen Berichten, die in der Aufstellung Speelmans keine Rolle spielt. Makassar handelte nicht nur intensiv mit Textilien, die in Indien hergestellt wurden, die Stadt erhielt einen Teil dieser Waren auch auf direktem Weg. Mitte der 1640er Jahre berichten die Unterlagen der VOC mehrfach von solchen Handelsbeziehungen. Neben allgemeinen Erwähnungen, insbesondere der Koromandel-Küste,696 wurde 1644 verzeichnet, daß der Bürger Thomas Paulo von einer Handelsreise aus Negapatnam nach Makassar zurückkehrte.697 Ein Jahr später findet sich ein Bericht, daß ein indi694 695 696 697 PTAK, Handel, 215-219 und passim. BL London, OIOC, G/10/1, G. Cockrayne (Makassar) to Gov. Thomas Smith (Banten), 16.7.1615, 2. Bouwstoffen III, Nr. XLI, ‚Relaes‘ des Jeremias van Vliet an die Räte von Indien, 28.11.1645, 269/270. Generale Missiven II, 23.12.1644, 246. Bereits 1625 berichtet die gleiche Quelle, daß Portugiesen und Spanier von Makassar aus u.a. auch Negapatnam anliefen (Generale Missiven I, 27.10.1625, 182). 252 Makassar und die Europäer vor 1666/69 sches Schiff – abermals aus Negapatnam – mit 214 Packen Textilien nach Makassar unterwegs war.698 Eine solche Fahrt wurde, diesmal durch einen portugiesischen Segler, im folgenden Jahr wiederholt.699 In den 1650er Jahren wurde die nach Negapatnam bestehende Verbindung um eine weitere nach Golkonda ergänzt. Wahrscheinlich durch den Einfluß seines Geschäftspartners Francisco Vieira, der am 9.7.1652 mit zwei Jachten und einer Ladung von 1.075 pikul Pfeffer nach Koromandel gereist war,700 nahm der dortige Nabob Kontakte zu Makassar auf und entsandte 1654 eine Schiffsladung Textilien. Das Schiff wurde allerdings in der Java-See von der VOC abgefangen und gezwungen, Batavia anzulaufen, um dort seine Ware zu veräußern.701 Trotz dieses Fehlschlages war es dem Nabob ernst mit der Beziehung zu Makassar. Immerhin begnügte er sich nicht mit dem kaufmännischen Verhältnis zu Vieira, sondern entsandte einen eigenen Faktor. Aus Sicht des Nabob war dieses Mißtrauen durchaus berechtigt. Arbeitete der Faktor anfangs noch eng mit Vieira zusammen, zerstritt er sich doch bald mit diesem über die Preisgestaltung einer Schiffsladung.702 Diagramm 4.1: Preisentwicklung von Gewürznelken in Makassar, 1621 - 1664 900 Tiefstpreise Höchstpreise 800 700 Preise / Mas 600 500 400 300 200 100 0 1615 1620 1625 1630 1635 1640 1645 1650 1655 1660 1665 1670 Jahr 698 Bouwstoffen III, Nr. XXXVII, Brief der Räte von Indien an die Bewinthaber, 31.12.1645, 255/256. 699 Ebd., Nr. XLIII, Brief des Cornelis van der Lijn and die Bewinthaber, 21.12.1646, 282. 700 Generale Missiven II, 31.12.1653, 658. 701 BOXER, Francisco Vieira, 17. 702 Ebd., 21. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 253 Preise auf dem makassarischen Markt Ausreichend Material für eine lückenlose Preisgeschichte des vorkolonialen Marktes in Makassar steht leider nicht zur Verfügung. Die verstreuten Preisangaben in den europäischen Aufzeichnungen lassen, bei allen Schwankungen, einen groben Überblick über die Preisentwicklung des wichtigsten Stapelgutes des Emporiums, den molukkischen Gewürznelken, zu und bieten darüber hinaus für andere Warengruppen einige Impressionen für äußerst kurze Zeiträume, die in der Regel wenige Aussagen zu Preisentwicklungen erlauben. Die graphische Zusammenfassung der überlieferten Nelkenpreise auf dem Markt von Makassar erlaubt drei Beobachtungsphasen.703 Zunächst läßt sich ein Zeitabschnitt relativ stabiler Preise bis Anfang der 1640er Jahre feststellen. Diesem folgt bis Mitte der 1650er Jahre eine Periode steigender Preise. Schließlich stellt der Zeitraum seit dem Einsetzen der währungspolitischen Experimente des Herrschers von Makassar eine eigenständige Periode dar. In dieser Periode können Real und mas nicht mehr gleichgesetzt werden. Da jedoch keine auch nur annähernd eindeutigen Wechselkurse überliefert sind, scheint eine Umrechnung an dieser Stelle nicht ratsam zu sein. Die Preisentwicklung dieses Zeitraums kann als ein Ergebnis des Zusammenspiels von Geldentwertung und Knappheit des Produktes interpretiert werden. In Real ausgedrückt fiele die Preissteigerung gemäßigter aus, wäre aber sicherlich dennoch signifikant. Nur wenn der denkbar ungünstigste Tauschkurs zwischen Real und mas (1 : 2,5) angenommen wird, ergibt sich keine signifikante Preissteigerung in der letzten Dekade makassarischer Unabhängigkeit. Eine solche mutmaßliche Preisstabilität ist jedoch äußerst unwahrscheinlich, da die Nelkenzufuhr von den Molukken durch die VOC immer weiter eingeschränkt wurde und sich die zu703 Überlieferte Preise: JOOSTEN, Rapport, 370/371 (1621); Generale Missiven I, 13.12.1626, 219 (1626); BL London, OIOC, E/3/12, Nr. 1326, William Hoare (Banten) to the Court, 6.12.1630, 178 (1629); Bouwstoffen II, Nr. LXI, Brief des Hendrik Brouwer and die Bewinthaber, 27.12.1634/8.1.1635, 260 (1634); BL London, OIOC, G/10/1, Consultation, Banten, 16.10.1635, 67 (1635); Generale Missiven I, 22.12.1638, 668 (1638); BL London, OIOC, G/10/1, Journal Accounts of Batam Presidency for the Second Joint Stock, 21.1.1641, 75, und E/3/18, Nr. 1788, Macassar Factory to Bantam, 13.5.1642, 87 (1641); Generale Missiven II, 12.12.1642, 160 (1642); ebd., 23.12.1644, 236; Bouwstoffen III, Nr. XXVII, Generalgouverneur Antonio van Diemen an die Bewinthaber, 23.12.1644, 183 (1644); BL London, OIOC, E/3/18, Nr. 1847, Fort St. George to Bantam, 1.10.1645, 266 (1645); Generale Missiven II, 19.12.1651, 489 (1651); BL London, OIOC, E/3/24, Nr. 2431, Agency of Bantam to the Court, 9.12.1654, 136v, und Nr. 2479, Jas. Bostocke and Hen. Thurcroft (Makassar) to Bantam, 1.5.1655, 243 (1654); ebd., 243, 247v, und Nr. 2484, Macassar to Bantam, 8./9.6.1655, 255, 258 (1655); ebd., G/10/1, Macassar Factory to the Agency of Bantam, 18.9.1657, 146 (1657); ebd., G/10/1, Macassar to Bantam, 22.7.1658, 148 (1658); ebd., G/10/1, Macassar General to Bantam, 12.6.1659, 171, 173, und G/10/1, Agency of Bantam to Macassar, 7.11.1659, 183 (1659); ebd., G/10/1, The Court to Bantam, 29.2.1664 247 (1664). 254 Makassar und die Europäer vor 1666/69 nehmende Knappheit auf dem makassarischen Markt aus allen Quellen herauslesen läßt. Dies hatte mit Sicherheit auch eine absolute Preissteigerung zur Folge. Der Anstieg der Verkaufspreise in Makassar betrug, ausgehend von dem überlieferten Tiefstpreis von 1621, bis zu 466,7%. Auch wenn sich hinter dieser Entwicklung zu Teilen die Entwertung der lokalen Währung verbirgt, handelte es sich dennoch um einen real bezahlten Preis, denn der Markt wurde bis in die 1660er Jahre hinein stets leergekauft. Die Nachfrage nach Gewürznelken in Makassar blieb weitgehend preisunelastisch, bedingt durch die gleichbleibende Nachfrage, welche die auswärtigen Händler zu befriedigen hatten, bei einem gleichzeitig zunehmend von der VOC erschwerten Zugang zu den Produktionsstätten. Diagramm 4.2: Einkaufspreise von Gewürznelken in den Molukken 140 120 Tiefstpreise Höchstpreise Preise / Real 100 80 60 40 20 0 1590 1600 1610 1620 1630 1640 1650 1660 Jahr Betrachtet man die Einkaufspreise für Gewürznelken, die für die Molukken bekannt sind, ergeben sich je nach Betrachtungsweise unterschiedliche Einschätzungen der Preissteigerung.704 Der Anstieg vom niedrigsten zum höchsten bekannten Preis betrug 160%. Allerdings bezieht sich dieser Wert lediglich auf die Zeitspanne zwischen 1610 und 1624, eine Zeit, in welcher der Gewürzmarkt im östlichen Archipel nach allen Quellenaussagen ein weitgehend offener Markt war, der eine enormen Nachfrage erlebte. Alle europäischen Nationen waren inzwischen vertreten, und die großen indonesischen Emporien waren ebenfalls involviert, da auch auf 704 Überlieferte Preise: BULBECK/REID/TAN/WU, Exports, 28; Memories, Nr. III, ‚Cordt Verhael‘ des Nicolaas Puyck, 1610 – 1614, 14/15; Bouwstoffen I, Nr. XXII, Brief des P. de Carpentier an die Bewinthaber, 3.1.1624, 355; Memories, Nr. X‚ Staat van Amboyna des A. van den Heuvel, 30.8.1633, 107. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 255 ihren Märkten die außerregionalen Händler für eine entsprechende Nachfrage sorgten. Geht man hingegen von der größtmöglichen Zeitspanne der spärlichen überlieferten Werte aus, erreichte die Preissteigerung mit gerade mal 42,9% einen Wert, der in keinerlei Verhältnis zu den extremen Anstiegen in Makassar steht. Für die flachere Preissteigerung gegen Ende des Beobachtungszeitraumes sind wahrscheinlich auch deutliche Mengensteigerungen auf den Produktionsinseln verantwortlich zu machen, auch wenn darüber keine verläßlichen Zahlen vorliegen. Auf Ambon hatte sich die Produktionsmenge von Gewürznelken in den 1650er und 1660er Jahren auf einem Niveau zwischen 170 und 180 metrischen Tonnen jährlich eingependelt.705 Zudem fällt die niedrigere Spannweite zwischen den in den Quellen angegebenen Höchst- und Niedrigstpreisen im Vergleich zu Makassar auf. Dies kann als Hinweis darauf gewertet werden, daß auf den Molukken, insbesondere unter zunehmender Kontrolle und damit einhergehender Stabilisierung durch die VOC, eine weitaus weniger nervöse Marktsituation als in Makassar vorherrschte. Die große Zahl der auf Gewürzlieferungen wartenden Händler in der Hafenstadt führte dazu, daß alle versucht waren, bei jeder sich bietenden Gelegenheit zuzugreifen und in der Angst, die letzte Lieferung auf lange Zeit zu verpassen, Rücksichten auf den Preis aufzugeben. Da mit immer weitergehenden Schlußfolgerungen die Datenbasis zunehmend ausdünnt, seien hier nur einige Anhaltswerte bezüglich der Erlösspannen aufgeführt, deren Realisierung in Makassar zumindest möglich war.706 Um 1620/21 lagen nach den vorliegenden Zahlen die Erlösspannen zwischen 127,3% und 166,7%. Für das Jahr 1633 ergibt sich ein möglicher Erlös von 150% bis 400%. Für die Zeit um 1650/51 kann schließlich von 200% bis 471,4% ausgegangen werden. Einerseits steigt der realisierbare Erlös, andererseits aber auch die Schwankungen der Spannen. Der bereits angesprochene äußerst nervöse Markt in Makassar ermöglichte diese Steigerung in zweierlei Hinsicht. Da die europäischen Kaufleute in ihren Aufzeichnungen in der Regel nicht nur Marktpreise vom Hörensagen notierten, sondern diejenigen, die sie tatsächlich auch selber zahlten, muß man die Zahlen und die dar- 705 BULBECK/REID/TAN/WU, Exports, 36. Die Autoren gehen für den Zeitraum 1653-1657 von 174 Tonnen aus, für den Zeitraum 1668 bis 1667 von 178 Tonnen. Ihre Angabe verwirrt allerdings, da sie die nur auf Ambon bezogenen Zahlen unter der Rubrik für das gesamte Südostasien einreihen. Für die nördlichen Molukken liegen auch für die Mitte des 17. Jahrhunderts keine zuverlässigen Werte vor. 706 Von Gewinnspannen kann an dieser Stelle nicht gesprochen werden, da hiefür von den Erlösen noch die Frachtkosten abgezogen werden müssen. Die bei Ammana Gappa angegebenen Frachtraten beziehen sich auf die von Kunden zu bezahlenden Gebühren, nicht auf die tatsächlichen Kosten einer Reise. Von daher verbietet es sich hier der Versuch, tatsächliche Gewinnspannen rekonstruieren zu wollen. 256 Makassar und die Europäer vor 1666/69 aus gezogenen formalen Schlüsse als zumindest in der Größenordnung zuverlässig ansehen. Eigentlich öffnete die Situation in Makassar der Mitnahme von Spekulationsgewinnen Tür und Tor, doch liegen hierfür keinerlei Zeugnisse mehr vor. Tabelle 4.1: Preise für Pfeffer und Schildpatt in Makassar Pfeffer Jahr Tiefstpreis in mas pro bahar Schildpatt Höchstpreis in mas pro bahar Tiefstpreis in mas pro bahar Höchstpreis in mas pro bahar 1641 -- -- 227 227 1650 32 32 -- -- 1652 21 24 -- -- 1655 -- -- 300 320 1657 -- -- 460 470 1658 30 31,5 470 470 1659 24 27 350 470 1660 33 33 450 800 1665 48 [Real] 48 [Real] -- -- Makassar war nicht nur ein zentraler Umschlagplatz für Gewürznelken aus Ambon und den nördlichen Molukken, das Emporium diente darüber hinaus als Stapelplatz einer ganzen Reihe von Luxusgütern, die in Europa wie auch in China oder anderenorts in Asien begehrt waren. Dazu gehörten die übrigen Molukkengewürze mit Muskatnüssen und Macis vornehmlich aus Banda, dazu zählte Pfeffer, Sandel- und Sappanholz oder Schildpatt. Die Preise für diese Güter sind allerdings weitaus spärlicher überliefert als diejeingen der Gewürznelken. Pfeffer war in Makassar ein weitaus preiswerteres Produkt als die molukkischen Nelken.707 Dies galt auch in Zeiten der diversen Blockaden, aus denen die Mehrheit der vorhandenen Werte stammt. Diese Zahlen lassen weder ernsthaften Schwankungen über einen längeren Zeitraum noch eine deutlichen Preissteigerungen vermuten. Zwei Gründe können dafür angeführt werden. Zum einen war Pfeffer nicht so selten wie die molukkischen Gewürze und wurde von den europäischen Interes707 Überlieferte Preise: Generale Missiven II, 20.1.1651, 465 (1650); ebd., 31.1.1653, 658 (1651); BL London, OIOC, G/10/1, Macassar to Bantam, 22.7.1658, 149 (1658); ebd., G/10/1, Macassar General to Bantam, 12.6.1659 171, 173 (1659); ebd., G/10/1, Macassar Factory to the Court, 8.6.1660, 194 (1660); ebd., G/10/1, Macassar General to Bantam, 13.4.1665, 258 (1665). Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 257 senten an anderen Orten eingekauft. Zum anderen wurde Makassar vorrangig aus Banjarmasin versorgt, einem ebenfalls freien und noch dazu nahen Hafen. Es bestand keine Behinderung des Nachschubs, wodurch für stabile Preise gesorgt und allzu panisches Einkaufsverhalten auf dem makassarischen Markt verhindert wurde. Schildpatt war ein Luxusgut, das auf Grund seines seltenen Vorkommens und des Aufwandes, der zu seiner Beschaffung betrieben werden mußte, bezogen auf das gleiche Gewicht, wesentlich teurer war als Gewürznelken.708 Der Preis von 1641 spiegelt dies noch ein wenig wieder; in diesem Jahr kostete in Makassar das bahar Nelken zwischen 102 und 140 mas. Bis Ende der 1650er Jahre hatten die Nelkenpreise diejenigen für Schildpatt dann allerdings nicht nur eingeholt, sondern deutlich übertroffen. Erst 1660 kamen die Spitzenpreise für Schildkrötenpanzer an diejenigen der Nelken heran. Allerdings hatte sich bis dahin eine außerordentlich große Spanne entwickelt, innerhalb der sich die Preise bewegten. Zieht man einen Parallelschluß zu der Siutation auf dem Nelkenmarkt, müßte sich auch hier der Nachschub äußerst schwierig und unregelmäßig bei gleichbeibend hoher und damit preisunelastischer Nachfrage entwickelt haben. Die Mehrheit des Schildpatt wurde von den Makassaren im östlichen Teil des Malaiischen Archipels eingehandelt oder selber gewonnen. Es ist durchaus realistisch anzunehmen, daß durch die Aktivitäten der VOC auch diese Schiffahrtswege verstärkt behindert wurden. Die Nachfrage nach Schildpatt in Makassar, die vorrangig vom Bedarf in China getragen wurde, war wahrscheinlich einigermaßen konstant geblieben, doch führt eine Spekulation über ihre Preiselastizität angesichts der geringen Datenmenge sicherlich zu weit. Preise anderer Luxusgüter sind für Makassar nur verstreut überliefert, so daß ihr Aussagewert gering bleibt. Die Angaben für Mace sind äußerst uneinheitlich. Für 1614 liegt eine englische Angabe vor, jedoch ohne Währungseinheit. Es ist anzunehmen, daß von 100 bis 120 mas oder Real pro bahar die Rede ist.709 Zwei Jahre später vermeldete die EIC einen Preis von 3.769½ mas, die sie für 38 pikul und 69½ katti Mace bezahlt hatte.710 Dies bedeutete umgerechnet ca. 292 mas pro bahar – eine zumindest erstaunliche Preissteigerung innerhalb von zwei Jahren. 1621 ist bei Jan 708 Überlieferte Preise: BL London, OIOC, G/10/1, Journal Accounts, 30.4.1641, 75 (1641); ebd., E/3/24, Nr. 2479, Jas. Bostocke and Hen. Thurcroft (Makassar) to Bantam, 1.5.1655, 243 (1655); ebd., G/10/1, Macassar Factory to the Agency of Bantam, 18.9.1657, 146 (1657); ebd., G/10/1, Macassar to Bantam, 22.7.1658, 148 (1658); ebd., G/10/1, Inventory of Remains in Macassar Factory, 5.4.1659, 170, G/10/1, Macassar General to Bantam, 12.6.1659, 173, G/10/1, Macassar to Bantam, 12.8.1659, 178 (1659); ebd., G/10/1, Macassar Factory to Bantam Agency, 22.3.1660/6.4.1660/9.5.1660, 194 (1660). 709 Ebd., G/10/1, George Cockrayne (Makassar) to Gov. Thomas Smith (Banten), 16.7.1615, 3. 710 Ebd., E/3/5, Nr. 479, Kellum Throgmorton (Makassar) to Pres. Barkley (Banten), 12.5.1617, 32v. 258 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Joosten von weitaus gemäßigteren 160 Real pro bahar die Rede.711 Die Überlieferung bricht dann zunächst ab. Erst für 1664 liegt wieder eine Zahl vor – fünf bis sechs Shilling pro englisches Pfund (453 Gramm) –, die jedoch zur Vorsicht mahnt, da sie als der Preis zu verstehen ist, den die englische Faktorei zu bezahlen bereit war.712 Offenbar ist es ihr tatsächlich gelungen, zu diesem Preis eine gewisse Menge Mace einzukaufen, doch wissen wir nichts darüber, welchen Anteil von welcher auf dem Markt befindlichen Gesamtmenge dies ausmachte und wer welche anderen Preise bezahlt haben mag. Noch karger ist die Überlieferung hinsichtlich der Muskatnuß. Es ist lediglich bekannt, daß 1621 Jan Joosten einen Preis von 40 Real pro bahar erfahren haben will,713 und daß die englische Faktorei 1664 bereit war, zwischen 2½ und drei Shilling pro bahar zu bezahlen.714 Die Angaben für Sandelholz und für Kupfer in den späten 1650er Jahren lassen die vorsichtige Vermutung zu, daß auch bei diesen Produkten die Preise stiegen. Sandelholz wurde 1657 für 110 bis 120 mas pro bahar, 1659 für 135 mas und 1660 für 130 bis 140 mas verkauft.715 Für Kupfer ist der Preis aus den Jahren 1659 (40 mas pro pikul oder 120 mas pro bahar) und 1660 (45 bis 50 mas pro pikul oder 135 bis 150 mas pro bahar) bekannt.716 Im Gegensatz dazu scheint – auch dies nur eine vorsichtige Vermutung – der Preis von Gold in dieser Zeit gefallen zu sein. 1657 kostete das taël zwischen 40 und 42 mas, im Jahr darauf 38 mas und 1660 schließlich noch 37 mas.717 In dieser Zeit hatte sich nach allgemeiner Auffassung die unsicher gewordene makassarische Währung wieder stabilisiert, so daß der Preisrückgang wohl ein realer war. Für alle anderen in Makassar gehandelten Warengruppen stößt die Überlieferung von Preisangaben endgültig an ihre Grenzen. Sicherlich war der Umschlag indischer und indonesischer Textilien einer der wichtigsten, wenn nicht quantitativ sogar der allerwichtigste Handel in der Hafenstadt, doch lassen sich aus der Handvoll Preisangaben zu einzelnen Tuchsorten keinerlei Aussagen gewinnen. Im ebenfalls nicht zu unterschätzenden Handel mit Lebensmitteln weisen einige Fundstellen letztend711 712 713 714 715 JOOSTEN, Rapport, 370/371. BL London, OIOC, G/10/1, The Court to Bantam, 29.2.1664, 247. JOOSTEN, Rapport, 370/371. BL London, OIOC, G/10/1, The Court to Bantam, 29.2.1664, 247. Ebd., G/10/1, Macassar Factory to the Agency of Bantam, 18.9.1657, 146 (1657); ebd., G/10/1, Macassar to Bantam, 12.8.1659, 178 (1659); ebd., G/10/1, Macassar Factory to the Court, 8.6.1660, 194 (1660). 716 Ebd., G/10/1, Macassar General to Bantam, 12.6.1659, 173 (1659); ebd., G/10/1, Macassar Factory to the Court, 8.6.1660, 194 (1660). 717 Ebd., G/10/1, Macassar Factory to the Agency of Bantam, 18.9.1657, 146 (1657); ebd., G/10/1, Macassar to Bantam, 22.7.1658148 (1658); ebd., G/10/1, Macassar Factory to the Court, 8.6.1660, 194 (1660). Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 259 lich nur darauf hin, daß das lokale Exportgut Reis in den 1610er Jahren zwischen acht und 20 mas pro koyang gehandelt wurde.718 Für andere Lebensmittel bleibt nur die Momentaufnahme des Jan Joosten von 1621, der neben den erwähnten Waren noch den Handel mit Hühnern, Büffeln und verschiedenen Arrak-Sorten bestätigt.719 Makassar als Relais des Molukkenhandels Nimmt man die Informationen, die Speelman für die Endzeit des freien Makassars lieferte, und diejenigen der anderen, im wesentlichen europäischen Quellen zusammen, ergibt sich trotz perspektivisch bedingter Lücken das Bild des merkantilen Systems Makassars. Dieses läßt sich aus räumlicher wie aus funktionaler Perspektive beschreiben. Hinsichtlich des räumlichen Systems kristallisieren sich Handelsräume mit unterschiedlich intensiver Anbindung an die Hafenstadt heraus: (1) Räume, die regelmäßig und mehrmals jährlich in kommerziellen Kontakt zu Makassar standen. Es handelte sich hierbei um Räume, für welche die Drehscheibenfunktion des Emporiums uneingeschränkt zum Tragen kam. Im einzelnen waren dies die Südhalbinsel Sulawesis und Buton, darüber hinaus die Südküste Kalimantans, die Molukken, Java, Sumatra, und Timor, schließlich die Sulu-See und die Philippinen, wo vorrangig die Insel Mindanao und die Kolonialstadt Manila in Frage kamen. Hinzu kamen die portugiesische Kolonialmetropole Macau und Kambodscha. (2) Räume, die ebenfalls mit einer gewissen Regelmäßigkeit kommerzielle Kontakte zu Makassar unterhielten, dies jedoch wesentlich seltener. Gegenden dieser Kategorie wurden einmal jährlich oder noch weniger angelaufen. Hierzu gehörten im Nahbereich die Ostküste Sulawesis und die vorgelagerte Inselgruppe Banggai, daneben Brunei auf Kalimantan und die Malaiische Halbinsel. (3) Räume, die nur selten und unregelmäßig im kommerziellen Kontakt zu Makassar standen. Hinsichtlich einer räumlich-hierarchischen Gliederung des merkantilen Systems Makassars handelte es sich hier allenfalls um semiperiphere Räume. Im Nahbereich gehörte hierzu wahrscheinlich die Insel Selayar, deren Zuordnung zu dieser Gruppe jedoch möglicherweise nur aus Quellenmangel zustande kommt. Darüber hinaus zählten Sumbawa, die übrigen kleinen SundaInseln einschließlich Bali, die Inselgruppen Tanimbar, Kay und Aru im Osten 718 JOOSTEN, Rapport, 371; BL London, OIOC, G/10/1, 3; ebd., E/3/5, Nr. 479, 32v; ebd., E/3/5, Nr. 525, 120; E/3/11, Nr. 1210, 60. 719 JOOSTEN, Rapport, 370-372. 260 Makassar und die Europäer vor 1666/69 des Archipels, aber die Koromandel-Küste und Golkonda in Indien zu dieser Gruppe. (4) Räume, die nur über eine indirekt kommerzielle Anbindung an Makassar verfügten. Damit lagen diese Gebiete an der Peripherie des makassarischen merkantilen Systems. Es handelte sich um China, das in der Regel über die Hafenstadt Macau angebunden wurde,720 sowie um den Kupferexporteur Japan, dessen Kontakte nach Makassar über das südostasiatische Festland abgewickelt wurden. (5) Räume ohne merkantile Anbindung an Makassar. Solche Gegenden wären an dieser Stelle nicht zu erwähnen – schließlich könnte hier die restliche Welt aufgezählt werden –, wenn es nicht einige zusätzliche Räume offenbar im folgenden Jahrhundert in das merkantile System Makassars einbezogen worden wären. Dabei handelte es sich vorrangig um die Nordküste Australiens, die für die trepang-Fischerei eine zunehmende Rolle spielen sollte,721 und um die Ostküste Kalimantans (Pasir, Kutai, Pulo Laut), die in den Hafenmeisterlisten des 18. Jahrhunderts noch eine Rolle spielen werden. Im funktionalen merkantilen System eines Emporiums lassen sich verschiedene Relaisfunktionen unterscheiden. Das Emporium konnte Knotenpunkt allein auf der ersten oder zweiten Ebene sein, das heißt Umschlagplatz für Waren, die aus weiter Distanz für einen fernen Bestimmungsort eintrafen. Es konnte die gleiche Funktion allein auf der dritten Ebene spielen, also aus der Region stammende Waren für andere regionale Ziele umschlagen. Es konnte aber auch, und hier liegt die wesentliche Funktion eines Emporiums, diese beiden Ebenen verbinden, das heißt entweder Waren, die aus weiten Entfernungen über den Langstreckenhandel angelangt waren, in den regionalen Handel einspeisen, oder umgekehrt, die Produkte des Nahbereiches oder der Region für den Fernhandel bereitstellen. Die Regionen des räumlichen merkantilen Systems lassen sich diesen funktionalen Kategorien nicht äquivalent zuordnen; insofern stehen diese beiden Sichtweisen eines merkantilen Systems eigenständig, allerdings auch sich ergänzend, nebeneinander. Insbesondere die Rolle der Europäer kommt an dieser Stelle zum Tragen und modifiziert das System. Strenggenommen könnte man auf Grund ihrer Aktivität auch von Europa als einem durch die Kompanien – zumindest indirekt – angebun720 Unter Umständen waren die direkten Kontakte Chinas nach Makassar doch etwas intensiver, wenn man die von der EIC gemeldete Junke im Jahre 1615 nicht für einen als solchen schwer zu erklärenden vereinzelten Zufall ansehen will. 721 Grundlegend zu diesem Kontakt im 19. Jahrhunderts siehe MACKNIGHT, Macassans, und DERS., Voyage. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 261 denen Raum sprechen. Allerdings wäre dies eine äußerst abstrakte, weil zeitgenössisch in Makassar so nicht erfahrbare Anbindung. In der erfahrbaren Realität banden die Vertreter der Kompanien eher Orte wie Batavia, Banten oder auch Tranquebar in das makassarische merkantile System ein, die sich wiederum innerhalb des geschilderten räumlichen Systems befanden. Das räumliche merkantile System bezieht sich auf tatsächliche Handelsfahrten, die Orte oder Regionen miteinander verbanden; das funktionale merkantile System bezieht sich auf Funktionsebenen und auf die Warenströme, die sich auf ihnen bewegten. Diese Warenströme lassen sich in ‚Hauptwaren‘, die regelmäßig in einer Handelssphäre umgeschlagen wurden, und in ‚Ergänzungswaren‘, die nur unregelmäßig, wenn sich gerade eine Gelegenheit dazu bot, zusammen mit anderen verschifft wurden, unterteilen. Für Makassar ergeben sich in dieser Betrachtungsweise Funktionsbereiche mit unterschiedlicher Bedeutung: (1) Warenumschlag auf den überregionalen Handelsebenen: die ‚Hauptwaren‘ bestanden hier vor allem aus Textilien und Schildpatt, während die ‚Ergänzungswaren‘ neben Zucker vorrangig chinesische Waren (Pozellan, Seidenprodukte, Metallprodukte) umfaßten. (2a) Warenumschlag von der regionalen auf die überregionalen Handelsebenen: die ‚Hauptwaren‘ waren hier Molukkengewürze (Nelken, Muskatnüsse, Macis), Pfeffer, Textilien, Sklaven, Sandelholz, Schildpatt und Wachs. Die ‚Ergänzungswaren‘ waren Sappanholz, wilder Zimt, Gold, Rattan und Kattungarn. (2b) Warenumschlag von den überregionalen auf die regionale Handelsebene: die ‚Hauptwaren‘ umfaßten erneut Textilien sowie den gängigen chinesischen Importwaren (Porzellan, Seidenprodukte, Metallprodukte), daneben Kupfer, Messing und Benzoin, während die ‚Ergänzungswaren‘ Indigo, Elfenbein, KauriSchnecken, Schwefel, Zucker, Tabak, Gummilack und Radix China waren. (3) Warenumschlag auf der regionalen Handelsebene: die ‚Hauptwaren‘ in diesem Funktionsbereich waren Textilien und Sklaven, als ‚Ergänzungswaren‘ sind regionale Metallwaren (Schwerter, Beile, parang), Kattungarn, Luxusgütern wie Gold, Goldwaren oder Bernstein, sowie Nahrungs- und Genußmitteln wie Tabak, Kampfer und alle regionalen Lebensmittel außer Reis zu nennen. Hinzu kamen auch gelegentlich lebende Güter wie Pferde oder Büffel aus Sumbawa. (4) reiner Export, das heißt der Warenumschlag von der vierten auf die dritte Handelsebene: bei der einzigen in großen Mengen exportierten ‚Hauptware‘ handelte es sich um Reis, während es sich bei den ‚Ergänzungswaren‘ vorrangig um 262 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Textilien gehandelt haben dürfte, auch wenn dies nur schwer nachweisbar ist. Dies ist dennoch wahrscheinlich, da beispielsweise bugineese kleeden auch im unmittelbaren Hinterland Makassars hergestellt wurden, zumal die Grenzen zwischen den „Regionen“ der vierten und der dritten Ebene fließend waren. (5) reiner Import, das heißt der Warenumschlag von einer der ersten drei Ebenen auf die vierte Ebene: die Aussagekraft der Quellen stößt hier an ihre Grenzen. Es kann jedoch mit Recht angenommen werden, daß die Mehrheit der in Makassar umgeschlagenen Waren dort auch zumindest in kleinen Mengen zum Zweck des Konsums weitergehandelt wurde. Zwei Punkte sind in dieser Übersicht besonders augenfällig. Dies ist zum einen die besondere Stellung des Molukkenhandels. Betrachtet man die von den Quellen überlieferte Frequenz der Verbindungen zwischen Makassar und den Molukken, zeigt sich, daß im räumlichen merkantilen System neben dem Nahbereich der Südhalbinsel Sulawesi sowie Butons die Inselwelt der Molukken am besten angebunden war. Unzweifelhaft war zur Zeit ihrer großen Blüte die Stadt Makassar ein entscheidenden Relais des Molukkenhandel. Hinsichtlich des funktionalen merkantilen Systems fällt die herausragende Stellung des Textilienhandels auf. Als einziges Produkt waren Textilien beinahe in allen funktionalen Bereichen vertreten. Die bedeutende Rolle der Textilien in Makassar entsprach der generellen Bedeutung dieses Handelsgutes im gesamten Malaiischen Archipel. Während die Gewürze der Molukken sehr spezielle Handelsgüter waren, die sehr spezielle Wege nahmen, jedoch auf Grund ihres Wertes und der spezifischen europäischen Nachfrage deutliche Spuren in der Handelswelt des Archipels hinterließen, waren die Textilien universelle Handelsgüter, die zumindest hinsichtlich der Menge, wahrscheinlich aber auch hinsichtlich des umgeschlagenen Warenwertes die eigentlich primäre Warengruppe im Archipel ausmachten. Die Position Makassars als bedeutendstem Relais des Molukkenhandel seit dem Fall Malakkas blieb nicht lange unangefochten. Die ‚terms of trade‘ wandelten sich im Laufe der Jahrzehnte sichtlich; die wirtschaftliche Situation des Emporiums geriet mehr und mehr unter Druck. Direkt oder indirekt gegen Makassar gerichtete Maßnahmen der VOC zeigten zunehmend ihre Wirkung. Allerdings handelte es sich in erster Linie um einen zunehmenden Druck auf den Gewürzmarkt und den makassarischen Molukkenhandel. Die negative Entwicklung auf dem makassarischen Gewürzmarkt erreichte ihren ersten Höhepunkt im Jahr 1643. Die EIC-Angestellten Francis Mountfort und Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 263 Christopher Willoughly berichteten im März des Jahres der Presidency in Banten, daß Makassar nicht mehr wie früher mit Nelken, Schildpatt und anderen Waren beliefert wurde, da die in Makassar residierenden Malaiien die notwendigen Reisen aus Furcht vor den Niederländern nicht mehr unternehmen wollten. Wenn dies so bliebe, würde Makassar nach Einschätzung der Berichterstatter zu einer unprofitablen Faktorei werden, da die Insel selbst nichts als Reis produzierte. Andererseits haben sich die Ambonesen mit dem Angebot an den König von Makassar gewandt, daß sie, wenn die Malaiien oder die einheimischen Händler die benötigte Bewaffnung bereit stellten, jährlich 300 bis 400 bahar Gewürznelken zusagen könnten. Wenn diese militärische Unterstützung nicht gegeben werden könnte, würden sich die Ambonesen von Makassar abwenden und die Niederländer würden den Profit machen, wodurch die britische Faktorei unprofitabel würde.722 Im Dezember berichtete die Presidency bestätigend, daß die Niederländer den herkömmlichen Gewürzhandel endgültig unterbunden hätten, so daß nur noch ein britisches Schiff in Makassar seine Waren hatte absetzen können, den Gegenwert jedoch nur in Gold zurückbringen konnte.723 Einige Jahre später, 1649, erwies sich der Markt in Makassar als völlig leergefegt, als Thomas Penniston die Stadt aufsuchte, um die Waren seines eigenen Schiffes und diejenigen, welche ein anderes im Vorjahr angelandet hatte, zu verkaufen. Sein Ziel war es, große Investitionen in Nelken und Benzoin zu tätigen und darüber hinaus 26.000 mas zurückzubehalten, um zum nächsten Monsun Benzoin, Pfeffer und Schildpatt zu erwerben. Direkte Einkäufe erwiesen sich jedoch als unmöglich; keinerlei Nelken waren in der Stadt zu erwerben, und auch bezüglich des Benzoin waren nur Versprechungen zu erhalten. Wegen kriegerischer Konflikte im Herkunftsland fehlte auch der chinesische grüne Ingwer, der gelegentlich als noch leidlich lukratives Ersatzprodukt für den europäischen Handel diente.724 Drei Jahre später berichtete die Bantam Agency der Presidency in Madras, daß in Makassar nichts außer Sandelholz erhältlich wäre. Daher bezog die Kompanie aus dem einstmaligen Umschlagplatz für Gewürze nur noch Bargeld und Edelmetalle für ihre Waren.725 Erst 1653 gelang es der EIC auf ausdrückliche Anweisung aus Banten, alles verfügbare 722 BL London, OIOC, E/3/18, Nr. 1822, True Relation of the State of Macassar at the departure thence of Francis Mountfort and Christopher Willoughly, delivered to the Presidency in Bantam, 22.3.1643, 207. 723 Ebd., G/10/1, Bantam to the Court, 9.12.1643, 81. 724 Ebd., G/10/1, Agency of Bantam to the Court, 11.1.1650, 88, bestätigt vom niederländischen Residenten in Bantam: Generale Missiven III, 24.12.1655, 43. 725 Ebd., E/3/23, Nr. 2284, Bantam Agency to Madras Presidency, 25.9.1652, 67v. 264 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Geld in Nelken anzulegen, erstmals wieder 50 bahar zu erstehen.726 Trotz der gerade zu dieser Zeit besonders schwierigen Lage waren in den 1650ern durchaus wieder Nelken auf dem makassarischen Markt zu erstehen. 1655 brachte die Schaluppe ‚Mellony‘ eine Ladung von 16 Sack („suckles“) von Makassar nach Banten,727 im Jahr darauf die ‚Three Brothers‘ sogar 194 Sack, begleitet von einer größeren Menge grünen Ingwers aus China, ein wenig Zimt, sowie 333.667 Pfund Pfeffer und drei Körbe Schildpatt.728 Bereits in den Jahren vor der Eroberung durch die VOC zeichnete sich ab, daß Makassar seine Relaisfunktion im Molukkenhandel verlieren würde. Die zunehmende Angebotsknappheit und dadurch dramatisch steigende Preise, die offenbar auch andere Warengruppen mitzogen, ließen den Gewürzmarkt mehrfach zusammenbrechen. Verstärkt wurde dies durch den Umstand, daß es sich um einen überaus nervösen Markt handelte, da bis zu seinem Ende eine im Verhältnis zum Angebot übergroße Schar an Kaufleuten begierig auf die nächste Lieferung wartete und beim Einkauf offenbar zu allerlei Risiken bereit war, insbesondere natürlich zur Zahlung beinahe jeden erdenklichen Preises. Dieses Verhalten heizte die Preisentwicklung weiter an und führte dennoch zum wiederholten Aufkauf des gesamten Angebotes. Die unglücklichen monetären Experimente des Herrschers von Makassar konnten diese Situation allenfalls verschärfen – eine wesentliche Ursache waren sie nicht. Daß sich eine derart nervöse Situation in der Preisentwicklung auch auf andere Luxusgüter auswirkte, zumal solche gerne als Ersatz von den unter Erfolgsdruck stehenden Kompanie-Kaufleuten angekauft wurden, kann nicht verwundern. Dennoch wurden bis zum Ende der Unabhängigkeit Makassars über dieses Relais die Gewürze verkauft, auf welche die VOC einen Monopolanspruch erhob. Allen Maßnahmen zur Monopolisierung und allen Zwangsmitteln zum Trotz konnte sich Makassar zumindest mit einem Bein in dem Spiel um die Vorherrschaft auf dem Gewürzmarkt halten, so daß sich die Kompanie zur gewaltsamen Beseitigung des Konkurrenten gezwungen sah. Die Versuche, Makassar handelsstrategisch auszuhungern, hatten zwar tiefgreifende Folgen, führten jedoch nicht endgültig zum Erfolg. 726 Ebd., E/3/23, Nr. 2284, Bantam Agency to Madras Presidency, 15.2.1653, 69v. 727 Ebd., E/3/24, Nr. 2484, Agency of Bantam to the Presidency of Madras, 22.6.1655, 258. 728 Ebd., G/10/1, William Curtis and John Chamber (‘Three Brothers’, Bantam Road), 20.7.1656, 128. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 265 4. Die Händlergesellschaft Makassars Makassar als multiethnische Händlergesellschaft Im 17. Jahrhundert lebte in Makassar eine Vielfalt an Nationen, die dort nicht nur Handel trieben, sondern Niederlassungen errichteten oder auch ganze Stadtviertel entstehen ließen. Die Beschreibung, die der Niederländer Hendrik Kerckringh 1638 nach seinem Besuch in Makassar niederschrieb, bietet ein erstes Bild der Situation: „D’Engelse en Deenen hebben daer meede ontrent een gootelingh schoot aende Noort sijde vant fort Sambopo ider een bequame woningh. [...] De Maleyers werden aldaer in goede estime gehouden. Sijn luyden van groote middelen, hebben haer wooningh in de negeryen gebreydelt onder de huysingh der Macassaren. Tot heeden is haer vaert meest geweest om December, January en February over Boutton naer Amboina, tot welcken eynde wt Macassar met veel cleeden, rijs, porceleynen, doch meest Realen in specie vertrocken; als van hier gaen, dien ordinaris on passant Boutton aen, alwaer soo veel doecken tegens slaven haer quyt maecken als gevouchelijck conden voeren ofte becomen, waermede dan recht door naer de quartieren van Amboina tenderen, daer tot Juny, Julij, Augustij ende September in de nagelhandel bleeven. Dit is jaerlijcx met joncken, opgeboeyde tingans en andere prahuen tot 25, 30, 40 in getal, somtijts minder en oock merder geschiet. Naer wij berecht, sijn en staet oock te gelooven, hebben van daer in een mousson Macasser 1.000 baer toegebracht. [...] De Portugeesen houden haer residentie aldaer aen de Noortsijde, dicht aen fort, in huysingh van bamboesen opgemaeckt. Een woningh om hun sacrafitie te doen is hun van den Coninck vergunt. [...] Aende Noortsijde vant fort Sambopo tusschen d’Engelse logie entvoorsz. fort heeft den Coninck een huys de Nederlantse Compie doen bouwen [...] om op onse aldaer voor eerst in geaccomodeert te connen werden. [...] Soo d’onse aldaer verschijnen dal alle de bijstaende huysingh affgebroocken werden en een royale woningh nevens d’Engelsen en Deenen ons werden vergunt.“729 Kerckringh beobachtete die für ihn augenscheinlich wichtigsten Handelsnationen in Makassar. Dabei handelte es sich einerseits um Europäer, eingeteilt in solche, die eine Handelskompanie vertraten, und jene, deren Präsenz den der asiatischen Handelsnationen ähnelte, namentlich die Portugiesen. Die größte Aufmerksamkeit erfahren bei Kerckringh allerdings die Malaiien, die sowohl von der Größe ihrer Gemeinde als auch von der Bedeutung ihrer Molukkenfahrt mit bis zu 40 Schiffe im Jahr her die wichtigste Handelsdiaspora darstellten. Nach Kerckringh siedelten sie verstreut unter den Einheimischen, im Gegensatz zu manchen gegenteiligen Annahmen, wie sie beispielsweise bei David Bulbeck und Campbell Macknight zu finden sind. Ein eigenständiges Malaiien-Viertel entstand nach Angaben des niederländischen Beobachters, der immerhin eine Zeitlang in der Stadt lebte, nicht.730 729 Bouwstoffen II, Nr. LXXV, ‚Corte Remonstrancie‘ des Oberkaufmanns H. Kerckringh, 24.9.1638, 335-337. 730 David Bulbeck siedelt die Malaiien an der Küste nördlich von Sombaopu und südlich des portugiesischen Quartiers an (BULBECK, New Perspectives, 12). Campbell Macknight übernimmt diese Sichtweise 266 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Diese auffällig große Malaiiengemeinde ging zum Zeitpunkt des Besuches Kerckringhs auf eine langfristige, ein bis anderthalb Jahrhunderte umfassende Entwicklung zurück. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts etablierten sich in zunehmend Angehörige dieser ethnischen Gruppe in Makassar – eine Entwicklung, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts durch die Niederländer noch gesteigert wurde. Es genügt in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß vor der eigentlichen Eroberung im Jahr 1641 die malaiische Metropole Malakka von der VOC mehrfach blockiert wurde und sich die Vorgehensweise der Kompanie in West-Indonesien zu dieser Zeit allgemein durch zunehmende Aggressivität auszeichnete, welche die merkantile Entfaltung der Malaiien zunehmend behinderte. Bereits unter der Herrschaft Tunipalanggas (1548 – 1566) wurde den Malaiien das erste bekannte Privileg durch den makassarischen Herrscher verliehen. Ihnen wurde zugestanden, daß ihre Grundstücke und ihre Häuser nicht betreten wurden und daß die lokalen Privilegien hochgestellter Adeliger oder des Herrscherhauses auf ihr Eigentum und ihre Kinder keine Anwendung fanden.731 Andere asiatische Handelsnationen erwähnt Kerckringh nicht. Dies mag in erster Linie daran liegen, daß ihm der nötige Erfahrungshintergrund fehlte, um Bugis, die mit Sicherheit in großer Zahl, jedoch ohne geschlossene Siedlungszusammenhänge in der Stadt lebten, von den einheimischen Makassaren unterscheiden zu können.732 Solche diffizilen Unterscheidungen waren der VOC erst möglich, als sie selbst die Verwaltung der Stadt übernommen hatte. In den Quellen des 18. Jahrhunderts war nicht nur die separate Identifikation von Makassaren und Bugis, sondern auch ihre Unterteilung in verschiedenen Herkunftsgruppen eine Selbstverständlichkeit. Auch andere Quellen erwähnen nur selten weitere asiatische Nationen. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, daß in Makassar parallel zu den Verhältnissen in anderen Emporien der Zeit und auch parallel zu den Verhältnissen im Privathandel des 18. Jahrhunderts weitere, wenn auch kleine Handelsdiasporas ihren Geschäften nachgingen. Die europäischen Quellen spiegeln in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts vor allem die zweite Ansiedlungswelle wieder, die nach den zahlreichen Niederlassungen von Malaiien und Einwohnern Sumatras anzusiedeln ist und sich (MACKNIGHT, Early History, 24). John Villiers Beschreibung hingegen entspricht den Angaben Kerckringhs (VILLIERS, Makassar, 150). 731 REID, Rise of Makassar, 138; DERS. Pluralism, 66. Unter Malaiien wurden in Makassar die Träger eines geschnürten Sarong verstanden, wie es für Pahang, Patani, Campa, Minangkabau und Johor typisch war; dies bedeutet, daß sich hinter dieser Bezeichnung auch Seefahrer aus Sumatra verbergen konnten. 732 In der Überlieferung der buginesischen Wajos machte erst ihre Ansiedlung die Stadt Makassar für andere Händlernationen, die ihnen bald nachfolgten, attraktiv (NOORDUYN, Merchants‘ Community, 100). Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 267 durch die zunehmende Präsenz der Europäer auszeichnet. In einem turnusmäßigen jährlichen Brief vom 15.10.1648, den die Leitung der Jesuiten-Provinz Japan an ihre Zentrale im indischen Goa sandte, wurde entsprechend über Makassar berichtet: „Reside em porto do mar, aonde vão juntamente e tem suas feitorias Castelhanos, Ingrezes, Olandezes, Dinamarquezes e outras naçõis aqui circumvizinhas. A mercancia hé muito livre, o trato facil e dezembaraçado sem alfandigas e outras pençõis que sabemos aver em outras partes.“733 Ein knappes Jahrzehnt später war in der entsprechenden Quelle abermals von der Hafenstadt in Süd-Sulawesi die Rede: „Pera que hé necessita quem está à vista de mouros, de Malayos, de Chinas, de Castelhanos, de Inglese, de Olandeses e de outras muitas nasçoens que naquelle imperio [d.i. emporio] comercão.“734 Immerhin erwähnt der Bericht von 1656/57 neben den Spaniern, Engländern und Holländern auch weitere asiatische Nationen: die bereits erwähnte Malaiien, aber auch Inder („mouros“) und Chinesen. Bei letzteren handelt es sich wahrscheinlich um den einzigen Beleg von in Makassar siedelnden Chinesen vor der niederländischen Eroberung. Beide Berichte fügen außerdem hinzu, daß wohl weitere regionale Nationen („outras naçõis aqui circumvizinhas“ bzw. „outras muitas nasçoens“) Handel in dem Emporium trieben, ohne daß auf diese weiter eingegangen wird oder werden konnte. Die Portugiesen, die größte Gruppe unter den Europäern, siedelten seit 1641, seit ihnen nach dem Fall Malakkas ein eigenes Viertel zugewiesen worden war, schwerpunktmäßig in Borrobos, ca. drei Kilometer nördlich des Herrschersitzes Sombaopu. Zwischen diesen beiden Örtlichkeiten waren die Faktoreien der englischen, der niederländischen und der dänischen Ostindien-Kompanie angesiedelt.735 Daneben waren offenbar auch weniger bedeutende europäische Gruppen in Makassar zu finden, diese aber offenbar mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Zunächst ist auf die bereits von den Jesuiten erwähnten und in den makassarischphilippinischen Handelsbeziehungen die zentrale Rolle spielenden Spanier hinzuweisen. Schon relativ früh finden sich gelegentlich Erwähnung durchreisender Spanier, wie beispielsweise für 1626.736 Spanische Handelsschiffe befuhren im Malaiischen Archipel vor allem die Route von den Molukken – hier vor allem Ternate – oder aus Kambodscha kommend via Makassar nach Manila.737 Die Bedeutung Makassars scheint für die Spanier sogar noch zugenommen zu haben. 1646 wird Pedro de la Matta, ein hochrangiger Vertreter der spanischen Krone, als spanischer Resi733 734 735 736 737 Jesuit Makasar Documents, Nr. 22, jährlicher Brief des Baltasar Caldeira aus Macau von 1648, 77-81, § 5. Ebd., Nr. 42, jährlicher Brief der Provinz Japan von 1656/57, 144/145, § 3. Ebd., Nr. 36, Bericht des António Francisco Cardim von 1650/52, 114-118, § 8. Generale Missiven I, 13.12.1626, 227. SOUZA, Survival, 101/102. 268 Makassar und die Europäer vor 1666/69 dent erwähnt, der im Vorjahr aus Manila eingetroffen war; diese Erwähnung wiederholt sich noch einmal 1647.738 Die Aufrechterhaltung des Manila-Handels über Makassar war den Spaniern offenbar so wichtig, daß sie für eine eigene diplomatische Vertretung bei den Herrschern von Goa und Tallo sorgten. Daneben lassen sich auch private französische Händler nachweisen, die 1622 aus St. Malo nach Makassar kamen.739 Sie traten zwar nur sporadisch in Erscheinung, wurden jedoch von den EIC-Residenten zumindest als ernstzunehmende Konkurrenten angesehen. Makassar spielte demnach für alle europäischen Beteiligten am Handel innerhalb des Malaiischen Archipels durchaus eine Rolle, wenn auch von unterschiedlicher Gewichtung. Zwar kann man für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht von einer zunehmenden Europäisierung der Stadt sprechen, doch eroberte sich Europa im Gefüge der ansässigen Handelsnationen bereits vor der gewaltsamen Einnahme durch die Niederländer eine zentrale Stellung in dem Emporium. Diese Entwicklung konnte auch den Herrschern nicht entgehen. Am 15.5.1651 wurde ein Ratsherr am Hofe ernannt, der ausschließlich für die Belange der ansässigen Europäer zuständig war.740 Neben den früh privilegierten und sich selbst verwaltenden Malaiien waren nun offiziell die Europäer getreten – von makassarischer Seite tendenziell eher als eine mehr oder weniger einheitliche Gruppe gesehen. Die Portugiesen in Makassar Sieht man von kultureller Herkunft, Sprache und Religion ab, ähnelten die Portugiesen in Makassar weitaus mehr den asiatischen Handelsnationen als den Europäern, die als Vertreter einer Handelskompanie in der Stadt residierten. Makassar war nie ein offizieller Verwaltungssitz im System des Estado da India, von denen lediglich das indische Goa und Macau das 17. Jahrhundert überdauern konnten. Die Portugiesen, ob als offizielle Vertreter oder in zunehmenden Maße als private Händler und Siedler, ließen sich entsprechend nicht in einer eigenen Faktorei oder ihrem Umfeld nieder, sondern bildeten nach Vorgabe des makassarischen Königs ein eigenes Stadtviertel, wo sie laut Kerkringh in landestypischen Bambus-Häusern wohnten. Sie bewegten sich in der Stadt wie alle andere asiatischen Nationen auch. Vor der Fluchtwelle des Jahres 1641 handelte es sich zwar nur um eine relativ kleine Ko738 Bouwstoffen III, Nr. XLIII, Brief des Cornelis van der Lijn and die Bewinthaber, 21.12.1646, 276; Nr. LII, Brief des Cornelis van der Lijn an die Bewinthaber, 31.12.1647, 334. 739 REID, Pluralism, 57. 740 Transcriptie, 111. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 269 lonie von maximal 50 Personen, von der Jan Joosten im Jahr 1621 zu berichten weiß, doch waren sie immerhin ständig in Stadt und Hafen präsent und konnten dort ein nicht ganz unerhebliches Kapital von 40.000 Real einsetzen.741 Joosten berichtete weiter: „Den 5en Augusty op Donderdach omtrent den avond weder bij syne Majesteit geweest ende soo van hem als van andere verstaen, alsdat d’Portugiesen op Macassar meer als met 12 a 13 derley vaertuych jaerlycx comen; soo 2 galleyen ende fregatten van de Molucos d’welcke daer naegelen brengen, en de reste van Malacca soo joncken ende fregatten, die de nagelen opcoopen tegen 150 en 160 R d’bhaar, ende d’bhaer noten a 40 realen; d’foelie ten 160 R; die se van de joncken coopen, soo Macassaren, Javanen ende Maleijen also uit Banda comen; oock soo vercoopen se de Engelsen tot dselve prijs ende als de fregatten ende joncken van Malacca geen nagelen, foelye noch nooten connen becomen, neemen alsdan op Macasser rijs in, daer mede syluyden met cleyne winst naer Malacca gaen, want op Malacca de Portugiesen voor den coninck gerechticheijt van 9 ten hondert moeten geeven ende den hondersten penning, voor de stadt comende 10 ten hondert.“742 Es muß ein beträchtlicher Seehandel gewesen sein, der über diese relativ kleine Kolonie abgewickelt wurde, wenn Joosten von 12 oder 13 portugiesischen Schiffen berichten kann, die zwischen Malakka und Makassar verkehrten, und darüber hinaus von zweien, die jährlich die Molukken besuchten. Die Portugiesen waren damit die einzigen Europäer, die von Makassar aus trotz der Monopolansprüche der VOC direkt die Gewürzinseln ansteuerten.743 In diesen Jahrzehnten konzentrierten sich die Portugiesen ganz auf den Gewürzhandel, dessen wesentlichen Umschlagplatz sie nach wie vor kontrollierten. Andere Waren spielten für sie in Makassar keine wesentliche Rolle; Reis diente nur als Ersatz, wenn es einmal überhaupt nicht möglich war, Nelken oder Muskat zu erstehen.744 Diese Orientierung ging sogar so weit, daß die Portugiesen gelegentlich bereit waren, ihre nach Makassar importierten indischen Textilien dort zum Einkaufspreis abzusetzten, wie ein englischer Bericht von 1614 belegt.745 Der Textilienhandel spielte in den Augen der Iberer keine eigenständige Rolle, vielmehr dienten Textilien in erster Linie zur Wertaufbewahrung ihrer Zahlungsmittel, die sie für den Erwerb der begehrten Gewürze benötigten. Neben der lebhaften Verbindung nach Malakka und den eigenen Besuchen auf den Molukkeninseln unterhielt die portugiesische Kolonie noch Beziehungen zu ihren Landsleuten auf Timor und Solor. Dort war es den Portugiesen während der 741 742 743 744 JOOSTEN, Rapport, 371. Ebd., 370/371. Dies wird auch von britischer Seite bestätigt: Letters II, Nr. 142/1, 31. Neben dem Bericht von Joosten wird diese einseitige Ausrichtung auch von dem englischen Residenten George Cockrayne 1615 bestätigt: BL London, OIOC, G/10/1, George Cockrayne (Makassar) to Gov. Thomas Smith (Banten), 16.7.1615 2-3. 745 Ebd., E/3/2, Nr. 142, George Cockrayne (Makassar) an Cpt. Jourdain (Banten), 24.4.1614, 12. 270 Makassar und die Europäer vor 1666/69 ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gelungen, durch erfolgreich gepflegte Beziehungen zu den Einheimischen eine längerfristige Etablierung der Niederländer zu verhindern und sich selbst eine starke Position zu erhalten.746 Von Timor und Solor aus wurden regelmäßige Verbindungen nach Malakka, Macau, Manila und eben auch nach Makassar aufrecht erhalten. Hier dürfte eine der wenigen Ausnahmen zu der Vorrangstellung des Gewürzeinkaufes zu finden sein, da Timor und Solor statt dessen das ebenfalls sehr begehrte Sandelholz lieferten, das vor allem via Macau nach China verkauft wurde.747 Eine andere, selten erwähnte Ausnahme war der Kauf von Sklaven vor allem auf Buton, wobei nicht klar ist, ob diese aus Gründen des Eigenbedarfs erstanden oder tatsächlich als Handelsware angesehen wurden.748 Daneben erreichten die Portugiesen in Makassar insbesondere in den zwei Jahrzehnten nach 1641, als sie eine der größten auswärtigen Bevölkerungsgruppen darstellten, eine einflußreiche politische Rolle in Goa-Tallo. Doch auch zuvor war der Einfluß deutlich gewachsen. Einerseits mag dies an der vergleichsweisen Nähe der Portugiesen zu den indigenen Handelsnationen gelegen haben, fehlte ihrem Auftreten doch der merkantile Vorherrschaftsanspruch, den vor allem die niederländische VOC vertrat. Auf dieser Basis konnte ein größeres Vertrauensverhältnis gedeihen als zu den privilegierten Handelskompanien, die zwar in der Regel freundlich aufgenommen, jedoch möglichst auf den Bereich ihrer Faktorei begrenzt wurden. Weitaus profaner, aber wohl auch weitaus wichtiger war jedoch der Grund, daß das Königreich Makassar in seinen langwierigen militärischen Auseinandersetzungen mit Nachbarn und in der Absicherung gegen die vordringende VOC von den Portugiesen durch Waffenlieferungen unterstützt wurden.749 1641 stieg nicht nur die portugiesische Bevölkerungszahl in Makassar sprunghaft an; von dem verlorenen Malakka wurden auch etliche wirtschaftliche, politische und religiöse Funktionen der in Südostasien ansässigen Portugiesen nach Makassar übertragen. Entsprechend dehnten sich die Handelsbeziehungen und Handelsfelder der portugiesischen Gemeinde aus, auch wenn sie ihren Handel letztendlich ganz auf Macau ausrichten mußte.750 Ein besonders augenfälliges Beispiel für die starke Position der Portugiesen in dem kurzen Zeitraum zwischen dem Fall Malakkas und der Eroberung Makassars stellt der Kaufmann, Diplomat und Politiker Francisco 746 747 748 749 750 Generale Missiven I, 13.12.1626, 226. Siehe hierzu PTAK, Solor und Timor; DERS., Transportation; VILLIERS, Derradeiras. Generale Missiven I, 22.12.1638, 669. Ebd. Zu diesem Handel siehe ausführlich PTAK, Handel. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 271 Vieira de Figueiredo (1624 – 1667) dar.751 Ein Bericht aus den Generalen Missiven von 1652 läßt – abgesehen davon, daß die ausführliche Erwähnung eines einzelnen Kaufmannes im Jahresbericht der VOC dessen Bedeutung bereits hervorhebt – die Vielfalt und den Umfang der Aktivitäten dieses Mannes deutlich werden: „Op den 27en february is op Macassar gearriveert den Portugesen edelman Francisco Viera de Figuredo, met sijn jacht comende van Masulipatnam ende Sant Thomé, medebrengende omtrent 500 packen cleden, waervan 200 d.os waren toebehorende den nabab, veltoversten van den Coningh van Golconda, 100 d.os voor sijne reeckeninge, so gesecht wert, de reste verscheyde Portugesen ende Mooren, van gelijcken 50 à 60 baeren root sandelhout, 60 bhaer wit sandelhout, twelck voorleden jaer derwaerts gevoert hadde, beneffens 80 picol ijser. Gemelte Viera hadde met sijn jacht Japara aengedaen, alwaer 60 packen cleden heeft gelost ende waren 40 persoonen, soo Portugesen als Mooren, te lande gegaen, die daer heeft moeten laten staen, also door harde westewinden die rhede heeft moeten verlaten; bracht mede brieven ende geschencken van den nabab aen den Coningh ende prince van Macassar, bestaende in: 1 Persiaense legertente, 1 malijrock, 1 alcoran, 1 costelijck roer ende 1 cruythoorn.“752 Vieira unterhielt Handelsverbindungen von Indien bis Java, von Macau über die Philippinen bis zu den Sunda-Inseln, die er teilweise selbst in unermüdlicher Reisetätigkeit aufrecht erhielt und teilweise von Makassar aus lenkte, wo er sich 1640 niedergelassen hatte. Dabei handelte er nicht nur mit den von den Portugiesen so begehrten Gewürzen, sondern bediente die gesamte Palette des regionalen Großhandels. Textilien aus Indien finden sich in dem angeführten Text wie auch in anderen Zeugnissen ebenso wie Eisenwaren oder gar Waffen. Einen besonderen Schwerpunkt seiner Tätigkeiten bildete der Handel mit Sandelholz, der auf der Strecke von Timor nach China über Makassar und Macau ansehnlichen Profit abwarf. Zum Erfolgsrezept Vieiras gehörte, zu allen in Südostasien auftretenden Handelsnationen – mit Ausnahme der Niederländer, die es vorzogen, sich als seine Feinde zu betrachten – gleiche unvoreingenommene kommerzielle Beziehungen zu pflegen und diese Beziehungen vorzugsweise durch persönliche Kontakte auf höchster Ebene zu untermauern. Noch kurz vor seinem endgültigen Aufbruch aus Makassar schloß er noch einen Liefervertrag mit der EIC ab, den er mit Hilfe eigener Schiffe erfüllte.753 Es ist in diesem Zusammenhang und in Anbetracht der Kargheit anderer Belege nicht auszuschließen, daß Makassars Kontakte zu dem Nabob von Golkonda ausschließlich den Aktivitäten Vieiras zu verdanken waren. In Makassar war Francisco Vieira schon bald einer der entscheidenden Akteure auf dem politischen Parkett der multikulturellen Händlergesellschaft Als der Missi- 751 Zur Biographie Vieiras siehe BOXER, Francisco Vieira, 1-53. 752 Generale Missiven II, 31.12.1653, 658. 753 VILLIERS, Especiallest Flowers, 173. 272 Makassar und die Europäer vor 1666/69 onar Domingo Navarette 1657/58 auf der Durchreise Makassar besuchte, spielte Vieira nicht nur die Rolle des großzügigen Gastgebers, er fädelte auch die Treffen zwischen Navarette und den beiden Herrschern des Doppelkönigtums ein und arrangierte die Treffen in seinem Haus. Traten die Herrscher von sich aus an Navarette heran, war es wieder Vieira, der an ihrer Seite auftrat.754 Er war Berater und Vertrauter der Könige, und gerade deswegen die richtige Anlaufstelle und der geeignete Vermittler, wenn es um Kontakte zum makassarischen Hof ging – eine Rolle, die nie ein Resident einer privilegierten Handelskompanie in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch nur annähernd hatte erreichen können. Nur ein wohlhabender und auch unter seiner Nation einflußreicher Portugiese konnte diese Position zum Ende der Unabhängigkeit Makassars erlangen. Ermöglicht wurde ein solches Vertrauensverhältnis durch die Kombination aus persönlichem Reichtum, weitreichenden Kontakten sowie der Rückendeckung des offiziellen Portugals, über die zu verfügen Vieira stets glaubhaft machen konnte. Hinzu kam die Zugehörigkeit zu einer Handelsnation, die sowohl eindeutig im europäischen „Lager“ stand als auch aus Sicht des Sultans über eine große Nähe zu den asiatischen Handelsnationen verfügte und so ein Stück „Normalität“ des lokalen Wirtschaftslebens repräsentierte. Die Hochphase der Portugiesen in Makassar währte nur kurze zwei Jahrzehnte. Erreichte sie zu Beginn der 1640er Jahre ihre Blüte durch den Zuzug einer ganzen portugiesischen Kolonie, verlor sie sich bereits zu Beginn der 1660er Jahre, als jene Kolonie dem unermüdlichen Druck der Niederländer weichen mußte, der nicht zuletzt auch auch der Beseitigung der portugiesischen Präsenz an einem Knotenpunkt des Molukkenhandels diente. Wiederholt wurde der Versuch unternommen, den makassarischen Herrschern dies als eine wesentliche Bedingung zu diktieren – im Vertrag von Bongaya letztendlich mit Erfolg. Bereits Ende 1662 berichtet der Generalgouverneur der VOC nicht ohne Genugtuung, daß die Mehrheit der Portugiesen Makassar bereits verlassen hatten.755 Francisco Vieira verließ Ende Februar oder Anfang März 1665 als einer der letzten Portugiesen Makassar. Er segelte nach Larantuka an der Ostspitze der Insel Flores und richtete dort sein letztes Hauptquartier ein. Seine Absicht, von dort möglichst bald nach Europa aufzubrechen, ließ sich nicht mehr verwirklichen. Er starb in Larantuka während der Blockade der Insel Flores durch die Niederländer, vermutlich im Sommer 1667. 754 Travels and Controversies, 115/116 755 Generale Missiven III, 26.12.1662, 414/415. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 273 Die Dänen in Makassar756 Neben den mächtigen, in der Geschichte Makassars deutliche Spuren hinterlassenden Ostindien-Kompanien der Niederländer und der Engländer war auch deren dänische Konkurrenz in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zeitweilig in der sulawesischen Hafenstadt präsent. Die Dänen gehörten zwar nicht zu den einflußreichsten Akteuren dieser Zeit, doch waren sie auch nicht ohne Bedeutung, zumal sich in dem Schicksal ihrer Niederlassung einige Facetten der allgemeinen Handelsgeschichte Makassars wiederspiegelt. Wie viele Ost- oder Westindische Kompanien in Staaten, die nicht zur ersten Reihe der europäischen Expansionsnationen zählten, war auch die Ostindisk Kompagnie Dänemarks ein Unternehmen, das vor allem von niederländischen Kaufleuten auf der Suche nach alternativen Anlagemöglichkeiten angeregt und letztendlich vor allem von dem privilegierenden Monarchen finanziert wurde.757 1615 traten zwei niederländische Kaufleute aus Amsterdam und Rotterdam an König Christian IV. von Dänemark mit dem Plan einer Dänischen Ostindische Kompanie heran. Dieser war von dem Vorhaben schließlich so überzeugt, daß er im März 1617 die ‚Ostindisk Kompagnie‘ privilegierte – eine Kompanie, die trotz der Beteiligung niederländischen Kapitals im wesentlichen von der dänischen Krone finanziert wurde.758 Die Kompanie unterhielt in erster Linie, wenn auch teilweise unter großen Schwierigkeiten, Handelsbeziehungen nach Indien, wo sie in Tranquebar an der Ostküste ihr Hauptquartier errichtete. Auf die Lukrativität des Handels in Makassar wurden die Dänen durch den privaten Handel aufmerksam, den Portugiesen, Mestizen und Muslims aus Negapatnam in Süd-Sulawesi trieben.759 Seit 1625 sind Dänen regelmäßig in Makassar nachweisbar.760 Hier unterhielten sie zumindest zeitweilig eine Faktorei in unmittelbarer Nähe der englischen und niederländischen Niederlassungen, die erst 1653 von dem letzten Residenten, Poul Hansen, aufgegeben wurde.761 Eine durchgehende Besetzung der Faktorei erscheint jedoch zweifelhaft, da offenbar auf Grund der teilweise sehr schlechten wirtschaftlichen Situation die in Makassar stationierten dänischen Kaufleute die Stadt gelegent756 Der aktuelle Forschungsstand zu diesem Thema wird zur Zeit repräsentiert von: DILLER, Dänen, 248252, und KRIEGER, Kaufleute, 58-65. 757 Als weiteres Beispiel mag die Brandenburgisch-Africanische Compagnie (BAC) zwischen 1682 und 1717 angeführt werden, siehe NAGEL, Brandenburgisch-Africanische Compagnie. 758 KRIEGER, Kaufleute, 27/28. 759 DILLER, Dänen, 249/250. 760 Generale Missiven I, 27.10.1625, 181. 761 KRIEGER, Kaufleute, 58, 61. 274 Makassar und die Europäer vor 1666/69 lich verließen, wenn sie keine Möglichkeiten mehr sahen, sinnvoll kaufmännisch tätig zu werden. So kehrte 1642 der damalige dänische Resident an Bord eines malaiischen Schiffes der ihm anvertrauten Faktorei den Rücken.762 Wann genau die dänische Faktorei besetzt war, läßt sich nicht mehr genau rekonstruieren. Besser sind die Informationen zum Schiffsverkehr. Nach derzeitigem Kenntnisstand liefen in der Zeit zwischen 1624 und 1664 insgesamt 22 dänische Schiffe das Emporium an.763 Für die Jahre nach 1639 liegen keine Quellenangaben über die in Makassar eingekauften Waren vor. Da es sich im wesentlichen um die 1640er Jahre handelt, in denen in Makassar durch eine weitgehend erfolgreiche niederländische Monopolpolitik nur sehr spärliche Gewürzmengen auf den Markt kamen, dürfte auch der dänische Einkauf relativ unbedeutend gewesen sein. In den ersten beiden Jahrzehnten ihrer Präsenz war das Geschäft der Dänen vielversprechender. Zumindest zeitweilig scheint Makassar der dänischen Kompanie so wichtig gewesen zu sein, daß ihr Generaldirektor Roland Crappé einige Male zwischen 1628 und 1632 persönlich von Tranquebar nach Makassar reiste.764 In den 1620er Jahren wurden pro Reise zwischen 40 und 100 bahar Nelken eingekauft, in den 1630er Jahren steigerte sich dies auf Mengen zwischen 245 und 400 bahar, begleitet von nicht unbeträchtlichen Mengen Sandelholz (zwischen 33 und 80 bahar). Auch waren insgesamt offensichtlich mehr Schiffe für Makassar bestimmt, als letztendlich ihr Ziel erreichten. Dank einer Meldung der britischen EIC ist bekannt, daß 1653 eine dänische Jacht auf dem Weg nach Makassar in der Java-See verunglückte. Das Schiff ging nicht gänzlich verloren, konnte aber den Weg nach Sulawesi nicht fortsetzen, sondern mußte seine Waren im nächstgelegenen Hafen, in Jepara, verkaufen, um von dort ohne Fracht nach Banten zu segeln.765 Von Seiten der niederländischen Konpanie wurde Anfang 1660 berichtet, daß sich ein weiteres dänisches Schiff auf dem Weg nach Makassar befunden haben soll.766 Über den Verbleib dieses Schiffes ist nichts weiteres bekannt. Erwartet hatte die Dänen sowieso niemand mehr. Die beiden Schiffe ihrer Kompanie, die sich 1649 in Makassar aufhielten, hatten solch schlechte Bedingungen vorgefunden, daß die EIC nicht mehr mit einer Rückkehr der Dänen rechnete.767 Für gut zehn Jahre behielt sie mit 762 Generale Missiven II, 12.12.1642, 161. 763 KRIEGER, Kaufleute, 58-60, 62-64; DILLER, Dänen, 250; über die Jahreszahl des ersten dänischen Schiffes in Makassar (1624 oder 1625) sind sich die beiden Autoren uneinig. 764 Generale Missiven I, 1.12.1632, 339; KRIEGER, Kaufleute, 59. 765 BL London, OIOC, E/3/23, Nr. 2284, Bantam Agency to Madras Residency, July 1653, 74/74v. 766 Generale Missiven III, 16.1.1660, 311. 767 BL London, OIOC, G/10/1, Agency of Bantam to the Court, 11.1.1650, 88. Der Aufstieg Makassars zur Handelsmacht 275 dieser Prognose auch recht. Immerhin war die Erinnerung an die Handelsmöglichkeiten in Makassar bei den Dänen wohl gut genug, um in den 1660er Jahren noch einmal den einen oder anderen Versuch zu starten. Diese blieben jedoch, wie für 1664 nachweisbar, erfolglos. In Makassar versuchten die Dänen in erster Linie indische Textilien von der Koromandel-Küste abzusetzen. Dabei handelte es sich vor allem um Sallampoeries in Blau, Schwarz oder Rot, daneben um Tuche, die in unmittelbarer Umgebung ihres Hauptstützpunktes Tranquebar produziert wurden. Der Absatz stieß jedoch gelegentlich trotz der grundsätzlichen Offenheit des makassarischen Marktes für diese Produkte auf Schwierigkeiten, die ein Ausweichen nach Jepara und Cirebon auf Java oder nach Sukadana auf Kalimantan erzwangen.768 Grund hierfür war die große Konkurrenzsituation in Makassar, denn alle Handelsnationen, die hier die begehrten Gewürze erstehen wollten, führten als Gegenwert Textilien ein, so daß der Markt in unregelmäßigen, aber sicherlich nicht allzu großen Abständen von indischen Tuchen überschwemmt wurde. Der Absatz von Textilien allein reichte zur Kostendeckung bei weitem nicht aus. Häufig mußte die Dänische Kompanie vor Ort Kredite aufnehmen, um den Einkauf von Gewürzen finanzieren zu können. Insgesamt kamen 3.000 Real bei englischen Kaufleuten, also wohl bei der Faktorei der EIC, 10.000 bei einheimischen Händlern, dem üblichen Quellenduktus folgend also vornehmlich bei Makassaren und Malaiien, und 13.000 bei dem Nayaka von Tanjore, einem lokalen Fürsten unter der Hoheit von Goa-Tallo, zusammen. Als 1638 die dänischen Schiffe Sulawesi verließen, ließen sie alleine für ihre Fahrt 7.000 Real an Verpflichtungen zurück; für 1641 beziffert die VOC die dänische Verschuldung in Makassar mit 9.000 Real, die bis 1644 jedoch hatten halbiert werden können.769 Eine zusätzliche Möglichkeit, Einnahmen zu erzielen, stellte die Vermietung von Frachtraum auf den eigenen Schiffen dar. So waren von den Textilien im Wert von 2.000 bis 3.000 Real, die 1628 in Makassar angelandet wurden, nur ein Bruchteil Eigentum der Ostindisk Kompagnie.770 In Tranquebar wurde vor jeder Reise in den Malaiischen Archipel öffentlich bekanntgegeben, daß Frachtraum zur Verfügung stünde und angemietet werden könnte – ein Angebot, das neben Indern europäische Privathändler aller Nationalitäten nutzten.771 Als letzte Möglichkeit zur Verbesse768 769 770 771 KRIEGER, Kaufleute, 64/65. Ebd., 63; Generale Missiven II, 12.12.1641, 148; ebd., 23.12.1644, 239. KRIEGER, Kaufleute, 65. DILLER, Dänen, 251/252. 276 Makassar und die Europäer vor 1666/69 rung der Bilanz wurde die eigene Beteiligung am Handel innerhalb des Malaiischen Archipels genutzt. So charterten im Jahr 1638 dänische Kaufleute in Banten Schiffe von muslimischen Eignern, um auf Solor und Timor Sandelholz für den makassarischen Markt zu erstehen. Zugleich fuhr auch das Schiff ‚St. Jacob‘, das die genannten Kaufleute in Banten abgesetzt hatte, nach Larantuka auf Flores, um dort ebenfalls Sandelholz für Makassar einzukaufen. In beiden Fällen geschah dies auf Rechnung portugiesischer Privatiers.772 Dennoch: den verlustfreien Bereich hatten die Dänen bei ihrem Makassar-Handel offenbar nie erreichen können – trotz der Erschließung auch unorthodoxer Einnahmequellen. 772 KRIEGER, Kaufleute, 60. II. Die VOC in Makassar 1. Die VOC und die Herrscher von Makassar Die ersten Kontakte Wann die niederländischen Ostindien-Kaufleute erstmals von der Stadt Makassar und ihrer Rolle im System des Molukkenhandels erfuhren, läßt sich nicht mehr rekonstruieren. In Anbetracht der Bedeutung, die Makassar bis Ende des 16. Jahrhunderts errungen hatte, kann jedoch davon ausgegangen werden, daß schon die Vertreter der Vorkompanien bei ihren ersten Besuchen im Malaiischen Archipel vom Hörensagen über Makassar erfahren hatten. Der Hafen selbst war von den Vorboten der VOC nicht angelaufen worden. Dieses Ereignis fiel mit der ersten Flotte der VOC, die das Archipel ansteuerte, zusammen. Der Drang der VOC, so bald als möglich zu den Produktionsstätten der wichtigsten Gewürze vorzudringen, führte sie unmittelbar nach Sulawesi. Es war – zumindest nach der Überlieferungslage – Admiral Wybrand von Warwijck im Jahr 1603, der als erster nicht-portugiesischer Europäer Makassar betrat.773 Vier Jahre später landeten gleich zwei niederländische Expeditionen in der Region. Während Admiral Cornelis Matelief in seiner Reisebeschreibung für das Jahr 1607 von der Landung in dem unbedeutenden Ort Kakeka berichtet, das zum Königtum Tallo gehörte,774 erreichte Paulus van Solt als Teilnehmer der Ostindien-Expedition unter Admiral Steven van der Hagen die Hafenstadt selbst. Ihm verdanken wir den ersten etwas ausführlicheren Bericht über Makassar.775 Alle diese Berichte wurden erst 1645 in der Reiseberichtssammlung ‚Begin ende voortgangh‘ in Amsterdam publiziert, so daß Seyger van Rechterens Bericht über seinen Besuch im Jahr 1632, der erstmals 1635 publiziert wurde, die erste Beschreibung Makassars für ein breiteres niederländisches Publikum war.776 Allerdings entstand dieser Bericht erst zu einer Zeit, in der die erste Phase niederländischer Präsenz in Makassar bereits wieder der Vergangenheit angehörte. 773 774 775 776 WARWIJCK, Historische Verhael, 34/35. MATELIEF, Historische Verhael, 53, 73/74. SOLT, Verhael, 83/84. RECHTEREN, Journal, 40/41. Zu den publizieten zeitgenössischen Berichten siehe LACH/KLEY, Century of Advance, 1443/1444. 278 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Präsenz der VOC in Makassar Obwohl seit Gründung der VOC auch niederländische Berichte über Makassar überliefert sind, liegt die Errichtung der ersten Faktorei weitgehend im Dunkeln. François Valentijn geht davon aus, daß sie mit dem Besuch der Expedition von Cornelis Matelief, die im März 1607 die Südwestspitze Sulawesis passierte, und den sich im gleichen Jahr anschließenden Besuchen von Paulus van Solt und Jacques l’Hermite in Makassar zusammenfiel.777 Diese Vermutung blieb bis heute mangels anderslautender Belege weitgehend unwidersprochen.778 Darüber hinaus nimmt Valentijn an, daß die niederländische Faktorei im Jahr 1618 wieder geschlossen wurde, nachdem die Besatzung von Einheimischen niedergemetzelt worden war.779 Diese Mutmaßung blieb vorherrschende Sichtweise, bis J. W. Ijzerman 1922 nachweisen konnte, daß bereits im Jahr 1616 keine niederländische Faktorei in Makassar mehr hatte existieren können.780 Ijzerman beruft sich auf den von ihm edierten Bericht des Joannes Steijns, der im Winter 1616 als Unterkaufmann auf dem Kompanie-Schiff ‚De Eendracht‘ in Makassar eintraf und dort von Mitgliedern der englischen Faktorei vor einem Landgang gewarnt wurde. Die Engländer berichteten dem erstaunten Steijns, dessen Schiff vom Kap der Guten Hoffnung unmittelbar nach Sulawesi gesegelt war, daß die VOC bereits über kein Kontor mehr in Makassar verfügten. Der britische Kaufmann berichtete, „[...] dat wij groot prijckel van ons leven liepen, want ons volck van het eijlant scheidende, hebben oorloghe tegens die van Macasar aengenomen ende den Jonghen Koninck gedoot, ende des Koninck’s swager met drie sabanders gevanghen genomen ende die wech gevoerd nae Jacatra, alwaer dat zij noch gevanghen saten ende dit was geschiet al over twaelff maanden geleden, [...]“781 Joannes Steijns konnte letztendlich dennoch mehrfache Kontakt zum König aufnehmen. Bei diesen Gelegenheiten wurde ihm unmißverständlich mitgeteilt, daß die Anwesenheit der VOC in der Stadt nach den geschilderten Ereignissen nicht mehr erwünscht war.782 Berichte in parallelen Quellen unterstützen das von Ijzerman festgestellte frühere Ende der niederländischen Faktorei, fügen allerdings zu der blutigen Auseinander777 VALENTIJN, Oost-Indiën III, 125/126. 778 Der Behauptung Leonard Andaya, bereits 1601 wäre ein Niederländer der Einladung des Sultans gefolgt, vor Ort den Handel seiner Nation zu organisieren, fehlt leider der Quellenbeleg (ANDAYA, Heritage, 45). 779 VALENTIJN, Oost-Indiën III, 126/127. 780 IJZERMAN, Het schip ‚De Eendracht‘, passim. 781 STEIJNS, Journal, 358. Nach anderen Quellen wurden entweder zwei oder sechs Makassaren nach Jakatra entführt, die erst nach Steijns Aufenthalt in Makassar, am 31.12.1616, wieder freigegeben wurden, siehe IJZERMAN, Het schip ‚De Eendracht‘, 344 und 358, Anm. 2. 782 STEIJNS, Journal, 360-366. Die VOC in Makassar 279 setzung mit dem makassarischen Herrscherhaus zusätzliche Gründe hinzu. 1614 oder 1615 übernahm die VOC ein Hauses in Jepara, eine der bedeutendsten Emporien an der javanischen Küste. Dieses Haus war ein Geschenk des Sultans Agung von Mataram. In Jepara soll insbesondere der Reis um die Hälfte preiswerter gewesen sein als in Makassar, Gresik und einigen anderen Quartieren, deren Auflösung daher als sinnvoll angesehen wurde.783 Im Okober 1615 erging die Anweisung an die VOC-Offiziellen Steven Doenssen, Henrick Brouwer und Abraham van den Broeck, im Zuge ihrer Reise nach Solor die Kontore in Gresik und in Makassar aufzuheben („te lichten“), weil sie auf Grund der Neuerwerbung in Jepara „voor de Compte ondienstich bevonden wordden.“784 Wenige Monate später, im März 1616, bestätigt Hendrick Brouwer in einem Brief an die Bewinthaber in Amsterdam die Vorgehensweise.785 Auch die englischen Quellen bestätigen die vorgenommene Datierung. In ihrem Memorandum vom 19.1.1617 vermerkten George Ball, Thomas Spurway und John Byndon, die zu dieser Zeit die englische Faktorei aufrecht erhielten, daß die „Flemings“ Makassar inzwischen aufgegeben hatten.786 Ein Jahr später wurde dem Präsidenten Ball in Banten von einem Gerüchten berichtet, daß die Niederländer in diesem Jahr in Makassar mit der Bitte um eine Faktorei erwartet würden.787 Offenbar ist es jedoch bei einem Gerücht geblieben; für eine Wiederansiedlung der VOC so kurz nach der Aufgabe ihrer Faktorei gibt es keine Hinweise. Erst für 1631 findet sich wieder eine Erwähnung eines niederländischen Besuches, welche das nach wie vor bestehende Interesse der Kompanie am Handel und sogar an einer Niederlassung in Makassar illustriert. Allerdings wird dieses Ereignis nicht von er VOC selbst überliefert, sondern durch die Annalen der Herrscher von GoaTallo, die kurz und bündig von dem Eintreffen niederländischer Abgesandter vor Sombaopu berichten, deren Ansinnen, einen Kaufmann in Makassar zu stationieren, vom König abschlägig beschieden wurde.788 Das letzte Wort konnte mit dieser Entscheidung noch nicht gesprochen sein. Immerhin ist bekannt, daß sich der VOC-Kaufmann Hendrik Kerckringh 1638 über einen längeren Zeitraum in Makassar aufhielt. In seiner Beschreibung der Stadt erwähnt er: 783 784 785 786 787 788 Generale Missiven I, 26.10.1615, 47. Ebd., 48. Bouwstoffen I, Nr. XI, Brief des Steven van der Hagen an die Bewinthaber, 10.3.1616, 128. BL London, OIOC, E/3/5, Nr. 595, Extraction from the Annals 1616, 258v. Ebd., G/10/1, Thomas Staverton (Sambopa) an Pres. Ball (Banten), 18.5.1618, 20. Transcriptie, 97. 280 Makassar und die Europäer vor 1666/69 „Aende Noortsijde vant fort Sambopo tusschen d’Engelse logie entvoorsz. fort heeft den Coninck een huys de Nederlantse Compie doen bouwen [...] om op onse aldaer voor eerst in geaccomodeert te connen werden. [...] Soo d’onse aldaer verschijnen sal alle de bijstaende huysingh affgebroocken werden en een royale woningh nevens d’Engelsen en Deenen ons werden vergunt.“789 Der Bericht legt nahe, daß Kerckringh während seiner Anwesenheit bei den Herrschern von Goa-Tallo letztendlich doch wieder eine Ansiedlung der VOC hatte durchsetzen können. Unmittelbare Folge war die Errichtung eines Hauses, das zunächst als provisorische Unterkunft der Niederländer dienen sollte. Für die Zukunft, also für den Zeitpunkt des Eintreffens einer größeren VOC-Abordnung, war die Erweiterung dieser Faktorei zu einer repräsentativen Niederlassung geplant, die denjenigen der benachbarten Engländern und Dänen in nichts nachstand. Daß Kerckringh offenbar die Erlaubnis erhalten hatte, für dieses Bauvorhaben bestehende Häuser abzureißen, deutet auf eine vorläufige „Aussöhnung“ zwischen VOC und Sombaopu hin. Bei der in späteren Berichten gelegentlich erwähnten niederländischen Faktorei handelt es sich um die Niederlassung, deren Grundstein Hendrick Kerckringh gelegt hatte. Das ältere Kontor aus den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts verschwand spurlos in der Geschichte; ein Anknüpfen an diesen ehemaligen Besitz war entweder nicht mehr möglich oder nicht lohnend. Die Frage, ob es sich bei dieser älteren Niederlassung überhaupt um ein bedeutendes Kontor gehandelt habe, sei an dieser Stelle bei aller Vorsicht mit ‚Nein‘ beantwortet. Ende der 1630er Jahre war der Gewürzhandel in Makassar für die VOC wieder attraktiv geworden. Offenbar hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß trotz aller Fortschritte bezüglich des angestrebten Monopols der Gewürzmarkt in Makassar weiter Bestand hatte und ihn zu ignorieren letztlich nur seine Preisgabe an die englische, dänische oder portugiesische Konkurrenz bedeutet hätte. Die Handelssituation in Makassar wurde von höchster Stelle wieder günstig eingeschätzt: „Ten ansien de gewasschen der nagelen, soo wel in Moluccas als Amboina seer sober geslaeght ende dat vernamen in Maccassar redelijcke quantité oude nagelen in voorraedt waren, ordonneerden derwaerts omme den inlantsen handel te voldoen, goede quantité, ende soo verre t‘ capitael strecken wilde, op te coopen t‘ welck soodanigh gesuccedeert is dat [...] in retour van Maccassar becomen hebben 30.765 R., tot civiler prijs als oyt te vooren de merckt aldaer geweest sij, ten principale vermits d’Engelse ende Deenen destituyt van middelen saten. Selver hebben d’Engelse eenige nagelen om contant te becomen aen onsen coopman Kerckringh vercocht tot 170 realen de 550 [Pfund] minder als ingecocht waren.“790 1640 kehrte Hendrik Kerckringh, inzwischen zum Oberkaufmann avanciert, mit zwei Schiffen aus Makassar nach Batavia zurück. Die Ladung der Schiffe bestand aus 789 Bouwstoffen II, Nr. LXXV, ‚Corte Remonstrancie‘ des Oberkaufmanns H. Kerckringh, 24.9.1638, 336/337. 790 Ebd., Nr. LXXVI, Brief des Antonio van Diemen an die Bewinthaber, 22.12.1638, 352. Die VOC in Makassar 281 2.554¾ Pfund Gewürznelken und 7.234 Pfund Sandelholz. Weitere Schiffe, deren Status als private oder VOC-Fahrzeuge nicht völlig geklärt ist, brachten zusätzlich auf dem gleichen Weg 15.038 Pfund Nelken, daneben ein wenig Sandelholz, Wachs und Salpeter. Bei einer Gesamtmenge von 57.344 ¾ Pfund giroffel-Nelken, welche die VOC in diesem Jahr in Batavia ansammelte, machte die Menge, die aus Makassar stammte, immerhin 30,7% aus.791 Es ist denkbar, daß mit der Abreise Kerckringhs die neue holländische Niederlassung vorübergehend wieder unbesetzt zurückgelassen wurde. Zumindest wird von englischer Seite am 1.12.1641 berichtet, daß die Niederländer erst gegen Ende dieses Jahres wieder mit einer Ladung Textilien und Bargeld in Makassar erschienen.792 Das gestiegene Interesse am Handel in Makassar und auch die weitgehende Besetzung des Kontors in den 1640er Jahren ist dennoch unzweifelhaft. Die in den Generalen Missiven verzeichneten Aufstellungen von Gewinnen und Verlusten der einzelnen Plätze im niederländischen Handelsimperium verzeichnet Makassar ab 1642 unter jenen Plätzen, die Gewinn erwirtschafteten.793 In besonders guten Jahren wie 1649, als für das Kontor in Makassar ein Gewinn von 43.523:16:6 Gulden ausgewiesen wurde, lag der Makassarhandel in der Bilanz noch vor so lukrativen Faktoreien wie in Jambi oder an der Malabar-Küste. Die Kontore auf den verschiedenen MolukkenInsel oder auf Ceylon, an der Koromandel-Küste, in Malakka oder Batavia wurden zu dieser Zeit unter den Verlustbringern aufgeführt. Die kommerzielle Lukrativität Makassars lag für die Verantwortlichen der VOC deutlich auf der Hand, so daß sich auch die dauerhafte Besetzung einer Faktorei lohnte. Da in den Aufstellungen von Gewinnen und Verlusten der einzelnen Niederlassungen zwischen „op’t comptoir“ einerseits und „op’t voyagie“ bzw. „op’t expeditie“ andererseits unterschieden wird, läßt sich auch für Makassar erschließen, ob der Handel der VOC dort über eine eigene Niederlassung oder nur während einer jährlichen Schiffsreise von Batavia aus abgewickelt wurde. Zumindest bis 1649 scheint – verläßt man sich auf diese Angaben, zu denen jedoch in dieser Hinsicht keine Alternativen bestehen – ein Kontor in Makassar den Handel abgewickelt zu haben,794 791 Bouwstoffen III, Nr. I, Antonio van Diemen an die Bewinthaber, 30.11.1640, 9 792 BL London, OIOC, E/3/18, Nr. 1788, Macassar Factory to Bantam, 13.5.1642, 87. 793 Generale Missiven II, 23.12.1642, 187; ebd., 4.1.1644, 225; ebd., 20.1.1645, 258; ebd., 18.1.1649, 362; Bouwstoffen III, Nr. LXIV, Brief des Cornelis van der Lijn an die Bewinthaber, 31.12.1649, 472/473;Generale Missiven II, 20.1.1651, 471; ebd. 24.1.1652, 581; ebd. 6.2.1654, 742; Generale Missiven III, 31.1.1657, 145; ebd. 14.12.1658, 245; ebd. 16.1.1660, 312; ebd., 22.12.1661, 381; ebd., 30.1.1662, 391; ebd., 26.12.1662, 450; ebd., 27.1.1664, 464; ebd., 23.12.1664, 472. 794 Eine portugiesische Aufzählung der in Makassar aktiven Nationen von 1648 bestätigt dies (Jesuit Makasar Documents, Nr. 22, jährlicher Brief des Baltasar Caldeira aus Macau nach Rom von 1648, 77-81, § 5). 282 Makassar und die Europäer vor 1666/69 das dementsprechend besetzt gewesen sein muß. In den 1650er Jahren ändert sich das Bild erneut. In der erwähnten Aufstellung wird der weiterhin durchgeführte Makassarhandel nur noch in Gestalt von Schiffsreisen durchgeführt. Dies legt die erneute Aufgabe des Kontors nahe.795 Nach englischen Angaben verließen die Niederländer im September 1652 abermals Makassar.796 Gründe hierfür ergeben sich nicht unmittelbar aus diesem Bericht. Vermutlich hatte es erneut Schwierigkeiten mit den Herrschern von GoaTallo gegeben. Im darauf folgenden Jahr berichteten einheimische Händler von einem erneuten Verhandlungsversuch der Niederländer, der scheiterte, weil der König mit dem ihm Angebotenen nicht zufriedengestellt war. Hierbei dürfte es sich um die Frage der angemessenen Geschenke gehandelt haben. Der Sultan beschlagnahmte die mitgebrachten niederländischen Waren und ließ das Haus der VOC zerstören.797 Für das gleiche Jahr existiert in den britischen Papieren ein Bericht, daß sich die Niederländer trotz dieser Ereignisse noch immer in einer Stärke von bis zu zehn Mann in Makassar aufhielten, um „zu spionieren“.798 Wenn die VOC schon keinen institutionalisierten Handel treiben konnte, war sie doch stets über die Schiffsbewegungen ihrer Konkurrenten informiert. Schickte die EIC ein Schiff nach Osten, wurde dies Batavia mit Hilfe einer schnellen prahu unmittelbar zur Kenntnis gebracht. So sah zumindest die englische Interpretation der Situation aus. Ende 1656/Anfang 1657 werden die Niederländer erneut in einer Aufzählung der in Makassar Handel treibenden Nationen erwähnt.799 Es ist durchaus denkbar, daß sich solche Aufzählungen, die zum Standardrepertoire der jährlichen jesuitischen Berichte gehörten, inzwischen verselbständigt hatten und zu Topoi geworden waren. Immerhin enthält der Bericht des Jesuiten André Ferrão über seine Reise von Goa nach Macau, den er ein oder zwei Jahre später für das Jesuiten-Kolleg in Coimbra verfaßt hatte, eine in Angaben und Detaillosigkeit nahezu identische Aufzählung.800 Dennoch bestätigen niederländische als auch englische Angaben die Aktivitäten der VOC. Auch das Interesse an einer eigenen Niederlassung nach Zerstörung der von Kerckringh gegründeten Faktorei war offenbar ungebrochen. Am 795 Zwischen 1650 und 1652 wird in einem jesuitisch-portugiesischen Bericht von einer niederländischen Faktorei berichtet, die sich neben denjenigen der Engländer und Dänen zwischen Sombaopu und dem portugiesischen Viertel befand, der jedoch nichts Sicheres über deren Besetzung oder Aufgabe aussagt (Jesuit Makasar Documents, Nr. 36, Bericht des António Francisco Cardim von 1650/52, 114-118, § 8). 796 BL London, OIOC, E/3/23, Nr. 2284, Bantam Agency to Madras Presidency, 25.9.1652, 67v. 797 Ebd., E/3/23, Nr. 2284, Bantam to Surat, July 1653, 75v-76. 798 Ebd., E/3/23, Nr. 2356, Bantam to Court, 20.12.1653, Postscriptum 10.1.1654, 255-255v. 799 Jesuit Makasar Documents, Nr. 42, jährlicher Brief der Provinz Japan von 1656, 144/145, § 3. 800 Ebd., Nr. 46, Bericht des André Ferrão von 1658, 151-157, § 1. Die VOC in Makassar 283 7.9.1657 traf ein niederländisches Schiff von Ambon kommend in Makassar ein, um Reis zu laden. Der Kaufmann dieses Schiffes ersuchte um die Erlaubnis, abermals eine ständige Niederlassung einrichten zu dürfen. Diese Bitte wurde abschlägig beschieden, doch blieb die VOC dennoch zunächst vor Ort präsent – ein Assistent und ein weiterer „Weißer“ erhielten Aufenthaltsrecht in der Hafenstadt.801 Dieser Teilerfolg war nur von kurzer Dauer. Bereits im darauffolgenden Jahr, am 30.10.1658, berichteten die in Makassar ansässigen Jesuiten, daß die Niederländer kurz zuvor ein Handelsverbot erhalten hatten.802 Im selben Jahr vermeldete der Generalgouverneur in Batavia, daß am 26.8.1658 der niederländischer Kaufmann Joan Barra mit drei Schiffen nach Makassar aufgebrochen war, um dort nach Möglichkeit zu bleiben, jedoch keine Erlaubnis erhalten hatte, an Land zu kommen.803 Nach den kriegerischen Auseinandersetzungen von 1660 wurden die Zeiten etwas ruhiger. Die Machthaber von Makassar hatten den Niederländern nicht mehr viel entgegenzusetzen. Der ungebrochene Wunsch nach einer VOC-Faktorei in Makassar konnte nicht mehr abgewehrt werden. 1662 existierte eindeutig eine niederländische Niederlassung in der Stadt; Joan Barra wurde in diesem Zusammenhang als Resident der VOC in Makassar bezeichnet. Zudem wurde gemeldet, daß das Dach der ‚Logie’ nunmehr gedeckt sei.804 1664 berichtete William Turner, der sich gerade in Batavia aufhielt, an die Agency in Banten, daß die Niederländer ein Schiff samt Ausrüstung zur Errichtung eines eigenen Hauses nach Makassar schickten.805 Trotz des heraufziehenden entscheidenden Krieges setzte die VOC ihre Bemühungen fort, sich in Makassar wie in vielen anderen formal unabhängigen Hafenstädten niederzulassen. Makassar erschien lukrativ genug, um auf die herkömmliche Weise in das Handelssystem der VOC eingegliedert zu werden. Unter dieser Vorgabe hielten sich die Vertreter der Kompanie vor 1666 weitaus häufiger in Makassar auf, als es im Großteil der verfügbaren Literatur den Anschein hat, die es in der Regel mit dem Ende der ersten Faktorei rund um 1616 bewenden läßt. Erst am 14.6.1665 verließen die Niederländer endgültig die noch unabhängige Stadt. Die Konsequenz des abermaligen Scheiterns der friedlichen Eingliederung in das Faktoreien- und Monopolsystem der VOC war für die Makassaren absehbar – ab diesem Zeitpunkt begann sich die Stadt auf einen Krieg vorzubereiten.806 801 802 803 804 805 806 BL London, OIOC, G/10/1, Macassar Factory to the Agency of Bantam, 18.9.1657, 146. Jesuit Makasar Documents, Nr. 44, Brief des Albert Dorville aus Macau nach Rom von 1658, 147-149, § 3. Generale Missiven III, 14.12.1658, 215/216. Ebd., 26.12.1662, 412, 415. BL London, OIOC, G/10/1, William Turner (Batavia) to Bantam Agency, 16.10.1664, 239. Ebd., G/10/1, Macassar General to Bantam, 5.7.1665, 267/268. 284 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Diplomatische Bemühungen und kriegerische Auseinandersetzungen Vom Beginn an verfolgte die VOC das Ziel, Makassar in das eigene Handelssystem einzubeziehen. Dabei strebte sie weniger ein Handelsverbot im Hafen der Stadt oder einen freiwilligen Verzicht auf die Rolle eines Emporiums im Gewürzhandel an. Vielmehr stand im Mittelpunkt mehrerer diplomatischer Missionen nach Makassar der Versuch, die Herrscher von Goa-Tallo auf die eigene Seite zu ziehen, um so die Beendigung der makassarischen Beziehungen zu Ternate und anderen Gewürzinseln und ein Bündnis des Emporiums mit der VOC zu erreichen.807 In der Konsequenz hätte dies bedeutet, daß die Untertanen der makassarischen Herrscher selbst keine Handelsbeziehungen mehr zu den Gewürzinseln hätten unterhalten dürfen, und daß sich das Königreich Goa-Tallo auf seiten der Kompanie an den bewaffneten Auseinandersetzungen gegen sogenannte Monopolbrecher hätten beteiligen müssen. Von einer freiwilligen Schließung des Hafens von Makassar für den Gewürzhandel hätte sich eine solche Entscheidung kaum unterschieden. Die Antworten der Könige von Goa-Tallo fielen entsprechend aus. Einem wohlverstandenen Eigeninteresse folgend vertraten diese konsequent ihre Vorstellung eines Mare Liberum. Den Niederländern wurde von Ala’uddin beschieden, daß in Makassar jeder willkommen wäre, so lange er lediglich zum Zweck des Handels in die Stadt käme.808 Bereits bei der ersten Schließung der VOC-Faktorei wurde ihnen die berühmte Ansicht des Sultans mit auf den Weg gegeben, daß Gott die Erde unter den Menschen aufgeteilt, aber das Meer allen offen gehalten habe, so daß niemandem die Seefahrt verboten werden könne.809 Jahre später bestätigte Hasanuddin diese Sichtweise, als er 1660 betonte, daß Gott die Welt geschaffen habe, damit alle Menschen davon profitieren, und sich die Niederländer nicht auf Gott berufen könnten, wenn sie Inseln so weit von ihrer Heimat entfernt als ihr alleiniges Eigentum reklamierten.810 Das Eigentinteresse der Sultane bestand nicht nur im Wohlstand des eigenen Volkes, sondern vor allem in der Tatsache, daß die eigene politische Position im Malaiischen Archipel auf dem durch Steuern, Abgaben und Geschenken aufgebautem Reichtum des Herrscherhauses beruhte.811 Es verwundert nicht, daß es schon früh zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der VOC und Makassar kam. Zum einen handelte es sich um Auseinan807 808 809 810 811 ANDAYA, Heritage, 46/47; STAPEL, Bongaais Verdrag, 16/17. Ebd., 16; ANDAYA, Heritage, 45. STAPEL, Bongaais Verdrag, 14. Ebd., 62. ANDAYA, Heritage, 46. Die VOC in Makassar 285 dersetzungen auf den Gewürzinseln selbst. Hier versuchte die VOC nicht selten, ihren Monopolanspruch mit Waffengewalt durchzusetzen. So kam es auf Combello 1628 zu einer schweren Schießerei zwischen Niederländern und Makassaren.812 In anderen Fällen nutzte die Kompanie neu gewonnene einheimische Bundesgenossen als Stellvertreter, wie den molukkische Lokalherrscher Laut Quitsil Ali, dessen Stadthalter eigenhändig am Strand drei Makassaren ermordete und die übrigen Mitglieder ihrer Gruppe in die Sklaverei verkaufte.813 Zum anderen wurden bereits in den 1630er Jahren erste niederländische Angriffe auf die Stadt Makassar selbst unternommen. Im Februar 1634 brach Gijsbert van Lodensteijn mit einer Flotte von zwölf Schiffen nach Makassar auf. Zunächst zerstörte er alle vor Martapura liegenden makassarischen Fahrzeuge, dann segelt er weiter über Pulo Laut nach Süd-Sulawesi. Dort nahm er die vor der Festung Panakkukang südlich von Sombaopu liegenden Handelsfahrzeuge unter Beschuß.814 Dem direkten Angriff folgte eine längere Blockade, die jedoch letztendlich nicht zum Einlenken des makassarischen Hofes führte. Auch versuchte sich die VOC in der indirekten Kriegsführung. Zumindest wurden ihr von makassarischer Seite entsprechende Vorwürfe gemacht. Solche Anschuldigungen bezogen sich auf angebliche Geldzahlungen der Kompanie an Aufständische im Landesinneren. Konkret wurde dies 1635 für die Landschaft BuloBulo behauptet.815 Grundlage für solche Vorgehensweisen waren schon früh in einflußreichen VOC-Kreisen geäußerte Ansichten, daß der Konkurrent Makassar nur gewaltsam beseitigt werden könne. Eine Stimme aus dem Jahr 1632 repräsentiert dabei sogar die höchsten Organe der Kompanie: „Omme den Macassaren cleyn te houden meenen wij, dat nu de reghte middelen bij der hant genomen werden, niet twijfelende, off sullen bij continuatie bevinden, dat het naegelhaelen hun sal affsoeten, soo wij daerop wel letten ende onse maght tijdelijcken uytsetten, gelijck mede alsdan die van Loehoe ende Combello oock tot beter redenen sullen connen gebraght werden. Ende alsoo seecker is, dat de principale maght, soo van de Macassaren als andere onse vianden, bestaet in menighte van haer vaertuygh, moeten wij bij alle middelen soucken hun tselve affhandigh te maecken, waertoe ons (met Godes hulpe) nimmermeer de middelen gebreecken sullen.“816 Auch wenn solche Ansichten bestehen blieben und letztendlich zur Grundlage des Krieges von 1666 bis 1669 werden sollten, blieben die militärischen Aktionen der 812 813 814 815 816 Bouwstoffen II, Nr. XXXIV, Brief des Jan Pietersz. Coen an die Bewinthaber, 3.11.1628, 142/143. Ebd., Nr. XXXV, Brief des Philip Lucasz, Gouv. von Ambon, an den Generalgouv., 20.5.1629, 146. Transcriptie, 94; Bouwstoffen II, Nr. LX, Brief des H. Brouwer an die Bewinthaber, 15.8.1634, 252-257. Transcriptie, 96. Generale Missiven I, 31.12.1635, 495. 286 Makassar und die Europäer vor 1666/69 1630er Jahre gegen Makassar zunächst nu Nadelstiche. Eine konsequente Vernichtungsabsicht wurde zunächst nicht entwickelte. Vielmehr wurde 1637, als Generalgouverneur Antonio van Diemen die östlichen Provinzen seines Zuständigkeitsbereiches besuchte, ein Friedensvertrag zwischen den Rivalen geschlossen.817 Dieser bildete auch die Grundlage für die neuerliche Schaffung einer VOC-Faktorei in Makassar, denn er bestimmte gleich im ersten Artikel, daß „de Nederlanders vermogen zullen, zoo langh hier een off meer schepen ter rheede hebbende, een huijs aen land in huijr te nehmen ende daer in haer volck te leggen.“818 In dem Vertrag wurde der VOC Gleichberechtigung gegenüber allen anderen Nationen, namentlich den europäischen, zugesichert sowie vereinbart, daß keine der Vertragsparteien ein Bündnis eingehen würde, das sich gegen die andere Seite wendete. Da diese beiden Grundbestimmungen des Abkommens im wesentlichen der seit rund einem Jahrhundert verfolgten Politik Goa-Tallos entsprachen, kann der Vertrag in erster Linie als eine Art Eintrittskarte der VOC für den makassarischen Markt gewertet werden. Eine militärische Option schien zunächst vom Tisch, wie die recht erfolgreiche Entwicklung der neuen niederländischen Faktorei in den 1640er Jahren bestätigt. Das monopolistische Ziel der Kompanie blieb von dem vorläufig befriedeten Verhältnis jedoch unberührt. In zunehmendem Maße fand es wieder Einzug in das Verhalten der VOC in Makassar. Sowohl seitens der Faktorei als auch diplomatischer Missionen wurde der Monopolanspruch der Kompanie im Gewürzhandel lauter. Das Verhältnis verdüsterte sich nach anderthalb ruhigeren Jahrzehnten zusehens. In den Jahren 1654 und 1655 erreichten die Auseinandersetzungen einen neuen Höhepunkt. Die Stadt Makassar wurde von Schiffen der VOC blockiert, während vor allem auf Buton verlustreiche Gefechte zwischen der Kompanie und makassarischen Truppen geführt wurden, die letzteren 700 Tote und 400 Gefangene kosteten.819 Während der Blockade wurde auch das portugiesische Viertel in Makassar beschossen. Die Auswirkungen dieser Blockade waren offenbar verheerend. Nach Berichten des Portugiesen Vieira verfiel die Stadtbevölkerung in Armut, während sogar der Hof in Sombaopu über Mangel in allen Lebensbereichen klagte.820 Dennoch blieb das makassarische Herrscherhaus stets bei seiner Zurückweisung der niederländischen Ansinnen, im vollen Bewußtsein, daß sie der Kompanie nur 817 818 819 820 Corpus Diplomaticum I, Nr. CXXIV, 303-306. Ebd., 303. STAPEL, Bongaais Verdrag, 51. BOXER, Francisco Vieira, 18/19. Die VOC in Makassar 287 wenige Möglichkeiten zu Reaktion ließen. Die nach der vorübergehenden Aufgabe der Blockade 1656 ausgebrochenen Aufstände gegen die Vorherrschaft von GoaTallo in Boné und Mandhar überzeugten die VOC von der relativen militärischen Schwäche ihres Gegners. Obwohl im März 1660 ein Heer inländischer Verbündeter in Makassar zusammengezogen wurde, hatte das Doppelkönigtum der militärischen Expedition der Kompanie im folgenden Sommer wenig entgegenzusetzen.821 Die Kompanie eroberte das Fort Panakkukang südlich von Sombaopu und setzte sich dort längerfristig fest; gleichzeitig meuterten am 7.8.1660 die buginesischen Hilfstruppen Makassars und kehrten in ihre Heimat zurück.822 Obwohl es den Einheiten der VOC nicht gelungen war, ernsthaft in das Stadtgebiet von Makassar vorzudringen, erschien die Lage für den Sultan bedrohlich genug, um am 19.8.1660 einen weiteren Friedensvertrag mit der Kompanie zu schließen, der im wesentlichen auf einen Waffenstillstand bei gegenseitiger Besitzgarantie hinauslief.823 Vorgesehen war in ihm auch die Vertreibung der in Makassar ansässigen Portugiesen, zu der sich der Sultan verpflichtete, obwohl er in den folgenden Jahren keine ernsthaften Anstalten machte, dies auch in die Tat umzusetzen. Die dem Vertragsschluß folgende Situation kann weder ernsthaft als Frieden noch bereits als Krieg bezeichnet werden. Die Fürsten von Goa-Tallo bemühten sich, teilweise unter großem Flotteneinsatz, ihre alte Vormachtstellung im östlichen Archipel wiederherzustellen. Zugleich kam es immer wieder vor, daß Schiffe der VOC gekapert und der eine oder andere Niederländer auch ermordet wurde. Auf der anderen Seite führte die VOC ihre bekannte Politik fort, die Gewürzinseln des östlichen Archipels auch unter Anwendung militärischer Mittel frei von Konkurrenten zu halten. Zudem versuchte man verzweifelt, die eroberte Festung vor den Toren Sombaopus als Druckmittel Makassar gegenüber zu halten, doch schwächten mangelnder Nachschub, eine gezielt von den Makassaren unterbrochene Wasserversorgung und daraus folgende Krankheiten die ursprünglich 520 Mann starke Besatzung erheblich.824 Die VOC war jedoch noch nicht wirklich zu einer endgültigen militärischen Auseinandersetzung bereit. Vielmehr unternahm sie im April 1666 eine letzte diplomatische Mission unter Johan van Wesenhagen, der zwar Entschädigung für die Schäden der Kompanie einforderte, aber auch nach einem Weg zu einem tragfähige821 822 823 824 ANDAYA, Heritage, 48/49. Transcriptie, 118. Corpus Diplomaticum II, Nr. CCXLIII, 168-177. ANDAYA, Heritage, 49/50 und 61-64. 288 Makassar und die Europäer vor 1666/69 ren Frieden suchte. Sultan Hassanuddin deutete immerhin an, sich auf einen solchen einzulassen.825 Die Bemühungen blieben erfolglos. Dafür hatte sich die Situation im Landesinneren inzwischen so entwickelt, daß nach Einschätzung der VOC einer militärischen Lösung nichts mehr entgegenstand. Ein wesentlicher Faktor im Kalkül der Kompanie waren die Rebellen in der Region, die sich gegen das nunmehr geschwächte Goa-Tallo auflehnten, um die eigene Unabhängigkeit wiederzuerlangen. 2. Die VOC und der Handel in Makassar Die wirtschaftliche Stellung der Faktorei Über die wirtschaftliche Rolle der ersten niederländischen Faktorei in Makassar läßt sich keine zuverlässige Aussage treffen. Eine direkte Überlieferung dieses Kontors besteht heute nicht mehr, falls sie überhaupt je existiert hat. In den offiziellen Berichten der VOC, deren asiatischer Hauptsitz sich zu dieser Zeit noch in Banten befand, sind keine Daten verzeichnet, welche auf die Größenordnung des VOCHandels in Süd-Sulawesi schließen ließen. Die kurze Zeit ihrer Existenz, das Schweigen der Quellen und die Tatsache, daß sich die VOC in den ersten beiden Dezennien des 17. Jahrhunderts im Malaiischen Archipel noch in einer Konsolidierungsphase befand, lassen vermuten, daß die Faktorei in Makassar für die Kompanie wenig ertragreich gewesen war. Für diese Annahme spricht auch, daß in den 1620er Jahren zunächst kein weiterer Versuch gemacht wurde, abermals in dem sulawesischen Emporium Fuß zu fassen. Das in den 1630er Jahren wiedererstarkte Interesse der VOC-Verantwortlichen erwies sich als berechtigt. Für die 1640er und 1650er Jahre führte die Kompanie die Faktorei in Makassar sowie in ihrer Nachfolge die Handelsfahrten dorthin unter den gewinnträchtigen Einrichtungen und Unternehmungen auf. Für manche Jahre fehlen in den Generalen Missiven die entsprechenden Zahlen, so daß auf den vorübergehenden Ausfall des VOC-Handels in Makassar geschlossen werden kann; unter den verlustbringenden Einrichtungen findet sich Makassar allerdings nie. Ganz im Gegenteil: bei aller erforderlichen Vorsicht läßt sich in der Entwicklung der Ge- 825 Ebd., 64/65. Die VOC in Makassar 289 winne aus der Faktorei in Makassar und aus den Fahrten nach Makassar ein leicht positiver Trend erkennen. Ihren größten Gewinn aus diesen Geschäften zog die Kompanie ausgerechnet zwei Jahre vor dem Makassarischen Krieg. Diagramm 4.3: Gewinne der VOC aus den Makassar-Fahrten 1642 – 1664 70.000 60.000 50.000 40.000 30.000 20.000 10.000 Gulden 0 1642 1644 1646 1648 1650 1652 1654 Jahre 1656 1658 1660 Gewinn in fl. 1662 1664 Die Kompanie konnte von ihrem Makassar-Handel profitieren, obwohl Makassar im Vergleich zu anderen ihr offenstehenden Einkaufsmöglichkeiten bei weitem nicht die günstigsten Bedingungen bieten konnte. Im Jahr 1644 wurden in Batavia 288.603 Pfund giroffel-Nelken zum Gesamtpreis von 99.959:15:13 Gulden für die Retourflotte angesammelt. Aus Ternate stammten davon 36,4% (105.149 Pfund), aus Ambon allein 62,8% (181.337 Pfund). Makassar als der dritte Herkunfsort steuerte mit 2.117 Pfund gerade 0,7% zur Gesamtmenge bei.826 Immerhin den dreifachen Anteil (2,1%) hatten die makassarischen Nelken an dem Gesamtpreis, da der makassarische Markt den weitaus höchsten Durchschnittspreis verlangte. In Ternate kostete ein Pfund Nelken im Durchschnitt -:6:11 Gulden, in Ambon -:6:15 Gulden, während in Makassar stolze -:19:11 Gulden aufgebracht werden mußten. In Ternate und Ambon wurden die Nelken mehr oder weniger unter direkter Kontrolle der VOC produziert, so daß dort kaum mehr als die reinen Produktionskosten zum Tragen kamen. In Makassar waren zusätzlich die Gewinnspannen der Zwischenhändler und die Transaktionskosten, die durch die niederländischen Maßnahmen 826 Generale Missiven II, 23.12.1644, 236. 290 Makassar und die Europäer vor 1666/69 zur Unterbindung des „Schmuggels“ überproportional gestiegen waren, zu berücksichtigen. Der Pfefferhandel, der weitaus weniger monopolisiert war als der Nelkenhandel, ließ ein insgesamt ausgeglicheneres Bild erkennen, ohne daß hierbei die Bedeutung Makassars für die VOC wesentlich größer gewesen wäre. Für die Retourflotte von 1650 enthalten die Generalen Missiven eine vergleichbare Aufschlüsselung bezüglich der Ware Pfeffer:827 Demnach hatte die Kompanie in diesem Jahr für 1.042.014:3:- Gulden 40.863 pikul und 30 katti Pfeffer bei chinesischen Zwischenhändlern gekauft, während sie weitere 43.672 pikul und 37 katti (51,7% der Gesamtmenge) für 908.408:14:11 Gulden an den verschiedenen Plätzen des Pfefferhandels selbst erstanden hatte. Zu diesen Plätzen gehörten die Westküste Indiens mit 23% der Gesamtmenge (44,5% der nicht bei Chinesen gekauften Menge), die Malabar-Küste mit 11,6% der Gesamtmenge (22,5% des Pfeffers nicht-chinesischer Herkunft), Malakka mit 7,9% und Jambi mit 6,8% der Gesamtmenge (15,3% bzw. 13,1% der Menge nicht-chinesische Provenienz). Vernachlässigt man die unbedeutenden 40 pikul aus Thailand, machten die Pfefferlieferungen aus Makassar mit 1.999 pikul und 79 katti (2,4% der Gesamtmenge, 4,6% der nicht von Chinesen gelieferten Menge) den kleinsten Anteil aus. Erneut war es der makassarische Markt, der für den höchsten Durchschnittspreis sorgte. Auf ihm mußten 26:9:5 Gulden für das pikul angelegt werden. Ähnliche Größenordnungen mußten in Malakka (25:9:10 Gulden pro pikul) und bei den chinesischen Zwischenhändlern (25:10:- Gulden pro pikul), aus deren Beständen jedoch rund die Hälfte des Pfeffereinkaufs der VOC 1650 stammte, angelegt werden. Der preiswerteste Pfeffer stammte von der Malabar-Küste, wo 17:14:9 Gulden zu bezahlen waren. Rund zwanzig Gulden oder knapp darunter kostete das begehrte Gewürz immerhin noch an der indischen Westküste (20:8:1 Gulden pro pikul) und in Jambi (19:19:12 Gulden pro pikul). Nach wie vor trifft es zu, daß der freie Handelsplatz Makassar für die VOC bis zuletzt von Bedeutung war. Bis in das Jahr vor Ausbruch des Makassarischen Krieges bemühte sich die Kompanie um eine möglichst günstige Positionierung in der Stadt, und bis dahin trieb man auch Handel in und mit Makassar, einen Handel, der Gewinne aufweisen konnte, die langfristig gesehen sogar anstiegen. Es darf darüber jedoch nicht übersehen werden, daß innerhalb des gesamten Handelsnetzes der VOC in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Makassar gerade in den Kernberei827 Ebd., 20.1.1651, 465. Die VOC in Makassar 291 chen der Kompaniegeschäfte nur eine nachgeordnete Rolle spielte, obwohl gerade diese Bereiche auch einen Großteil der eigenen Erfolgsgeschichte ausmachten. Die Gründe für die fortdauernden Bemühungen der VOC, in Makassar Fuß zu fassen, können nicht allein in den Gewinnaussichten des dortigen Handels gesucht werden. Vielmehr müssen diese Anstrengungen im Zusammenhang mit den Bestrebungen nach einer Marktbeherrschung im Gewürz- und Pfefferhandel gesehen werden. Gewürzhandel und Hochpreispolitik Ein probates Mittel, dieses Ziel auf einem einzelnen Markt zu erreichen, war der mit hohem Kapitalaufwand verbundene Versuch, genau diesen Markt vollständig aufzukaufen. Die dadurch induzierte kurzfristige Preisexplosion schloß alle Konkurrenten, deren Kapitaldecke zum entscheidenden Zeitpunkt nicht ausreichte, vom Marktgeschehen aus. Dies galt für die meisten asiatischen Händler im Hafen Makassars, aber auch für die Faktoreien der Briten und Dänen, die in der Regel auf sich allein gestellt waren und ihr Kapital aus dem Verkauf der ihnen zur Verfügung gestellten Warenpalette oder durch Kreditaufnahme beschaffen mußten. Um einer gezielten und ausreichend kapitalisierten Attacke zu begegnen, reichten diese Mittel zumeist nicht aus. Am 1.12.1641 erschienen Schiffe der VOC in Makassar, ausgerüstet mit einer Ladung Textilien und Bargeld im Wert von 10.000 mas. Die Niederländer bemühten sich, mit diesen Mitteln den augenblicklich lebendigen Nelkenmarkt zu kippen, indem sie konsequent alle Preise überboten. Die englische Faktorei war nicht in der Lage mitzuhalten und konnte sich lediglich in eine Protestnote flüchten. Die Vertreter der EIC sahen sich gezwungen, ihrer vorgesetzten Stelle mitzuteilen, daß es völlig unklar war, welche Mengen Nelken sie berhaupt nach Banten würde schicken können. Die noch auf dem Markt verbliebenen Nelken waren von derart schlechter Qualität, daß sie beim Trocknen ungefähr 20% ihres Gewichtes verlören. Deshalb und auf Grund der Tatsache, daß die Niederländer ihr Geld vollständig investiert hatten, schlug die Faktorei vor, zunächst bis zum Ende des Monats zu warten. Sollten die Nelken bis dahin nicht billiger und besser geworden sein, würde die Faktorei das restliche Geld in die minderwertige Ware investieren.828 Die Preise, welche die Gewürznelken in dieser Situation erreichten – zwischen 135 und 140 mas das bahar –, bewegten sich im Zusammenhang der bereits dargestell828 BL London, OIOC, E/3/18, Nr. 1788, Macassar Factory to Bantam, 13.5.1642, 87-87v. 292 Makassar und die Europäer vor 1666/69 ten Preisentwicklung in den ersten sechs Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts dennoch auf sehr niedrigem Niveau. Bei den exorbitant hohen Preisen in den folgenden Jahren wurde die EIC durch ihren niederländischen Konkurrenten zunehmend in Bedrängnis gebracht. Die englische Seite sah in der niederländischen Höchstpreispolitik denn auch einen wesentlichen Faktor für die eigenen Schwierigkeiten, den ursprünglich lukrativen Gewürzhandel in vertretbarem Maße weiterzuführen. Die Tatsache, daß Thomas Penniston 1649 überhaupt keine Nelken in Makassar vorfand, wurde von der britischen Kompanie gleichermaßen darauf zurückgeführt, daß die VOC nach wie vor zu Höchstpreisen den Markt leerkauften.829 Diese Politik wurde von der VOC bis zum Ende des freien Emporiums Makassar fortgeführt. Eine Klage der EIC-Faktorei aus dem letzten Jahr ihrer Existenz bestätigt noch einmal, daß die VOC gezielt alle Preise überbot, welche die englische Konkurrenz zu zahlen bereit war, und dabei versuchte, sowohl bei den Zubringern der Waren direkt als auch über chinesische Mittelsmänner indirekt auf den Markt zuzugreifen: „The Dutch have contracted to take all the commodities which arrive on the Proas, at an advance of 5 Mas beyond what we offer; and they employ, besides, Chinese Brokers at a Commission of 5 per cent, thus they have engaged the whole Town, and there is little Resort to us, who are restricted to sell only for ready Money.“830 Die Waren der VOC Die Möglichkeiten der VOC, Waren im Gegenzug zu molukkischen Gewürzen und Pfeffer anbieten zu können, waren relativ begrenzt. Einerseits konnten Edelmetalle eingeführt werden, wobei spanischer Real und makassarische mas den Schwerpunkt bildeten. Andererseits verfügte die VOC mit indischen Textilien zumindest noch über eine weitere Warengruppe, für die in Makassar ein Markt bestand. In der Absicht, möglichst alle Ankaufpreise von Gewürzen zu überbieten, lag das Schwergewicht der niederländischen Importe auf dem Bargeld. Der Verkaufserlös von Textilien ließ sich nicht ausreichend genau vorhersehen, um das nötige Kapital für die Räumung des Gewürzmarktes mit Sicherheit aufbringen zu können. Insbesondere die Konkurrenzsituation vor Ort war hierfür verantwortlich, da Textilien Handelsgüter sowohl der asiatischen Händler als auch der europäischen Konkurrenten waren: „[...] dat nochal veel is, ontstaende door den soberen afftrecq in de Suratse cleden ende dat de Portugesen, Engelsen ende Deenen soo groote quantiteyt Coromandelse doecken op Maccassar brengen, waerdoor dese 829 Ebd., G/10/1, Agency of Bantam to the Court, 11.1.1650, 87. 830 Ebd., G/10/1, Macassar General to Bantam, 31.5.1665, 263. Die VOC in Makassar 293 inlantsche quartieren vervult worden ende Batavia te minder vertier heeft, dat mettertijt moeten trachten voor te comen ende met een spaersame mesnagie bevoorden, eenmael overwinsten mogen erlangen.“831 Die Absatzschwierigkeiten bei Textilien blieben ein beständiges Problem, das sich immer wieder in den Berichten der VOC widerspiegelt. Nicht selten kam es vor, daß unverkäufliche Waren wieder aus Makassar nach Batavia zurückgebracht werden mußten.832 Wollte die VOC ihre Höchstpreispolitik fortsetzen, war sie demnach zuallererst auf den Export von Edelmetallen, deren Markt nur schwer zu übersättigen ist, angewiesen. Die VOC erstand für ihr Geld jedoch nicht nur Gewürze. Als Beispiel mag die Fleute ‚De Wolff‘ dienen, die am 3.6.1648 via Makassar aus Solor kommend die Reede von Batavia erreichte. Neben Wachs, Sandelholz, Gold, Schlangenhaut, Silber, Schafen und Sklaven, die in Solor eigenkauft worden waren, führte sie 2.488 katti Sandelholz, 879 ½ katti Schildpatt, 6.643 katti Wachs und 75 pikul weißen Zucker aus Macau mit sich, die sämtlich in Makassar geladen worden waren.833 Trotz ihrer eindeutigen Schwerpunktsetzung beteiligte sich die Kompanie durchaus auch am ‚country trade‘, der über Makassar abgewickelt wurde. Nicht nur, daß sie den Wert von Luxusprodukten wie Sandelholz und Schildpatt erkannt hatte, sie verfügte mit Batavia auch über einen Stapelplatz, auf dem diese Waren zu ihrem Hauptabnehmer China umgeschlagen werden konnten.834 Zudem nutzte die VOC ganz selbstverständlich die gängigen regionalen Seerouten, welche die Insel Solor mit Makassar und von dort aus mit weiteren Warenumschlagplätzen verbanden. Ob die Fleute ‚De Wolff‘ in Makassar Waren aus Solor verkauft hatte, kann nur vermutet werden, ist aber angesichts der Attraktivität von regionalen Luxusgütern und insbesondere Sklaven auf den makassarischen Märkten durchaus wahrscheinlich. Konjunkturen des niederländischen Makassar-Handels Es ist kaum möglich, die wirtschaftliche Entwicklung der VOC in Makassar von deren politischen Aktivitäten gegenüber dem Doppelkönigtum Goa-Tallo zu trennen. Allenfalls in der Frühzeit ihrer Präsenz verfolgte die VOC rein merkantile Absichten. Spätestens nach der Wiederkehr Ende der 1630er Jahre stand die Handelsstrategien wie die Höchstpreispolitik auf dem Gewürzmarkt in ursächlicher Verbin- 831 832 833 834 Generale Missiven II, 21.12.1646, 295. So im Jahr 1649: ebd., 31.12.1649, 373. Bouwstoffen III, Nr. LX, ‚Dachregister‘ aus Batavia, 12.1647 – 12.1648, 418/419. Siehe zu diesen Verbindungen BLUSSÉ, Chinese Trade; DERS., Junk Trade, RANTOANDRO, Commerce. 294 Makassar und die Europäer vor 1666/69 dung mit dem (wirtschafts-)politischen Ziel eines Marktmonopols. Die wirtschaftlichen und politischen Konjunkturen müssen demnach im Zusammenhang betrachtet werden. Während der Konsolidierungsphase der VOC, bezogen auf das gesamte Malaiische Archipel, unterhielt die Kompanie in Makassar eine Faktorei, die sich kaum von anderen Niederlassungen dieser Art in anderen Teilen des Archipels oder überhaupt des asiatischen Aktionsraumes der Niederländer unterschied. Allerdings ist die Überlieferungslage bezüglich dieser Faktorei äußerst dürftig, so daß viel mehr als die Annahme, daß sie keinen überdurchschnittlichen wirtschaftlichen Erfolg hatte aufweisen können, jedoch zu einem ernsthaften Zerwürfnis mit dem Karaeng Goa beigetragen hatte, nicht möglich ist. Dieser ersten Phase folgte eine zweite, die sich dadurch auszeichnete, daß zwischen Makassar und der VOC, sieht man von einigen bewaffneten Auseinandersetzungen ab, weitgehend gar kein Kontakt bestand. Allerdings hatte die Kompanie auch in dieser Phase wesentlichen wirtschaftlichen Einfluß auf die Verhältnisse in Makassar, handelte es sich doch zugleich um eine Phase, in der sie sich um die Festigung ihrer Position auf den Gewürzinseln und die Errichtung eines Marktmonopols im Gewürzhandels bemühte. Die dritte Phase begann mit der Wiederbesetzung der niederländischen Faktorei nach dem Friedensschluß von 1637. Im Grunde dauerte diese an, bis der Makassarische Krieg grundlegend neue Verhältnisse in Süd-Sulawesi schuf. Diese dritte Phase wurde von dem Versuch der VOC geprägt, durch eine Höchstpreispolitik zum Aufkauf des makassarischen Gewürzmarktes die Bemühungen um ein Monopol im östlichen Archipel zu unterstützen. Ob sie dabei wie in den 1640er Jahren in ihrer Faktorei vor Ort präsent waren, oder ob sie, wie es für die 1650er und 1660er anzunehmen ist, nur noch die Möglichkeit hatten, Makassar in regelmäßigen Abständen anzulaufen und nach Abwicklung der Geschäfte wieder zu verlassen, scheint dabei allenfalls von sekundärer Bedeutung gewesen zu sein. In dieser Phase ist im Vergleich zu den Jahren zuvor zwischen wirtschaftlichen und politischen Konjunkturen zu unterscheiden. Während der Handel zwischen der Wiederbesetzung der Faktorei 1637 und dem letzten Kontakt 1665 trotz aller Unterbrechungen und Schwankungen in seinem Wesen eine gewisse Konstanz aufwies, unterschieden sich die 1640er Jahre hinsichtlich der politischen Beziehungen zu Goa-Tallo deutlich von der Zeit danach. Eine relativ friedliche Phase wurde in den 1650er Jahren durch zunehmende aggressive Auseinandersetzungen abgelöst, die Die VOC in Makassar 295 ihre Höhepunkte in den Blockadeunternehmungen und in der militärischen Expedition von 1660 – einer recht halbherzigen Vorwegnahme des Feldzuges von Cornelis Speelman und Arung Palakka ab 1666 – fanden. Erstaunlich ist, daß auch in solch unruhigen Zeiten immer wieder Gelegenheiten bestanden, mehr oder weniger erfolgreiche Handelskontakte zu pflegen. Auf niederländischer Seite waren handelspolitische und militärische Vorgehensweisen nur situativ einsetzbare Elemente eines Gesamtvorhabens. Auf makassarischer Seite ist die Entwicklung der Situation eher Ausdruck eines Dilemmas. Sicherlich war das Herrscherhaus stets bemüht, die eigene Freihandelspolitik aufrecht zu erhalten. Dies war jedoch nur dadurch möglich, daß man entgegen den eigenen Grundsätzen einen Konkurrenten vom Freihandel ausschloß. Genau dieses wiederum wurde unter dem zunehmenden Druck der VOC für die Herrscher von Goa-Tallo immer weniger möglich, letztendlich unmöglich. Der bis 1666 von der VOC ausgehende, insbesondere militärische Druck reichte jedoch nicht aus, um die Position Makassars als Emporium und als Regionalmacht endgültig zu zerstören. III. Die EIC in Makassar 1. Die EIC und der Herrscher von Makassar John Jourdain und die Gründung der Faktorei Im Gegensatz zur VOC-Niederlassung ist das Gründungsdatum der englischen Faktorei in Makassar genau bekannt – dank des Reiseberichtes, den der verantwortliche EIC-Vertreter John Jourdain verfaßte.835 Jourdain erreichte am 11.7.1613 von Ambon und Buton kommend die Straße von Makassar. Dort traf er auf seine Landsleute John Parsons und Thomas Britt, die sich gerade mit ihrer privaten Junke auf dem Weg nach Patani an der Ostküste der Malaiischen Halbinsel befanden und ihm über die Verhältnisse in Makassar berichteten. Bevor sich also die EIC offiziell in Makassar niederließ, beteiligten sich bereits britische Privatiers am Handel in Süd-Sulawesi. Am darauffolgenden Tag nahm John Jourdain erstmals Kontakt zum Karaeng Goa auf. Allerdings blieb es zunächst beim Austausch von Geschenken und Höflichkeiten. Jourdain wollte nach eigener Aussage nicht in Anwesenheit einer großen Zahl von Portugiesen, die den Sultan begleiteten, sein Anliegen verhandeln, während Ala‘uddin auf die Ankunft seines Reichsverwesers Pattingaloangs warten wollte. Am 14.7.1613, nach einem ersten förmlichen, aber freundlichen Kontakt zu Pattingaloang, kam es zur offiziellen Gründung der EIC-Faktorei in Makassar: „And the Kinge went in person, according to promise, to appointe and measure out our ground, and caused the people which dwelt on the ground to remove farther of, because wee should have none neare for feare of fire. Soe the same daye there were above 20 houses taken downe and carryed awaye, except two or three of the best I bought for our present use; as alsoe some of the cokernutt trees which poore people had planted. The Kinge caused me to give them half a riall a peece. There were in this plott of grounde aboute 60 cokernutt trees and many other of divers sorts, which were lefte standinge, very pleasant, and two ot three wells of very good water within the yard. There was butt a lane or streete betwixt the Dutch house and ours; butt our plott of grounde stoode more convenyent.“836 Die Entscheidung, eine Niederlassung der britischen Kompanie zuzulassen, war den Herrschern von Makassar offenbar nicht schwer gefallen. Eine vergleichbare Insti835 Journal of John Jourdain, 292-295. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts scheint die Rolle Jourdains vorübergehend in Vergessenheit geraten zu sein, spricht doch John Bruce davon, daß George Cockraine, Jourdains Assistent, die Niederlassung gegründet hätte (BRUCE, Annales I, 179). 836 Journal of John Jourdain, 293. 1635 wurde das Grundstück erweitert und die unmittelbaren Nachbarn zur Verringerung der Feuergefahr umgesiedelt (BL London, OIOC, E/3/15, Nr. 1552, 153). Die EIC in Makassar 297 tution befand sich in Gestalt des holländischen Kontors schon seit einigen Jahren in der Stadt; auch verkehrten bereits Engländer im Hafen von Makassar. Die Ansiedlung der Briten bedeutete lediglich die Erweiterung der schon breiten Palette vor Ort residerender Händlernationen. Dies war ganz im Sinne der handelsfördernden Politik Ala‘uddins und Pattingaloangs. Bei der Festlegung des Faktorei-Grundstückes erlebte John Jourdain zugleich den Machtanspruch der Herrscher und den spezifischen Charakter einer Stadt des Malaiischen Archipels. Die eigenständige Auswahl eines Platzes für die Faktorei war nicht möglich; zwar suchte der karaeng einen günstigen Platz aus, der durchaus auf Zustimmung Jourdains stieß, doch die Entscheidung lag allein bei ihm. Dabei war es mit Sicherheit kein Zufall, daß der ausgewählte Bauplatz in unmittelbarer Nähe der niederländischen Faktorei lag. Auf demselben Areal sollte sich einge Jahre später auch noch die dänische Niederlassung hinzugesellen. Typisch für die geringe bauliche Verfestigung der Stadtstruktur in dieser Region war die Art und Weise, in welcher die Gründung der EIC-Faktorei ablief. Die an dieser Stelle siedelnden Makassaren waren leicht umzusiedeln; Ersatz erhielten sie nur für ihre Kokospalmen, ihren wohl einzigen Besitz von tatsächlichem Wert. Die aus leichtem Material auf Pfählen errichteten Häuser ließen sich leicht abbrechen und an anderer Stelle wieder errichten. Eine Umsiedlung der für die Basis des Lebensunterhaltes notwendigen Kokospalmen war nicht so leicht möglich. John Jourdain blieb 22 Tage in Makassar. Als er am frühen Morgen des 3.8.1614 wieder in See stach, war eine vorläufige Faktorei unter Einbeziehung einiger einheimischer Gebäude errichtet, als deren erster Chief Factor George Cockraine in der Stadt blieb.837 Zwischen absolutem Herrschaftsanspruch und Freihandelspolitik Die Beziehungen zwischen der britischen East India Company und den Herrschern von Goa und Tallo wurden in den 14 Artikeln eines ‚Agreements‘ niedergelegt, das beide Seiten 1624 miteinander schlossen.838 Zu diesem Zeitpunkt befand sich die EIC zwar schon mehr als zehn Jahre in Makassar, doch darf davon ausgegangen werden, daß in diesen ersten Jahren kaum andere Bedingungen für die Kompanie gegolten haben dürften als im Jahr 1624 festgelegt. 837 Journal of John Jourdain, 294/295. 838 BL London, OIOC, G/10/1, 35-36. 298 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Das Verhalten der Herrscher Makassars war, insbesondere in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts von zwei Konstanten geprägt. Einerseits wurde der freie Handel für alle Beteiligten einschließlich der europäischen Organisationen gewährt und gefördert – zunächst unbeeindruckt von der Tatsache, daß sie sich damit in Opposition zu den Ansprüchen der VOC setzten. Andererseits bestand stets eine klare Festlegung des absoluten Machtanspruchs der Herrscher, an deren Willen sich auch die Residenten der EIC bedingungslos auszurichten hatten. Letzteres fand seinen Ausdruck in einem System, das auf Huldigung der Sultane in Form von Geschenken beruhte – ein in Südost-Asien nicht seltenes System, das hier bereits in mehreren Artikeln des Vertrages niedergelegt worden war und das John Villiers als wichtigen und weitgehend etablierten Weg südostasiatischer Herrscher zur Sicherung ihrer Kontrolle über die Handelsaktivitäten, ihrer politischen Autorität und ihres Vermögens ergänzend zu den übrigen Steuern und Abgaben beschreibt.839 Ein landläufiges Verständnis des Begriffs ‚Geschenk‘ führte an dieser Stelle jedoch in die Irre, handelte es sich dabei doch um keine freiwillige Gabe unter Gleichrangingen. Die sogenannten Geschenke wurden vom Karaeng Goa gezielt eingefordert. Es bestand eine klare Vorstellung, worum es sich handeln mußte: Die Geschenke an den Herrscher mußten wertvoll und einzigartig sein, damit sie ihn von den Reichen und Noblen des eigenen Landes abhoben und somit die direkte Abhängigkeit der Schenkenden vom Herrscher verdeutlichten. Das Kernstück dieser institutionalisierten Geschenksvergabe bestand in regelmäßigen Lieferungen von einfachen Waffen und Munition, wie sie einem stets kriegsbereiten Souverän zustanden. Diese Forderung wurde im Vertrag gleich an zwei Stellen niedergelegt. Darüber hinaus wurden mehr oder weniger regelmäßig prunkvolle Gaben von klar erkennbarer Einzigartigkeit übergeben. Zwar wurden solche Geschenke im Vertrag nur ausdrücklich von Schiffen, die unmittelbar aus dem englischen Mutterland eintrafen, verlangt, doch erforderte die reale Situation sicherlich größeres Engagement, zumal englische Schiffe aus dem Mutterland zunächst Banten anliefen und nur selten in Makassar gesichtet wurden. Unterstrichen wird die Bereitschaft zur angemessenen Beziehungspflege von der Bereitschaft des britischen Residenten in Banten, jährlich £ 100 in Geschenke dieser Art zu investieren.840 Die auffälligsten Geschenke, die in den britischen Quellen überliefert wurden, waren ein junger Mastiff (1623), ein persisches Pferd (1635), zwei irische Windhun839 VILLIERS, Doing Business, 159. 840 BL London, OIOC, E/3/15, Nr. 1552, Presidency of Bantam to the Court, 31.1.1636, 152v. Die EIC in Makassar 299 de (1650), ein galileischen Fernglas (1652), zwei Schwerter (1658) sowie drei Uhren (1662). Hinzu kamen diverse Messingkanonen (1620, 1623, 1628, 1634, 1635), deren Wert deutlich über jenen der Rüstungsgüter, die regelmäßig geliefert wurden, hinausging.841 Die Notwendigkeit, sorgfältig angemessene Geschenke auszuwählen, zeigte sich 1654, als Sultan Hasanuddin, der Nachfolger des gerade verstorbenen Karaeng Malikussaid das Galileische Fernglas zurückgab, da er nichts damit anzufangen wußte, und sich den Kaufpreis des Gerätes in Gold auszahlen ließ.842 Dieses Geschenksystem war kein Ausdruck vordergründiger Unterwürfigkeit; auch kann nicht von einem durch Geschenke erbettelten Handelsrecht ausgegangen werden. Vielmehr handelte es sich um eine dem Status der Sultane angemessene Gabe, die der Kaufmann dem Herrscher schuldete. Dem stand auf der anderen Seite die Garantie der Handelsfreiheit gegenüber – und zwar nicht in direkter Abhängigkeit von Umfang oder Wert der Geschenke. Die Förderung des Handels war weniger als Gegenleistung für Geschenke zu vestehen und somit auch nicht käuflich, sondern war Bestandteil der makassarischen Wirtschaftspolitik. Deren Trägern, den Sultanen von Goa und Tallo, schuldete jeder, der sich im Einflußbereich dieser Politik bewegte, die angemessene Ehrerbietung, ausgedrückt durch Geschenke. Die Bemühungen des Sultans, auswärtige Händler zur Stützung des eigenen Emporiums anzusiedeln, zeigte sich den Engländern nicht nur bei der FaktoreiGründung durch John Jourdain. Kurz nach der Errichtung des Kontors wurden dringend notwendige Erweiterungs- und Verbesserungsarbeiten durch den Karaeng Goa gefördert, indem er von sich aus die Baumaterialien („32 great 8 squared posts of great length“) bereitstellte, auf deren Lieferung aus Banten man vergeblich wartete.843 Auch die Erweiterung der Faktorei wurde seitens der Herrscher ermöglicht, obwohl im Vertrag von 1624 den Residenten der EIC eine zusätzliche Befestigung ausdrücklich verboten worden war. Eine Erweiterung war jedoch ganz im Sinne des Herrschers. Er erlaubte sie nicht nur, wodurch alle eventuell entgegenstehenden Artikel des Vertrages bedeutungslos wurden, er sorgte sogar für die Umsiedlung von Teilen der Stadtbevölkerung. Dadurch konnte wie bei der Einrichtung des Kontors Bauland für die EIC an Ort und Stelle geschaffen werden. Die Faktorei wurde geräumiger und erhielt einen größeren Abstand zur Nachbarschaft, wodurch sowohl die Lagerkapazität als auch die Feuersicherheit deutlich erhöht wurde.844 841 842 843 844 Ebd., G/10/1, 23, 31, 42, 63, 67, 70, 73, 88, 93, 94, 191, 222, 223. Ebd., G/10/1, Agency of Bantam to the Court, 9.12.1654, 102. Ebd., E/3/2, Nr. 142, George Cockrayne (Makassar) to Cpt. Jourdain (Banten), 24.4.1614, 13. Ebd., E/3/15, Nr. 1552, Presidency of Bantam to the Court, 31.1.1636, 153. 300 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Auch bei der Warenbeschaffung war der Herrscher gelegentlich behilflich. So kreditierte er 1617 bis zum Eintreffen des nächsten Kompanie-Schiffes 80 koyang Reis zu je 17 mas.845 Freilich kamen die Engländer nicht in den Genuß völlig unkontrollierter Handlungsfreiheit, sondern konnten sich nur innerhalb festgelegter Rahmenbedingungen in Makassar bewegen. Neben dem erwähnten Verbot, die Faktorei eigenmächtig zu erweitern, und einigen Selbstverständlichkeiten wie dem Verbot von Feindseligkeiten, Kriegen und Bündnissen gegen den gastgebenden Sultan wurden durch den Vertrag von 1624 die Stationierung von mehr als vier Personen in der Niederlassung, die christliche Mission und der Ankauf islamischer Sklaven untersagt. Die Sicherung der inneren Ruhe und Ordnung war dem Herrscher ein besonderes Anliegen. Offenbar sah er gerade in der Anwesenheit einer Kompanie-Niederlassung eine potentielle Gefährdung derselben. Die Erfahrungen, die Makassar bis 1624 mit der niederländischen VOC gemacht hatte, mag ein Grund dafür gewesen sein. Der britischen Faktorei wurde vertraglich mit auf den Weg gegeben, daß sie weder an unzufriedenen („discontented“) Personen festhalten – Angehörige der Faktorei, die dem Sultan unangenehm aufgefallen waren – noch solche unterstützen dürfte – makassarische, die öffentliche Ordnung störende Untertanen. Im Falle, daß von der Faktorei tatsächlich eine Störung ausgehen sollte, behielt sich der Herrscher alle Möglichkeiten vor, bis hin zur vollständigen Ausweisung der EIC. Für geringere Streitigkeiten galt grundsätzlich das Gesetz des Gastlandes. Eine englische Enklave innerhalb des Emporiums sollte von vornherein ausgeschlossen werden. Die Stellung der Faktorei in der multiethnischen Händlergesellschaft In der multiethnischen makassarischen Gesellschaft nahmen die Engländer formal eine zu allen anderen gleichberechtigte Rolle ein. In der konkreten Ausgestaltung ihrer Position lassen sich jedoch Einschränkungen erkennen, deren Ursachen in dem organisatorischen Charakter der englischen Niederlassung beruhten, die eine offizielle Repräsentanz einer privilegierten europäischen Handelskompanie darstellte. Ein Vergleich mit der Position der Malaiien in der Stadt verdeutlicht dies. Die malaiischen Händler und ihr Anhang siedelten sich als Individuen an, so daß sich nach und nach eine größere residente Gruppe entwickelte, die als „malaiische Kolonie“ oder, wie in den zeitgenössischen Quellen, als „malaiische Nation in Ma845 Ebd., E/3/5, Nr. 479, Kellum Throgmorton (Makassar) to Pres. Barkley (Banten), 12.5.1617, 32v. Die EIC in Makassar 301 kassar“ bezeichnet werden konnte. Diese erhielt von den Herrschern Goa-Tallos Zusicherungen, welche die familiäre, kulturelle und religiöse Integrität der Malaiien sicherstellten. Im Gegensatz dazu wurde den Engländer, welche eine offizielle Faktorei aus der Taufe hoben und dem indigenen Herrscherhaus gegenüber nicht als Individuen, sondern als Repräsentanten einer auswärtigen Macht auftraten, die Zusicherung abverlangt, keinerlei Aktivitäten zu entwickeln, noch sich an solchen zu beteiligen, welche die Integrität Makassar hätten beschädigen können. Trotz der formalen Gleichbehandlung erkannten die makassarischen Herrscher sehr wohl den Unterschied, den der Charakter einer westeuropäischen OstindienKompanie gegenüber indonesischen Händlernationen ausmachte, und schoben dementsprechend unerwünschten Ausdehnungsversuchen gleich im grundlegenden Vertrag ein Riegel vor. Eine einflußreiche Stellung, wie sie zumindest kurzzeitig die Portugiesen inne hatten, konnten die Engländer daher nie erreichen. Die portugiesische „Nation“ in Makassar verband auf einmalige Weise die den indonesischen Handelsnationen eigenen Niederlassungsmuster mit besonderer wirtschaftlicher und militärischer Potenz. Diese Kombination machte die Vertreter der Portugiesen für die Karaengs von Goa und Tallo besonders interessant. Die zweifelsohne ebenfalls vorhandene – und betrachtet man die dahinter stehende Organisation sogar weit überlegene – ökonomische und militärische Stärke der EIC konnte hingegen auf Grund der unterschiedlichen Selbstpositionierung der Engländer nicht in dieser Weise zum tragen kommen. Dafür lag eine andere Bedeutung der Engländer für die makassarischen Herrscher nahe. Sie dienten ihnen gelegentlich als Vermittler zu anderen, insbesondere weniger erwünschten Europäern, welche die gleiche Struktur repräsentierten. Es handelte sich dabei vorrangig um die VOC. Es waren die Kaufleute der englischen Faktorei, die 1616 dem ahnungslosen Joannes Steijns vom Ende der niederländischen Faktorei berichteten und daraufhin den Kontakt zum König herstellten.846 Fünf Jahre später, als Jan Joosten in Makassar erschien, um für die VOC wieder Verhandlungen mit Goa-Tallo aufzunehmen, entsandte der Herrscher zunächst einmal Engländer zur Kontaktaufnahme an Bord des niederländischen Schiffes.847 846 STEIJNS, Journal, 358-360. 847 JOOSTEN, Rapport, 369. 302 Makassar und die Europäer vor 1666/69 2. Die EIC und der Handel in Makassar „One of the Especiallest Flowers in our Garden“ Als die EIC ihre Faktorei in Makassar errichtete, war diese noch eine unter vielen im Malaiischen Archipel. Zu Beginn ihrer Aktivitäten in Südostasien konzentrierte sich auch die englische Kompanie auf die Herkunftsregionen der begehrtesten Gewürze. Eine offizielle Auflistung aus dem Jahr 1613 erwähnt neben jeweils einer Faktorei in Siam und Japan nur Niederlassungen im Archipel: je vier Faktoreien auf Ambon und Banda, insgesamt neun auf den nördlichen Molukken (drei auf Ternate, drei auf Makean, je eine auf Tidore, Motir und Bakan), je eine Niederlassung auf Solor, Buton, in Banten, Gresik, Sukadana, Patani, Aceh und schließlich in Makassar.848 Lediglich in den südlichen Molukken gelang es von Anfang an nicht, sich gegen die niederländische Konkurrenz dauerhaft festzusetzen. Mehrere militärische Operationen blieben erfolglos; schließlich endeten die Bemühungen 1623mit dem Massacker an englischen Kaufleuten durch die VOC auf Ambon.849 Diese relativ umfassende Präsenz beschreibt jedoch nur eine vorübergehende Phase. Mit der zunehmenden Dominanz der VOC auch auf den nördlichen Molukken, die dort mit der Aufgabe der englischen Faktoreien einherging, stieg die Bedeutung der Niederlassung in Makassar. Spätestens seit dem Fall Bantens an die VOC 1641 war sie der einzige unmittelbare Zugang zum molukkischen Gewürzhandel. Die herausragende Position für den Gewürzhandel der EIC veranlaßte die verantwortlichen Stellen in guten Jahren zu der berühmten Äußerung, die Faktorei sei eine der „außergewöhnlichsten Blumen im Garten der Kompanie“.850 In schlechten Jahren ließ diese Position die Verantwortlichen trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten bis zuletzt an dem Stützpunkt festzuhalten. Dabei konzentrierte sich die Faktorei gänzlich auf den Gewürzhandel mit den Molukken sowie auch mit Kalimantan. Der Stützpunkt entwickelte kein tatsächliches merkantiles Eigenleben, auch nicht, als über Jahre die ersehnten Gewürze ausblieben oder unbezahlbar waren. Eine eigenverantwortliche Beteiligung am ‚country trade‘ mit regionalen Waren läßt sich in den Quellen nicht beobachten. Zmindest hat dieser Handel nicht in einem Maße stattgefunden, das der Niederlassung ein zweites wirtschaftliches Standbein hätte verschaffen können. 848 Letters I, Nr. 119, 309/310. 849 VILLIERS, Especiallest Flowers, 162/163; ANDAYA, Interactions, 358. 850 BL London, OIOC, G/10/1, Presidency at Batavia to the Court, 23.7.1627, 42. Die EIC in Makassar 303 Der Gewürzhandel Spätestens seit der Katastrophe von 1623 auf Ambon wurden seitens der EIC grundsätzlich keine Versuche mehr unternommen, auf den Molukken selbst aktiv zu werden. Bevorzugt unterstützte die Kompanie, beispielsweise durch Waffenlieferungen, die privaten asiatischen Händler, von deren Gewürzlieferungen sie sich dadurch abhängig machte.851 Für die Engländer war der privat belieferte Markt von Makassar der einzige Zugriffsort auf die Molukkengewürze. Das Verhalten der EIC hatte eine eindeutige Ausrichtung: es handelte sich um den Versuch, durch Aufkauf möglichst großer Mengen der angebotenen Molukkengewürze – teilweise auch lukrativer Textilien wie Calicoes – eine beherrschende Stellung auf dem Markt zu erreichen. Dieses Unterfangen war aber nur von wenig Erfolg gekrönt, nicht zuletzt auf Grund der schwachen Ausstattung der Faktorei, die es nicht erlaubte, in den entscheidenden Momenten mitzuhalten, wenn durch Dritte Versuche unternommen wurden den Markt aufzukaufen, wie durch die niederländische Höchstpreispolitik, eine vereinzelte chinesische Junke oder das Schiff des Nabob von Golkonda. Solche Probleme blieben den vorgesetzten Stellen nicht lange verborgen. Es kam so weit, daß in Banten das Gerücht vernommen wurde, die EIC würde in Makassar regelmäßig von ihrer dänischen Konkurrenz abgehängt. In Zusammenhang mit solchen Nachrichten und mit dem Ausdruck völligen Unverständnisses darüber wies 1632 die Agency in Banten die Faktorei in Makassar an, nichts unversucht zu lassen, um Nelken zu erstehen, auch wenn sie andere Güter nur mit einem kleinen Profit verkaufen konnte.852 Im Anhang eines Briefes vom 1.1.1635 gab die Presidency in Banten der Niederlassung in Makassar noch einmal die entsprechende Order: alle Nelken, aller Pfeffer und alle Calicoes, die für den privaten Handel eintreffen, seien aufzukaufen.853 Konnte sich die englische Kompanie in den ersten Jahren ihrer makassarischen Niederlassung noch darauf verlassen, daß ein weitgehend regelmäßiger Nachschub das Gewürzangebot auf dem Markt sicherstellte, gestaltete sich die Situation bereits seit Ende der 1620er Jahre weitaus unberechenbarer. Der Nachschub mußte zu dieser Zeit schon gänzlich über Handelwege herangebracht werden, die außerhalb des Monopolbereiches der VOC lagen und von letzterer als illegal eingestuft wurden. Entsprechend wurden diese Wege von der VOC bekämpft. 851 Ebd., E/3/15, Nr. 1552, Presidency of Bantam to the Court, 31.1.1636, 153-153v. 852 Ebd., G/10/1, Agency of Bantam to Macassar Factory, 29.12.163255. 853 Ebd., G/10/1, Presidency of Bantam to Macassar, 1.1.1635, 64. 304 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Der Gewürzmarkt in Makassar unterlag zunehmend starken Schwankungen. So war 1629 ein schlechtes Jahr für Nelken. Die VOC in Batavia erhielt Informationen aus Makassar, daß die Engländer dort ungefähr 180 bahar der qualitativ hochwertigsten Nelken (giroffelnagelen) erstanden hatten; zugleich erfuhr man, daß in diesem Jahr keine einzige Nelke aus den Molukken die Stadt erreicht hatte.854 Die englische Überlieferung bleibt bescheidener: nach Auskunft der Presidency in Batavia hatte es sich lediglich um 27 bahar und 63 kattis im Wert von 6.909:21 Real gehandelt, die nach Banten gebracht worden waren.855 Bei dem Einkauf der EIC mußte es sich auf jeden Fall um einen Rückgriff auf Lagerbestände gehandelt haben. Angesichts der großen Nachfrage auf dem Markt, die eine übermäßige Lagerhaltung eher unwahrscheinlich machte, dürfte die Zahl der britischen Presidency die realistischere sein. Bereits 1630 war wiederum ein gutes Jahr für den Nelkenhandel. Auf Ambon setzen die Malaiien im Bündnis mit Einheimischen vorübergehend den freien Handel gegen die VOC durch. In der Folge erreichten am 20.6.1630 drei Schiffe mit 300 bahar Nelken Makassar; weitere Lieferungen wurden erwartet. Die englische Pinasse ‘Dove’ brachte zur gleichen Zeit Waren im Wert von 17.386:46 ¾ Real von der Koromandel-Küste, deren Erlös sofort in Nelken umgesetzt wurde. Der von der Agency in Banten aus angewiesene Pfefferhandel mit Banjarmasin wurde, um die Gunst der Stunde zu nutzen, dem Nelkenhandel untergeordnet. Der bereits erstandene Pfeffer sollte veräußert und der Erlös ebenfalls in Nelken investiert werden.856 Auch in den 1630er Jahren blieb die Lage für die EIC ähnlich wechselhaft. So erhält die VOC-Leitung in Batavia 1636 Informationen, daß die Dänen in Makassar 400 bahar Nelken einkauften, die Engländer sogar 600 bahar.857 Im Vergleich zu manch anderem Jahr kann eine solche Menge als überdurchschnittlicher Erfolg gewertet werden. Andererseits ist für das Jahr 1639 überliefert, daß es den Engländern unmöglich war, auch nur eine einzige Nelke aus Makassar auszuführen.858 Im Jahr 1642 war dies wieder möglich. Die Menge von 52 bahar Nelken für Einkaufspreise zwischen 135 und 150 mas pro bahar, die ein britisches Schiff aus Makassar nach Banten brachte, ist dabei eher in einem mittleren Bereich anzusiedeln.859 Auch in den schwierigen 1650er Jahren waren durchaus noch Einkäufe dieser Größenordnung möglich, wenn es einheimischen Händlern gelang, Gewürznelken an den Kontroll854 855 856 857 858 859 Generale Missiven I, 15.12.1629, 264. BL London, OIOC, E/3/12, Nr. 1326, William Hoare (Banten) to the Court, 6.12.1630, 178. Ebd., 179-179v, 183v. Bouwstoffen II, Nr. LXX, Brief des Antonio van Diemen an die Bewinthaber, 28.12.1636,304. Generale Missiven II, 18.12.1639, 16. Ebd., 12.12.1642, 160. Die EIC in Makassar 305 schiffen der niederländischen Kompanie vorbei nach Sulawesi zu bringen. 1651 ergab sich für die britischen Residenten in Makassar die Möglichkeit, 80 pikul Nelken einzukaufen, die aus Ternate stammten.860 Zu der unvorhersehbaren Situation auf dem zunehmend nervösen makassarischen Markt und der völligen Konzentration auf den Gewürzhandel gesellte sich die Tatsache, daß in der Regel weder eigene Waren zum Tausch oder zur Beschaffung von Bargeld noch eigenes Kapital im ausreichenden Maß vorhanden waren. Die Niederlassung war so nicht in der Lage, auf alle kurzfristigen Schwankungen zu reagieren und jederzeit aus eigener Kraft auf dem Gewürzmarkt agieren zu können. Die unvermeidliche Folge waren Schulden, die wiederholt die Faktorei belasteten, wie aus einem Bericht des unmittelbaren Konkurrenten von 1638 deutlich wird: „d’Engelse, in Macassar sonder capitael ende met veel schulden belast sijnde op hope van goet ontseth ende de nagelen vóór on verschijnen in handen te crijgen, hadden voor onse compste op credit aengeslagen ongeveer 100 bhaar nagelen tegen 250 maes off realen de bhaar. Maer de crediteuren, bemerckende, geen ontseth ofte secours van Bantam, gelijck opgegeven hadden, verscheen ende den Engelsen coopman tot vertreck preparatie maeckte, doleerden aen den Coningh, versoeckende betaelingh off dat Sijn Mayt. wilde ordonneren, de nagelen op affcortingh van schult à prijs courant, dat was 180 ende 170 realen, weder mochten aennemen. d’Engelse doleerden in contra met hantvullingh aen den Coningh over dit verlies, sulckx door intercessie de saecke bijgeleyt wierde ende seker crediteur ontfingh terugge 40 bhr. tegen 230 realen. Met de resterende 60 bhaar wierden gelicentieert te vertrecken, midts 250 realen ende erkentenisse van intrest tegen p.ro december precis te betaelen doen, daer weynigh apparentie toe sij ende adviseert Kerckringh, de Engelse aldaer veertichduysent maes off realen schuldigh bleven.“861 Neben der Ausrichtung auf die Gewürze der Molukken beteiligte sich die EIC auch am Pfefferhandel von Banjarmasin nach Makassar. In der Regel wurde der Pfeffer auf dem makassarischen Markt erstanden. Dieser blieb jedoch stets im Vergleich zu den Gewürznelken ein sekundäres Handelsgut. Gelegentlich entsandte die Faktorei auch ein eigenes Schiff in den Südosten Kalimantans.862 Allerdings war dieser Handel längerfristig nicht geeignet, als zweites Standbein die gelegentlich sehr schwierige ökonomische Situation der britischen Faktorei in Makassar zu verbessern.863 Der Pfefferabsatz in Europa wurde zunehmend unrentabel. 1650 erhielt die EIC860 Ebd., 19.12.1651, 484. 861 Generale Missiven I, 22.12.1638, 668. Allerdings wurden bereits ein Jahr später mit der Ankunft der Schiffe ‚Juwel‘ und ‚Reformatie‘ die Schulden beglichen: Generale Missiven II, 18.12.1639, 15. 862 Wie 1636: BL London, OIOC, E/3/15, Nr. 1582, Presidency of Bantam to the Court, 20.12.1636, 297. 863 Bereits in ihren ersten Jahren sprechen Belege für eine schwache Ausstattung der Faktorei: 1617 berichtete Kellum Throgmorton, daß der Zustand der Faktorei so schlecht war, daß kaum das Haus in Stand gehalten werden konnte und der Ankauf von Reis für die Lieferung nach Banda auf Kredit geschehen mußte, während der König verbilligten Reis zur Verfügung stellt und diesen bis zum Eintreffen des nächsten EIC-Schiffes auch kreditiert; im gleichen Jahr bestätigt William Withers, daß aus Geldmangel keine größeren Reismengen gekauft werden können (BL London, OIOC, E/3/5, Nr. 525, 120). 306 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Vertretung in Banten die Anweisung, keinen Pfeffer mehr nach England zu senden, da dieser dort nur in den Lagerhäusern verrottete. „Bantam are therefore to prefer the following commodities for the Home Market, namely, Sugar, Saltpeter, Benjamin, Calicoes, Cloves, Mace, Nutts, Drugs, Ginger; and let Pepper have the last place.“864 Die EIC-Faktorei in Makassar befand sich in der unglücklichen Situation, eine Ware beschaffen zu sollen, deren Markt zunehmend beeinträchtigt wurde und sprunghaft ansteigende Preise aufwies und mittelfristig sogar zusammenzubrechen drohte, während die vor Ort weitaus leichter und günstiger einzukaufende Ware in Europa keinen Markt mehr fand. Ein Ersatz im Bereich hochwertiger Gewürze konnte zumindest in Makassar nicht gefunden werden. Die gelegentlichen Berichte, daß die EIC auch den „wilden“ Zimt (cassa lingua) Kalimantans und des Sulu-Archipels aufkaufte, weisen allenfalls auf ein zweitrangiges Zusatzgeschäft hin.865 Die Waren der EIC Während ihrer gesamten Präsenz in Makassar hatten die Briten erhebliche Schwierigkeiten, eine Warenpalette anzubieten, die auf ausreichendes Interesse bei den einheimischen Kunden traf. Beinahe kann von einer Vorgehensweise nach dem Prinzip des „try and error“ gesprochen werden. Daß das erste Warenangebot der EIC bei der Faktoreigründung ausschließlich aus nicht nachgefragten Textilien bestand,866 kann noch der Unerfahrenheit des Neulings zugeschrieben werden. George Cockrayne investierte den geringen Erlös in Reis, den er zur Arrackherstellung an Chinesen verkaufen konnte. Die Einnahmen dieser Transaktion investierte er schließlich erstmals in das gewinnversprechende Mace. Ein erster Erfolg stellte sich ein, als das Kompanie-Schiff ‚God’s Gift‘ im Dezember 1614 Warennachschub brachte, der im wesentlichen aus Seidenstoffen bestand, die sich sehr gut verkaufen ließen.867 Allerdings machten die Briten unmittelbar danach auch gleich die Erfahrung, daß die Ladung eines besonders großen Schiffes den Markt in Makassar auf einen Schlag überschwemmen konnte. Nur wenige Tage nach der ‚God’s Gift‘ erschien eine chinesische Junke, deren Kaufleute mühelos, schon allein auf Grund der Menge der angelandeten Waren, die geltenden Marktpreise unterbieten konnten und so für einen Preissturz sorgten, der auch die EIC-Waren empfindlich traf. 864 865 866 867 Ebd., G/10/1, Court to Bantam, 29.5.1650, 90. Generale Missiven I, 9.12.1637, 629. BL London, OIOC, G/10/1, G. Cockrayne (Makassar) to Gov. Thomas Smith (Banten), 16.7.1615, 3. Ebd., E/3/2, Nr. 142, George Cockrayne (Makassar) to Cpt. Jourdain (Banten), 24.4.1614, 12/12v. Die EIC in Makassar 307 Im Juli 1614 berichtete George Cockrayne, daß sich Textilien aus Patania sowie aus dem gesamten Surat gut verkauften, während sich Chawtas aus Agra und feine Bastas, die ebenfalls zum britischen Angebot gehörten, überhaupt nicht absetzen ließen.868 Auch der Versuch Gummilack loszuschlagen scheiterte, wie Thomas Staverton 1622 vermeldete.869 Im Jahr 1627 stellte die Presidency der EIC in Batavia fest, daß in Makassar vor allem Textilien aus Masulipatnam erfolgreich zu verkaufen seien, daneben würde ein gewisses Sortiment Surat’scher Waren benötigt.870 Auch in der Spätzeit der britischen Faktorei kam es immer wieder vor, daß ein großer Teil der Warensortimente, die nach Makassar ausgeliefert wurden und als Grundlage für den Ankauf von Gewürzen dienten, aus Textilien bestand, welche sich in Makassar nircht absetzen ließen. Insbesondere handelte es sich dabei um sogenannte ‚Paintings‘. Die Residenten in Makassar sendeten diese mit dem Vermerk nach Banten zurück, daß sich solche Tuche vielleicht gut in Java, sicherlich aber nicht in Makassar absetzen ließen.871 Die EIC und die Europäer Nach der Interpretation der britischen Residenten, die sich in einem Schreiben der Faktorei aus dem Jahr 1619 findet, ließen die Herrscher von Makassar neben einer Niederlassung der EIC keine andere in der Stadt zu. Den Portugiesen, die von Malakka und von den Molukken kommend Makassar nach wie vor häufig anliefen, wäre eine Niederlassung als Kompanie nicht gestattet. Sie kämen und gingen als Privatiers.872 Diese Beurteilung spiegelt die Art und Weise der portugiesischen Präsenz in Makassar genau wieder, doch dürften an Thomas Stavertons Einschätzung der eigenen Situation Zweifel angebracht sein. Weder in dem Bericht John Jourdains über die Gründung der Faktorei noch in dem fünf Jahre nach dem hier angeführten Schreiben abgeschlossenen Vertrag finden sich Anhaltspunkte für ein exklusives Ansiedlungsrecht der EIC. Vielmehr sprechen die Niederlassungen der niederländischen und dänischen Kompanien eindeutig eine gegenteilige Sprache. Das Verhältnis der EIC und der Portugiesen gestaltete sich schwierig. Einerseits verstanden sich die Engländer als Inhaber einer vom Karaeng Goa genehmigten 868 869 870 871 872 Ebd., E/3/2, Nr. 142, George Cockrayne (Makassar) an Cpt. Jourdain (Banten), 17.7.1614, 16v/17. Ebd., G/10/1, Thomas Staverton (Makassar) an die Presidency (Batavia), 20.5.1622, 27. Ebd., E/3/12, Nr. 1297, Bantam to the Court, 28.10.&9.11.1629, 91v. Ebd., G/10/1, Macassar General to Bantam, 12.6.1659, 173, Macassar to Bantam, 9.7.1659, 175. Ebd., G/10/1, Thomas Staverton (Makassar) to the Court, 25.9.1619, 21. 308 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Faktorei als privilegiert. Andererseits konnten sie nicht umhin anzuerkennen, daß die Portugiesen über den weitaus größeren Einfluß bei Hofe verfügten. In einem Brief der Presidency in Batavia aus dem Jahr 1626 heißt es: „The Portugalls domineer in that place [d.i. Makassar] exceedingly, as knowing themselves free under the kings protection. But the English Presidency at Batavia had lately written to the King, requesting that he would be pleased to suppress their insolencies, or to give us the like liberty to right our own wrongs, or otherwise to permit us to leave his country, with his grace and approbation.“873 Die Drohung, die eigene Faktorei zurückzuziehen, wenn der Sultan die Freiheiten der Portugiesen nicht wenigsten in Ansätzen beschnitt, konnte kaum fruchten. Für das makassarische Herrscherhaus waren die Portugiesen in merkantiler wie militärischer Hinsicht zu wichtig, und für die EIC wiederum war die makassarische Niederlassung als eine der letzten im Molukkenhandel nicht verzichtbar. Der aus Sicht der Briten deutliche Vorteil der Portugiesen blieb weiterhin bestehen, obwohl der König der EIC durchaus wohlgesonnen war. Schließlich fügten sich die Engländer in die Erkenntnis, daß die bestmögliche erreichbare Situation ein Kräftegleichgewicht zwischen den beiden konkurrierenden Nationen war; im Hafen Makassars sollte dementsprechend gegenseitige Achtung herrschen, auf See offener Konkurrenzkampf.874 Konflikte schloß diese Einsicht freilich auch zukünftig nicht aus. Bezeichnend für die Beziehung zwischen der EIC und den Portugiesen unter der Herrschaft des Königs von Makassar war der Fall des Richard Bradbury, der 1655 für einige Aufregung sorgte.875 Bradbury kam 1648 als Kompanieangestellter aus England nach Asien, verließ jedoch die EIC, um für einen portugiesischen Padre in Madras und Goa zu arbeiten. Er wurde Katholik, heiratete in Macau eine Mestizin und reiste von dort nach Makassar. Bei seiner Ankunft setzte ihn die Faktorei sofort fest. Der König entschied zunächst, daß es sich bei Bradbury um einen Engländer handelte und somit die EIC völlig freie Hand hinsichtlich der Behandlung seiner Person habe. Daraufhin intervenierte die portugiesische Seite, vertreten durch Vieira und die jesuitischen Padres, welche Bradbury als Mitglied der eigenen Gemeinde ansahen. Der König von Makassar änderte seine Meinung und gab nun den Portugiesen Recht. Die folgenden Proteste der EIC führten zu keinem Erfolg. Im Gegenteil: der Karaeng Goa wandelte seine Entscheidung in einen absoluten Befehl um, verbunden mit der Drohung, die Briten bei fortgesetzter Weigerung noch an demselben Tag des Hafens zu verweisen. Die Fakorei mußte Bradbury an die könig873 Ebd., E/3/11, Nr. 1229, Presidency at Batavia to Mr. Harris (mutmaßlich in Jambi), 10.6.1626, 120. 874 Ebd., E/3/11, Nr. 1256, Presidency at Batavia to the Court, 23.6.1627, 201-202. 875 Ebd., E/3/24, Nr. 2484/2485, Macassar to Bantam, 8./9.6.1655, 254-256. Die EIC in Makassar 309 lichen Gesandten ausliefern, die ihn jedoch verpflichteten, nicht zu den Portugiesen zurückzukehren, sondern im Umfeld der Faktorei zu bleiben. Die Briten beschwerten sich bitterlich über die Ungerechtigkeit und Willkür des Königs. Insbesondere befürchteten die Residenten, daß die EIC in der Folge „zehnfache Demütigungen“ durch die „Natives in Power“ würde hinnehmen müssen. Auch aus dem Verhalten der Briten anderen europäischen Nationen gegenüber spricht gelegentlich deren Bemühen, keine andere privilegierte Handelskompanie im Hafen von Makassar zuzulassen. 1623 beklagte sich ein Franzose namens Lemonoy über die drohende Haltung, die Thomas Staverton ihm gegenüber einnahm.876 Der Leiter der EIC-Faktorei war offenbar davon überzeugt, daß es sich bei Lemonoy um einen Vertreter der französischen Ostindien-Kompanie handelte, dem gegenüber er das alleinige Recht der Briten zur Faktoreigründung durchsetzen wollte. Da es sich bei diesem Fall um eine der wenigen Erwähnungen von Franzosen in Makassar handelt, dürfte es sich bei Stavertons Einschätzung um ein überzogenes Urteil gehandelt haben. Offenbar waren gelegentlich Franzosen in Makassar resident, es finden sich aber keine Hinweise, daß neben der EIC, der VOC und der dänischen Konkurrenz jemals eine vierte Ostindien-Kompanie den Versuch unternommen hatte, in Makassar offiziell eine Niederlassung einzurichten. Französische Konkurrenz war die EIC-Niederlassung auch weiterhin nicht bereit zu dulden. Zunächst wurde versucht, mit Hilfe des Königs von Makassar die Franzosen zu bekämpfen und diese zum Verlassen der Stadt zu bewegen. Einige Jahre später folgte ein Taktikwechsel, in dessen Folge versucht wurde, französische Konkurrenten gewissermaßen auszuzahlen. Eine Episode aus dem Jahr 1634 belegt diese Vorgehensweise, als es der EIC gelang, nach langwierigen Verhandlungen den französischen Privatier Jean Chevachart im Gegenzug zu einer Entschädigungszahlung und dem Aufkauf seiner Nelkenvorräte zur Aufgabe seines Geschäftes in Makassar zu bewegen.877 Nach dem Vertrag von 1624 war, wenn in der Vereinbarung auch nicht direkt angesprochen, der rigiden Vorgehensweise der Engländer anderen Europäern gegenüber enge Grenzen gesetzt. Wahrscheinlich schlossen die Paragraphen, die jegliche Beteiligung an unruhestiftenden Aktivitäten verbaten, auch das Verhältnis zwischen den europäischen Kontrahenten ein. Zumindest verhielten sich die EIC-Residenten in der Folge gegenüber den beiden durch privilegierte Kompanien vertrete876 Ebd., G/10/1, Mr. Staverton’s answer to the protest of Monsr. Lemonoy, Frenchman, Macassar 4.5.1623, 28. 877 Ebd., E/3/15, Nr. 1540, Residence of Bantam to the Court , 1.12.1634/31.1.1635, 61, 66-66v. 310 Makassar und die Europäer vor 1666/69 nen Konkurrenten sehr zurückhaltend. Größere Auseinandersetzungen zwischen Europäern in Makassar selbst sind nicht bekannt. Allerdings war der Vertrag von 1624 nicht der einzige Grund hierfür. Gegenüber den Dänen hatte es die EIC letztendlich nicht nötig aktiv zu werden, um die eigene Position zu schützen. In den englischen Quellen finden sich allenfalls Bemerkungen über die schlechte Ausstattung der dänischen Faktorei, die kaum Geld genug zum eigenen Unterhalt hatte, und die geringen Chancen des Konkurrenten im makassarischen Handel.878 Einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den Vertretern der niederländischen VOC stand zunächst deren unregelmäßige Präsenz in Makassar entgegen. Als die Holländer in den 1640er Jahren häufiger und auch erfolgreicher den Hafen besuchten, hatte sich das Kräftegleichgewicht bereits so weit zu Ungunsten der EIC verschoben, daß ein offenes Vorgehen gegen den Konkurrenten nicht riskiert werden konnte. Daß mittlerweile in Europa Frieden zwischen der englischen Krone und den Generalstaaten herrschte, und daß der Sultan von Makassar von sich aus ein sehr strenges Auge auf die Aktivitäten der VOC hatte, trug ein übriges zu der in Makassar einigermaßen friedlichen Lage zwischen den beiden Erzrivalen bei. Der Niedergang der Faktorei Das Ende der EIC-Faktorei in Makassar kann nicht allein in der Ausweisung aller Europäer auf Grundlage des Vertrages von Bongaya im Jahr 1667 gesehen werden. Vielmehr hatte sich in den Jahren zuvor deutlich der Niedergang des Kontors abgezeichnet. Auch die Gründe, welche die Residenten selbst für den Niedergang des Handels in Makassar und damit auch ihrer Faktorei anführten, greifen zu kurz. In einem Schreiben vom 8.6.1660 führten sie drei Ursachen hierfür an: 1. „degenerierten“ die Könige im Vergleich zu ihren Vorgängern, insbesondere hinsichtlich ihres Geschäftsverständnisses, 2. behinderte die Blockade Bantens durch die Niederländer den englischen Warenverkehr zu sehr, und 3. ließ der Ausfall des Handels zwischen Makassar und Manila seit mittlerweile zwei Jahren die Bedingungen auf dem Markt von Makassar selbst immer schlechter werden.879 Weder die Absperrung Bantens durch die niederländische Kompanie noch die mittelfristige Unterbrechung des Handelsweges nach Manila konnte einen deutlichen Handelsrückgang alleine erklären. Insgesamt war die Marktsituation in Makas878 So z.B. BL London, OIOC, G/10/1, Presidency at Batacia to the Court, 3.10.1625, 36, oder Agency of Bantam to the Court, 11.1.1650, 88. 879 Ebd., G/10/1, Macassar Factory to the Court, 8.6.1660, 193/194. Die EIC in Makassar 311 sar so schwierig geworden, daß die EIC-Faktorei auch ohne eine formale Ausweisung durch die siegreiche VOC aus Rentabilitätsgründen hätte aufgegeben werden müssen. Sie wurde Opfer ihrer weitgehend einseitigen Ausrichtung auf den molukkischen Gewürzhandel. Alternativen zu finden tat sich die EIC schwer. Pfeffer konnte in Europa kaum mehr lohnend verkauft werden; für die Nutzung lukrativer Handelsverbindungen nach China fehlte es den Briten an einem Zugang zum Reich der Mitte und an ausreichender Konkurrenzfähigkeit den Portugiesen gegenüber, welche diesen Markt über Macau bedienten; für die Beteiligung an kleinräumigeren Handelsstrukturen rund um Makassar schließlich mangelte es der Faktorei an den notwendigen Marktkenntnisse und ausreichenden Transportkapazitäten. Nicht nur die wiederholte Räumung des Gewürzmarktes durch die Niederländer stellte die EIC-Faktorei vor größte Schwierigkeiten, sondern auch die Überschwemmung des Marktes mit Waren, welche die EIC selbst zu verkaufen suchte. Solche Situationen führten dazu, daß die Engländer auf ihren Gütern, zu denen sie in ihrem Warensortiment wenig Alternativen hatten, sitzenblieben und somit kein Geld erwirtschaften konnten, um die kontinuierlich im Preis steigenden molukkischen Gewürze einzukaufen. Im Jahr 1660 berichtete die Faktorei in Makassar: „As for the Cloth consumed at Macassar, the Moors, who came on the Katherine, gluttered the marked. The Freight for their Goods is likely to exceed 10.000 dollars. The Factory have not yet sold 2.000 Mas value, besides what the King took at his own price.“880 Trotz solcher Vorkommnisse reagierte die EIC nicht selten kontraproduktiv. Die für die Anlieferung von Waren, insbesondere Textilien, zuständige ‚Coast Agency‘ an der Koromandel-Küste handelte sich schweren Tadel ein, als sie weiterhin große Paletten indischer Waren nach Banten und Makassar sandte, obwohl hier bereits größere Mengen unverkäuflicher Güter gelagert wurden, während die Waren privat agierender Händlern erfolgreich Absatz fanden.881 Die zunehmende Verwicklung ihrer Offiziellen in den Privathandel gegen Ende der Präsenz der EIC in Makassar wurde zunehmend zu einem Problem. 1662 erhielt die Agency in Banten die Anweisung: „Adverting to the excessive Private Trade carried on at Macassar by the Supercargoes of the Marigold, the Katherine, the Barbados Merchant, the Surat Frigate, and the Hopewell: the Court suspect the resident Factors of colluding with the Private Traders; and direct the agency to inquire what share they had in these Transactions.“882 880 Ebd., 194. 881 Ebd., G/10/1, Court to Madras, 31.8.1661, 222. 882 Ebd., G/10/1, Court to the Agency of Bantam, 21.3.1662, 224. 312 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Unter besondere Kritik geriet der zwischen Banten und Makassar tätige Agent Hunter, weil er sich am Privathandel beteiligte, der 60% Gewinn abwarf, während die EIC-eigenen Waren nach wie von im Lagerhaus verrotteten. Darüber hinaus war er in einige Vorfälle verwickelt, die den Interessen der Kompanie eindeutig zuwiderliefen und den Agenten in Korruptionsverdacht brachten. Beispielsweise erlaubte Hunter dem Chief der Faktorei in Makassar, William Turner, auf Rechnung der EIC ein Paket japanischen Rohkupfers zu einem überhöhten Preis zu kaufen. Das Kupfer war zuvor von Turner privat erstanden worden. Hunter akzeptierte auch diverse Geschenke von Turner, insbesondere Goldschmuck, für die Erlaubnis, privaten Handel zu treiben. Von seinem Stellvertreter, einem Mann namens Page, nahm er für die Abwicklung eines Geschäftes 300 Real. Schließlich bediente er sich auch aus der Faktorei-Kasse in Makassar, die er um 500 Reals erleichterte, um eine 20 Jahre alte Schuld von 2.000 Reals zu begleichen, die mit der Company nichts zu tun hatte.883 Ein anderer Fall war derjenige von Robert Deering, der Faktor an der Koromandel-Küste war. Er kam mit 80 Ballen privater Ware nach Banten und erhielt die Erlaubnis von Hunter, diese in Makassar zu vekaufen, dort zu reinvestieren und auf das nächste Schiff zur Rückreise zu warten. Deering konnte 30.000 mas sowie große Mengen Schildpatt und 100 Barrel Schwefel erstehen.884 Die beiden letzten relevanten EIC-Niederlassungen im Malaiischen Archipel verselbständigten sich zunehmend. Sowohl Page in Banten als auch Turner in Makassar gewährten in den 1660er Jahren keinen anderen Kompanie-Bediensteten mehr Einblick in ihre Bücher.885 Zudem hatten die Faktoren in Makassar auf eigene Rechnung Waren aus Kompanie-Eigentum nach Manila verkauft. Just zu einem Zeitpunkt, als sich der Agent Hunter in Makassar aufhielt, lief eine entsprechende Junke den Hafen an, so daß die unsauberen Geschäfte hätten auffliegen müssen – doch der Agent drückte ein Auge zu.886 So, wie sich Hunter in anderen Fällen verhalten hatte, ist eine finanzielle Honorierung dieses Verhaltens nicht unwahrscheinlich. In den letzten Jahren ihrer Präsenz in Makassar setzte die EIC ganz auf den Zwischenhandel mit Waren aus Manila und Macau sowie auf den Handel mit Sappanholz aus Bima, dessen Lukrativität man inzwischen erkannt hatte. Möglich wurde dieses Verlassen der bis dahin vorgegebenen Bahnen und der Einbruch in bislang 883 884 885 886 Ebd., G/10/1, Court to the Agency of Bantam, 30.6.1662, 227-228. Ebd., 228. Ebd. Ebd., 229. Die EIC in Makassar 313 verschlossen scheinende Handelssphären durch eine enge Zusammenarbeit mit dem Portugiesen Francisco Vieria.887 Durch einzelne Verträge beteiligte sich die EIC an den Warenladungen der Schiffe Vieiras auf ihren Fahrten zwischen Banten und Sumbawa im Süden und Macau und Manila im Norden, abgewickelt über das Drehkreuz Makassar. Auf Grund fehlender eigener Transportkapazitäten mußte die Faktorei auf diese Möglichkeit zurückgreifen, um sich an den noch lukrativen Formen des ‚country trade‘ zu beteiligen – eine Option, die erst sehr spät ergriffen wurde, unter günstigeren Umständen jedoch durchaus für einen bescheidenen Erfolg der Niederlassung hätte sorgen können. Daneben wurde die Hoffnung auf weitere Beteiligung am Gewürzhandel, der als einziger aus Sicht der EIC wirklich nennenswerte Erfolge hätte zeitigen können, nie gänzlich aufgegeben. Noch im August 1665 berichtet die Faktorei, daß die in Makassar ansässigen Malaiien ihre Bereitschaft signalisiert hätten, bei angemessener Unterstützung durch die EIC mit dem nächsten Monsun wieder nach Ambon aufzubrechen und für Gewürznelken zu einem vorher zu vereinbarenden Preis zu sorgen.888 Zur Verwirklichung dieser Pläne kam es nicht mehr. Der im folgenden Jahr ausbrechende Makassarische Krieg beendete den Handel der EIC in Makassar, und der aus diesem Krieg folgende Vertrag von Bongaya ein weiteres Jahr später dann faktisch auch die Existenz der Faktorei. 887 Ebd., G/10/1, Macassar General to Bantam, 27.5.1664, 234; ebd., Macassar General to Bantam, 13.4.1665, 257; ebd., Macassar General to Bantam, 31.5.1665, 262/263; ebd., Macassar General to Bantam, 5.7.1665, 269. 888 Ebd., G/10/1, Macassar General to Bantam, 23.8.1665, 274. IV. Organisationsformen des Handels 1. Indigene Organisationsformen Amanna Gappa Der Handel im Malaiischen Archipel wurde in der frühen Neuzeit wie auch weit darüber hinaus auf mündlicher Basis abgewickelt. Auf die Überlieferung von Geschäftsbüchern oder grundsätzlich von Nachlässen indonesischer Kaufleute muß daher verzichtet werden. Auch in den europäischen Quellen findet sich wenig Erhellendes zu den Organisationsformen des einheimischen Handels. Die Wirtschaftsgeschichte bleibt in diesem Bereich fast ausschließlich auf normative Quellen angewiesen, die ebenfalls sehr spärlich sind. Die von Generation zu Generation überlieferten und bei Bedarf auch modifizierten Bestimmungen des adat-Rechts wurden in der Regel erst in der späten Kolonialzeit Indonesiens aufgezeichnet. Für Makassar wurde glücklicherweise das undang-undang (in der gängigen niederländischen Übersetzung nach Matthes als ‚Handels- en Scheepswetboek‘ bezeichnet) des Amanna Gappa von 1676 überliefert, das einige Einblicke in die Organisationsformen des einheimischen Handels erlaubt. Zur Vertiefung soll es mit einer der wenigen Parallelüberlieferungen, den entsprechenden Gesetzen aus Malakka, verglichen werden.889 Der Autor des Textes, Amanna Gappa, war ein Kaufmann aus dem Bugis-Reich Wajo, der sich in der Mitte des 17. Jahrhunderts in Makassar niederließ, wo er zum Oberhaupt der dort ansässigen Wajos gewählt wurde.890 In dieser Funktion handelte er Übereinkünfte aus, beispielsweise mit den Herrschern auf Sumbawa, und verfaßte auf dieser Grundlage das undang-undang, in welches er bestehendes tradiertes Seeund Handelsrecht aufnahm.891 Der Zeitpunkt der Niederschrift ist durch Angaben in der Quelle selbst mit 1676 eindeutig datierbar. Es handelte sich also um einen Zeitpunkt, zu welchem Makassar bereits unter VOC-Herrschaft stand. Es kann jedoch mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß es sich bei den Inhalten um die Kodifizierung von Rechts- 889 Zu den beiden Codices siehe auch HAWKINS, Praus, 25-32. 890 NOORDUYN, Merchants‘ Society, 101-104. 891 Leonard C. C. Caron bezeichnet den Text zu Recht als „verdienstelijke rechtsbeschrijving“, die bestehendes Recht wiedergibt, ohne eigenständig neues zu schaffen (CARON, Handels- en zeerecht, 58). Organisationsformen des Handels 315 grundsätzen handelt, die zum Zeitpunkt der Niederschrift bereits seit längerem Gültigkeit hatten. Die Regelungen in der Zeit vor 1666/69 waren identisch oder zumindest weitestgehend ähnlich gewesen. Eine gewisse Unklarheit herrscht lediglich bei den Angaben von Schiffahrtswegen, bei denen nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden kann, ob diese ohne Einschränkung noch die für den freien Hafen Makassar üblichen Verbindungen wiedergeben – wofür die Erwähnung der Molukkeninseln Ambon, Seram und Banda spräche – oder bereits tagesaktuell an die neuen Bedingungen unter den niederländischen Kolonialherren angepaßt worden sind. Für die Organisation des wajoresischen Privathandels werden die Angaben Ammana Gappas auch für die Zeit vor dem Makassarischen Krieg als gültig angenommen. Für den Warentransport legt das undang-undang eine einheitliche Bezahlung nach feststehenden, von den Fahrtzielen abhängigen Frachtraten fest.892 Die dabei angeführten Zielorte ergeben ein Bild zumindest von den wajoresischen Handelsverbindungen, die aber auch für die Gesamtheit der Bugis und wohl auch für die Makassaren repräsentativ sein dürften. Begann eine Handelsreise in Makassar oder der Umgebung, für die das undang-undang ebenfalls Gültigkeit beanspruchte (Pasir, die Länder der Bugis, Mandhar, Kaili und Sumbawa) und führte nach Kambodscha, Aceh oder Kedah, wurde mit sieben Real pro hundert Real Warenwert das höchste im Regelwerk vorgesehene Frachtgeld verlangt. Sechs Real pro hundert kostete eine Fahrt zur Malaiischen Halbinsel (Malakka, Johor, Salangor, Trengganau) und an die Küsten und Inseln der Straße von Malakka (Tana-Pulo) sowie Sumatra (Palembang). Fünf Real pro hundert wurden nach Batavia verlangt, zu diversen Zielen auf Kalimantan (Sukadana, Mampawa, Sambas, Brunei) und für Fahrten zu den Molukken (Ambon, Banda, Seram) sowie noch weiter im Osten gelegene Inseln (Kai, Aru). Vier Real wurden nach Banjarmasin und Barro, nach Sumbawa (Sumbawa selbst, Bima) und West-Flores (Manggarai) fällig. Dieser Preis galt auch für die Inseln im Osten und Südosten Sulawesis (u.a. Buton, Muna). Im Nahbereich von Makassar, nach Mandhar oder Selayar, wurden 2½ Real pro hundert fällig. Hinzu kommen Frachtraten, die für Reisen von Sumbawa aus Gültigkeit hatten. 2½ Real kosteten die Fahrten nach Flores, Lombok und Bali; vier Real waren nach Buton, Muna, Timor und zu einigen weiteren Inseln im Nusa-Tenggara-Archipel oder vor der Sulawesischen Küste vorgesehen. Schließlich betrug die Frachtrate von Pasir aus zu allen aufgezählten Zielen (Barro, Kaili, Sumbawa, Bima, Semarang, Batavia, Bali, Mampawa, Sambas und die Ostküste Sulawesis) durchgehend vier Real pro hundert. 892 Vertaling, 44-48. 316 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Für Waren, die besonders viel Raum einnahmen – aufgezählt werden bespielsweise bestimmte Tabaksorten, Salz oder Reis –, wurde eine zehnprozentige Frachtrate erhoben. Die Frachtraten bezogen sich auch Hin- und Rückfahrten. Es wurde davon ausgegangen, daß ein Händler stets seine Waren zum Verkaufsort begleitet und mit dem gleichen Schiff auch wieder zurückkehrte. Da die Preise offenbar von der Art der Waren unabhängig waren und nur besonders laderaumintensive Massengüter einen Sonderpreis bedeuteten, müssen die Frachtraten in erster Linie als Miete für Laderaum verstanden werden.893 Besondere Frachtraten wurden für Sklaven erhoben. Vom Ausgangspunkt Cinrana in Boné nach Pasir, Sumbawa, Banjarmasin, Mampawa und Semarang wurden zwei Gulden für einen Mann und drei für eine Frau verlangt. Von demselben Ausgangspunkt nach Bengkulu auf Sumatra, Batavia, Johor und Perak wurden 2½ Gulden für einen Mann und 3½ für eine Frau fällig. Für Fahrten von Perak nach Trengganau – Orte, die beide auf der Malaiischen Halbinsel liegen – galt der gleiche Preis. Von Pulo Laut vor der Ostküste Kalimantans nach Kedah oder Aceh waren drei Gulden für einen Mann und vier Gulden für eine Frau zu bezahlen. Von Sumbawa und von Bima nach Salaparang auf Lombok kostete ein Mann einen halben Gulden und eine Frau einen Gulden. Von Sumbawa nach Bali oder Manggarai (West-Flores) wurden 90 Deut für einen Mann und ein Gulden 30 Deut für eine Frau fällig. Von Sumbawa nach Balambangan waren es ein Gulden für den Mann und 1½ Gulden für die Frau. Schließlich waren von Sumbawa nach Buton zwei Gulden für den Mann und drei Gulden für die Frau fällig.894 Ausführlich gibt das undang-undang über die Zusammensetzung der Schiffsbesatzung Auskunft. Die Schiffsleitung bestand aus dem nachoda oder Kapitän, einem Steuermann (jurumudi) und einem Steuermann des Vorstevens (jurubatu), der für Anker und Lot zuständig war.895 Die Besatzung wurde in vier Kategorien unterteilt, die sich alle am Seefahrtsdienst beteiligen mußten: die reguläre Mannschaft, die „zufällige“, also nur für eine bestimmte Reise anwesende Mannschaft, sowie die Passagiere mit und ohne eigene Fracht.896 Um zum nachoda für eine bestimmte Reise ernannt werden zu können, mußten 14 oder 15 Bedingungen erfüllt sein, die von Zustand und Ausrüstung des Schiffes (z.B. ausreichende Bewaffnung und Munition oder stete Pflege des Schiffes) über persönliche ökonomische Potenz (z.B. die Verfügung 893 894 895 896 CARON, Handels- en zeerecht, 78. Vertaling, 68-70. Ebd., 49. TOBING, Amanna Gappa, 155. Organisationsformen des Handels 317 über ausreichend eigenes Kapital) und charakterliche Eigenschaften (z.B. Zuverlässigkeit, Fleiß oder ein führsorgliches Verhalten gegenüber seinen Mannschaftsmitgliedern) bis hin zu seefahrerischen Qualifikationen reichten.897 Der nachoda war uneingeschränkter Herrscher auf seinem Schiff. Er hatte für die Bereinigung von Streitigkeiten unter den Besatzungsmitgliedern zu sorgen, die er nicht vor ein ordentliches Gericht bringen durfte.898 Nach außen hin hatte er entsprechend seine Besatzung zu vertreten. Lediglich für die Schulden seiner Leute war er nicht zur Verantwortung zu ziehen, es sei denn, es handelte sich um einen seiner Sklaven.899 Am direktesten beantwortet das undang-undang Fragen nach der Organisationsform des Handels. Die Aufteilung des Erlöses hing von der Zugehörigkeit der beiden Steuerleute ab. Waren sie vom nachoda an Bord gebracht worden, wurde der Erlös in zwei gleiche Teile für den Eigentümer und den nachoda geteilt. Handelte es sich um Personen, die vom Eigentümer des Schiffes gestellt worden waren, wurde der Erlös in zwei Drittel für den Eigner und ein Drittel für den nachoda geteilt.900 Handelsfahrten konnten nach fünf Prinzipien organisiert werden:901 (1) bagi laba pada: Die Partner hatten gleichen Anteil an Gewinn und Verlust. Einer von ihnen sorgte für die Handelsgüter und wird daher als Eigentümer bezeichnet. Der andere trat als Händler auf; er begleitete die Waren auf der Reise, um ihren Verkauf zu organisieren. Unter Umständen konnte dies auch der nachoda des Schiffes sein. Eine Ausnahme wurde von der Regelung des gleichen Anteiles gemacht, wenn der Kapitän die Handelsgüter oder deren Erlös für private Zwecke mißbrauchte. In solchen Fällen mußte er für den gesamten Schaden aufkommen. Hatte er sich den Handelsregeln entsprechend verhalten, blieb es bei der gleichberechtigten Aufteilung der Verluste auch bei Beschädigung der Ware auf See, bei Verlust durch Feuer oder durch Diebstahl. 897 Vertaling, 51/52; TOBING, Amanna Gappa, 156, zählt 15 Voraussetzungen auf, indem er der niederländischen Übersetzung das Expertentum auf der fraglichen Seeroute hinzufügt. Leider wird nicht klar, ob bei der Matthes’schen Übersetzung ein Fehler unterlaufen ist, allerdings verwendet Tobing die originalen lontara-Quellen, so daß seine Angaben als zuverlässig im Sinne des Ursprungstextes gelten können. 898 Vertaling, 49-51; TOBING, Amanna Gappa, 159. 899 Vertaling, 65. 900 Ebd., 49. Matthes wählt in der niederländischen Übersetzung die Formulierung „menschen van“, Tobing in der englischen Zusammenfassung „friends of“ (TOBING, Amanna Gappa, 155). Die sehr offene niederländische Bezeichnung darf nicht zu der Vorstellung eines Besitzverhältnisses (Leibeigener des nachoda), führen; die englische Bezeichnung trifft mit Sicherheit nicht den Punkt. Es geht weder um Freundschaft zum Eigner oder Kapitän noch um Abhängigkeiten von denselben, sondern um die Frage, ob die beiden spezialisierten Steuerleute zur Stammbesatzung des Schiffes oder zur festen Crew des nachodas, die er jeweils mit auf das Schiff seines neuen Auftraggebers brachte, gehörten. 901 Vertaling, 52-55; siehe auch TOBING, Amanna Gappa, 156/157. 318 Makassar und die Europäer vor 1666/69 (2) samatula: Hierbei bestand der Unterschied zum bagi laba pada darin, daß der Eigentümer für diejenigen Verluste aufkommen mußte, die im ersten Fall zu gleichen Teilen bestritten wurden. Als Ausgleich für das größere Risiko standen ihm zwei Drittel des Erlöses zu, während nur ein Drittel an den Händler ging. (3) inreng teppe: Diese und die nächste Organisationsform ging nicht von einer Partnerschaft zur Finanzierung einer Handelsreise aus, sondern von deren Kapitalisierung durch Kredit. In diesem Fall war der Schuldner an einem zuvor festgelegten Tag zur Zahlung verpflichtet. (4) inreng nrewe: In diesem zweiten Fall der Kreditbeziehung hatte der Schuldner den Kredit abzulösen, sobald die Waren verkauft worden waren. Zudem mußten die nicht verkäuflichen Waren vom Gläubiger zurückgenommen werden.902 (5) kalula: Diese Bezeichnung wurde für einen Vertrauten oder Beauftragten angewandt, der für den Warentransport verantwortlich zeichnete und auch das Risiko des Verlustes bei eigener Fahrläßigkeit trug. Dessen Familie konnte im Haftungsfall nicht zur Rechenschaft gezogen werden; er selbst konnte dann die Chance einer neuen Fahrt wahrnehmen, um der Schuldsklaverei zu entgehen.903 Für die Regelungen der Verbindlichkeiten, die nach einer Handelsfahrt offen blieben, finden sich im undang-undang weitere ausführliche Bestimmungen. Die Familie haftete zur Hälfte des Kapitals, wenn der Partner nicht lebend von der Reise zurückkehrte. Hatte dieser sich mit den Waren oder dem Kapital abgesetzt, haftete die Familie im vollen Umfang. Die unbeschränkte Haftung galt auch, wenn die Güter nicht den Regeln entsprechend behandelt worden waren.904 Bei Streitigkeiten war der örtliche Gemeinderat für die Klärung des Falles zuständig; erst wenn keiner der beiden Seiten Schuld nachgewiesen werden konnte – so lange unterlagen die Kontrahenten der Friedenspflicht – entschied ein Gottesurteil.905 Grundsätzlich galt, daß alle im Sinne der fünf Prinzipien an einer Handelsfahrt Beteiligten auch in der Fremde völlige Gleichheit vor dem Gesetz beanspruchen konnten, somit den Einheimischen bei Rechtsstreitigkeiten gleichgesetzt waren.906 Im Falle der Zahlungsunfähigkeit gab es drei Formen der persönlichen Haftung:907 902 Das undang-undang kennt vier Formen des Schuldners: jemanden, der Geld borgt, jemanden, der zusagt für einen Schuldner zu bezahlen, jemanden, der als Bürge fungiert, und jemanden, der als Vermittler zwischen Schuldner und Gläubiger fungiert (Vertaling, 60/61). 903 Ebd., 64/65. 904 Ebd., 59/60. 905 Ebd., 57/58. 906 CARON, Handels- en zeerecht, 59. 907 TOBING, Amanna Gappa, 158. Organisationsformen des Handels 319 (1) riukke ponna: Der Schuldner muß eine Zeitlang dem Gläubiger als Sklave dienen; danach bestanden grundsätzlich keine Ansprüche seitens des Gläubigers mehr. (2) rirarung cempa: Der Wert der Sklavenarbeit wurde vor ihrer Aufnahme geschätzt. Überstieg die Schuld den Schätzwert, bestanden nach Ende des Sklavenverhältnisses weiterhin Forderungen in der Höhe der verbliebenen Differenz. (3) rirappasorong: Hatte ein Schuldner mehrere Gläubiger, konnte er sein Vermögen dem Gemeinderat zur Verteilung unter den Gläubigern übergeben. Reichte die Summe nicht aus, konnte er daraufhin als Sklave verpflichtet werden. Nach Ende der Sklavenzeit bestanden keine weiteren Ansprüche mehr. Die maritimen Gesetze Malakkas Die maritimen Gesetze des Emporiums Malakka auf der Malaiischen Halbinsel wurden im Jahr 1656 durch den Sultan Mahmud Shah erlassen, also annähernd zeitgleich zu Amanna Gappas Niederschrift der wajoresischen Regeln. Auch im Falle Malakkas wurde die Kodifizierung kurze Zeit nach der Machtübernahme durch die VOC vorgenommen. Sie kam auf Wunsch der nachodas zustande, die im malakkischen Hafen aktiv waren. Fünf namentlich genannte Personen hatten die Regelungen aufgeschrieben und diese dem Sultan vorgelegt.908 Eine Ergänzung der Gesetze wurde 1672 vorgenommen.909 Bereits in der Präambel findet sich die Betonung, daß diese Gesetze schon in den Zeiten Geltung hatten, als Malakka noch mächtig war.910 Wie auch bei dem undang-undang aus Makassar handelte es sich um die Kodifizierung längst gültigen adat-Rechts. Die maritimen Gesetze Malakkas legten keine eigentlichen Frachtraten fest, sondern „Erfolgsprämien“ für die Durchführung einer Reise, welche an die „Teilnehmer“ derselben ausgezahlt werden sollten.911 Für Fahrten nach Java wurden 500 pitis, zwei Streifen Segeltuch und ein Bündel Rattan pro Ladungsanteil festgelegt. Eine Fahrt nach Bima kostete 600 pitis sowie je zwei Streifen Segeltuch und Bündel Rattan. Für eine Fahrt nach Timor waren 700 pitis fällig nebst zwei bis drei Streifen Segeltuch und ein bis drei Bündel Rattan. Für eine Fahrt nach Makassar waren zwei gantang Schießpulver, drei Streifen Segeltuch und ein Bündel Rattan zu bezahlen. Eine Fahrt nach Tanjong Pura in Südost-Kalimantan schließlich kostete 600 pitis, 908 909 910 911 Maritime Laws, 56/57. Ebd., 57. Ebd., 51. Ebd., 58. 320 Makassar und die Europäer vor 1666/69 zwei Streifen Segeltuch und ein Bündel Rattan. In dieser doch recht dürftigen Auflistung möglicher Zielorte spiegelte sich bereits die eingeschränkte Reichweite des Emporiums Malakka nach der Eroberung durch die VOC. Allerdings war die Anbindung an die wichtigsten Umschlagplätze – Batavia, Makassar, die kleineren Häfen Javas und indirekt Banjarmasin über Tanjong Pura – weiterhin gegeben. Der wesentliche Kernsatz des undang-undang laut von Malakka lautet gleich zu Beginn des Textes in der englischen Übersetzung: „The captain is as a king on board his ship“.912 Das Gesetzeswerk enthält umfassende Regelungen für Bestrafung von Vergehen der Mannschaft, insbesondere gegen den Kapitän, der auch in der Lage war, die Todesstrafe zu verhängen.913 Die gängigen Strafen für leichtere und mittlere Vergehen waren Peitschenhiebe und Geldstrafen. Der nachoda genoß auch deutliche Vorrechte gegenüber den anderen Personen an Bord, die sich nicht nur auf exklusive Sitzplätze beschränkten.914. Nach Anlaufen eines Hafens blieb es ausschließlich ihm vorbehalten, in den ersten vier Tagen Handel zu treiben. Es folgten zwei Tage für die Frachtmeister und die Offiziere, danach erst durften die einfachen Mannschaftsmitglieder auf eigene Rechnung handeln.915 Die malakkischen Regelungen enthalten eine umfassendere Festlegung der Offiziersränge als sie aus Makassar bekannt ist. Neben dem nachoda, dem Steuermann (jurumudi) und dem für Anker und Ausguck, wohl aber auch für die Bestrafungen zuständigen Offizier (jurubatu) sind ausdrücklich Fähnriche (tukang agong), Bootsleute (gantong layar) und Frachtaufseher (senawi), darüber hinaus auch Navigatoren (ma’lim), zu denen tukang agongs befördert werden konnten, erwähnt.916 Die genannten Offiziere standen unter dem Oberkommando des nachoda, die einfachen Seeleute wurden vom ersten Fähnrich befehligt. Über den Text verteilt sind diverse Spezifizierungen der Aufgaben verschiedener Offiziere und auch Wachhabender, stets begleitet von der Festlegung der Strafen bei Fehlern und Pflichtverletzung aufgeführt. Solche Regelungen galten auch für den nachoda, der für Verspätungen, die das rechtzeitige Erreichen des günstigen Monsum verhinderten, verantwortlich zeichnete und Entschädigung zahlen mußte.917 912 Ebd., 51. Zur Position des nachodas siehe auch DICK, Prahu Shipping I, 102/103. 913 Das Gesetz kennt vier Gründe für die Todesstrafe: Insubordination oder Illoyalität gegenüber dem Kapitän, Verschwörung gegen den Kapitän oder seine Offiziere mit Tötungsabsicht, das Tragen eines Dolches unter einer ansonsten unbewaffneten Mannschaft und schließlich schlechtes Benehmen in besonders schweren Fällen; siehe Maritime Laws, 53. 914 Ebd., 54. 915 Ebd., 56. 916 Ebd., 51, 53. 917 Ebd., 57. Organisationsformen des Handels 321 Eine besondere Rolle nahm der senawi ein, der in der englischen Übersetzung als ‚supercargo‘ bezeichnet wird und für die Ladung verantwortlich war. Es konnte auch mehrere Besatzungsmitglieder in diesem Rang geben, die einem Oberfrachtaufseher (mulkiwi) untergeordnet waren. Ein senawi konnte unter vier Bedingungen an einer Handelsreise teilnehmen:918 Entweder kaufte er einen Teil der Fracht oder er gab dem nachoda ein Darlehen, woraufhin dieser ihm einen Teil der Fracht überschrieb; darüber hinaus konnte er acht oder neun Teile der Fracht übernehmen oder mit dem Kapitän vertraglich vereinbaren, statt des Kaufes von Anteilen 20% bis 30% seiner Einnahmen zu bezahlen. Der mulkiwi erhielt zusätzlich einen weiteren Anteil an der Ladung für seine Position. Die Frachtaufseher mußten nur entweder Hafenabgabe oder Zoll bezahlen. Ein Vergleich Beide Gesetze, die hier nur in ihren für das Thema wesentlichen Grundzügen skizziert werden konnten, hatten ihren Ursprung im überlieferten mündlichen Recht, dem adat, und wurden auf Initiative der Kaufleute und Kapitäne kodifiziert. Bei der Art der Kodifizierung zeigt sich ein erster erster Unterschied: die malakkische bzw. malaiische Variante ist ein vom Sultan erlassenes Gesetz, die makassarische bzw. wajoresische Variante basiert auf Vereinbarungen zwischen verschiedenen Hafenstädten, die Amanna Gappa herbeiführte. Die Tatsache, daß adat-Recht kodifiziert wurde, läßt darauf schließen, daß diese Regelungen schon seit langem Geltung besaßen, und so auch für den hier behandelten Zeitraum Geltung beanspruchen konnten. Da beide Gesetze unter der Herrschaft der VOC auf Initiative indigener Händler und von indigenen Autoritäten kodifiziert wurden, kann angenommenn werden, daß auch unter Kompanieherrschaft die rechtliche Ausgestaltung und damit wesentliche Teile der Organisation des indonesischen maritimen Handels in einheimischer Hand verblieb. Diese Regelungen behielten lange Zeit ihre Gültigkeit und waren – an die Veränderungen in Handel und Seefahrt angepaßt – in wesentlichen Teilen auch noch im 20. Jahrhundert in Kraft.919 Das Gesetz von Malakka hebt die Stellung des nachoda wesentlich deutlicher und nachhaltiger hervor. Kernpassagen des Textes beschreiben ausführlich dessen Funktion, Rechte und Pflichten. Dagegen wird in dem von Amanna Gappa verfaßten 918 Ebd., 54. 919 CARON, Handels- en zeerechten, 156-178. 322 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Kodex die Rolle des Kaufmanns in den Mittelpunkt gestellt. Besonders deutlich wird dies durch die umfassenden Regelungen der Geschäftverhältnisse, Erlösverteilung und Haftung. In dem Gesetzeswerk Malakkas blieben viele dieser Fragen ungeregelt. Das soll nicht heißen, daß diese nicht an anderer, wahrscheinlich nicht kodifizierter Stelle im adat-Recht geregelt waren. Die unterschiedlichen Bestimmungen hinsichtlich der drei wichtigsten Offiziere einer prahu bei Amanna Gappa weisen darauf hin, daß es unterschiedliche Organisationsformen der Schiffsbesatzungen bestanden. Es war möglich, daß ein Schiffsbesitzer auf seiner prahu auch über eine von ihm angeheuerte Mannschaft einschließlich der Steuerleute verfügte und nur je nach Fahrt einen qualifizierten nachoda engagierte. Ein nachoda konnte andererseits durchaus über eine eigene Kernmannschaft und damit insbesondere über eigene Steuerleute seines Vertrauens verfügen, die er auf das Schiff mitbrachte, das seinem neuen Auftraggeber gehörte. Allerdings bedarf diese Feststellung einer zusätzlichen Anmerkung: Wie die Untersuchung zum privaten Schiffsverkehr von und nach Makassar im 18. Jahrhundert noch zeigen wird, waren in der großen Mehrheit der Fälle Eigentümer und nachoda eines Schiffes dieselbe Person. Es gibt wenig Grund zu der Annahme, daß die Verhältnisse im 17. Jahrhundert grundlegend andere gewesen sein sollten. Es darf nicht vergessen werden, daß das undang-undang ein normativer Text ist, der alle Möglichkeiten, die unter Umständen einer Regelung bedurften, abzudecken hatte. Daß bei einer Personalunion von Eigner und Kapitän keine Teilung des Erlöses erforderlich war, bedurfte keiner eigenen Erwähnung. Auf der anderen Seite war durch die allgemein gehaltenen Formulierung auch die Möglichkeit abgedeckt, daß mehrere Eigner der Ware eines Schiffes auftraten, eine Situation, von der in Malakka offenbar grundlegend ausgegangen wurde, worauf die dortigen Regelungen zur Ladung hinweisen, die stets in einzelne Segmente aufgeteilt ist. Auf die Besitzverteilung der Waren lassen die Listen des 18. Jahrhunderts keinen Rückschluß zu, so daß durchaus denkbar ist, daß eine breitere Streuung des Warenbesitzes eher die Regel als die Ausnahme war. Auf Grund der unterschiedlichen Ansätze der beiden Gesetzeswerke läßt sich nur schwer sagen, inwiefern bezüglich der Organisationsformen Unterschiede zwischen Malaiien und Wajos bestanden. Zumindest spricht die Schiffsorganisation eher gegen allzu große Unterschiede. Auch wenn Amanna Gappa nicht so weit ins Detail geht wie die malakkischen Verfasser, sind die Bezeichnungen und Funktionen der Offiziere und die Stellung des nachodas doch weitgehend identisch. Organisationsformen des Handels 323 Allerdings spielten Sklaven in den Gesetzen aus Malakka eine weitaus größere Rolle als in dem makassarischen Kodex. Offenbar bestanden die malaiischen Besatzungen zu größeren Teilen aus Leibeigenen, während diese bei den Bugis aus Wajo nur eine geringe Rolle spielten. Bei letzteren handelte es sich um freie Besatzungen, zu denen während der Fahrt auch Passagiere zählten, die einen Teil ihres Fahrtgeldes durch Arbeit ableisteten. Auffällig ist die bemerkenswerte Unschärfe bei der Trennung von nachoda und dem die Handelsreise unternehmenden Kaufmann.920 Einige Regelungen, die bei Amanna Gappa als Voraussetzung für die Ausübung des Kapitänsamtes aufgeführt werden, beziehen sich eindeutig auf seemännische Kompetenz, andere wie die Verfügung über Kapital auf die Befähigung, eine Handelsunternehmung als Kaufmann zu leiten. Die Rolle der Frachtaufseher (senawi bzw. mulkiwi) ist im malakkischen Recht ebenfalls nicht eindeutig benannt. Einerseits unterstehen diese eindeutig dem Befehl des nachodas, was in seefahrerischer Hinsicht selbstverständlich ist. Andererseits nehmen sie im Gesamttext eine herausgehobene Stellung ein. Sie sind stets – dies ist sogar in allen Einzelheiten vorgeschrieben – an der Fracht einer Handelsfahrt beteiligt. Ob es sich bei den Frachtaufsehern um Beauftragte von Großkaufleuten oder um selbständig agierende Kaufleute selbst handelte, läßt sich nicht mit ausreichender Genauigkeit erkennen. Der frühneuzeitliche Handel im Malaiischen Archipel war von Organisationsformen bestimmt, die auf einer dualen Grundidee basierten – auf der Grundidee von einer Partnerschaft zwischen einem Kaufmann und einem Kapitän. Ein großer Teil der kodifizierten Regelungen bezieht sich auf die Ausgestaltung einer solchen merkantilen Kooperation, insbesondere bei Amanna Gappa, aber auch im Falle Malakkas, wenn man die senawis mit einbezieht. Dabei sind in der konkreten Ausgestaltung die Grenzen fließend. Ein nachoda konnte zugleich auch Besitzer des eingesetzten Schiffes sein oder ein mit Kapital und Waren beteiligter Kaufmann oder auch beides. Der Umfang der Beteiligung auf der kaufmännischen Seite der Partnerschaft konnte variieren, ebenso die persönliche Beteiligung eines Kaufmannes an der Fahrt. Eines ist jedoch deutlich: Es handelt sich stets um Abmachungen für eine eindeutig bestimmte, einzelne Handelsreise. Langfristige merkantile Korporationen tauchen zumindest in den undang-undang genannten maritimen Regelwerken des Malaiischen Archipels nicht auf.921 Dies mag in der Singularität der Handelsfahrt den klas920 Für Amanna Gappa bestätigt dies CARON, Handels- en zeerecht, 74. 921 Siehe auch zu den wenigen weiteren, auch indirekten bzw. das 19. und 20 Jahrhundert betreffenden Überlieferungen ebd., 83-149. 324 Makassar und die Europäer vor 1666/69 sischen Begriff des ‚peddlar trade‘ nahelegen. Die komplexen Strukturen der Finanzierung solcher Fahrten über Partnerschaften und die anzunehmende Beteiligung mehrerer Partner an einer einzelnen Reise– sei es persönlich oder durch die Bereitstellung von Kapital –, legen hingegen eine Ausweitung dieses Begriffes nahe. Herrscher und Handel Die Herrscher von Goa-Tallo beteiligten sich – nach allem, was bislang bekannt ist – zunächst nicht selbst, das heißt als Eigner von Handelsschiffen und durch die Ausrüstung entsprechender Fahrten, am Handel ihres Emporiums. Ihr vorrangiges Ziel war die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für den Kommerz. Anders als in Aceh oder Banten, wo der Handel der Herrscherhäuser selbst Ausgangspunkt des merkantilen Erfolges war, setzten die makassarischen Sultane auf den Freihandel aller interessierten Nationen, den sie zu stützen versuchten.922 Die Hauptquelle des Wohlstandes, den das Herrscherhaus aus dem Handel seiner Stadt zog, waren die Abgaben im Hafen, die sich aus Hafengebühren und Zöllen zusammensetzten, und das Geschenksystem, das die Handelsreisenden sowohl dem Herrscher als auch dem syahbandar gegenüber zu Geschenken verpflichtete.923 Der 1637 zwischen Makassar und der VOC geschlossene Vertrag bestimmte, daß für die Ausfuhr von Gewürznelken eine Abgabe von zwei mas pro bahar an den Sultan zu zahlen war. Die Ausfuhr von Schildpatt kostete den doppelten Satz, diejenige von Sandelholz und Wachs jeweils ein mas pro bahar. Dabei handelte es sich um eine Ausnahmeregelung für die Niederländer; für alle weiteren Waren wurde der gleiche Preis wie für die Engländer, Dänen und Portugiesen festgelegt. Vor dem Hintergrund einer militärischen Bedrohung hatte die VOC für die wichtigsten Luxusgüter staatliche Begünstigungen herausgehandelt.924 Hinzu kam eine Form herrschaftlichen Vorkaufsrechts: „These Kings are become unreasonable Merchants; for they would have goods at their own prices out of the East-India Merchant, namely, 50 Co. Long Cloth at 100 Mas per Corge, before they granted that Private Ship License to Trade. From every Pepper Junk arriving same season, they had 10 pecul out of 100 at 6 Mas per pecul when the current price was 10 and 10½.“925 922 Zu den politischen und wirtschaftlichen Grundlagen Acehs siehe BRAKEL, State and Statecraft; REID, Royal Power; BOXER, Portuguese Reactions; LOMBARD, Sultanat d’Atjéh; DAS GUPTA, Acheh. Zu Bantam siehe entsprechenden KATHIRITHAMBY-WELLS, Banten; GUILLOT, Libre enterprise. 923 JOOSTEN, Rapport, 371. 924 Corpus Diplomaticum I, Nr. CXXIV, 305. 925 BL London, OIOC, G/10/1, Macassar to Bantam, 22.7.1658, 149. Organisationsformen des Handels 325 Auch wenn der Sultan nicht als eigenständiger Kaufmann im engeren Sinne auftrat, war er doch stets im Handelsleben Makassars präsent. Für alle erfahrbar wurde diese Präsenz durch die Kontrolle sowohl des Hafen als auch der städtischen Märkte. Diese Kontrollfunktion übernahmen jeweils zuständige herrschaftliche Beamte.926 Der einflußreichste Beamte dieser Art war der syahbandar, der Hafenmeister. Dieses Amt, das seinen Ursprung in der persischen Verwaltung hatte und durch vorislamische persische Kaufleute verbreitet worden war, war wahrscheinlich bereits seit dem dritten nachchristlichen Jahrhundert im Malaiischen Archipel bekannt.927 In Makassar wurde es während der Regierungszeit von Tumapa’risi Kallonna (ca. 1512 – 1548) geschaffen. Sein symbolischer Wert für prosperierende maritime Wirtschaft führte dazu, daß die Einrichtung des Amtes gelegentlich mit dem Beginn makassarischer Seefahrt gleichgesetzt wurde. Auch wenn dies kaum wahrscheinlich ist, kann die Bedeutung des Hafenmeisters doch nicht unterschätzt werden, insbesondere für den fremden nachoda, der nicht unwesentlich von diesem hohen Beamten abhängig war. In Amanna Gappas Rechtsaufzeichnung war vorgesehen, daß die Geschenke an den syahbandar entweder nur durch den nachoda oder bei interner Abstimmung durch nachoda und Besatzung vergeben wurden.928 In großen Hafenstädten existierten zeitweilig sogar mehrere syahbandars mit verschiedenen Zuständigkeiten, wie in Malakka ein spezieller Hafenmeister nur mit den Gewürzhändlern aus Banda befaßt war.929 Angesichts der vielfältigen Handelsnationen im Hafen Makassars ist auch hier eine solche Aufgabenteilung denkbar, in den Quellen jedoch nicht belegt. Bei einer solchen Bedeutung ist es nicht verwunderlich, daß der Posten des syahbandar zunächst mit Mitgliedern des Herrscherhauses oder loyaler Familien der Nobilität besetzt wurden. Bei größerer Ausdifferenzierung der Aufgaben der Hafenmeister waren auch Besetzungen durch ausländische Vertrauenspersonen möglich. Im Laufe der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts änderte sich die wirtschaftliche Vorgehensweise der Herrscher Makassars nach und nach. Sie begannen sich an den Fahrten privater Händler mit eigenem Kapital zu beteiligen. Gelegentlich wurden fremde Schiffe angemietet und für die eigenen merkantilen Zwecke eingesetzt. Auch der Bau – insbesondere in Java und Ost-Kalimantan - und Einsatz eigener Schiffe kam in den 1630er und 1640er Jahren hinzu. Teilweise wurden diese prahus 926 TOBING, Amanna Gappa, 160. 927 PURBATJARAKA, Shahbandars, 1/2. Das Wort bedeutet in der wörtlichen Übersetzung aus dem Persischen ‚König des Hafens‘. 928 Vertaling, 73. 929 PIRES, Suma Oriental, 212. 326 Makassar und die Europäer vor 1666/69 von portugiesischen Kapitänen befehligt. Folge dieser Veränderungen war die Einrichtung einer Niederlassung auf den Molukken.930 An der zentralen Rolle, welche die Abgaben für das herrschaftliche Einkommen spielte, änderte sich dennoch nichts. 2. Europäische Organisationsformen Privilegierte Kompanien Sieht man von den Portugiesen und den nur sporadischen Besuchen von Franzosen oder Spaniern ab, waren die Europäer im wesentlichen durch privilegierte Handelskompanien in Makassar vertreten. Die Organisationsform ihres Handels leitet sich entsprechend aus der Struktur der Handelskompanien ab. Als zentrales Charaktermerkmal hat dabei die Faktorei zu gelten, über welche der gesamte Handel einer Handelskompanie an einem bestimmten Ort abgewickelt wurde. Grundsätzlich sind zwei Arten von Faktoreien zu unterscheiden, die sich weniger in ihrer alltäglichen Erscheinungsform als vielmehr in ihrer Funktion innerhalb des Systems der Kompanie voneinander abhoben. Zum einen wurden Faktoreien unmittelbar vor Ort an der Produktionsstätte einer Ware errichtet, die für die Kompanie eine wesentliche Rolle spielte. Ziel einer solchen Niederlassung war es, hinsichtlich dieser spezifischen Ware an Ort und Stelle ein Käufermonopol zu errichten. Zum anderen existierten etliche Faktoreien in Emporien, an den Umschlagsplätzen der verschiedenen Waren, deren Herstellungsorte weit entfernt liegen konnten. Zweck solcher Niederlassungen war die Beteiligung am Handel, insbesondere am Handel der dritten Ebene oder die Eigenbeteiligung am Übergang von dieser Ebene auf die Ebenen des Langstreckenhandel. Ein Monopol im Rahmen des Gesamtvorgehens der Kompanie anzustreben, war auch an dieser Stelle denkbar, allerdings kaum erfolgversprechend. Neben der Errichtung und dem Betrieb von Faktoreien verfolgten die Kompanien eine zweite Vorgehensweise: regelmäßige, aber punktuelle Fahrten zu bestimmten Märkten. Der Nachteil dieser zumeist im Jahresrhythmus durchgeführten Handelsreisen lag in dem kurzfristigen Aufenthalt, der eingeschränktere Ankauf- 930 SCHRIEKE, Shifts, 68/69. Organisationsformen des Handels 327 möglichkeiten als im Falle eine ständigen Niederlassung bedeutete. Im Falle Makassars versuchte die VOC diesen Nachteil durch ein besonders offensives Kaufverhalten wettzumachen, indem sie durch das beständige Überbieten der Konkurrenz den Käufermarkt vollständig für sich eroberte. Langfristig widersprach ein solches Verhalten allen kaufmännischen Grundsätzen und ist nur mit dem niederländischen Gesamtvorhaben, ein Monopol auf dem Gewürzmarkt unter Ausschaltung der Konkurrenten wie auch der unkontrollierten Handelsplätze zu verstehen. Letztere Vorgehensweise war gelegentlich unumgänglich, da Faktoreien in der bislang thematisierten Epoche noch in sehr hohem Maße von lokalen Herrschern abhängig waren. Von daher kann zu dieser Zeit eine Faktorei, zumindest in Makassar, nicht als Keimzelle des Kolonialismus angesehen werden, wie es Dietmar Rothermund beschreibt.931 Nach seinem Stufenmodell macht die Niederlassung einer Kompanie fünf Phasen der Entwicklung durch. Zunächst übernimmt die Faktorei den An- und Verkauf von Waren und übernimmt zuallererst die Funktion, regelmäßige Schiffsladungen bereitzustellen. In der zweiten Phase spezifiziert die Faktorei die Bestellungen für den Export, indem sie beispeilsweise Muster verteilt. In der dritten Phase finanziert die Faktorei einen großen Teil der bereitzustellenden Schiffsladung vor und kann dadurch Standards und Qualitätskontrollen durchsetzen. Die folgende Phase zeichnet sich nach Rothermund durch das Eingreifen der Niederlassung in den Produktionsprozeß, den gezielten Einsatz der Vorschüsse und die Stimulierung des Produktionsprozesses aus. In der fünften Phase schließlich übernimmt die Faktorei die Organisation des Produktionsprozesses in Gestalt eines Verlagssystems und durch den Einsatz eigener Werkstätten für die Weiterverarbeitung. Auch wenn die Faktorei in diesem Zusammenhang nicht expressis verbis als Keimzelle des Kolonialismus bezeichnet wird, kann doch die fünfte Entwicklungsstufe als – im Sinne Osterhammels – Kolonialismus im wirtschaftlichen Bereich bezeichnet werden. Unterliegt eine Faktorei einer stringenten Entwicklung im Sinne beständiger Funktionserweiterungen, wie es das Modell Rothermunds annimmt, spielt diese tatsächlich die Rolle der Keimzelle einer Entwicklung, deren Ergebnisses letztendlich kolonialen Charakter hat. Dieses Stufenmodell mag als idealtypisch durchaus nützlich sein, doch trifft es bei weitem nicht für alle von europäischen Kompanien gegründete Faktoreien in Asien zu, insbesondere nicht für die in der Frühzeit gegründeten, und darf entsprechend nicht uneingeschränkt verallgemeinert werden. Im Falle Makassars war es für die 931 ROTHERMUND, Europa und Asien, 93-95. 328 Makassar und die Europäer vor 1666/69 bestehenden Kompanie-Niederlassungen noch zu früh, um in eine solche Entwicklung einsteigen zu können. Die makassarischen Faktoreien, gleich welcher Ostindien-Kompanie sie angehörten, blieben auf der ersten Entwicklungsstufe des Rothermund’schen Modells stehen. Teilweise konnten sie nicht einmal die dort definierte Rolle des Bereitstellens regelmäßiger Schiffsladungen kontinuierlich erfüllen. Zwar finanzierten sie nicht selten die Bestellungen durch Vorschüsse, womit vordergründig ein Charaktermerkmal der dritten Entwicklungsphase zu beobachten ist, doch geschah dies aus der Not geboren in der Regel auf Kreditbasis. Diese Abhängigkeit von indigenen Kreditgebern zusammen mit der herrschenden Konkurrenzlage und dem durchaus noch intakten Machtsystem des lokalen Herrschers, machte es ihnen unmöglich, die übrigen Charakteristika der dritten Entwicklungsstufe – die Durchsetzung einer Standardisierung und die Durchführung einer Qualitätskontrolle – zu verwirklichen. Mittelsmänner und Auftragshandel Die schwierige, ja sogar gefährliche Lage in den Gewässern rund um die gewürzproduzierenden Molukkeninseln, hervorgerufen durch die militärische Präsenz der VOC, führte seit den 1630er Jahren zu einer ganz besonderen Lage in Makassar. Da sie selbst nicht mehr die Molukken anliefen und die malaiischen, makassarischen oder buginesischen nachodas die Gefahr ebenfalls scheuten, sahen sich die Vertreter der englischen und dänischen Kompanien gezwungen, die Handelsreisen in den Osten mit Kapital oder auch mit Waffen auszustatten. Die Bereitschaft der indigenen Händler, doch noch den Versuch zu wagen, Gewürze für Makassar einzukaufen, wurde gewissermaßen erkauft. Die nachodas, die dazu bereit waren, fuhren als Auftragsnehmer der Europäer. Die Dänen gingen vollends dazu über, Nelken gegen Vorkasse bei einheimischen Kaufleuten, insbesondere Makassaren und Malaiien, zu ordern.932 Auch die asiatische Seite stellte sich auf die Situation ein. Die malaiische Gemeinde trat der EIC geschlossen gegenüber, um für die jährliche Molukkenfahrt als Gegenleistung eine umfassende Bewaffnung ihrer prahus auszuhandeln. Mutmaßlich unterstützte diese Situation auch eine Entwicklung, die in der Endphase des freien Emporiums Makassar verstärkt Mittelsmänner oder Broker auftreten ließ. Ende der 1650er Jahre erscheint in den Akten der EIC ein Mittelsmann namens Mopley, dessen Herkunft unklar ist und auf Grund des Namens nur speku932 KRIEGER, Kaufleute, 62. Organisationsformen des Handels 329 lativ in Indien zu suchen ist. Dieser Mittelsmann übernahm in den letzten aktiven Jahren der EIC-Niederlassung große Teile der englischen Warenbestände.933 Als sich ihr Ende bereits abzeichnete, verkaufte die Faktorei 1664 ihre verbliebenen Güter an Mopley, Alabappa und andere „sufficient men“.934 Zu anderen Europäern, wie beispielsweise den Portugiesen, unterhielt die EIC wohl direkte, meist durch Verträge gestützte Handelskontakte.935 Die engen Beziehungen, die sie am Ende mit Francisco Vieira knüpften, um überhaupt noch einige lukrative Geschäfte tätigen zu können, sind das prominenteste Beispiel hierfür. Die Niederländer verließen sich auf eine Schicht von Mittelsmännern, mit denen sie anderenorts bereits erfolgreich kooperierten, die in Makassar jedoch in der Mitte des 17. Jahrhunderts in diesem Zusammenhang erstmals in Erscheinung trat: „The Dutch have contracted to take all the commodities which arrive on the Proas, at an advance of 5 Mas beyond what we offer; and they employ, besides, Chinese Brokers at a Commission of 5 per cent, thus they have engaged the whole Town, and there is little Resort to us, who are restricted to sell only for ready Money.“936 Ein Hafen wie der makassarische bot verschiedenen im Handel engagierten Gruppen eine Heimat: von den einfachen nachodas, die auf eigene Rechnung Handelsfahrten unternahmen, bis hin zu kapitalkräftigen Kaufleuten, die sich bis zuletzt einen Zugriff auf den Markt erhalten und so aus den Begehrlichkeiten der europäischen Kompanien Profit ziehen konnten. Weder den Niederländern noch den Engländern, geschweigen denn den Dänen, gelang es vor der Eroberung Makassars, dieser vielschichtigen Struktur Herr zu werden und den Markt zu monopolisieren. 933 934 935 936 BL London, OIOC, G/10/1, Macassar to Bantam, 9.7.1659 und 24.6.1659, 175-177. Ebd., G/10/1, Macassar General to Bantam, 31.7.1664, 238. Ebd., G/10/1, Macassar General to Bantam, 12.6.1659, 173. Ebd., G/10/1, Macassar General to Bantam, 31.5.1665, 263. V. Europa und Asien in Makassar – eine Zusammenfassung Im Verlauf des 16. Jahrhunderts entstand auf der Südhalbinsel Sulawesis ein Handelsemporium, das spätestens zu Beginn des 17. Jahrhunderts ein zentraler Umschlagplatz für die molukkischen Gewürze Nelken, Muskatnuß und Macis, für Pfeffer, aber auch für Sklaven, Textilien und eine breite Palette regionaler Waren geworden war. Dieses Emporium verband die östlichen Bereiche des Malaiischen Archipels mit Kalimantan, Java, Sumatra, der Malaiischen Halbinsel und mit den Philippinen. Zudem lag auch das südostasiatische Festland und Süd-China, wenn auch nur in Form erster tastender Versuche, in Reichweite Makassars. Neben Malakka, Banten, Aceh, Palembang, Johor und später Batavia gehörte Makassar nicht nur zu den größten Städten, sondern auch zu den wichtigsten wirtschaftlichen Knotenpunkten im südostasiatischen Handelssystem. Als solcher stellte das Emporium die Gewürze der Molukken und Kalimantans, aber auch Sklaven und eine Reihe von Luxuswaren regionalen Ursprungs für den Langstreckenhandel auf den oberen beiden Handelsebenen ebenso bereit wie es Textilien und Gebrauchsgegenstände in den regionalen und lokalen Handel der unteren Ebenen einspeiste. Daneben spielte es ebenfalls auf diesen Ebenen eine herausragende Rolle als Nahrungsmittellieferant. Grundlage für diese große wirtschaftliche Bedeutung der Stadt Makassar bildeten die bereits seit Jahrhunderten bestehenden Handelskontakte, wie sie sich insbesondere in den Keramikfunden widerspiegeln. Daß es ausgerechnet Makassar war, das nach einer langen Periode der konkurrierenden Handelsplätze Kristallisationspunkt dieses sulawesischen Handels wurde, begründete sich in der geschickten Machtpolitik der Herrscher von Goa-Tallo, der Nutzung des Islam als neue Legitimationsgrundlage und in der konsequente Wirtschaftspolitik eines ‚mare liberum‘. Makassar stieg dank des günstigen Zusammenspiels wirtschaftlicher und politischer Faktoren für ein bis anderthalb Jahrhunderte zur südostasiatischen Wirtschaftsmacht auf. Die Vorstellung, daß die europäische Gewürznachfrage eine ursächliche Rolle für die Entstehung eines Emporiums wie Makassar spielte, die in Schriekes Wertung kummuliert, daß Makassars Bedeutung insbesondere durch die englische und die dänische Faktorei deutlich anstieg,937 läßt sich angesichts des bislang Ausgeführten kaum halten. Etwas schwieriger gestaltet sich durch die Quellenlage, die in größerem Umfang die Ziele makassarischer Handelskontakte überliefert als deren Träger, 937 SCHRIEKE, Shifts, 70. Europa und Asien in Makassar – eine Zusammenfassung 331 eine Antwort auf die Frage, inwieweit die Makassaren selbst am Handel und damit am Aufstieg ihrer Metropole beteiligt waren. Nach Schriekes klassischer Betrachtung waren es die auswärtigen, vor allem die malaiischen Händler, die das Wirtschaftsleben des Emporiums gestalteten, während sich die einheimische Bevölkerung noch auf die Landwirtschaft konzentrierte.938 Dabei beruft sich Schrieke auf teilweise falsch übersetzte niederländische Quellen und auf die Äußerungen des makassarischen Königs, der die Beteiligung seiner Landsleute von sich wies und die Malaiien vorschob – ein Verhalten, das von der VOC mit der Bezeichnung ‚Bantamsche Komödie‘ als unglaubwürdig abgetan wurde. Er führt aber auch Berichte wie den des Engländers Sihordt an, der aussagt, daß von Makassar aus vorrangig Malaiien aus Patani, Johor oder anderen Orten Schiffahrt betrieben und daß diese zu mehreren Tausenden in Makassar lebten und den Großteil der Schiffahrt in alle Richtungen kontrollierten. Nur wenige Makassaren steuerten über See entferntere Plätze an, während sie allerdings mit kleinen Schiffen an den Plätzen rund um Celebes sehr aktiv waren. Oder Schrieke bezieht sich auf Generalgouverneur Brouwer, der 1634 schrieb, daß der makassarische Handel in jüngster Zeit, bedingt durch die hohe Zuwanderung, außerordentlich gestiegen wäre. Fast zwangsläufig führt eine solche Einschätzung dazu, daß den Europäern beim Aufstieg Makassars eine entscheidende Rolle zugesprochen wird. Schrieke tut dies, indem er zunächst die Rolle der Portugiesen betont, und dann die Behauptung aufstellt, daß der makassarische Handel „still more increased“, als sich die Engländer und Dänen etablierten.939 Erweitert man Schriekes Material um zusätzliche europäische Quellenzeugnisse, korrigiert den einen oder anderen Fehler, der sich bei ihm eingeschlichen hat, und setzt die historischen Ergebnisse mit den archäologischen Zeugnissen in Beziehung, ergibt sich ein anderes Bild. Gerade auf den Gewürzinseln wurden auch Makassaren neben Javaner, Malaiien und Bugis schon sehr früh angetroffen. Offenbar noch eher traten sie in den javanischen Häfen und den Städten an der Straße von Malakka in Erscheinung. Wenn europäische Beobachter Makassaren in ausdrücklicher Abgrenzung zu Bugis, Malaiien oder anderen seefahrenden Völkern erwähnen, kann davon ausgegangen werden, daß hinsichtlich der ethnischen Zuordnung Klarheit geherrscht hat. Werden Makassaren isoliert als solche angesprochen, können durchaus Unklarheiten vorliegen und Seefahrer unterschiedlicher und uneindeutiger Nationalität auf Grund ihres aktuellen Herkunftsortes als solche bezeichnet worden sein. 938 Ebd., 66/67. 939 Ebd., 66-70. 332 Makassar und die Europäer vor 1666/69 Allerdings sollte bei fest in Asien stationierten Europäern, die über Jahre hinweg alltäglichen Umgang mit Angehörigen der unterschiedlichen indonesischen Ethnien pflegten, die Unfähigkeit zur Unterscheidung einheimischen Nationen nicht allzu hoch eingeschätzt werden. Zudem darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, daß es sich bei den Makassaren um die zahlenmäßig kleinste Ethnie SüdSulawesis handelt, die im Vergleich zu großen Gruppen wie den Malaiien oder Javanern noch unscheinbarer erschienen. Ihr vergleichsweise seltenes Auftreten in den Quellen ist zuerst einmal ein Ausdruck dieses Verhältnisses und kein Beleg dafür, daß sich die Makassaren ganz auf die Aktivitäten anderer Ethnien verließen. Auch ist nicht anzunehmen, daß ausgerechnet die Besetzung ihrer Heimatstadt durch die VOC die maritimen Aktivitäten der Makassaren besonders angespornt hätte, sind sie doch in den Akten der VOC-Verwaltung nach 1669 vielfältig bezeugt. Für die Position Makassars in der südostasiatischen Handelswelt ist die Frage der Beteiligung der Makassaren am maritimen Handel eher zweitrangig. Ob es die Einheimischen selbst oder vorrangig die auswärtigen Handelsnationen waren, welche den Handel der Stadt trugen, ändert nichts an deren Position als kommerzielles Zentrum, die nicht auf die Ankunft der Europäer angewiesen war. Letztere trafen auf ein blühendes Emporium, an dessen Wirtschaftsleben sie sich auf Grund der von den Herrschern garantierten Offenheit beteiligen konnte. Die Sultane von Goa-Tallo unterteilten die multiethnische Einwohnerschaft Makassars in drei Bereiche. Die erste große Gruppe bildeten diejenigen, deren Ansiedlung auf Grund ihrer Herkunft aus dem unmittelbaren Umfeld als Selbstverständlichkeit angesehen wurde. Diese Einwohner benötigten keine herrschaftliche Aufenthaltserlaubnis. Sie traten kaum geschlossen als ‚Nation‘ auf, sondern individuell, und waren den einheimischen Makassaren weitgehend gleichgestellt Es handelte sich vor allem um Bugis, daneben vielleicht um Mandhar, die allerdings in den Quellen kaum Erwähnung finden, weswegen sie wahrscheinlich in anderen Handelsstrukturen zu suchen sind. Die zweite Gruppe setzte sich aus den sogenannten Handels- oder Händlernationen zusammen, wobei es zunächst unerheblich war, aus welchem Kontinent sie stammten. Seitens des Sultans ließen sie sich als ‚Nationen‘ fassen und verstanden und organisierten sich auch selbst als solche. Im Grunde befanden sie sich in der gleichen Position wie die erste Gruppe, mit dem Unterschied, daß der Kontakt zum Herrscherhaus über die offiziellen Eliten der jeweiligen ‚Nation‘ organisiert war. Mit Sicherheit zählten hierzu die Malaiien, Inder, und Portugiesen, wahrscheinlich Europa und Asien in Makassar – eine Zusammenfassung 333 auch Javaner und Minangkabau, wobei sich letztere nicht selten hinter dem Sammelbegriff Malaiien versteckten. Unwahrscheinlich war in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Makassar die Anwesenheit einer größeren Zahl von Chinesen, obwohl ihre ‚Nation‘ vom Typus her der klassische Vertreter dieser Gruppe war. Die dritte Gruppe schließlich bestand aus den Vertretern der europäischen Handelskompanien, denen man, schon aus eigenem merkantilen Interesse heraus, die gleiche Stellung zugestehen wollte wie den anderen Handeltreibenden im Hafen, die man aber auf Grund des spezifischen Charakters der Kompanien besonders im Auge behielt. Sie wurden von den Herrschern auf ihre Kontore und in ihrer Zahl beschränkt. Wenn es die Sultane für notwendig hielten, wurden die Mitglieder dieser Gruppe auch ausgewiesen, was in allen anderen Fällen nicht bekannt ist. Die beste Stellung beim Karaeng Goa hatten diejenigen europäischen Nationen, deren Verhalten und Erscheinungsform der traditionell in Makassar gewohnten am nächsten kam. Die Portugiesen waren den asiatischen Händlernationen am ähnlichsten, traten sie doch in Makassar ohne Ansprüche auf, die über der gleichberechtigten Teilnahme am freien Markt hinaus gingen. Die Macht des Estado da India war geschwunden und war auch zuvor nie wirklich bis nach Sulawesi vorgedrungen. Für den karaeng spielten die Portugiesen kaum eine andere Rolle als die Malaiien, deren Anwesenheit schon immer integraler Bestandteil der Wirtschaftsmacht Makassar war. Vor dem gleichen Hintergrund konnten sich immer wieder auch Franzosen in Makassar aufhalten, deren Mitgliedschaft in der privilegierten ‚Compagnie des Indes‘ wohl nur eine unbegründete Annahme der Briten war. Weitaus fremder und nicht zuletzt gefährlicher mußten dem Sultan diejenigen europäischen Nationen erscheinen, die vor dem Hintergrund einer privilegierten Handelsgesellschaft auftraten und entsprechend Ansprüche stellten. Im Gegensatz zu den erstgenannten Gruppen begaben sie sich nicht nur als Händler unter die Souveränität des makassarischen Herrschers, sondern traten als eigenständige souveräne Macht auf. Je aggressiver der Auftritt mit dem Ziel der Marktbeherrschung ausfiel, desto unkooperativer war auch der makassarische König. Die VOC, die militanter als alle anderen ihr gewünschtes Monopol im Gewürzhandel anstrebte, bekam dies zu spüren. Ihr gelang es nicht, eine kontinuierliche und unangefochtene Stellung in Makassar einzunehmen. Zur Eroberung des Monopols im östlichen Archipel war sie auf zwei andere Wege angewiesen. Zum einen strebten sie die Kontrolle über die gewürzproduzierenden Molukken an, was ihnen im Verlauf der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zumindest in weiten Berei- 334 Makassar und die Europäer vor 1666/69 chen gelang. Zum anderen konnten sie die selbständige Marktposition Makassars nur beseitigen, indem sie den souveränen Staat Makassar selbst beseitigten. Die Engländer – und die Dänen, wenn auch in einer weitaus unbedeutenderen Position – bewegten sich auf einem Mittelweg. Da sie die Oberhoheit des makassarischen Händlers akzeptierten und eine „Diplomatie der Geschenke“ anwandten, konnten sie sich in Makassar etablieren und auch den Schutz des Herrschers genießen. Als offizielle Vertreter einer souveränen Macht jenseits des Horizonts blieben sie jedoch stets ein weitaus größerer Fremdkörper als die Portugiesen, gegen die sie sich nie endgültig durchsetzen konnten. Auch wenn die Europäer gegenüber den asiatischen Nationen als gleichberechtigte Konkurrenten auftraten, darf ihr Einfluß dennoch keinesfalls unterschätzt werden. Durch die Aktivitäten der Ostindien-Kompanien, allen voran der VOC, wurde der Gewürzmarkt in Makassar zunehmend unberechenbar und brach nicht selten zusammen. Der Molukkenhandel war für die wirtschaftliche Prosperität des Emporiums so zentral, daß die durch die Europäer hervorgerufenen Entwicklungen die Position Makassars erheblich beeinträchtigten. Daneben bestanden eine Reihe Handelssphären, die sich weitgehend außerhalb des Interesses der europäischen Handelsmächte bewegten. Die zunehmenden Einschränkungen des Gewürzhandels und die letztendliche Übernahme der Stadtherrschaft durch die VOC bedeutete nicht, daß sämtliche Handelsaktivität im Hafen Makassars zum Erliegen kam. Die Zahlen der nach Makassar importierten asiatischen Handelskeramik scheint sogar darauf hinzudeuten, daß gerade die Zeit unter die VOC die „große Zeit“ des Handelsplatzes Makassar gewesen war. In Anbetracht der Tatsache, daß der Molukkenhandel unter VOC-Herrschaft nicht mehr möglich war, kann diese Behauptung in ihrer Absolutheit natürlich nicht stehen bleiben. Dennoch war die Bedeutung des Handelsplatzes Makassar durch den Wegfall des molukkischen Gewürzhandels noch lange nicht gänzlich gebrochen. Fünftes Kapitel Makassar und die VOC nach 1666/69 „De stad is maar een open vlek, dat ook anders wel de negrij Vlaardingen genaamd wordt en waarin men maar een groote ongeplaveide straat [...] en dan nog 2 of 3 kleine straaten heeft, waarin de Nederlandsche burgers, eenige Chinezen, onder hunnen kapitein en eenige Macasaren en andere inlanders wonen en die ook afgesloten en door de Chinesche en de burgerwacht bewaakt worden. De bediende der E. maatschappij wonen allen in den vesting; doch de fiskaal woont buiten, om te beter zijn ambt te kunnen oefenen. Men heft hier verscheiden zeer goede huizen, die een zeer fraai uitzigt op de reede hebben, daar men wanneer men op de reede komt, als in eenen inham inzeilt, waar men de stad aan wederzijden liggen heeft.“ (François VALENTIJN, 1724/26) I. Die Errichtung eines niederländischen Makassars 1. Der Makassarische Krieg und seine Auswirkungen940 Die Situation am Vorabend des Krieges Auf sich allein gestellt gelang es der VOC nicht, die unliebsame Konkurrenz, die das Emporium Makassar darstellte, auszuschalten. Trotz der Blockaden, trotz der zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und sogar trotz eines militärischen Angriffs auf die Stadt, der vor allem aus einem Artillerie-Bombardement bestand, hatte Makassar den Forderungen der VOC, die auf eine Unterwerfung des Emporiums unter die weitgehenden Monopolvorstellungen der Kompanie hinausliefen, nicht nachgegeben. Erst als sich die VOC die Rivalitäten auf der Halbinsel zu Nutze machte und einen Bündnispartner gewannen, konnte sie ihr Ziel erreichen. Die Niederländer lernten ihren Verbündeten Arung Palakka 1663 kennen, als er mit einer kleinen Gruppe Bugis-Flüchtlinge in Batavia eintraf. Arung Palakka war der Sohn eines niederen Adligen aus dem sulawesischen Königreich Soppeng und der Tochter des ersten muslimischen Herrschers von Boné. Nach einem gescheiterten Aufstand gegen die Vormachtstellung Goa-Tallos in Süd-Sulawesi floh er 1660 nach Buton. Für das Anliegen, sein Heimatland Boné von der Herrschaft der verhaßten Makassaren zu befreien, suchte er nun die Unterstützung der VOC. Diese setzte die vorübergehend auf Java angesiedelten Bugis im August 1666 erfolgreich bei einer Strafexpedition gegen die Minangkabau auf Sumatra ein. Ihre militärischen Fähigkeiten und die charismatischen Führungsqualitäten Arung Palakkas ließen die Bugis zu Bündnispartnern der Kompanie werden, als diese Ende 1666 beschloß, das „Problem Makassar“ endgültig militärisch zu lösen.941 940 Der Krieg der VOC gegen Makassar (1666 bis 1669) und die Eroberung der Stadt ist sicherlich das besterforschte Kapitel der sulawesischen Geschichte. Bereits die zeitgenössischen Chronisten legten den Schwerpunkt ihrer Darstellungen in der Regel auf diese Jahre (DAM, Beschryvinge 2.I, 233-244; VALENTIJN, Oost-Indiën III, 130-157; BLOK, Beknopte geschiedenis, 15-17, 32-35). Ähnliches gilt für die moderne Forschungsliteratur (ANDAYA, Village Perception, 363-378; BULBECK, Landscape, passim; CRUCQ, Heilig kanon, passim; STAPEL, Bongaais Verdrag, passim; VILLIERS, Makassar, 155/156). Die bislang einzige umfassende Monographie neueren Datums widmet sich gänzlich diesem Themenkomplex (ANDAYA, Heritage, passim, insbes. 73-137). Daher wird an dieser Stelle auf eine ausführliche Ereignisgeschichte verzichtet zu Gunsten eines kurzen Abrisses der notwendigen Fakten und einer Würdigung der Folgen für die Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte Makassars. 941 DERS., Village Perception, 363; NAGEL, Stadtstaat, 122/123. 338 Makassar und die VOC nach 1666/69 Der Gegner Goa-Tallo allerdings hatte seine alte Stärke verloren. Wirtschaftlich war er geschwächt, da es der VOC gelungen war, Monopole auf den einzelnen Gewürzinseln durchzusetzen. In den südlichen Molukken etablierte sie durch Eroberung und eine kompanie-kontrollierten Plantagenwirtschaft ein Produktionsmonopol; in den nördlichen Molukken war sie auf dem Wege, ein Käufermonopol zu errichten. Auch der übrige Handel Makassars litt unter der agressiven Politik der VOC. Der Umschlag nicht-molukkischer Gewürze wie Pfeffer war zurückgegangen, begleitet von teilweise drastischen Preissteigerungen. Der Rückgang anderer Handelssphären muß, wenn auch kaum nachweisbar, angesichts des rückläufigen Handelsverkehrs angenommen werden. Die VOC hatte das Emporium bereits im Mark getroffen, war aber noch nicht in der Lage gewesen, es endgültig zu besiegen. Auch politisch war Makassar inzwischen schwächer als zu seinen größten Zeiten. Die Dualität von Goa-Tallo erwies sich nach der Amtszeit des unumstrittenen Pattingalloang als Schwäche. Die beiden Sultane konnten sich nicht über die Ausübung des Reichsverweseramtes einigen. Nach den buginesischen Überlieferungen provozierte diese interne Schwächung zusammen mit den tyrannischen Zügen Hasanuddins die Rebellion in Boné, die nicht zuletzt zum Bündnis zwischen der VOC und Arung Palakka führte und mit der Niederlage Makassars endete.942 Diese wurde jedoch erst durch das militärische Eingreifen der Kompanie überhaupt denkbar. Innerhalb der Region hatte Goa-Tallo durchaus noch Verbündete, wobei die ethnische Zuordnung keine entscheidende Rolle spielte. Wichtigster Alliierter war am Vorabend des Krieges der buginesische Reich Wajo. Die Mehrheit der Eliten in den regionalen Klein- und Kleinststaaten empfanden die Vorherrschaft Goa-Tallos jedoch zunehmend als Unterdrückung. Eine charismatische Führungsfigur wie Arung Palakka fand hier die richtigen Ansprechpartner für seine Mission und damit eine Vielzahl von Verbündeten für die VOC. Genau hier wurde ein zukünfiges Problem für die Kompanie angelegt: diese Verbündeten fühlten sich Arung Palakka gegenüber loyal, vielleicht auch noch seinen Nachfolgern oder dem Königreich Boné, mit Sicherheit aber nicht gegenüber der VOC. Der Feldzug Speelmans und Arung Palakkas Mit der endgültigen militärischen Lösung des „Problems Makassar“ wurde der ehemalige Gouverneur der Koromandel-Küste und spätere General-Gouverneur, Ad942 REID, Pluralism, 71. Die Errichtung eines niederländischen Makassar 339 miral Cornelis Speelman, betraut. Er erhielt eine ausführliche Instruktion,943 die deutlich macht, daß die Position Makassars alleine nicht den höchsten Stellenwert für die Kompanie besaß, da in das Unternehmen ausdrücklich die Molukken einbezogen waren. Teilweise geschah dies, weil die Machtpolitik Goa-Tallos auch dort ihre Spuren hinterließ, teilweise, um die Verhältnisse auf und zwischen den Gewürzinseln insgesamt zu stabilisieren. Die Flottille des Cornelis Speelman bestand aus 13 Kriegsschiffen – Vollschiffe, Fleuten und Jachten –, fünf Ruderschaluppen und einem Mannschaftstransporter mit 500 europäischen und 300 asiatischen Soldaten. Insgesamt nahmen 1.870 Mann an der Expedition teil, bestehend aus 818 europäischen Seeleuten, 578 europäischen und 395 einheimischen Soldaten.944 Arung Palakka war einer der Kommandeure der indigenen Kräfte, die vorrangig aus Ambonesen und Bugis bestanden. Zunächst sollte die Flotte in voller Kampfesstärke vor Makassar zu erscheinen und die dortige Regierung zu Verhandlungen, letztendlich zum Nachgeben zu zwingen. Für den Fall, daß die Demonstration der Stärke nicht den erwünschten Erfolg zeitigen sollte, war zunächst ein Umweg über die Insel Buton vorgesehen. Dort sollte das langjährige Bündnis durch diplomatische Höflichkeiten und den Austausch von Geschenken erneuert und Informationen über illegalen Gewürzanbau und Handel in den Tukangbesi-Inseln eingezogen werden. Konkrete Aktionen gegen diese „illegalen“ Wirtschaftsaktivitäten wurden allerdings nicht ausdrücklich angeordnet. Vielmehr wurde die Flotte weiter nach Ternate geschickt, wo die gleichen diplomatischen Ziele angestrebt wurden. Kriegerische Einsätze gegen die makassarischen Besitztümer auf dem Weg dorthin waren nicht ausgeschlossen, doch sollte Speelman unbedingt auf die Einsatzstärke seiner Truppen achten, sich nicht verzetteln und sein Hauptziel, die Vorherrschaft Goa-Tallos zu brechen und das eigene Monopol zu sichern, nicht aus den Augen verlieren. Zudem sollte er sich auch um das gestörte Verhältnis zwischen Ternate und Tidore kümmern, bevor er seine Reise mit Besuchen in Ambon und Banda fortsetzte. Erst nach der Festigung der Bündnisse in den Molukken sollte endgültig die gewaltsamen Unterwerfung Makassars in Angriff genommen werden. Das Instruktionsschreiben enthält ausdrücklich kein Zeitlimit. Die Schiffe sollten so lange vor Ort bleiben, bis der Erfolg gesichert war. Es war eine Seestreitmacht, die Admiral Speelman ins Feld führte. Von See her hatte es die VOC schon häufiger versucht, wenn auch nicht mit eindeutigen Erobe943 Die Instruktion ist ediert in STAPEL, Bongaais Verdrag, 195-217; siehe auch ausführlich DAM, Beschryvinge 2.I, 234-236. 944 ANDAYA, Heritage, 73. 340 Makassar und die VOC nach 1666/69 rungsabsichten. Auch die Instruktionen Speelmans sahen ein Bombardement der Stadt Makassar vor, aber kein Landungsunternehmen, obwohl der Admiral persönlich überzeugt war, daß eine faktische Eroberung unabdingbar war. Eine erfolgversprechendere Strategie setzte einen zweiten militärischen Ansatzpunkt voraus. Die harte Nuß Makassar wurde in einer Zangenbewegung aus zwei Feldzügen, einen frontal zur See und einen aus dem Hinterland geknackt. An dieser Stelle kam der rebellische Bugisführer Arung Palakka ins militärstrategische Spiel. Die einheimischen Truppen an Bord des Expeditionsflotille waren mit weniger als 400 Mann eher bescheiden, zumal sie noch unterschiedlicher Ethnizität waren und unter verschiedenem Oberkommando standen. Ein gewisser Captain Joncker befehligte die Ambonesen; das Kommando über die Bugis teilten sich Arung Palakka und Arung Belo Tosa’deng. Die buginesischen Kommandeure hatten vor, einen Landfeldzug durchzuführen, der eine erhebliche Rekrutierung zusätzlicher Unterstützer herbeiführen sollte. Auf Grund der guten Befestigungsanlagen Makassars, die auch außerhalb der Stadt stets mit Kanonen bewaffnet waren, blieb dieses Vorgehen dennoch äußerst schwierig und gefährlich. Speelman hielt sich zunächst eng an seine Anweisungen. Am 24. November 1666 verließ die Expedition den Hafen von Batavia, um am 19. Dezember vor Makassar zu erscheinen. Es wurden sogleich Verhandlungen am Hof von Goa-Tallo aufgenommen, an denen auch Arung Palakka beteiligt war. Bereits zwei Tage später kehrte die Delegation zur Flotte zurück, da aus ihrer Sicht die andere Seite nicht weit genug den Forderungen entgegengekommen war. Speelman beschloß, nach Osten abzureisen und alle eventuellen Landungsoperationen auf die Zeit nach dem West-Monsun zu verschieben. Unterwegs eroberte er am 25. Dezember 1666 Bantaeng und zerstörte einen großen Teil der Stadt, ihres Hafens sowie der umliegenden Dörfer und Reisfelder. Die Siegesserie wurde in den ersten Tagen des Januar auf Buton fortgesetzt, wo ein makassarisches Expeditionschor von 15.000 Soldaten aufgerieben wurde. Trotz der Erfolgsmeldungen folgte die VOC-Leitung in Batavia nicht Speelmans Invasionswünschen und schickte eine ausdrückliche Order, die Truppen nicht in einem Landungsunternehmen zu gefährden, sondern sich darauf zu konzentrieren, dem Feind größtmöglichen Schaden zuzufügen. Speelman entschied sich bei der Weiterentwicklung seiner Strategie bewußt gegen die Anordnungen. Die Nachricht vom Sieg der Niederländer und ihrer Verbündeten bei Bantaeng, die sich wie ein Lauffeuer über das Land verbreitete, war das erste entscheidende Signal für die putativen Verbündeten Arung Palakkas. Schon bei der Landung auf Die Errichtung eines niederländischen Makassar 341 Buton verfügte dieser über eine vervierfachte Streitmacht. Nach dem Sieg trennte sich das indigene Heer von der Flotte Speelmans. Arung Palakka und die seinen blieben zunächst auf der Insel, deren Herrscher einen neuen Freundschaftsvertrag mit der VOC abgeschlossen hatte, um dort eine unumstrittene Kontrolle zu errichten und daraufhin auf die Hauptinsel überzusetzen. Speelman rechnete damit, im Juni 1667 von den Molukken zurück zu sein und dann in Boné und Soppeng ausreichend auf einen Krieg vorbereitete Bundesgenossen vorzufinden. Arung Palakka war auch für die Niederländer zu einer unverzichtbaren Symbolfigur geworden: „What Arung Palakka presented to his people was a man who, in the Bugis or South Sulawesi cultural context, had risen from the dead by taking action to restore his siri’. It was his example which challenged the other Bone-Soppeng Bugis to rise and restore their siri’ as a nation.“945 Nachdem Arung Palakka beim Verlassen der Insel Buton für seine Verbündeten zunächst außer Sichtweite geraten war, da die kleinen Boote seiner Truppen vom Sturm verstreut worden waren, tauchte er mit der Rückkehr der Niederländer rechtzeitig wieder auf, um – unter den makassarfeindlichen Bugis inzwischen unumstritten – das Oberkommando der Armeen von Boné und Soppeng zu übernehmen. Die erste Schlacht ging jedoch verloren; seine Truppen mußten sich zunächst zurückziehen. Drei Tage später, gestärkt durch inzwischen eingetroffene niederländische Kanonen, begannen sie erneut ihre Angriffe mit einem Bombardement der Festung Lamatti und errangen schließlich am Ufer des Flusses Tangka den Sieg in der ersten entscheidenden Schlacht. Am 19. Juni 1667 war Speelman mit seine Flotte nach Buton zurückgekehrt. Sie rückte weiter die Küste entlang gegen Makassar vor und hielt beständigen Kontakt zu den einheimischen Truppen. Die makassarischen Einheiten flohen nach ihrer ersten Niederlage in Booten zurück in ihre Heimat. Bulo-Bulo und Lamatti mußten kapitulieren. Die Bugis beschlagnahmten die Forts und die von den Makassaren zurückgelassenen Waffen. Die Truppen Arung Palakkas zogen weiter gegen Turatea und Galesong, welches sie mit Waffenhilfe Speelmans bis zum 15. August 1667 einnehmen konnte. Damit war die letzte wehrhafte Bastion auf dem Weg zur Stadt Makassar besiegt. Vor den Toren der Stadt kam der Feldzug zunächst einmal zum Stillstand. Nachrichten von makassarischen Feldzügen gegen die weitgehend ungeschützten Territorien von Boné und Luwu beunruhigten die Soldaten. Dennoch blieb die Mehrheit vor Ort, wurde jedoch lange an vorgelagerten Befestigungsanlagen festgehalten. Am 945 Ebd., 83. 342 Makassar und die VOC nach 1666/69 26. Oktober 1667 gelang ein entscheidender Durchbruch. In einer offenen Feldschlacht wurde das makassarische Heer besiegt und auf die Befestigungsmauern von Sombaopu zurückgedrängt. Die Alliierten standen endgültig im Stadtbereich. Drei Tage später unterbreiteten sie dem Herrscherhaus von Goa-Tallo ein Angebot für Friedensverhandlungen. Waffenstillstand und Friedensverhandlungen Es ist weitgehend unumstritten, daß erst zu diesem Zeitpunkt der politischen und militärischen Führung Goa-Tallos die neue Realität bewußt wurde: dieses Mal würden die Niederländer erst dann abziehen, wenn sie die endgültige Unterwerfung Makassars erreicht hatten.946 Diese Situation unterschied sich deutlich von allen bisherigen, als die VOC nach Befriedigung ihrer Forderungen, die von makassarischer Seite wahrscheinlich als Wiederherstellung der Ehre mißverstanden wurden, ihre Truppen wieder abzog. Die neue Lage veranlaßte die Führung Goa-Tallos schließlich zum Nachgeben. Nach mehreren Waffenstillstandsabkommen begannen am 13. November 1667 in einem kleinen Dorf namens Bongaya Friedensverhandlungen. Speelman ging mit einem 26 Punkte umfassenden Forderungskatalog in die Verhandlungen.947 Im Mittelpunkt standen Forderungen nach der Herausgabe beschlagnahmter Kompaniegüter und inhaftierter VOC-Offizieller, nach Entschädigungen für erlittenen Schaden, nach der Übergabe aller bislang von der Kompanie eroberten Gebiete einschließlich der Zerstörung sämtlicher Befestigungsanlagen sowie nach Handelsbeschränkungen für Asiaten und Europäer bei gleichzeitigem Freihandel der Kompanie. Eventuelle Forderungen der buginesischen Verbündeten fanden in dieser Aufstellung wenig Berücksichtigung. Lediglich in einem Punkt forderte Speelman den Rückzug Makassars aus einigen buginesischen Grenzsiedlungen. Die Verhandlungen dauerten nur wenige Tage. Mit der Bitte um Bedenkzeit hatte sich die makassarische Delegation anfangs zurückgezogen. Sie befand sich jedoch nicht in der Lage, größere Verhandlungsspielräume ausnutzen zu können. Während der Beratungen wurde immer deutlicher, daß sich Sultan Hasanuddin nicht mehr uneingeschränkt auf seine Führungskräfte verlassen konnte. Mehrere von ihnen deuteten in geheimen Kontaktaufnahmen mit Arung Palakka und Speelman an, daß sie bereit waren, die Bedingungen der VOC zu akzeptieren und persönlich die Sei- 946 Ebd., 96. 947 Ebd., 100/101. Die Errichtung eines niederländischen Makassar 343 ten zu wechseln, um Hasanuddin zu stürzen. Die Feilschereien um die Höhe der zu ersetzenden Schäden waren vor diesem Hintergrund nur noch taktische Manöver der makassarischen Führung, um Zeit zu gewinnen. Am 18. November 1667 unterschrieb der Herrscher Goa-Tallos den Vertrag von Bongaya, der im wesentlichen allen Forderungen Speelmans nachkam. Wiederaufflackern der Kämpfe und endgültige Niederlage Unmittelbar nach dem Vertragsabschluß in Bongaya ging Speelman daran, die VOC in ihrem neuen Territorium zu etablieren. Zunächst stieß er auf keinen Wiederstand, eher auf überraschend freundliche Aufnahme. Die Festungen Ujung Pandang und Sombaopu wurden vereinbarunggemäß übergeben. Im April 1668 wurde die verlassene englische Faktorei in Brand gesteckt, während die Schleifung der Befestigungen Sombaopus deutliche Fortschritte machten. Dieser Monat sah jedoch auch das Wiederaufflackern der Gewalttätigkeiten. Zunächst handelte es sich nur um einige wenige Scharmützel im Umland, welche die VOC schnell als Siege verbuchen konnte. Es stellte sich bald heraus, daß mehr zu befürchten war als nur einige wenige Rückzugsgefechte. In Karaeng Karunrung, der erst wenige Tage vor dem Vertragsschluß in ein wichtiges Regierungsamt aufgerückt war und die Unterwerfungspolitik Hasanuddins nicht akzeptierte, fanden die widerstandsbereiten Kräfte einen potenten Führer. Die Truppen der Kompanie, inzwischen um neue Kräfte aus Batavia verstärkt, begannen mit dem Artilleriebeschuß der gegnerischen Stellungen und blockierten den Hafen Makassars. Außer dem Einsatz ihrer Artillerie und einer Leibgarde für Arung Palakka beteiligte sich Speelmans Expeditionschor vorerst nicht mehr an den Kämpfen. Palakkas Bugis-Truppen fochten allein gegen die Makassaren – nicht immer zur Zufriedenheit Speelmans. Der Krieg zog sich in einer Pattsituation dahin. Im Sommer des Jahres 1668 schwächte eine Seuche – nach der Mehrheit der Quellen ein Ausbruch der Pest – alle Beteiligten erheblich, so daß längerfristig keine Entscheidung herbeigeführt werden konnte. Bis zum Herbst war wechselndes Kriegsglück in verstreuten Schlachten und Scharmützeln zu beobachten. Auch das gelegentliche Eingreifen der VOC von See her veränderte wenig. Immerhin konnten im November 1668 wieder Friedensverhandlungen aufgenommen werden, welche die Vertreter der Makassaren jedoch als Atempause nutzten, um alte Allianzen aufleben zu lassen. Nach dem winterlichen West-Monsun trat der Krieg in seine entscheidende Phase. 344 Makassar und die VOC nach 1666/69 Im April 1669 konnten die nun wieder vereinten alliierten Truppen sämtliche gegnerischen Einheiten aus den Randgebieten Makassars vertreiben. Der Widerstand der Makassaren wurde auf die Festung Sombaopu zurückgedrängt. Eine wochenlange Belagerung setzte ein, die als die blutigste und verlustreichste Militäraktion der Kompanie im Malaiischen Archipel angesehen wurde. Sie endete, nach mehreren vergeblichen Anläufen, am 22. Juni 1669 mit der endgültigen Erstürmung der Festung. Der Palast, in dem sich Karaeng Karunrung bis zuletzt verschanzt hatte, während Sultan Hasanuddin längst geflohen war, wurde von den Eroberern geplündert, die Wehranlagen endgültig geschleift. Flucht und Vertreibung Die Niederlage Goa-Tallos und die Eroberung Makassars führte zu beträchtlichen Fluchtbewegungen aus Süd-Sulawesi. Vordergründig eine unmittelbare Folge des Krieges, standen doch recht unterschiedliche Zwänge und Beweggründe hinter diesen Entwicklungen. Für die Vertreibung der Europäer aus Makassar war die VOC verantwortlich, die damit ein erklärtes Kriegsziel verwirklichte. Die Engländer gaben spätestens während der Kampfhandlungen ihre Niederlassung auf; deren geringe Besatzung wurde in die Besitzungen der EIC zurückgezogen. Den zahlenmäßig weitaus stärkeren Portugiesen blieben mit dem abermaligen Fall einer ihrer Stützpunkte an die VOC nicht mehr allzu viele Möglichkeiten. Den Ausgang des Krieges voraussehend reisten die meisten von ihnen bereits vor der Eroberung endgültig ab – mehrheitlich nach Macau, der neben dem weiter entfernten indischen Goa letzten Stadt Asiens unter portugiesischer Verwaltung. Zudem hatte sie den Vorteil, bis zum Krieg in regem Handelskontakt zur portugiesischen Diaspora in Makassar gestanden zu haben. Auch die letzten portugiesischen Enklaven im Archipel kamen für die Flüchtlinge in Frage, so wie sich Francisco Vieira de Figueiredo nach Timor zurückzog. Insgesamt unterstützte der Fall Makassars die Entwicklung der Portugiesen hin zu einer quasi-indigenen Gruppierung unter den privaten Händlern Südostasiens. Portugiesische Privatiers lebten über den Archipel verstreut und beteiligten sich an den verschiedenen Handelswegen und -sphären der weiteren Region, wobei ihnen lediglich die vergleichsweise wenigen Häfen, die eindeutig von der VOC kontrolliert wurden, verschlossen blieben. Unter den Einheimischen war die Situation weitaus unübersichtlicher. Auf beiden Seiten hatten im Makassarischen Krieg sowohl buginesische wie makassarische Die Errichtung eines niederländischen Makassar 345 Noble mit ihren Gefolgsleuten gekämpft. Die nach dem Krieg einsetzenden Fluchtund Vertreibungsbewegungen betrafen folgerichtig sowohl Makassaren wie Bugis, obwohl gemeinhin von einem Sieg der Bugis über die Makassaren die Rede ist. Faktisch handelte es sich jedoch um einen Sieg Bonés und seiner ethnisch gemischten Verbündeten über Goa-Tallo und seine ethnisch ebenfalls gemischten Verbündeten. Sicherlich zwangen bereits die Zerstörungen des Krieges etliche Menschen zur Flucht. Doch die eigentlichen Massenauswanderungen fanden erst Monate nach dem Kriegsende statt. Erst der Tod des unterlegenen Sultans Hasanuddin im Jahr 1670 veranlaßte viele makassarische Adelige und ihre Anhänger zur Emigration aus Sulawesi, die kaum als Flucht im spontanen Sinne des Wortes verstanden werden kann. Es war eher die Aussicht, unter dem als inkompetent und abhängig angesehenen Nachfolger Amir Hamzah Tumammalianga weiterzuleben, als die unmittelbare militärische Niederlage, die sie veranlaßte, sich weit über das Malaiische Archipel verstreut und bis hin nach Ayutthaya in Thailand eine neue Heimat zu suchen.948 Auf diese Weise entstanden an vielen zentralen Orten des Archipels starke buginesisch-makassarische Gemeinschaften. Es ist gesichert, daß in der Stadt Ternate spätestens seit 1680 eine solche Diasporagemeinde siedelte. Allerdings dürften ihre Wurzeln bereits auf den Anfang des 17. Jahrhunderts zurückgehen, als die Niederländer noch keinen Einfluß auf Ternate ausübten.949 Wenn diese Einschätzung stimmt, flohen vertriebene Bugis und Makassaren nach 1669 in eine schon vorgebildete Gemeinde. Ihre dortige Assimilation führte die buginesischen und makassarischen Neu-Molukker weg von ihren ursprünglichen Aktivitäten. Im 19. Jahrhundert waren sie kaum noch als Fernhändler tätig, sondern arbeiteten als Lohnarbeiter, Fischer, Gärtner oder Peddlars in der allernächsten Umgebung; der Seehandel war inzwischen in chinesischer, europäischer und sulawesischer Hand.950 Daß eine bereits bestehende Ansiedlung der eigenen Volksgruppe als erstes Migrationsziel ausgewählt wurde, ist insgesamt eine naheliegende Vermutung. Sie erklärt, daß vor allem traditionelle Hafenstädte nach dem Krieg makassarische Gemeinden aufwiesen. Schon früh berichtet die VOC in ihren offiziellen Papieren von solchen Diasporas, so in der Stadt Palembang auf Sumatra oder – unter einem eigenen hoofd in Autonomie lebend – in der größten Stadt Maduras, Sumenep.951 Die größte Gruppe flüchtiger makassarischer Führungskräfte und ihre zahlreichen Ge948 949 950 951 Ebd., 209. LEIRISSA, Bugis-Makassarese, 243. Ebd., 244/245. Generale Missiven V, 8.3.1686, 8/9; ebd. 13.3.1688, 182. 346 Makassar und die VOC nach 1666/69 folgsleute wurde an zentraler Stelle in Banten angesiedelt.952 Eine große Zahl Makassaren setzte sich auf der Insel Flores fest und blieb dort auch, als Arung Palakkas 1677 versuchte, größere Diasporagruppen mit militärischen Druck zur Rückkehr zu zwingen. Die Gruppe assimilierte sich auf der Endeh genannten Insel so weit, daß sie später häufig unter die „Endehnesen“ gefaßt wurden. Einen unrühmlichen Namen machten sie sich als Sklavenjäger bei der Ausbeutung des benachbarten Sumba.953 Unter den Bugis, die in die Emigration gingen, ragten die Wajos an Zahl und Bedeutung hervor. Der Staat Wajo war lange einer der loyalsten Verbündeten GoaTallos. In der Folge war während des Krieges die wajoresische Händlergemeinde aus Angst vor Plünderungen und Versklavung aus Makassar geflohen.954 Aber erst die Zerstörung der befestigten Siedlung Tosora im Jahr 1670 und die darauf folgenden Verwüstungen im Kernland Wajos lösten einen tatsächlichen Flüchtlingsstrom aus, der eindeutig größer war als derjenige der Makassaren.955 Diese unmittelbar kriegsbedingten Anlässe blieben nicht die einzigen Gründe für eine wajoresische Diaspora. Gerade Wajos wanderten aus ökonomischen Gründen in größeren Verbänden aus, häufig unter der Führung regionaler Adeliger, um sich andernorts ganz auf den Neuaufbau ihres Handels konzentrieren zu können.956 So lebten Wajoresen bald in den benachbarte Regionen wie Enrekang und Luwu genauso wie in Bima und Sumbawa, in Pasir und Kutai, in Banjarmasin, in Mandhar und Kaili wie auch in Selangor auf der Malaiischen Halbinsel. Trotz all dieser Abwanderungen bleibt jedoch auch festzuhalten, daß ein großer Teil von ihnen wieder in Makassar siedelte.957 Im vorliegenden Zusammenhang muß zwischen solchen Flüchtlingen oder Emigranten, die sich auf andernorts tatsächlich eine neue Existenz aufbauten, und solchen, die Süd-Sulawesi in erster Linie deshalb verließen, um außerhalb neue Verbündete für die Revision der heimatlichen Verhältnisse zu suchen, unterschieden werden. Die Vorhaben der letzteren scheiterten allesamt. Viele dieser Flüchtlinge kehrten, teilweise durch niederländisch-buginesische Expeditionskorps mit Waffengewalt gezwungen, wieder in ihre Heimat zurück. Viele der erstgenannten hingegen wurden die Keimzelle einer neuen und erfolgreichen Handelsdiaspora. 952 953 954 955 956 957 ANDAYA, Heritage, 211. NEEDHAM, Sumba, 36/37. NOORDUYN, Merchants‘ Community, 95. ANDAYA, Heritage, 209; NOORDUYN, Kroniek van Wadjo’, 124. CURTIN, Cross-Cultural Trade, 163. NOORDUYN, Merchants‘ Community, 95. Die Errichtung eines niederländischen Makassar 347 2. Der Vertrag von Bongaya958 Der in Bongaya bereits vor dem Wiederaufflackern der Kämpfe abgeschlossene und nach dem Fall Sombaopus endgültig in Kraft gesetzte Vertrag bildete die Grundlage für die zukünftigen Verhältnisse in der Stadt Makassar und der Region. Auch wenn die VOC ihre Beziehungen zu den regionalen Mächten durch zusätzliche Verträge immer wieder erneuerte,959 berief sie sich hinsichtlich der Stadt Makassar und den Grundlagen ihrer Stellung in der Region stets auf das Vertragswerk von 1667. Politische und gesellschaftliche Vertragsbestimmungen Ein wesentlicher Schwerpunkt der Regelungen bezog sich auf die dem Krieg unmittelbar vorausgegangenen Ereignisse und die Kriegsfolgen. § 2 regelte die Auslieferung aller flüchtigen VOC-Untertanen und VOC-Offiziellen, die sich unter den Schutz des Königs von Goa-Tallo begeben hatten. Verfügt wurde zudem die Auslieferung aller Personen an die VOC-Justiz, die des Mordes an Niederländern schuldig befunden worden waren (§ 4). Namentlich erwähnt werden zwei besonders hartnäckige Feinde der VOC: der König von Bima und Karaeng Bontomarannu (§ 15). Auf die vorangegangenen Auseinandersetzungen zwischen der VOC und dem unabhängigen Makassar gingen die Bestimmungen zurück, welche die Rückgabe des konfiszierten Eigentums der Kompanie (§ 2) und Ablösung aller Schulden Makassars bei der Kompanie bis zum nächsten Jahr (§ 5) regelten. Darüber hinaus hatte Goa-Tallo Reparationszahlungen zu entrichten; festgelegt wurden insgesamt 250.000 Reichsthaler, die im Laufe von fünf aufeinanderfolgenden Jahren in Gestalt von Kanonen, Handelsgütern, Gold, Silber oder Juwelen zu zahlen waren. Zur „Wiedergutmachung“ ist auch die Verpflichtung des Königs zu zählen, in zwei Chargen insgesamt 1.000 Sklaven im Gesamtwert von 40.000 mas nach Batavia zu schicken. Auch die Schäden, die der Sultan von Buton, neben Arung Palakka engster Verbündeter der Kompanie, erlitten hatte, sollten durch Goa-Tallo ersetzt werden (§ 16); gleiches galt für die Verluste des Königs von Ternate (§ 17). Die Herrscher und ihre Adeligen wurden verpflichtet, sich nicht mehr in die Angelegenheiten des Landes Bima einzumischen (§ 14). Da wiederholt allgemein 958 ARA Den Haag, VOC 4785. Der Vertrag wurde inzwischen mehrfach ediert: Corpus Diplomaticum II, 370-380; ERKELENS, Rijk Gowa, 87-90; STAPEL, Bongaais Verdrag, 237-247; ANDAYA, Heritage, 305-307. 959 ARA Den Haag, Ministerie van Kolonien, Supplement, Nr. 11 und 12. 348 Makassar und die VOC nach 1666/69 von Bima, nie jedoch von Sumbawa die Rede ist, kann davon ausgegangen werden, daß im Vertrag die gesamte Insel Sumbawa angesprochen ist. Darüber hinaus mußte Goa-Tallo den Anspruch auf Vorherrschaft über alle Inseln außerhalb Sulawesis, einschließlich der vorgelagerten Eilande, aufgeben (§ 17). Gleiches galt für die Länder der Bugis (§ 18). Die übrigen Länder Süd-Sulawesis mußten von der Regierung Goa-Tallos als frei anerkannt werden (§ 19), während deren Verbündeten im Makassarischen Krieg, namentlich Wajo, Bulo-Bulo und Mandhar, jegliche zukünftige Partnerschaft verboten wurde (§ 21). In den unmittelbaren Besitz der Kompanie ging diejenigen Landstriche über, die von ihr selbst während des Feldzuges erobert worden waren (§ 20). Während es der Regierung von Goa verboten wurde, andere Nationen in ihr Territorium zu lassen (§ 23) – eine Regelung, die bündnis- und siedlungspolitisch zu verstehen ist –, wurde sie in von der VOC vorgegebene Allianzen gezwungen. Einerseits hatte sie in und um Makassar stets der Kompanie gegen deren Feinde beizustehen (§ 23), andererseits hatte sie eine Allianz mit den Herrschern von Ternate, Tidore, Bakan, Buton, Boné, Soppeng, Luwu, Turatea, Layo, Bajing, Bima und – besonders wichtig – allen, welche diesem Bündnis in Zukunft beitreten wollten, abzuschließen (§ 24). Es handelt sich hierbei um den Versuch der VOC, durch Bündnispolitik unter den souveränen Staaten des östlichen Archipels ruhige Rahmenbedingungen für die handelspolitischen Ziele der Kompanie zu schaffen. Wirtschaftliche Vertragsbestimmungen Den zweiten Schwerpunkt des Vertrages bildeten Regelungen, die das Handelsleben Makassars nach den Vorstellungen der Kompanie neu gestalten sollten. Grundlegend hierfür war der Ausschluß der europäischen Konkurrenz. § 6 legte die Vertreibung aller Portugiesen und Engländer aus dem Territorium Makassars und das Verbot fest, dort jemals wieder Handel zu treiben. Darüber hinaus durfte in Zukunft keine andere europäische Nation in Makassar kommerziell tätig werden; der europäische Handel in Makassar wurde auf die VOC beschränkt (§ 7). Im Zuge der Errichtung dieses Teilmonopols wurden auch niederländische Zahlungsmittel verbindlich in Makassar eingeführt (§ 12), während § 8 gleichzeitig die Kompanie von allen Zöllen und Abgaben ausnahm. Weitere Regelungen betreffen den einheimischen Handel. § 7 legte fest, daß es allen „indischen“ Nationen verboten wurde, mit Textilien und anderen Gütern aus Die Errichtung eines niederländischen Makassar 349 Koromandel, Surat, Persien oder Bengalen sowie mit sämtlichen chinesischen Gütern zu handeln. Namentlich erwähnt wurden Muslime aus Indien (moors), Javaner, Malaiien, Acehnesen und Thailänder. Die Erwähnung ist jedoch nur beispielhaft zu verstehen. Insgesamt ist von einem allgemeinen Verbot für alle asiatischen Händler auszugehen und eine Sonderregelung für die einheimischen Ethnien auszuschließen. Ausdrücklich für maritime makassarische Händler wurden zusätzlich geographische Beschränkungen in das Vertragswerk aufgenommen. § 9 verbot den Herrschern und den Untertanen Makassars andere Ziele anzusteuern als Bali, die javanische Küste, Batavia, Banten, Jambi, Palembang, Johor und Kalimantan. Ausdrücklich verboten wurden Reisen nach Bima, worunter die gesamte Insel Sumbawa zu verstehen ist, Solor und Timor, sämtliche Ziele in den Molukken sowie nördlich oder östlich von Kalimantan und Mindanao. Bei Zuwiderhandlung wurde neben der Konfiskation der Ladung sogar die Todesstrafe angedroht. Für die legalisierten Fahrtziele wurde ein Paß der Kompanie Vorschrift. Cornelis Speelman betont in seiner Notitie noch einmal, daß weder Niederländer noch Einheimische mit Textilien aus Koromandel, Surat oder Bengalen oder mit chinesischen Waren den Hafen von Makassar anlaufen durften. Er beschränkte den Warenhandel auf Reis und Lebensmittel und erwähnt ausdrücklich nur die Strecken zwischen Batavia und Makassar sowie zwischen Makassar und Ambon oder Banda.960 Im Jahr 1746 wurden diese Fahrtbeschränkungen für Makassar in den Generalen Missiven abermals betont.961 Und auch 1755 wurde die Beschränkung der makassarischen Handelsfahrten auf die javanische Küste, auf Jakatra, Banten, Jambi, Palembang, Johor und Borneo noch einmal bestätigt.962 Die eingeschränkten Handelsmöglichkeiten asiatischer und vor allem makassarischer Händler blieb bis an das Ende der VOC niederländische Rechtsposition. Ob diese das merkantile Alltagsgeschehen in allen Einzelheiten bestimmten, steht auf einem anderen Blatt. Errichtung einer neuen regionalen Ordnung Mit der Eroberung Makassars veränderte sich das Antlitz der regionalen politischen Ordnung nachhaltig. Zum einen betrat die VOC als Eigentümer bestimmter, im Vertrag von Bongaya definierter und mit dem Recht der Eroberung legitimierter Territorien die Bühne. Zum anderen strebte die Kompanie ein Bündnissystem an, 960 ARA Den Haag, Notitie des Cornelis Speelman, Aanwinsten 1524: 1926 I 10-11, 480/481. 961 Generale Missiven XI, 31.12.1746, 378/379. 962 ARA Den Haag, Radicaale Beschryving van Macassar, VOC 4852, 16/17. 350 Makassar und die VOC nach 1666/69 das möglichst viele, wenn nicht alle Königtümer des östlichen Malaiischen Archipels umfaßte. Offiziell wurde damit nicht einmal auf Sulawesi eine koloniale Vorherrschaft installiert. Vielmehr integrierte sich die Kompanie in das regionale System der Machtkonkurrenz und -balance. Dies mag zunächst eine vordergründige Betrachtungsweise sein. Natürlich war die VOC ein, wenn nicht der entscheidende Sieger des Makassarischen Krieges und konnte ihre Bedingungen diktieren. Natürlich wurde die Allianz im östlichen Archipel als eine dieser Bedingungen eindeutig zu Nutzen der VOC geschaffen. Doch darf man nicht die Sicht der einheimischen Königreiche vernachlässigen, die sich als gleichberechtigte Partner in solchen Allianzen sahen und sicherlich nicht gewillt waren, entgegen dem Wortlaut von Verträgen freiwillig Unterwürfigkeit zu üben. Und man darf die Frage nicht außer acht lassen, ob die Kompanie über die Kapazität verfügte, im Zweifelsfall diese Unterwürfigkeit nicht nur einzufordern, sondern auch gewaltsam durchzusetzen. Die grundlegenden Funktionsweisen des regionalen Systems in Süd-Sulawesi hatten auch unter Beteiligung der niederländischen Kompanie weiterhin Bestand. Dennoch waren die Veränderungen von einschneidender Natur. Goa-Tallo war kein gleichberechtigter Akteur mehr, war seine Macht durch den Krieg doch gebrochen und stand das Königshaus doch nun unter der Oberaufsicht der Kompanie – auch wenn dieses Verhältnis offiziell als Bündnis deklariert wurde. Das von der VOC beanspruchte Gebiet bedeutete eine Rückführung Goa-Tallos auf das ursprüngliche Territorium vor der Expansionsphase, bestehend aus 20 Distrikten und einigen Enklaven.963 Zudem hatten sich die Bündnisloyalitäten verschoben. Der starke Mann auf der Halbinsel war nun Arung Palakka respektive seine Nachfolger. Die meisten Bugis-Reiche hatten sich Boné angeschlossen. Die Möglichkeit, einen Gegenpol zu bilden, bestand auf Grund des Fehlens einer rivalisierenden Vormacht vorerst nicht, war doch der neue Machtfaktor VOC ebenfalls mit Boné verbündet. Dies hielt die Nobilität der Region nicht davon ab, ihren Wettstreit um Einfluß und Macht auf zwei anderen Ebenen fortzusetzen. Einerseits blieben die kleineren, teilweise nur lokalen Herrschaften untereinander stets Machtrivalen, wenn auch unterhalb eines von Boné und der Kompanie definierten Daches. Im späteren Verlauf des 18. Jahrhunderts waren auch wieder offene Auseinandersetzungen um die Vormacht mit Boné eine mögliche Option. Andererseits blieben Thronstreitigkeiten gerade in den mächtigen Bugis-Staaten ein steter Quell politischer und militärischer Unruhen. Den VOC-Vertretern vor Ort gelang es selten, dabei den Überblick 963 EERDMANS, Landschap Gowa, 4/5. Die Errichtung eines niederländischen Makassar 351 zu behalten, geschweige denn sinnvoll Einfluß zu nehmen. Schon Speelman hatte darauf hingewiesen, daß das regionale Machtgeflecht für Europäer nicht zu durchschauen sei, sondern nur Einheimischen als Führer durch dieses Gestrüpp dienen könnnten. Mit anderen Worten, auch nach Ansicht des erfolgreichen Feldherrn und Gründers der Kolonialstadt Makassar war die VOC stets auf eine enge Zusammenarbeit mit zumindest einem Teil der sulawesischen Einwohnerschaft angewiesen.964 3. Die Neugründung Das neue Makassar nach den Vertragsbestimmungen von Bongaya Im Vertrag von Bongaya wurde ausdrücklich die Zerstörung der makassarischen Befestigungsanlagen festgelegt. Lediglich Sombaopu wurde ausdrücklich von der völligen Zerstörung ausgenommen und dem Herrscher von Goa weiterhin als unbefestigte Residenz zur Verfügung gestellt (§ 10). Eine weitere Ausnahme war das Fort Ujung Pandang, das in gutem Zustand samt des zugehörigen kampung und Landes an die Kompanie auszuliefern war (§ 11). Es war nicht das Bestreben bei Abschluß des Vertrages, eine Neuordnung der Stadt festzulegen. Eine Stadt als solche tritt in den Vereinbarungen gar nicht in Erscheinung. Vielmehr wurde das Vertragswerk von beiden Seiten als Übereinkunft zwischen zwei Souveränen verstanden. Stets ging es um die Kompanie und um den Staat Goa-Tallo als Akteure wie auch als Betroffene der Regelungen. Dennoch hatten die Bestimmungen des Vertrages Auswirkungen auf das Stadtbild. Nicht nur, daß die angeordnete Zerstörung von Befestigungsanlagen dieses grundlegend veränderte – auch die getroffenen territorialen Zuordnungen hatten ihre unübersehbaren Folgen. Die VOC erhielt als Territorium alle von ihren eigenen Truppen eroberten Landstriche, wozu auch Teile des alten Stadtbereiches zählten. Zudem nahm sie Ujung Pandang und das vorgelagerten Land in Besitz. Hier sollte aus europäischer Sicht das neue Stadtzentrum entstehen. Gleichzeitig wurde das traditionelle Zentrum der Stadt, die befestigte Residenz Sombaopu, ihren bisherigen Eigentümern überlassen, die auch mit eingeschränkter Macht den Thronbehalten konnten. Aus einheimischer Sicht sprach unter diesen Umständen nichts dagegen, auch weiterhin hier, an der Mündung des Garassi, das städtische 964 REID, Pluralism, 63/64. 352 Makassar und die VOC nach 1666/69 Zentrum zu sehen. Letztendlich etablierte auf diese Weise der Vertrag von Bongaya eine topographische Dualität in Makassar. Die Pläne der Eroberer und ihre Realisierung Auch wenn er bald nach seinem Sieg wieder nach Batavia abreiste, die Kolonialstadt Makassar war Speelmans Kind. Entsprechend ist er einmal mehr der Kronzeuge für die Vorstellungen der VOC. Da Speelmans Instruktionen keine Anweisungen für eine Eroberung und den Umgang mit dem Eroberten enthalten, kann sogar angenommen werden, daß überhaupt nur Speelman seitens der Kompanie Pläne für die Zukunft Makassars entwickelte, die sich der ‚Rad van Indie’ später nur zu eigen machte. Auf jeden Fall hatte Speelman bereits recht konkrete Pläne, als er während des mehrjährigen Feldzuges gegen Goa-Tallo seine Notitie zu Papier brachte. Insbesondere gilt dies für die Projektionierung des neuen Stadtteils Vlaardingen: „De negerij Vlaardingen buijten aan de noort sijd van ‘t casteel staet noch so telle quelle ordre en dichter inder ‘t casteel als behoort hoedaeningh de meeninge is die te begrijpen dat is uE aageweesen, namentl. dat het pleijn sal gehouden werden vrij en open tot aan de gruijp, die der is, dicht besuijden ‘t velt daar nu de groote calcq oven op straet, en ‘t gunt al schoon gemaect is, van boomen voorts soo ver beoosten d’ strandt als het door der ingenieur als is affgesteecken, blijvende dan de buijtenste, off zuijde luijkste hoeck der voorsz. negrij’s oosten-vleugel ontrent in ‘t noort-ooste van ‘t casteel, op genoechsame distantie daar van aff en de ioen plaets ruijm en lustich dienen de tot een klaare uijtsicht, belendt ten noorden en ten oosten met de negerij, die daer als een winckel-haeck onslaen sal, ten zuijden met ‘t casteel, ende ten westen met de strand ‘t welke geprojecteert is tot een algemeene marct plaets, sonden te gedoogen dat ergens anders als daer ijets genegotieert, gekocht ofte verkocht sal werden, en ‘t gunt een ijgelijck seer wel schijnt tebevallen; voorst magh sigh de negerij soo verre ten noorden uijt rijcken als van noode bevonden comt tewerden, ten oosten niet vorder als dat men deselve van achteres, uijt de ronduijt Mandarsaha Linij recht bestrijcken can, man bij vereijsch van meer ruijmte in cas van groote inwooningen, soo mach mer ook alsser maer een ruijme rechte strand, tegens de noorden flanck van Madarsala open blijfft het vorder velt tot tegens bosch aan, wel laeten bestimmeren.“965 Eine besondere Bedeutung kam bei der Planung den militärischen Aspekten zu. Wichtig war eine freie Schußbahn für die Kanonen des Forts, dessen Bewaffnung allenfalls zu See hin der Verteidigung des neu geplanten Stadtzentrums diente. Ansonsten brauchte die Festung freies Feld zur Selbstverteidigung. Für die Sicherheit Vlaardingens waren Pallisaden und eine Bürgerwache zuständig. Nach diesen Maßgaben steckten Ingenieure unmittelbar nach dem Friedensschluß ein Areal im Norden des Forts völlig neu ab. Ausgangspunkt war der Strand, wo ein neuer Marktplatz vorgesehen war. Auch an mögliche Erweiterungen war bereits gedacht, 965 ARA Den Haag, Notitie des Cornelis Speelman, Aanwinsten 1524: 1926 I 10-11, 704/705. Die Errichtung eines niederländischen Makassar 353 falls eine sehr große Bevölkerungszahlen die ursprünglich geplanten Dimensionen Vlaardingens sprengen sollte. Das neue Stadtzentrum war in erster Linie als wirtschaftliches Zentrum gedacht. Hier sollten der Planung nach die auswärtigen Kaufleute zu günstigen Bedingungen angesiedelt werden – nicht zuletzt, weil hier in Nähe des Forts und unmittelbar am projektionierten Markt der Strand als günstiger Anlegeplatz angesehen wurde.966 Auch für die angrenzenden Viertel, die teilweise anderen Grundherren als der Kompanie gehörten, bestanden schon bei Speelman erste Planungen. So machte er sich auch Gedanken über die Ausgestaltung des Stadtgebietes südlich des Forts: „Bezuijden het casteel is’t quartier van de conincq van Ternata, ‘t gunt mede te nabij is, maer in zijn maij. reguard war dat buijten eenige becommeringe, zijnde niet temin evenwel nu de meeninge niet ijmandt and. naa zijn strecq, dat soodanich telaaten bewoonen, alsoo het daer op is aengesien, dat men de negerij aan die cant niet nader soude abmitteren, als ongeveer een pistool-schoot, besuijden het selve quartier, en laetense dan voort in ‘t suijden soo verre uijt timmeren als van noode is, doch ten oosten niet vorder uijtspringende als tegenwoordigh de bougijsse negerij eijgentlijk is begreepen wanneer de punct Amboina, die noch gevolgelijk van achter bestrijcken can. Sullende dan dat voorsz. quartier bequaemelijk connen dienen tot een kerckhoff voor onse dooden, ofte soo men daer noch echter goet vand ijmand van de andere bondgenooten, coningen der bougijs, Tello, ofte Lincques, naar gelegenth., telogieeren, waer van ter materie de hier blijvende bondgenooten aangeroert staat - soo sal men dan daar toe op het pleijn gedestineert voor de basaer, een viercant perck met een gemeene steene muer connen en dienen tebeslaen, ten waere dat beter geacht wierde het selve tebegrijpen, recht voor ‘t casteel in ‘t velt, daer ontrent de boom, off wat nader bij.“967 Es handelte sich um die Planung eines Viertels zwischen dem eigentlichem niederländischen Kernbereich und den Siedlungsgebieten der Bugis. Der Kampung Baru als Pufferzone war in diesen Plänen bereits angelegt, ohne daß schon der spätere Name bekannt gewesen wäre. Wenn dieses Quartier auch nicht mit Vlaardingen vergleichbar war, wies es doch europäische Bestandteile auf. So sollte hier der Friedhof der Kompanie entstehen; ein eigener Markt war ebenfalls vorgesehen. Auch hier spielten militärische Maßgaben bei der Planung eine Rolle. Der Pistolenschuß als Maßeinheit beruhte weniger auf einer militaristisch geprägten Vorstellungskraft, sondern abermals auf der Notwendigkeit, ausreichende Freiflächen für den Einsatz von Feuerwaffen zu schaffen. Speelman verzichtete auch nicht darauf, für die Quartiere der sulawesischen Nationen Planungen zu betreiben, wobei er besonders an die Bugis dachte. Einerseits standen sie ihm als Verbündete näher als andere Ethnien, andererseits waren sie den Niederländern sowohl auf Grund ihrer militärischen Kompetenz als auch ihrer Be- 966 Ebd., 706. 967 Ebd., 705/706. 354 Makassar und die VOC nach 1666/69 deutung im maritimen Handel durchaus suspekt. Solche Planungen dienten nicht zuletzt der Sicherstellung einer gewissen Kontrolle innerhalb des Stadtbereichs. „Van bontouale hoeft hier maer aangewesen ‘t geene daer van ter boven geroerde materie van de hier verblijvende bontgenooten is gesproken, verblijvende deselve negerij bij zijn eijgen naem, het zij dat men daer dan plaetse, off den conincq van Tello, of anders; de negerij bezuijden ‘t casteel is bij ons genoemt de bougijs-negerie, waer in ik projecteerde te laeten resideeren de bougijs, maccassaren, en andere luijden van dit eijlandt, sulcx ook de bougijs van Toadjo etc. want van die Slack als zijnde negotienaten ontwijffelijk veele haer weder hier ter neder setten sullen, an als dan haer quartier bij malcander trachten te begrijpen, hier op sach ik mede, als ik den coning van Taneete zijn versochte wooninghe inder ‘t casteel, in dien oirt aanwees, die hij wel geerne aan de ander zijde hadde begreepen, gelijk in de materie gelesen wert.“968 Speelmans Ziel war eine dreigeliedrige Kolonialstadt, die sich aus den Elementen Fort, städtisches Zentrum nach europäischen Vorbild (Vlaardingen) und den Siedlungsgebieten der asiatischen Ethnien (den kampung) zusammensetzte. Die Grundlage für Fort Rotterdam bestand bereits in Gestalt der makassarischen Festung Ujung Pandang. Auch die Anlage von Vlaardingen wurde zügig in Angriff genommen. Schon unter Speelman begannen die nötigen Vermessungsarbeiten. Dieses Stadtviertel wurde in der Tat – wenn auch mit gewissen Anlaufschwierigkeiten – Wohnort der wohlhabenden kaufmännischen Gruppen, vor allem aus Europa und China. Ob Speelmans Planung bereits eine herausragende Bedeutung der Chinesen beinhaltete, läßt sich nicht feststellen, doch dürfte er vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Batavia kaum mit einer völlig anderen Entwicklung gerechnet haben. Als weitaus schwieriger sollte es sich erweisen, erfolgreich Siedlungsgebiete für die Makassaren und Bugis zu projektionieren. Festgelegt werden konnten letztendlich nur Grenzen, innerhalb derer einheimische Ethnien nicht erwünscht waren. Doch auch in dieser Hinsicht waren Unterschiede zwischen den zumeist adeligen Eliten und dem einfachen Volk einzubeziehen. Ansonsten wuchs die Stadt, wie es die Anwesenheit von Ansiedlungswilligen gerade erforderte. Weder waren dafür größere Baumaßnahmen nötig, die Arbeitskräfte über den Familienkreis hinaus erforderlich gemacht hätten, noch war die VOC in der Lage, eine Kontrolle, beispielsweise durch Baugenehmigungen, in Stadtbereichen mit größerer Entfernung zum Fort durchzusetzen. Im Zentrum war das „neue“ Makassar eine Planstadt, ansonsten weiterhin eine typisch südostasiatische Stadt. Betrachtet man die Größe Vlaardingens, kann nur von einem kleinen europäisierten Zentrum, also nur von einem kleinen Planareal gesprochen werden. 968 Ebd., 706. Die Errichtung eines niederländischen Makassar 355 Kontinuitäten des alten Makassar Um eine fundierte Antwort auf die Frage nach topographischen Kontinuitäten in Makassar geben zu können, weiß man weder über das „alte“ Makassar ausreichend Bescheid, noch sind die von der VOC überlieferten Informationen über das „neue“ Makassar wirklich tiefschürfend. Dennoch kann mit Sicherheit gesagt werden, daß die Kontinuitäten nicht unbeträchtlich gewesen sein können. Einige liegen unmittelbar auf der Hand. Mit dem Erhalt der Residenz Sombaopu blieb im Mündungsgebiet des Garassi auch ein entsprechendes bauliches wie soziales Umfeld erhalten. Hinzu kommt eine Selbstverständlichkeit, die nur vordergründig wie eine Spekulation wirken kann. Die Methoden des indonesischen Städtebaus hatten sich durch die Zäsur des Makassarischen Krieges nicht verändert. Überall, wo sich Makassaren, Bugis oder auch Malaiien ansiedelten, erstand das gewohnte Stadtbild Makassars auf ein Neues. Darüber hinaus hatte der Krieg bei weitem nicht alle zuvor bestehenden kampung verwüstet. Während ein neues, geplantes Zentrum nördlich des bisherigen entstand, folgte der Großteil der indigenen Stadt weiterhin den eigenen Gesetzmäßigkeiten. Auch ohne eindeutigen Quellenbeleg liegt es auf der Hand, daß sich das neu Entstehende nur unwesentlich von dem kurz zuvor noch Bestehenden unterscheiden konnte. Neben topographischen Kontinuitäten bestanden auch personelle. Die Grundlagen hierfür legte Cornelis Speelman selbst. In seiner Notitie listet er diejenigen Personen auf, die auf Grund ihrer Loyalität zur VOC im Zentrum Makassar verbleiben durften.969 An der Spitze der Aufzählung standen Anthonij Rosario, der in Goa geboren und mit einer Frau aus Macau verheiratet war, Anthonij Doreguo, ein naturalisierter Portugiesen, und Boetelho, ein Kanare, standen. Sogar das portugiesische Element konnte in einigen Nischen den Makassarischen Krieg überdauern. Zudem gehörten eine Reihe asiatischer Kaufleute zu den von Speelman privilegierten. Die entsprechende Aufzählung besteht aus 19 Chinesen, 52 muslimischen Indern und 36 Malaiien, teilweise um ausführliche Begründungen ergänzt. Schließlich findet auch der Raja von Tallo mit zehn Untertanen Erwähnung. Vor allem eine Kontinuität der kommerziellen Eliten wurde auf diese Weise von Speelmans sichergestellt. Daneben ist auch eine gewisse Kontinuität der politischen Elite zu beobachten. Auf jeden Fall wird deutlich, daß es nicht in der Absicht der Niederländer lag, eine bestehende Stadt in Trümmer zu legen und auf diesen einen völligen Neuaufbau zu beginnen. Die VOC wollte durchaus von der gegebenen wirtschaftlichen 969 Ebd., 706-716. 356 Makassar und die VOC nach 1666/69 Bedeutung Makassars profitieren und war sich bewußt, daß dies ohne die entsprechenden Eliten nicht möglich war. Mitte 1679 stellte die Kompanie fest, daß nach wie vor rund 600 Angehörige der makassarischen Nobilität im Umfeld des Forts Rotterdam lebten, von denen die Hälfte unter Verdacht stand, im Makassarischen Krieg gegen die VOC und Arung Palakka gekämpft zu haben. Zusammen mit Frauen, Kindern und Sklaven schätzten die Verantwortlichen der Kompanie die Zahl der Makassaren, die noch oder wieder in der Stadt lebten, auf 3.000.970 Obwohl sie ursprünglich angenommen hatten, daß die meisten Makassaren die nächste sich bietende Möglichkeit ergreifen würden, um per Schiff die Stadt zu verlassen und sich ihren über Südostasien verstreuten Landsleuten anzuschließen, wurde den ehemaligen Feinden nun doch in zunehmendem Maße Asyl im Schatten des Forts eingeräumt. Trotz Niederlage und anfänglicher Vertreibung der Makassaren stand langfristig einer großen einheimischen Bevölkerungsgruppe in der Kolonialstadt nichts im Wege. Makassar als Kolonialstadt Will man Makassar nach der Eroberung einem Stadttypus zuordnen, findet man sich unversehens in einem Spannungsfeld zwischen zwei Polen wieder. Auf der einen Seite hatte die Kompanie nach dem Sieg im Makassarischen Krieg die Macht ergriffen. Sie konnte Institutionen zur konkreten Machtausübung wie bewaffnete Festungsanlagen und eine Garnison installieren. Die VOC erhob unzweideutig einen Herrschaftsanspruch in der Stadt. Und sie ergriff städtebaulichen Maßnahmen, um nach ihren Vorstellungen eine Ansiedlungsmöglichkeit für europäische Neubürger zu bieten. Eine kulturell fremde und durch den siegreich bestandenen Krieg dominierende Macht hatte Einzug in Makassar gehalten. Andererseits erstand auf wachsenden Flächen innerhalb des Stadtbereichs abermals die südostasiatische Stadt. Dies gilt hinsichtlich der angewandten Bauweise wie hinsichtlich der Strukturierung des Stadtbereichs. Dabei war durchaus eine ethnische Segregation zu beobachten, doch war diese keine koloniale Neuerung, sondern bereits im unabhängigen Makassar eine alltägliche Erscheinung. Der Einsatz von verantwortlichen Oberhäuptern für die einzelnen Ethnien war zwar eine aus späteren Kolonien bekannte Form des ‚indirect rule’, aber auch dies war schon vor dem Krieg in Makassar bekannt, übten doch auch die Könige von Goa-Tallo genau auf diese Weise ihre Herrschaft aus. 970 REID, Heritage, 202/203. Die Errichtung eines niederländischen Makassar 357 Handelte es sich also um eine Stadt zwischen Kolonialstadt und südostasiatischer Stadt? In diesen beiden vermeintlichen Polen liegt kein unüberbrückbarer Widerspruch. Die vorgestellten Definitionen von Kolonialstadt, die über die Festlegung auf nur einen Funktionsbereich hinausgehen, lassen ohne weiteres die Einordnung Makassars als Kolonialstadt zu. Die VOC ermöglichte dies durch ihre starke Position als Siegermacht, ihren unverblümten Machtanspruch, die von ihr durchgesetzten Regularien insbesondere für das kommerzielle Leben, die Errichtung beherrschender Einrichtungen und die Schaffung eines neuen Stadtzentrums. Doch änderte all dies nichts am Charakter des Großteils der Stadt. Ob die einzelnen Quartiere nun unter erfolgreicher Kontrolle der Kompanie standen oder bereits nicht mehr, sie wiesen auf jeden Fall den Charakter eines südostasiatischen Stadt auf. Daß in zunehmender Entfernung vom kolonialen Stadtzentrum die Autorität und die Möglichkeiten der Kontrolle und Einflußnahme des Kolonialherren abnahm, ist kein Widerspruch zum Begriff Kolonialstadt, sondern war stets und allenortens kolonialstädtische Realität mit lediglich graduellen Unterschieden. Der Herrschaftsanspruch der VOC kam in einer nominell starken Administration zum Ausdruck. An der Spitze stand der Gouverneur, der über eine weitreichende Souveränität verfügte. Er wurde unterstützt vom ‚Rad van Politie’, der sich aus den wichtigsten Kompanie-Bediensteten in Makassar zusammensetzte. Nach dem Gouverneur hatte die höchste zivile Position der Oberkaufmann inne, der die Verantwortung für den gesamten kaufmännischen Bereich vor Ort trug. Er konnte sich auf mehrere Unterkaufleute – ebenfalls Ratsmitglieder – stützen, die jeweils eine spezialisierte zusätzliche Aufgabe innehatten. So war der fiscaal, eine Kombination aus Polizeichef, Staatsanwalt, Richter und Innenrevisor, für Recht und Ordnung in der Kolonialstadt zuständig; so trug der syahbandar die Verantwortung für die Vorgänge im Hafen und sämtliche maritime Belange der Stadt; und so leitete der winkelier das Kontor, über welches der Warenverkauf der VOC abgewickelt wurde. Ein weiterer Unterkaufmann wurde mit der Aufgabe eines Sekretärs des Rates betraut. Ergänzt wurde der Rat durch den Kommandeur der Garnison im Range eines Hauptmannes, gelegentlich auch um dessen Stellvertreter, einen Leutnant. Neben der Administration stellte die Eigenverantwortung einzelner Gruppen ein zweites wesentliches Funktionselement der Kolonialstadt dar. Dies gilt einerseits für die Bürger, die in Vlaardingen durch eine Bürgerwache selbst für ihre Sicherheit sorgen mußten, noch mehr jedoch für die verschiedenen Handelsnationen wie die Chinesen, Malaiien oder Wajo, die über eine relativ hohe Autonomie verfügten und 358 Makassar und die VOC nach 1666/69 von einem ‚Kapitän’ oder matoa, der von der Kompanie akzeptiert werden mußte, nach außen vertreten und nach innen regiert wurden. Auch hier spielte die Eigenverantwortung für die Sicherheit eine Rolle. Zusätzlich waren die einzelnen Nationen für ihre eigene Rechtsprechung zuständig, da die VOC-Justiz nur Fälle innerhalb der europäischen Gemeinde und der eigenen Niederlassung behandelte oder solche, in denen zumindest eine Seite europäisch war. Herzstück einer kolonialen Verwaltung war die Erwirtschaftung eigener Einnahmen. Auch wenn sie in diesem Bereich im Laufe der Zeit zunehmend auf einen direkten Zugriff verzichtete und Verpachtungen bevorzugte, hatte die Administration doch ausreichend Souveränität zur Erhebung von Steuern und Abgaben. Neben dem Eigenhandel der VOC und den Einnahmen aus der Hafenverwaltung verpachtete die Kompanie vor allem Konsumsteuern. Ende des 17. Jahrhunderts war nur das Alkohol-Monopol bekannt, das die Pächter zunächst insgesamt 1.000 Reichsthaler pro Jahr, später 4.000 Reichsthaler pro Jahr kostete. Die meisten Pächter waren ehemalige Soldaten, die zumeist 24 Reichstaler im Jahr zahlten. 1745 wurde auch der Zoll meistbietend versteigert; er brachte der Kompanie in der Regel über 20.000 Reichsthaler im Jahr ein. Die Besteuerung von Glücksspielen brachte in den 1750ern 2.000 bis 3.000 Reichsthaler pro Jahr. Darüber hinaus wurde eine Marktsteuer und eine Schlachtsteuer erhoben.971 Eine Sonderrolle spielte die Kopfsteuer auf die chinesischen Einwohner der Stadt, welche ihr Oberhaupt erheben mußte, der mit einem Pauschalbetrag der Kompanie gegenüber für diese Steuer eintrat. Eine eigene Besteuerung behielt sich die Kompanie bei Immobilien und Schiffen sowie einigen bestimmten Waren vor, doch erbrachten sie im Vergleich zu den Pachten und den Hafeneinnahmen nur ein geringes Einkommen.972 4. Die Garnison Fort Rotterdam Als Cornelis Speelman 1669 die makassarische Festung Ujung Pandang übernahm, standen der Kompanie zunächst umfassende bauliche Maßnahmen bevor, ehe sie über ein Fort nach ihre Vorstellungen verfügte. Die alte makassarische Feste war 971 SUTHERLAND, Eastern Emporium, 113. 972 Ebd., 113/114. Die Errichtung eines niederländischen Makassar 359 nicht „volgens de regulen der bouwkunde gemaakt“. Erst 1677 wurde im Zuge der Reparatur etlicher Schäden das „zogenaande Casteel“ mit fünf Bollwerken ausgestattet sowie mit zwei gesicherten Toren, nach ihrer Lage ‚Waterpoort‘ und ‚Landpoort‘ benannt, versehen. Erst seit 1712 bestand Fort Rotterdam zur Gänze aus Steinbauten.973 1677 konnte in den Generalen Missiven berichtet werden: „’t Kasteel Rotterdam is op Makassar nu voltoyt en wert de redouct Manderhasa met een steene bemantelingh versterckt, omdat se daar noodich is en anders oock dreygde in te storten, gelijck het bolwerck Tamporangh heeft gedaan en twelck dan voorts geheel is gesleght, omdat het onnodich wiert geoordeelt, daar ’t gestaan heeft gehadt benoorde de negorij Vlaardingen.“974 Das Bollwerk Tamporang im Norden Vlaardingenn findet in den späteren niederländischen Quellen keine Erwähnung mehr; die Einrichtung war wohl nur von kurzer Dauer. Eine ständige Befestigung war hingegen eine steinerne Redoute an dem Weg nach Buntuala, rund 400 Ruten (ca. 1,2 Kilometer) von Fort Rotterdam entfern.975 Über weitere außerstädtische Einrichtungen verfügte die VOC nur in sehr begrenztem Umfang. In Bantaeng und Bulukumba im Süden der Halbinsel waren die Residenzen befestigte Bauwerke. Und in Maros wurde seit 1737 die Schanze Valkenburg unterhalten, die mit 16 eisernen Vierpfündern und im Gründungsjahr mit 172 Mann Besatzung ausgestattet war.976 Als François Valentijn zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Stadt Makassar kennenlernte, konnte er ein fertiggestelltes Fort Rotterdam beschreiben, das rund 250 Meter vom Strand und dem Hauptpier des Hafens entfernt lag:977 „Het is fraai groot en is met 5 bolwerken, die Mandarsjah (of Mandarsaha), Amboina, Batjan, Boeton en Boni genaamd zijn, versterkt, buiten welke het ook een water- en een landpoort en een soort van een ravelijn heeft, die in 1679 aan de landpoort gehecht is, nadat ’t jaar te voren de reduit Mandarsjah, die omtrent 250 treden beoosten deze vesting ligt, bezuiden het hoog pad, dat naar Bontewaal (eigenlijk Bontuwalae genaamd) loopt, van vierkante steenen opgetrokken en met een gracht omringd was, hoedanig die nog met een bezetting van 1 sergeant, 2 korporals, 4 bosschieter of konstapelsmaat en 30 of 35 schildergasten in wezenis. In deze vesting woont de Nederlandsche heer landvoogd van Macasar, de opperkoopman en tweede van die landvoogdij, de kapitein, de predikant, aan de eene zijde bij de kerk en verdere bedienden als soldijboekhouder, sjahbandar, winkelier en geheimschrijver aan de andere zijde, hoewel somtijds wel eenige bedienden mede buiten wonen. Ook is de kerk boven een gewelf en beneden heeft men eenige pakhuizen.“978 Einhundert Jahre später hatte das Fort nichts an seiner eindrucksvollen Stärke verloren: 973 974 975 976 977 978 ARA Den Haag, Radicaale Beschryving van Macassar, VOC 4852, 7/8. Generale Missiven IV, 24.11.1677, 190/191. ARA Den Haag, Radicaale Beschryving van Macassar, VOC 4852, 7/8. Ebd., 11. MILBURN, Oriental Commerce II, 409. Milburn spricht von 800 feet. VALENTIJN, Oost-Indiën III, 116/117. 360 Makassar und die VOC nach 1666/69 „The walls of the fort are high and strong, built of roch-stone; without the land-gate is a large plain, in the north side of which is situated the town, were most of the European reside.“979 Ein Zustandsbericht aus dem Jahr 1728, der akribisch die hohe Schadensanfälligkeit der europäischen Bauwerke im subtropischen Klima dokumentiert, erlaubt einen genauen Überblick über die einzelnen Gebäude der Kompanie.980 Mit 22¾ Ruten Länge und 26½ Fuß Breite stellte das ‚Negotie Pachhuijs’ das größte Gebäude innerhalb des Forts dar. Aufgeteilt war es in verschiedene Lager für Textilien, für Nahrungsmittel wie Paddy, Roggen oder katjang, für Eisen und für Reis. Darüber hinaus enthielt es eine abgetrennte Kammer für Gerätschaften. Ein weiteres Packoder Lagerhaus befand sich unter einem der Bollwerke, doch war dieses zum Zeitpunkt der Begutachtung durch größere Wassereinbrüche kaum noch nutzbar. Die augenfälligsten Bauten im Fort waren die bewaffneten Bollwerke. Drei von ihnen galten als vollwertige Einrichtungen, zwei weitere waren im militärischem Sprachgebrauch halbe Bollwerke. Alle fünf waren mit einer Wachstube, einer Küche und einem „Nachthaus“ ausgestattet. Weitere Wachstuben befanden sich an den beiden Toren. Beide waren zusätzlich mit einer kleinen Lagerkapazität ausgestattet, das erste „tot het bergen van ledige candoesen, ledige vuurpotten, ende andere ligte goederen van den constabel“, das zweite, damit „daer jegenwoordig den voorraad van land bewaard wird“. An der Treppe zum Bollwerk Boné befand sich eine weitere Wachstube, der sich eine Offizierswohnung anschloß. Zu den militärischen Einrichtungen der Festung zählte noch die Waffenkammer; ein Pulvermagazin stand separat auf dem Waffenplatz. Im zivilen Bereich beherbergte das Fort ein Sekretariat, ein allgemeines Kontor, das dem bürokratischen Teil des Warenhandels gewidmet war, sowie ein ‚Soldij Comptoir’, in der das VOC-Personal verwaltet wurde. Ihren Arbeitsplatz innerhalb der Mauern von Fort Rotterdam hatten ein Zimmermann und ein Schmied. Außerdem war die medizinische Abteilung in der Festung angesiedelt. Neben dem Hospital bestand noch ein zusätzlicher ‚Chirurgijn Winckel’ mit eigener Küche. Neben militärischer Festung und Arbeitsplatz für Kaufleute und Handwerker war Fort Rotterdam auch Wohnstätte. Nicht nur der Gouverneur bewohnte hier ein eigenes Haus; der Bericht verzeichnet daneben zehn Wohnungen, die für den Oberkaufmann, den ersten Clerc, den Winkelier, den Sekretär des Rates, den Baas der Handwerker, den aktuellen wie auch den bereits in Ruhestand getretenen Predikant, den Hauptmann der Garnison und den leitenden Chirurgen bereit standen. 979 MILBURN, Oriental Commerce II, 409. 980 ARA Den Haag, VOC 2100, Macassar, 2. Reg., 84-99. Die Errichtung eines niederländischen Makassar 361 Ohne Erwähnung bleiben die sicherlich auch bestehenden Mannschaftsquartiere, in denen vor allem einfache Dienstgrade gelebt haben. Doch verfügte die Kompanie in Makassar auch über weitere spezialisierte, nicht-militärische Bedienstete. Insofern belegt die angeführte Aufstellung, daß der Wohnraum des Forts nicht für die gesamte Niederlassung ausreichte. Viele der Bediensteten, auch der höheren Ränge, zogen es vor, in Vlaardingen oder im Kampung Baru zu leben. Die im Fort Verbliebenen unterhielten rege Beziehungen zu den verschiedenen Stadtvierteln.981 1697 verzeichnete die VOC insgesamt 836 Bedienstete in Makassar, von denen nur 329 im Fort Rotterdam, 507 hingegen in Vlaardingen lebten.982 Offiziere, Spezialisten und Gemeine Das VOC-Personal unter dem unmittelbaren Oberbefehl von Fort Rotterdam, unterteilt sich grob in eine Leitungsebene der Administration, in zivile Angestellte in den Bereichen Verwaltung und Handel, in Handwerker, Soldaten und Seeleute. Eine Sonderrolle spielten die wenigen kirchlichen Angestellten, die als Vertreter ihrer Kirche nur bedingt der VOC unterstellt waren, und die Mediziner und Pfleger, die sowohl für den militärischen wie den zivilen Bereich zuständig waren. Unterhalb der Leitungsebene, deren Mitglieder als Politischer Rat aktiv an allen wichtigen Entscheidungen mitwirkten, war eine Reihe ziviler Spezialisten vor allem im kaufmännischen Bereich angesiedelt. Vertreten waren Buchhalter und Assistenten; gelegentlich werden Sekretäre erwähnt. Während die Aufgabe der Buchhalter als eindeutig festgelegt gelten kannt, waren die Assistenten und Sekretäre auf unterschiedliche Weise mit Zuarbeiten und delegierten Tätigkeiten für die Kaufleute beschäftigt. Eine weitere Hierarchieebene darunter befanden sich die Schreiber und Aufseher wie der bazaarmeester sowie die von der VOC eingesetzten Übersetzer (tolk). Diese Dolmetscher waren in der Regel Niederländer. Auf den naheliegenden Einsatz Einheimischer wurde aus Vertrauensgründen bewußt verzichtet.983 Die Mediziner setzten sich aus zwei oder drei leitenden Chirurgen (opperchirurgijn) und dem Doppelten bis Dreifachen an zusätzlichen Chirurgen (onderchirurgijn) – 1741 als oppermeester und ondermeester bezeichnet – zusammen. Gesondertes Pflegepersonal findet kaum Erwähnung. Unter den Chirurgen sind in der Regel weniger studierte Ärzte als angelernte Feldscherer zu verstehen, die auch Pflegeaufgaben übernahmen. 981 SUTHERLAND, Ethnicity, 47. 982 ARA Den Haag, Sommarium van de lijst ziel beschrijvinge, 24.10.1697, VOC 1595, Macassar, 320-322. 983 Siehe zum Beispiel 1745 den opper-tolk Vol und den tolk Muller: LOTEN, Memorie, 16/17. 362 Makassar und die VOC nach 1666/69 Tabelle 5.1: Personalstärke der VOC im Herrschaftsbereich Makassar984 1679 1681 1683 Leitende Angestellte Kaufm. Angestellte 31 Kirchliche Angestellte 22 21 1741 1760 1770 8 8 14 8 20 26 32 33 6 7 4 2 14 15 9 9 Zivile Angestellte 11 Medizin. Angestellte 10 7 6 9 14 12 7 Handwerker 35 18 29 63 89 56 48 Seeleute an Land 25 25 59 79 Seeleute auf Schiffen 63 54 42 58 121 121 181 232 302 286 Sonstige -- -- Einsatzfähiges VOC-Perso-nal in Makassar 407 Kranke, Schiffsbrüchige Artilleristen 9 1721 11 44 22 21 596 745 527 395 14 14 7 21 -- 428 407 858 1.155 818 704 -- 2 13 50 127 -- -- VOC-Personal in Makassar insgesamt 407 430 420 908 1.282 818 704 Personal in Maros 10 12 19 -- 37 -- 40 Personal auf Bima 25 2 4 -- 22 -- 25 26 Soldaten in Makassar Personal auf Selayar 9 8 11 -- 18 -- Personal in Bulukumba 8 -- -- -- 27 -- Personal in Bantaeng -- -- -- -- 20 -- Personal auf Buton -- -- 3 -- 4 -- -- 459 458 457 -- 1.406 818 830 Mardijker-Soldaten -- -- -- -- 116 -- -- Ambonesische Soldaten -- -- -- -- 106 -- -- Balinesische Soldaten -- -- -- -- 410 -- -- Indonesische Hilfstruppen -- -- -- -- 632 -- -- 458 457 908 2.038 818 830 Europäisches VOC-Personal in Süd Sulawesi und Bina Gesamtstärke der VOC in 459 Sulawesi und Bima 35 984 ARA Den Haag, VOC 1346, Macassar, 1. Reg., 500v-503v (1679); ebd., VOC 1368, Macassar, 1. Reg., 453v-456 (1681); ebd., VOC 1385, Macassar, 1. Reg., 502v-505 (1683); ebd., VOC 1960, Macassar, 137140 (1721); ebd., VOC 2533, Macassar, 1081-1093 (1741); ebd., VOC 2990, Macassar, 1. Reg., 52/53 (1760); ebd., VOC 3302, Macassar, 44-46 (1770). Die Errichtung eines niederländischen Makassar 363 Im Dienst der calvinistischen Kirche stand jeweils ein Predikant, ein Küster, zwei oder drei Krankenbesucher und gelegentlich auch einheimische beetmeester. Letztere blieben alleine schon deshalb eine Ausnahme, da die Geistlichen der Garnison ausdrücklich nur für die VOC-Bediensteten zuständig waren und keine Missionsarbeiten durchführen durften. Die indigenen Vorbeter waren demnach lediglich für die wenigen christlichen Indonesier innerhalb der VOC-Truppen zuständig. Dringend notwendig für die Aufrechterhaltung einer Kompanie-Niederlassung waren die Handwerker. In Makassar schwankte ihre Zahl zwischen mageren 18 Personen, die sich nur um das Nötigste kümmern konnten, und 89 Personen im Jahr 1741, als für eine aufgeblähte militärische Truppenstärke überdurchschnittlich viele Arbeiten anfielen. Stets vertreten waren unter den Handwerkern Zimmerleute in großer Zahl, Stellmacher, Grob- und Waffenschmiede, Segelmacher und Küfer, zumeist auch Metzger. Eher sporadisch finden sich auch Berufe wie Sattelmacher, Kupferschläger und -gießer, Seilmacher oder Lederbereiter. Insbesondere Schiffszimmerleute, Hauszimmerleute und Schmiede verfügten über eine interne Hierarchie mit einem oder gar mehreren Meistern oder Baasen an der Spitze. Die Mehrheit des VOC-Personals in Makassar machten Soldaten aus. Dabei stand der Garnison nur ein kleines Offizierskorps zur Verfügung. Das Kommando führte in der Regel ein Hauptmann (capitain); unter ihm stand ein Leutnant und vier Fähnriche. Gelegentlich wurde diese kleine Kommandoebene durch einen zusätzlichen Leutnant der Artillerie und einem Equipagemeister im Range eines Titularleutnants ergänzt. Die Zahl der Unteroffiziere (Sergeanten, Korporale, Quartiermeister) war wesentlich höher und konnte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an insgesamt 100 Personen heranreichen. Die gemeinen Soldaten umfaßten einige Reiter und Militärmusiker. Nur wenige Spezialisten wie Artilleristen treten daneben in Erscheinung, jedoch wurde nicht in jeder Liste entsprechend ausdifferenziert. Lediglich in der Sondersituation des Jahres 1741 waren deutlich mehr niederländische Offiziere in Süd-Sulawesi, doch waren diese nicht für den Verbleib bestimmt, sondern kommandierten Einheiten, die nach Java übersetzen sollten. Neben Batavia hatte ausdrücklich Makassar die Pflicht, im Falle von Unruhen im östlichen Archipel Eingreiftruppen bereitzustellen.985 Das Chinesenmassaker von Batavia im Jahr 1740 und die darauffolgenden Unruhen auf Java stellten einen solchen Krisenfall dar. Es ist daher kein Zufall, daß nur 1741 in den Aufstellungen der Personalstärke Makassars einheimische Hilfstruppen (116 mardijker, 106 Molukker aus Ambon, 410 985 ARA Den Haag, Radicaale Beschryving van Macassar, VOC 4852, 9. 364 Makassar und die VOC nach 1666/69 Balinesen) zu finden sind. Diese Truppen wurden in Makassar und auf der Schanze Valckenburg zusammengezogen, um daraufhin nach Semarang verschifft zu werden und im Hinterland der javanischen Hafenstadt zum Einsatz zu kommen. Makassar diente als Sammelpunkt von Hilfstruppen für einen konkreten Einsatz und nicht als ständige Garnison indonesischer VOC-Truppen. Neben den Soldaten machten die Seeleute eine der größeren Gruppen in Makassar aus. Diese waren nur teilweise fest auf den Schiffen der VOC-Flottille vor Makassar stationiert. Bis zur Hälfte, mindestens aber zu einem Drittel handelte es sich um Matrosen, die ausdrücklich auf dem Land Dienst taten. Dort fanden sie sich, wenn sie nicht gerade als Entsatz für die Schiffsbesatzungen benötigt wurden, in der Rolle einfacher Soldaten wieder. Offiziere zur See im Range von Kapitänen oder Leutnants fanden sich in Makassar nur in Ausnahmefällen. Das Kommando auf den kleinen Fahrzeugen führten in der Regel sogenannte Decksoffiziere wie Quartiermeister oder Steuerleute. Für die Außenposten der Niederlassung Makassar ergeben die Aufstellungen ein recht uneinheitliches Bild. Es ist davon auszugehen, daß nicht in jedem Fall alle Kompanie-Vertreter außerhalb der Stadt verzeichnet wurde, so wie 1721 die Personalübersicht ausschließlich in Makassar stationierte Personen auflistet. Bei einigen Residenzen wie denjenigen auf Buton, in Bulukumba und Bantaeng ist auch eine erst spät im 18. Jahrhundert installierte Dauerbesatzung denkbar. Die relativ kleinen Besatzungen auf den Außenposten – in Maros wurde die militärische Besatzung der Schanze Valckenburg mitgezählt, so daß dieser Stützpunkt als größter erscheint – setzten sich aus einem Residenten, der zumeist den Rang eines Buchhalters, nur selten den eines Unterkaufmanns hatte, ein oder zwei weiteren zivilen Bediensteten und einem Übersetzer zusammen. Die restlichen Besatzungsmitglieder einer Residenz waren Soldaten unter dem Kommando eines Unteroffiziers oder Fähnrichs. Entwicklung der Besatzung Ursprünglich herrschte bei der Kompanie zum Zeitpunkt der Abreise Cornelis Speelmans die Vorstellung, daß 300 Mann Besatzung auf Fort Rotterdam ausreichend sein müßten.986 Die Zahlen aus den ersten beiden Jahrzehnten nach Etablierung der VOC-Herrschaft überschreiten zwar diese Marge, liegen jedoch mit jeweils nur wenig über 450 Mann immer noch innerhalb dieser Größenordnung. Doch 986 ARA Den Haag, Radicaale Beschryving van Macassar, VOC 4852, 9. Die Errichtung eines niederländischen Makassar 365 bald wurde bezweifelt, daß eine solche Personalstärke für eine bedeutende Niederlassung wie Makassar ausreichend wäre. Insbesondere die eigene Sicherheit schien den Verantwortlichen in Sulawesi damit nicht länger gewährleistet. 1689 traf in Batavia die Bitte aus Makassar ein, die dortige Garnison möglichst auf 800 Mann aufzustocken.987 Diesem Ansinnen wurde letztendlich nachgegeben. Im 18. Jahrhundert taten für gewöhnlich 800 bis 900 VOC-Angestellte und Soldaten ihren Dienst in Makassar; in Krisenzeiten wurden diese schnell auf 1.500 Mann aufgestockt.988 Genau dieser Grundsatz spiegelt sich in den überlieferten Zahlen. 1721 war die Niederlassung 908 Mann stark, 1760 waren es 818 Mann und 1770 immer noch 830. Im Jahr 1741, als die Besatzung kurzfristig sogar die 2.000-Marke überschritt, machten sich in Makassar die Ereignisse auf Java bemerkbar. Bis Ende September hatte sich die Mannschaftsstärke der Kompanie in Süd-Sulawesi wieder beinahe halbiert. Nicht nur die überlebenden Besatzungsmitglieder mehrerer verunglückter Schiffe, welche die Zahl zusätzlich aufblähte, waren inzwischen mehrheitlich abgereist, sondern auch große Teile der militärischen Einheiten. Von den europäischen Truppen waren die beiden Grenadierswachen nach Semarang verschifft worden, und von den indonesischen Hilfstruppen war bereits der Großteil an seinem Bestimmungsort angelangt.989 Zur Verteidigung der bestehenden Einrichtungen reichte eine solche Personalstärke mit Sicherheit aus, wie auch das zivile Personal die Funktionstüchtigkeit einer großen Niederlassung garantieren konnte. Größere militärische Expeditionen im Inneren Sulawesis waren jedoch auf dieser Grundlage nicht durchführbar, geschweige denn solche über größere Entfernungen im östlichen Teil des Malaiischen Archipels. 5. Die Flottille Schiffsbestände Nachdem die kriegerischen Auseinandersetzungen um die Eroberung Makassars und die Errichtung einer Kolonialstadt ausgestanden waren und entsprechend keine Kriegsflotte mehr auf der Reede vor der Stadt lag, verfügte Fort Rotterdam nur ü987 Generale Missiven V, 30.12.1689, 310. 988 SUTHERLAND, Eastern Emporium, 117. 989 ARA Den Haag, VOC 2533, Macassar, 1081-1093. 366 Makassar und die VOC nach 1666/69 ber sehr geringe maritime Kräfte. Aus eigenen Kräften konnte die Niederlassung in Makassar wenig mehr als die regelmäßige Verbindung nach Batavia und die Kontrolle der eigenen Küstengewässer aufrecht erhalten. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts, so eine Aufstellung aus dem Juni 1698,990 verfügte sie an Schaluppen lediglich über die mit zwölf Mann besetzte ‚Goa’. Daneben kamen drei pencalang mit je einem Quartiermeister als Kommandant und fünf Matrosen zum Einsatz. Diese wurden jedoch ausdrücklich als „oude“ bezeichnet. Neu hingegen war eine prahu aus Bima, bei der es sich offensichtlich um ein beschlagnahmtes Schiff handelte, da die Kompanie von sich aus nie Schiffe regionaler Bauart einsetzte. Ergänzt wurde diese kleine Flotille durch ein halb geschlossenes „lands-boot“ und drei Ruderschuten, die kaum mehr als den eigenen Hafen als Einsatzgebiet gehabt haben dürften. Dieser offensichtliche Mangel an hochseetüchtigen Fahrzeugen, die für Kontrollzwecke jedoch unerlässlich waren, wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts zunächst behoben. Eine Bestandsaufnahme aus dem Juni 1702 verzeichnet auf der Reede vor Makassar sogar eine Jacht, immerhin ein Kriegsschiff von 41 Mann Besatzung.991 Der ‚Goa’ waren zwei weitere Schaluppen gleicher Größe an die Seite gestellt worde. Statt der drei alten pencalang wurden fünf neue Schiffe dieses Typs oder der Bauart konting verzeichnet. Hinzu kamen fünf weitere Boote und Schuten, von denen jedoch eines „onbequaem en tot geen gebruigh meer“ war. Mit einer solchen Flotillen, insbesondere durch die Verfügbarkeit einer Jacht, konnte die VOC von Makassar aus weitaus eher militärische Stärke auf See repräsentieren. Doch es blieb nicht bei diesen Verhältnissen. In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts pendelte sich die Flottille von Makassar auf eine Stärke ein, wie sie in zwei Verzeichnissen aus den Jahren 1716 und 1717 repräsentiert ist.992 Diese nennen drei Schaluppen, fünf pencalang sowie zwei geruderte Schuten. Die Besatzung der Schaluppen schwankte zwischen sieben und zehn Mann, diejenige der pencalang zwischen acht und 13 Mann. Immerhin standen der Niederlassung damit sieben bis acht hochseetüchtige und bewaffnete Kriegsschiffe zur Verfügung. Allerdings waren diese vom Typ her nur für den Einsatz gegen kleinere einheimische Fahrzeuge geeignet und zudem eher schwach besetzt. Auch innerhalb kurzer Zeitabstände konnte sich die Flotille in ihrer Zusammensetzung ändern. So wurde die im September 1716 anwesende Schaluppe ‚Opas’ bis zum darauffolgenden Jahr durch die ‚Pompelmoes’ ersetzt. Hintergrund hierfür war 990 ARA Den Haag, VOC 1609, Macassar, 1. Reg., 146/147. 991 Ebd., VOC 1676, Macassar, 1. Reg., 7-9. 992 Ebd., VOC 1894, Macassar, 1. Reg., 145-147; ebd., 2. Reg., 81-83. Die Errichtung eines niederländischen Makassar 367 der regelmäßige Verkehr zwischen Makassar und Batavia, der in der Regel von zwei Schaluppen aufrecht erhalten wurde, die im Wechsel längere Liegezeiten in der javanischen und der sulawesischen Metropole hatten.993 Die Besatzungsstärken der einzelnen Schiffe hingen von der örtlichen Verfügbarkeit von Mannschaftgraden ab. Hatte die Schaluppe ‚Bonij’ 1716 noch zehn Seeleute an Bord, war die Besatzung ein Jahr später auf einen Minimalbestand von sieben Personen geschrumpft. Die Besatzungen der anderen Schiffe unterlagen ähnlichen Schwankungen. Es ist jedoch anzunehmen, daß sie vor dem Auslaufen zu einer Kontrollfahrt noch einmal aufgestockt wurde, da sich in den Personalverzeichnissen Makassars auch Seeleute an Land finden. Zu Beginn der 1720er Jahre verfügte Makassar über eine Flottille, die in ihrer Größenordnung denjenigen in Malakka, auf Ambon oder auf Ternate entsprach. Eine Aufstellung der asiatischen Schiffsmacht der VOC für 1721 listet für Makassar sieben Schiffe der Typen Schaluppe, pencalang und konting zwischen 55 und 61 Fuß Länge auf, für Malakka und Ternate jeweils acht, für Ambon sechs. Mit zwölf Schiffen zwischen 40 ½ und 68 Fuß Länge hatte Banda sogar eine etwas größere maritime Streitmacht zur Verfügung. Unerreichbar blieb die Ausstattung des Hauptquartiers in Batavia, das über sechs Schiffe, die länger als 145 Fuß ware, eine Jacht unter 145 Fuß, sieben Fleuten unter 145 Fuß, neun pencalang und inländische Kriegsschiffe zwischen 50 und 90 Fuß sowie 36 kleinere Fahrzeuge verfügte.994 Wie die Personalstärke wurde im Zuge der Krise 1740/41 auf Java die Flottille von Makassar aufgestockt. Neben der üblichen Ausstattung mit einigen wenigen Schaluppen und pencalang zählten nun auch vier Schoner zur Ausstattung.995 Die Schoner waren leicht bewaffnet und um rund ein Drittel kleiner als die üblichen Schaluppen. Dafür waren sie schneller und wendiger und kamen mit einer Besatzung von weniger als zehn Mann aus. Mit Sicherheit waren die vier Schoner auf der VOC-eigenen Werft auf Onrust vor Batavia gebaut worden. Ihre Baujahre – zwischen 1711 und 1729 – verraten allerdings, daß dies nicht anläßlich der Ereignisse auf Java geschehen war, sondern daß die Niederlassung in Makassar durch die Überstellung bereits eingesetzter Schiffe verstärkt worden war. 993 Dies bestätigen auch die entsprechenden Listen der ein- und ausfahrenden Kompanieschiffe für Batavia, die darüber hinaus keinen Hinweis auf einen intensiveren Schiffsverkehr zwischen den beiden Städten in dieser Zeit bieten: ARA Den Haag, VOC 1888, Batavia, 639-675; ebd., VOC 1900, Batavia, 634-664. 994 Ebd., Navale magt in India, 1721, VOC 11338. 995 Ebd., VOC 2533, Macassar, 1590. 368 Makassar und die VOC nach 1666/69 Die Verzeichnisse der VOC-eigenen Schiffe vor Makassar zeigen, daß die Kompanie vorzugsweise auf Schiffstypen europäischer Bauweise zurückgriff. Dabei stattete sie ihre Niederlassungen mit kleinen, wendigen Booten aus. Größere Kriegsschiffe gab sie nur in Ausnahmefällen und nur vorübergehend an die einzelnen Stützpunkte ab. Einzige Ausnahme von dieser Regelung waren die pencalang, Transport- und Kriegsschiffe malaiischer Herkunft, die von der Kompanie in Makassar von Anfang an regelmäßig eingesetzt wurden. Die im Dienst der Kompanie eingesetzten indonesischen Schiffe hatten ähnliche Ausmaße wie die Schaluppen, waren etwas leichter bewaffnet und benötigten eine etwas größere Besatzung. Daß die VOC für ihre krijstochten gegen Schmuggler und Piraten wesentlich häufiger pencalangs einsetzte als Schaluppen oder gar Schoner, läßt zumindest vermuten, daß dieser Schiffstyp für die riff- und inselreichen Gewässer vor den Küsten Sulawesis besser geeignet war. Auffällig bleibt jedoch, daß die Kompanie in Makassar nie aus den gleichen Gründen auf regionale Schiffstypen wie die im Handelsverkehr des späteren 18. Jahrhundert vorherrschenden prahu paduwakang zurückgriffen, obwohl ein Gouverneur wie Cornelis Sinkelaar deren Einsatz durchaus für sinnvoll erachtete: „Nog sonde ik van gevoelen zijn, dat het in koopen alhier van twee sufficante Padduackangs en het toerusten derselven met goede draijbassen op zijn inlands gettuijgd van veel nut soude zijn soo om de ligtheijd van soort gelijk kieltjes als dat ze heel digt ouder de wal kunnen lopen, het geen voor chialoupen onmoogelijk is, en soude het selve de Comp. ruij minden kosten als dat ze op nieuw aangebouwd wierden.“996 Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde die in Makassar stationierten Flottille zwar nicht zahlenmäßig, aber offenbar in der Schlagkraft deutlich verstärkt. Makassar war nun auch zum ständigen Stützpunkt größerer Kriegsschiffe geworden, wie Alfred Wallace von seinem Besuch im September 1856 zu berichten wußte: „In the roadstead of Macassar there was a fine 42-gun frigate, the guardship of the place, as well as a small war steamer and three or four little cutters used for cruising after the pirates which infest these seas.“997 Einsatz und Bedeutung der in Makassar stationierten VOC-Flottille Die Seestreitmacht der VOC in Makassar bestand vorrangig aus kleineren zweimastigen Schiffen mit kleiner Besatzung und selten mehr als zehn leichten Kanonen. Eine Jacht, unter den europäischen Kriegsschiffen eine der kleinsten Typen, stellte bereits eine Ausnahme dar. Neben den regelmäßigen Reisen nach Batavia kamen die Fahrzeuge vor allem auf sogenannten krijstochten, den Kontrollfahrten ge996 Ebd., Memorie van overgave, Cornelis Sinkelaar, 4.6.1767, VOC 11254, 35/36. 997 WALLACE, Malay Archipelago I, 330. Die Errichtung eines niederländischen Makassar 369 gen Schmuggler, Piraten und unrechtmäßig angebaute Gewürzpflanzungen, sowie gelegentlich bei diplomatischen Missionen zum Einsatz. Erfolgversprechend waren die verwendeten Schiffstypen lediglich gegen indigene Handelsfahrzeuge einzusetzen. In Größe und Geschwindigkeit ebenbürtig, waren sie in der Regel etwas besser bewaffnet, so daß sie ein einfaches Handelsschiff leicht anhalten und kontrollieren konnten. Gegen Piraten konnte eine solche Ausstattung nur dann erfolgversprechend sein, wenn diese vereinzelt und mit kleineren Schiffen auftraten. Zwar nutzten indonesische Piraten selten große europäische oder chinesische Schiffstypen, da sie sich lieber auf die Wendigkeit von prahus und ihre eigenen Ortskenntnisse verließen, doch traten sie meist mit größeren Flottenverbänden solcher Boote auf.998 Die Möglichkeit, solche mit geballter Waffengewalt zu bekämpfen, bestand von Makassar aus nur in Ausnahmefällen. Die Niederlassung war dann auf Hilfe aus Batavia angewiesen. Die buginesischen Piraten, die über Jahrzehnte hinweg erfolgreich die Wasserstraße zwischen Sulawesi und Kalimantan unsicher machten, sind Beispiel genug für diese Verhältnisse. Die Mehrheit der Fahrten, welche diese Flottille im Patroillendienst unternahm, hatte Sumbawa, die im Süden Sulawesis liegende, von der VOC als Vormacht beanspruchte Insel mit ihren verschiedenen Königtümern zum Ziel. Eine weitere Gruppe von Fahrten konzentrierte sich auf die Küste der Südhalbinsel Sulawesis und beinhaltete auch diplomatische Missionen an den Hof von Boné. Gleiches gilt für die gelegentlichen Reisen nach Buton. Reinen Kontrollcharakter hatten die Fahrten zu den Tunkangbesi-Inseln im Südosten Buton und an die Ostküste Kalimantans. Von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen ist damit bereits die Reichweite der Flottille von Makassar abgedeckt. Die ausgeübte maritime Kontrolle hatte demzufolge nur regionale Bedeutung. 998 Vgl. den Bericht über eine Piratenüberfall, den der Sergeant Hartman und der Oberkaufmann Hottman 1789 auf Pulo Laut erlebten: ARA Den Haag, Hoge Regering van Batavia, Nr. 44, 1-10. II. Zur Topographie Makassars 1. Die räumliche Gliederung Die Zahl der Beschreibungen Makassars ist für die Zeit der VOC-Herrschaft beinahe noch geringer als für die Epoche des freien Emporiums. Nur selten hinterließen Bedienstete der Kompanie Texte über eine Stadt, die ihre alltägliche Erfahrungswelt darstellte. Roelof Bloks Darstellung von 1759 gehört zu den ausführlichsten Schilderungen aus zeitgenössischer niederländischer Feder, die jedoch mehr den räumlichen Rahmen als das Erscheinungsbild der Stadt selbst in den Mittelpunkt rückt: „Hoe verre het land, of de grenzen van dit kasteel strekken, wordt bij geene kontracten of onderhandelingen aangetoond, daarom wilden de Makassaren ze tot maar even buiten de stad Vlaardingen, met hare buitenbuurten benoorden, de kampong Barie bezuiden, en Bontoealak beoosten van het kasteel gelegen, bepalen; terwijl zij zelfs ten tijde van den gouverneur Loten, het dorpje Marisso, een klein kanonschot bezuiden het kasteel gelegen, durfden te vorderen. Want ofschoon Speelman in zijne aantekening opgeeft, dat de landen der Compagnie, langs de stranden van Sandraboni tot aan de rivier van Patingaloang, en te lande omtrent het kasteel, tot aan de modderpoelen van Tello strekken; en dat Goa en Tello zelfs geen voet breed velds buiten hunne poorten hebben, zoo strijdt dit echter tegen het Bongaisch kontract; waarom deze landen langs de zee-stranden bepaald worden van Toerattea tot aan Bonaija, en voorts benoorden het kasteel, zoo ver ze uit kracht van overwinnige de Compagnie toebehooren. Het eigentlijke verschil in deze en vele andere zaken tusschen de Compagnie en de Makassaren is ontstaan doordien het Bongaisch kontract, na de verovering van Samboepo, in zijne volle kracht schijnt gebleven te zijn, of liever omdat hetzelve niet naar den veranderden stand van zaken verbeterd, vermeederd of opgehelderd is. Speelman heeft ten zijnen tijd wel getracht de grenzen te bepalen: doch de Makassaren verklaarden tien, dat hij die konde wijzigen naar goedvinden want dat alles toch de Compagnie toebehoorde. Daarbij is dit toen gebleven.“999 Älter, auf Grund der Popularität des Werkes aber weitaus verbreiteter war die Beschreibung François Valentijns, der Makassar zu Beginn des 18. Jahrhunderts kennenlernte. Hinsichtlich ihres Gegenstandes stellt die Schilderung das genaue Gegenstück zu Bloks Beschreibung dar, gesteht sie doch nur dem Zentrum Vlaardingen die Berechtigung zu, die Bezeichnung ‚Stadt’ zu tragen: „De stad is maar een open vlek, dat ook anders wel de negrij Vlaardingen genaamd wordt en waarin men maar een groote ongeplaveide straat (zooals ik meen de Chinesche) en dan nog 2 of 3 kleine straaten heeft, waarin de Nederlandsche burgers, eenige Chinezen, onder hunnen kapitein en eenige Macasaren en andere inlanders wonen en die ook afgesloten en door de Chinesche en de burgerwacht bewaakt worden. De bediende der E. maatschappij wonen allen in de vesting; doch de fiskaal woont buiten, om te beter zijn ambt te kunnen oefenen. Men heeft hier verscheiden zeer goede huizen, die een zeer fraai uitzigt op de reede hebben, 999 BLOK, Beknopte geschiedenis, 69/70. Zur Topographie Makassars 371 daar men wanneer men op de reede komt, als in eenen inham inzeilt, waar men de tad aan wederzijden liggen heeft; doch de vertooning van Wouter Schouten daarvan gedaan, alsof men in ’t noorden of ter linkerhand. de vesting Oedjong Pandang, doch ’tgeen gemeenlijk Joepandang genaamd wordt, en in ’t zuiden de vesting Pannakoke liggen ziet, is geheel en al buiten ’t spoor, daar die vervolgens zoo langs de kust liggen. Buiten de stad gaat men ter regterhand op, van de landpoort van Oedjong Pandang en ter linkerhand opgaande heeft men veel fraaije tuinen.“1000 Auf den ersten Blick aus dem Rahmen fällt eine dritter Augenzeugenbericht, entstand er doch gut ein Jahrhundert nach den Zeilen des Roelof Blok. Da sich das Gesicht indonesischer Kolonialstädte jedoch erst im industriellen Zeitalter grundlegend änderte, ist abgesehen von dem einen oder anderen Gebäude oder kampung am Stadtrand von einem vergleichbaren Stadtbild auszugehen. Insofern kann auch die Beschreibung von Alfred R. Wallace, der Makassar erstmals im September 1856 besuchte, einen Eindruck der Stadt unter der Herrschaft der VOC vermitteln: „Macassar was the first Dutch town I had visited, and I found it prettier and cleaner than any I had yet seen in the East. The Dutch have some admirable local regulations. All European houses must be kept well white-washed, and every person must, at four in the afternoon, water the road in front of his house. The streets are kept clear of refuse, and covered drains carry away all imperities into large open sewers, into which the tide is admitted at high-water and allowed to flow out when it had ebbed, carrying al the sewage with it into the sea. The town consists chiefly of one long narrow street, along the seaside, devoted to business, and principally occupied by the Dutch and Chinese merchant’s offices and warehouses, and the native shops or bazaars. The extend northwards for more than a mile, gradually merging into native houses, often of a most miserable description, but made to have a neat appearance by being all built up exactly to the straight live of the street, and being generally backed by fruittrees. This street is usually thronged with a native population of Bugis and Macassar men, [...]. Prallel to this street run two short ones, which form the old Dutch town, and are enclosed by gates. These consists of private houses, and at their southern end is the fort, the church, and a road at right angles to the beach, containing the houses of the Governor and of the principal officials. Beyond the fort again along the beach, is another long street of native huts and many country houses of the tradesmen and merchants.“1001 Die Einrichtungen der VOC Die Kompanie selbst konzentrierte sich vorrangig auf ihr Fort. Außerhalb der Stadt wurden einige zusätzliche Schanzen errichtet, um wenigstens ein Minimum an Schutz im Falle von Aggressionen aus dem Landesinneren aufrecht erhalten zu können. Daneben gab es die Niederlassungen auf Selayar, in Bantaeng, Bulukumba und in Bima, die jedoch aus nicht mehr als ein oder zwei Häusern bestanden. Im Stadtgebiet Makassars hingegen blieb die bauliche Präsenz gering. Auch dort, wo die 1000 VALENTIJN, Oost-Indiën III, 116. 1001 WALLACE, Malay Archipelago I, 332/333. 372 Makassar und die VOC nach 1666/69 VOC konkret als Ordnungsmacht auftrat, entstanden keine Wachgebäude, vielmehr wurde auf Einheiten aus Fort Rotterdam zurückgegriffen. Die Ausnahme von dieser Regel bildete die Residenz des Gouverneurs, die in der Spätphase der Kompanie-Präsenz am landseitigen Ende Vlaardingens entstanden war.1002 Zunächst hatte der Gouverneur, wie alle anderen Kompanie-Repräsentanten, seinen Dienstsitz im Fort gehabt. Im Laufe der Jahre war dieser, angesichts der wachsenden Garnison, nicht mehr groß genug und vor allem nicht mehr ausreichend repräsentativ. Daß die neue Residenz über einen großen Garten verfügte, war sicherlich kein Zufall. In der Regel nicht ausdrücklich erwähnt, entstanden mit der Residenz einige Einrichtungen zum Schutz des Gouverneurs in der Stadt. Daneben mußten im Laufe des 18. Jahrhunderts die Lagermöglichkeiten der Kompanie erweitert werden. Da die Festungsanlagen von Fort Rotterdam hierfür nur sehr geringen Platz anzubieten hatten, ist auch hier von einem Ausweichen nach Vlaardingen und in den Hafenbereich auszugehen. Schließlich konnte 1715/16 ein Hospital im Stadtgebiet errichtet werden, da auch in diesem Bereich die Kapazitäten des Forts zu gering waren. Gebaut wurde es auf einem Grundstück, das der Herrscher von Boné der Kompanie geschenkt hatte.1003 Die Beute aus dem Makassarischen Krieg und die multiethnisch verflochtetenen Zustände in der Stadt mußten für Boné auch zu Besitztümern im Herzen des ehemaligen Goa-Tallos geführt haben. Vlaardingen Die Ansiedlung Vlaardingen bildete das Herzstück der neuen Kolonialstadt. Sie wurde nach der Eroberung Makassars und der Umgestaltung Ujung Pandangs unmittelbar nordöstlich des Forts errichtet. Wie bereits Valentijn berichtete, hatte dieser Stadtkern bescheidene Ausmaße. Von hölzernen Pallisaden umgeben, bestand er nur aus wenigen Straßen, die vor allem von Europäern und Chinesen sowie einigen wenigen, herausgehobenen Einheimischen besiedelt wurden. William Milburn bestätigt für die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert die Beschreibung Valentijns: „The streets cross each other at right angles, pointing to the four Cardinal points; most of them are broad, and formed of tolerably good houses; at the end of them stands the orphan-house, which is large, but in a ver ruinous state. The Chinese all live together in one street, which is named after them. This town in palisadoed all round, and is at night closed by gates, where a watch is constantly kept.“1004 1002 MILBURN, Oriental Commerce II, 409. 1003 Generale Missiven VII, 19.2.1716, 217. 1004 MILBURN, Oriental Commerce II, 409. Zur Topographie Makassars 373 Im Verlauf des 18. Jahrhunderts hatte sich offenbar wenig am Charakter der Siedlung geändert. Zumindest nach außen erschien Vlaardingen als eine in sich geschlossene Welt, beschützt von einem Pallisadenwall und des Nachts der Außenwelt gegenüber abgeriegelt. Diese Welt war klein, konnte aber durchaus einen ansehnlichen Standard aufweisen. Zwar war das Waisenhaus Ende des 18. Jahrhunderts in baufälligem Zustand, doch betonen Valentijn wie Milburn mit knapp einem Jahrhundert Abstand zueinander die gute Qualität der meisten Häuser in Vlaardingen. Zu Beginn seiner Existenz unterteilte sich Vlaardingen lediglich in die ‚Chineesen Straat‘, die ‚Tuijn Straat‘, die ‚Agter Straat‘ und schließlich einen Weg nach Buntuala, eine Art Ausfallstraße.1005 Die ‚Chineesen Straat‘ war die meistbevölkerte Straße,1006 wobei die Chinesen selbst diese nicht in dem Maße dominierten, wie es der Name nahelegt. Es handelte sich um keinen chinesischen Straßenzug im Sinne eines ethnisch geschlossenen Viertels;1007 Vielmehr war die Ansiedlung von mardijkern von zunehmender Bedeutung.1008 Auch die meisten Niederländer und Mestizen lebten in dieser Straße. Malaiien, Javaner und Inder sind zwar nur vereinzelt nachzuweisen, doch auch sie waren in der inoffiziellen Hauptstraße Vlaardingens ansässig. Die ‚Tuijn Straat‘ war schon wesentlich weniger besiedelt.1009 Die sehr schwankende Zusammensetzung ihrer Bevölkerung spricht für eine Straße im Werden. Hier lebten in der Frühzeit der Kolonialstadt vorrangig, allerdings in unterschiedlicher Zahl, Chinesen und zunehmend mardijker.1010 Ähnliches galt für die nicht einmal halb so stark besiedelte ‚Agter Straat‘, während der Weg nach Buntuala zwischen 1679 und 1683 als Siedlungsplatz sogar abnehmende Bedeutung aufwies. Ein Stadtbrand, der im Jahr 1679 rund 80 Häuser in Vlaardingen zerstört haben soll, gibt Anlaß zu einigen vagen Spekulationen über die Besiedlungsdichte im Stadtzentrum. In diesem Zusammenhang wird das Anwesen des Inders Ince Buang erwähnt, das in vier großen Häusern seine Familie samt Sklaven beherbergte. Über seine Neuansiedlung im Kampung Melayu in Folge der Brandkatastrophe wird be- 1005 Die ersten überlieferten Bevölkerungsaufstellungen stammen aus den Jahren 1679, 1681 und 1683: ARA Den Haag, VOC 1364, Macassar, 1. Reg., 499v/500; VOC 1368, Macassar, 1. Reg., 456v/457; VOC 1385, Macassar, 1. Reg., 505v/506. Siehe hierzu auch NAGEL, Stadtstaat, 127-129. 1006 1679: 146 Freie, 328 Sklaven, 474 Personen insges.; 1681: 276 Freie, 417 Sklaven, 693 Personen insges.; 1683: 287 Freie, 311 Sklaven, 598 Personen insges. 1007 1679: 48,6% Chinesen; 1681: 44,6% Chinesen; 1683: 41,5% Chinesen. Die namensgebende Ethnie stellte also zu dieser Zeit nie mehr als die Hälfte der Einwohnerschaft der Straße. 1008 1679: 13% mardijker; 1681: 49,3% mardijker; 1683: 29,6% mardijker. 1009 1679: 61 Freie, 196 Sklaven, 257 Personen insges.; 1681: 94 Freie, 74 Sklaven, 168 Personen insges.; 1683: 80 Freie, 134 Sklaven, 214 Personen insges. 1010 Chinesen: 1679: 41%, 1681: keine, 1683: 56,3%; mardijker: 1679: 8,2%, 1681: 74,5%, 1683: 33,7%. 374 Makassar und die VOC nach 1666/69 richtet, daß es sich dabei um 64 Personen – je acht Personen pro Haus bei acht neu errichteten Häusern – gehandelt haben muß.1011 Diese Einzelbeobachtung bestätigt zunächst, daß auch in Vlaardingen die übliche Bebauung in Anwesen aus kleineren Häusergruppen, sogenannten kratong, bestehen geblieben war. In dem umzäunten Stadtzentrum bestanden geringere Ausdehnungsmöglichkeiten für eine solche Familienansiedlung als im wild wuchernden Kampung Melayu, wie die Verdoppelung der Häuserzahl im Falle Ince Buangs zeigt. Es ist nicht bekannt, inwieweit der Fall des Inders repräsentativ ist für die Verhältnisse in Vlaardingen. Als Gedankenspiel, als vorsichtige Annäherung an Hauszahlen und Besiedlungsdichten mögen die beide Zahlen jedoch als mögliche Pole Anhaltspunkte liefern. In Vlaardingen lebten 16 Personen des Clans von Ince Buang in einem Haus. Diese Zahl als Maßstab vorausgesetzt, bedeutet dies bei 1.034 Einwohnern im Jahr 1679 rund 65 Häuser, bei 1.163 Einwohnern 1681 rund 73 Häuser, und bei 1.119 Einwohnern 1683 rund 70 Häuser. Diese Zahlen können bei einem Verlust von 80 Häusern durch den Stadtbrand 1679 schwerlich realistisch sein. Im Kampung Melayu waren es im Falle Ince Buangs acht Einwohner pro Haus. Nimmt man diese Zahl als Maßstab, errechnen sich 130, 146 und 140 Häuser. Wahrscheinlich kommen diese Zahlen der Realität näher, und Ince Buang zählte in Vlaardingen nicht zu den reichsten Bewohnern. Er konnte sich erst im Kampung Melayu ein größeres Grundstück mit einer größeren Zahl an Häusern leisten. Für Vlaardingen mag in diesem Zusammenhang ein Baubestand zwischen 100 und 150 Häuser in der kolonialen Frühzeit mit einer Bevölkerungsdichte zwischen sechs und zehn Personen pro Haus angenommen werden. Die erste überlieferte Steuerliste Makassars aus dem Jahr 1717 enthält einerseits detailliertere, weil individuelle Angaben zu einem Teil der Bevölkerung Vlaardingens, ist andererseits jedoch in topographischer Hinsicht ungenauer.1012 Dies ist vor allem auf die kollektive Steuerzahlung der Chinesen zurückzuführen, für deren Eintreibung ihr ‚Kapitän’ verantwortlich war. Der Wohnort einzelner chinesischer Steuerzahler ist daher nicht rekonstruierbar. Außerdem enthält die Liste naturgemäß nicht die steuerfreie Einwohnerschaft Vlaardingens. Es kann also nicht auf eine Bevölkerungszahl rückgeschlossen werden; dennoch ist auch diese Quelle für die Situation in 1717 aussagekräftig. Die Steuerliste führt eine ‚Eerste Tuijn Straat‘ und eine ‚Tweede Tuijn Straat‘ auf. Die erste trägt die Zusatzbezeichnung ‚beginnende van de hoek van de bazaar.‘ Mögli1011 SUTHERLAND, Eastern Emporium, 109. 1012 ARA Den Haag, VOC 1910, Macassar, 1. Reg., 109-112. Zur Topographie Makassars 375 cherweise handelte es sich nur um zwei Abschnitte der gleichen Straße, möglicherweise war auch eine zweite, neue Straße an die bereits bestehende ‚Tuijn Straat’ angebaut worden. Wie dem auch sei, auf jeden Fall hatte es offenbar ein deutliches Wachstum in der Bebauung Vlaardingens zwischen 1683 und 1717 gegeben. In der ‚Chineesen Straat‘ lebten nach dieser Liste 25 Steuerzahler. Neben einem wahrscheinlich christlichen mardijker handelte es sich vor allem um Niederländer, in vier Fällen um ihre asiatischen Witwen und in sieben Fällen um ihre MestizoErben, worauf allerdings nur aus ihrem Wohnort und ihrer Stellung in der Steuerliste geschlossen werden kann. In der ‚Eerste Tuijn Straat‘ waren 32 Steuerzahler verzeichnet, unter ihnen eine ‚Freie Frau‘, die wahscheinlich mardijkerin war, sowie der Erbe des ‚Kapitäns’ der Chinesen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit Mestize war. Darüber hinaus handelte es sich um Niederländer, in drei Fällen um ihre asiatischen Witwen und in elf Fällen um ihre Mestizo-Erben. In der ‚Tweede Tuijn Straat‘ handelte es sich um 23 Steuerzahler. Auch hier muß auf Grund des Namens bei vier Personen auf christliche mardijker geschlossen werden. Hinzu kamen drei alleinstehende Frauen, vier asiatischen Witwen und fünf mutmaßliche MestizoErben. In einem als ‚Koge Pat van Buntualacq’ bezeichneten Abschnitt, der mit dem Weg nach Buntuala in den älteren Listen identifiziert werden kann, zahlten fünf Niederländer, drei Witwen, ein Erbe und zwei alleinstehende, wahrscheinlich einheimische Christinnen Steuern. Schließlich wird noch eine ‚Nieuw Negorij‘ aufgeführt, in der in sechs Fällen Gärten (thuijn) besteuert wurde. Daneben lebten hier vier Einzelpersonen. Das Steueraufkommen von 1717 betrug insgesamt 163,75 Rds. Läßt man die Chinesen, welche mit pauschalen 30 Rds. 18,3% dieses Aufkommens bestritten, außen vor, da sie weder topographisch zuzuordnen sind noch etwas über ihre individuelle Steuerlast gesagt werden kann, ist nicht mehr die einstmals am dichtesten besiedelte ‚Chineesen Straat‘ die wirtschaftskräftigste. In ihr wurden mit 34 Rds. 20,8% des Gesamten Steueraufkommens erhoben, während es in der ‚Eersten Thuijn Straat‘ allein 29,0% (47,5 Rds.) waren. Die ‚Tweede Thuijn Straat‘ steuerte noch einmal 17,3% (28,25 Rds.) bei. Weitaus geringer waren die Steuerlerträge des ‚Koge Pat van Buntuala‘ mit 16,5 Rds. (10,1%) und der ‚Nieuw Negorij‘ mit 7,5 Rds. (4,6%). Auch wenn eine solche Steuerliste keine Schätzung der Einwohnerzahl zuläßt, kann dennoch festgestellt werden, daß Vlaardingen ganz offenbar gewachsen war. Vor allem die Zahl der Europäer war deutlich gestiegen. In Makassars Zentrum lebte teilweise bereits die zweite oder dritte Generation, die im wesentlichen aus Me- 376 Makassar und die VOC nach 1666/69 stizen bestand, welche die Geschäfte der europäischen Bürger weiterführten. Die Chinesen blieben weit hinter der Wirtschaftskraft dieser Gruppe zurück. Auch ihre Straße war nicht die reichste in Vlaardingen. Selbst wenn man ihre Pauschalsteuer zur den übrigen Steuereinnahmen der ‚Chineesen Straat’ addiert, überrundet diese die ‚Eerste Thuijn Straat’ nur in einer überschaubaren Größenordnung. Zudem müssem wohl die beiden ‚Thuijn Straats’ zusammengesehen werden, da auch spätere Aufzeichnungen oft nur eine Straße dieses Namens kennen. Eine Steuerliste aus dem Jahr 1733 bestätigt die herausragende Rolle der ‚Thuijn Straat’.1013 Hier waren mehr als die Hälfte der Häuser aus Stein; und hier wohnten die reichsten Bürger der Stadt. Zwei Bürger brachten es allein auf ein Steueraufkommen von jeweils 35 Reichsthalern – eine Summe, die über der gesamten Pauschalbesteuerung der Chinesen im Jahr 1717 lag. In der ‚Thuijn Straat’ des Jahres 1733 lebten vor allem Europäer oder Mestizen. Eine ebenfalls vorrangig europäische Bevölkerung siedelte in der ‚Middelstraat’, die 1717 noch keine Erwähnung fand. Hier ist allerdings eine geringere Wirtschaftskraft zu verzeichnen. Zudem bestand die Straße mehrheitlich aus Bambushäusern. Die lebendigste Straße war nach dieser Auflistung weiterhin die ‚Chineese Straat’ mit rund 50 Haushalten. Die große Mehrheit in der Straße stellten in der Tat die namensgebenden Chinesen, den Rest der Anwohner Europäer und in Ausnahmefällen Makassaren. Abermals wies Vlaardingen ein deutliches Wachstum auf, einhergehend mit steigendem Wohlstand. Offenbar wurde die Stadt aber noch immer nicht in einer Weise von Chinesen dominiert wie im Falle Batavias. Im weiteren Verlauf des 18. Jahrhundert wuchs der „Nukleus“ von Makassar, bestehend aus Fort Rotterdam und Vlaardingen, langsam aber stetig: 1730 waren es rund 2.000 Einwohner, 1780 rund 3.000.1014 Welcher Bereich 1717 mit der ‚Nieuw Negorij‘ gemeint war, ist aus der Quelle selbst nicht zu erkennen. Immerhin war der Kampung Baru zu Beginn der 1680er Jahre neu gegründet worden, kann also rund 35 Jahre später durchaus noch als „neu“ angesehen werden. Auch dort siedelten vereinzelt Bürger, Chinesen oder andere wohlhabende Kaufleute, so daß dort ein gewisses Steueraufkommen zu erwarten war. Zudem wurden Vlaardingen und der Kampung Baru nicht immer konsequent auseinandergehalten. Im Jahr 1697 findet sich die Bezeichnung „Diverse coloniers alle om en bij ‘t Casteel Remorerende“, unter denen 544 Bürger und mardijker, 686 Chinesen, 76 freie Makassaren, 34 Südmolukker, 68 Ternater und Butonesen, 764 Malaiien, 1013 SUTHERLAND, Eastern Emporium, 118. 1014 Ebd., 115. Zur Topographie Makassars 377 531 Inder und andere Muslime sowie noch einmal 535 „diverse gemengde in’t campon baros“ aufgeführt wurden – insgesamt also 3.238 Personen, wobei Sklaven mit Sicherheit unter die ethnischen Bezeichnung ihren Herren fielen.1015 Selbst wenn man die 535 Einwohner Barus abzieht, bleibt mit 2.703 Personen eine Bevölkerung, die für Vlaardingen allein zu groß erscheint, zumal die Besatzung von Fort Rotterdam ausgenommen war. Demnach lebten auch von den ethnisch spezifizierten Einwohnern eine Reihe in dem neuen gemischtethnischen kampung. Die ethnische Vielfalt der Bevölkerung in unmittelbarer Nähe des Fort und damit im engeren Kontrollbereich der VOC bestätigt auch 1727 Joan Frederik Gobius.1016 Es ist ein sehr buntes Bild, das sich hier herauskristallisiert. Sicherlich stand Vlaardingen nicht allen Bewohnern Makassars offen, doch war dies eher eine soziale Abgrenzung als eine ethnische. Wenn von ethnischer Abgrenzung die Rede sein kann, dann nicht selten seitens der indigenen Nationen, die dazu neigten, unter sich zu bleiben. Eine Kolonialstadt war Makassar im Sinne von Machtanspruch und Machtausübung. Demographisch konnten weder Europäer noch Chinesen eine Mehrheit bilden; vielmehr wurde die Gruppe der Mestizen immer wichtiger. Für den Innenstadtbereich Vlaardingen dürfte die Vorstellung einer ‚Indischen Kultur’ im 18. Jahrhundert durchaus zugetroffen haben. Nimmt man jedoch einen etwas weiteren Bereich als Zentrum der Stadt, wie zeitgenössisch offenbar häufig getan, verliert das Bild jede Einheitlichkeit. Es fehlt kaum eine Ethnie, die auf die eine oder andere Weise in Beziehung zu Makassar stand. Die einheimischen Völker der Makassaren und Bugis siedelten ebenso in Nähe des Forts wie die aus Handelsgründen hier ansässigen Malaiien, Inder, Molukker oder Sumbawaner. Hinsichtlich der Infrastruktur blieb der Stadtkern lange Zeit auf Fort Rotterdam ausgerichtet. Neben den Wohn- und Lagerhäusern der Bewohner bestanden wenige Einrichtungen in Vlaardingen; ähnliches dürfte für den Kampung Baru gegolten haben. Wesentliche Einrichtungen religiöser, administrativer und medizinischer Art waren bis zum Hospitalbau von 1715/16 zunächst nur im Fort zu finden. Noch später erhielt der Stadtkern eine eigene Kirche, deren Bau die VOC 1729 zustimmte, nachdem sichergestellt war, daß für sie hierbei keine Kosten entstanden.1017 Die Straßen des Viertels waren nicht befestigt, sondern entstanden eher durch die Struktur der Bebauung, weswegen Valentijn den Eindruck eines vleks, aber nicht den einer Stadt bekam. Nicht einmal eine angemessene Wasserversorgung existierte, so 1015 ARA Den Haag, Sommarium van de lijst ziel beschrijvinge, 24.10.1697, VOC 1595, Macassar, 320-322. 1016 Ebd., Memorie van ovegave des Joan Frederik Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 103. 1017 Generale Missiven IX, 30.11.1729, 26. 378 Makassar und die VOC nach 1666/69 daß Flußwasser geschöpft und Regenwasser aufgefangen werden mußte.1018 Erst in den 1730er Jahren, während Josua van Arrewijnes Amtszeit, wurde diese Situation aktenkundig als Mißstand erkannt und Verbesserungsmaßnahmen ergriffen.1019 Geht man von einem niederländischen Blick auf das Phänomen Stadt aus, geschult an den heimatlichen urbanen Zentren der Zeit, brauchte Makassar lange, um sich zu einer wirklichen kolonialstädtischen Metropole zu entwickeln. Daß dabei langfristige Auswirkungen der Zerstörungen des Makassarischen Krieges eine Rolle spielten, darf bezweifelt werden. Denn betrachtet man Makassar mit indonesischen Augen, war die Stadt sehr schnell wieder hergestellt. Vlaardingen stellte in dieser Sicht lediglich einen kampung dar, der sich auf Grund seiner baulichen Verhältnisse, seiner Befestigung und seiner überdurchschnittlich wohlhabenden Bevölkerung von den übrigen abhob, mehr jedoch nicht. Nur der Maßstab von Städten wie Middelburg, Rotterdam oder gar Amsterdam konnte daraus einen vlek machen. Die Kampung Grundsätzlich folgte die Aufteilung des weiteren Stadtbereichs in kampung nach ethnischen Kriterien. Dabei kann jedoch nicht von einer dichten Abschottung ausgegangen werden; insbesondere die Bugis zogen häufiger in andere kampung um.1020 Außerdem existierten ethnisch nicht spezifizierte kampung, und es gab auch keinen eigenen für die sicherlich größte Bevölkerungsgruppe, die Makassaren. Das erste ethnisch unspezifische Stadtviertel war der Kampung Baru, der in den Generalen Missiven erstmals 1683 als „nieuwe vergaderplaats“ erwähnt wird.1021 Er lag dem Stadtkern am nächsten und stand von allen kampung am weitesten unter Kontrolle der VOC. In diesem kampung siedelten sich „legal“ Händler an, darunter einige europäische Bürger und ihren Mestizo-Nachkommen sowie Chinesen. Im Laufe der Zeit gesellten sich zunehmend VOC-Bedienstete hinzu. Der Kampung Baru näherte sich dadurch wohl auch in der äußeren Gestalt Vlaardingen an. So wurden europäisch geprägte Steinhäuser in dem für Asiaten vorgesehenen Viertel errichtet.1022 Auch die VOC bezog diesen kampung häufig zusammen mit Vlaardingen in die Kategorie „onder’t casteel“, den unmittelbaren Kontrollbereich der Kompanie, ein. 1018 VALENTIJN, Oost-Indiën III, 117. 1019 ARA Den Haag, Memorie van overgave, J. van Arrewijne, 21.5.1733, VOC 2285, Macassar, 1. Reg., 165/166. 1020 NOORDUYN, Merchants‘ Community, 119/120. 1021 Generale Missiven IV, 19.3.1683, 527. 1022 MILBURN, Oriental Commerce II, 409. Zur Topographie Makassars 379 Karte 5.1: Der Stadtbereich der Kolonialstadt Makassar.1023 Fort Rotterdam Kampung Bugis Kampung Melayu Vlaardingen Garten der VOC Buntuala Hafenanlange der VOC Gouverneurssitz Kampung Baru Kampung Maluku diverse makassarische Kampung Sombaopu Kale Goa (Tamalang) u.a. Gefolgschaft des Karaeng Goa 1023 Auf der Grundlage von SUTHERLAND, Eastern Emporium, 112; DIES., Ethnicity, 40; ANDAYA, Heritage, map 5; MCTAGGART, Urban Policies, 58/59. 380 Makassar und die VOC nach 1666/69 Die kampung der Bugis und der Malaiien waren die nächsten Nachbarn im Norden des Forts und schlossen unmittelbar an Vlaardingen an.1024 „D’buurd of het kampon der Malijers is g’ordonneerd tusschen de kampon Boegijs drie roeden spatie te moeten houden, en zoo mede tusschen d’ negorij Vlaardingen, en dus mijne ik dese wijk een goede schutting te wesen voor alle schelmerijen van inlanders van de zeijde door een continueele goede wagt allenthalven.“1025 Schon in diesen noch vergleichsweise nahen Stadtvierteln ließ die spürbare Kontrolle durch die VOC nach. Die kampung funktionierten häufig wie autonome und souveräne Siedlungen. So versteckten sich 1747 dreißig Personen, die der König von Boné und Luwu als seine Sklaven ansah, im Kampung Melayu. Die Malaiien des kampung verweigerten die Herausgabe. Der König wandte sich nach erfolglosen Drohungen an Gouverneur Johan Gideon Loten.1026 Es war die letzte Möglichkeit, die ihm blieb, da keine Machtmittel gegen solch ein kampung bestanden, außer mit der geballten Kraft der Kompanie zu drohen. Dem Gouverneur blieb zur Lösung des Falls jedoch auch nur die Diplomatie; ein Militäreinsatz wurde vermieden. Vor diesem Hintergrund betrachtet ist es kein Wunder, daß diese Stadtteile als Ausgangspunkte von Gefahr angesehen wurden, letztendlich sogar von Gefahr für das Fort Rotterdam selbst. Aus dieser Perspektive ist auch die Forderung des scheidenden Gouverneurs Gobius aus dem Jahr 1727 zu verstehen: „Tot de nodige toesigt en ordentelijk over de kampons of buurten benoorden en bezuijden dit casteel zullen u.E. de gestelde ordres voor komen bij de resolutie van den 6 Januarij en 5 Julij 1727, item bij die van den 10 Junij deselven jaars, de voorsorge tegens de nabijheid aan dit casteel en het verdere oogmerk daarmede, mitsgaders om voor eerst d’huijsen ten minsten 60 a 70 roeden van dit casteel aftehouden.“1027 Die Ausweitung der Stadt, die Normalisierung der Situation in Makassar für die Bugis und die zunehmende Bedeutung der Wajos im regionalen Privathandel führte, wenn auch erst nach und nach, zur Wiedererstehung eines Kampung Wajo.1028 Noch Mitte des 18. Jahrhunderts siedelten Wajos nicht nur im eigenen Viertel, sondern auch in den Kampung Bandang, Buton, Melayu sowie in einigen anderen.1029 So lebte selbst der matoa La Nongko (Amtszeit 1757 – 1772) bei seiner Wahl zum Oberhaupt der makassarischen Wajos im Kampung Bandang und siedelte erst nach seiner Amtseinführung in den Kampung Wajo über.1030 Gleiches gilt für seinen Nachfolger La Madeq Penna Padaq, von dem das Ende der Amtszeit nicht bekannt 1024 1025 1026 1027 1028 1029 1030 MILBURN, Oriental Commerce II, 409. ARA Den Haag, Memorie van ovegave des Joan F. Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 103. LOTEN, Memorie, 7/8. ARA Den Haag, Memorie van ovegave des Joan F. Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 104. NOORDUYN, Merchants‘ Community, 95. Ebd., 107. Ebd. Zur Topographie Makassars 381 ist. In den 1770er Jahre bestanden nicht mehr als zehn bewohnbare Häuser im Kampung Wajo. Nach seiner Übersiedlung in den eigenen kampung forderte La Madeq Penna Padaq seine Landsleute auf, ihm zu folgen. Es wurden jedoch nur 20 Häuser hinzugefügt.1031 In dieser Zeit entstand im Kampung Wajo wieder eine eigene Freitagsmoschee, nachdem die alte lange Zeit, wahrscheinlich sogar seit dem Makassarischen Krieg, nicht genutzt worden und verfallen war. Die Wajos nutzten die Moschee in Buntuala für das Freitagsgebet, deren Imam nach Wiedererrichtung die Leitung der Moschee im Kampung Wajo übernahm.1032 Neben dem Kampung Wajo oder dem Kampung Melayu waren auch ein Kampung Cina, der für weitere Siedlungsgebiete von Chinesen außerhalb des Stadtzentrums zumindest gegen Ende des 18. Jahrhunderts spricht, ein Kampung Bandang, ein Kampung Buton und ein Kampung Timurung bekannt.1033 Johan Gideon Loten erwähnt in seiner Memorie van Overgave ein Kampung Molucco, in dem sich erfolgreich ein makassarischer Prinz verbarg, der beschuldigt wurde, Raubzügen gegen die VOC und niederländische Bürger durchgeführt zu haben.1034 Auch der Stadtteil Buntuala, der von einer direkten Straße mit Vlaardingen verbunden wurden, verdient noch eine Erwähnung. Dieser ging auf alte Strukturen in Goa-Tallo zurück. Nach der Eroberung unterhielt der König von Boné hier einen Stadtpalast.1035 Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß sich die Siedlungsweise in Makassar nach der Machtergreifung der VOC grundlegend geändert hätte. Natürlich war die Zahl der befestigten Anlagen auf Grund der Vertragsbestimmungen von Bongaya zurückgegangen. Vlaardingen war das einziges Viertel, das mit seinen Pallisaden über eine eigene Befestigung verfügte. Sicherlich war es auch das einzige Viertel, das ein neues Gepräge in das Stadtbild einfügte. Nur hier ist städtebaulich das koloniale Element zu suchen, nirgendwo in der Stadt sonst. Darüber hinaus prägte die gewohnte Bauweise – in der Fläche großzügig, im Material leicht, flexibel und ohne feste Abgrenzungen – das Bild der Stadt Makassar. Organisiert waren die einzelnen Viertel in „Clustern“, sogenannten kratong. Der überlieferte Umzug des Inders Ince Buang aus Vlaardingen in das Malaiische kampung legt nahe, daß ein kratong acht Häuser umfaßte, die jeweils von acht Menschen bewohnt werden konnten.1036 Selbstverständlich ist dies nur eine grobe Annäherung. 1031 1032 1033 1034 1035 1036 Ebd., 108, 110. Ebd., 108. CEPERKOVIC, Diary, 60; NOORDUYN, Merchants‘ Community, 107 und 119/120. LOTEN, Memorie, 18. NOORDUYN, Merchants‘ Community, 98/99. SUTHERLAND, Eastern Emporium, 109. 382 Makassar und die VOC nach 1666/69 Ince Buang kann als Angehöriger der städtischen Mittelschicht angesehen werden. Er war reich genug, um zumindest zeitweilig in Vlaardingen siedeln zu können, jedoch nicht reich genug, um zu der dort lebenden kommerziellen Elite aufschließen oder auch nur den durch Brand erlittenen Verlust ausgleichen zu können. In vielen Bereichen des Stadtgebietes dürften die Verhältnisse weitaus bescheidener gewesen sein als in seinem kratong im Kampung Melayu. Die Siedlungseinheiten waren sowohl in Vlaardingen, wo auch die Europäer Häuser mit starken asiatischen Einflüssen bewohnten, als auch in den kampung, wo die meisten einheimischen Häuser aus Bambus bestanden, im wesentlichen die gleichen. Die kratongs besaßen in der Regel ein Haupthaus mit Frontgalerie, dem Hauptraum und einer Rückgalerie. Küche, Lagerräume und Sklavenquartiere befanden sich hinter dieser Frontbebauung, bei Handwerkern auch die Werkstätten.1037 Märkte Die Stadt Makassar verfügte über eine Vielzahl von Märkten, die in der Regel kampung-bezogen waren. Es ist jedoch nicht gesagt, daß nicht auch mehrere Märkte pro kampung möglich waren. In der Regel handelte es sich um Märkte auf der vierten Handelsebene, auf welchen der asiatische Alltagshandel in seiner ganzen Vielfalt abgewickelt wurde. „Men heeft er verscheiden basaars en markten, waarop overvloed van rijst (daar dit het regte en ’t schoonste rijstland is, dat men wenschen kan), hoenderen, ganzen, enden, dinding of gedroogd hertenvleesch en alles zeer overvloedig verkocht wordt: maar op de markt der Boegis (onder den koning van Boni staande) is ’t niet zeer pluis; daar men daar ligt een ongemak krijgen kann, van gekrist of kwalijk behandeld te worden. Men kan hier in vrede’s tijden een last rijst van 3.000 ponden voor 15 of 16 rijksdaalders, en schoonen eendvogel voor en dubbeltje, een groote gans voor een schelling, een koebeest voor 2 of 3 rijksdaalders, en dus ook het verdere zeer goedkoop krijgen. Hier is overvloed van visch, vleesch en wildbraad.“1038 Eine mehrfach erwähnte Ausnahme stellte der Markt der Bugis dar, der sich rund eine halbe Stunde Fußmarsch im Norden des Forts befand.1039 Hier wurde von der Kompanie weitaus mehr vermutet, als es für einen lokalen Markt üblich war. Und bereits hier fühlte sich die VOC einigermaßen machtlos. Auch Gouverneur Gobius erwähnt diesen Markt 1727: „Hoe onweijlig het geweest is op de zogenaemde boegijs maakt door de meest daar woonende Boegijnesen (waar van ze dien naem heeft) is te bekend, dan dat het nodig is daar af veel te seggen dog sederd de krouw 1037 Ebd., 119. 1038 VALENTIJN, Oost-Indiën III, 117. 1039 SUTHERLAND, Eastern Emporium, 118. Zur Topographie Makassars 383 van den 20 October 1726 is zulx tot een algemene verwondering dog geen mindere rust totael verminderd, waan toe en om zulx bij die ruste tebehouden de malijers de wagt aan dese zijde aanbevolen is, met ordre om de alderminste belediging omtrent E. Comp. ingesetenen of onderdanen voornamentlijk europianen zulx prompt tegen tegaen en geweld door geweld tekeren, het welke u.E. vinden za met de ordres van haar hoog Edelens te convenieren [...] selfs met blanke militie op E. Comp. verdere afgelegene gronden [...].“1040 Weder die malaiische Aufsicht noch eigene militärische Mittel reichten aus, um Kontrolle über den Bugis-Markt zu erlangen. Offiziell durften auf den Märkten Makassars nur Textilien gehandelt werden, die eine Markierung der Kompanie aufwiesen; bei Zuwiderhandlung drohte die Konfiskation der Ware.1041 Darüber hinaus galten die Beschränkungen durch die Unterscheidung der VOC in „legale“ und „illegale“ Güter. Auf dem Markt der Bugis im Norden des Forts galten solche Regelungen nicht allzu viel, ebenso auf zahlreichen anderen: „D’markt of Passer hier benoorden het casteel omtrent 40 roeden aan de noordzeijde van d’punt Bouton is sederd vermeerderd, zo verre dat ‘er nu genoegsaem alles te crijgen is en het swerven der onse verre af in na de Bazaer Boegij des teminder nodig maekt.“1042 Der Markt stand unter der Aufsicht eines niederländischen Korporals. Die beanspruchte Marktaufsicht, die in der Theorie weit über den Kernbereich Makassars hinausgingen, blieb letztendlich ohne große Wirkung. Blieb schon der vergleichsweise nahe Bugis-Basar ein undurchschaubares Terrain für die VOC, welche Chancen der Kontrolle mochten dann in weiter entfernt gelegenen kampung gegeben sein? Valentijns Beobachtung, daß die Märkte im wesentlichen der Befriedigung von Grundbedürfnissen an Nahrungsmittel dienten, dürfte bei der Mehrheit zugetroffen haben. Doch darf davon ausgegangen werden, daß Valentijn auf seinen Reisen die unübersichtlichen Stadtviertel der einheimischen Ethnien weitgehend gemieden hat. In den abgelegeneren kampung und in den kampung der wichtigen Handelsnationen waren, wie nicht zuletzt Gobius nahelegt, auch andere Waren im Angebot zu finden als solche, welche die durchschnittliche Hausfrau auf dem Markt suchte. Die Frage des Stadtbereichs Für das Jahr 1730 ist eine Bevölkerungszahl für Makassar von insgesamt 4.985 Personen überliefert, darunter 2.915 Sklaven, 217 VOC-Bedienstete, 351 Bürger, 346 Makassaren und Bugis, 310 Chinesen, 10 Inder, 137 Butonesen, 68 Ambonesen und 1040 ARA Den Haag, Memorie van ovegave des Joan F. Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 104/105. 1041 Ebd., Radicaale Beschryving van Macassar, VOC 4825, 22. 1042 Ebd., Memorie van ovegave des Joan Frederik Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 105. 384 Makassar und die VOC nach 1666/69 Bandanesen und 577 Malaiien. Bei den Mitarbeitern der VOC war, dem Charakter des Dienstes entsprechend, ein Männerüberschuß zu verzeichnen, während bei den Chinesen ein ausgewogenens Geschlechterverhältnis herrschte. Ein Frauenüberschuß war bei den Malaiien, Makassaren, Bugis, Ambonesen, Bandanesen und auch den Bürgern zu beobachten.1043 Für 1740 wird eine Gesamtbevölkerung von 5.000 Personen angenommen, für die 1760er und 1770er Jahre von 6.000 Personen.1044 Angesichts der unsicheren Grenzziehung und den gänzlich anderen Schätzungen für die Zeit vor der VOC dürfen Zweifel an solchen Zahlen erlaubt sein. Es scheint ganz so, als wäre Makassar tatsächlich von einer großen Stadt mit Bedeutung weit über die Region hinaus auf das Niveau eines unbedeutenden Ortes nur wenig größer als ein Dorf zurückgefallen. Aus der Sicht der Niederländer wurden die Bezeichnungen „Stadt Makassar“ und „onder’t casteel“ zumeist synonym verwendet. Das Problem des schwer einzugrenzenden Stadtbereiches löste die VOC auf ihre Art, indem sie nur das als Stadt anerkannten, was territorial im faktischen Einzugsgebiet ihrer lokalen Verwaltung lag. Die ständige Präsenz einheimischer Machthaber tat ein übriges, daß von Fort Rotterdam aus gesehen weite Teile Makassars weniger als Stadt denn als verbündetes oder auch potentiell feindliches Territorium angesehen wurde. Die Perspektive Valentijns, der kommentarlos Makassar mit Vlaardingen gleichsetzte, ist also durchaus repräsentativ. Wirklich vertraut waren den Europäern nur Vlaardingen und der Kampung Baru. Die kampung der Malaiien und Bugis kannte man durchaus noch, nahm sie jedoch mindestens so sehr als Bedrohung wahr denn als vertrautes Terrain. Viele weitere kampung sind dem Namen nach zwar überliefert, werden in den Quellen jedoch kaum einmal eingehender behandelt. Eine Reihe von kampung am Stadtrand, die von der VOC zumindest nicht in schriftlich überlieferten Quellen registriert wurden, sind nicht auszuschließen. Bevölkerungsschätzungen bleiben auch im 18. Jahrhundert für Städte wie Makassar äußerst vage, selbst wenn die Überlieferung der VOC fundierte Informationen vorgaukelt. Wird für das Zentrum der Stadt eine Einwohnerzahl zwischen 5.000 und 6.000 Personen angenommen, kann für den gesamten Stadtbereich, einschließlich aller mehr oder weniger bis gar nicht bekannter kampung und Randbereiche, die zehnfache Zahl kaum übertrieben sein. 1043 SUTHERLAND, Ethnicity, 42. 1044 DIES., Eastern Emporium, 115. Zur Topographie Makassars 385 2. Die Bevölkerungsgruppen Die Zusammensetzung der Bevölkerung Nach John S. Furnivall war die klassische koloniale Gesellschaft strikt segmentiert; sie bildete eine ‚plural society’, deren einzelne Elemente ohne Interaktionen außerhalb des Marktes in einer politischen Einheit nebeneinander existieren.1045 Insbesondere auf die koloniale Stadt wird diese Vorstellung gerne übertragen, als notwendige Erweiterung der allzu einfachen Sichtweise von einer ‚dual society’ oder ‚dual city’, wie sie sich im Gegensatz aus ‚white town’ und ‚black town’ wiederfindet.1046 Heather Sutherlands Forschungen zur Gesellschaft Makassars seit dem späten 17. Jahrhundert führen jedoch zu einem anderen Bild: „[...] eighteenth century Makassar society was characterised by considerable economic and social interaction, on an equal footing, between local chiefs and merchants, Chinese, mestizos and Europeans. This is true on the upper levels of the society, among the high VOC [...] officials, the established mestizo elite, local rulers and wealthy traders, but it is also true of the lower levels of the society. There were disproportionately more pure and mixed Europeans at the top, of course, but they associated with Indonesians: they traded together, plotted together, and made and lost money together. The image then is not one of a horizontally stratified racial society, but of various communities running parallel along a vertical axis, with the elites of all races in close contact with each other.“1047 Sutherland setzt der hierarchischen Dreiteilung Makassars in Fort, Vlaardingen und einheimische kampung vier verschiedene, zunächst von der Topographie unabhängige Trennungslinien innerhalb der Gesellschaft entgegen: (1) zwischen VOC-Bediensteten und Personen außerhalb der VOC, (2) zwischen Christen und Heiden, (3) zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen, und (4) zwischen Freien und Sklaven.1048 Allein schon die Tatsache, daß die Betrachtung der makassarischen Gesellschaft nach 1669 vier verschiedene Trennungslinien erkennen läßt, die sich keineswegs auf der gleichen Ebene ergänzen, sondern zeitgleich auf verschiedenen Ebenen bestehen, zeigt, daß es sich um keine strikte Segmentierung der Gesellschaft handeln konnte. Vielmehr änderte sich die Zuordnung einzelner Personen je nach Fragestellung und Sichtweise. Ebenfalls im Zusammenhang mit Makassar auszudifferenzieren ist das folgende Diktum Charles R. Boxers: 1045 1046 1047 1048 FURNIVALL, Netherlands India, 446; DERS., Colonial Policy, 303-312. OSTERHAMMEL, Kolonialismus, 95-99. SUTHERLAND, Mestizos, 251; siehe auch DIES., Ethnicity, 42 und passim. Ebd., 46. 386 Makassar und die VOC nach 1666/69 „Batavia, and in varying degrees the other Dutch settlements in Asia, thus presented the curious spectacle of a Dutch Calvinist male society wedded uneasily with a large Indo-Portuguese female society.“1049 Batavia wird hier quasi im Vorübergehen zu einem Prototyp der VOCbeherrschten Städte; die übrigen Städte zugleich zu einem verkleinerten Abbild der großen Metropole auf Java. In der Nachfolge dieser Auffassung ist das Konzept der ‚Indische Culture’ von Pauline Milone und die Weiterführung von Jean S. Taylor zu sehen.1050 Makassar gegen Ende des 17. und im 18. Jahrhundert zeigt jedoch, daß die übrigen Kolonialstädte des Malaiischen Archipels nicht unbedingt eine Taschenausgabe des großen Vorbildes Batavia sein mußten. Bürger Ist in manchen Quellen aus der Überlieferung Makassars eindeutig von Niederländern oder ganz allgemein von Christen die Rede, sind es vor allem die Hafenmeisterlisten, welche die Bezeichnung Bürger bevorzugen. Dahinter verbergen sich in der Regel Niederländer. Genau besehen konnten alle, die vormals im Dienste der VOC standen, diese Bürgerrechte erhalten, weswegen sich auch beträchtliche Zahlen an Deutschen und Skandinaviern unter den Bürgern befanden, nicht jedoch die in Asien mit den Niederländern konkurrierenden europäischen Nationen. Allerdings ist von fließenden Grenzen zur eigenen Nachkommenschaft aus Mischehen und zu freigelassenen Sklaven auszugehen, sofern sie den christlichen Glauben angenommen hatten. In etlichen Quellen sind genau diese Gruppen mit den eigentlichen Bürgern zusammengefaßt. Für die ersten Jahrzehnte der Kolonialstadt zeichnet sich ab, daß Makassar für Europäer wenig attraktiv war. 1679 lebten 58 Niederländer in Vlaardingen, davon 40 Männer, sieben Frauen und elf Kinder. 1681 wurden nur noch 16 Niederländer (zehn Männer, eine Frau, fünf Kinder) verzeichnet, die weiterhin breit gestreut über die vier bekannten Straßen siedelten. Bis 1683 war die Zahl kaum angestiegen. 19 von ihnen lebten noch in Vlaardingen, wobei eine untypischer Geschlechtsverteilung zu beobachten ist. Es handelte sich um fünf Männer, sechs Frauen und acht Kinder, die abermals breit über Vlaardingen gestreut siedelten.1051 1049 BOXER, Dutch Seaborn Empire, 224/225. 1050 MILONE, Indische Culture; Taylor, Social World. 1051 ARA Den Haag, VOC 1364, Macassar, 1. Reg., 499v/500; VOC 1368, Macassar, 1. Reg., 456v/457; VOC 1385, Macassar, 1. Reg., 505v/506. Zur Topographie Makassars 387 Erst im 18. Jahrhundert stieg die europäische Einwohnerzahl des kolonialstädtischen Kerns. Gleichzeitig erfolgte eine Konzentration auf die ‚Thuijn-Straat’. Im Laufe dieser Entwicklung wird der Quellenbegriff ‚Bürger’ schwammiger. Auch in Makassar blieb die Zahl der europäischen Frauen minimal. Wie in allen anderen VOC-Städten entstand hier eine Gruppe eurasischer Einwohner, die – dies beweisen die Steuerlisten – das Erbe ihrer Väter antraten. Ganze Familienclans etablierten sich auf diese Weise. Die begriffliche Zuordnung ist in den Quellen nicht immer eindeutig. Als Bürger können sie auf Grund der Tatsache geführt worden sein, daß sie diese Erbschaft antraten. Soweit Mestizen als eigene Gruppe geführt wurden, sind sie jedoch eher dort zu finden. Allerdings sind die Angaben von Mestizen – beispielsweise in den Hafenmeisterlisten – häufig zu gering für die reale gesellschaftliche Entwicklung. Insonfern ist als dritte Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß sie als Kompanie-Untertanen geführt wurden. Diese treten in den Quellen Makassars als Kategorie allerdings kaum in Erscheinung und werden erst bei der ethnischen Differenzierung des Privathandels relevant. Eindeutig auf die Stadt Makassar oder sogar den Stadtkern Vlaardingen bezogene, ethnisch differenzierte Zahlen liegen nicht in wünschenswerter Form vor. Die wenigen überlieferten Verzeichnisse zur Steuer oder zum Schiffsbesitz lassen eine kleine europäische Kaufmannselite erkennen. Abgesehen von den Mestizo-Clans dürfte die Zahl der niederländischen Männer auch im 18. Jahrhundert gering geblieben sein. Der „Nachschub“ wurde nach wie vor über ausgeschiedene KompanieBedienstete sichergestellt. Verglichen zu einer Niederlassung auf Java war Makassar für diese wahrscheinlich nicht attraktiv genug. Mardijker Wendet man sich der Bevölkerungsgruppe der mardijker zu, tritt zunächst eine nicht unbeträchtliche Begriffsschwierigkeit auf. In der Forschungsliteratur hat sich bis in die Gegenwart die Vorstellung von freigelassenen portugiesischen Sklaven afrikanischer oder indischer Herkunft festgesetzt. Ein entsprechender Artikel findet sich schon in der ‚Encyclopaedie van Nederlandsch-Indië’: „MARDIJKERS. [...] Zwarte slaven uit Angola, of elders, althans van buiten den Archipel, aan wie de vrijheid was gegeven of die waren vrijgekocht, en hunne afstammelingen. Men vindt er Mohammedanen onder en Christenen, naargelang de bevrijding plaats had vóór de komst der Portugezen of tijdens het bestuur der Portugeezen en der Hollanders. Vaak heeft men hen verward met de kleuringen van Europeesch of 388 Makassar und die VOC nach 1666/69 Inlanders ras; [...]. Onder kleurlingen hier te verstaan het mengras van die zwarten met Europeanen of met inheemsche Inlanders. [...].“1052 In leichten Abwandlungen ist diese Erklärung des zeitgenössischen Begriffs bis heute in der Literatur lebendig. Stellvertretend sei René J. Barendse zitiert, der mardijker als „generally descedents of slaves who had adopted the Roman catholic faith. Most originated from India, particularly from Kerala,“ definiert.1053 Eine solche Vorstellung läßt sich jedoch nicht mit den mehrheitlich moorsen [muslimischen] mardijkers in Makassar in Einklang bringen. Bei Heather A. Sutherland findet sich die wesentlich schlichtere Erklärung: „free Asians, often of slave origin“.1054 Dies trifft sicherlich weitaus eher zu, wenn auch zu fragen bleibt, warum nur von „often“ die Rede ist, obwohl freie Asiaten sehr differenziert von den Niederländern wahrgenommen und so auch in den Quellen dargestellt wurden. Für die meisten Niederlassungen der Kompanie im Malaiischen Archipel kann davon ausgegangen werden, daß die dort stationierten Europäer genau über die einzelnen auftretenden Ethnien informiert waren und diese entsprechend differenziert in ihren Akten benannten. Die großen Zahlen von mardijkern, die insbesondere in den VOC-Quellen des 17. Jahrhunderts in Erscheinung treten, und die Tatsache, daß diese in der Mehrheit Muslime waren, läßt solche Definitionen als zu eng erscheinen. Dem allgemeinen, zeitgenössischen Gebrauch des Wortes kommt Joan Frederik Gobius wahrscheinlich näher, wenn er von „mardijkers of vrijgegevene slaven der christenen“ spricht.1055 In die gleiche Richtung weist die Herkunft des Wortes: das malaiische merdeka heißt nicht mehr als „befreiter Mann“. Es kann also zu recht davon ausgegangen werden, daß sich hinter der Bezeichnung mardijker schlichtweg alle freigelassenen Sklaven und ihre Nachkommen verbergen. Zumindest waren diejenigen gemeint, die von christlichen Eigentümern freigelassen wurden. Dabei dürfte die christliche Religion als solche nicht die entscheidende Rolle gespielt haben, sondern als „nicht den indigenen Sklavereisystemen angehörig“ zu verstehen gewesen sein. Ein unter Landsleuten verpfändeter und später wieder freigelassener Makassare wurde von der VOC weiterhin schlicht als „macassaar“ bezeichnet. Um mardijker zu werden, mußte die Person zuvor Sklave im Verständnis der Europäer gewesen sein. In der Frühphase der Kolonialstadt wies diese Gruppe deutliche Schwankungen in der Größenordnung auf. 1679 lebten mindestens 56 mardijker in Vlaardingen, da1052 1053 1054 1055 Encyclopaedie II, 675 BARENDSE, Kraton, 89. SUTHERLAND, Eastern Emporium, 109. ARA Den Haag, Memorie van ovegave des Joan F. Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 102. Zur Topographie Makassars 389 von 20 Männer und 36 Kinder. Eine Zahl für mardijker-Frauen fehlt in der Quelle. 1681 war ihre Zahl deutlich gestiegen. Es handelte sich nun um 253 mardijker (92 Männer, 126 Frau, 35 Kinder). 1683 hingegen gab es nur noch 85 Personen. Insbesondere der Rückgang bei den Männern auf ganze sieben Personen fällt auf, während es immerhin noch 69 Frauen waren. Auffällig ist auch die deutlich fortschreitende Konzentration auf die ‚Chineese-Straat’; 1683 lebten sogar alle 85 mardijker in dieser Straße.1056 Die Vermutung liegt nahe, daß freigelassene männliche Sklaven möglichst schnell die Stadt verließen, um Möglichkeiten für einen eigenen Lebensunterhalt zu finden. Für Frauen war es weitaus schwieriger, einfach über das Meer den Wohnort zu wechseln. In den 1680er Jahren waren die Möglichkeiten, in Makassar eine Existenz aufbauen zu können, für diesen Personenkreis offenbar noch gering oder erschienen zumindest nicht lukrativ genug. Letztendlich blieben sie jedoch eine feste Größe in Makassar, die in nicht unbedeutendem Umfang weiterhin in Vlaardingen siedelte und dort einen beträchtlichen Anteil des Wachdienstes stellten.1057 Im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts verschwindet diese Gruppe allmählich aus den niederländischen Quellen. Zutreffender muß wohl gesagt werden: ihre Bezeichnung verschwindet aus den Quellen. Da es sich um eine weitgehend assimilierte Gruppe handelte, die sich auf Grund ihrer Herkunft stets im Umfeld der VOC bewegte, wurde sie zunehmend weniger als eigenständig wahrgenommen und wahrscheinlich unter die Kompanie-Untertanen subsumiert. Mestizen Mestizen waren zumeist die Nachkommen niederländischer Männer und indonesischer Frauen, wobei Frauen aus Java und Bali bevorzugt wurden. Der im Konzept der ‚Indische Culture’ niedergelegten Logik folgend müßten die Mestizen die ethnische Gruppe mit dem deutlichsten Wachstum gewesen sein. Allerdings zeigte Makassar in der Frühphase seiner kolonialstädtischen Entwicklung nur geringe Attraktivität für europäische Bürger. Die überlieferten Zahlen zu den Mestizen bestätigen dies, veränderten sich diese zwischen 1679 und 1683 vergleichsweise gemächlich. 1679 lebten erst 31 Mestizen in Vlaardingen – neben zwei Männern acht Frauen und 21 Kinder. Ihre Verteilung wies keine Besonderheiten im Verhältnis zu der all1056 Ebd., VOC 1364, Makassar, 1. Reg., 499v/500; VOC 1368, Macassar, 1. Reg., 456v/457; VOC 1385, Macassar, 1. Reg., 505v/506. 1057 Ebd., Memorie van ovegave des Joan Frederik Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 102. 390 Makassar und die VOC nach 1666/69 gemeinen Bevölkerungsverteilung in Vlaardingen auf. 1681 war die Zahl auf 43 Mestizen (drei Männer, fünf Frau, 35 Kinder) gestiegen, woran sich bis 1683 kaum etwas änderte sich. In Vlaardingen lebten nun 45 Mestizen (zwei Männer, vier Frauen, 39 Kinder).1058 In dieser Frühzeit handelte es sich naturgemäß vor allem um Kinder. In Makassar geborene Mestizen, die eine gewisse Bindung an die Stadt aufwiesen, waren noch nicht alt genug, um eigene Familien zu gründen und aktiv in das Wirtschaftsgeschehen einzugreifen. Für auswärtige Mestizen war Makassar zu dieser Zeit ebenso unattraktiv wie für auswärtige Bürger. Die wenigen erwachsenen männlichen Mestizen, die Anfang der 1680er schon hier lebten, dürften auf eurasische Verbindungen aus der Zeit vor der Eroberung zurückzuführen sein. Mit der gestiegenen Attraktivität Makassars und dem damit zusammenhängenden Zuzug von Chinesen, aber auch von europäischen Bürgern, änderte sich die Situation. Letztendlich waren die Mestizen, so Heather A. Sutherland, eine Säule, ja sogar das Rückgrat der kolonialen Gesellschaft. Sie waren in allen höheren Rängen zu finden. Dabei unterhielten sie nicht nur Heiratsbeziehungen untereinander, sondern auch zu Europäern und hochrangigen Indonesiern.1059 Einerseits handelte es sich um eine diskriminierte Gruppe, die sowohl als Farbige hinsichtlich der Beschäftigungsmöglichkeiten wie auch als mögliche Gefährdung für die Vorherrschaft der weißen Elite zurückgesetzt wurden. Andererseits arbeiteten sie relativ regelmäßig für die VOC, wodurch Mestizen, die eine gehobene Position in der lokalen Kompanie-Verwaltung erreichten, den Zugang für andere verbessern konnten.1060 Diese Sichtweise ist jedoch nicht unproblematisch. Sutherland betont zu recht, daß es sich bei den Mestizen um keine geschlossene ethnische Gruppe handelte, da sie sich nicht durch die (Verwandtschafts-)Beziehungen untereinander definierten, sondern durch ihre Abstammung von ganz unterschiedlichen Grupppen. Andererseits analysiert sie ihre Position in der Gesellschaft gerade so, als wären sie eine eigenständige Gruppe, wenn doch in Kompanie-Diensten stehende Mestizen den Weg für andere in die VOC und innerhalb der VOC geebnet haben sollen. Während sie die Mestizen in der Analyse als eigene Gruppe versteht, betont sie zudem gleichzeitig, daß die überwältigende Mehrheit der Bürger gemischter Herkunft waren.1061 Letzteres ist auf Grund des für ganz Indonesien geltenden Mangels an europäischen 1058 Ebd., VOC 1364, Macassar, 1. Reg., 499v/500; VOC 1368, Macassar, 1. Reg., 456v/457; VOC 1385, Macassar, 1. Reg., 505v/506. 1059 SUTHERLAND, Mestizos, 251. 1060 Ebd., 252, 260. 1061 Ebd., 257; dies, Eastern Emporium, 115; dies, Indio, 188. Zur Topographie Makassars 391 Frauen nicht zu bezweifeln. Ob gleichzeitig von einer Diskriminierung auf Grund ihrer Hautfarbe und der Mitgliedschaft in der privilegierten städtischen Schicht auf Grund der Herkunft väterlicherseits die Rede sein kann, darf klingt zumindest widersprüchlich. Wahrscheinlich ist dieser Widerspruch innerhalb der Ausführungen Sutherlands gar kein essentieller, sondern beruht vielmehr auf einer zwiespältigen Lage der Betroffenen selbst. Bis 1860 ist in den Quellen zumindest noch teilweise eine Differenzierung in Bürger und Mestizen zu beobachten. Darüber hinaus treten in vielen Akten der VOC im Laufe des 18. Jahrhunderts die Kompanie-Untertanen auf. Bei der entsprechenden Zuordnung der Mestizen kommt eine soziale Komponente ins Spiel. Auch die wichtigen Familien in Makassar wie die Hardenbergs oder Raadmans dürften Mestizen auf die Welt gebracht haben, welche die Familie fortführten und somit weiterhin unter den Bürgern verzeichnet wurden. Weniger bedeutende oder wirtschaftlich erfolgreiche Familien füllten die Kategorie der Mestizen auf oder waren unter den Kompanie-Untertanen zu finden. Ein typisches Beispiel für eine Familie in dieser ethnisch-sozialen Grauzone liefert die Familie Voll.1062 Jan Jansz Voll, ein VOC-Bediensteter aus Alphen am Rhein, lebte von 1700 bis 1729 in Makassar. Er heiratete dort eine einheimische Frau und wurde so zum Stammvater einer einflußreichen Dynastie. Die Familie etablierte sich in zahlreichen wichtigen Positionen. Viele ihrer Mitglieder traten auch in den Dienst der VOC. Jan Hendrik Voll, der 1727 Seemann bei der Kompanie wurde, erreichte in den 1770ern sogar die Posten des syahbandar und opperkoopman und war damit zweithöchster Zivilbeamter der Stadt. Die Musterrolle von 1760 kannte vier Volls in VOC-Diensten, diejenige von 1770 sogar fünf, darunter der Sohn Jan Hendriks als Resident von Selayar. 1780 hatte sich das Bild gewandelt. Familienoberhaupt Jan Hendrik hatte seine Position inzwischen verloren, möglicherweise auf Grund seiner Geschäfte mit dem König von Boné. Nur drei Volls waren noch in niedrigen offiziellen Positionen zu finden. Das 19. Jahrhundert sah dann zwar den Niedergang der Familie Voll hinsichtlich öffentlicher Positionen, aber gleichzeitig auch ihre Ausbreitung zur größten Familie der Region überhaupt.1063 1062 DIES., Mestizos, 264-266; DIES, Indio, 193. 1063 Die Familie Voll stellt nur ein Beispiel für eine einflußreiche Mestizo-Dynastie dar, wenn auch ein besonders augenfälliges. Für weitere Beispiele aus dem 18. Jahrhunderts siehe SUTHERLAND, Eastern Emporium, 121, und DIES., Indio, 194/195. 392 Makassar und die VOC nach 1666/69 Chinesen Im Gegensatz zu den stagnierenden bis rückläufigen Zahlen der Europäer in der Frühphase stellten die Chinesen eine wachsende Bevölkerungsgruppe. Bereits im unabhängigen Makassar als Handelsdiaspora vertreten, siedelten sie sich nach der Okkupation schnell wieder an, falls sie überhaupt in größerer Zahl die Region verlassen hatten. 1679 lebten 98 Chinesen in Vlaardingen, davon 33 Männer, 17 Frauen und 48 Kinder. Ihr Schwerpunkt war die nach ihnen benannte Straße mit 71 Anwohnern. 25 Chinesen lebten in der ‚Tuijn Straat‘, lediglich zwei in der ‚Agter Straat‘. 1681 war die Zahl der Chinesen bereits auf 123 (43 Männer, 22 Frau, 58 Kinder) gestiegen, die sämtlich in der ‚Chineese Straat‘ registriert wurden. Nur zwei Jahre später war die chinesische Einwohnerschaft abermals um 44,7% gewachsen. Nun lebten 178 Personen (42 Männer, 40 Frauen, 96 Kinder) in Vlaardingen, davon 119 in der ‚Chinesses Straat‘. Darüber hinaus zeichnete sich eine Ausbreitung über das gesamte Areal von Vlaardingen ab.1064 Anders als die Europäer blieben die Chinesen weitgehend unter sich. Zahlreiche Frauen gehörten zu ihrer Gemeinde in Makassar; chinesische Männer bevorzugten offensichtlich Ehefrauen aus der Heimat. Daß trotzdem ein deutlicher Männerüberschuß festzustellen ist, kann zumindest im Falle des frühen Vlaardingens kaum an Eheschließungen mit einheimnischen Frauen gelegen haben, weist doch keine der angeführten ethnischen Gruppen einen korrespondierenden Frauenüberschuß auf. Wie in Batavia zahlten die chinesichen Einwohner Makassars keine individuellen Steuern, sondern einen pauschalen, vom Oberhaupt zu beschaffenden Steuerbetrag für die gesamte Gruppe, der im Jahr 1717 30 Reichsthaler betrug. Zur Eigenständigkeit ihrer Gemeinde zählte auch die autonom organisierte Beteiligung am Wachdienst Vlaardingens. Sie hattene 60 bewaffnete Männer beizusteuern, die jedoch mit einem halben Reichthaler pro Mann abgelöst werden konnten.1065 Sicherlich stellten die Chinesen die wichtigste auswärtige Handelsnation in Makassar. Wie in Batavia überflügelten sie auch hier im gesellschaftlichen wie im wirtschaftlichen Leben der Stadt die Europäer deutlich. Anders als in der javanischen Metropole hatten sie jedoch politisch nur innerhalb der eigenen Gruppe entscheidenden Einfluß. Zudem unterschied sich ihre Situation in Makassar von derjenigen in Batavia dadurch, daß sie sich hier großer innerstädtischer Konkurrenz durch ein- 1064 ARA Den Haag, VOC 1364, Macassar, 1. Reg., 499v/500; VOC 1368, Macassar, 1. Reg., 456v/457; VOC 1385, Macassar, 1. Reg., 505v/506. 1065 Ebd., Memorie van ovegave des Joan Frederik Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 102. Zur Topographie Makassars 393 heimische Ethnien gegenüber sahen, insbesondere durch Makassaren und Bugis, die nicht mit der geringen Bedeutung der Javaner in Batavia vergleichbar war.1066 Eine Reihe von Besitzinventaren, die zumeist anlässlich des Todes eines Kaufmannes angefertigt wurden, sind für Makassar überliefert und erlauben einen Einblick in die Lebensverhältnisse der verschiedenen Händlerschichten. 1767 wurde der Besitz eines reichen Chinesen namens Niopanlong vom chinesischen Kapitän und zwei Assistenten inventarisiert.1067 Er bestand zunächst aus zwei Häuser in der ‚Chineese Straat’, eines aus Stein im Wert von 1.500 Reichtsthalern, eines aus Bambus im Wert von 240 Reichsthalern. Hinzu kamen als Kern seines merkantilen Erfolges drei Schiffe, davon zwei prahu paduwakang im Wert von 150 und 100 Reichsthalern und eine prahu pemayang im Wert von 40 Reichsthalern. Sein Besitz an Gold, Silber und Seide belief sich insgesamt auf 1.000 Reichsthaler; der gesamte Hausrat einschließlich Waffen hatte einen Wert von rund 1.800 Reichsthaler. Schließlich hatte er Waren im Wert von 2.000 Reichsthalern auf Lager und verfügte über eine Barschaft von 1.500 Reichsthalern. Insgesamt bedeutete dies ein Vermögen von deutlich über 8.000 Reichsthalern, was je nach Rechnungsart zwischen 16.000 und 20.000 Gulden entsprach.1068 Niopanlong war sicherlich nicht der reichste Chinese seiner Zeit in Makassar. Verwiesen sei nur auf seinen Landsmann Ljianko, der in der Liste des Schiffsbesitzes „onder’t casteel“ von 1741 allein zwei große Schaluppen besaß, während prahus in der Aufstellung gar nicht berücksichtigt wurden,1069 oder auf das chinesische Gemeindeoberhaupt Ong Wadko, der seiner Witwe 1716 allein an offiziell registrierten Schiffen eine Schaluppe und zwei konting hinterließ.1070 Die in Makassar ansässigen Chinesen werden in den Quellen entweder teilweise, gelegentlich auch vollständig als Pernakang-Chinesen bezeichnet. Diese Benennung bezieht sich auf assimilierte Einwohner des Archipels nicht-indonesischer oder nicht-malaiischer Herkunft, deren Assimilation sich vorrangig in der Religionswahl ausdrückte. In der Mehrheit der Fälle meinen niederländische Autoren mit dieser Bezeichnung Chinesen, die den muslimischen Glauben angenommen hatten. Allerdings war pernakang auch eine allgemeine Bezeichnung für Mestizenschaft. So wendete sie beispielsweise John Crawfurd auf indischstämmige Indonesier an.1071 In der 1066 Siehe entsprechend zu Batavia BLUSSÉ, Batavia, passim. 1067 SUTHERLAND, Eastern Emporium, 119. 1068 Zum Vergleich: im Buchjahr 1767/68 machte die VOC in Makassar beim Warenverkauf einen Umsatz von 72.528 fl. und einen Gewinn von 25.045 fl. (ARA Den Haag, VOC 3243, Macassar, 95-98). 1069 Ebd., VOC 2533, Macassar, 1406/1407. 1070 Ebd., VOC 1894, Macassar, 1. Reg., 148. 1071 CRAWFURD, History I, 134. 394 Makassar und die VOC nach 1666/69 Praxis der Quellenarbeit macht diese Unterscheidung jedoch wenig Sinn. Die Verwendung des Begriffes ist hierfür zu uneinheitlich; Chinesen können kurz hintereinander als „chinees“, „pernakang“ und als „pernakang chinees“ in Erscheinung treten. Es kann davon ausgegangen werden, daß sich die in Indonesien ansässigen Chinesen – ob durch Heirat assimiliert oder durch Religionsausübung – zuallererst als eigene Gruppe verstanden. Von der VOC wurden sie auch als eine solche behandelt und nicht in „assimilierte“ und „nicht-assimilierte“ getrennt. Die Bezeichnung in den zeitgenössischen Schriftstücken war entsprechend beliebig. Malaiien Nach den Chinesen stellten die Malaiien die zweitgrößte Handelsdiaspora. Sie lebten mehrheitlich in ihrem eigenen kampung. In Vlaardingen waren sie nur in wenigen Ausnahmefällen auzutreffen, während im Kampung Baru wahrscheinlich eine größere Zahl von ihnen wohnte.1072 Wie die Chinesen verfügten auch sie über eine Selbstverwaltung mit einem eigenen, gewählten und von der VOC bestätigten Oberhaupt. Bei aller Eigenständigkeit waren sie allerdings auch eine der VOC gegenüber loyalsten ethnischen Gruppen. Sie brachten nicht nur eine ansehnliche Beteiligung an den allgemeinen Wachaufgaben auf, sondern konnten sogar in kriegerischen Auseinandersetzungen auf Kompanie-Seite zum Einsatz kommen: „D’malijers maeken uijt een aantal van 265 weerbare mannen volgens een aparte opschrijving daar van hier nevens met welk getal al wat zoude konnen werden uijtgevoerd wanneer het nodig was, zoo als zig d’apparentien hier opdeden in den wrevel van wel 2 a 300 rebellige Domponesen met haeren aanhang in Ao. 1727 ons genoodsaekt heeft gem. malijers order kapitain en mindere officieren in goede ordre te brengen na het geen bij resolutie van 12 Januarij 1727 vermeld staet en van geen quade vrugt geweest is.“1073 Die von Gobius angegebene Zahl von 265 wehrhaften Männern läßt auf eine malaiische Bevölkerung von 1.500 bis 2.000 Personen schließen, ohne daß ihre Sklaven schon berücksichtigt wären. Für die wirtschaftlichen Interessen der Malaiien war Makassar nach wie vor interessant. Dies wird sich auch in den Hafenmeisterlisten bestätigen, in denen sie zwar als Minderheit, jedoch von konstanter Präsenz in Er1072 Daß der Kapitän der Malaiien nur „little contact with the commercial area of Macassar“ hatte, wie es Helen Ceperkovic aus der fehlenden Erwähnung Vlaardingens im Tagesregister der malaiischen Oberhäupter von 1792 bis 1818 schließt (CEPERKOVIC, Diary, 60/61), dürfte auf einem falschen Verständnis beruhen. Möglicheweise hielten sich die malaiischen Kapitäne vergleichsweise wenig in Vlaardingen auf, doch lag dies sicherlich in erster Linie daran, daß sie in ihrem eigenen kampung über eine umfassende „commercial area“ verfügten. 1073 ARA Den Haag, Memorie van ovegave des Joan Frederik Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 102/103. Zur Topographie Makassars 395 scheinung treten. Die Malaiien stellten somit einen wesentlichen Faktor der Kontinuität zwischen dem „alten“ und dem „neuen“ Makassar dar. Makassaren So selbstverständlich es ist, daß die einheimische Ethnie die Mehrheit der städtischen Bevölkerung stellt, so schwierig ist es, aus den Quellen etwas über sie zu erfahren. Nicht einmal eine eindeutige Klärung, inwieweit sie zu der Kategorie der Kompanie-Untertanen zu zählen sind, ist möglich. So teilt Joan Frederik Gobius die Makassaren in Untertanen der VOC und Untertanen Goas ein, wobei er feststellt, daß die Kompanie seit der Eroberung 1669 mit den Untertanen Goas weniger Probleme gehabt hätte als mit den – eigentlich verbündeten – Bugis.1074 Trotz aller Vertreibungen und Fluchtbewegungen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Makassarischen Krieg blieb die Stadt makassarisch geprägt. Auch in unmittelbarer Nähe des Fort Rotterdam stellte die Kompanie sehr schnell die Ansiedlung von eigentlich gegnerischen Eliten aus der alten Zeit Goa-Tallos fest. Die aus den 1760er Jahren überlieferten Inventare verstorbener Kaufleute, die bereits die Verhältnisse eines wohlhabenden Chinesen illustrieren konnten, erlauben auch einen Blick auf einen durchschnittlichen einheimischen Händler. Karaeng Tutolo lebte in einem Bambushaus im Kampung Bulekang in einiger Entfernung des eigentlichen Stadtzentrums. Das Haus gehörte einem Karaeng Tujang; Tutolo lebte demnach zur Miete. Mit vier Stühlen und einer Anzahl Truhen für Textilien, Waffen, Porzellan und Gebrauchsgegenstände war das Haus sehr einfach eingerichtet. Daneben besaß der Kaufmann einigen Silberschmuck und insgesamt sechs Sklaven. Drei Frauen – zwei aus Bali und eine Makassarin – und zwei Männer hielten sich zum Zeitpunkt der Inventarisierung im Haus auf, während ein weiterer männlicher Sklave aus Flores sich mit dem Schiff seines Herrn auf einer Fahrt nach Bali befand.1075 Solche Verhältnisse blieben weit hinter dem offensichtlichem Reichtum führender chinesischer Kaufmannschichten zurück, dürften jedoch für die Mehrheit der in Makassar im Privathandel beschäftigten Einheimischen zur Zeit der VOC typisch gewesen sein. Eine topographische Festlegung der Makassaren ist nicht festzustellen und war wohl auch nie gegeben. Schon in Vlaardingen und unmittelbarer Umgebung des 1074 Ebd., 62. 1075 SUTHERLAND, Eastern Emporium, 120. 396 Makassar und die VOC nach 1666/69 Forts fanden sich einige, wahrscheinlich wohlhabende Makassaren. Ein wichtiger Schwerpunkt dürfte darüber hinaus rund um den Hof von Goa-Tallo in Sombaopu bestanden haben. Die mittelloseren makassarischen Bevölkerungsschichten waren wohl weit über das eigentliche Stadtgebiet verteilt, bevölkerten die kaum mehr als dem Namen nach bekannten kampung und vor allem die Stadtränder, deren topographischen Einheiten heute nicht mehr bekannt sind. Bugis Die Bugis waren nach den einheimischen Makassaren sicherlich die größte Bevölkerungsgruppe in Makassar. Unter ihnen waren wiederum die Wajos als handelstüchtigste Gruppe in der Mehrheit, wodurch der König von Boné auch im Stadtgebiet Makassars eine starke Stellung einnehmen konnte. Da er die Position des ranreng von Tua inne hatte – einer der drei höchsten erblichen Ränge im Reich Wajo –, nahm er auch die Oberhoheit über die Wajos in Makassar wahr.1076 Damit hatte er wiederum Einfluß auf alle in Makassar lebenden Bugis-Gruppen, denn der matoa der Wajos wurde in der Regel von ihnen als Oberhaupt anerkannt.1077 Die machtvolle Stellung des matoa der Wajos war nicht zu unterschätzen, verfügte er doch über ein Vorkaufsrecht auf Waren seiner Landsleute und durfte im Handel nicht überboten werden.1078 Wahrscheinlich stellten die Bugis zumindest hinsichtlich ihrer Machtstrukturen eine einheitlichere Gruppe in der Stadt dar, als man zunächst anzunehmen geneigt ist. Allerdings handelte es sich dabei um keine homogene Gruppe wie bei den Bürgern, mardijkern, Chinesen oder Malaiien, die alle in mehr oder weniger großer Loyalität zur VOC standen und fest zu deren Einsatzplanungen, beispielsweise im Wachdienst, gehörten. Die Bugis standen außerhalb der Kontrolle durch die Kompanie und waren nur über ihren matoa oder gar den König von Boné Verhandlungspartner der VOC. Bereits der kampung der Bugis war für die VOC, obwohl nicht allzuweit von Fort Rotterdam entfernt gelegen, fremdes Terrain. Die Situation der Bugis in Makassar war in vielerlei Hinsicht derjenigen einer Händlerdiaspora vergleichbar, auch wenn der Begriff ‚Diaspora’ bei ihnen auf Grund der räumlichen Nähe zu ihren Stammlanden wenig angemessen erscheint. In Funktion und Organisation kamen sie den Inhalten dieses Begriffs jedoch recht nahe. 1076 NOORDUYN, Merchants‘ Community, 98/99. 1077 Ebd., 107. 1078 Ebd., 100. Zur Topographie Makassars 397 Sklaven In den Quellen fristen Sklaven ein Schattendasein, das Stadtbild des kolonialen Makassar haben sie jedoch nachhaltig geprägt. In den meisten überlieferten Bevölkerungslisten werden sie unter die Ethnien ihrer Besitzer subsummiert, wodurch sie selbst in den Quellen unterrepräsentiert sind, ethnische Gruppen jedoch, die vergleichsweise viele wohlhabende Mitglieder umfaßten, unrealistisch aufbläht werden. Die ersten drei Bevölkerungslisten Vlaardingens zeigen die Bedeutung von Leibeigenen in der Frühphase der Kolonialstadt.1079 1679 lebten 763 Sklaven in Vlaardingen, bestehend aus 230 Männer, 361 Frauen und 172 Kindern. In den folgenden Jahren sank die Sklavenzahl leicht. 1681 waren es 681 Sklaven, 1683 wieder 717.1080 Trotz der leicht rückgängigen Tendenz ihrer Gesamtzahl ist ihre Bedeutung nicht zu übersehen: nachdem 1679 die Sklaven 73,8% der Vlaardinger Bevölkerung ausmachten, waren es auch 1681 noch 58,6% und 1683 immerhin wieder 64,1%. Da es sich nur um Zahlen aus dem Zentrum Vlaardingen handelt, wo die wirtschaftlich potentesten Europäer, Chinesen und deren Abkömmlinge lebten, welche die meisten Sklaven besaßen, sind die Anteile sicherlich nicht für ganz Makassar repräsentativ. Dennoch war Sklaverei, häufig in Form von Verpfändungen, unter allen in der Stadt siedelnden Gruppen üblich. Und auch unter den außerhalb Vlaardingens lebenden Bugis, Makassaren oder Malaiien befanden sich genug reiche Geschäftsleute oder Adelige, die über einen größeren Stab an Leibeigenen verfügten. Man kann sich also vorstellen, daß in einer Stadt, deren Größe nach ihrer Konsolidierungsphase als Kolonialstadt grob geschätzt 50.000 bis 60.000 Einwohnern zählte, auch deutlich mehr als 10.000, möglicherweise auch über 20.000 Leibeigene lebten. Kann anfangs noch von einer durch die Sklavenhaltung geprägten Stadt gesprochen werden, ist bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein deutlicher Rückgang der Sklavenzahlen festzustellen.1081 Beides schlug sich jedoch nicht in den Hafenmeisterlisten nieder. Über Seeverbindungen und den privaten Handel wurden im 18. Jahrhundert lange Zeit nur sehr wenige Sklaven nach Makassar verschifft. Erst gegen Ende des Jahrhunderts zog der Handel mit Menschen so deutlich an, daß von einer sichtbaren Kommerzialisierung gesprochen werden kann. Diese Entwicklungen, die 1079 ARA Den Haag, VOC 1364, Makassar, 1. Reg., 499v/500; VOC 1368, Macassar, 1. Reg., 456v/457; VOC 1385, Macassar, 1. Reg., 505v/506. 1080 1681: 175 Männer, 365 Frau, 141 Kinder; 417 in der ‚Chineese Straat‘, 74 in der ‚Tuijn Straat‘, 75 in der ‚Agter Straat‘, 115 am Weg nach Buntuala. 1683: 238 Männer, 308 Frauen, 171 Kinder; 384 in der ‚Chineese Straat‘, 144 in der ‚Tuijn Straat‘, 49 in der ‚Agter Straat‘, 140 am Weg nach Buntuala. 1081 SUTHERLAND, Mestizos, 258/259. 398 Makassar und die VOC nach 1666/69 auch nicht durch Zahlen zum Handel der Kompanie konterkariert werden, verhalten sich zu den hier angeführten Beobachtungen diametral entgegengesetzt. SklavenImport und –Export scheint nur in geringem Zusammenhang mit der Sklavenhaltung innerhalb der städtischen Gesellschaft gestanden zu haben. Diese beruhte offenbar auf anderen Handelszusammenhängen. Eine Zufuhr über den Landweg sowie aus der unmittelbaren Nachbarschaft im unregistrierten Küstenverkehr liegt hier am nächsten. Die traditionellen Organisationsformen der Sklaverei waren weiterhin von Bedeutung, wenn nicht sogar vorherrschend. Dadurch blieb die Leibeigenschaft vor allem ein gesellschaftsinternes Phänomen. Daneben ist bekannt, daß sich innerhalb Süd-Sulawesis nach und nach regelrechte Sklavenzüge etablierten, denen beispielsweise die Toraja zum Opfer fielen.1082 3. Apartheid zwischen Anspruch und Wirklichkeit Die Ansprüche der Administration Die Vorstellungen der VOC, wie die zukünftige Kolonialstadt im Inneren zu organisieren sei, waren zu großen Teilen schon in der Notitie des Cornelis Speelman niedergelegt. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Batavia, das trotz einer kleineren Vorgängersiedlung und eines lokalen Herrschers eher einer Gründung auf der grünen Wiese gleichkam, strebte Speelman eine klar gegliederte Stadt mit weitgehender Kontrolle durch die VOC an. Diese stützte sich von Anfang an auf die einheimischen Verbündeten. Ihnen wurde die Verantwortung für ihre in Makassar lebenden Untertanen zugesprochen, worunter auch die Verpflichtung zur regelmäßigen Visitationen und eine daraus folgende Meldepflicht gegenüber der Kompanie zu verstehen war. Die einzelnen ethnischen Gruppen sollten möglichst in getrennten Wohngegenden leben. Daß sich eine uneingeschränkte Trennung im Alltagsleben nicht durchsetzen ließ, war dem erfahrenen Admiral klar. Jedoch strebte er an, daß zumindest des Nachts die Trennung massiv durchzusetzten. Insbesondere Vlaardingen war während der Dunkelheit von Einheimischen freizuhalten. Das Verbot wurde noch durch die Anweisung unterstrichen, bei Aufgreifung eines der Ausgesperrten durch den Wachdienst, diesen vorläufig festzusetzen.1083 1082 BIGALKE, Dynamics, passim; SUTHERLAND, Slavery, 271-279. 1083 ARA Den Haag, Notitie des Cornelis Speelman, Aanwinsten 1524: 1926 I 10-11, 464/465. Zur Topographie Makassars 399 Besonders umfangreiche Gedanken widmete Speelman einem geordneten Handelsleben auf den einzelnen Märkten. Er strebte klare Abgrenzungen von Zuständigkeiten und eine eindeutige Regelung der Zahlungsmittel an. „De maesen is een Lompe Spetie, en sijn noch daer en boven seer veelerhande, want de coning van Macassar, Radja Sonpingh, Radja Palacca, en andere meer slaen elk op haar selven, daen wij nooijt ‘t alderbeste behagen ingenoomen hebben, veroorsaeckende veel crackeel en monepolie, op de bassar, en connende de beste nieet boven 3 ½, 3 5/8 a 3 ¾ mat in alleoij uijtbrengen, soo datse naar ordonnaire cours van onse gelden niet biven 15 Stfr. off weijnich meer waerdich bennen, hoe welse hier tegens ½ rds. courant sijn, ‘t gunt men voor als noch niet wel ‘t eene mael om den bougijsen wille heeft connen affschaffen wesende niet te min’t hollandsche silver gelt soo wel Ropia als paijement mede pangbaar en gestelt met de maesen op een evengelijke kours, volgens de ordre in dato 15. april 1669 onder andere bevelens bij publijk edickt affgecondicht, ‘t gunt dan ook nogh in vigeur is, bestaande in de renovatie van ‘t selve de opgemelde gedaene denunciatie over ‘t vercoopen van de slaven gelijk uE onder voorsz. dato het translaet inde translaat-boeken cinnen vinden es besien watter als meer in is begreepen bestaende in 5 pointen teweeten: 1. Dat al wie Slaven, menschen, kinderen, buffels, paarden, gout off andere goederen steelen en vercoopen tot slaven van de comp. vervallen en in de ketting naar Batavia vervoert sullen werden. 2. Dat alle bougijs welcke bij nacht gevonden werden in’t portugeesch, chinees of tarnataens quartier ten eersten aangepackt en als vooren tot slaaff vervallen en versonden zullen werden, mitsgaders in cas van oppositie datelijk maer onder de voet gestooten. 3. Dat geene slaven buijten geordonnerde plaats vercocht mogen werden, ook niet sonder transport op pene van confiscatie van gelt en slaeff als vooren geschreven. 4. Dat 80 lode pitjens met Comp. mercq gemunt sullen valideeren een dobbele stuijver, 3 dobbele stuijver een schellings ofte macassaerse coepan 4 coepan een maes, 2 maesen een Rijksdalders met confisquatie van alle maesen en coepans die diir de maringers vals gekeurt en bij verthooninghe aan on soodanich bevonden werden. 5. Dat alle die geene welcke insolentie en onbillicht. op de basaar bedrijven, het zij hollanders off andere sonder onderscheijt datse door de bassaer wachter gebonden voor mij gebraght sullen werden om naar verdienste gestraft te werden.“1084 Nach ethnischen Gesichtpunkten getrennte kampung blieben, vorrangig aus Sicherheitsgründen, langfristig das Ziel der VOC. Insbesondere die Makassaren und Bugis galten als gefährlich, weswegen der Kampung Melayu im Norden Vlaardingens als Puffer zu den Siedlungsbereichen der Einheimischen dienen sollte, in denen die Kompanie Sklavenhandel, Schmuggel und Verschwörungen vermutete. Offiziell war den Bugis und Makassaren der Aufenthalt in europäischen Siedlungsbereichen verboten. Nächtliche Patrolien kontrollierten die Ausgangssperre und überprüften die Personalien der angetroffenen Personen.1085 In Makassar sollte eine Art Apartheids-System entstehen. Zwar waren die Gründe eher im Sicherheitsdenken für einen handels- und militärstrategischen Vorposten 1084 Ebd., 646/647. 1085 SUTHERLAND, Eastern Emporium, 111. 400 Makassar und die VOC nach 1666/69 zu suchen als im rassistischen Überlegenheitsdünkel. Letzterer dürfte bei den Überlegungen der europäischen Beteiligten sicherlich auf die eine oder andere Weise mitgeschwungen haben, wurde jedoch nicht handlungsbestimmend. Doch unabhängig vom Gewicht der Beweggründe, im Ergebnis blieb die Vorstellung die gleiche. Vom Anspruch der Kolonialherren her hätte Makassar ein Paradebeispiel für die Theorie einer segmentären, urbanen Kolonialgesellschaft abgegeben. Die Praxis hingegen sah etwas anders aus. Verflechtung der Siedlungsbereiche und Grenzen der Kontrolle „In this context the walls, stockades and bamboo fences marking the boundaries between castle, kampung and compounds faded; only in the official middle-range vision did such limits seemed fixed and clear. A close look at the social reality of Makassar and, in particular, its patterns of residence indeed shows that the theory of ethnic segregation, as expressed in Speelman’s precepts, was far from being realised. The castle, as a military base, was tightly controlled. The day-to-day problem there was to keep its inhabitants inside, rather than trying to keep others out – the soldiers tended to abandon their posts for nights of drinking, whoring and gambling, while higher officials sought the comfort of their houses and society in the settlements. Outside the castle walls, however, boundaries become more permeable, and inhabitants more variegated.“1086 Die Unterteilung der Stadt in ethnisch definierte Einheiten war keineswegs unerheblich. Sie bedeutete die Existenz einer zuständigen Instanz für jeden städtischen Einwohner gleich welcher Herkunft, der auf Grund kollektiver Identität Loyalität und Vertrauen entgegengebracht werden konnte. Zugleich garantierte die Existenz solcher Instanzen ein reibungsloseres Funktionieren des Gesamtkörpers Stadt, da von oben für jede Gruppe nur ein Ansprechpartner bereitstand und nach unten die Verwaltung durch ihre Teilautonomie der einzelnen Gruppen erleichtert wurde.1087 Dies entsprach der traditionellen Struktur südostasiatischer Hafenstädte. Eine strikte ethnisch-topographische Segmentierung war in dieser wohlvertrauten Struktur für die Einwohner vor Ort nicht impliziert. Der Anspruch der VOC, einer klar gegliederte und auf diese Weise kontrollierbaren Stadt zumindest nahezukommen, machte unter diesen Umständen verstärkte 1086 Ebd., 117. 1087 Die VOC griff durchaus auch in die Autonomie der einzelnen Ethnien ein. Nicht nur, daß die Oberhäupter von ihr bestätigt werden mußten, gelegentlich wurde auch Fakten geschaffen: so enthob van Arrewijne den malaiischen Kapitän wegen Opium-Mißbrauchs seines Amtes und stellte dem chinesischen Kapitän, dessen Kompetenz er nicht traute, einen Leutnant seiner Wahl zur Seite (ARA Den Haag, Memorie van overgave, Josua van Arrewijne, 21.5.1733, VOC 2285, Macassar, 1. Reg, 165). Zur Topographie Makassars 401 Wachanstrengungen notwendig. Für diese Aufgaben reichte die Stärke der kompanieeigenen Truppen allein nicht aus, zumal diese nicht für innerstädtische Polizeiaufgaben vorgesehen waren. Verantwortlich für die Kontrolle über die einzelnen Einwohnergruppen waren deren von der Kompanie eingesetzte oder zumindest akzeptierte Oberhäupter. Bei den Chinesen und Malaiien trugen sie die Bezeichnungen Captain und Lieutnant, bei allen anderen indigene Bezeichnungen.1088 Die relative Autonomie der einzelnen ethnischen Gruppen bildete zugleich die Basis für ein Kontrollsystem. Der engagierte und kenntnisreiche Gouverneur Joan Frederik Gobius betonte seinem Nachfolger gegenüber die Unmöglichkeit, nur von Fort Rotterdam aus den inneren Stadtbereich zu beherrschen. Er regelte vor allem den Wachdienst in Vlaardingen neu und unterwarf die Verantwortlichen einer verstärkten Rechenschaftspflicht.1089 Einer seiner Nachfolger, Josua van Arrewijne, berichtete über ein weitaus umfassenderes Wachwesen, das weite Teile des Stadtbereichs abdeckte: „De burger wagthouding door mijn predecesseur ingewoerd, om dat de boosheijt en moedwillige acties van den inlander op dien tijd sulx aanraade, is van selve tot niet gelopen, en afgeschaft, volgens resolutie van den 14 Junij Ao. 1729 om dat van het kleen getol der burger ingeseten, de meeste haar met de vaart erneeren, soo dat onse Europeese buijten wagt principaal dient tot decking van de negorije Vlaardingen bij nagt, behalven dat ook de Chineesen in haar campongs een eijgen wagthouding hebben, en soo vervolgens de maleijers en Mangeraijers ten Noorde, gelijk die van Campong Bero dito Glaissong, Moluccos, Dompo en andere inwoonders ten zuijde, uijtmakende twee ordentlijke vleugels ter negter en slincker zijde van dit Casteel ongevaar een groote Canon schoot uijtgestreckt langs de stranden.“1090 Dieses dezentrale und teilautonome System genügte jedoch nicht, um Makassar zu einer Stadt zu machen, in welcher die VOC stets und allerorten koloniale Macht ausüben konnte. Man war weit davon entfernt, trotz aller nächtlichen Wachen und lokalen Verantwortungsträgern, jedermann an allen Orten Sicherheit garantieren oder Strafverfolgung durchsetzen zu können. Der Bericht, den 1727 eine Abordnung des Justizrates Gouverneur Gobius erstattete, legt beredtes Zeugnis hierfür ab. Den Verantwortlichen in Fort Rotterdam war zugetragen worden, daß im Kampung Bugis mehrere Soldaten ermordet worden waren. Einige Matrosen hatten einen Deutscher aus Dresden und einen Österreicher aus Leibnitz ins Hospital bringen können und waren daraufhin noch einmal in den kampung gegangen. Dort hatte sie erfahren, daß zwei tote VOC-Bedienstete im Bugis-Viertel versteckt waren. Ob dieser Nachrichten fühlte sich die VOC veranlaßt, eine Abordnung „ter visitatie“ in 1088 SUTHERLAND, Eastern Emporium, 111. 1089 ARA Den Haag, Memorie van ovegave, J. F. Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 105/106. 1090 Ebd., Memorie van overgave, Josua van Arrewijne, 21.5.1733, VOC 2285, Macassar, 1. Reg., 164. 402 Makassar und die VOC nach 1666/69 den kampung zu schicken. Die Abordnung bestand aus drei Mitgliedern des Justizrates, darunter dem für die Rechtsaufsicht zuständigen fiskaal, den Sektretär des Oberarztes und einem Sergeant mit zwölf Soldaten zu Fuß und sechs zu Pferde. Der immerhin 23köpfige Trupp machte im kampung der Bugis allerdings wenig Eindruck. Anstatt die Bugis in den Straßen durch ihr militärisches Kräftespiel einzuschüchtern und so schnell an die Leichen der beiden Landsleute zu gelangen, wurde die Gruppe von den Anwesenden verspottet, beworfen, schließlich sogar umringt und ernsthaft bedroht. Erst als die Einwohner des Kampung Melayu zusätzliche niederländische Grenadiere herbeigerufen hatten, zog sich der Pöbel fluchtartig in die Gassen zurück. Die Abordnung entschied, daß sie weder Auftrag noch Möglichkeit hatten, die Flüchtigen zu verfolgen. Stattdessen durchsuchten sie den kampung nach den beiden Verschwundenen – allerdings ersparte sich die Abordnung jede Äußerung um die Intensität dieser Suche. Lediglich ihre Erfolglosigkeit wurde zugestanden. Die VOC-Vertreter und ihre Soldaten marschierten „in goede ordre“ in das Fort zurück.1091 Die Erwähnung des wohlgeordneten Rückzuges nimmt in diesem Bericht mehr Raum ein als die Erfolglosigkeit des eigenen Unternehmens, die Bedrohung durch buginesisches Volk auf der Straße mehr als die Rechenschaft über die eigentliche Suche. Der ganze Bericht läßt den Eindruck entstehen, daß trotz Hochrangigkeit und Stärke der Abordnung die Visitation im Kampung Bugis nur ein Unternehmen pro forma darstellte. Bereits der erste Widerstand, der eigentlich eher eine Unmutskundgebung darstellte, führte dazu, daß sich die Abordnung ohne weitere militärische Unterstützung nicht mehr bewegen konnte. Und offenbar führt das Eintreffen dieser Unterstützung zu kaum mehr als zum geordneten Rückzug, dem nur eine Alibi-Durchsuchung vorangegangen war. Daß unter solchen Umständen in den Stadtvierteln, die sich jenseits von Vlaardingen, Kampung Baru und Kampung Melayu befanden, alle gesellschaftlichen und vor allem wirtschaftlichen Aktivitäten gedeihen konnten, welche die Kompanie auf Grundlage ihrer Machtansprüche und auch ihrer ursprünglichen Intentionen bei der Eroberung von Makassar weitestgehend unterbinden wollte, ist kaum mehr verwunderlich. 1091 Ebd., VOC 2050, Macassar, 494-496. III. Der Hafen 1. Die Hafenanlage Hafen und Werft der VOC Die VOC verfügte über keinen eigenen, separaten Hafenbereich. Für die kleine Flotte vor Ort und die wenigen Kompanie-Schiffe, welche die Verbindungen nach Batavia und zu den Molukken aufrecht erhielten, war eine solche Baumaßnahme nicht nötig. Die Schiffe und Boote gingen unmittelbar vor Fort Rotterdam vor Anker, das auf Grund seiner Lage eine mächtige Hafenbefestigung darstellte. Vor dem Fort ragte schon im 17. Jahrhundert ein langer Pier in die See.1092 Dieser diente vornehmlich als Anlegestelle von europäischen Fahrzeugen oder chinesischen Junken, die für das sanfte Anlanden an Sandstränden einen zu großen Tiefgang aufwiesen. Auf der Strandfläche zwischen der Mündung eines kleinen Wasserlaufs, der das Areal des Forts nach Süden abschloß und an dem sich auch die Ställe der Kompanie befanden, und dem Beginn von Vlaardingen im Norden befanden sich neben den Warenlager der Kompanie, die sich nicht unmittelbar im Fort befanden, die Werft des VOC-Hafens. Dabei darf man sich keinen Werftkomplex, wie auf der Insel Onrust vor Batavia vorstellen, wo Schiffe aller Bauarten auf Kiel gelegt wurden. In Makassar bestand wenig mehr als einige Einrichtungen zur Ausbesserung und Instandhaltung kleinerer Fahrzeuge. Bekannt sind lediglich eine Schmiede, ein oder zwei Bootsbauschuppen und ein Materiallager.1093 Die Anlaufstellen für Zölle, Steuern und Pässe, die zum Befahren bestimmter Seerouten berechtigten, waren wohl unmittelbar im Fort selbst zu finden; unter Umständen hielten sich die entsprechenden Repräsentanten auch im Hafenbereich auf. Gelegentlich ist von einem Haus des syahbandars – trotz seines persischen Titels inzwischen ein hoher niederländischer Vertreter – die Rede, ohne daß jedoch der Standort dieses Gebäudes klar wird. Das eigentliche Büro des Chefs der Hafenverwaltung dürfte auf jeden Fall im Fort zu vermuten sein. Von dort aus konnte der Hafen auch durch die Artillerie der drei westlichen Bollwerke des Forts kontrolliert und geschützt werden. 1092 SUTHERLAND, Ethnicity, 46; ANDAYA, Heritage, map 5. 1093 Ebd., map 6. 404 Makassar und die VOC nach 1666/69 Weitere Anlegemöglichkeiten unter VOC-Kontrolle Der Hafenbereich, der dem privaten Warenhandel diente, hatte sich nach der Eroberung um ein gutes Stück nach Norden verschoben. Hatte sich vor dem Makassarischen Krieg der Haupthafen unmittelbar im Mündungsgebiet des Jeneberang entwickelt, bildete sich nun in unmittelbarer Umgebung der Festung das offizielle Geschäftszentrum Makassars heraus, das ungefähr mit den Uferstreifen der kampung Baru, Melayu und Vlaardingen zu identifizieren war. Dabei wurde der Pier unmittelbar vor dem Fort kaum von den indigenen prahus genutzt, die traditionell unmittelbar den Strand anfuhren. Allein die administrativen Kontrollen der VOC führten zu Konzentrationen des Schiffsverkehrs im Umfeld des Forts. Dort, in unmittelbarer Nähe des Piers, ist auch der Sitz der Hafenbehörden zu vermuten. Hier oder unmittelbar im Westflügel des Forts befanden sich die Einrichtungen, an denen die Fracht deklariert werden mußte, Steuern und Gebühren zu entrichten oder auch Pässe zu beantragen waren. Daß sich rund um solche Einrichtungen der Schiffsverkehr, der sich an die bestehenden Vorschriften hielt, konzentrierte, läßt sich zwar konkret nicht nachweisen, ist jedoch mehr als nur wahrscheinlich. Neben den administrativen Einrichtungen bildete ein Kaufhaus – vielleicht waren es später auch mehrere –, in welchem die angelandete Ware zum Kauf oder Tausch angeboten wurde, das Zentrum des makassarischen Hafens.1094 Im Laufe der Zeit wurde auch der prahu-Hafen weiter ausgebaut. Eine zunehmende Anpassung an größere Schiffe, häufig europäischer Bauweise, läßt beispielsweise die Errichtung eines zweiten Piers vermuten. Bis zu den auch für Makassar verheerenden Ereignissen des Zweiten Weltkrieges blieb dieser prahu-Hafen als Kern des makassarischen Handelslebens bestehen: „At Makassar there was a fine prahu harbour before the war, right alongside the central business district between the two main quays, but half of it is now so cluttered with wrecks and sunken hulks as to be unusable, the best jetties in the other oart are used by lokal ships and the prahus must use those which are collapsing into the water or have lost much of their planking.“1095 Allein die Beschaffenheit eines solchen frühneuzeitlichen Hafen, für den weder ein künstliches Hafenbecken noch ein Kanalsystem, über das die Schiffe in die Stadt selbst geleitet werden konnten, angelegt wurde , machte uneindeutige Grenzen und eine sich vom Zentrum her ausdünnende Hafenkontrolle unvermeidlich. 1094 MILBURN, Oriental Commerce II, 410. 1095 DICK, Prahu Shipping I, 88. Der Hafen 405 Illegale Häfen Der Hafen am Fort Rotterdam, der von Einfahrt- und Ausfahrtkontrollen, von Paßsystem und Zöllen bestimmt wurde, blieb nicht der einzige Platz des langsam wieder zur Großstadt aufsteigenden Makassars, an dem Schiffe anlandeten und ihre Besitzer Waren umschlugen. So, wie der kampung der Bugis und die umliegenden Areale für die niederländische Kompanie ein ständiger Quell von Gefahren und sluijkerij war, blieb auch der Strand dieser Stadtgegend ein stetes Ärgernis. In den 1720er Jahren hatte Gouverneur Gobius mit solchen Entwicklungen zu kämpfen, die inzwischen das Niveau eines eigenständigen Wirtschaftsfaktors eingenommen hatten. „D’ boegijnesen en Wadjoresen hier komende van Batavia komen doorgaans ten anker bijde Bazaer boegijs, en niet na de ordre bij dit casteel of des sabandhars huijs, dat haar lieden almede door de tijd zal dienen afgewend.“1096 Bereits der Kampung Melayu, in den die VOC gelegentlich die Hoffnung setzte, daß er als eine Art Puffer zwischen den suspekten Welten der Bugis und Makassaren und der vertrauten Welt von Vlaardingen und Fort Rotterdam dienen sollte, machte Gobius in dieser Hinsicht Kopfschmerzen: „[...], ook zoude men veeltijds te laat gewaar worden vuijle samerottingen buijten den sluijk en morshandel waar toe wel meest dienen d’schuijlnesten aan de strant ter Boegijs passer, tot welkers wegruijming alsoo wel diend aangehouden, als tot het vertrek der boegiijnesen en macassaren uijt d’kampon Malijo soo als daar van het besluijt ligt op 6 Aug. 1727 want de speculatien daar omtrent tot een geruste bewoning van E. Comp. gronden,[...].“1097 Nördlich des von der Kompanie vorgegebenen Stadtzentrums hatte sich offenbar eine ganz eigene Handelswelt etabliert. Hier drängt sich die Frage nach dem eigentlichen Stadtzentrum auf. Ist man gewillt, konsequent mit europäischen Augen zu sehen und zugleich die administrativen Funktionen einer Kolonialstadt in den Vordergrund zu stellen, bleibt dieses natürlich in Vlaardingen und im Fort der VOC. Doch wie steht es hinsichtlich der maritimen Handelsaktivitäten, die nun einmal das Herzstück der makassarischen Wirtschaft ausmachten? Diese sind außerhalb der VOC-Kontrolle mangels entsprechender Aufzeichnungen nicht quantifizierbar, und das folgende Kapitel wird auch einen nicht unerheblichen Warenhandel, der über das „europäische“ Zentrum abgewickelt wurde, vorstellen – dennoch: aus Sicht eines Bugis kann dies unter Umständen völlig anders ausgesehen haben. Vier Jahrzehnte später war Gouverneur Sinkelaar dieser Probleme keineswegs ledig. Vielmehr legt sein Bericht nahe, daß sie sich unter Umständen sogar ausgeweitet hatten: 1096 ARA Den Haag, Memorie van ovegave des Joan F. Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 104. 1097 Ebd., 105/106. 406 Makassar und die VOC nach 1666/69 „Het geene aanleijding gegeven heeft tot deese voorslag is geweest de gestaadige moeijlijkheeden die men hat, met de sluijkerijen de gepleegd wierden op Sampong, Java, een stuks lands, leggende bezuijden dit Casteel aan de boord van Goa’s Rivier, behoorende in Eijgendom aan de Comp., dog op versoek ter leen aan de Macassaareen vergund, alwaar van tijd tot tijd allerhanden soorten van slegt volkje sig hadde versameld, en een meenigte Saguweer, kroegen en Amphoien kitten opgeregt habbe, en dewijl daar ook een passen was, so trok dit daagelijk veel soldaten derwaards die zig dan te buijten gingen inden daark, alle soorten van moed wil bedreeven en niet selden dat vermaak met de dood meesten boeten; buijten dit was het en zeer bequaame sluijknest principaal voor de mandhareesen, die daar in het voor bij vaaren gewend waeren aan te gieren en haare vaarthuijgen te ontlossen, waar van men somtijds woel een de weet kreeg, en daar op uijt sond, maar dan waere meest altoos de vogels al gevloogen en men vond het nest ledig, dit alles heefft mijne Predescesseur veele moeijlijkheeden en aan leijding tot veele klagten gegeven bij de Macassaren, tot dat het door een sonderling geval bij een seekere gelegenheid tot de grond toe afbaandenn, wanneer ik, hebbende daar toe ordre van haar hoog Edelheedens verkogt en verkreegen daar de hand opleijde en het naaste voor de Comp. die sulve eijgentlijk behoord, dog de Maccassaaren hebben soo lange gesmeekt om dat stuks grond tot haat gebruijk te moogen behouden, dat welgem: haar hoog Edelheedens dit hebben geaccordeerd, onder deese conditie, dat het tot geen ander gebruijk soude moogen dienen als om padij te planten, en dus is het aan haar tot weder opseggens gebleeven, terwijl ik sorge gedraagen hebbe, dat daar geen passe weder opgerigt, of huijsen gebouwd worden, op welke voet ik noodig oondeele het sal moeten gehouden werden.“1098 Im eigentlichen Stadtgebiet und auf dem Grund und Boden, welchen die VOC als ihr Eigentum reklamierte, wurde ungestört und unkontrolliert privater Handel betrieben. Dieses Mal ist von einem Platz südlich des Forts die Rede. Es ist demnach nicht die von Gobius her bekannte Verbindung illegaler Anlegestellen mit dem Markt des Kampung Bugis gemeint. Da man mit einiger Berechtigung davon ausgehen kann, daß der südlich an das Fort anschließende Kampung Baru wenigstens einigermaßen unter Kontrolle der Kompanie und ihr gegenüber loyaler Gruppenoberhäupter stand, meint Sinkelaar wohl eine Gegend jenseits dieses kampung, wahrscheinlich in den städtischen Siedlungsgebieten der Makassaren. Nach den Aussagen Sinkelaars war dieser Platz besonders für den Opium-Handel von Bedeutung. Allerdings waren auch zu dieser Zeit Drogen besonders auffällige Handelsgüter, die womöglich den Blick auf weitaus größere Mengen „alltäglicher“ Waren verdeckten. Wie im Kampung Bugis dürfte auch hier ein vollwertiger Warenumschlagplatz existiert haben. Weder militärische Maßnahmen gegen solche Plätze konnten offenbar fruchten, noch war es sonderlich aussichtsreich, die Einheimischen per Vertrag auf bestimmte Nutzungen von Arealen verbindlich festlegen zu wollen. Auffällig ist auch die Betonung der Mandhar, die offenbar lebhafte Kontakte nach Makassar unterhielten, obwohl sie nicht im offiziellen Hafen in Erscheinung traten. Die Belege für solche Anlegestellen oder gar Handelshäfen, wie sie die Man- 1098 ARA Den Haag, Memorie van overgave des Cornelis Sinkelaar, 4.6.1767, VOC 11254, 18-20. Der Hafen 407 dhar für ihre Handelsbeziehungen nutzten, sind rar, insbesondere wenn es im engeren Sinne um das Stadtgebiet Makassars geht. Es ist jedoch nicht zu übersehen, daß – korrespondierend zu Zonen abnehmender Kontrolle durch die VOC – sich auch autonome Anlegestellen herausgebildet hatten, über die nicht unbeträchtliche Teile des Warenhandels von Makassar außerhalb der Aufsicht und damit leider auch weitgehend außerhalb der historischen Faßbarkeit abgewickelt wurden. 2. Die Organisation des Hafens Die Administration der VOC Die Anzahl der konkret für den Hafen und seinen Betrieb zuständigen VOCBediensteten war gering. Verantwortlich zeichnete der syahbandar, der Hafenmeister, dessen Amt aus vorkolonialer Zeit nahtlos in die VOC-Administration übernommen wurde. In der Regel hatte er daneben den Rang eines Unterkaufmannes und somit eine gehobene Stellung innerhalb der lokalen zivilen Verwaltung.1099 Immerhin gehörte er zu den acht Mitgliedern des ‚raad van politie’, dem Leitungsgremium von Fort Rotterdam. Ursprünglich war das Amt des syahbandar eine gewöhnliche Position unter leitenden Kompanie-Angestellten. In den Jahrzehnten nach der Eroberung berichten die Generalen Missiven immer wieder vom regulären Aufstieg ziviler VOC-Bediensteter in diese Stellung. Auch die zitierte Liste von 1741 weist dieses noch so aus, doch steht sie schon für eine auslaufende Vergabepraxis. Spätestens seit den frühen 1740er Jahren wurde das Amt des syahbandars verpachtet.1100 Zunächst geschah dies für 420 Reichsthaler im Monat; die Pauschale wurde jedoch bald mangels Interesses auf 355 Reichsthaler gesenkt. Amtsinhaber waren zumeist europäische, in Makassar ansässige Bürger, die den Vorstellungen der VOC durchaus nahe standen. Dennoch hatte die Kompanie die unmittelbare Aufsicht über den Hafen aus der Hand gegeben. Spezialisten der Hafenverwaltung werden in den Personalverzeichnissen der Kompanie über diese Führungsposition hinaus nicht ausgewiesen. Auch besteht bei der Zuordnung von Verwaltungsangestellten keine eigenständige Hafenbehörde wie es beispielsweise ein ‚soldij comptoir’ (1741 mit acht Personen besetzt) oder ein ‚ne1099 Siehe z. B. das Personalverzeichnis von 1741: ARA Den Haag, VOC 2533, Macassar, 1081-1093. 1100 Generale Missiven XI, 31.12.1746, 377. 408 Makassar und die VOC nach 1666/69 gotie comptoir’ (1741 mit sechs Personen besetzt) gab. Sicherlich arbeiteten einige der in den Listen aufgeführten Buchhalter, Assistenten und Sektretäre ganz oder teilweise für den syahbandar. Das völlige Fehlen eines eigenen Stabes verweist jedoch darauf, daß dessen personelle Ressourcen der makassarischen Hafenverwaltung gering waren im Vergleich zur Situation auf Java, die Gerrit J. Knaap anhand des Beispiels Semarang beschreibt: „On arrival a port a skipper had, in principle, to deal with two officials: a European ‚harbourmaster‘ or syahbandar and a non-European ‚guardian of the boom‘ or boomwachter. The former, an employee of the VOC, who combined this function with other duties, was the person in charge of checking and issuing passes for private shipping. In Semarang the harbourmaster was always the same person as the tax collector. Apart from charges for the passes, he was also responsible for the collection of the harbour dues. In principle, it was left to the skippers themselves to report the composition of their cargoes to the harbourmaster’s office. However, should there be strong suspicion of violation of the rules the harbourmaster could always send a clerk or a soldier to the roadstead to carry out an inspection. In Semarang, as a rule, only incoming ships from Sulawesi, Kalimantan, and the Melaka Straits were inspected on behalf of the harbourmaster by a committee of VOC employees. [...] The boomwachter represented the farmer(s) of the import and export duties levied in a particular port. As such he and either his own for the farmer’s assistants collected the duties. At dawn the boomwachter raised the boom and in the evening he closed it again.“1101 Es ist keine allzu verwegene Vermutung, daß die Abläufe in Makassar in vergleichbarer Weise von statten gingen. Einige Unterschiede, die trotz fehlender adäquater Quellenlage für Makassar zu konstatieren sind, bleiben marginal. So wurde in Makassar offenbar nur sehr selten ein Schiff von einem Komitee visitiert, unabhängig von der Herkunft des Fahrzeuges. Die Person des boomwachters ist bereits von größerem Interesse. Die angeführten Quellen zum Personalbestand enthalten nur außerordentlich wenige einheimische Bedienstete. Dies mag ein Überlieferungsproblem sein, doch scheint die vorsichtige bis mißtrauische Haltung der Kompanie gegenüber den einheimischen Nationen ein weitaus wahrscheinlicherer Grund zu sein. Ein Makassare oder Bugis in zentraler und verantwortlicher Position war mit Sicherheit undenkbar. Daher hat es das Amt des boomwachters in Makassar wahrscheinlich nie gegeben; vielmehr wurden desse Aufgaben vom syahbandar zusätzlich übernommen. Auch auf einen abgesperrten Hafenbereich, wie ihn die vom boomwachter bediente Schranke nahelegt, gibt es für Makassar keine Hinweise. 1101 KNAAP, Shallow Waters, 26. Der Hafen 409 Das Paßsystem Herzstück der Verwaltung des seegestützten privaten Güterverkehrs war ein Paßsystem, welches die VOC in allen ihren Hafenstädten einführte. Jeder Schiffsführer mußte für jede einzelne Fahrt einen Paß beantragen. Dabei hatte er das Ziel der Reise und die Ladung genau anzugeben. Für jeden Paß wurde eine von der beantragten Route abhängige Gebühr erhoben; hinzu kamen weitere Gebühren für die Tätigkeit verschiedener Hafenbeamter, die an der Ausstellung des Dokumentes beteiligt waren. Von Ost- oder Zentral-Java aus kostete ein Paß einschießlich aller Nebenkosten in den 1770er Jahren rund 15 Reichsthaler. Entsprechende Daten liegen für Makassar leider nicht vor, doch darf davon ausgegangen werden, daß sich die Kosten für die umgekehrte Strecke kaum davon unterschieden haben.1102 Am Zielort und bei der Rückkehr wurde der Paß von den Hafenbehörden genauestens überprüft. Alle Fahrten, für welche ein nachoda keinen Paß der VOC besaß, galten der Kompanie als „illegal“. Sie behielt sich das Recht vor, in solchen Fällen Schiff und Ladung zu konfiszieren und die Besatzung vorläufig festzusetzen. Auf diese Weise hoffte die Kompanie, ein Instrument in Händen zu halten, mit dessen Hilfe sie unerwünschten Schiffsverkehr von bestimmten Routen und bestimmten Häfen fernhalten konnte. Voraussetzung hierfür war allerdings eine funktionierende engmaschige Überprüfung der Pässe auf hoher See. Nicht alle Häfen hatten die gleiche Bedeutung innerhalb des Systems der VOC, entsprechend kamen den jeweiligen Hafenmeistern oder Residenten unterschiedliche Entscheidungsbefugnisse zu. Die Aufsicht über die wichtigeren Wasserstraßen wurde zentralisiert. Pässe für den Langstreckenhandel wurden nur in den zentralen Häfen der VOC vergeben. So waren auf Java Pässe nach Nusa Tenggara, Sulawesi, Kalimantan, Ost-Sumatra oder für die Malaiische Halbinsel nur in Surabaya, Gresik, Semarang, Cirebon und Batavia zu erhalten.1103 Makassar allerdings hatte innerhalb der Kompanie-Hierarchie nach Batavia die höchste Zentralität, so daß hier Pässe für alle der VOC genehmen Wegstrecken vergeben wurden. Die Gouverneure der Stadt waren sich des Regelungseffektes dieses Instrumentes sehr wohl bewußt. Da sie vor Ort weitgehend freie Hand hatten, setzten sie es ihren eigenen Prioritäten entsprechend recht unterschiedlich ein. Josua van Arrewijne betonte seinem Nachfolger gegenüber, daß er die Pässe stets „conform het reglement, om 1102 Zum Paßsystem und seinen Preisen siehe KNAAP, Shallow Waters, 135/136; siehe daneben SUTHERLAND/BREE, Trading Communities, 2 und DIES., Approaches, 374. 1103 KNAAP, Shallow Waters, 16/17. 410 Makassar und die VOC nach 1666/69 die vaart en handel zu secondeeren“ vergeben hätte. Die einzige Ausnahme wäre Pasir und Kutai an der Ostküste Kalimantans gewesen, weil dort der Seeräuber Arung Sinkang sein Unwesen trieb und viele Bugis mit diesem gemeinsame Sache gemacht hätten.1104 Einer seiner Vorgänger, Joan Frederik Gobius, legte hingegen höchsten Wert auf den restriktiven Einsatz der Pässe. Er berichtete, daß er nach Bali, Banten, Palembang und Jambi gar keine Pässe und nach Johor und Kalimantan so wenig wie möglich ausgestellt hatte.1105 Von der Unterstützung des Privathandels bis zur weitgehenden Unterbindung konnten die Vorgaben reichen, die von den Gouverneuren erlassen wurden und in der konkreten Alltagsarbeit von den syahbandars und ihren Gehilfen als Ansprechpartner der einheimischen Kaufleute durchzusetzen waren. Zölle und Abgaben Die langfristig in Makassar geltenden Zölle und Abgaben für private Schiffe gingen wie etliche andere Regelungen auf Cornelis Speelman und den Vertrag von Bongaya zurück. Im Zentrum der unmittelbar nach Errichtung der Kolonialstadt erhobenen Gelder, wie sie in der Notitie Speelmans niedergelegt sind,1106 steht das von jedem einlaufenden Kapitän zu entrichtende Ankergeld. Ein Fahrzeug mit einem Mast hatte ein mas, eines mit zwei Masten zwei mas zu entrichten. Ein weiteres halbes mas mehr wurde bei Fahrzeugen mit drei Masten fällig. Mit „vaartuijck“ waren dabei Schiffe europäischen Ursprungs gemeint. Für einheimische prahus wurden eigene Sätze erhoben; das Ankergeld für eine kleine prahu betug 1¼ mas, für eine „groote gemeene“ zwei mas. Hinzu kamen Zölle, die ausdrücklich für den König bestimmt waren und das Einkommen des in Amt und Würden verbliebenen, wenn auch mittlerweile machtlosen Herrscherhauses sichern sollte. In diesem Zusammenhang waren zwei taël für ein einlaufendes Schiff mit zwei Faden Tiefgang zu entrichten; für jeden weiteren halben Faden wurde ein halber taël fällig. Lief das Schiff wieder aus, war noch einmal der halbe Satz dieser Abgabe zu zahlen. Auch das Waagegeld von einem halben mas pro pikul Handelsgut stand dem König zu. Schließlich verdiente das Herrscherhaus auch am Handel mit Schiffen und Sklaven. Im ersten Fall waren für ein verkauftes Schiff mit zwei Faden Tiefgang und sieben bis acht Faden Länge 17½ taël zu entrichten, im zweiten Fall für jeden Sklaven einen taël – jeweils zur 1104 ARA Den Haag, Memorie van overgave, Josua van Arrewijne, 21.5.1733, VOC 2285, Macassar, 1. Reg., 158/159. 1105 Ebd., Memorie van overgave des Joan Frederik Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 92. 1106 Ebd., Notitie des Cornelis Speelman, Aanwinsten 1524: 1926 I 10-11, 480/481. Der Hafen 411 Hälfte von Käufer und Verkäufer. Außerdem wurde eine Gebühr von einem mas pro mitgeführten Sklaven auf einem auslaufenden Schiff erhoben. Zur Zeit der Radicaalen Beschryving des A. D. Nys, die um 1755/56 entstanden ist, waren Zölle und Abgaben in Kraft, die nach wie vor auf den ursprünglich erlassenen Regelungen beruhten, wie sie ausdrücklich vom Rat von Indien in den Jahren 1698, 1702 und 1703 bestätigt worden waren. Die einzelnen Sätze waren inzwischen ausdifferenziert und in niederländische Währung umgerechnet worden: „Zij vorderde van 10 prcto. voor de Strandthollen van alle Coopmanschappen, 10 prcto. voor uvier Thollen van Timmerhout bamboezen en van alle mandhareese vaartuijgen met Stuk goederen, 5 dito voor waaggeld van alle weegbaare gedaan, 12 Stuijvers von ydere anker, 14 dito voor yder maste zo van de aankomende als vertreekende vaartuijgen, 12 dito voor ydere Slaaf die op de vaartuijgen gevonden were, 12 Stuijvers vande breede vaartuijgen Sloepen gontings en t laie of agt ryksds. van ydere vadem in de lengte, 24 Stuijvers voor kleen of groote vaartuijgen dat met leeftogt ranquam of vertrock, 6 Stuijvers voor ydere persoon die op de lymaat (lywaat) markt zyne goederen te koop bragte. Buijten de thollen die S’Konings hoffmeester van alle vischers op Eijge taxatie vordeerde, detiri Arreek en vrugten die op de bazaar verkogt wierden, waar aan Zeeker contingend bepaald behalven tot sommige nog de lond voor Konings Militie moesten contribueeren. Hier nyt blykt dan, dat voor keen een meenigte van handelaars aldaar hunne whaaren moetn vestierd hebben, dog dat de halve Ryksdaalders of 24 Stv. voor S’Lands geregtigheyd uyt algemeen vaartuygen t zij groote, Z 2, kleyne die met leeftogt aanquamen dan wel van daar vertrocken, gesteldis, geest eenig nadenken [...].“1107 Neben solchen recht allgemeinen Zusammenfassungen stehen nur wenige Quellenzeugnisse zur Abgabenbelastung privater Händler zur Verfügung. Bezüglich der warenbezogenen Zölle und der entsprechenden Waagegebühren kann nur auf die einzige überlieferte Aufstellung des Hafenmeisters über seine Einnahmen zurückgegriffen werden.1108 Diese Quelle bietet zwar nur eine Momentaufnahme für ihr Entstehungsjahr 1730, läßt jedoch einige Rückschlüsse auf Höhe und Erhebungsweise der Abgaben zu. Zunächst lassen sich die Zollsätze für die wichtigsten Warengruppen erschließen. Dabei handelte es sich zum einen um die verschiedenen trepang-Sorten, die mit zwei (weißer trepang), drei (doeri-trepang), vier (steene trepang) oder sechs Reichsthalern (schwarzer trepang) pro pikul belastet wurden. Zum anderen lassen sich für andere regionale Güter eine niedrige (agar-agar für 0,5 rds./pikul, katjang für 1,25 rds./pikul), eine mittlerer (Wachs für 20 rds./pikul) und eine hoher Preisklasse (Vogelnester und Schildpatt für jeweils 80 rds./pikul) unterscheiden. 1107 Ebd., Radicaale Beschryving van Macassar, VOC 4852, 5/6. 1108 Ebd., VOC 2163, Macassar, 132-139. Grundlage für diese Aufstellung bildete die Neuordnung der Regelungen für den syahbandar aus dem November 1728 (ebd., Memorie van overgave, Josua van Arrewijne, 21.5.1733, VOC 2285, Macassar, 1. Reg., 149/150). 412 Makassar und die VOC nach 1666/69 Der Herrscher von Goa respektive die nachodas, die für ihn fuhren, blieben völlig abgabenfrei. Befreit vom Zoll war darüber hinaus Alteisen und eventuell auch Radix China und Rohrzucker, doch liegen für die beiden jeweils letzteren nur ein Fall in der Aufstellung vor, so daß es bei einer vagen Vermutung bleiben muß. Die übrigen Zollbefreiungen bleiben unklar, können sie doch weder – auf Grund der Uneinheitlichkeit der Fälle – im Zusammenhang mit dem Wert oder dem Gewicht der Ware stehen noch mit bestimmten Händlergruppen. Die einzelnen Fälle verteilen sich auf Chinesen, Makassaren und Glissonder; ein Fall ist hinsichtlich der Nationalität unklar. Alle Nationen zahlen jedoch in den entsprechenden Warengruppen in anderen Fällen durchaus Zoll. Grob gesehen ergibt sich ein Zollsystem, das in Schritten von einem Achtel Reichsthaler Zoll pro 2,5 Reichthaler Warenwert ansteigt. Ganz einheitlich ist diese Rekonstruktion jedoch nicht, da einige Zollangaben ohne formal ersichtlichen Grund leicht abweichen und auch die Zollbefreiungen nicht erklärt werden können. Ergänzt wurde der Zoll durch ein Waagegeld. Dieses wurde offenbar bei einer Position unter einem pikul Gewicht nicht erhoben. Ob die Befreiung vom Waagegeld für grünen katjang grundsätzlich galt, läßt sich anhand der einzigen Angabe – 12 pikul ohne Waagegeld – nicht hinreichend klären. Das Waagegeld bezieht sich ebenfalls auf den Wert der Waren, nicht auf das zu wiegende Gewicht. Es ergibt sich, genauso grob und genauso eingeschränkt wie im Falle des Zollsystems, eine etwas unregelmäßige Staffelung, die in Schritten von zehn oder von 20 Reichsthalern Warenwert jeweils um einen Achtel Reichthaler Waagegeld anstieg.1109 Im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts wurden der warenbezogene Zoll auf Prozentsätze umgestellt, wie dies auch in Batavia üblich war.1110 Für das Ende des Jahrhunderts stellt William Milburn in seinem Handbuch des asiatischen Handels knapp fest, daß auf Import und Export pauschal 6% erhoben wurden, wobei jedoch gelegentlich die Möglichkeit bestand, den syahbandar gegen Geschenke herunterzuhandeln.1111 Der Abgabensatz entsprach demjenigen, der in Batavia auf reine Umschlaggüter erhoben wurde. Es ist möglich, daß für importierte oder exportierte Güter auch in Makassar noch differenziertere Zollsätze galten Dennoch hatte das Ende der VOC zugleich eine Vereinfachung des Zollwesens gebracht. Das Amt des syahbandar von Makassar war offenbar weiterhin verpachtet, standen ihm bei der Be1109 Ersteres zwischen 20 und 40 rds. sowie zwischen 60 und 120 rds; letzteres bis 20 rds, zwischen 40 und 60 rds. sowie ab 120 rds. 1110 KNAAP, Shallow Waters, 137. 1111 MILBURN, Oriental Commerce II, 410. Der Hafen 413 handlung der gebührenpflichtigen nachodas doch einige Freiheiten zu. Der Hinweis Milburns, daß der Hafenmeister gegebenenfalls Geschenke erwartete, deutet auf die Beibehaltung aus dem 16. Jahrhundert stammender einheimischer Traditionen innerhalb des VOC-System bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hin. Legale und illegale Güter Die Bestimmungen des Vertrags von Bongaya hinsichtlich des privaten Warenhandels waren sehr streng. Der Handel mit Textilien über die Sorten aus indonesischer Produktion hinaus war völlig verboten. Auch der Zugang zu entsprechenden Umschlagplätzen wurde für makassarische Händler stark reduziert. Cornelis Speelman als erster niederländischer Machthaber in der Stadt verschärfte die eigentlichen Vertragsbestimmungen sogar noch. Im Verlauf ihrer Herrschaft über die Stadt hielt die VOC diese Regelungen offiziell stets aufrecht. Generell hielt die Kompanie die Hand auf eine große Anzahl sehr verschiedener Warengruppen. Einige Bereiche der zentral in Batavia verfügten Verbote und Restriktionen trafen uneingeschränkt auf Makassar und Sulawesi zu.1112 Neben den völligen Verboten feiner Gewürze – namentlich Nelken, Muskatprodukte und Zimt – und des Handels mit 14 verschiedenen Sorten indischer Textilien, die auch im Vertrag von Bongaya ausdrücklich für Sulawesi festgelegt worden waren, zählten hierzu die Monopolisierung des Opiumhandels zugunsten der in Batavia ansässigen Amphioen Sociëteit, der Vorrang der Kompanie bei einer Reihe von Luxusgütern wie schwarzem Pfeffer, Indigo, Kardamom, wildem Zimt, Kaffee, bei Metallen wie Zinn und japanischem Kupfer und bei Baumwollgarn sowie die vorgeschriebene Konzentration des gehandelten Arraks auf Produkte aus Batavia. Güter, die regional, auch als Basis für weiterreichende Handelsnetze, bedeutsam waren, wurden hingegen von der Kompanie nur selten beachtet. Batavia kümmerte sich weder um die Produkte des Meeres, die in Makassar als Zentrum mehrerer seefahrender und Fischfang betreibender Nationen eine große Rolle spielten, noch um die Erzeugnisse des tropischen Waldes, die von waldreichen Inseln wie Kalimantan nach Sulawesi verschifft wurden. Dennoch war nach den in Batavia und in Makassar erlassenen Vorschriften der private Warenhandel zumindest formal deutlich eingeschränkt. 1112 KNAAP, Shallow Waters, 136. Dort auch einige durch die VOC reglementierte Handelssphären, die nur Bedeutung für Java hatten, wie der Import von Rohrzucker nach Batavia oder der Export von Vogelnestern javanischen Ursprungs. IV. Makassar, die VOC und das Hinterland 1. Die politische Perspektive Goa-Tallo – Vasall, Verbündeter, Konkurrent Die einstmals so mächtigen Sultanate Goa und Tallo befanden sich nach dem Makassarischen Krieg in einer zwiespältigen Situation. Einerseits waren sie die Unterlegenen des Krieges, der sie in die Position unterworfener Vasallen der VOC gezwungen hatte. Andererseits wurden sie durch die Verträge und die Bündnispolitik der Kompanie, die eine übliche Vorgehensweise der Niederländer im Archipel darstellte, auch zu Bündnispartnern der VOC. Der Unterwerfung der Staaten stand zugleich die Kontinuität von Königshaus und Adel gegenüber. Goa und Tallo waren nicht mehr in der Lage, eine Eroberungspolitik zur Ausweitung des eigenen Machtbereiches zu verfolgen, doch blieben die Möglichkeiten der Heiratspolitik weiterhin bestehen. Daß diese intensiv genutzt wurde, zeigt sich deutlich in den engen Beziehungen zwischen den Häusern Goa und Sumbawa seit den 1680er Jahren.1113 Auf diese Weise behielten viele führende Makassaren weiterhin ihren Einfluß in Süd-Sulawesi. Gefördert wurde dieser Umstand durch die Tatsache, daß auch Bugis und andere hier ansässige Asiaten die Kompanie als eine fremde, von außen aufgestülpte Autorität betrachteten, so daß der VOC unliebsame Bündnisse über ethnische Grenzen hinweg blühen konnten. Die Einschätzung der beiden ehemaligen Kriegsgegner Goa und Tallo durch die VOC blieb in dieser Situation von Mißtrauen geprägt. Gouverneur Cornelis Sinkelaer hinterließ 1767 seinem Nachfolger ein vernichtendes Urteil über die Zuverlässigkeit Goas, dessen Herrscher er Konspiration mit Engländern und Piraten unterstellte, nachdem bereits 1750 einer seiner Vorgänger, Johan Gideon Loten, im gleichen Tenor über den Herrscher von Tallo geurteilt hatte, den er als „gevaarlijk en ontrouw bondgenooten“ bezeichnete.1114 Trotz des offiziellen Verständnisses als Bündnispartner waren die Makassaren für die VOC vorübergehend ruhiggestellte Feinde, die nur auf eine Möglichkeit warteten, sich der Vorherrschaft der Europäer zu entledigen. Daher war es zum ständigen Ritual geworden, daß bei einer Amtsüber1113 NOORDUYN, Bima en Sumbawa, 10/11. 1114 ARA Den Haag, Memorie van overgave, C. Sinkelaer, 6.4.1767, VOC 11254, 17; Loten, Memorie, 19. Makassar, die VOC und das Hinterland 415 nahme die neuen Herrscher von Goa oder Tallo jeweils auf die bestehenden Verträge eingeschworen wurden.1115 Die Einschätzung der Kompanie war durchaus nicht unrealistisch, auch wenn sie nie wieder unmittelbar mit dem Staat Goa-Tallo konfrontiert wurde. Vielmehr ging die Gefahr von einzelnen makasarischen Führungspersönlichkeiten und ihren Anhängern aus. Die Kompanie war daher stets darum bemüht, daß potentielle makassarische Rebellen nirgendwo eine Basis finden konnten, wie aus einem Vertrag mit Sumbawa aus dem Jahr 1748 ersichtlich wird. Der König dieses Reiches hatte sich im gleichen Paragraphen, der Beschränkungen für makassarische und buginesische Händler formuliert, verpflichtet, dem geflohenen Makassaren Karaeng Bonto Fanga keinen Unterschlupf zu gewähren, sondern ihn wieder der VOC zu überstellen.1116 Kriegerische Auseinandersetzungen waren dennoch nicht zu vermeiden. Mehrfach kam es im 18. Jahrhundert zu Auseinandersetzung mit aufständischen Makassaren. Teilweise fand eine solche Aufruhr ein Ventil in der Piraterie. Mehrere der bedeutenden Piratenführer in der Straße von Makassar waren adelige Makassaren, die in Opposition zur VOC standen. Andere Rebellionen wurden im Feld ausgetragen. Besonders in den 1730er und den 1770er Jahren herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände in Süd-Sulawesi, welche die Kompanie erst mit größeren militärischen Anstrengungen beenden konnte.1117 Die Niederschlagung solcher Erhebungen waren die einzigen größeren Einsätze, welche die niederländischen Garnison auf Fort Rotterdam aus dem Stadtbereich heraus ins Feld führte. Boné – Verbündeter und Vormacht Mit ihrem Hauptverbündeten, dem buginesischen Königreich Boné, hatte es die VOC kaum leichter. Schon früh wurde von Spannungen zwischen Arung Palakka, der krank und nach der Genesung schwermütig wurde, und dem Gouverneur in Makassar berichtet.1118 Die Kompanie warf ihm vor, unkontrollierte Raubzüge von Bugis-Banden im Landesinneren zu dulden. Es ist durchaus möglich, daß es sich dabei statt um „rooven“ um kriegerische Handlungen im Zusammenhang mit der Machtkonsolidierung Bonés handelte. Arung Palakka betrachtete sich wie seine 1115 ARA Den Haag, Memorie van overgave, Cornelis Sinkelaer, VOC 11254, 6.4.1767, 18. 1116 Ebd., Vertrag mit Sumbawa, 13.12.1748, Ministerie van Kolonien, Suppl.: Overeenkomsten en verdragen mit inlandse vorsten in Nederlands-Indie, Nr. 11: Gouvernement Celebes en onderhorigheeden, 1669 – 1800. 1117 BLOK, Beknopte geschiedenis, 22/23; HÄGERDAL, Hindu Rulers, 99/100. 1118 Generale Missiven IV, 23.11.1675, 54; ebd., 30.9.1676, 103/104. 416 Makassar und die VOC nach 1666/69 Nachfolger, welche seinen Namen als Titel weitertrugen, als eigentlicher Herrscher Süd-Sulawesis. Im Gegensatz zur Kompanie verfügte er über weitreichende Anerkennung in dieser Rolle, auch unter etlichen Vertretern der Makassaren oder Mandhar. Aus dem untergeordneten Führer von Hilfstruppen, wie noch auf Sumatra gegen die Minangkabau, war ein regionaler Herrscher geworden, der die Europäer nicht ungern aus seinem Machtbereich hätte abziehen sehen.1119 Unter Arung Palakka war Boné zu bislang ungekannter Machtfülle aufgestiegen. Die niederländischen Aufzählung der unter der Herrschaft Bonés stehenden mindere bondgenoten legen eine vollständige Herrschaft Arung Palakkas über Süd-Sulawesi nahe.1120 Die Art dieser Herrschaft basierte auf dem traditionellen System der Machtverteilung und ist daher unterschiedlich zu gewichten. Die durch ein entsprechendes Bündnis zugesicherte Loyalität eines Zwergkönigtums wie Tanette an der Küste nördlich Makassars war auf Grund der Kräfteverhältnisse weitaus unbedingter als diejenige des eine ganze Ethnie umfassenden Staates Mandhar. Es handelte sich mit Sicherheit um keinen völlig abgesicherten Herrschaftsbereich. Die Kämpfe um neue Austarierungen des regionalen Systems schwelten zumindest im Untergrund weiter. So vernahm Gouverneur Gobius Gerüchte, daß die Toraja Pläne schmiedeten, zusammen mit dem unbedeutenden Bugis-Staat Enrekan im Norden der Halbinsel gegen Boné zu den Waffen zu greifen.1121 Nur das Zusammenwirken der beiden einstmals verfeindeten, nun aber durch Heiratspolitik miteinander verbundenen Reiche Boné und Goa konnte die stabile Situation in der Region sichern.1122 Dies war jedoch bei weitem nicht im Sinne aller Beteiligten. Viele der geflohenen makassarischen Eliten kehrten allein deshalb nicht zurück, weil für sie die als demütigend empfundene Vorherrschaft Arung Palakkas inakzeptabel war und sie die Forderung aufstellten, nur von der VOC beherrscht zu werden.1123 Auch die Rivalität der einzelnen Bugis-Reiche untereinander flackerte immer wieder auf. Gerade die großen Staaten Wajo und Soppeng akzeptierten ihre 1670 per Dekret festgelegte Unterordnung nicht auf Dauer, sonder beriefen sich immer wieder auf eine Vereinbarung von 1582, in der ein gleichberechtigtes Bündnis dieser beiden Staaten mit Boné festgelegt worden war. Vor allem Arung Sengkang tat sich in dieser Hinsicht hervor; ihm gelang es 1735/36 in einem dreizehnmonatigen 1119 1120 1121 1122 Zur Rolle Arung Palakkas in der Nachkriegszeit siehe ANDAYA, Heritage, 228-299. So ARA Den Haag, Memorie van ovegave, Joan F. Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 58. Ebd. ARA Den Haag, Memorie van overgave, J. van Arrewijne, 21.5.1733, VOC 2285, Macassar, 1. Reg., 124. Auch unter der Bevölkerung Bonés und Goas stellte van Arrewijne eine zunehmende Vermischung fest. 1123 ANDAYA, Heritage, 217. Makassar, die VOC und das Hinterland 417 Krieg, diese Sichtweise gegen Boné gewaltsam durchzusetzen.1124 Zumindest formal hatte Boné einen Teil seiner Vormachtstellung wieder eingebüßt. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor schwelte im Inneren Bonés selbst. Arung Palakka, der charismatische Führer und Begründer der Vormachtstellung Bonés, war unter seinen Landsleuten weitgehend unumstritten. Nicht alle seiner Nachfolgern konnten dies ebenfalls von sich behaupten. Thronstreitigkeiten bestimmten wiederholt die innenpolitische Situation und destabilisierten nicht selten durch Auseinandersetzungen zwischen grenzüberschreitende Koalitionen die gesamte Südhalbinsel Sulawesis. Fort Rotterdam diente dabei nicht selten als Zuflucht für den augenblicklich unterlegenen Thronkandidaten. In solchen Fällen griff die VOC nur selten militärisch ein. Nur wenn sie die eigene Machtposition und die Integrität der eigenen Besitzungen gefährdet sah, erhielten Teile der Truppen auf Fort Rotterdam einen Marschbefehl. Viel eher versuchte man auf diplomatischem Wege Einfluß zu nehmen. Häufig begnügte sich der Gouverneur damit, die neuesten Entwicklungen in der Region in seinen halbjährlichen Berichten nach Batavia zu melden. Die Provinzen Durch den Makassarischen Krieg und den Vertrag von Bongaya, der die Grundstrukturen der Region für die Nachkriegszeit vorgab, war die niederländiche Ostindien-Kompanie nicht nur zu einem Machtfaktor in Süd-Sulawesi geworden, sondern im südwestlichen Teil der Halbinsel auch zum Territorialherren. Zahlreiche Verträge mit lokalen Fürsten festigten diese Position bis zum Ende der Kompanie in den 1790er Jahren. Rund um die neue Kolonialstadt Makassar herrschte sie auf klassische sulawesische Weise über eine große Zahl einheimischer Kleinfürsten. Ein wesentlicher Teil der Besitzungen der Kompanie erstreckte sich im Norden des Stadtgebietes. Er teilte sich in das Bergland von Maros und die Ebene zwischen diesem und der Küste auf. Beide Zonen waren wichtige Anbaugebiete für Reis und standen unter der Aufsicht einer in Maros residierenden Unterkaufmannes.1125 Das Zentrum des Kompanie-Besitzes entsprach im wesentlichen dem Kern des alten Goa-Tallo. „Een mijl noordlijker dan Tanaë ligt het dorp of Prinsdom Gelisson, zijnde maar een open vlek van weinig belang; en een mijl noordelijker intmoet men eerst het sterk kasteel Panakoke, daarna al aan dezelfde zijde, de stad en’t kasteel Samboepo en nog wat noordelijker ’t kasteel Oedjong Pandang (dat is, den Kijkhock) hedendaags met den naam van ’t kasteel Rotterdam bekend, waarbij de vermaarde stad Macasar 1124 NOORDUYN, Merchants’ Community, 105/106. 1125 BLOK, Beknopte geschiedenis, 72. 418 Makassar und die VOC nach 1666/69 ligt, [...]. Een groote mijl benoorden Macasar ligt de stad of het vlek Tello, de hoofdplaats van een koningrijk van dien naam, waar zich de wal al meer naar ’t N. ten O. draait. Bewesten Tello en ten N. van’tzelve, 2 of 3 mijlen ver vertoonen zich verscheiden reven, terwijl toen van deze plaats O. aan niet dan schoone gebergten, rijstvelden daarop en hier en daar zware bosschen heeft; die zich bijna tot den oosterwal en tot aan ’t meer Tempe, omtrent Tsjinrane uitstrekken. Vijf mijlen N. N. O. van Macasar, ontmoet men de stad Maros, [...].“1126 Diese Beschreibung von François Valentijn, der um die Wende zum 18. Jahrhunderts erstmals Makassar besuchte, erweckt wie schon bei den entsprechenden Passagen zu Vlaardingen teilweise einen falschen Eindruck. Gerade den Glissondern als eigenständige Gruppe im Volk der Makassaren kam einige Bedeutung zu. Ihre recht zahlreiche Beteiligung am privaten Seehandel wie auch ihre Rolle als Soldaten sprechen dagegen, daß sie nur die Bewohner eines bedeutungslosen Flecken gewesen sein könnten. Roelof Blok, der seine Kenntnisse nicht nur aus einigen Besuchen, sondern aus mehrjähriger Tätigkeit als Gouverneur bezog, betont, daß es sich bei ihnen um ausgezeichnete Soldaten handelte und sie darüber hinaus in der Region als die besten Seefahrer angesehen wurden.1127 Die südlichen Provinzen bestanden aus Bantaeng, Bulukumba und Bira. Am Fluß Kalekonkong lag die Schanze Carolina, in welcher der Resident der südlichen Provinzen seinen Sitz hatte. Diese beschrieb der Gouverneur Roelof Blok als außerordentlich fruchtbare Landschaften, ihre Bewohner als fleißige Paddybauern und Bootsbauer, als Hersteller grober Textilien und auch als gute Soldaten.1128 Bloks Ausführungen stehen stellvertretend für eine Vielzahl zeitgenössischer Äußerungen, die immer wieder die militärischen Fähigkeiten der einheimischen Bevölkerung und ihre große Bedeutung als Kaufleute betonen sowie auf die einheimische Textilproduktion hinweisen. Schließlich zählte noch die langgestreckte Insel Selayar an der Südspitze Sulawesis zum unmittelbaren Herrschaftsbereich der Kompanie, für die eine erwähnenswerte Baumwollverarbeitung konstatiert wurde.1129 Es handelte sich um eine der wenigen Besitzungen unter der Verwaltung von Fort Rotterdam, in welcher die VOC eine eigene Niederlassung unterhielt. Zwar war diese mit weniger als 30 Mann Besatzung klein und mit ihrem Pallisadenzaun auch nur wenig befestigt, doch hielt man das Eiland offenbar für wichtig genug, um ständig dort präsent zu sein. Die dort ansässige Baumwollzucht und -weberei mag für die Kompanie an sich keine sonderliche 1126 1127 1128 1129 VALENTIJN, Oost-Indiën III, 110. BLOK, Beknopte geschiedenis, 73. Ebd., 73-75. Ebd., 76/77. Makassar, die VOC und das Hinterland 419 Bedeutung gehabt haben, doch konnten sie durch ihre ständige Präsenz verhindern, daß auf dieser Grundlage ein neues kommerzielles Zentrum der Region entstand. Die Provinzen waren der Kompanie gegenüber tributpflichtig. Diese Abgaben wurden in der Regel in Form von Textilien („kleeden en cattoen“) fällig.1130 Die – je nach Quelle – 13 oder 14 Regenten, die sich die Herrschaft über Selayar unter einem König teilten, besuchten Makassar jährlich, um dort ihre Tribute abzuliefern. 1709 brachte der König von Selayar persönlich 357 grobe Tuche nach Fort Rotterdam.1131 Zur Zeit des Gouverneurs Joan Frederik Gobius bestanden die Abgaben Selayars aus insgesamt 180 Stück Textilien (kleeden) und 313 Kippen Salz.1132 Neben diesen Tributen hatte die Insel der Kompanie wenig von Interesse zu bieten, allenfalls „kalompang, en ijzen, houtebalken weinig hertshoorn“.1133 Der Tribut der Provinzen Bantaeng und Bulukumba war hingegen in Form von Paddy zu entrichten, der direkt für Ambon und Banda gedacht war und gelegentlich auch nach Banten verschifft wurde.1134 Der Nutzen der Provinzen hinsichtlich des Sappan- und Sandelholzertrages war ebenfalls gering; gelegentlich konnte hochwertiges Bauholz gewonnen werden.1135 Doch waren diese Bereiche keine Grundlage für ein wirtschaftlich hochwertiges Besitztum. Der Hauptnutzen lag vielmehr in den großen Reiserträgen der Südhalbinsel. In ihren eigenen Provinzen stand neben den Tributen der lokalen Herrschern, die eher politische als ökonomische Bedeutung besaßen, der VOC grundsätzlich ein Zehntel des Ernteertrages zu. Joan Frederik Gobius spricht von – je nach Ernte – zwischen 300 und 600 Lasten Reis im Jahr, welche der Kompanie überlassen wurden.1136 Sie bildeten zunächst einen wesentlichen Teil der Nahrungsgrundlage für die Garnison in Makassar und waren an zweiter Stelle für die Verschiffung zu den Niederlassungen auf den Molukken sowie erst an dritter Stelle für die Verschiffung nach Java vorgesehen. Immer wieder stellte die VOC-Leitung in Makassar Zahlen zusammen, welche den übergeordneten Stellen einen Eindruck von der Größe der sulawesischen Besitzungen vermitteln sollten.1137 Auf die Zahlen im einzelnen kann hier nicht detail1130 1131 1132 1133 1134 1135 1136 1137 ARA Den Haag, Memorie van overgave, Willem de Roo, VOC 1711, 133. Generale Missiven VI, 30.11.1709, 604. ARA Den Haag, Memorie van overgave, Joan F. Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 76. Ebd., 77. ARA Den Haag, Radicaale Beschryving van Macassar, VOC 4852, 11. Ebd., Memorie van overgave, Joan Frederik Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 81, 84 Ebd., 80. Hier zugrundegelegt: Generale Missiven V, 11.12.1692, 522; ARA Den Haag, Sommarium van de lijst ziel beschrijvinge, 24.10.1697, VOC 1595, Macassar, 320-322; ebd., VOC 1979, Macassar, 98/99 (1722); 420 Makassar und die VOC nach 1666/69 liert eingegangen werden, nicht zuletzt weil große Zweifel an ihrem Aussagewert angebracht sind. Nach diesen Werten war die eigentliche Stadt Makassar im 18. Jahrhundert nie größer als 5.000 bis 6.000 Einwohner. Dies entspräche weder den oben angeführten, weitaus größeren Vermutungen, noch wirkt dies im Vergleich zu den Schätzungen für die Vorkriegszeit wirklich überzeugend. Und auch in Anbetracht der zahlreichen kampung stößt man bei näherem Hinsehen auf Widersprüchlichkeiten. Es ist kaum anzunehmen, daß etliche solcher kampung nur aus wenigen Dutzend Einwohnern bestanden haben sollten, wie die überlieferten Listen vorgeben. Es darf vielmehr vermutet werden, daß die Zahlen der VOC zu niedrig angesetzt sind. Die Ursache hierfür ist in der Art der Informationsbeschaffung zu suchen. Für die Zeit der VOC-Herrschaft in Süd-Sulawesi sind keine echten ZensusErhebungen bekannt. Die Zahlen beruhen entweder auf Mitteilungen der indigenen Autoritäten, die kein sonderliches Interesse daran hatten, ihre Untertanenschaft groß und mächtig erscheinen zu lassen, oder auf den Schätzungen der Kompanie. Können solche Zahlen der Wissenschaft dennoch Informationen bieten? Zum einen lassen sie einen Anstieg der Bevölkerung nach dem Makassarischen Krieg bis in das dritte Quartal des 18. Jahrhunderts sowie einen danach einsetzenden Rückgang erahnen.1138 Die Ursache hierfür liegt weitgehend im Bereich der Spekulation. Für eine Migrationsbewegung vom Land in die regionale Metropole liegen in den Quellen keine Anhaltspunkte vor. Eher kann von einer Migration aus Sulawesi heraus zu neuen Ansiedlungsgebieten angenommen werden. Immerhin waren in der Folge des Makassarischen Krieges Diaspora-Ansiedlungen von Einwohnern Süd-Sulawesis im Malaiischen Archipel entstanden, die als erstes Ziel dienen konnten. Ein solches Verhalten zur Lösung politischer wie ökonomischer Probleme war in Sulawesi nicht erst seit den Auseinandersetzungen mit der VOC bekannt. Selbstverständlich können darüber hinaus demographische Gründe nicht ausgeschlossen werden, doch sind hierfür keine ausreichenden Zeugnisse bekannt. Zum anderen können die hier angeführten Daten die Zusammensetzungen und Verhältnisse innerhalb der süd-sulawesischen Bevölkerung verdeutlichen, wenn auch nicht in absoluten Zahlen.1139 Sie können als Hinweis auf eine dicht besiedelte Region gewertet werden, da die Zahlen für das Umland und die relativ kleine Insel ebd., VOC 2533, Macassar, 1096 (1740); ebd., VOC 2990, Macassar, 1. Reg., 56 (1760); ebd., VOC 3302, Macassar, 48 (1770). 1138 Für das späte 17. Jahrhundert geht die VOC von rund 26.000 Untertanen aus. Die Entwicklung im 18. Jahrhundert: 47.549 Personen in 1722, 46.201 in 1740, 54.041 in 1760, 41.261 in 1770. 1139 So machten 1722 die Europäer (Kompanie-Bedienstete und freie Bürger) 6,4%, Chinesen 1,9%, Malaiien 1,9% und Inder 0,8% der gesamten unter VOC-Verwaltung stehenden Bevölkerung aus. Makassar, die VOC und das Hinterland 421 Selayar diejenigen der Metropole Makassar deutlich überstiegen, und sie verweisen auf besonders große Bevölkerungszahlen in den für den Reisanbau günstigen Teilregionen. Hinsichtlich der Größenordnungen ist das Zeitalter der VOC – obwohl ihre Akten so viele Zahlen enthalten – leider genauso vage wie die vorangegangenen Jahrzehnte und Jahrhunderte. Die Situation auf Sumbawa Da Sumbawa seit den 1630er Jahren unter der Herrschaft Goa-Tallos gestanden hatte, war die niederländische Kompanie in der Nachfolge des geschlagenen Reiches auch zur Vormacht auf dieser Insel geworden. Sie zählte nicht wie die Landstriche auf der Südhalbinsel Sulawesis unmittelbar zu den Provinzen der VOC, sondern war durch verschiedene Verträge ihrer Einzelstaaten an die Kompanie gebunden. Joan Frederik Gobius erwähnt sechs Königreiche auf Sumbawa, die sämtlich per Vertrag „haren schut en scherm“ ausschließlich bei der VOC fanden: Bima, Dompo, Sumbawa, Tambora, Sangar und Pekat. Dabei betont er, daß sich die Bezeichnung ‚Bima’ im Vertrag von Bongaya auf die gesamte Insel Sumbawa bezieht. Diese Sichtweise kann natürlich eine nachträgliche Interpretation der VOC darstellen, doch korrespondiert sie mit der zeitgenössisch üblichen Gleichsetzung der Insel mit ihrem einflußreichsten Staat. Auch Gobius verweist darauf, daß Bima eine Stellung auf Sumbawa einnahm, die mit derjenigen Bonés in Süd-Sulawesi vergleichbar war. Bimas Einflußsphäre reichte sogar noch darüber hinaus. Nach dem Ende der Vorherrschaft Goa-Tallos standen Sumba und Mangarai auf Flores faktisch unter der Herrschaft des Königs von Bima, mit Ausnahme der Strandsiedlung Pota, die sich die Makassaren angeeignet hatten.1140 1674 wurde der erste Vertrag zwischen dem Sultanat Sumbawa und der VOC geschlossen.1141 Er regelte vor allem das Verbot privater Schiffahrt zwischen Makassar und Sumbawa und setzte die Kompanie als Oberherrscher über das Sultanat ein. Ein weitaus späteres, am 13. Dezember 1748, abgeschlossenes Vertragswerk betont noch einmal die Handelsbeschränkungen, die einzuhalten und durchzusetzen sich der Herrscher von Sumbawa verpflichtete.1142 Wajos und Makassaren ohne den ob1140 Ebd., Memorie van overgave des Joan Frederik Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 68-72; siehe auch LOTEN, Memorie, 28. 1141 NOORDUYN, Bima en Sumbawa, 10. 1142 ARA Den Haag, Vertrag mit Sumbawa, 13.12.1748, Ministerie van Kolonien, Supplement: Overeenkomsten en verdragen mit inlandse vorsten in Nederlands-Indie, Nr. 11: Gouvernement Celebes en onderhorigheeden, 1669 – 1800. 422 Makassar und die VOC nach 1666/69 ligatorischen niederländischen Paß sollten in den Häfen Sumbawas nicht mehr zugelassen werden (§ 4). Auch andere asiatische Nationen erhielten diese Erlaubnis nur mit Zustimmung der Kompanie; namentlich aufgeführt wurden Inder, Javaner, Malaiien, Acehnesen, Thailänder und Molukker (§ 5). Die Kompanie behielt sich des weiteren den Zugriff auf einige besondere Güter Sumbawas vor, insbesondere auf Sappanholz, wilden Zimt und Schildpatt (§ 6). Zudem enthält der Vertrag eine Preisfestlegung für Reis und katjang für Notzeiten sowie die Bestimmung, daß die VOC nie mehr als den „markgangs prijs“ in normalen Zeiten bezahlen mußte (§6). Alle niederländischen Silbermünzen waren bei diesen Handelsbeziehungen in Sumbawa zu akzeptieren (§7). Diese Kernbestimmungen – Festlegung des sumbawanischen Vertragspartners auf das Paßsystem der VOC, Monopol bei bestimmten Luxusgütern der Insel für die Kompanie, Preisregulierungen für Massengüter und Sicherstellung der Akzeptanz üblicher niederländischer Zahlungsmittel – bestimmten auch sämtliche Verträge mit den anderen Sultanaten auf der Insel. Die Verträge sollten eine Einbeziehung der Insel Sumbawa in das kompanieeigene Wirtschaftssystem und den günstigen Zugang zu den interessanten Produkten des Landes sicherstellen. Eine territoriale Herrschaft über Sumbawa lag der Kompanie fern. Entsprechend gestaltete sich die Präsenz der VOC auf der Insel. In der Hauptstadt des Königreiches Bima war ein Vertreter der VOC ansässig, der zwar als Resident in Bima bezeichnet wurde, jedoch für die gesamte Insel Sumbawa zuständig war.1143 In den Anfangszeiten bestand durchaus der Wunsch der sumbawanischen Herrscher, diese Präsenz nicht nur zu erhalten, sondern auch auszubauen. Der Generalgouverneur in Batavia berichtete im Januar 1675 von einem solchen Fall: „Hoedanigh wij op sijn [d.i. der König von Bima] ernstigh begeerte, dat den cap.n Jan Francen op Biema voor een off 2 jaren als resident moght blijven continueren, geaccordeert hebben, indien de gelegentheyt en de tijden sulx toelieten, den ondercoopman De Bocq met 3 à 4 Nederlanderen bij provisie daar te plaetsen, behoudens dat sij deselve vooreerst van woninge versorgden en van overlast bevrijden, totdat wij quamen te ondervinden, off uyt de negotie daar in loco de ongelden van een permanente residentie soude kunnen vervallen, gelijq te vermoeden is van jae en twelq men in corten sal kunnen weeten.“1144 Die Residenz in Bima wurde bald personell aufgestockt. In der Regel bestand die Besatzung aus 20 bis 25 Mann. Dem Unterkaufmann, der die Rolle des Residenten übernahm, standen ein Chirurg, ein oder zwei Handwerker und ein Kontingent Soldaten unter dem Kommando eines Sergeanten zur Seite. Es blieb allerdings dauerhaft bei dieser einen Niederlassung der VOC auf der Insel. Die anderen, ebenfalls 1143 Ebd., Memorie van overgave, Cornelis Sinkelaer, 6.4.1767, VOC 11254, 31. 1144 Generale Missiven IV, 31.1.1675, 2. Makassar, die VOC und das Hinterland 423 vertraglich an die Kompanie gebundenen Sultanate, konnten nur gelegentlich von VOC-Bediensteten besucht werden. Daneben wurde der Kontakt durch Besuche der lokalen Herrscher beim Gouverneur in Makassar aufrecht erhalten. Regelmäßig erschienen größere prahu-Flotten zum Staatsbesuch in Makassar, so daß ein regelmäßiger, wenn auch vielleicht nicht alljährlicher Kontakt zu den einzelnen Königreichen bestehen blieb. Solche Kontakte waren nicht zuletzt zur Sicherstellung der Tributzahlungen nötig. Wie die lokalen Herrscher in den süd-sulawesischen Provinzen waren die weitaus größeren Sultanate auf Sumbawa der Kompanie gegenüber tributpflichtig. Ihr Augenmerk richtete die Kompanie im wesentlichen auf das kostspielige Sappanholz, das für hochwertige Färbeprozesse vor allem in China eingesetzt wurde und daher nicht unwesentliche Bedeutung für den ‚country trade’ hatte. Die entsprechenden Lieferungen waren jedoch nicht unproblematisch. 1676 schuldete der Reichsverweser von Sumbawa der VOC Sappanholz in der Größenordnung von 15.000 pikul, wußte jedoch nicht, wann er diese Menge zusammenbekommen könnte, da gerade Krieg mit Bali herrschte.1145 1702 lagen 1.500 pikul Sappanholz in Bima bereit, nachdem bereits 7.661 pikul mit drei Schiffen nach Makassar gebracht worden waren. Mehr war in Bima nicht mehr vorhanden, jedoch in anderen Regionen der Insel. In Sumbawa wurde in diesem Jahr mit 2.000 pikul gerechnet, in Dompo sogar mit 8.000 pikul.1146 Trotz steter Streitigkeiten hinsichtlich der Sappanholzlieferungen, die sich in umfangreichen Briefwechseln in den Akten der VOC niedergeschlagen haben, konzentrierte sich die Kompanie letztendlich ganz auf diese Form der Tributzahlung.1147 Auf Sumbawa herrschte lange Zeit eine relativ stabile Lage. Die Vorschriften der VOC, nichts zu unternehmen, wodurch Goa-Tallo wieder an Einfluß gewinnen könnten, wurden durch mehrfache Eheschließungen zwischen Angehörigen des Königshauses Sumbawa und des makassarischen Herrschergeschlechts zwar untergraben,1148 doch blieb dies zunächst ohne tiefgreifenden Einfluß auf die Strukturen der Region. Es waren interne Thronstreitigkeiten, die 1763 den Sultan von Sumbawa in Bedrängnis brachten, als er von balinesischen Truppen belagert wurde. Die VOC kam ihm mit einem Expeditionschor unter dem Kommando der Residenten 1145 1146 1147 1148 Ebd., 28.11.1676, 139. Generale Missiven VI, 30.11.1702, 195. ARA Den Haag, Memorie van overgave, J. van Arrewijne, 21.5.1733, VOC 2285, Macassar, 1. Reg, 134. NOORDUYN, Bima en Sumbawa, 11. 424 Makassar und die VOC nach 1666/69 von Bima und Saleyer erfolgreich zur Hilfe.1149 Vom Königreich Bima gingen zur gleichen Zeit neue Expansionsbestrebungen aus. So nahm 1762 eine Expedition aus Bima die Landschaft Mangarai auf Flores und die Negorije Rheo dort in Besitz und vertrieb die ansässigen Makassaren.1150 In diesem Zusammenhang schloß 1765 Gouverneur Cornelis Sinkelaer unter massiver Androhung militärischen Drucks einen neuen Vertrag mit Sumbawa und Bima. In diesem verpflichteten sich beiden Staaten, ihre Loyalität zur VOC zu bewahren, „fremde“ Händler aus ihren Landen fernzuhalten sowie Tribute und Reparationen in Form von Sappanholz und Sklaven zu entrichten. Die Kompanie erhielt das Recht, jederzeit Niederlassungen in Bima oder Sumbawa zu errichten, was allerdings außerhalb der Residenz in Bima-Stadt nie geschah.1151 Der Vertrag diente zwar zur Beruhigung der Lage auf Sumbawa, doch wurde die Insel bald erneut in kriegerische Auseinandersetzungen hineingezogen. Als im Jahr 1776 der Makassare Sangkilang einen Aufstand gegen die VOC in Süd-Sulawesi anzettelte, setzten zahlreiche Sumbawaner nach Sulawesi über und beteiligten sich auf Seiten der Rebellen an den Kämpfen. Gleichzeitig unternahm der Sultan von Sumbawa einen Überfall auf den Nachbarstaat Dompo, der eindeutig gegen die getroffenen vertraglichen Vereinbarungen mit der Kompanie verstieß. Die Kompanie blieb auf Sulawesi siegreich, und der Überfall Sumbawas konnte durch den Residenten in Bima zusammen mit den anderen einheimischen Bundesgenossen auf der Insel zurückgeworfen werden. Doch die feindselige Haltung Sumbawas gegenüber der Kompanie blieb bestehen und zog sich in Gestalt kleinerer Schamützel bis weit in die koloniale Epoche der indonesischen Geschichte hinein.1152 Sekundäre Einflußzonen der VOC Die Insel Buton vor der südöstlichen Halbinsel Sulawesis spielte für die VOCNiederlassung in Makassar eine besondere Rolle, obwohl sie weder zu den Provinzen unter ihrer Verwaltung noch zu den tributpflichtigen abhängigen Herrschaften gehörte. Das Königreich Buton war schon lange vor der Eroberung Makassars einer der engsten und zuverlässigsten, wenn auch nicht der potentesten Verbündeten der Kompanie im Malaiischen Archipel. An diesem Verhältnis änderte sich auch nach 1149 1150 1151 1152 Ebd., 11/12. ARA Den Haag, Memorie van overgave, Cornelis Sinkelaer, 6.4.1767, VOC 11254, 26/27. Abgedruckt in NOORDUYN, Bima en Sumbawa, 125-130. Ebd., 13. Makassar, die VOC und das Hinterland 425 dem Makassarischen Krieg nichts. Cornelis Speelman würdigte ausdrücklich die wichtige Rolle, die Buton in dieser Auseinandersetzung gespielt hatte.1153 Der Regierung von Buton, die aus einem König, einem Reichsverweser und dreißig Reichsräten bestand,1154 wurde weiterhin Beistand gewährt. So reiste 1692 der Unterkaufmann Johannes Junius an den Hof von Buton, um Beratungen zu führen, wie eine Bedrohung durch 7.000 Balinesen abgewendet werden könnte.1155 Häufig genügte die enge Verbindung zwischen Buton und der bekanntermaßen militärisch starken Kompanie, um für das kleine Inselkönigtum für Sicherheit zu sorgen. Die Hauptstadt des Staates blieb entsprechend regelmäßig Anlaufpunkt niederländischer Fahrten in den Osten des Einflußbereiches von Fort Rotterdam. Außerdem bestand im 18. Jahrhundert fast durchgehend eine Residenz der Kompanie auf Buton, die in Umfang und Struktur derjenigen auf Bima glich. Der Beistand der mächtigen Kompanie hatte seinen Preis. In einem Vertrag zwischen der VOC und Buton vom 22.3.1766 wurde bestimmt, daß der König dafür Sorge zu tragen hatte, daß keine molukkischen Gewürze auf seiner Insel kultiviert wurden.1156 Sollten doch solche Kulturen festgestellt werden, hatten sie der Vernichtung durch die VOC anheim zu fallen. Zudem wurde festglegt, daß alle Nationen, die im Frieden mit der Kompanie lebten, auf Buton dem Reishandel nachgehen durfte - namentlich erwähnt wurden Händler aus Batavia, Java und Palembang –, nicht aber die Makassaren. Es waren solche Regelungen, die dafür sorgten, daß die Beziehungen zwischen Fort Rotterdam und dem König von Buton nicht immer ungetrübt waren. Die Verhaltensweise des letzteren gegenüber sogenannten Schmugglern und vermeintlich illegalen Gewürzkulturen waren den verantwortlichen Niederländern nicht selten zu liberal. Regelmäßig fanden an den Küsten der Insel exstirpatien, also gewaltsame Beseitigungen von Nelken- oder Muskatpflanzungen statt. Auf der Südhalbinsel Sulawesis selbst führte die herausgehobene Stellung der VOC und ihr Bündnis mit der regionalen Vormacht Boné zu natürlichen Reibungsflächen mit den unmittelbaren Nachbarn. Dies waren vor allem die größeren BugisReiche wie Soppeng, Luwu oder Wajo, die zum Teil von Anfang an Verbündete Arung Palakkas waren, zum Teil jedoch ursprünglich auf der Seite Goa-Tallos gestanden hatten. Die VOC bemühte sich durch den Abschluß einer Vielzahl an Ver- 1153 1154 1155 1156 SCHOORL, Buton, 55. ARA Den Haag, Memorie van overgave, Joan F. Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 67. Ebd., Bericht des Unterkaufmanns Johannes Junius, VOC 1535, Macassar, 527-532. Ebd., Vertrag mit Sumbawa, 13.12.1748, Ministerie van Kolonien, Suppl.: Overeenkomsten en verdragen mit inlandse vorsten, Nr. 11: Gouvernement Celebes en onderhorigheeden, 1669 – 1800. 426 Makassar und die VOC nach 1666/69 trägen um ein ausgeglichenes Verhältnis mit diesen Nachbarn. Angestrebt wurde eine große süd-sulawesische Allianz, die alle durch regionale Rivalitäten hervorgerufenen Auseinandersetzungen vermeiden helfen sollte. Auch wenn es zu gelegentlichen militärischen Bündnissen zwischen Wajo und Mandhar kam,1157 blieb das weitverzweigte Netzwerk verschiedener Beistandspakte weitgehend stabil. Die Kompanie hatte mehr mit makassarischen Rebellionen im eigenen unmittelbaren Machtbereich zu kämpfen als mit Allianzen von Bugis und Mandhar. Verträge wurden auch mit dem etwas außerhalb der VOC-Reichweite liegenden, jedoch rivalisierenden Mandhar geschlossen.1158 Die große Bedeutung dieser seefahrenden Nation war der Kompanie durchaus bekannt. Neben den Verträgen standen auch bewaffnete Fahrten vor diese Küste, die vor allem als Demonstration der Stärke zu verstehen waren, auf der Tagesordnung.1159 Wirkliche Kriege gegen die Mandhar wurden nicht geführt, wie auch ihre Handelsflotten im wesentlichen unbehelligt blieben. Weitere Vorherrschaftsansprüche erhob die VOC hinsichtlich der Inselwelt im Süden und Südosten Sulawesis. Im ersten Fall handelte es sich im wesentlichen um die kleinen Insel der Bonerate-Gruppe, im letzteren um das Tukangbesi-Archipel sowie die verstreuten Eilande vor Buton. Ein Kontakt zu all diesen Inseln konnte allerdings nur durch gelegentliche krijstochten aufrecht erhalten werden. Niemals bestand dort eine dauerhafte Präsenz der Kompanie. Diese verfügte zudem über keine wirkliche Ortskenntnis in diesen maritimen Regionen, wie das vorsichtige Vorantasten so mancher Kriegsfahrt durch den aus winzigen Inseln und gefährlichen Riffen bestehende Tukangbesi-Archipel zeigt. Die reale Präsenz der VOC Faßt man zusammen, was in verschiedener Form zum Einflußbereich der VOCNiederlassung in Makassar zählte, so sind der Süden der Insel Sulawesi, die unmittelbar vorgelagerten Inseln, die Insel Sumbawa und die Flores-See, also der Seeraum zwischen Sulawesi im Norden und Sumbawa und Flores im Süden, einschließlich der dortigen Inselwelt mit den Archipels Sabalana, Takabonerate, Bonerate und 1157 LOTEN, Memorie, 8. 1158 So am 10.10.1674 und am 13.12.1748 (ARA Den Haag, Ministerie van Kolonien, Supplement: Overeenkomsten en verdragen mit inlandse vorsten in Nederlands-Indie, Nr. 11: Gouvernement Celebes en onderhorigheeden, 1669 – 1800). 1159 ARA Den Haag, VOC 1312, 2111-2118, VOC 1775, 84-114 Makassar, die VOC und das Hinterland 427 Tukangbesi zu nennen. Es muß allerdings betont werden, daß Einflußbereich nicht gleichbedeutend war mit physischer Präsenz. Militärisch relativ stark war die Kompanie nur im eigenen Herrschaftsbereich vertreten, und auch dort vorrangig nur in Fort Rotterdam. Schon die Schanze Valckenburg in Maros war mit 30 bis 40 Soldaten Besatzung lediglich ein kleiner Vorposten. Daneben war die Kompanie in Gestalt von Residenzen noch in Bantaeng, auf Selayar und Buton sowie in Bima präsent. Das militärische Potential dieser Residenzen war bei einer Stärke von 20 bis 30 Mann beschränkt, konnte jedoch im Krisenfalle von Makassar aus verstärkt werden. Darüber hinaus wurde eine Präsenz auf hoher See aufrecht erhalten, wofür jedoch maximal sechs kleinere bewaffnete Schaluppen und pencalang zur Verfügung standen. Die Regel waren krijstochten, die von einem oder zwei Schiffen durchgeführt wurden. Diese Form von Präsenz beschränkte sich letztendlich auf Stichproben. Insgesamt lassen sich vier verschiedene Präsenzzonen der VOC innerhalb des engeren Zuständigkeitsbereiches der Faktorei Makassar unterscheiden: (1) eine Zone der Territorialherrschaft („koloniale Zone“): Hierbei handelte es sich um die Stadt Makassar und die nördlichen und südlichen Provinzen. Entweder wurde unmittelbare Herrschaft ausgeübt wie in Teilen der Stadt Makassar, oder – und dies trifft auf den Großteil des Territoriums zu – indirekte Herrschaft über unterworfene Vasallen, die auf einer niedrigeren Ebene weiterhin souverän, auf der regionalen Ebene jedoch von der VOC abhängig waren. Grundlage für diese Zone waren die Eroberungen im Makassarischen Krieg, weswegen Goa und Tallo die prominentesten abhängigen Vasallen waren. Daneben nahm Selayar eine herausgehobene Stellung ein. (2) eine Zone der Vorherrschaft über vertraglich gebundene und tributpflichtige Staaten außerhalb des eigentlichen VOC-Territoriums: In diese Kategorie gehörte ausschließlich die sechs Königreiche der Insel Sumbawa, zu der die Kompanie Vertragsbeziehungen unterhielt. Ihre Präsenz wurde durch eine Residenz in der Hauptstadt Bimas sichergestellt, die auf Grund ihrer Größenordnung jedoch keine unmittelbare Herrschaft ausüben konnte. (3) eine Zone des Einflusses über Verträge unter gleichrangigen Vertragspartnern: Hier sind die Bugis-Staaten Süd-Sulawesis, allen voran Boné, sowie das Inselreich Buton anzusprechen. Mit Einschränkungen mag auch Mandhar in diese Kategorie zählen, da auch mit diesem Staat Abkommen getroffen worden waren. Allerdings kann im Falle Mandhars kaum von Einfluß, auch nicht von diplomatischem, die Rede sein. Die Gleichrangigkeit der Vertragspartner bestand zumin- 428 Makassar und die VOC nach 1666/69 dest formal, in Fällen wie Boné war sie jedoch tatsächlich gegeben. Die VOC verzichtete in dieser Zone weitgehend auf militärische Interessendurchsetzung. Wenn sie militärisch aktiv wurde, dann nur in Koalition mit einer der regionalen Mächte. (4) eine Zone der lediglich beanspruchten Vorherrschaft auf der Grundlage bestimmter machtpolitischer Grundsätze – Kontrolle über den Handel, Bekämpfung von Schmuggel und illegalen Pflanzungen: Dies bezieht sich auf die Inseln der Flores-See und mit Einschränkungen auf die südöstliche Halbinsel Sulawesis. In dieser Zone war keine beständige Herrschaftsausübung oder auch nur Kontrolle möglich und anfangs sicherlich auch nicht beabsichtigt, da diese Gegenden von der VOC nicht als wichtig eingestuft wurden. Es blieb in diesen Gewässern bei gelegentlichen Kontrollfahrten. Betrachtet man die erste Zone als Territorium der VOC, hatte sich die Kompanie im Prinzip als zusätzlicher „Staat“ in das vor dem Krieg bestehende politische System Süd-Sulawesis eingebunden. Die VOC selbst mag dies anders gesehen und die bondgenooten vorrangig als koloniale Untertanen betrachtet, vielleicht auch gelegentlich so behandelt haben, doch änderte dies nichts an der politischen Realität. Eine Realität, die von der Kompanie mit den im Gouvernement Makassar ständig bereitstehenden Mitteln nicht geändert werden konnte. Hohe Bedeutung kam in dieser Situation der Diplomatie zu, wie scheidenden Gourverneure ihren Nachfolgern gegenüber immer wieder betonten.1160 2. Die wirtschaftliche Perspektive Die wirtschaftliche Bedeutung des Binnenlandes Makassar war vor der Eroberung eine primär auf das Meer ausgerichtete Stadt, die ihre Bedeutung durch die Funktion als maritimes Emporium erlangt hatte. An dieser Ausrichtung änderten die neuen Herren nichts. Auch die VOC war vornehmlich maritim ausgerichtet, auch wenn sie sich lukrative Geschäfte zu Lande, wie die Ausbeutung von Edelmetallminen, nur ungern entgehen ließ. Das Hinterland Makassars bot allerdings dank seiner natürlichen Ausstattung Möglichkeiten, die neben der Agrarwirtschaft, die über den Reisanbau hinaus auch Plantagenprojekte ermög1160 Ebd., Memorie van overgave, Cornelis Sinkelaer, VOC 11254, 4.6.1767, 2. Makassar, die VOC und das Hinterland 429 lichte, auch den einen oder anderen Wirtschaftszweig lukrativ erschienen ließen.1161 Schon Speelman erwähnt in seiner Notitie eine Baumwollplantage in der Nähe der Stadt, deren Vernichtung er nicht für erforderlich hielt, da sie vor allem die Beschäftigung von Frauen und Kindern sicherstellte.1162 Speelman sah in dieser Rohstoffproduktion keine ernsthafte Gefährdung für die Handelstätigkeiten der VOC. Obwohl sie die Grundlage für Textilien aus einheimischer Produktion darstellten, beurteilte er die Absatzchancen der Kompanie auf dem Textilmarkt positiv. Dennoch sollte die Bedeutung solcher indigener Baumwollpflanzungen nicht unterschätzt werden. Zwar importierte Makassar auch im 18. Jahrhundert Rohbaumwolle, doch läßt die Tatsache, daß einheimische Textilien zum Export bereit standen, also mit Überschuß produziert wurden, auf zusätzliche lokale Rohstoffquellen schließen. Die Baumwollkulturen Süd-Sulawesis blieben für die Europäer weitgehend uninteressant; Kaffee oder andere Plantagengüter im Hinterland Makassars wurden erst während der Kolonialzeit relevant, also im Laufe des 19. Jahrhunderts. Doch versuchten sich Europäer gelegentlich in einer anderen Sparte des cash cropping, die sich im Hinterland anzubieten schien: An den Flußufern waren die Bodenverhältnisse gut genug, um Indigo anzubauen. Dies wurde unter VOC-Regie zumindest zu Beginn des 18. Jahrhunderts getan.1163 In den Generalen Missiven von 1700 findet sich ein Vermerk: „Indigobereiding in Zuid-Celebes aangemoedigd.“1164 Neben den Versuchen der Kompanie kam es gelegentlich auch zu privaten Initiativen. So hielten sich zwei europäische „Indigomacher“ zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Pulangbangking auf. Ihre Unternehmung war nicht vom Glück verfolgt. Berichtet wurde von einer verlorenen Ernte und der darob angestellten Mutmaßung, daß Indigo in Maros besser gedeihe.1165 Doch auch in Maros blieben die Versuche ohne angemessenen Erfolg, ebenfalls in Boné.1166 Zwar waren die natürlichen Bedingungen wahrscheinlich durchaus geeignet für den Indigo-Anbau, doch wurden nach diesen gescheiterten Versuchen keine weiteren mehr unternommen. Der Aufwand, den man hätte treiben müssen, um die Fehlschläge zu überwinden und Kulturen aufzubauen, die den etablierten gegenüber konkurrenzfähig gewesen wären, war letztendlich zu hoch. 1161 Die günstige Agrarsituation betonen noch in kolonialer Zeit MILBURN, Oriental Commerce II, 409, und EERDMANS, Landschap Gowa, 11/12. 1162 ARA Den Haag, Notitie des Cornelis Speelman, Aanwinsten 1524: 1926 I 10-11, 542/543. 1163 ARA Den Haag, Bericht von Philip Aartszoon und Jan Hendrik Tekelenburgh, 12.9.1706, VOC 1728, 251-254, insbes. 253. 1164 Generale Missiven VI, 16.2.1700, 106; Zitat aus der sinngemäßen Zusammenfassung. 1165 Ebd., 30.11.1706, 423. 1166 Ebd., 30.11.1709, 607. 430 Makassar und die VOC nach 1666/69 Von weitaus größerer wirtschaftlicher Bedeutung waren die Bewohner des Hinterlandes. Die Bugis waren allgemein als geschäftstüchtig bekannt, allerdings zumeist auf Grund ihrer hohen seefahrerischen Kompetenz und der daraus resultierenden Beteiligung am maritimen Handel. Über eine solche allgemeine Beurteilung hinaus fiel die Untergruppe der Wajos auf. Ihre Angehörigen galten als die bedeutendsten Händler der Südhalbinsel – einerseits zur See wie alle Bugis, andererseits aber auch und gerade im Handel zu Lande. „Several people [der Wajos] were rich in merchandise. Some owned big seagoing ships, such as konténg and padéwakeng, others were ship captains and sailed far and near over sea. There were traders who traveled to and from Tosora in Wajoq, shop owners (paggaddé) who sold cloth, household goods, etcetera, and pedlars (paléléang) who visited villages and hamlets throughout the country.“1167 Es waren zuallererst die Wajos, welche für den Warenzufluß aus dem Landesinneren sorgten. Nicht zufällig bildeten sie in Makassar vor wie nach der Eroberung eine der größten ethnischen Gruppen. Auch die Torajas unterhielten durchaus Handelsverbindungen nach Makassar. Sie kauften hier bei Chinesen und bei der Kompanie vor allem Textilien ein.1168 Sie finden in den offiziellen Verzeichnissen der Kompanie wahrscheinlich deshalb kaum Beachtung, da diese einseitig auf den maritimen Handel ausgerichtet waren, während die Toraja das einzige Volk der Südhalbinsel waren, daß völlig ohne Kontakte zur Seefahrt lebte. Reisanbau Bereits für den Aufstieg des Emporiums Makassar im 16. und frühen 17. Jahrhundert war der Anbau und der Export von Reis von einiger Bedeutung gewesen. Zur Zeit der VOC hatte sich nichts an der dominierenden Stellung der Naßreisfelder im Hinterland Makassars geändert. Beinahe die gesamte Bevölkerung war in der Landwirtschaft tätig, die meisten von ihnen im Reisanbau, obwohl der Reis nur in den Tälern Hauptnahrungsmittel war; auf den Hochflächen nahm der djagong, der dort ebenfalls in großen Mengen angebaut wurde, seine Stellung ein.1169 Neben den unmittelbar hinter der Stadt liegenden Reisanbaugebieten, die von Makassaren besiedelt wurden, bestanden nach dem Bericht Speelmans auch in Wajo bedeutende Kul- 1167 NOORDUYN, Merchants‘ Community, 100. 1168 ARA Den Haag, Memorie van overgave, J. van Arrewijne, 21.5.1733, VOC 2285, Macassar, 1. Reg., 157/158. 1169 EERDMANS, Landschap Gowa, 15 und 17/18. Makassar, die VOC und das Hinterland 431 turen dieses Grundnahrungsmittels.1170 Nicht zuletzt bildeten sie eine Grundlage für den erfolgreichen Binnenhandel der Wajos. Rund 80% des Reis wurde während der Kolonialzeit in sawahs angebaut, den traditionellen Naßreisfeldern. Nur auf schlechten Böden wurden spezielle tuinen angelegt. In den Tälern existierten nur wenige Wasserleitungen, während auf den Hochebenen den Reisbauern gut instandgehaltene Leitungen in großer Zahl zur Verfügung standen. Dennoch kamen Streitigkeiten um Wasserrechte nur selten vor und konnten in der Regel von den lokalen Oberhäuptern geregelt werden. In der Region waren insgesamt 60 Sorten Reis bekannt, die in den Tälern einmal, auf den Hochebenen auch zweimal im Jahr geerntet werden konnten. Zwischen Anpflanzung und Ernte lagen in der Regel 90 bis 120 Tage. Aussaat, Anpflanzung und die Pflege der Felder war Männerarbeit; geerntet wurde von allen.1171 Im Jahr 1689 wurde seitens der VOC betont, daß der Reisanbau bei Makassar zu Gunsten der Kompanie gefördert werden müßte. Diese Forderung entstand nicht zuletzt vor dem Hintergrund, daß der Transport aus Bengalen oder Siam zu kostspielig war, wenn Java nicht ausreichend Reis liefern konnte.1172 Die VOC hatte sich schnell von der Bedeutung des Reisanbaus in Süd-Sulawesi überzeugt. Nach dem Vertrag von Bongaya waren ihr die reisbaubetreibenden Gebiete des ehemaligen Goa-Tallo abgetreten worden. Entsprechend konnten dort Abgaben erhoben werden; ein Zehntel der jeweiligen Reisernte gehörte der Kompanie.1173 Durch den europäischen Einfluß fanden, wenn auch erst spät, zusätzlich auswärtige Agrarprodukte Eingang in die makassarische Landwirtschaft. Kartoffeln fanden eine weite Verbreitung in Süd-Sulawesi. An den Ufern des Berang wurde nach und nach der Tabak als Plantagenprodukt heimisch. Und ab 1840 wurden sogar Kaffeekulturen angelegt.1174 Goldbergbau Es ist eine Konstante in der Geschichte der Europäischen Expansion: wo immer Europäer in Übersee Gold witterten, ließen sie nichts unversucht, die Vorkommen auszubeuten. Die Ostindische Kompanie machte dabei keine Ausnahme. Dem Charakter ihrer Gesellschaft entsprechend ging es dabei weniger abenteuerlich, sondern 1170 1171 1172 1173 1174 ARA Den Haag, Notitie des Cornelis Speelman, Aanwinsten 1524: 1926 I 10-11, 587. EERDMANS, Landschap Gowa, 16/17. ARA Den Haag, Missive, 30.9.1689, Collection Hope, Nr. 119. EERDMANS, Landschap Gowa, 16/17. Ebd., 18-20. 432 Makassar und die VOC nach 1666/69 vielmehr kaufmännisch-professionell zu. Einen besonderen Bekanntheitsgrad in diesem Zusammenhang hat der Goldbergbau auf Sumatra zwischen 1670 und 1737 erlangt, bei dem deutsche Bergfachleute zum Einsatz kamen.1175 Auch im Hinterland Makassars wurden Goldvorkommen bekannt, die von Einheimischen bereits oberflächlich ausgebeutet wurden. Im Oktober 1691 erfuhr die Leitung der VOC in Makassar, daß bei der Ortschaft Gantarang am Fuß der Berge zwischen Labakkang und Segeri ergiebige Goldvorkommen ausgebeutet wurden. Gegen ein Viertel bis zu einem Drittel des Ertrages vergab der lokale Herrscher, ein Halbbruder des Königs von Soppeng, eine Grabungserlaubnis an die Kompanie.1176 Ein bleibender Bergbaustandort entwickelte sich hier jedoch nicht. Die bekannteren Goldvorkommen Süd-Sulawesis befanden sich in Lamolo und Bantimurong, beide nahe am Fluß Siang und nahe am Strand von Tanette gelegen. Diese Vorkommen waren den Einheimischen seit altersher bekannt. 1692 wurde der VOC erstmals von indigenen Schürfern Gold aus dieser Quelle verkauft. 1704 untersuchten Niederländer selbst die geologischen Gegebenheiten. Das Ergebnis der Prospektionen lautete, daß es sich um nestweise Vorkommen handelte, deren Zugang für einen Abbau zu unwegig war. Der Fluß wiederum spülte zu wenig erzhaltiges Gestein ab, um in ihm gewinnträchtig Gold gewinnen zu können.1177 Zu der Zeit, als auf Sumatra bereits klar wurde, daß das Bergbauunternehmen nicht von dauerhaftem Erfolg gekrönt sein würde, setzte in Makassar der Gouverneur Josua van Arrewijne das Thema Goldminen wieder auf die Tagesordnung. In seinem Auftrag wurden 1731 und 1732 abermals Untersuchungen durchgeführt, die eine weitaus positivere Bewertung der Abbaumöglichkeiten als 28 Jahre zuvor erbrachten und das Vorhandensein von sehr feinem Gold konstatierten.1178 „Dit is gewis dat Macassar al over de 40 jaren en meer goud uytgelevert heeft, gelijk de papieren ten vollen aenwijsen, maer of dat uyt een pijnlijk waschwerk der inlanders, gelijk den essayeur van anno 1704 dat noemt, dan wel uyt vaste graverijen voortkomen kann en of daerbij voor de Compagnie een solide avantage te wagten is.“1179 Bei Lamolo und Bantimurong wurde Gold von Einheimischen auch im Fluß ausgewaschen; insgesamt aber war dort der Aufwand nach Einschätzung Arrewijnes zu 1175 Siehe die Berichte der deutschen Bergleute Elias Hesse (Hesse, Reise-Beschreibung) und Johann Wilhelm Vogel (VOGEL, Reisebeschreibung) sowie in der Forschungsliteratur Rueb, Une mine, passim; Kirsch, Goldbergbau, passim; ders., Reise nach Batavia, 324-380. 1176 Generale Missiven V, 31.1.1692, 457. 1177 Uittreksels, 246. 1178 Ebd. 1179 Generale Missiven IX, 31.3.1734, 569. Makassar, die VOC und das Hinterland 433 hoch und somit der Einstieg in das Goldwaschen für die Kompanie unrentabel.1180 Er veranlaßte jedoch die Eröffnung einer Goldgrube in Bantimurong. Insbesondere in den Jahren nach seiner Abreise 1733 verzeichnete diese umfangreiche Aktivitäten. Mehrere europäische Bergbaufachkräfte kamen zum Einsatz, vergleichbar zu den Verhältnissen auf Sumatra ein halbes Jahrhundert zuvor.1181 Allerdings dauerte der Boom nur wenige Jahre. Die Unterstützung der Minen durch die Kompanie ließ – so zumindest die Sicht der Verantwortlichen vor Ort – zu wünschen übrig. Der Abbau unter Tage erwies sich nach wenigen Jahren auch auf Sulawesi als unrentabel und wurde wieder aufgegeben.1182 In Tanette selbst wurden ebenfalls Untersuchungen angestellt. Sie verliefen jedoch letztendlich im Sande, da eine Ausbeutung der dortigen Vorkommen, die im Herrschaftsbereich von Boné lagen, nicht lukrativ erschien. Gouverneur Jan Dirk van Klootwijk berichtet in seinem Übergabe-Memorandum vom 20.5.1756, daß er dort 1755 noch einmal hatte Untersuchungen durchführen lassen. Von einer Ausbeutung der dortigen Minen ist jedoch nichts bekannt geworden.1183 Auch im nördlichen Sulawesi bestanden Goldvorkommen. Erstmals erfuhren die Niederländer 1677 davon, als Padtbrugge eine Erkundungsfahrt nach Limbotto und Gorontalo unternahm und feststellte, daß die Einwohner dort Gold schüften und davon Tribut an Makassar und Ternate leisten mußten. Die niederländischen Kolonialmacht begann erst im 19. Jahrhundert, diese Goldvorkommen näher zu untersuchen und sporadisch auszubeuten.1184 Die Abwicklung des landgestützten Güterverkehrs Der auf Makassar ausgerichtete landgestützte Güterverkehr war nur von geringer Bedeutung. Auch der innerregionale Verkehr wurde in Süd-Sulawesi zumeist als Küstenschiffahrt abgewickelt. Diese tritt in den Hafenmeisterlisten nicht in Erscheinung, da innerhalb des konkreten Herrschaftsbereichs der VOC keine Registrierung vorgesehen war, dürfte aber den größten Anteil am Schiffsverkehr der Ha1180 ARA Den Haag, Memorie van overgave, Josua van Arrewijne, 21.5.1733, VOC 2285, Macassar, 1. Reg., 142/143. Diese Einschätzung hinderte ihn jedoch nicht daran, Einheimischen die Goldgewinnung in den Flüssen zu verbieten, wie er dies 1730 gegenüber einigen Makassaren und Bugis tat (ebd., 155). 1181 Uittreksels, 247. 1182 Die Akten des Unternehmens finden sich in der Überlieferung Makassars: ARA Den Haag, VOC 2314, Macassar, 2. Reg., 99-112, 297-337, 3. Reg., passim. 1183 Uittreksels, 247. Die Goldvorkommen Sulawesis blieben auch weiterhin bekannt und wurden in Fachkreisen diskutiert, siehe DUHR, Bericht, passim. 1184 Goudmijnen, 253 und passim. 434 Makassar und die VOC nach 1666/69 fens von Makassars ausgemacht haben. Auch für den Verkehr unmittelbar ins Landesinnere kommt zunächst die Nutzung von Wasserstraßen in Frage. Mit dem Cinrana stand ein Fluß zur Verfügung, der den im Zentrum der Halbinsel gelegenen Tempe-See mit der Bucht von Boné verbindet und für Schiffe bis zu 40 Tonnen befahrbar war.1185 Auf der Westseite der Halbinsel steht bis heute lediglich der Berang als regionaler Wasserweg zur Verfügung. Zur Zeit der VOC war dieser ausschließlich für einheimische Boote schiffbar, da er voller Sandbänke und Untiefen war. Größere oder schwer beladene prahus mußten bei Ostmonsun auf die Flut warten, um genügend Wasser für die Weiterfahrt unter dem Kiel zu haben. Uneingeschränkt befahrbar war nur der Mündungsfluß Sanrabone, der zusammen mit drei weiteren Mündungsarmen mehrere Deltas in der Nähe der Stadt Makassar bildete. Alle Zuflüsse zum Berang waren im wesentlichen unbefahrbar.1186 Darüber hinaus führten nur Fußpfade von Makassar aus in das Landesinnere. Eine Aufzählung der Wege vom Ende des 19. Jahrhunderts kennt kaum Strecken innerhalb des Kerngebietes von Goa, dafür jedoch 17 Pfade, die in die südlichen Distrikte führten. Der einzige mehr oder weniger unterhaltene Weg, dessen Breite zwischen vier und acht Metern betrug, verband Makassar mit älteren, auswärtigen Fürstensitzen. Er wurde also aus repräsentativen Zwecken und nicht vorrangig für den Warentransport instand gehalten. Von einem Wegenetz für den Warentransport konnte auch Ende des 19. Jahrhunderts nicht die Rede sein.1187 Alfred R. Wallace erwähnt Mitte des 19. Jahrhunderts eine Hauptverbindung zwischen Maros und „Bugis country“, der nicht mehr als ein Fußpfad entlang des Maros-Flusses war und nur in der Trockenzeit passiert werden konnte. Zu dieser Zeit benutzten ihn vorwiegend Frauen und Kinder. Männer traten auf diesen Transportwegen nur gelegentlich in Erscheinung, vor allem wenn große Warenmengen wie beim Palmzucker transportiert werden mußten.1188 Diese spärlichen Hinweise auf den landgestützten Warentransport zeichnen zwar nur andeutungsweise ein Bild für das 19. Jahrhundert, doch gibt es keinerlei Hinweis, daß die Situation zur Zeit der VOC günstiger gewesen sein sollte. Träger, die sich zu Fuß ihren Weg durch das Gelände bahnten, ohne sonderliche Rücksicht auf Wege und Pfade zu nehmen, dürften bis in die jüngste Vergangenheit das wesentliche Charakteristikum dieser Form des Güterverkehrs gewesen sein. 1185 1186 1187 1188 CRAWFURD, Dictionary, 87. EERDMANS, Landschap Gowa, 5-7. Ebd., 12-14; entsprechend auch: ARA Den Haag, Ministerie van Kolonien, Nr. 3086. WALLACE, Malay Archipelago I, 368/369. V. Die Stadt und die Kompanie 1. Makassar – Schlüssel zum Osten Eroberungsziele und Eroberungswirklichkeit Zeitgenössische Beobachter wie auch moderne Forscher sehen in Makassar nicht nur ein wichtiges regionales Emporium, sondern gestehen der Stadt eine zentrale Rolle für den Zugang zum östlichen Archipel, mithin zu den Gewürzinseln, und dessen Beherrschung und Verteidigung zu. Entsprechend eroberte die VOC die Metropole „in order to secure its spice monopoly, Makassar functioned as the main Dutch watch dog guarding the eastern sea routes.“1189 Im 18. Jahrhundert war diese Einschätzung weit verbreitet. Joan Frederik Gobius bezeichnete die Stadt als „Schlüssel zum Osten“;1190 ein anderer bedeutender Kenner Makassars, A. D. Nys, der 1756 eine äußerst detaillierte Beschreibung der politischen und fiskalischen Situation in der Kolonialstadt hinterließ, sah in ihr die entscheidende Barriere für die beiden wichtigsten Besitzungen der VOC im Osten, Ambon und Banda.1191 Dieses Denken bildete die Grundlage dafür, daß Makassar stets als Stützpunkt und Garnison aufrecht erhalten wurde – trotz immenser Kosten und obwohl „lamentation about Makassar’s declining trade forms a constant thread through the archival sources.“1192 Weitere geostrategische Argumente traten hinzu. Anfang des 18. Jahrhunderts wurde die Beibehaltung der Garnisonsstärke auch mit der Anwesenheit der Engländer in Banjarmasin begründet.1193 Auch die Piraterie, welche die Straße von Makassar unsicher machte, und die vermeintliche „Schmuggelei“ und „Illegalität“ von Gewürzplantagen in den Inselwelten südlich Sulawesis spielten in dieser Argumentation eine Rolle. 1189 SUTHERLAND, Trepang, 74. 1190 ARA Den Haag, Memorie van Overgave des J. F. Gobius, VOC 2100, Macassar, 49. Daß der Begriff „sleutels van de geheel Oost“ für Makassar zu dieser Zeit geläufig war, bestätigten die ‚Bedenkingen over Macasser’ in den 1730ern: ebd., Collection Radermacher, Nr. 519, o.P. [12]. Allerdings findet er sich nicht nur für Makassar. In seiner ausführlichen Darstellung über Banjarmasin schreibt Baron Hohendorff 1757, daß man „Banjermassing als een sleutel van de Oost moeten aanmerken“ (HOHENDORFF, Beschrijving, 197). 1191 ARA Den Haag, Radicaale Beschryving van Macassar, VOC 4852, 2. Auch britische Zeitzeugen wie Thomas Forrest bestätigen diese Sichtweise: „The Dutch keep what they possess on Celebes chiefly on account of its being the west frontier to the Spice Islands.“ (FORREST, Voyage from Calcutta, 79). 1192 SUTHERLAND, Trepang, 81. 1193 Generale Missiven VI, 30.11.1706, 423. 436 Makassar und die VOC nach 1666/69 Die Eroberung Makassars ermöglichte der Kompanie neben der direkten Machtausübung auf Banda und Ambon und dem engen Bündnis mit Ternate die Kontrolle über die Gewässer des östlichen Archipels durch die Besetzung ihres nordwestlichen Zuganges zu ergänen und in diesem Zusammenhang die ständige Gefährdung des ternatischen Einflußbereiches durch Goa-Tallo zu beenden. Konkret auf Makassar bezogen verfolgte die Eroberung drei handelsstrategische Zielsetzungen: die Unterbindung des Gewürzhandels, der über den Hafen von Makassar abgewickelt wurde, den Ausschluß aller europäischen Konkurrenten und die Kontrolle des indigenen Handels vor allem durch ein verbindliches Paßsystem. Die immer wieder betonten Regressforderungen der VOC, die von den Makassaren besonders ernst genommen wurden, dürfen als sekundär eingestuft werden. Ihnen kamen die Führer von GoaTallo unter Druck am schnellsten nach, doch änderte dies letztendlich nichts an ihrer völligen Unterwerfung. Hinter solchen Forderungen versteckte sich nur notdürftig verborgen die Zielsetzung der merkantilen Suprematie in der Region. Koloniale Zielsetzungen im Sinne territorialer Eroberungen verfolgte die VOC, abgesehen von der umkämpften Stadt selbst, nicht oder nur am Rande. Die Forderung nach der Übergabe aller eroberten Gebiete hatte erst Speelman aufgestellt; seine Instruktionen enthielten nichts dergleichen. Außerdem kämpfte die VOC im vollen Bewußtsein der Tatsache, daß die Bugis und ihre Alliierten unter Arung Palakka unverzichtbare Partner waren. Die politische Suprematie über die Südhalbinsel Sulawesis war von Anfang an – auch seitens der federführenden Kompanie – für Boné vorgesehen. Militärisch war die VOC dementsprechend gänzlich auf die Absicherung des vergleichsweise überschaubaren Besitzes mit dem Stadtkern Makassars im Mittelpunkt und auf die Aktivitäten zur See ausgerichtet. Mehr Aktionsspielraum gab die militärische Ausstattung trotz der im Verlauf des 18. Jahrhunderts langsam steigenden Besatzungsstärke nicht her. Die Kompanie blieb einer unter mehreren Machthabern in Süd-Sulawesi, die ihre diplomatischen und militärischen Potentiale einsetzen mußte, um das Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, und nicht, um eine Vorherrschaft zu etablieren. Allenfalls war die VOC auf Grund ihres großen militärischen Potentials und ihrer allseits bekannten strategischen Erfolge ein bevorzugter Bündnispartner für die Staaten der Region. Neben dem Areal auf Sulawesi selbst, das – grob gesprochen – das Südwestviertel der Südhalbinsel ausmachte, erhob das Gouvernement Makassar Anspruch auf einige vorgelagerte oder auch weiter entferne Inseln. Zustande gekommen waren diese Ansprüche durch die Abhängigkeit dieser Inseln von Goa-Tallo am Vorabend des Die Stadt und die Kompanie 437 Krieges und der formalen Ablösung durch die VOC im Zuge der makassarischen Kapitulation. In der Realität war die Kompanie auf Selayar und Sumbawa präsent; von einer Machtausübung konnte jedoch nicht die Rede sein. Als mehr denn als Gesandte bei Hofe dürften ihre Vertreter dort kaum wahrgenommen worden sein. Sicherlich zahlten die Königreiche auf Sumbawa die auferlegten Tribute in Form von Sappanholz, da niemand auf der Insel eine militärische Intervention der Kompanie herausfordern wollte, doch selbst diese Lieferungen verzögerten sich nicht selten oder blieben gelegentlich ganz aus.1194 Joan Frederik Gobius Auf Grund ihrer spezifischen Situation blieb die VOC-Niederlassung in Makassar im Laufe der Zeit nicht ohne Kritik, und es fehlte nicht an Forderungen und Verbesserungsvorschlägen. Als großer Kenner der regionalen politischen Gegebenheiten, aber auch als besonders mißtrauischer, gelegentlich auch rassistisch gefärbter Vertreter der Niederlande gegenüber der einheimischen Ethnien erwies sich der Gouverneur Joan Frederik Gobius. In seiner Memorie van Overgave vom 5.3.1727 beschreibt er akribisch die unübersichtliche politische Lage und betont die Gefährdungen, die sich daraus für die Position der VOC vor Ort ergaben.1195 Unter Bezug auf seinen Vorgänger Sipman, der bereits in seinem Memorandum am 24.5.1724 geschrieben hatte, daß sowohl die Makassaren als auch die Bugis ihr möglichstes täten, um der Stellung der Kompanie Abbruch zu tun,1196 und auf Grund eigener Beobachtungen und Einschätzungen stellt er sowohl den Verbündeten als auch den mutmaßlichen Gegnern ein schlechtes Zeugnis aus. Vor allem betont er die Doppelgesichtigkeit der Makassaren, die nach außen stets gerne bereits seien, auf ihre Freundschaft und Zuverlässigkeit zu verweisen.1197 Aber auch die eigenen Bundesge nossen, die Bugis, und unter diesen vor allem die Einwohner und Führer von Boné, genossen kaum sein Vertrauen; vielmehr bezichtigte er sie der Undankbarkeit.1198 Um der Gefahr, die er hinter diesen Verhaltensweisen wittert, angemessen begegnen zu können, erscheint ihm die Präsenz der VOC in Süd-Sulawesi als deutlich 1194 So bestimmen ausbleibende, erwartete, versprochene und eingeforderte Lieferungen Sappanholzes aus Bima und Sumbawa die gesamte makassarische Korrespondenz des Jahres 1717: ARA Den Haag, VOC 1894, Macassar, passim. 1195 Ebd., Memorie van overgave, Joan Frederik Gobius, 5.3.1727, VOC 2100, Macassar, 1. Reg., 49-128. 1196 Ebd., 52. 1197 Ebd., 53. 1198 Ebd., 57. 438 Makassar und die VOC nach 1666/69 zu gering. Er betont die Kontrolle über die regionalen Verhältnisse als Funktion der niederländischen Garnison in Fort Rotterdam und der untergeordneten Einrichtungen. Vor diesem Hintergrund sei die VOC-Präsenz, vor allem die militärische, zu verstärken. Er beklagt in seiner Schrift die mangelnde Bereitschaft des ‚Rates von Indien’ in Batavia, solche Forderungen, die offensichtlich auch schon Gobius’ Vorgänger relativ regelmäßig erhoben hatten, zu erfüllen, wie auch die geringe Motivation der in Makassar stationierten Einheiten, die aus seiner Sicht vorrangigen Aufgaben wahrzunehmen. Konkret geht er in diesem Zusammenhang auf die aktuellen Thronstreitigkeiten in Boné ein, die durch den Tod Arung Djellings im Jahr 1725 ausgelöst wurden und zu der mittlerweile vierten Rückkehr des Arung Timuru auf den Thron führte. Diese Verhältnisse veranlaßten Gobius zu der Forderung, daß es den Bugis von Boné nicht gestattet sein sollte, ohne die ausdrückliche Zustimmung der Kompanie ihren eigenen König zu wählen. Auf der Schilderung dieser Ereignisse baut er seinen grundsätzliche Anspruch auf, daß ein Gouverneur in Makassar sowohl große Kenntnis der einheimischen Verhältnisse benötigt als auch eine nachdrückliche Strenge den indigenen Herrscherhäuser gegenüber anzubringen habe.1199 Joan Frederik Gobius steht stellvertretend für eine Reihe leitender KompanieBediensteter, vor allem solcher, die vor Ort tätig waren. Er tritt in seiner Memorie sowohl als Kritiker wie auch als Befürworter der Niederlassung auf. Kritik äußert er an ihrer Ausstattung und an der Einstellung ihres Personals, dessen Soldaten es kaum je wagten, den sicheren Bereich von Fort Rotterdam zu verlassen. An der Befürwortung der grundsätzliche Existenz eines Stützpunktes in Makassar läßt er keinen Zweifel; aus seiner Sicht war sogar eine deutlich ausgebaute Niederlassung notwendig. Die Gründe hierfür waren neben der auch von Gobius angesprochenen Schlüsselfunktion der Stadt in der Sicherung der Kontrolle über Sulawesi angesichts vermeintlich unberechenbarer Nachbarn zu suchen. Gobius hatte sowohl eine maritime als auch eine regionalpolitische Sicht auf den kolonialen Besitz der VOC. Wie bei vielen VOC-Bediensteten scheint hier ein gewisses koloniales „Grundgedankengut“ durch, das jedoch nie zur Ausweitung eines territorial verstandenen Kolonialismus der Kompanie führen konnte – dafür war die Ausprägung dieses Gedankenguts gegenüber kaufmännischen Denkens und pragmatischer Alltagspolitik denn doch zu schwach. 1199 Ebd., 53-56. Die Stadt und die Kompanie 439 Bedenkingen over Macasser In den Privatarchiven des ARA in Den Haag findet sich an zwei Stellen ein identischer Text, der mit ‚Korte Inhoud der Bedenkingen over Macasser’ überschrieben ist.1200 In beiden Fällen steht das Papier, das kritische Betrachtungen über den Sinn der VOC-Niederlassung in Makassar enthält, am Anfang einer Sammlung von weiteren Schriftstücken, die sich entweder mehr oder weniger unmittelbar auf den Inhalt der ‚Bedenkingen’ beziehen oder zumindest im weiteren Sinne in diesen Themenzusammenhang gehören. In der Collection Radermacher weist das Papier weder einen Absender noch einen Empfänger auf, geschweige denn eine Datierung. In der Collection Hope wird als Urheber des Textes Jan Schreuder, Rat von Indien, angeführt. Dieses Exemplar trägt das Datum 10.5.1765. Daß ein in Batavia ansässiger Rat von Indien ein solches Memorandum verfaßt und in die Heimat schickt, wo es Samuel Radermacher, seines Zeichens seeländischer Bewinthaber der VOC, in seinen Papieren verwahrte, erscheint durchaus überzeugend. Irritierend ist der zeitliche Zusammenhang. In der Collection Radermacher folgt den ‚Bedenkingen’ eine – ebenfalls undatierte – Antwort des Autors auf einige Gegenargumente, die in der Collection Hope fehlt,1201 sowie zwei Briefe eines Herrn Boogard, VOC-Bediensteter in Makassar, aus dem August und dem Oktober 1738. Diese beziehen sich auf innenpolitische Entwicklungen in Süd-Sulawesi und die Aktionen der VOC in diesem Zusammenhang.1202 In der Collection Hope folgen den ‚Bedenkingen’ Stellungnahmen, die eine Kompanie-Niederlassung in Makassar befürworten, doch läßt sich bei diesen Texten kaum ein unmittelbarer Bezug zu den Argumenten der ‚Bedenkingen’ erkennen. Ob Jan Schreuder der ursprüngliche Verfasser des Textes in den 1730er Jahren war und die Jahreszahl 1765 in der Collection Hope später hinzugefügt wurde, ob er ihn erst in den 1760er Jahren verfaßte und er nur zufällig zusammen mit älteren Briefen von Samuel Radermacher verwahrt wurde, oder ob sich Schreuder 1765 eines älteren Textes bedient hat, läßt sich derzeit nicht abschließend feststellen. Es wird jedoch deutlich, daß es sich bei der Frage eines Pro und Contra hinsichtlich Makassars um eine langfristig geführte Debatte handelte und die ‚Bedenkingen’ ein durchaus verbreitetes Grundsatzpapier zu diesem Thema waren. Im ersten Absatz geht der Verfasser von zwei Zielen der Niederlassung in Makassar aus, die zeitgenössisch unumstritten waren: der Schutz der Gewürzinseln von 1200 ARA Den Haag, Collection Radermacher, Nr. 519, o.P [1-9].; ebd., Collection Hope, Nr. 119, o.P. 1201 Ebd., Collection Radermacher, Nr. 519, o.P. [10-14]. 1202 Ebd., o.P. [15-23]. 440 Makassar und die VOC nach 1666/69 der Westseite vor „vijanden, competiteuren en sluijkers“ und die Bereitstellung einer Ausgangsbasis für die Exstirpationen von Gewürzbäumen im östlichen Archipel. Im zweiten Abschnitt der Ausführungen wird eine Bilanz eröffnet, daß die Niederlassung in Makassar die Kompanie jährlich 185.202:13:-- Gulden kostet und ihr 108.194:3:8 Gulden einbringt, während vor Ort Effekte von insgesamt 412.237:12:5 Gulden vorgehalten werden.1203 Diese Zahlen beziehen sich mutmaßlich auf das abgelaufene Rechnungsjahr vor der Niederschrift der ‚Bedenkingen’. Nachdem der Autor die Aufgabe der Niederlassung betont hat, die einheimische Bevölkerung und ihre Fürsten so weit unter Kontrolle zu halten, daß sie den sluijkerhandel nicht unterstützten oder förderten und den Handel der Kompanie nicht schmälerten, geht er im dritten Abschnitt auf die politische Situation in SüdSulawesi ein. Noch seien die Fürsten des Umlandes ruhig, doch sei die Balance in der Region auf Grund von Thronstreitigkeiten in Boné in Gefahr.1204 Die Macht von Wajo und Mandhar sei angewachsen, eine Entwicklung, die bereits von den Konkurrenten der VOC für erneute Kontakte nach Sulawesi ausgenutzt werde, und Goa warte schon lange darauf, sich von der Vorherrschaft der Kompanie zu befreien. Er glaubt jedoch nicht, daß die aktuelle Präsenz der VOC eine Notwendigkeit darstellt, Goa von einem Aufstieg zu alter Stärke abzuhalten. Hierfür sei auch die angemessene Ausrüstung der Verbündeten durch die Kompanie und ausreichend Spione auf der Süd-Halbinsel, um nicht den Überblick über die dortigen Entwicklungen zu verlieren, ausreichend.1205 Hinzugefügt wird im gleiches Abschnitt eine Schätzung des Schadens, den die VOC alljährlich durch den vermeintlichen Schmuggelhandel (77.000 Gulden) erleidet, und die Einschätzung, daß die Reise in die östlichen Provinzen nicht jederzeit sicher sei, wie sie es eigentlich durch den Schutz Makassars sein sollte. Zu Beginn des vierten Abschnittes fordert der Autor nachdrücklich, daß die Kompanie für die Wiederherstellung und die Beibehaltung des Respekt vor ihr sorgen müsse. Hierfür hält er eine stärkere Präsenz der VOC außerhalb der Mauern Fort Rotterdams für dringend geboten. Vor allem eine größere Flotte für den Ein1203 Die Effekten werden in den Quellen auch als restanten bezeichnet. Zwar spiegeln sie – neben dem Nennwert des immobilen Besitzes – den Wert der vor Ort vorrätigen Waren, doch kann dieser auch als Wert unverkäuflicher oder zumindest bis zur Rechnungslegung nicht verkaufter und damit überfälliger Waren verstanden werden, womit nicht auf einen zusätzlichen Wert, sondern auf einen putativen zusätzlichen Verlust hingewiesen wäre. Die Art und Weise, wie VOC-Bedienstete die restanten in ihrer Argumentation verwendeten, läßt darauf schließen, daß dies zeitgenössisch durchaus so gesehen wurde. 1204 Solche Thronstreitigkeiten traten in Boné zu häufig auf, als daß sie für eine endgültige Datierung der ‚Bedenkingen’ herangezogen werden könnten. 1205 ARA Den Haag, Collection Radermacher, Nr. 519, o.P. [13/14]. Die Stadt und die Kompanie 441 satz gegen Wajo und Mandhar und zur Verbesserung der Bekämpfung von Schmuggel auf hoher See und „illegalen“ Gewürzkulturen auf den vorgelagerten Inseln stehen an oberster Stelle der Wunschliste. Die Mannschaftsstärke von 700 Mann auf Fort Rotterdam hält er für völlig übertrieben, da sie innerhalb der Mauern nutzlos sei und nicht in der Lage und bereit, außerhalb der Mauern zu agieren, wie er an mehreren Stellen betont. Er schlägt eine Grundbesatzung von 57 VOC-Bedienstete und 20 Malaiien vor, also eine Reduktion auf das für die Handelsaktivitäten Notwendige. Dafür fordert er eine Verstärkung der Flotte in Makassar auf 338 Mann (174 Europäer, 164 Einheimische) mit zwei Schaluppen, vier pencalangs und acht kleineren einheimischen Schiffen – eine Zahl, die in der Regel, vielleicht mit etwas weniger Besatzungsmitgliedern, tatsächlich vor Makassar stationiert war; der Autor spricht in seiner Erwiderung jedoch nur von aktuell sechs Fahrzeugen mit geringer Besetzung.1206 Weitere Forderung im vierten Abschnitt der ‚Bedenkingen’ richten sich auf die Einbeziehung der Bürger in den Kampf gegen Räuber und Schmuggler sowie auf eine bessere verkehrsgeographische Erschließung. Insgesamt kommt der Autor auf eine Modellrechnung, die eine Verminderung der Effekten um 112.237:12:5 Gulden und der Lasten um 35.202:13:-- Gulden sowie eine Vermehrung der Einnahmen um 11.806:--:-- Gulden verspricht, wodurch sich der jährliche Verlustausgleich durch die Kompanie um 47.008:13:-- vermindern würde. Leider werden im Text keine Grundlagen oder Belege für die Zahlenannahmen genannt. Wichtig ist jedoch weniger, um wieviel Gulden genau ein sinnvoller Reformvorschlag die Kosten verändern würde, sondern die Tatsache, daß über zu hohe Kosten gemessen am Erreichten diskutiert wurde und Modelle zur Verbesserung der Situation existierten und auch durchgerechnet wurden. Im fünften Abschnitt geht der Autor noch weiter. Er postuliert, daß „neemt men die bevijling van de specerijquartieren uijt die oogmerken van macasser weg, dan zijn d’overigen van geen importantie.“1207 Daraus schließt er, daß eine Beschirmung der Gewürzinseln vor Ort weitaus sinnvoller, effektiver und billiger wäre. Aus dieser Annahme folgt schließlich sein abschließender Vorschlag: „Zo stelle ik voor: het aanhouden van een residentie op een Eijlandje omtrent de Straat Saleijer het intrek- ken vand’ overige comptoiren; het maaken en inderhouden van een guarantie onder de vorsten op Celebes Saleijer en Sumbauwa het afstaan van S. Comps. Landen aan Bonij en Macasser tegen zekere recognitie; het aanhouden van een resident bemant met 100 Man de Helft Europeezen om nevens zodanige inlandse opgezetenen als zig in der tijd inder inze vlagge mogten koomen nedetezetten omstreeks de Straat Saleijer en 1206 Ebd., o.P. [10]. 1207 Ebd., o.P. [7]. 442 Makassar und die VOC nach 1666/69 tusschen het Eevengem. Eijland mitsgaders Sumbauwa te kruijssen en de visitatie der Toekanbesjes te doen; het toelaten van een vrijen ingedwongen handel onder ons Canon tegen een geringe Tol; het permitteeren van een bepaald getal Burgers tot den inkoop van provisien voor de Specerij quartieren en de plaatsing van al het overige tans op macasser zijnde volk op vaertuijgen inder het resort van gem. Specerij provintien of Java omte militeers daar het nodig word g’oordeelt.“1208 Diese Maßnahmen vermindern die Lasten und Effekten für Süd-Sulawesi natürlich noch einmal deutlich. Im Endergebnis der finanziellen Modellrechnung kommt er zu dem Schluß: „naa aftrek der voordeelen van de ongelden geene veragtering.“1209 Dem vielgebrauchten Argument, daß Makassar nun einmal der „Schlüssel zum Osten“ sei und deshalb unbedingt gehalten werden müsse, hält er entgegen: „Nota indien Macasser de sleutel van d’oost waaren dan moest er geene Natie meer zijn die de competiteuren konden gebruijken tot een entreprise op de Specerij Eijlanden of Elders; maar daar zijn buijten Macasser plaatsen genoeg die dan met minder magtige dappere en listige natien bewoond werden gelijk Borneo, Manindanao, de Papoese Landen etc. dus als de competiteuren met eene dies natien zamenspannen zoude ons immers viets helpen dat wij Macasser bezet houden; en schoon genomen dat Maccasser dan werkelijk alleen volk uijt levende het welk tot die onderneeming dienstig waere wat zoude men tog doen als de competiteuren met de Macassaren Wadjoresen mandhareesen ect. zig tentien eijnde allieerden, immers het zelve konde altoos geschieden beuijten het berijk van ons geschuten de vesting is tans zo min als bij de g’aproprieerde verkleijning in staat een de tachement dat op zig zelfs in het veld ageeren konde uijt zenden, zo dat ik Macasser niet kan aanmerken als de sleutel van het oosten maar eenden als een schadelijken kanker in ‘S Comp. beurs en macht.“1210 In einem zentralen Kritikpunkt stimmen die ‚Bedenkingen’ mit den Ausführungen des Joan Gobius überein: Beide Texte sehen in Makassar eine unzureichende Besatzung, die zu allem Unglück nicht einmal in der Lage ist, außerhalb des unmittelbaren Kontrollbereichs der VOC zu operieren. Dennoch handelt es sich um entgegengesetzte Positionen. Schreuder, oder wer immer sonst die ‚Bedenkingen’ verfaßt haben mag, sieht im Gegensatz zu Gobius keinerlei Veranlaßung, eine starke niederländische Kontrolle über die Südhalbinsel Sulawesis anzustreben. Für das wenige, das er in dieser Richtung für notwendig hält – kaum mehr als ein ausreichender Informationsfluß und die Vermeidung einer Renaissance der alten Macht GoaTallos –, reichten minimale Mittel und der Verbündete Boné völlig aus. Eine eigene, teure Niederlassung, ja eine ganze durch die Kompanie verwaltete Stadt, war dazu nicht notwendig. Auch wenn sie sich vorsichtig diesem Punkt nähern und gewissermaßen als Zwischenschritt eine Reduzierung der Besatzungsstärke bei gleichzeitiger Konzentration auf die maritimen Kräfte vorschlagen, ist die Quintessenz der 1208 Ebd., o.P. [8/9]. 1209 Ebd., o.P. [9]. 1210 Ebd., o.P. [12/13]. Die Stadt und die Kompanie 443 ‚Bedenkingen’ eindeutig: eine VOC-Präsenz in Makassar ist unnötig, da die Aufgaben, die mit der Vorstellung eines „Schlüssels zum Osten“ in Zusammenhang stehen, leichter auf den Gewürzinseln selbst organisiert werden können und eine Niederlassung auf Sulawesi niemals eine ausreichende Stärke erlangen könne, um die komplizierte politische Situation der Region tatsächlich kontrollieren zu können. Die einzig mögliche Schlußfolgerung beschließt den Text: die Niederlassung kann ruhigen Gewissens aufgehoben werden, da die VOC ihre Aufgaben nicht nur anders organisieren kann, sondern durch eine solche Maßnahme auch noch beträchtliche Geldsummen einsparen könnte. Wie weit solche Ansichten verbreitet waren, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Die Überlieferungslage der ‚Bedenkingen’ legt jedoch nahe, daß ihre Bedeutung im 18. Jahrhundert nicht unterschätzt werden darf. Der Verfasser der ‚Bedenkingen’ provozierte offenbar einigen Widerspruch von Befürwortern einer Niederlassung in Makassar, so daß er sich veranlaßt sah, in einem zweiten Papier auf die Hauptargumente seiner Gegner einzugehen.1211 Neben einigen nachrangigen Argumenten zur Durchführbarkeit von Verkleinerungsmaßnahmen und den Umgang mit Boné, welche er zunächst eher knapp zurückweist, faßt er die wesentlichen Punkte, die in der Diskussion eine Rolle spielten, in drei prägnanten Sätzen zusammen: „Dat Macasser altoos is gehouden voor de Sleutel van de geheele Oost.“ „Dat de Macassaren na ons vertreck van daar spoedig tot hun voorige grootheijd zouden opklimmen en d’E. Comp. en de Specerijquartieren aanvallen.“ „Dat men op de geproponeerde residentie niet zoude kunnen weeten wat ’er op Celebes voorvalt.“1212 Kein Punkt wird hier aufgeführt, der nicht schon an anderer Stelle vertreten worden wäre und nicht zum Grundbestand der Legitimierung eines VOC-Stützpunktes in Makassar gehörte. Die Argumente, auf die der Autor der ‚Bedenkingen’ vorrangig zu antworten sich veranlaßt sah, sprechen für eine festgefahrene Argumentationslinie. Dennoch war es diese Linie, die sich langfristig trotz aller Streitigkeiten durchsetzte. Makassar blieb als Handelsstützpunkt und Garnison bis zum Ende der VOC bestehen. Eine Strukturänderung im östlichen Archipel nach den Vorstellungen der ‚Bedenkingen’ fand innerhalb der Kompanie nicht statt. Die Personalstärke der Flottenumfang in Makassar stiegen leicht an, ohne daß sich Grundlegendes geändert hätte. Offenbar erschienen die jährlich entstehenden Kosten der VOCFührung angesichts der mutmaßlichen strategischen Rolle, die Makassar über zwei Jahrhunderte hinweg zugestanden wurde, letztendlich akzeptabel. 1211 Ebd., o.P. [10-14]. 1212 Ebd., o.P. [12,13,14] 444 Makassar und die VOC nach 1666/69 Makassar im Licht der Zahlen Eine geschlossene Zahlenüberlieferung für die Niederlassung zwischen 1669 und 1799 liegt nicht vor. Im 18. Jahrhundert begnügte sich die Verwaltung der Kompanie in Übersee damit, die Aufstellung der Effekten am Ende eines Rechnungsjahres mit der Retourflotte nach Europa zu schicken und so für die archivalische Überlieferung zu retten. Abrechnungen des Warenhandels der Kompanie vor Ort, sogenannte rendements, sind erst seit 1757 überliefert, und auch dann nicht lückenlos. Angaben zu den verschiedenen Einnahmeformen wie Steuern oder Zölle sind noch lückenhafter. Immerhin steht für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts dank der akribischen Sammelarbeit des A. D. Nys ein in sich geschlossenes Zahlenwerk zur Verfügung, das zumindest einige Grunddaten für Makassar übermittelt.1213 Tabelle 5.2: Einnahmen und Ausgaben der VOC in Makassar im 17. Jahrhundert1214 Rechnungsjahr Einnahmen Ausgaben Wechsel auf Batavia 1683/84 39.770 fl. 143.229 fl. 12.223 rds. 1686/87 81.739 fl. 122.997 fl. 23.172 rds. 1689/90 28.167 fl. 109.203 fl. k.A. 1694/95 37.045 fl. 153.707 fl. 1.709 rds. 1699/1700 73.402 fl. 163.331 fl. 13.214 rds. Für das 17. Jahrhundert lassen sich bezüglich der Gewinne und Verluste der Niederlassung nur bruchstückhafte Zahlen in den Generalen Missiven finden. Trotz der kargen Überlieferung zeigt sich hier bereits die Uneinheitlichkeit sowohl von Einnahmen wie auch von Ausgaben und die Tatsache, daß die Ausgaben die Einnahmen bei weitem übertrafen. Die Niederlassung in Makassar war ein Zuschußgeschäft. Die Einnahmen, die sich aus dem kompanieeigenen Warenhandel, den erhobenen Zöllen und Gebühren und den wenig umfangreichen Steuern der Bürger, Kompanieuntertanen und Chinesen zusammensetzen, blieben zumeist sehr deutlich hinter den Kosten für die Aufrechterhaltung des Postens zurück. Auch die auf Batavia ge1213 ARA Den Haag, ‚Radicaale Beschryvinge van Maccassar, Dezember 1756, VOC 4852, passim. Es ist nicht auszuschließen, daß die OB zu Makassar, unter Umständen auch diejenigen zu Batavia, weiteres Zahlenmaterial betreffend die Niederlassung in Süd-Sulawesi enthalten, doch machte der Umfang dieser Quellenbestände im ARA eine vollständige Recherche hierzu unmöglich. 1214 Generale Missiven IV, 30.11.1684, 717 (1683/84); Generale Missiven V, 23.12.1687, 116 (1686/87); ebd., 26.3.1691, 428/429 (1689/90); ebd., 8.2.1696, 751 (1694/95); Generale Missiven VI, 1.12.1700, 122 (1699/1700). Die Stadt und die Kompanie 445 zogenen Wechsel konnten lediglich im Rechnungsjahr 1686/87 die Verluste einigermaßen ausgleichen.1215 Häufiger war offenbar der Fall, daß in einem Jahr der finanzielle Aufwand für Makassar die erlösten Gewinne um das Dreifache übertraf. Dabei wies Makassar verglichen mit der Größenordnung von Einnahmen und Ausgaben stets ein relativ hohen Wert der restanten auf, die eher Überhänge von nicht verkauften oder gar unverkäuflichen Waren als ein hoher Wert des Besitzes vor Ort vermuten lassen. Rund die Hälfte des entsprechenden Betrages machte in der Frühzeit als Kolonialstadt der Bereich „koopmanschappen, contanten, gout, silver etc.“ aus. Verglichen mit den anderen bedeutenden Kontoren nahm Makassar diesbezüglich eine mittlere Stellung ein.1216 Im Jahr 1688 entsprach dieser Anteil an den gesamten Effekten in Makassar 52,1%, ein Wert, der demjenigen von Ceylon sehr nahe kam. Ähnliche Anteile wiesen auch die Niederlassungen in Timor, Ambon und an der Malabar-Küste auf. Es existierten Niederlassungen, in welchen diese Werte weitaus niedriger lagen wie in Batavia oder Surat, wo ein umfassender und schneller Warenumschlag vorherrschte, oder auf der Insel Banda, die in erster Linie als Muskatplantage mit regelmäßigem Abtransport der einheimischen Produkte diente, weswegen hier nur von einem geringen Warenhandel mit entsprechend geringer Lagerhaltung auszugehen ist. Weitaus höhere Anteile wiesen die Niederlassungen von Malakka (77%) und Deshima in Japan (91%) auf. In Japan kann auf Grund der schwierigen und eher seltenen Versorgung der Faktorei eine langfristige Lagerhaltung notwendig gewesen sein; zudem wies diese Faktorei zumindest 1688 keine Außenstände auf, so daß der angesprochene Anteil naturgemäß in die Höhe getrieben wurde. Im Falle Malakkas liegt die Erklärung näher, die auch für Makassar anzunehmen ist: In beiden Fällen sorgten Absatzschwierigkeiten für Kompanie-Waren für größere Bestände in den Lagerhäusern der VOC. Die Zusammensetzung der nicht unbeträchtlichen Kosten für die Niederlassung Makassar ist zunächst beispielhaft für das Jahr 1674/75 überliefert, also für eine Zeit, in welcher sich die Kolonialherrschaft der VOC über Makassar in der Konsolidierungsphase befand.1217 Den Löwenteil der Ausgaben verschlang der Unterhalt der Besatzung von Garnison und Faktorei. Jeweils ein rundes Drittel verschlangen die Soldzahlungen (39,3%) und die Verpflegung der Kompanie-Bediensteten (32,6%). Immerhin noch ein Fünftel der Ausgaben wurde für die Befestigungsanla1215 Ausgegangen von einem Verhältnis von Gulden (fl.) zu Reichsthaler (rds.) von 1:2 (üblich im 18. Jahrhundert) bis 1:2,5 (üblich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts). 1216 Generale Missiven V, 13.3.1688, 188/189. 1217 Ebd. IV, 23.11.1675, 53. 446 Makassar und die VOC nach 1666/69 gen ausgegeben (19,8%), die sich in diesem Jahr inmitten ihres Aufbaus befanden und somit höhere Kosten verursachten als in späteren Jahrzehnten. Gering dagegen waren in dieser Phase die Kosten für die Flotte, die noch so bescheidene Ausmaße hatte, daß Beschaffungs- und Unterhaltskosten zusammen keine 8% des Gesamtetats ausmachten. Der Wert, der schließlich für Geschenke im Rahmen der diplomatischen Beziehungen in der Region (schencagie) angegeben ist, ist weniger hinsichtlich des Anteils an den Gesamtausgaben interessant, sondern vielmehr als Bestätigung, daß die traditionellen Wege der Kontaktpflege mit sulawesischen Königshäusern weiterhin beschritten wurden.1218 Diagramm 5.1: Zusammensetzung der VOC-Ausgaben in Makassar1219 100% Verpflichtungen und Schuldendienst 80% Unterhalt Schiffe 60% Gebäude und Einrichtungen 40% Personalkosten 20% allg. Verwaltungsausgaben 0% 1699/1700 1705/6 1711/12 1717/18 1723/24 1729/30 1735/36 1741/42 1747/48 1753/54 Die Zusammensetzung der Ausgaben in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die dank der Radicaalen Beschryvinge des A. D. Nys für eine Zeitraum von 56 Jahren in ähnlichen Kategorien als geschlossene Überlieferung vorliegt, unterscheidet sich nur geringfügig von dem Beispieljahrgang 1674/75. Auffällig ist ihre relative Konstanz. Nur zwei Jahrgänge, die auf Grund außergewöhnlicher Belastungen höhere finanzielle Verpflichtungen und Schuldendienste als im allgemeinen Durchschnitt auf- 1218 Dies gilt auch in umgekehter Richtung: 1684 erhält der Gouverneur von Makassar von Arung Palakka 50 Toraja-Sklaven, die sollen nach Batavia verschifft werden sollen, um sie dort Generalgouverneur Cornelis Speelman zu schenken; ihr weiterer Verwendungszweck bestand im Arbeitseinsatz auf Ceylon (Generale Missiven IV, 30.11.1684, 716). 1219 ARA Den Haag, Radikcaale Beschryving, VOC 4852, 28-35. Die Stadt und die Kompanie 447 wiesen, fallen aus dem Rahmen. Der kurzfristig hohe Anteil dieses Kostenbereichs drückte sämtliche anderen Anteile, ohne daß daraus irgendeine Änderung des Trends hervorgegangen wäre. Insgesamt machten weiterhin die Personalkosten den größten Anteil aus, mit Abstand gefolgt vom Schuldendienst und den allgemeinen Verwaltungsausgaben. Am unteren Ende hielten sich die Ausgaben für die immobilen Besitztümer und für die Flottille im Hafen von Makassar ungefähr die Waage. Allerdings verschoben sich die Gewichte im Laufe der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Personalkosten der langsam, aber stetig wachsenden Niederlassung nahmen einen steigenden Anteil der Gesamtkosten ein, während die Verpflichtungen und der Schuldendienst anteilig zurückgingen. In absoluten Zahlen erreichten die Personalkosten rund um die Krise auf Java um 1740, als Makassar Truppen für die Bekämpfung aufständiger Chinesen im Hinterland von Batavia bereitstellen mußte, ihren Höhepunkt. Ähnliches gilt auch für den Schuldendienst, der jedoch weitaus schneller wieder abnahm als die Kosten für das Personal, dessen Stamm nach 1740 weiterhin aufgestockt wurde. Die zweite Größe, die einen wachsenden Anteil aufwies, waren die Unterhaltskosten für Schiffe, denn mit der Garnison selbst wuchs auch, wenn auch nur in bescheidenem Maße, die Zahl der zur Verfügung stehenden Kriegsschiffe und Boote. Auch das Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben blieb nach Nys in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts relativ konstant. Langfristig blieb die Situation des späten 17. Jahrhunderts erhalten. Makassar konnte seine Kosten bei weitem nicht durch eigene Einnahmen decken. In der Krisensituation um 1740 waren auch die Ausgaben in Makassar extrem hoch, die Einnahmen hingegen blieben hinter dem Gewohnten zurück. Seit Mitte der 1740er Jahre stiegen die Einnahmen der Niederlassung wieder an, parallel zu den weiterhin weitaus höheren Ausgaben, die nach einer Normalisierung Mitte der 1740er Jahre ebenfalls wieder anstiegen, bedingt durch den Ausbau von Garnison und Flottille. Die Annäherung der Einnahmen- und Ausgabenkurven am Ende des Beobachtungszeitraumes täuscht. Hier dürfte es sich nur um ein kurzfristiges Phänomen gehandelt haben. Die Quellen bieten keine Belege dafür, daß sich die Bilanz der Niederlassung Makassar in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts grundlegend geändert hätte. Ganz im Gegenteil: 1765 argumentierten die ‚Bedenkingen’ des Jan Schreuder bekanntlich nach wie vor, daß die Ausgaben die Einnahmen bei weitem überstiegen. An der allgemeinen Situation Makassars hatte sich nichts geändert, das für eine gegenteilige Annahme sprechen könnte. 448 Makassar und die VOC nach 1666/69 Diagramm 5.2: Einnahmen und Ausgaben der VOC in Makassar1220 450000 400000 Einnahmen Ausgaben 350000 Gulden 300000 250000 200000 150000 100000 50000 0 1699/1700 1708/9 1717/18 1726/27 1735/36 1744/45 1753/54 Diagramm 5.3: Einnahmen der VOC in Makassar1221 140000 120000 Gewinne Abgaben Gulden 100000 80000 60000 40000 20000 0 1699/1700 1708/9 1717/18 1726/27 1735/36 1744/45 1753/54 Die Einnahmen der Niederlassung wurden vor allem aus dem Verkauf eigener Waren erzielt. Abgaben und Steuern konnten den Daten von Nys zufolge nie mehr als rund ein Sechstel des Gesamtertrages ausmachen. Für den Eigenhandel der VOC liegen als einzige quantifizierbare Quelle die als rendement bezeichneten Jahresab1220 Ebd., 36-49. 1221 Ebd., 14/15, 25/26. Die Stadt und die Kompanie 449 rechnungen vor, die jedoch erst seit 1757 überliefert sind. Zuvor sind nur Aufstellungen der gelagerten Waren einschließlich ihres Wertes am Ende eines Rechnungsjahres verfügbar, aus denen keine Rückschlüsse auf den tatsächlichen Verkauf der Waren möglich sind, geschweige denn Aussagen zur Gewinnspanne. In den rendementen läßt sich erkennen, daß die Kompanie in Makassar vor allem mit drei Warengruppen handelte: mit Textilien vornehmlich indischer Herkunft, mit agrarischen Massengütern – Paddy und weißer Reis aus der Region und aus Java, Kaffee und Zucker von den javanischen Plantagen, Weizen und Roggen aus der Kapkolonie – sowie mit asiatischen Gewürzen. Dabei erzielten Textilien, die den größten Anteil der Kompanie-Güter ausmachten, je nach Sorte eine Gewinnspanne zwischen 30% und 100%. Nahrungs- und Genußmittel wurden weitaus weniger verkauft; hier wurden ähnliche Gewinnspannen wie bei den Textilien erzielt. Reisprodukte konnten auch schon einmal mehr als 100% erzielen; 1786/87 betrug der Gewinn bei weißem Reis sogar rund 900%. Höhere Gewinne mit rund 200% brachten Eisen oder Holz, die jedoch nicht regelmäßig gehandelt wurden. Extreme Gewinnspannen sind bei den Gewürzen – Nelken, Muskatprodukten, gelegentlich Zimt und Pfeffer – zu beobachten. Außer beim Pfeffer, der zwischen 200% und 300% stehen blieb, lagen die Werte stets im vierstelligen Bereich, in der Regel zwischen 1.000% und 3.000%. Die Zahlen schwankten je nach Marktlage und ließen keine Einheitlichkeit hinsichtlich der einzelnen Gewürze entstehen. 1786/87 notiert die VOC in ihrer Zusammenfassung des rendements eine durchschnittliche Gewinnspanne von 1.427¼% bei den specerijen. Gewürze wurden jedoch nur in sehr kleinen Mengen, die gerade den Eigenbedarf der wohlhabenderen Einwohner von Makassar decken konnte, gehandelt. Daher konnten sich solch enorme Gewinnspannen nicht positiv auf die Gesamtbilanz auswirken. Die Gesamtgewinne aus dem Warenhandel blieben deutlich hinter den Beträgen zurück, die notwendig gewesen wären, um eine ausgeglichene Zahlungsbilanz für Makassar zu erreichen. Hinzu kommt, daß diese „Gewinnspannen“ auf dem schlichten Verhältnis von Verkaufs- zu Einkaufspreis beruhen. Ende der 1770er und Anfang der 1780er Jahre ließ die Kompanie vorübergehend in den rendements die zusätzlichen Kosten, also im wesentlichen die Transportkosten, verzeichnen. Zwar handelte es sich dabei lediglich um eine Verschiebung dieser Beträge, die zuvor an anderen Stellen in die Gesamtausgaben der VOC in Asien eingeflossen sein müssen, doch wirft diese Vorgehensweise ein bezeichnendes Licht auf die Rentabilität des eigenen Warenhandels in Makassar. Nicht nur, daß folgerichtig sämtliche Reinerlöse und damit Ge- 450 Makassar und die VOC nach 1666/69 winnspannen sanken, es muß sogar ein gelegentliches Absinken in den negativen Bereich konstatiert werden. Einige Produkte konnte die VOC, rechnete sie kaufmännisch korrekt unter Einbeziehung aller entstandenen Kosten ab, in Makassar nur mit Verlust absetzten. Dies gilt für einige Textilien aus Indien, aber auch für den Roggen aus der Kapkolonie oder regionalen Waren wie Kattungarn. Trotz aller Verstreutheit der angeführten Zahlen ist insgesamt festzuhalten, daß sie durchaus geeignet sind, die Kritik der ‚Bedenkingen’ zu bestätigen. Die Niederlassung in Makassar war und blieb ein Zuschußgeschäft für die Kompanie. Der eigene Handel vor Ort gehörte nicht zu den lukrativen Bereichen des ‚country trades’, aus dem die VOC einen beträchtlichen Teil ihrer Wirtschaftskraft bezog. Ob deshalb die Argumente der Makassar-Befürworter entkräftet waren, steht auf einem anderen Blatt. Letztendlich wogen die mutmaßlichen Vorteile dieser Niederlassung ihre finanziell ungünstige Lage offenbar deutlich auf. Dies wird in einer anonym überlieferte Denkschrift über den Zustand der VOC in Asien aus dem Jahr 1763 deutlich. Sie geht in ihren Berechnungen ebenfalls von einem allein in Makassar nicht auszugleichenden Verlust aus. Gleichzeitig betont der unbekannte Autor die Funktion der Stadt als „Schlüssel zum Osten“. Er macht eine Gesamtrechnung auf, welche die in Makassar entstandenen Verluste gegen die Gewinne aus den molukkischen Gewürze aufrechnet und so zu einem Gesamtgewinn für die Kompanie kommt. Ausgerechnet diese in ihrem Grundtenor sehr kritische Schrift stellt die Sinnhaftigkeit von Makassar nicht in Frage und dürfte so repräsentativ für das Denken der Mehrheit unter den Entscheidungsträgern sein.1222 Stärken und Schwächen der VOC-Niederlassung in Süd-Sulawesi Dem Bild, das die überlieferten Zahlen zeichnen, entsprach auch die offizielle Einschätzung Makassars durch die VOC-Führung in den Generalen Missiven von 1744: Eine Niederlassung wie Makassar belastet die Kompanie zwar beträchtlich, doch mußte sie, um die in der Nachbarschaft siedelnden Völker in Schach zu halten, eine große Garnison unterhalten, während die einheimischen Waren – in diesem Fall Reis und Sappanholz – letztendlich nur wenig Gewinn abwarfen.1223 Auch der Import-Handel brachte wenig Gewinn ein, je nach Rechnungsart sogar Verluste. Der gesamte Handel war für die VOC eher ein Faktor zur Kostenreduzierung für die 1222 ARA Den Haag, Bedenkingen over den tegenwoordigen Stand der Nederlendsche Oostindische Compagnie in India, 1763, VOC 4790, 87-98. 1223 Generale Missiven XI, 31.12.1744, 145. Die Stadt und die Kompanie 451 Niederlassung in Süd-Sulawesi und kein zentrales Anliegen ihrer Präsenz. Die kaufmännische Stärke der Niederlassung bestand letztendlich darin, welche Handelssphären sie vor Ort verhinderte, um sie als Sphären, die weitgehend oder ausschließlich von der Kompanie dominiert wurden, an anderen Orten zu schützen. Die politisch-militärischen Stärken der Niederlassung waren hingegen nicht unbeträchtlich und sollten keinesfalls unterschätzt werden. Auch wenn die Zahl der ständig verfügbaren Soldaten stets unter 1.000 Mann blieb, darf nicht vergessen werden, daß sie auf Grund von Ausrüstung und Ausbildung die einheimischen Truppen um ein Mehrfaches aufwogen. Auch die kleine Flottille blieb nicht ohne Bedeutung. Nicht wenige freie indonesische Händler, die das niederländische Paßsystem ignorierten, wurden Opfer der Kontrollfahrten kompanieeigener Schaluppen oder pencalang. Ebenso fielen große Zahlen von Nelken- oder Muskatbäumen auf den vorgelagerten Inseln und in Nusa Tenggara solchen Fahrten zum Opfer. Dennoch waren die Möglichkeiten der Niederlassung Makassar beschränkt. Auch wenn dieser „unsichtbare“ Bereich des Handels nicht quantifizierbar ist, kann doch mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß mehr „illegale“ Händler durch die Maschen des Kontrollnetzes der in Makassar stationierten Boote schlüpften als sich in ihnen verfingen. Und einem tatsächlichen vereinigten Angriff der südsulawesischen Staaten hätte die Garnison der Kolonialstadt nichts erfolgversprechendes entgegensetzen können. Doch genau dieses geschah nicht. Hier kommt die eigentliche Stärke der VOC im politischen Bereich zum Vorschein und spiegelt sich in den makassarischen Verhältnissen wieder. Es bestand keine regionale Allianz gegen die fremde Macht, die zwar nicht konkret als Kolonialherr auftrat, aber doch eindeutige Vorherrschaftsansprüche stellte. Die Kompanie nutzte geschickt die regionalen Verhältnisse aus, die durch das sich immer wieder neu austarierende Kräftegleichgewicht zwischen den einzelnen politischen Akteuren charakterisiert wurden. Die VOC war selten ohne Feinde auf Sulawesi. Sie hatte aber auch stets Verbündete, zumeist die Mächtigeren des augenblicklichen Kräftespiels, da sie es verstand, sich am politischen Spiel SüdSulawesis zu beteiligen und die dortigen Konkurrenten im Zweifelsfalle gegeneinander auszuspielen. Ob glücklicher Zufall oder gewollte Personalpolitik: im 18. Jahrhundert hatte Makassar nicht selten außerordentlich befähigte Gouverneure, kaum jedoch einmal wirkliche Fehlbesetzungen. Ohne eine Bewertung einzelner Personen durchführen zu wollen, kann in der Gesamtschau konstatiert werden, daß die meisten Gouver- 452 Makassar und die VOC nach 1666/69 neure ihren Part im regionalen politischen System erfolgreich spielen konnten. Die VOC blieb bis an ihr Ende ein Garant für das Gleichgewicht auf der Halbinsel, der zwar nicht immer kriegerische Auseinandersetzungen verhindern konnte, jedoch nie seine Position als einflußreiche Regionalmacht einbüßte und selbst nie in existenzielle Gefahr geriet. So manche memorie van overgave spricht eine deutliche Sprache, welche tiefgehenden Kenntnisse manche Gouverneure hinsichtlich der machtpolitisch-dynastischen Verhältnisse in ihrem Umland aufzuweisen hatten.1224 Ein anderer Hinweis deutet in die gleiche Richtung: Im 18. Jahrhundert verzeichnete Makassar kein auffälliges Verfahren gegen eine korrupten, verräterischen oder sonstwie in Mißkredit geratenen Gouverneur. Lediglich Jan Dirk van Clootwijk, Gouverneur zwischen 1751 und 1756, hatte sich nach seiner Rückkehr in die Heimat einem Verfahren zu stellen. Die Vorwürfe gegen Clootwijk hielten sich jedoch in Grenzen und bezogen sich im wesentlichen darauf, daß er die Desertion zweier VOCBediensteter in seinem Einflußbereich zu den Piraten nicht hatte verhindern können.1225 Fälle von Korruption und Mißwirtschaft, die natürlich auch in Makassar vorkamen, bezogen sich in der Regel auf die zweite oder gar dritte Ebene der lokalen Führungsstruktur. 2. Makassar im System der VOC In der formalen Hierarchie der VOC in Asien nahm Makassar eine herausgehobene Position ein. Offiziell war dieser Niederlassung die Kontrolle über das gesamtliche östliche Archipel zugedacht, während Batavia neben dem Sitz der gesamtasiatischen Direktion – sieht man von Ceylon ab – die Zuständigkeit für den westlichen Teil Indonesiens behielt. Eine klar strukturierte Unterordnung der übrigen bedeutenden Niederlassungen existierte jedoch nicht. Das wesentliche verwaltungshierarchische Unterscheidungsmerkmal war die Frage, ob eine Niederlassung Sitz eines Gouverneurs war, der unmittelbar auf der Stufe unterhalb des General-Gouverneurs in Batavia stand, oder nur einen Residenten beherbergte. Residenten siedelte die Kompanie im Verlaufe ihrer Präsenz in Indonesien auf jeder auch nur am Rande wichtigen 1224 Verwiesen sei an dieser Stelle vor allem auf die Memoranden von Joan Frederik Gobius (ARA Den Haag, VOC 2100, 49-128), Adriaan Hendrik Smout (ebd., VOC 2628, 164-328) und Cornelis Sinkelaar (ebd., VOC 11254, 1-39). 1225 Ebd., Collection Radermacher, Nr. 520, passim. Die Stadt und die Kompanie 453 Insel und in jeder größeren Stadt an. Dabei konnte es sich um Personen handeln, die in der Karriereleiter kurz vor dem Sprung zum Gouverneur standen, oder aber um irgendeinen Unteroffizier auf einem abgelegenen Außenposten ohne weiteres Personal. Kontore unter der Leitung von Gouverneuren unterhielt die VOC hingegen nur in sehr überschaubarer Zahl. Im Malaiischen Archipel stand Makassar in der Verwaltungshierarchie der VOC zusammen mit den Niederlassungen Ambon, Banda, Ternate, Timor, Jambi, Palembang, Padang und Malakka auf der Stufe unterhalb von Batavia.1226 Trotz der ranghohen formalen Stellung wies Makassar eine deutliche Ausrichtung auf Batavia auf. Einerseits war dies bereits durch räumliche Nähe gegeben. Kein großes Kontor war zumindest vor der Einrichtung einer ständigen Niederlassung in Banjarmasin gegen Ende des 18. Jahrhunderts problemloser zu erreichen als Batavia. Auch bestand in der dortigen Zentrale ein verstärktes Interesse an vornehmlich politischen Entwicklungen, die nahe genug waren, um auf sie selber übergreifen zu können. Seitens Makassars bestand der Zentrale gegenüber in vielerlei Hinsicht eine Versorgungsabhängigkeit. Dies bezog sich sowohl auf die benötigten Materialien für Instandhaltung und Ausbau der Kompanie-Einrichtungen als auch auf die benötigten europäischen Konsumgüter. Auch im Handel muß der makassarischen Dependence eine gewisse Nachrangigkeit konstatiert werden, da die Kompanie in Makassar nur Güter umschlug, die zuvor über den Stapelplatz Batavia gelaufen waren. Die einzige Ausnahme war der Reis, der teilweise aus Sulawesi selbst stammte – aus den Abgaben an die VOC, sofern nach der Befriedigung des Eigenbedarfs ein Überschuß blieb – und teilweise, wenn es sich um javanischen Reis handelte, mit Sicherheit wie im privaten Reishandel über Semarang importiert wurde. Betrachtet man Makassar im regionalen System der VOC nach Zentralitätsgesichtspunkten, kann kaum von einer wirtschaftlichen Zentralität gesprochen werden. In diesem Bereich ist vor allem – wenn diese Wortschöpfung hier erlaubt ist – von einer „negativen Zentralität“ auszugehen. „Negativ“ ist dabei im Sinne der Absicherung der Zentralität anderer Orte in wirtschaftlicher Hinsicht zu verstehen. Hätte Makassar seine Zentralität im molukkischen Gewürzhandel beibehalten, wäre es stets eine Gefahr für das angestrebte Monopol der VOC geblieben. Durch seine Ausschaltung konnte dieses Markt-Monopol weitaus besser erreicht werden, 1226 Nach der ersten Konsolidierung Makassars führte die VOC in den Generalen Missiven 1688 insgesamt 19 Kontore auf, davon die genannten zehn im Malaiischen Archipel, vier in Indien (Koromandel, Bengalen, Surat, Malabar) sowie je eine in Ceylon, Persien, Thailand, China (Tonkin) und Japan (Generale Missiven V, 13.3.1688, 188/189). 454 Makassar und die VOC nach 1666/69 wodurch den Inseln, auf welche dies zutraf, eine entsprechende Zentralität in dieser Handelssphäre zugewiesen wurde. Im Sinne von Verwaltung und machtpolitischer Relevanz konnte Makassar hingegen durchaus zentrale Funktionen aufweisen. Als Kolonialstadt mit Garnison und eigener Flotte stellte sie nun einmal etwas ganz anderes dar als die Niederlassung eines Residenten. Blieb letzteren die Rolle eines Diplomaten, der nur indirekt, zumeist nur als Drohung auf die Machtmittel der Kompanie zurückgreifen konnte, führte die Kolonialstadt solche Machtmittel konkret vor. Auch wenn die tatsächliche Reichweite nicht mit dem schönen Diktum des „Schlüssels zu den Molukken“ korrespondierte, wurde über Makassar doch regelmäßiger militärischer oder machtpolitischer Druck ausgeübt. Auf diese Weise füllte die Niederlassung aus niederländischer Sicht ein drohendes Vakuum zwischen den Molukken und Java. Auf jeden Fall kam der Kolonialstadt machtpolitische Zentralität im regionalen System Süd-Sulawesis zu. Da es ihr gelang, zumindest bis Ende des 18. Jahrhunderts die alte regionale Vormacht Goa-Tallo klein zu halten, bildete sie einen der politischen Pole auf der Halbinsel, zu dem auf gleicher Ebene noch die wichtigsten buginesischen Reiche traten – vor allem Boné, aber auch Wajo und Soppeng. Da die konkrete Politik der VOC an den Orten, an welchen sie massive Präsenz aufrecht erhielt, zumeist vergleichbar war – selbst um Batavia oder auf Ambon wurden die lokalen Fürstentümer nicht ersatzlos zugunsten einer reinen Kolonialherrschaft aufgelöst –, dürfte Makassar kein Einzelfall als Stadt hoher oder höchster Zentralität im machtpolitischen Zusammenhang ihres regionalen Umfeldes gewesen sein. Eine solche Position korrespondierte zumeist mit einer hohen Zentralität innerhalb der Verwaltungshierarchie der Kompanie. Eine besondere wirtschaftliche Zentralität war hierfür keine notwendige Voraussetzung. Ob dies auch für den Bereich des privaten Handels zutrifft, bedarf noch weiterer Prüfungen. Die rein geographischen Reichweiten der Niederlassung hatten – nimmt man erneut den „Schlüssel zum Osten“ als Maßstab – eher bescheidene Ausmaße. Die regelmäßigen Fahrten, die von den Schiffen der VOC-Flottille in Makassar unternommen wurden, führten neben den Küsten der Südhalbinsel vor allem zu den vorgelagerten Insel, wobei neben Selayar und Buton der Schwerpunkt auf den Tukangbesis lag, und nach Sumbawa. Daneben spielten die Ostküste Kalimantans, Timor und Seram eine gewisse Rolle. Im Falle der krijstochten, die auf Schmuggler und Piraten zielten, wurde dieser gesamte Bereich abgedeckt, wobei sich die Piraterie-Bekämpfung lange Zeit auf die Wasserstraße zwischen Sulawesi und Kalimantan Die Stadt und die Kompanie 455 konzentrierte. Die Expeditionen, die ausschließlich den exstirpatien von „illegalen“ Gewürzkulturen dienten, konzentrierten sich ganz auf die vorgelagerte Inseln mit dem Schwerpunkt auf Selayar und dem kleinen Tukangbesi-Archipel. Nur in Ausnahmefällen wurde auch Seram einbezogen, für das eigentlich der Gouverneur von Ambon zuständig war. Die politische Reichweite der Niederlassung reichte nicht weiter. Durch untergeordnete Residenten oder durch Bündnispolitik hatte das niederländische Makassar Einfluß auf der Südhalbinsel Sulawesis, auf den vorgelagerte Inseln wie Selayar und Buton sowie auf Sumbawa. Dabei kann nicht einmal von einer gleichmäßigen politischen Durchdringung die Rede sein, wie die vier bereits angeführten Präsenzzonen verdeutlichen. Obwohl inmitten oder an der Grenze der Südhalbinsel Sulawesis gelegen, können die Gebiete der Mandhar und Toraja kaum der Reichweite der VOC-Niederlassung Makassar zugeordnet werden, da nur sehr geringe Kntakte, welchen Charakters auch immer, zu diesen Völkern bestanden. Gelegentlich wurden die Mandhar im Norden Makassars als Konkurrenten, als sluijkerhandelaars oder Piraten, angesehen und forderten so unfreiwillig eine krijstocht gegen sich heraus. Doch auch dies blieben seltene Ausnahmen. Noch weniger lassen sich in den Akten Makassars Hinweise darauf finden, daß die VOC die beiden anderen Halbinsel Sulawesis in ihre Einflußsphären einbezogen hätten. Der von den Minahasa bewohnte Norden der Insel wurde erst nach Ende der Kompanie das Ziel kolonialpolitischer Versuche,1227 und auch die Südosthalbinsel trat kaum früher in das Bewußtsein der Niederländer.1228 1227 Siehe zeitgenössisch BLEEKER, Reis door Minahasa, passim, sowie zur Kolonisation TAUCHMANN, Historische Kontinuität, passim. 1228 Die erste ausführliche Beschreibung der Südosthalbinsel Sulawesis ist VOSMAER, Schiereiland, aus dem Jahre 1839. 456 Makassar und die VOC nach 1666/69 Karte 5.2: Süd-Sulawesi TORAJAS LUWU MANDHAR SINDERENG WAJO Paré-Paré Tempe Cinrana Barru Palakka SOPPENG Watamponé BONÉ Siang Maros Makassar TALLO Sinjai GOA Sanrabone Bantaeng Tanakeke Bira Bulukumba