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2
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© 2014 oekom, München
oekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH
Waltherstraße 29, 80337 München
Layout: oekom verlag
Satz: Volker Eidems, greentext
Umschlaggestaltung: Elisabeth Fu
̈rnstein, oekom verlag
Umschlagabbildung: XXX
Druck: AZ Druck- und Datentechnik, Kempten
Dieses Buch wurde auf 100%igem Recyclingpapier gedruckt.
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-86581-700-6
Sächsische Hans Carl von
Carlowitz Gesellschaft (Hrsg.)
Carlowitz weiter denken
Menschen gestalten
Nachhaltigkeit
Jahresschriften der Hans Carl von Carlowitz Gesellschaft e.V.
Band 2014
Inhaltsverzeichnis
Vorwort des Herausgebers
Dieter Füsslein
9
Teil I – Reden anlässlich der
Sächsischen Nachhaltigkeitskonferenz
am 6. November 2013 im Opernhaus Chemnitz
Klaus Töpfer
Vergangenheit und Zukunft eines Begriffs,
des Begriffs der Nachhaltigkeit
13
Fritz Jaeckel
»Manchmal hat man den Eindruck, dass
ohne Nachhaltigkeit gar nichts mehr geht.«
25
Dieter Füsslein
»Gegensätze komplementär denken:
Wissenschaftsentwicklung ohne Erkenntnisgrenzen
einerseits und Ressourcengrenzen
des ›blauen Planeten‹ andererseits«
29
Stanislaw Tillich
»Wer es mit Nachhaltigkeit ernst meint,
der denkt in Generationen,
nicht im Rhythmus von Quartalsberichten
oder Legislaturperioden.«
33
Jochen Bohl
»Das Prinzip des nachhaltigen Umgangs
mit der Natur ist bereits
in den Schöpfungserzählungen
biblisch angelegt.«
41
Teil II – Vorträge anlässlich verschiedener
Veranstaltungen der Sächsischen
Hans-Carl-von-Carlowitz-Gesellschaft
Ulrich Grober
Nachhaltigkeit – Kind der Krise,
Schlu
̈ssel zum Überleben
6 Inhaltsverzeichnis
49
Stefan Brunnhuber
Der neue Club-of-Rome-Bericht:
Geld und Nachhaltigkeit
63
Markus Vogt
Carlowitz weiterdenken.
Nachhaltigkeit
als Basis fu
̈r eine
»Große Transformation« heute
91
K.-H. Hu
̈bler
Was hat der »Erfinder der Nachhaltigkeit«
von Carlowitz der Raumplanung
von heute zu sagen?
123
Ilja Kogan, Sebastian Liebold
Sächsische Humanisten als Ideengeber
nachhaltiger Ressourcennutzung.
Georgius Agricola und
Hans Carl von Carlowitz
133
Inhaltsverzeichnis
Vorname
ausschreiben?
7
Vorwort des Herausgebers
Hans Carl von Carlowitz (1645–1714) ist der Begründer des Nachhaltigkeitsbegriffes, und er gilt als Vordenker des prägenden Anliegens des
21. Jahrhunderts, des übergeordneten Prinzips, kurz des neuen Paradigmas »nachhaltig«. Anlässlich seines 300. Todestages schrieb die
Frankfurter Allgemeine Zeitung am 1. März dieses Jahres unter dem
Titel »Eine Idee setzt sich nachhaltig durch«:
»Carlowitz schrieb Geschichte, ohne dass er Krieg führen oder Revolutionen anzetteln musste.«
Die weltweite Suchbewegung für eine nachhaltige Entwicklung nutzt
sein Standardwerk »Sylvicultura oeconomica« (1713) als Navigationsgerät für die in Angriff genommene Transformation der Weltgesellschaft. Hans Carl von Carlowitz wird auch im UN-Global Sustainable
Development Report – einem zentralen programmatischen Dokument
der UN – als Urheber von »sustainable development« genannt:
»… The origins of the concept of sustainable development has a very
long history in science. For example, already in 1713 Hans Carl von Carlowitz referred to ›sustainable yield‹ (nachhaltiger Ertrag) in the context
of sustainable forestry management …«
Carlowitz hat uns einen Kompass für das Wachstum heilender Kräfte
und gegen zerstörerisches Wachstum hinterlassen, und er hilft uns, ein
Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der Menschen und der Tragfähigkeit des Planeten Erde zu finden.
Vorwort 9
Das Carlowitz’sche Postulat lautet: Nur wer als höchste Wertschöpfung seiner Arbeit größtmögliche Humanität, Umweltgerechtigkeit und
Wirtschaftlichkeit anstrebt, erreicht langfristig in jeder Hinsicht den
höchsten Wirkungsgrad.
Bereits der Untertitel des Carlowitz’schen Buches »Anweisung zur
wilden Baumzucht« hebt den Bildungsaspekt stark hervor. Die einfache
Einsicht, dass neues und verbreitetes Wissen zur Nachhaltigkeit neue
Fähigkeiten in ebendiesem Sinne erzeugt, neue Fähigkeiten bei entsprechender Einsicht nachhaltige Leistungen ermöglichen und nachhaltige
Leistungen die erweiterte Basis einer nachhaltig sich fortentwickelnden
Welt schaffen, was seinerseits wieder nachhaltigeren Fortschritt garantiert, ist der eigentliche Grund für die Herausgabe einer Buchreihe unter
dem Leitbild des Namensgebers Hans Carl von Carlowitz.
Die Jahresausgaben beinhalten die Druckfassungen der CarlowitzVorlesungen der Carlowitz-Gesellschaft sowie die Reden der Preisträger
und Laudatoren anlässlich der jährlichen Preisverleihung des HansCarl-von-Carlowitz-Nachhaltigkeitspreises der Carlowitz-Gesellschaft.
Begleiten Sie mit uns die aktuelle Debatte um eine nachhaltige
Entwicklung im 21. Jahrhundert. Ihre Weggefährten im 1. Band sind renommierte Politiker und Wissenschaftler ganz unterschiedlicher Wissenschaftsgebiete, die den transdisziplinären Ansatz des Nachhaltigkeitsstrebens abbilden.
Ein herzlicher Dank gilt den Autoren dieses Bandes für ihre Mitarbeit; wir bedanken uns beim oekom Verlag, der uns die Herausgabe
ermöglichte. Wir verstehen den »Band 2014« als Beitrag zur weltweiten
Suchbewegung nach einer nachhaltigen Entwicklung und wünschen
Ihnen eine anregende Lektüre.
Glück auf!
Dr. oec. habil. Dieter Füsslein
Vorstandsvorsitzender
der Sächsischen Hans-Carl-von-Carlowitz-Gesellschaft e.V.
zur Förderung der Nachhaltigkeit
10 Vorwort
11
Teil I
Reden anlässlich der
Sächsischen Nachhaltigkeitskonferenz am 6. November 2013
im Opernhaus Chemnitz
Klaus Töpfer
Vergangenheit und Zukunft eines Begriffs,
des Begriffs der Nachhaltigkeit*
was?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Oberbürgermeisterin,
Herr Staatssekretär, alle anderen hoch zu ehrenden Ehrengäste, lieber
Günther Bachmann.
Ich möchte mich erst einmal ganz herzlich dafür bedanken, dass Sie
mich eingeladen haben, auf dieser Bühne zu stehen.
Da wird man ja wirklich schauspielerisch gefordert, ich blicke in
etwas Schwarzes hinein und kann nur vermuten, dass da Menschen sitzen. Eines der in besonderer Weise nichtnachhaltigen Arrangements,
mit denen wir uns abzugeben haben.
Herzlichen Dank, dass Sie gekommen sind, und ich freue mich natürlich, dass die Nachhaltigkeit im Publikum belegt ist. Es sind die Carlowitzens da, über 300 Jahre eine Familie Carlowitz zusammenzuhalten,
und in diesen Bereich zu halten, Respekt der Familie, die das 300 Jahre
durchgehalten hat.
Ich weiß, wovon ich rede, bei mir sind es wesentlich weniger Jahre
in meiner Familie.
Gut, dass Sie da sind.
Genauso freue ich mich darüber, dass wir einen Nach-Nach-Nachfolger von Carl von Carlowitz auch hier haben. Den Oberberghauptmann Herrn Schmidt. Er sitzt und saß im alten Dienstzimmer von Carl
von Carlowitz und wird uns heute Nachmittag nach Freiberg führen.
Denn das kennzeichnet ja die gesamte Region.
* Mitschrift der Rede von Prof. Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister a.D.
anlässlich der Sächsischen Nachhaltigkeitskonferenz am 6. November 2013
in Chemnitz
14 Klaus Töpfer
Die älteste Bergakademie nicht nur in Deutschland, in Europa, sondern weltweit ist in Freiberg, in Sachsen. Sie ist bis zum heutigen Tag
ein wissenschaftliches Zentrum bergbaulicher Forschung in dem heute
weiten Sinne des Wortes.
Es ist großartig, Herr Schmidt, dass Sie gekommen sind und dieses
Erinnern an Ihren Vorgänger mittragen.
Es ist auch deswegen wichtig, dass wir die Ausgangssituation noch
einmal genau aufgreifen.
Sehen Sie, wenn man durch die Welt zieht, dann ist die vordergründige Meinung immer: Nachhaltigkeit, das ist etwas Ökologisches, das
hat was mit Umwelt zu tun.
Wenn man dann 3oo Jahre Carl von Carlowitz bedenkt, dann ist
man auf einmal aus dieser Überlegung etwas herausgerissen.
Denn wie gesagt, er war Oberberghauptmann, er war nicht Oberförster. Und was ihn zum Schreiben dieses Buches gebracht hat, das war
die Rohstoffenergiekrise seiner Zeit, war Holz.
Also, er hat zunächst mal nicht gefragt, ob wir stabile Ökosysteme
brauchen in den Wäldern, sondern er hat schlicht und einfach die
Frage gestellt, was können wir tun, damit wir auch auf Dauer weiter
Bergbau in Sachsen und im Erzgebirge betreiben können als Grundlage
für Arbeitsplätze, für Wohlstand in dieser Region, auch für die Bedeutung seines obersten Dienstherrn, des Großfürsten und Königs von
vielen Regionen.
Also, er war ökonomisch gefordert, und er musste eine Antwort darauf geben, wie gehen wir mit dieser Rohstoff- und Energiekrise um.
Das hört sich dann schon sehr, sehr bekannt an, denn mit solchen
Krisen sind wir auch konfrontiert, und er hat in seiner Überlegung in
diesem Buch, das jetzt auch für uns heute hier gut lesbar vorliegt…
Herr Hamberger, Gratulation Ihnen, dass Sie dieses Werk, ich will
mal sagen, übersetzt haben. Damit wir es alle wirklich jetzt auch lesen
können, denn es ist ja eine der tragischen Erkenntnisse solcher Werke,
dass sie mehr zitiert als gelesen werden.
Das hat nicht nur dieses Buch, sondern das haben auch andere zu
ertragen, jetzt können wir es wirklich weiterlesen.
Vergangenheit und Zukunft eines Begriffs, des Begriffs der Nachhaltigkeit 15
Diese Neufassung ist bei der letzten Buchmesse in Leipzig vorgestellt
worden, und ich glaube, es ist wichtig, das immer und immer wieder zu
unterstreichen. Nicht um Werbung zu machen für das Buch, sondern
welum deutlich zu machen, lesen wir mehr als nur das eine Zitat. Deswegen
ches
Zitat ist war es auch gut, dass nicht nur dieses eine Zitat vorgetragen wurde, sondern etwas breiter aus diesem Werk gelesen wurde.
gemeint?
Und dann sollen diese Hinweise daran erinnern, dass die entscheidende Frage für Hans Carl von Carlowitz war, das Wesentliche zu tun,
um die wirtschaftliche Basis dieser Region auf Dauer zu erhalten.
Seine Überlegungen da drinnen, man muss es immer und immer
wieder unterstreichen, gehen genau in die Richtung, mit denen wir gegenwärtig auf Krisen zu antworten und zu reagieren haben, ebendie
Energie- und Rohstoffkrisen.
Er fragt sich in diesem Buch sehr intensiv, was können wir denn tun,
um effizienter, sparsamer mit diesen Rohstoffen umzugehen, und macht
sehr detaillierte Vorschläge dafür bis hin zur Nutzung von Holz durch
Hausfrauen zum Kochen von Mittagessen und Abendessen, bis hin zu
vielen anderen Dingen. Effizienz als eine seiner Überlegungen zur Überwindung dieser Rohstoffkrise.
Genauso fragt er sich, wenn mir das Holz ausgeht, kann ich die gleichen Zwecke nicht mit anderen Mitteln erreichen? Also, er fragt nach
Substitution, kann man das ersetzen, und er macht das auch sehr, sehr
konkret.
Schon auf dem Titelblatt steht, dass er sich Gedanken gemacht hat,
wie geht man mit Torf um, können wir Torf nicht nutzen, um Energie
zu erzeugen?
Günther Bachmann hat vor nicht allzu langer Zeit in diesem Zusammenhang gesagt: Dieser Torf bei Hans Carl von Carlowitz ist das Schema
von heute. Darüber nachzudenken, wie können wir substituieren, wie
können wir ersetzen und welche Konsequenzen hat das Ersetzen denn
für andere Zielsetzungen? Das galt für Torf damals genauso wie heute
für andere Rohstoffe. Also, auch das ist eine klassische Entwicklung, genauso wie er sich fragt, können wir nicht neue Wege gehen, insgesamt
Engineering zu betreiben?
16 Klaus Töpfer
Interessant zu wissen, dass etwa 200 Jahre später, nach Hans Carl
von Carlowitz, man in einer anderen Region von Europa in eine vergleichbare Situation hineingeraten ist, nämlich im südlichen Bereich
der Toskana in Italien, wo heißes Wasser aus der Erde herauskam, es
war borhaltig, man wollte das Bor gewinnen, dafür brauchte man wiederum Energie, darum hat man wiederum die Bäume abgeschlagen,
und so kam man auch wieder auf die Frage, was machen wir denn jetzt,
wenn uns die Wälder dahinschwinden?
Zu deren Substitution wurde dann die Biothermie erfunden, das ist
dort zum ersten Mal genutzt worden. Also, Sie sehen, diese Überlegungen waren immer ökonomisch motiviert. Dass sie darüber hinaus andere Dimensionen hatten, und von Carlowitz schon angesprochen wurden, sollte nicht übersehen werden.
Er fragt sich, wenn wir mehr Bäume pflanzen müssen, wen können
wir denn in die Verantwortung dafür nehmen, dass sie gepflanzt werden?
Und er sagt, offenbar nicht die Landarbeiter oder einfachen Leute, sondern das ist die Verpflichtung derer, die wohlhabend genug sind, um
über die Generation hinaus zu denken. Und er nimmt den Adel in die
Pflicht, die damalige Oberschicht. Er hat sie also in die Pflicht genommen und gesagt, das sind die wenigen, die eigentlich die Möglichkeiten
haben, jetzt zu pflanzen, jetzt zu investieren und die Erträge daraus nicht
selbst zu haben, sondern sie in der Zukunft von anderen ernten zu lassen.
Wir können nicht darauf warten, dass dies die nicht dafür ökonomisch ausgezeichneten Menschen tun, sondern dies muss in eine ganz
offensichtlich soziale Dimension, wenn er darauf hinweist, da sollen
nicht mehr nur so viele Paläste gebaut werden, sondern viel eher sollte
man in Häuser investieren. »Investieren« steht da nicht drin, ich will es
nur in die heutige Sprache übersetzen.
Also, Sie sehen, es ist eine ökonomische Inangriffnahme dieser Probleme. Und die Antworten auf eine den Menschen offenbar über alle
Generationen hinweg sehr naheliegende Verhaltensweise: dass er immer
wieder versucht, die Posten, die seinen gegenwärtigen Wohlstand darstellen, nie gleich zu bezahlen, sondern zu sagen, das machen wir später.
Das ist das Verschieben von Posten. Und nur das zu machen, was wir
sie meint
hier was?
Vergangenheit und Zukunft eines Begriffs, des Begriffs der Nachhaltigkeit 17
jetzt kurzfristig brauchen. Wir können dann sagen, das ist noch immer
gut gegangen, oder das fällt uns später auch noch ein.
Also, der Mensch tendiert offenbar dazu, die kurzfristigen Folgen
seiner Entscheidungen alleine zu betrachten und nicht die mittleren
und langfristigen Konsequenzen zu sehen.
Das ist der entscheidende Veränderungsfaktor bei Hans Carl von
Carlowitz. Er bringt die Zeit in die Dimension der Entscheidung hinein.
Fragt sich nur, kann ich’s heut noch machen, möglicherweise sogar
heute sehr billig, weil ich nicht pflanzen muss?
Sondern welche Konsequenzen hat das Abhauen eines Baumes heute
für mittel- und langfristige Dinge, die nicht mehr mich betreffen.
Die Dimension der Zeit aufzuhalten!
Das geht in der Tat in die christliche Verantwortung sehr unmittelbar
ein, genau diese Dimension der Zukunft und die damit verbundene Verantwortung für die Folgen des eigenen Tuns. Und das ist zugegebenermaßen schon eine ethisch sehr herausfordernde Tatsache.
Wie können wir das machen, und natürlich, Herr Füsslein, bin ich
auch mit Ihnen der Meinung, das geht da sehr stark auch um die Frage
der ökologischen Dimension.
Aber ich möchte hier mal auf diese Dinge hinweisen, die wir heute
in besonderer Weise als nicht mehr nachhaltig oder noch nie nachhaltig
fast ausgeblendet haben, jedenfalls nicht unmittelbar mit diesem Namen
verbinden.
Also, es ist angesprochen worden, dass im Jahre 2006 Kurt Biedenkopfs Buch erschienen und zum Bestseller geworden ist, »Die Ausbeutung der Enkel, ein Plädoyer für die Rückkehr zur Vernunft«, das ist
der Titel. Die Ausbeutung der Enkel. Da steht das Wort »nachhaltig«
nicht drin. Im Titel nicht, und es ist auch nicht unter dem Begriff »Nachhaltigkeit« in besonderer Weise erörtert worden. Aber genau das ist eine
Definition der Nachhaltigkeit.
Ganz offenbar bedeutet die Ausbeutung der Enkel, dass wir die Kosten unseres Wohlstands gegenwärtig nicht mehr in unseren Zahlungsverpflichtungen aufgreifen, sondern sie auf die Enkel fortschreiben und
sie damit indirekt ausbeuten.
18 Klaus Töpfer
er macht erstmals
auf die zeitliche
Dimension jeglicher Entscheidung aufmerksam?
Im ökologischen Zusammenhang hab ich das mal gesagt, es gibt so
etwas wie eine ökologische Aggression. Das ist die soziale Aggression
gegenüber der nachfolgenden Generation. Und das ist ja nicht so was,
was wir nur in diesem Teilbereich abgehakt haben.
Meine Damen und Herren, bis in die Gegenwart hinein wissen wir,
dass dieses Verhalten, Verpflichtung von heute auf die Zukunft vorzutragen, sowohl in der Zukunft der kommenden Generation als auch in
der Zukunft der mit uns an anderen Orten Lebenden weitergeht.
Und sehen Sie die aktuelle Diskussion in Europa, warum haben wir
einen Fiskalpakt in Europa? Was ist zu tun, damit wir die massive Überschuldung abbauen?
Und die kommen genauso wieder zu derselben Abwälzungs- und
Kurzfristigkeitsdiskussion, von der ich gerade mit Blick auf Carlowitz
gesprochen habe, der das in seiner Zeit als Grundlage für Fehlentwicklungen herausgearbeitet und durch dieses Buch versucht hat zu kommunizieren.
Ich wage die Behauptung, dass das, was wir gegenwärtig als besonders
nichtnachhaltig ansehen, die Finanzarchitektur dieser Welt ist und die
Wirtschaftsstrukturarchitektur dieser Welt, die dazu verleiten, Kosten
abzuwälzen. Und all die großen Konsequenzen dieses Abwälzens führen
dazu, dass sie die wirklichen Knappheiten verdecken.
Also, wir sehen, dass wir diese Grundmentalität des Abwälzens als
eine Dominanz der Kurzfristigkeit wiederfinden.
Was Nachhaltigkeit bei Carlowitz bedeutet, heißt, sich Freiräume zu
erhalten für zukünftige Entscheidungen. Und das ist wiederum eine sehr
herausfordernde Aufgabe. Wenn ich das in unsere Zeit hineintransportiere, sehe ich, dass wir in eine immer stärkere Kurzfristigkeitsmanie
hineinlaufen. Dass wir immer weniger die Möglichkeit haben, Alternativen zu entwickeln und damit Freiräume zu erhalten, wie Hannah Ahrendt das so richtig gesagt hat: dass man Alternativen haben muss. Alternativen, neu anfangen zu können, ist für sie der Kern der Freiheit.
Wie kriegen wir es hin, dass wir Nachhaltigkeit so verstehen, dass wir
mittel- und langfristig die Konsequenzen unseres Handelns heute aufgreifen und damit Freiräume für andere schaffen, die nach uns kommen?
Vergangenheit und Zukunft eines Begriffs, des Begriffs der Nachhaltigkeit 19
Bezug?
Satz?
Sinn?
Zusammenhang?
So ist die offizielle Definition von Nachhaltigkeit dann hinterher in
den Bericht »Our Common Future, unsere gemeinsame Zukunft« der
sogenannten Brundtlandkommission hineingeflossen. Also, handele
heute so, dass dein Handeln nicht das Entscheiden und das Handeln
kommender Generationen infrage stellt. Genau diese Dimension der
Zeit also aufgreifen, um Freiräume zu erhalten.
Wir sind sehr besorgt darüber, dass die Vielzahl der Dinge und der
Entscheidungssituationen, die uns im Privaten bis in die hohe Politik
hinein als alternativlos vorgegeben werden, ein immer deutlicheres Zeichen dafür sind, dass wir nicht nachhaltig sind.
Deswegen ist es sinnvoll, so etwas wie einen Stabilitäts- und Wachstumspakt im Ökonomischen zu machen.
Aber warum, meine Damen und Herren, machen wir dann nicht auf
europäischer Ebene einen Stabilitätspakt für die Umwelt?
Wir übernutzen sie jetzt, die Abschreibungen auf diese Nutzung nehmen wir nicht vor: Carlowitz sagt, er pflanzt keine Bäume, aber er nutzt
sie nur. Wir sind destabilisierend und so, wie Kurt Biedenkopf sagt, die
Ausbeutung der Enkel, die er aber in besonderer Weise im finanziellen
Bereich sieht.
Kann man denn so ein Buch schreiben über die Ausbeutung der
Enkel mit Blick auf die Möglichkeiten, die sie aus der Natur und ihrer
Leistung für den Menschen haben?
In eine Zeit hinein also, wo die Kenntnisse der Menschen über die
Bausteine von Natur und Leben immer tiefgehender werden, wo also die
Notwendigkeit, länger zu denken, ansteigt, weil es nicht mehr nur darum
geht, welche Konsequenzen hat das für meine Nächsten, sondern auch
für meine Fernsten, wie Hans Jonas es richtigerweise gesagt hat.
Also, wir sind in einer allgemeinen Entwicklung von Wissenschaft
und Technik, die immer weiter fortschreitet in der Entschlüsselung von
Natur und die damit immer weitgehendere Konsequenzen haben kann
oder haben wird, die wir alle jetzt mitbedenken müssten und dieses
nicht mehr mitbedenken können.
Hans Jonas, den ich zitierte, dieser große deutschjüdische Philosoph,
hat das in seinem Buch »Das Prinzip Verantwortung« mit folgendem
20 Klaus Töpfer
Satz?
?
Satz formuliert, ich zitiere: »Unser Wissen muss dem kausalen Ausmaß
unseres Handelns größengleich sein.«
Und er führt fort: »Genau das ist es nicht.«
Und deswegen ist eine jede Entscheidung heute vor dem Hintergrund zu stellen: Können wir dies in die Verantwortung der Menschen
mit hineinnehmen?
Ich sage dies wissend, dass wir dazu tendieren, genau dies auszublenden. Die Bankenkrise, die wir 2008 erlebt haben, ist genau dadurch mitbegründet, dass wir eine Trennung von Haftung und Risiko zugelassen
haben. Und wenn Sie die beiden trennen, wenn der, der die Risiken eingeht, nicht dafür haftet, dann werden Sie sich nicht darüber wundern
können, dass sie ein sehr optimistisches Bild von möglichen Risiken
vorgegaukelt bekommen haben.
Und genau das ist eingetreten. Also auch dies zeigt Hans Carl von
Carlowitz. Dass eine solche Entscheidung, die nicht mehr die Risiken
des heutigen Entscheidens in die Haftung derer bringt, die dann ja gar
nicht mehr da sind, offenbar die Wahrscheinlichkeit mit sich tragen,
dass sie eine zu optimistische Beurteilung von Risiken haben.
Das ist der Inhalt von Hans Jonas.
Das führt uns, wie ich meine, in die Perspektive von Nachhaltigkeit,
in die wir hineingehen.
Und wenn es so ist, dass der Mensch immer stärker durch sein Handeln und durch sein Wissen Natur beeinflusst, dann kommen wir offenbar in eine neue erdgeschichtliche Perspektive. Dies ist nicht eine
Sache, die ich mir habe einfallen lassen, sondern der große Nobelpreisträger, der jetzt in diesem Jahr 80 Jahre alt werdende Paul Crutzen, hat
den Nobelpreis dafür bekommen, dass er den Zusammenhang zwischen
der Nutzung bestimmter Chemikalien heute und der Zerstörung der
Ozonschicht morgen hergestellt hat, und zwar nicht nur morgen sondern auch zu unserem Vorteil, gerade dort, wo das, was genutzt worden
ist, nie genutzt wurde, nämlich bei anderen. Intergenerativ und interregionale Verteilung von Posten, sauber daraus abzulesen.
Dieser Paul Crutzen hat einen Beitrag geschrieben in dem renommierten Journal »Loyal Nature« im Jahr 2001, mit der Überschrift:
Vergangenheit und Zukunft eines Begriffs, des Begriffs der Nachhaltigkeit 21
»Idyologie of men, die Ideologie des Menschen«. Und hat darin herausgearbeitet, dass wir eigentlich gar nicht mehr im alten erdgeschichtlichen Zeitalter, also nicht mehr im Holozän, leben, sondern dass wir
schon in einem menschengeprägten Zeitalter leben, und hat das »das
Antropozän« genannt. Und er hat darauf hingewiesen, dass das, was wir
gegenwärtig tun, eigentlich das ingenieurmäßige Bewältigen der negativen Konsequenzen vorangegangenen Tuns ist. Das ist Nachhaltigkeit
im Antropozän.
ZusamAuch wenn ein bisschen in den internationalen Diskussionen hinein
mender Satz steht »Nature is out«. Was ist denn noch Naturkatastrophe ?
hang?
Ist ein Tsunami eine Naturkatastrophe? Oder ist es nicht dadurch
eine Katastrophe, dass eine der Welt immer immanentere Bewegung
dann zu einer Katastrophe führt, weil andere Menschen am Strand des
Meeres Kraftwerke gebaut haben? Wird nicht eine Katastrophe gerade
daraus, weil vorher Menschen gehandelt haben?
Ich glaube, darüber hat Carlowitz noch nicht nachdenken müssen,
wie denn das Anpflanzen von Bäumen Auswirkungen hat auf das globale Klima, welche Aufnahmefähigkeiten Wälder für CO2 haben, und
damit Antworten darauf zu finden, dass wir massenhaft CO2 freisetzen.
Also, das Nachdenken über die Auswirkungen menschlichen Handelns auf Nachhaltigkeit in dem Sinne ist gebotener denn je.
Deswegen ist es sehr gut, dass wir uns 300 Jahre nach dem Erscheinen
dieses Buches hier treffen. Und darüber nachdenken, was diesen großen
Mann motiviert hat, ein solches Buch zu schreiben, wie gesagt, nicht als
Oberförster, sondern als Oberberghauptmann, als jemand, der für die
Wirtschaft einer Region zuständig war und das sehr ernst genommen
hat. So wie wir auch heute noch sehen, dass immer wieder die Notwendigkeit, wirtschaftliche Perspektiven für die heutigen Menschen zu
schaffen, an die erste Stelle gestellt wird und eher etwas zufällig danach
gefragt wird, welche sozialen und ökologischen Konsequenzen unser
Handeln hat.
Ich freue mich, dass man vor dem Hintergrund dieser historischen
und zukunftsorientierten Perspektive mir die Ehre erweist, einen solchen Preis zu bekommen.
22 Klaus Töpfer
Es ist sicherlich richtig, dass man in seinem Lebenslauf relativ einfallslos war. Ich habe immer »Umwelt« gemacht. Andere Minister werden
wenigstens zwei- oder dreimal andere Minister, manche sogar noch mehr.
Aber man muss dann auch sagen, dass nicht zuletzt ein Hans Carl
von Carlowitz zeigt, dass, wenn der Schuster bei seinen Leisten bleibt,
ihn aber immer wieder auf die Notwendigkeiten seiner Zeit hin verändert, er eine großartige Persönlichkeit sein kann.
Dass dies hier in Freiberg, in Sachsen, im Erzgebirge der Fall ist, beeindruckt mich ganz persönlich auch deswegen sehr, weil Freiberg, wie
vielleicht auch die Freiberger hier im Saal wissen, eine Städtepartnerschaft mit Balschik in Schlesien hat. Balschik, das war Waldenburg, und
in Waldenburg bin ich geboren. Dass immer wieder, wenn man da hinkommt, sich zeigt, wie Europa eben nicht nur unter dem Gesichtspunkt
ökonomisch-ökologischer Notwendigkeiten zusammenwächst, sondern
dass die Menschen zusammenkommen und dass dies auch eine Herausforderung für Nachhaltigkeit ist, alles daranzusetzen, dass wir durch unsere Entscheidungen heute nicht Ausgangspunkt von Spannungen und
von täglichen nur noch militärisch zu bewerkstelligenden Problemen
sind.
Dies also herauszuarbeiten war mir eine Freude.
Vergangenheit und Zukunft eines Begriffs, des Begriffs der Nachhaltigkeit 23
Fritz Jaeckel
»Manchmal hat man den Eindruck,
dass ohne Nachhaltigkeit
gar nichts mehr geht.«*
Wenn Sie, verehrter Herr von Carlowitz, sich zwischenzeitlich in Sachsen etwas umgesehen haben, werden Sie mir zustimmen, dass wir uns
schon lang nicht mehr damit trösten, dass »Holtz und Unglück über
Nacht wachsen«. Wir haben uns Ihre »Sylvicultura oeconomica« zu Herzen genommen, sowohl, was die »nachhaltende« Nutzung unserer Wälder angeht, also auch Ihre sonstigen Vorschläge, um das Holz effizienter
zu nutzen. So gibt es heute bei uns beispielsweise sehr moderne Öfen,
die mit weniger »Holze mehr Wärme geben«, und auch beim Kochen
geht an modernen »Platten« »keine Hitze mehr umsonst weg«. Wir nennen das Energieeffizienz, denn nach wie vor haben wir das Problem,
dass fossile Energieträger endlich und die erneuerbaren Energien noch
nicht grundlastfähig sind. Energie besser zu nutzen ist daher für mich
eines der wichtigsten Themen, wenn die Energiewende gelingen soll.
Doch Energieeffizienz ist nur ein Beispiel, wie wir die von Ihnen empfohlene »nachhaltende« Nutzung verinnerlicht haben.
Das Prinzip, das einst in den sächsischen Wäldern heranwuchs und
für die Förster seit 300 Jahren modern ist, hat zwischenzeitlich einen
sagenhaften Aufstieg erlebt. Manchmal hat man den Eindruck, dass
ohne Nachhaltigkeit gar nichts mehr geht. Und doch hat die seit Ende
des 20. Jahrhunderts begonnene Karriere der Nachhaltigkeit vielen Menschen ins Bewusstsein gerufen, wie wichtig es ist, sorgsam mit unserer
Schöpfung umzugehen. Der Freistaat Sachsen hat dazu Anfang des Jahres eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie erstellt, die als politische Leit-
* Rede von Herrn Staatssekretär Dr. Fritz Jaeckel zur Eröffnung des Forums
»Menschen gestalten Nachhaltigkeit« am 6. November 2013 in Chemnitz
26 Fritz Jaeckel
linie langfristig eine positive, nachhaltige Entwicklung unseres Freistaates sicherstellen soll. Sie umfasst Bildung, Finanzen, Klima und Energie,
Natur und Umwelt, Stadt und Land, Wirtschaft und Fachkräfte sowie
Gesundheit und Lebensqualität. Dass wir dabei erfolgreich sind, hat erst
kürzlich wieder der bundesweite Schulleistungsvergleich gezeigt. Ob
Mathe, Chemie, Bio oder Physik – Sachsens Schüler sind am schlauesten.
Oder nehmen Sie unsere Finanzpolitik. Schon seit 2006 handeln wir danach, nicht mehr auszugeben, als wir einnehmen. Verankert haben wir
das jetzt sogar in unserer Verfassung. Auch in anderen Bereichen brauchen wir uns nicht zu verstecken. Aus sauren Böden, fast toten Flüssen
und auf Verschleiß gefahrenen Betrieben wurde das dynamischste deutsche Bundesland mit einer intakten Umwelt und einer lebenswerten
Kulturlandschaft – und das scheinbar für viele. So wurde erst kürzlich
nach über 100 Jahren der erste Lachs in der Mulde gefangen – für mich
als Umweltstaatssekretär eine kleine Sensation!
Natürlich gibt es nicht nur Sensationen. Angesichts von weltweitem
Hunger, Armut, Umweltzerstörung, Klimawandel und politischer Instabilität ist Nachhaltigkeit aktueller und notwendiger denn je. Obwohl
wir hier im weltweiten Vergleich auf einem sehr hohen Niveau agieren
und bei uns andere Probleme anstehen, als Herr Prof. Töpfer aus Asien,
Lateinamerika oder Afrika kennt, so stehen doch auch bei uns neue Aufgaben an, die es für eine weiterhin positive Entwicklung unseres Freistaates zu lösen gilt. Ich nenne hier nur die Stichpunkte Demografie,
Klimawandel, Hochwasserschutz, Flächenverbrauch, Energiesicherheit
und Artenschwund.
Zusammen mit der Hans-Carl-von-Carlowitz-Gesellschaft wollen
wir Sie daher mit dieser Veranstaltung unter dem Motto »Menschen gestalten Nachhaltigkeit« informieren und gleichzeitig anregen, darüber
nachzudenken, auch in Ihrem Verantwortungs- und Lebensbereich den
einen oder anderen Schritt zum nachhaltigen Handeln zu unternehmen.
Nachhaltigkeit funktioniert nur, wenn alle daran teilnehmen. Viele
Sachsen haben gerade in diesem Jahr gezeigt, dass wir das Carlowitz’sche
Erbe angenommen und weiterentwickelt haben. Wir würden uns freuen,
wenn wir über diese Veranstaltung weitere Mitstreiter finden.
Ohne Nachhaltigkeit geht nichts mehr 27
Dieter Füsslein
»Gegensätze komplementär denken:
Wissenschaftsentwicklung ohne
Erkenntnisgrenzen einerseits und
Ressourcengrenzen des
›blauen Planeten‹ andererseits«*
Die ökologische Dimension
29
Wer sich heute für Nachhaltigkeit engagiert (und es werden immer
mehr – weil Nachhaltigkeit Lust macht auf ein Leben, das weit ausgreift),
ist nicht nur Teil einer großen globalen Suchbewegung, er ist auch Teil
einer reichen Geschichte (U. Grober).
Diese Geschichte begann mit einem Buch. Darin hat uns Carlowitz
einen Kompass für das Wachstum heilender Kräfte und gegen zerstörerisches Wachstum mitgegeben. Er hilft uns, ein Gleichgewicht zwischen
den Bedürfnissen der Menschen und der Leistungsfähigkeit des Planeten
Erde zu finden.
Oft bedrückt uns heute die Diskrepanz, ja der oft schreiende Widerspruch zwischen dem, was wir wissen, und vielen noch immer destabilisierenden Tendenzen wie der Kontaminierung und der Plünderung
unseres Blauen Planeten oder dem leichtfertigen Umgang mit Nahrungsmitteln. Viele destabilisierende Prozesse zielen auf Kollision. Ein
Verdrängen oder eine Marginalisierung der Nachhaltigkeit führt geradewegs ins Aus! So wie von Carlowitz glauben auch wir an die Kreativität und das Potenzial, um umzusteuern.
Aus den Quellen des von Carlowitz können wir dafür Impulse, Anregungen und Weisheit für Gegenwart und Zukunft schöpfen.
Nachhaltigkeit ist nur mithilfe der Zivilgesellschaft zu bewirken,
Regierungen und Parlamente benötigen die Unterstützung der Zivilgesellschaft, und umgekehrt ist es ebenso, und deshalb ist es ein starkes
Zeichen dieser gemeinsamen Verantwortung, dass der heutige Nachhal-
* Rede von Dr. oec. habil. Dieter Füsslein, Vorstandsvorsitzender der Sächsischen Hans-Carl-von-Carlowitz-Gesellschaft e.V., am 6. November 2013
30 Dieter Füsslein
tigkeitstag von der Staatsregierung und der Carlowitz-Gesellschaft und
auch mit Unterstützung der Agenda-Beiräte getragen wird.
Am heutigen Nachmittag zeigt der Exkursionsteil wie sächsische
Bürger mit großem Engagement und großer Verantwortung in verschiedenen Bereichen Nachhaltigkeitsprojekte realisieren, die zur Nachahmung einladen.
Der von Carlowitz 1713 erstmals beschriebene Dreiklang der Nachhaltigkeit – ökologisches Gleichgewicht, ökonomische Sicherheit und
soziale Gerechtigkeit –, die Carlowitz’sche Verknüpfung der Faktoren
der Nachhaltigkeit gibt uns einen ganzheitlichen Handlungsansatz und
schützt unser Denken vor subjektiver Schwerpunktwahl.
Das Carlowitz’sche Postulat des nachhaltigen Wirtschaftens lautet
deshalb: Nur wer als höchste Wertschöpfung seiner Arbeit größtmögliche Humanität, Umweltgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit anstrebt,
erreicht langfristig in jeder Hinsicht den höchsten Wirkungsgrad.
Kein Mensch kann an dem rasanten Wissenszuwachs der Naturwissenschaft (zum Beispiel der Nano-, Bio- und Informationstechnologie)
und dem ebenso rasanten Wachstum der technischen Möglichkeiten
vorbeisehen; es ist in vielen Ingenieurdisziplinen überwältigend, wenn
ich daran denke, was von dem heute Gewussten und Gekannten noch
unbekannt war oder unmöglich schien, als ich zum Beispiel mein Universitätsstudium abschloss.
Heute lernen wir, zwei Gegensätze komplementär – also zusammen,
als »Sowohl-als-auch« und nicht als »Entweder-oder« – zu denken: Wissenschaftsentwicklung ohne Erkenntnisgrenzen einerseits (Effizienz,
Substitution, Engineering, Suffizienz) und räumliche und Ressourcengrenzen des Blauen Planeten andererseits. Mit der treffenden Metapher
»Raumschiff Erde« wird die Begrenztheit unseres Planeten in zwei Worten deutlich.
Erst die erwähnte Komplementarität führt zur begründeten Zuversicht für die Lösungskompetenz der Menschheit und zur Maxime: »Global denken – lokal handeln«.
Dank Prof. Klaus Töpfer wissen wir Nachhaltigkeitspolitik als Teil
weltweiter Konfliktprophylaxe, als Friedenspolitik (Wasserkriege) zu
Gegensätze komplementär denken
31
verstehen, und Prof. Kurt Biedenkopf hat uns das Thema Enkelgerechtigkeit über Jahrzehnte quasi eingebläut.
Mit dem deutschen Terminus »Nachhaltigkeit« (nachhaltend) begründete Carlowitz also einen ethischen Trend, ein Leitbild von universeller Geltung – und einen Exportschlager »made in Sachsen/made in
Germany« erster Güte.
Die sogenannte Grüne Technik hat einen wachsenden Anteil am BIP
des Freistaates und ist auf dem Weg zu einer führenden Branche.
Das Standardwerk des Hans Carl von Carlowitz ist wie eine Partitur,
quasi für ein weltweites Orchester, die das Tonale, Rhythmische und
Melodische einer nachhaltigen Entwicklung beeindruckend ausdrückt.
So wie die 9. Sinfonie von Beethoven zur Europahymne avancierte,
so sollte das Carlowitz’sche Leitbild die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Leitplanken, also die Kultur Europas, prägen.
Die Carlowitz-Gesellschaft versteht das Carlowitz’sche Leitbild
Nachhaltigkeit aber auch als rigorose Verantwortung des Einzelnen gegenüber seiner Mitwelt und gegenüber künftigen Generationen, aber
auch als Schutzschild gegen Hohlheit und Phrasenhaftigkeit im Umgang
mit dem Begriff »Nachhaltigkeit« (vgl. Johannes der Täufer, Lukas 3,
Vers 10-14).
In Abwandlung eines Buchtitels von Ernst Ulrich von Weizsäcker
»Jahrhundert der Nachhaltigkeit« möchte ich heute abschließend sagen:
Wir sind im Jahrhundert der Nachhaltigkeit.
32 Dieter Füsslein
Stanislaw Tillich
»Wer es mit Nachhaltigkeit ernst meint,
der denkt in Generationen,
nicht im Rhythmus von Quartalsberichten
oder Legislaturperioden.«*
Die wirtschaftliche Dimension
33
hier würden wir gern »Es gilt das
gesprochene Wort« streichen
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Professor Dr. Klaus Töpfer,
die Carlowitz-Gesellschaft ehrt Sie heute für Ihr jahrzehntelanges Engagement für Nachhaltigkeit. Das ist freilich nicht die einzige Parallele
zwischen Ihnen und dem Namensgeber des Preises. Sie sind – das ist
die erste Verbindung zu Hans Carl von Carlowitz – nicht als klassischer
Naturschützer zu diesem Ihrem Lebensthema gekommen. Sie sind von
Haus aus Volkswirt und haben Ihre akademische Karriere mit einer ökonomischen Fragestellung begonnen: wie regionalpolitische Prämissen
die Standortentscheidung von Unternehmen beeinflussen. Sie können
heute noch aus dem Stegreif einen Vortrag darüber halten, wie die Höhe
des Benzinpreises oder die Pendlerpauschale den Siedlungscharakter
einer Region bestimmt.
Auch Hans Carl von Carlowitz war Ökonom und hat durch eine ökonomische Fragestellung zum Thema Nachhaltigkeit gefunden. Vor
300 Jahren drohte eine Wirtschaftskrise. Holzknappheit machte Bergbau
und Hüttenwesen, aber auch die Versorgung mit Bau- und Feuerholz
teuer. Der Holzmangel gefährdete Arbeitsplätze und verringerte die
Kaufkraft der Einkommen.
Für Carlowitz war die Lösung klar: konsequente Aufforstung, effizientere Öfen und eben nachhaltige Nutzung der Wälder – nur so viel
* Laudatio des Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich auf Prof. Dr. Klaus
Töpfer zur Verleihung des Carlowitz-Preises der Sächsischen Hans-Carlvon-Carlowitz-Gesellschaft am 6. November 2013 in Chemnitz
34 Stanislaw Tillich
Holz entnehmen, wie dank Aufforstung wieder nachwächst. Allerdings:
Heute meint Nachhaltigkeit viel mehr als nur den Wald. Das kann man
zum einen daran sehen, dass es in Dresden ein neues Forschungsinstitut
der Universität der Vereinten Nationen gibt, das sich mit dem Zusammenhang von Wasser, Boden und Müll beschäftigt. Es hat den schönen
Namen UNU-Flores.
Noch weiter gefasst: Nachhaltigkeit beschreibt einen Zustand der
Mensch-Umwelt-Beziehungen, in dem wir Menschen nur so viele Ökosystemleistungen verbrauchen, wie die Umwelt wieder bereitstellen
kann, und nur so viel Müll an die Umwelt abgeben, dass die uns am
Leben haltenden Ökosysteme selbst am Leben bleiben. Das ist Umweltschutz aus ökonomischen Erwägungen heraus – denn es geht darum,
die Grundlagen für unser Wirtschaften und Überleben langfristig zu sichern. Damit bin ich bei der zweiten Parallele zwischen Klaus Töpfer
und Carlowitz. Wer es mit der Nachhaltigkeit ernst meint, also mit der
langfristigen Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlage, der denkt
in Generationen, nicht im Rhythmus von Quartalsberichten oder Legislaturperioden. So wie Carlowitz, der mit der Aufforstung und nachhaltigen Bewirtschaftung der sächsischen Wälder ein Generationenprojekt plante. Wer sich heute wie Klaus Töpfer für Nachhaltigkeit
engagiert, dem ist klar: Es geht darum, unsere Umwelt und ihre lebenserhaltenden Funktionen für künftige Generationen zu bewahren oder
sogar zu verbessern.
Nun ist die Betonung der langen Frist unbequem. Denn unser Wirtschaftsmodell beruht bisher darauf, kurzfristig den Ressourcenfluss
von der Umwelt durch die menschliche Gesellschaft hindurch zu maximieren. Das war schon im Jahre 1713 problematisch, als die menschliche Wirtschaft in Relation zur sie umgebenden Umwelt ein nur
geringes Ausmaß hatte – sonst hätte Carlowitz ja nicht sein Buch geschrieben. Jetzt, 300 Jahre später aber, haben die Menschheit und ihre
Wirtschaft ein Ausmaß erreicht, bei dem bereits 60 Prozent der Ökosysteme degeneriert, übernutzt oder zerstört sind und deshalb ihre
lebenserhaltenden Dienste für die Menschen und andere Arten nicht
mehr erbringen können.
Nachhaltigkeit ernst meinen – in Generationen denken
35
Anders ausgedrückt: Die Menschheit hat schon heute einen Umweltverbrauch, der die Tragfähigkeit der Erde übersteigt. Es gibt Berechnungen, wonach wir derzeit 1,8 Planeten pro Jahr verbrauchen. Und wenn
alle sieben Milliarden Menschen so viel verbrauchten wie die Amerikaner, bräuchten wir heut schon die Ressourcen und Ökosystemleistungen
von vier Erden.
Klaus Töpfer ist jemand, der auch solche unbequemen Gedanken zu
Ende denkt. Und er sagt: Wir in den reichen Ländern müssen dramatisch weniger verbrauchen und produzieren, damit die Menschen in den
armen Ländern es zu nachhaltigem Wohlstand bringen können. Ich
meine: Carlowitz würde heute die gleiche Schlussfolgerung ziehen. Ein
Hinweis darauf ist, dass er sich auch Gedanken machte über die Verringerung des Holzverbrauchs durch effizientere Öfen. Modern ausgedrückt: Wenn die Ressourcenproduktivität wächst, kann der Ressourcenverbrauch sinken. Allerdings: Klaus Töpfers Nachhaltigkeitsbegriff
ist im Vergleich zu dem von Carlowitz ganzheitlich. Er denkt ökonomische, ökologische und soziale Gesichtspunkte zusammen.
Das kommt unter anderem daher, dass Sie, lieber Herr Töpfer, am
Anfang Ihrer politischen Karriere Staatssekretär im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Umwelt in Rheinland-Pfalz waren. Das war
genau in dem Jahr, 1979, als der König des Himalayastaats Bhutan auf
die Frage eines ausländischen Journalisten nach dem Bruttoinlandsprodukt antwortete, ihn interessiere das Bruttoglücksprodukt seiner Untertanen mehr. Glück, das weiß man aus vielen Studien seither, wächst
ab einem bestimmten Niveau von Produktion und Konsum nicht mehr.
Wohl aber nehmen dann Dinge zu, die unser Glück verringern, wie
Krankheiten durch zu viel Essen, eine verschmutzte Umwelt oder der
psychische Druck, den das Streben nach immer mehr auslöst.
Das ist, im Sinne einer Maximierung des Bruttoglücksprodukts,
eben nicht nachhaltig. Im Hinblick darauf ist es bezeichnend, dass
damals, Ende der 1970er-Jahre, in Ihrem Mainzer Ministerium Gesundheit, Soziales und Umwelt unter einem Dach vereinigt waren. Das
ist eine wesentliche Quelle Ihres ganzheitlichen Verständnisses von
Nachhaltigkeit.
36 Stanislaw Tillich
Ein Drittes verbindet Sie mit Carlowitz. Er hat die Idee zu seinem
Buch lange mit sich herumgetragen. Auch Sie hatten in Ihrem Leben
Ideen, deren Realisierung sehr lange dauerte. Als Sie Bundesumweltminister wurden, war die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl erst ein
Jahr her. Damals, 1988, gab es einen CDU-Parteitag in Bremen. Auf dem
wollten Sie einen Leitantrag einbringen, in dem es hieß, ich zitiere: »Wir
müssen eine Zukunft ohne Kernenergie, aber auch mit weniger fossilen
Energieträgern erfinden.« Der Leitantrag kam nie zur Abstimmung.
Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima wurden Sie von Kanzlerin
Merkel zum Vorsitzenden der Ethikkommission »Sichere Energieversorgung« berufen. Das Votum der Kommission war jenes, welches beim
Bremer Parteitag 1988 nicht mal zur Abstimmung kam: der Ausstieg
aus der Kernenergie. So schloss sich nach 23 Jahren ein Kreis. Und zwischendrin gab es eine steile Lernkurve. 1991 verabschiedete der Bundestag das Energie-Einspeisungsgesetz, den Vorläufer des ErneuerbareEnergie-Gesetzes. Damit begann die Deutsche Energiewende in Ihrer
Zeit als Bundesumweltminister.
Heute decken wir mehr als ein Fünftel unseres Stromverbrauchs
aus erneuerbaren Quellen. Und der Anteil steigt weiter. Und für die sieben Jahre Ihrer Amtszeit als Bundesumweltminister stehen noch mehr
Erfolge zu Buche.
Sie haben das Bundesamt für Strahlenschutz gegründet, für saubere
Flüsse gesorgt, das Duale System eingeführt, das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz und das FCKW-Verbot zum Schutz der Ozonschicht durchgesetzt, das Programm »Ökologischer Aufbau« in Ostdeutschland vorangetrieben und waren nicht zuletzt 1992 der Retter des
Erdgipfels von Rio.
Sie haben damit Deutschlands Image als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit geprägt. 1998 wurden Sie Leiter der UNO-Umweltbehörde
UNEP. Sie zogen für acht Jahre nach Nairobi. Sie haben dabei viel über
Nachhaltigkeit gelernt. Vor allem, dass es oft nicht Technik, sondern
eine simple Verhaltensänderung ist, die Nachhaltigkeit schafft.
Ein Beispiel ist die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari
Muta Maathai, die Sie in Nairobi kennenlernten. Sie hatte eine Lösung
Nachhaltigkeit ernst meinen – in Generationen denken
37
für die Trockenheit und Bodenerosion in Kenia gesucht – und gefunden.
Feigenbäume erreichen mit ihren tiefen, starken Wurzeln Wasserquellen
und bringen das kostbare Nass an die Oberfläche. Wangari Maathai
gründete 1977 die Grüngürtel-Bewegung. In den folgenden Jahrzehnten
wurden in Afrika Millionen Feigenbäume gepflanzt. Bis dahin waren
diese Bäume gefällt worden, um Platz für große, intensiv bewirtschaftete
Felder zu schaffen, damit die Lebensmittelproduktion wachsen kann.
Das hatte zur Folge, dass die Böden austrockneten, vom Wind weggeblasen, vom Regen fortgespült wurden. Hunger und Armut waren die
Folge. Die Lösung dieses Problems war nicht Wirtschaftswachstum, sondern das Wachstum der Natur, das Pflanzen neuer Bäume. Carlowitz
lässt grüßen.
Meine Damen und Herren, für Klaus Töpfer haben solche Einsichten
eine tiefere Bedeutung.
Er spricht davon, dass die fortgesetzte Aggression gegen die Umwelt
auf der Jagd nach Wachstum den Frieden auf der Welt gefährdet – Stichwort: Konflikte ums Wasser. Und er zieht daraus den Schluss: Frieden
mit der Natur, also nachhaltige Entwicklung, dient dem Weltfrieden. In
diesem Sinne berät er die Regierungen von Entwicklungs- und Schwellenländern. Vor allem aber redet er immer wieder uns in den entwickelten Industrieländern ins Gewissen. Wir hier müssen es schaffen, unseren
Wohlstand zu sichern und gleichzeitig den Umweltverbrauch so stark
zu reduzieren, dass mehr Umwelt für die armen Länder und deren Entwicklung übrig bleibt.
Wie Klaus Töpfer nicht müde wird zu betonen, ist auch Deutschland
nicht durchweg ein Vorbild für nachhaltige Entwicklung. Oder, in Carlowitz’ Perspektive ausgedrückt: Wir verbrauchen immer noch viel mehr
Holz, als nachwächst.
Meine Damen und Herren, heute gibt Klaus Töpfer seine Erfahrungen mit nachhaltiger Entwicklung als Hochschullehrer und Forscher
weiter. Er hat das Nachhaltigkeitsinstitut in Potsdam mitbegründet und
ist Professor für nachhaltige Entwicklung an der chinesischen TongjiUniversität. Und an Ruhestand ist für ihn nicht zu denken. Denn die
38 Stanislaw Tillich
Welt, in der seine Enkelkinder aufwachsen, ist noch lange nicht nachhaltig. Die Carlowitz-Gesellschaft vergibt heute also einen Preis für ein
Lebenswerk, das noch lange nicht vollendet ist.
Lieber Klaus Töpfer, ich gratuliere Ihnen sehr herzlich zur Verleihung des Carlowitz-Preises und wünsche Ihnen für Ihr Engagement
weiterhin alles Gute und viel Erfolg.
Nachhaltigkeit ernst meinen – in Generationen denken
39
Jochen Bohl
»Das Prinzip des nachhaltigen Umgangs
mit der Natur ist bereits
in den Schöpfungserzählungen
biblisch angelegt.«*
41
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Staatsminister,
sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, sehr geehrter Herr Professor
Töpfer, sehr geehrte Damen und Herren,
gestatten Sie mir eine Vorbemerkung: Als ehemaliger Student an der
Ruhruniversität Bochum ist es mir eine Ehre, heute die Laudatio auf
den ehemaligen Rektor der seinerzeit noch sehr jungen Alma Mater halten zu dürfen.
Sehr geehrter, lieber Herr Professor Biedenkopf,
nachdem wir uns nun schon viele Jahre kennen und viele anregende
Gespräche führen konnten, wird es mindestens für Sie nicht unerwartet
kommen, wenn ich heute meine Ausführungen mit einem Bezug auf
die Bibel beginne und einleitend feststelle, dass sich das Prinzip der
Nachhaltigkeit bereits in der Bibel findet. Das mag überraschen, denn
es hat ja im ökologischen Diskurs eine Argumentationslinie gegeben,
die den exzessiven Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen auf
die christliche Religion zurückgeführt hat. Damit wird aber der Schöpfungsauftrag der Bibel, wie wir ihn im ersten Buch Mose, Kapitel 1,
Vers 28 finden, missverstanden. Da heißt es bekanntlich: »Und Gott segnete sie und sprach: ›Seid fruchtbar und mehret Euch und füllet die
* Laudatio des Landesbischofs der evangelisch-lutherischen Landeskirche
Jochen Bohl für Ministerpräsident a.D. Dr. Kurt Biedenkopf zur Verleihung
des Hans-Carl-von-Carlowitz-Nachhaltigkeitspreises der Sächsischen
Hans-Carl-von-Carlowitz-Gesellschaft e.V. am 6. November 2013 in
Chemnitz
42 Jochen Bohl
Erde und machet sie euch untertan‹…« Es wäre eine grobe Verzeichnung, dies im Sinne von »versklaven, knechten und ausbeuten« zu deuten, wie es leider auch geschehen ist. Der Sinn des Schöpfungsauftrages
ist ein anderer. Gott eröffnet den Menschen durchaus die Möglichkeit,
die reichen Gaben der Natur zu nutzen – aber damit ist nicht gemeint,
es stehe ihr Gebrauch im Belieben der Menschen, und schon gar nicht
in gieriger, exzessiver, selbstsüchtiger Weise. Der Auftrag des Schöpfers
richtet sich vielmehr darauf, Verantwortung für den Zusammenhang
der lebensdienlichen Prozesse zu übernehmen. Das wird spätestens in
dem älteren Schöpfungsbericht im Ersten Buch Mose, Kapitel 2 Vers 15
erkennbar, wo es heißt: »Gott der Herr nahm den Menschen und setzte
ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.«
Bebauen und bewahren, so kann man in der Verbform das Nachhaltigkeitsprinzip beschreiben, und insofern ist das Prinzip des nachhaltigen Umgangs mit der Natur biblisch bereits in den Schöpfungserzählungen angelegt. Der Gedanke zieht sich dann durch das Alte Testament
hindurch – beispielsweise in der Bedeutung des siebenten Tages, an dem
Mensch und Natur ruhen sollen, oder dann in der (umstrittenen) kultischen Vorschrift des Sabbatjahres. Dabei handelt es sich um eine Regelung, die bestimmt, dass in jedem siebten Jahr die Äcker liegen bleiben
sollen, um sich von der Nutzung erholen zu können: Ausdruck der Bestimmung, dass die Menschen das Land bebauen und bewahren sollen.
Das Sabbatjahr will aber auch einen Beitrag in Bezug auf die elementare
Frage nach der Gerechtigkeit unter den Menschen leisten – Schulden
sollen alle sieben Jahre komplett erlassen, Landverkäufe zu diesem Zeitpunkt rückabgewickelt werden.
Es sind geradezu revolutionäre Ansätze, um die stets gefährdeten
Güter Gerechtigkeit und Frieden zu schützen. Nachhaltigkeit als Prinzip
wird in der Bibel in einem umfassenden Sinn verstanden, durchaus nicht
auf die Natur beschränkt; in der ganzen Schöpfung gilt der Glaubenssatz
»Die Erde ist des Herrn« (Psalm 24,1); sie darf nicht als Besitz der Menschen missverstanden werden. Es geht um das Prinzip Verantwortung,
um den wertgebundenen Gebrauch der Freiheit entsprechend dem
Maßstab der Nachhaltigkeit.
Prinzip Nachhaltigkeit und Schöpfungserzählung
43
Lieber Herr Professor Biedenkopf,
Sie haben sich insbesondere um die Nachhaltigkeit im Sinne der Generationengerechtigkeit verdient gemacht. 2006 haben Sie ein Buch geschrieben, das den bezeichnenden Titel »Die Ausbeutung der Enkel«
trägt. Darin haben Sie unter anderem gefordert, Gesetze nicht nur auf
ihre finanziellen Konsequenzen zu untersuchen, sondern insbesondere
auf die Auswirkungen auf die kommenden Generationen, also auf die
Bürgerinnen und Bürger, die entweder als Kinder noch nicht stimmberechtigt oder noch nicht einmal geboren sind – die Folgen unseres
Handelns aber werden tragen müssen. In diesem Zusammenhang sehe
ich auch Ihre bereits vor mehr als drei Jahrzehnten einsetzenden Bestrebungen, unsere Sozialversicherungssysteme und vor allem die Rentenversicherung so zu organisieren, dass sie den Kriterien der Nachhaltigkeit entspricht.
Interessant, dass das Prinzip der Generationengerechtigkeit bereits
in der Bibel zu finden ist, und zwar an zentraler Stelle. In der Abfolge
der zehn Gebote ist das vierte das erste der sieben, die sich auf das Zusammenleben der Menschen richten. Bevor das Tötungsverbot ausgesprochen wird, geht es um das Leben in der Generationenfolge. Die
Menschen sollen nicht nur die Gegenwart gestalten und darin das Ergehen der eigenen Generation verantworten, sondern die Eltern fürsorgend ehren – und damit ist in einer Zeit, die keine Geburtenkontrolle
kannte, zugleich die Weitergabe des Lebens angesprochen. Das Menschenleben gibt es nur in der Abfolge der Generationen – und darüber
bestehen gegenwärtig leider viele Illusionen.
Die Umstellung auf eine nachhaltige Lebensweise ist ein großes, hoffentlich nicht zu großes Projekt, weil es um tief sitzende Einstellungen
und Verhaltensweisen in allen Lebensbereichen geht, von denen nahezu
jeder und jede betroffen ist. Die Energiewende, so komplex und schwierig zu realisieren sie sich darstellt, ist ja nur ein Teil der Aufgabenstellung. Nachhaltigkeit ist aber ein umfassendes Geschehen, zu dem insbesondere das Wirtschaften gehört.
Inzwischen zeigen die Bemühungen um einen nachhaltigen Umgang
mit den natürlichen Ressourcen erste bescheidene Erfolge; in Deutsch44 Jochen Bohl
land ist der Energieverbrauch seit einigen Jahren in etwa gleichbleibend
und vom Wachstum der Wirtschaft abgekoppelt – im Weltmaßstab
allerdings hat es in den zurückliegenden 40 Jahren ein geradezu ungebremstes Wirtschaftswachstum gegeben, und der weltweite Energieverbrauch hat sich seither verdoppelt, steigt auch weiter stark an. Darüber treten die Grenzen unseres auf Verbrauch ausgerichteten
Lebensstils immer deutlicher vor Augen, dessen Übertragung auf die
Völker des globalen Südens schlechterdings nicht vorstellbar ist.
Umso wichtiger ist eine Diskussion der Frage, was denn gemeint ist,
wenn von Wachstum gesprochen wird; und auch für diese Debatte
haben Sie wichtige Impulse gegeben und darauf hingewiesen, dass schon
nach den Gesetzen der Logik ein ständiges Wachstum der Volkswirtschaften in eine unbegrenzte Zukunft hinein gar nicht denkbar ist; oder
dass es begrenzende Faktoren wie z.B. »gesättigte« Märkte gibt, auf
denen nur ein Verdrängungswettbewerb inszeniert werden kann, der
dann höchst schädliche Folgen hat in Bezug auf das soziale Leben und
auch auf die Wirtschaft.
In einem Interview mit Deutschlandradio Kultur zu Ihrem erwähnten Buch haben Sie damals schon das letzte, nahezu unhinterfragt geltende Dogma des Wirtschaftswachstums hinterfragt. Sie sagten damals:
»Ich befasse mich mit der Frage, ob die Gesellschaft ihre Dinge intelligent genug organisiert, ob es nicht besser wäre, jetzt nicht quantitatives
Wachstum anzustreben, sondern eine Verbesserung der Intelligenz, mit
der wir unsere Dinge organisieren und damit auch mehr Sparsamkeit,
mehr Effizienz, mehr Wirtschaftlichkeit im Land. All das wird in Zukunft eine dominierende Rolle haben.« Auch hier wird deutlich, wie Sie
Ihrer Zeit immer weit voraus waren.
Dementsprechend, lieber Herr Professor, haben Sie als Ministerpräsident die Grundlagen für eine nachhaltige Finanzwirtschaft im Freistaat
Sachsen gelegt. Andernorts hat man sich verlocken lassen, den großen
Rückstand zu den Ländern der früheren Bundesrepublik durch eine
großzügige Schuldenpolitik aufzuholen. Sie haben schon zu Zeiten, als
Verschuldung noch ein selbstverständlicher und unhinterfragter Teil
der Finanzpolitik war, gesehen, dass damit den folgenden Generationen
Prinzip Nachhaltigkeit und Schöpfungserzählung
45
der Spielraum für eine eigenständige Politik genommen wird. Es ist
durchaus ein moralisches Gebot, den nachkommenden Generationen
nicht Belastungen aufzuerlegen, die sie nicht tragen können – das sollte
man vielleicht auch in die aktuellen Koalitionsverhandlungen eintragen.
Wir in Sachsen profitieren gegenwärtig von der soliden Finanzierung
des Staatshaushalts, und so werden die kommenden Generationen in
der Lage sein, den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen. Die
Schuldenkrise in Europa hat gezeigt, wie weitsichtig diese Vorgehensweise war und wie sehr Ihre Politik zum Wohl und Nutzen der Bürgerinnen und Bürger Sachsens in Gegenwart und Zukunft beiträgt.
Erfreulicherweise scheint mir doch allmählich die Zustimmung zu
Ihren Impulsen stärker zu werden, und ich darf in diesem Zusammenhang auf die Initiative »anders wachsen« verweisen, die vor relativ kurzer
Zeit in unserer Landeskirche entstanden ist. Sie erfreut sich inzwischen
Übergabe der Originalschrift der »Sylvicultura oeconomica« an
Dr. D. Füsslein
46 Jochen Bohl
eines großen Zuspruchs und großer Unterstützung weit über die sächsischen Grenzen hinaus.
Und so möchte ich diese Laudatio mit einem ausdrücklichen Dank
dafür schließen, dass Sie den Gedanken der Nachhaltigkeit besonders
in Ihrem Amt als Ministerpräsident des Freistaates Sachsen in eine konkrete Politik umgesetzt haben.
Bleibt mir nur, Ihnen weiterhin Tatkraft und Schaffensfreude zu
wünschen – ad multos annos!
Verleihung des Hans-Carl-von-Carlowitz-Nachhaltigkeitspreises an
Prof. Dr. Kurt Biedenkopf und Prof. Dr. Klaus Töpfer
Prinzip Nachhaltigkeit und Schöpfungserzählung
47
Teil II
Vorträge anlässlich von
Veranstaltungen der Sächsischen
Hans Carl von Carlowitz Gesellschaft
48
Ulrich Grober
Nachhaltigkeit – Kind der Krise,
Schlüssel zum Überleben
Vortrag bei der Abschlussveranstaltung
»300 Jahre Nachhaltigkeit«
des Deutschen Forstwirtschaftsrates,
Freiberg/Sachsen, 6. Februar 2014
49
Glück auf!
Apropos »Stolz«. Das Wort und das Gefühl sind ja leitmotivisch für Ihre
Veranstaltung. Als ich in diesem Gedenkjahr in Sachen Carlowitz unterwegs war, habe ich ein nettes Bonmot aufgeschnappt: »Waldbau ist
wie Raketenwissenschaft. Nur wesentlich komplexer.« Ursprünglich
stammt es von dem kanadischen Forstmann Fred Bunnell. »Forestry is
not rocket science. It is much more complex.« Patrick Jansen von Probos, Prowald Niederlande, von dem ich den Spruch hörte, interpretierte
das so: »Nur ein stolzer Förster ist ein guter Förster.« Ihr Stolz, denke
ich, ist genau in dieser Komplexität begründet. Er speist sich heute aus
dem Bewusstsein, Teil einer globalen Suchbewegung zu sein. Einer Suchbewegung, die nach dem Prinzip Versuch und Irrtum fortschreitet. Die
Fähigkeit, Irrtümer zu korrigieren, gehört untrennbar dazu. Ich komme
auf diese Zusammenhänge zurück.
Vielen Dank, Herr Schirmbeck, für die Einladung. Für mich schließt
sich heute ein Kreis. Im April vorigen Jahres hatte ich die Ehre, zum
Auftakt des Carlowitz-Jahres hier in Freiberg sprechen zu dürfen. Damals auf Einladung des Rektors der TU, Prof. Meyer. Für mich eine
Sternstunde.
Nun geht das Gedenkjahr »300 Jahre Nachhaltigkeit« zu Ende. Eine
Bilanz zu ziehen steht mir nicht zu. Vielmehr möchte ich versuchen, ein
paar lange Linien aufzuzeigen, ausgehend von Eindrücken und Denkanstößen, die ich im Laufe dieses Gedenkjahres gewonnen habe. Ich
möchte Sie also einladen, mit Carlowitz in die Zukunft zu denken. Ich
berühre drei Fragen, die bereits Carlowitz vor 300 Jahren bewegten und
50 Ulrich Grober
die, wie mir scheint, jetzt und in der nahen Zukunft mit aller Macht zurückkommen.
1) Wie ist es um unsere Fähigkeit zum langfristigen Denken bestellt?
Müssen wir nicht vor allem unseren »Sinn für Zeit« neu schärfen?
2) Was ist eigentlich die »green economy«, von der die UN spricht?
Und was meinen wir, wenn wir von »Wachstum« reden?
3) Hat die Globalisierung in ihrer jetzigen Form Zukunft? Oder wird
die »Lokalisierung« der nächste große Trend?
I. Zu meinem ersten Punkt, dem Sinn für Zeit: ein ganz frischer Eindruck, gerade erst ein paar Tage alt. Ich sah diese Tür in der Domschatzkammer in Aachen. Sie besteht aus vier schlichten Brettern. Durch Holzdübel und Eisenbeschlägen zusammengefügt. Zwei Meter hoch, einen
Meter breit, aus Eichenholz. Am Rand zerbröselt es an einigen Stellen.
Man kann verschiedene Brauntöne sehen, ein paar Stockflecken, hier
und da Reste eines Lederbezuges. Nach einer kürzlich durchgeführten
dendrologischen Untersuchung hat man die Eiche, die für diese Tür das
Holz lieferte, um das Jahr 800 gefällt, vielleicht schon 766. Für den damals im Bau befindlichen Aachener Dom, das spirituelle Zentrum des
karolingischen Reiches. Sie sehen »Karls Tür«. Durch diese Tür, so vermutet man, betrat Karl der Große jeden Morgen die achteckige Basilika
seiner kaiserlichen Pfalz. Bis 1902 war die Tür in Gebrauch. Dann stellte
man sie in einer Rumpelkammer ab und vergaß sie. Nun hat man sie
hervorgeholt, untersucht und zum Publikumsmagneten der gerade eröffneten großen Jubiläumsausstellung über Karl den Großen gemacht.
Was ist ihre »Aura«?
Als ich sie in Augenschein nahm, wurde diese Holztür für mich zum
Medium einer rasanten Zeitreise: Da wird vor zwölf Jahrhunderten ein
Baum gefällt und zu einem Artefakt verarbeitet. Um die Tiefe der Zeit
zu veranschaulichen: Damals stand die Irminsul noch, das sagenhafte
hölzerne Heiligtum der heidnischen Angeln und Sachsen. Diese Tür
diente beinahe bis heute ununterbrochen an ein und derselben Stelle
ein und demselben Zweck. Mein spontaner Gedankenblitz: Aus einer
Nachhaltigkeit – Kind der Krise, Schlüssel zum Überleben
51
Eiche, die heute, im Jahre 2014, gefällt wird, kann potenziell ein Gebrauchsgegenstand werden, der im Jahre 3214 noch von Nutzen ist. Was
für ein Vorstellung!
Aber der Gedanke geht weiter: Das Holz stammt mit Sicherheit aus
den Wäldern in der Umgebung von Aachen. Wie ist es eigentlich um
die Wälder dieser Region heute bestellt? Wer von Ihnen 2012 bei der
Forstvereinstagung in Aachen dabei war, konnte sich ein Bild machen.
Die Exkursionen führten in den Stadtwald, durch den Hürtgenwald, ins
Hohe Venn. Wir sahen einen Flickenteppich aus Nutzwald, Erholungswald, Nationalparkareal. Da war der Hürtgenwald, der sich am Ende
des 2. Weltkriegs in ein blutgetränktes Schlachtfeld verwandelt hatte.
Da war Pionierwald der Renaturierungsphase aufgelassener Braunkohletagebaue. Das ganze Spektrum also.
Die Wälder rings um Aachen haben sich seit der Herstellung von
Karls Tür sicherlich stark verändert. Ihre Fläche ist massiv geschrumpft.
Das restliche Waldland ist von Verkehrstrassen und Siedlungen durchschnitten. Andere Baumarten dominieren. Aber die Wälder sind auch
in der vielleicht fünften oder sechsten Waldgeneration nach Karl dem
Großen noch da. Es ist, könnte man sagen, der real existierende »ewige
Wald«, an den die karolingischen Beamten dachten, als sie ihre Kapitularien über die Waldnutzung entwarfen, von dem die Forstleute der Reichenhaller Salinen zur Zeit von Carlowitz sprachen, den noch Georg
Ludwig Hartig so bezeichnete.
Der »ewige Wald« und damit die »Stetigkeit der Holzversorgung« –
das ist ja die alte Vision der forstlichen Nachhaltigkeit. Daran anknüpfend, etablierte sich um 1900 das Wort »Dauerwald«. Doch der Anblick
von Karls Tür und dieses spirituell angehauchte Wort vom »ewigen
Wald« provozieren heute die Frage: Wird es im Jahr 3214 noch möglich
sein, in unseren Wäldern Holz zu ernten, Waldluft zu atmen, aus Quellen zu trinken? Großes Fragezeichen. Die Menschen des frühen Mittelalters kannten unsere Bedürfnisse nicht. Ebenso wenig kennen wir die
Bedürfnisse kommender Generationen. Doch wir haben die Pflicht, für
sie alle Optionen offenzuhalten. In diesem Fall die Option, Holz einschlagen, frische Luft atmen und Süßwasser trinken zu können.
52 Ulrich Grober
»Keep the options open«: So hat das der Brundtland-Bericht über
»sustainable development« 1987 formuliert. Das ist die Aufgabe, die sich
jeder Generation neu stellt. Um sie zu lösen, bedarf es freilich der Fähigkeit, in langen Zeiträumen zu denken. Aber ist nicht genau diese
Fähigkeit heute in eine existenzielle Krise geraten? Jedenfalls in unserer
westlichen, technisch und industriell geprägten Kultur. Es könnte durchaus sein, dass ein solcher »Sinn für Zukunft« in den noch stärker traditionell gesprägten Kulturen der Welt besser aufgehoben ist. In Afrika
zum Beispiel sagt man, die menschliche Gemeinschaft bestehe aus
denen, die vor uns waren, denen, die hier und heute leben, und denen,
die nach uns kommen. So hat es der südafrikanische Bischof Tutu einmal formuliert. Verantwortung für die Zukunft wird damit potenziell
zu einer Konstanten des Denkens.
An diesem Punkt habe ich noch mal in der »Sylvicultura oeconomica« geblättert. Welche Vorstellung von Zeit liegt eigentlich zugrunde,
wenn Carlowitz sich seinem Begriff »Nachhaltigkeit« nähert? Er spricht
von der »immerwährenden, beständigen Holzung«. Von der »perpetuierlichen und stets wirkenden Kraft des Erdbodens«, von der »unendlichen Fruchtbarkeit«. Er spricht von den »Nachkommen«, den »Nachfahren«, der »Nachwelt«, der »lieben Posterität«. Es ist die Rede von
»zukünftigen Zeiten« und von Dingen, die »in perpetuum oder auf viele
Zeiten hinaus« dauern.
Schließlich spricht Carlowitz über Dinge, die »von Anbeginn der
Welt« da sind, und solchen, die »am Ende der Welt« da sein werden. Da
ist der Bezug zum biblischen »von Ewigkeit zu Ewigkeit«. Das ist das
sprachliche Umfeld, in dem Carlowitz seine Forderung nach einer »continuierlichen, beständigen und nachhaltenden Nutzung« formuliert.
Welche Philosophie verbirgt sich dahinter? Meine These: Sein Zeitgenosse, der niederländische Philosoph Baruch Spinoza, hat Carlowitz
»nachhaltig« beeinflusst. Ich vermute, dieser Einfluss wurde vermittelt
durch den sächsischen Naturforscher und Philosophen Ehrenfried Walter von Tschirnhaus. Dieser arbeitete im Umkreis des Oberbergamts,
z. B. an der Nacherfindung des Porzellans. Als junger Mann hatte er zum
engsten Kreis um Spinoza gehört und galt auch später noch als Spinozist.
Nachhaltigkeit – Kind der Krise, Schlüssel zum Überleben
53
Spinoza hatte drei verschiedene Konzepte von Zeit: duratio, die
Dauer. Das ist die Zeitspanne des Daseins eines Dinges. Tempus, die
messbare und einteilbare Zeitdauer. Und aeternitas, Ewigkeit. Spinoza
forderte dazu auf, die Dinge »sub specie aeternitatis« zu betrachten,
unter dem Aspekt der Ewigkeit. So gesehen, werden die Dinge der
Zukunft gleichermaßen real und relevant wie die Dinge der Vergangenheit und Gegenwart. Ja, es erhalten Dinge, die erst in der Zukunft hervortreten, bereits im Hier und Heute eine Präsenz und ihren Sitz im
Leben. In den Fokus kommt der Zusammenhang zwischen gegenwärtigen Phänomenen, vergangenen Ur-Sachen und künftigen Wirkungen
und Folgen. Diese Sichtweise führt in den inneren Bezirk des Nachhaltigkeitsdenkens.
Ist das nicht genau die Logik des forstlichen Denkens? Ich habe mich
früher immer gewundert, dass bei Waldführungen Förster bei ihren Erläuterungen erst mal bei der Eiszeit anfangen. Ich habe gestaunt, wie sie
beim Anblick eines spezifischen Waldbildes die potenziell natürliche Vegetation, den Ur-Wald, mit imaginieren und gleichzeitig die künftige
Sukzession über lange Zeiträume mit bedenken. Nun verstehe ich, dass
sich hier die Komplexität des forstlichen Denkens ausdrückt, die den
Vergleich mit der Raketenwissenschaft nicht zu scheuen braucht.
Doch hat nicht unsere moderne Industrie-Konsum-Zivilisation, die
sich mit der Globalisierung gerade weltweit ausbreitet, trotz ihrer technischen Wunderwerke genau an dieser Stelle einen »Filmriss«? Und
wenn ja, wie ließe sich die Erweiterung des Zeithorizonts neu entdecken
und einüben? Hier liegt aus meiner Sicht eine wichtige Aufgabe einer
jeden Bildung für nachhaltige Entwicklung. »Karls Tür« ist dafür nur
ein kleines, aber feines Medium.
II. Ein zweites Erlebnis im Carlowitz-Jahr möchte ich Ihnen erzählen.
Im November 2013 hörte ich Kofi Annan zu. Der frühere UN-Generalsekretär war ins westfälische Gütersloh gekommen, um den ReinhardMohn-Preis der Bertelsmann-Stiftung in Empfang zu nehmen. Diese
Veranstaltung samt dem vorausgegangenen Symposium stand deutlich
sichtbar im Zeichen des Carlowitz-Jahres. Das Bedeutsame daran: Sie
54 Ulrich Grober
hob in einem international zusammengesetzten Teilnehmerkreis mit
Nachdruck den fundamentalen Rang des Nachhaltigkeitskonzepts hervor. Nämlich als globales »overriding concept«, also als übergeordnetes
Prinzip, als »shared vision«, »geteilte Vision«, als »emerging narrative«,
»aufstrebendes Narrativ« – kurz als »das neue Paradigma«.
Kofi Annan hat das folgendermaßen auf den Punkt gebracht. Zitat:
»Es gibt nichts Dringlicheres als das Bestreben nach nachhaltiger Entwicklung – es ist das prägende Anliegen des 21. Jahrhunderts.«
Sein Satz wiegt schwer. Er rückt Prioritäten zurecht, die sich in den
letzten Jahren zu verschieben drohten. In der Rede des Friedensnobelpreisträgers wurde wieder die Überzeugung spürbar: Nachhaltigkeit ist
der Schlüssel zum Überleben der Menschheit.
Ich empfand es als einen Befreiungsschlag. Denn in den letzten Jahren war alles auf die Krise fokussiert. Die Welt starrte in den Abgrund.
In Europa und global ging es in Politik und Wirtschaft fast ausschließlich um ein möglichst schnell wirkendes und effizientes Krisenmanagement. Getrieben von der Angst vor dem Kollaps, herrschte ein Kult um
die »aufstrebenden Märkte«, die Ankurbelung der Wirtschaft und die
Rückkehr auf den Wachstumspfad. Mitten in der Krise verblasste das
Leitbild Nachhaltigkeit. Es wurde nicht als Denkrichtung, als Paradigma
wahrgenommen, das Auswege aus der Krise freimacht. Also als Navigationsgerät, als Kompass für die große Transformation. Vielmehr galt
Nachhaltigkeit als eine Art angenehmer Luxus, den man sich dann wieder leistet, wenn die Krise erst mal ausgestanden ist.
Gesucht wurde gleichsam nach einer Reset-Taste. Wir wollen es wieder so haben wie vorher. Wir wollen den Zustand wiederherstellen, wie
er vor Beginn der Krise war. Wir wollen wieder business as usual machen. Man vergaß, dass man nicht mit denselben Strategien aus der
Krise herauskommen kann, welche die Krise verursacht haben. Man
vergaß das Wesen einer Krise: dass sie nämlich die Phase der Zuspitzung
einer gefährlichen Entwicklung darstellt, in der diese auf einen entscheidenden Wendepunkt zusteuert. Entweder führt sie zum Kollaps des alten
Zustands oder zum Durchbruch eines neuen Paradigmas. Man kurierte
an Symptomen und nicht an den Ursachen der Krankheit, den nichtNachhaltigkeit – Kind der Krise, Schlüssel zum Überleben
55
nachhaltigen Mustern von Produktion, Konsum und Lebensstil. So entwickelte sich die Krise unter der Hand zu einem Dauerzustand.
Doch da stand – Ende 2013 – Kofi Annan auf dem Podium und skizzierte gelassen eine Zukunftsagenda, die sich um Armutsbekämpfung,
Inklusion von Frauen, Korruptionsbekämpfung und »the rule of law«,
Rechtsstaatlichkeit, drehte. Und er sprach von der »green economy«.
Wieder ein Stichwort, das bei mir eine Kette von Assoziationen auslöste.
Was ist eigentlich eine »green economy«?
Wir verstehen darunter zunächst einmal die Einführung neuer Technologien, die dabei helfen, die drängendsten Umweltprobleme zu lösen,
so gleichzeitig neue Geschäftsfelder erschließen, neue Arbeitsplätze
schaffen, also einen umfassenden Modernisierungsschub und damit
Wachstumsimpulse auslösen. Das – auch von Kofi Annan gelobte – Paradebeispiel ist die deutsche Energiewende: Windräder statt Kohlekraftwerken. Elektroautos statt Spritschluckern. Das ist zweifellos immens wichtig. Ich verkenne keineswegs die Bedeutung angepasster Technologien.
Doch ist das alles, was die »green economy« ausmacht? Lassen Sie mich
mit diesem Zauberwort aus den Thinktanks der UN ein wenig spielen.
»Grün« ist die Farbe der Blätter – und der Nadeln, also der Bäume.
Genau genommen ist Grün die Farbe des Chlorophylls. Als Forstleute
wissen Sie das besser als ich. Chlorophyll ist der Farbstoff, der von Organismen gebildet wird, die Photosynthese betreiben. Er absorbiert das
Sonnenlicht und leitet es weiter zu den Zentren, in denen sich die anschließenden Stufen der Photosynthese vollziehen und die Energie für
Leben, Wachstum und Fortpflanzung von pflanzlichen Organismen erzeugt und bereitgestellt wird.
Und jetzt kommt mein Punkt: Eine nachhaltige »green economy«
setzt auf die Potenziale der Sonne und die Kraft des Chlorophylls statt
auf die Energie fossiler Brennstoffe. Sie nimmt wieder das naturale
Wachstum in den Fokus statt das Wirtschaftswachstum. In den Worten
Indira Gandhis, der damaligen indischen Ministerpräsidentin, auf der
UN-Umweltkonferenz 1972 in Stockholm: »Der moderne Mensch muss
neu lernen, sich der Energie wachsender Dinge anzuvertrauen.« Der Begriff »green economy« macht nach meinem Dafürhalten nur dann wirk56 Ulrich Grober
lich Sinn, wenn er das Primat der nachwachsenden Ressourcen und erneuerbaren Energien benennt und einfordert und so den Ausblick auf
eine solare Zivilisation öffnet.
Bei der »green economy« geht es primär um die Naturbindung der
Ökonomie. Sich der Energie wachsender Dinge anvertrauen. Was für
ein großes Wort! Doch »wachsende Dinge« und »nachwachsende Ressourcen« sind immer lebendige Ressourcen, lebende Organismen, also
Lebewesen. Das ist der Unterschied zu der Ökonomie, die wir in den
letzten 200 Jahren betrieben haben. Diese basierte auf fossilen Brennstoffen, also auf längst abgestorbener, toter Materie. Diesen Unterschied
zu verstehen ist von entscheidender Bedeutung.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal Carlowitz im O-Ton einblenden. Nehmen wir einfach mal seine »Sylvicultura oeconomica« als
Handbuch der »green economy«, als Flaschenpost aus uralten Zeiten
für unseren Aufbruch in die Zukunft.
Das Chlorophyll kennt er noch nicht. Doch könnte es sein, dass in
seinem Buch ein Wissen, eine Weisheit steckt, die uns verloren gegangen
ist? Hören Sie mal auf seine Sprache: »Wie angenehm«, so schreibt er,
»die grüne Farbe von denen Blättern sey, ist nicht zu sagen.« Carlowitz
spricht vom Wunder der Vegetation, von der lebendig machenden Krafft
der Sonnen, von dem wundernswürdigen ernährenden Lebens=Geist,
den das Erdreich enthalte. Die Pflanze ist corpus animatum, belebter
Cörper, welcher aus der Erde aufwächset, von selbiger seine Nahrung
an sich zeucht, sich vergrößert und vermehret. Wir sprechen heute von
»Biomasse«. Merken Sie den Unterschied? So ebnen wir den Unterschied
zwischen »nachwachsenden« Ressourcen und toter Materie ein. Der
Bäume äußerliche Gestalt steht für Carlowitz in einem Zusammenhang
mit der innerlichen Form, Signatur, Constellation des Himmels, darunter sie grünen und mit der Matrix, der Mutter Erde und deren natürlicher Wirkung. Matrix ist die Gebärmutter. Wir sprechen heute vom
»Standort« und von »Güteklassen«. Die Natur ist unsagbar schön. Sie
ist nimmermehr zu ergründen. Sie hält den Menschen noch viele Dinge
verborgen. Aber wir können im Buch der Natur lesen und im Experiment erforschen, wie die Natur spielet und dann »mit ihr agiren«.
Nachhaltigkeit – Kind der Krise, Schlüssel zum Überleben
57
Mit der Natur agieren. Das ist aus meiner Sicht die übergeordnete
Idee einer »green economy«, die wirklich diesen Namen verdient. Wir
sprechen von dem Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit. Und in diesem Modell ist die »Ökonomie« natürlich eine tragende Struktur. Aber
gemeint ist nicht die »Ökonomie«, die wir bisher betreiben, nicht die
fossile Ökonomie, der Raubbaukapitalismus, die verschwenderische
Konsumgesellschaft. Nachhaltigkeit ist ein ganzheitlicher Entwurf. Er
verbindet die drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und sozialer Zusammenhalt organisch. Und zwar so eng, dass neue Muster des Produzierens und Konsumierens sichtbar und wirksam werden. Muster, die
mit der Tragfähigkeit der Ökoysteme und dem Zusammenhalt der Gesellschaft kompatibel sind, also unseren ökologischen Fußabdruck und
die Ungleichheit in den Gemeinwesen drastisch reduzieren. Im Prisma
der Nachhaltigkeit erscheint eine andere Ökonomie. Nicht eine, die sich
auf die Parole »let’s make money« reduziert. Sondern eine ressourcenleichtere, naturgebundene, sozialethisch fundierte »green economy«.
III. Warum bekommt das alte Wort »Nachhaltigkeit« im globalen Vokabular des 21. Jahrhunderts einen so machtvollen Status? Um das zu
verstehen, möchte ich Ihnen einen archimedischen Punkt vorschlagen:
Die Fachleute nennen ihn »Peak Oil«. Gemeint ist das Fördermaximum
des Erdöls. Wir haben diesen Punkt möglicherweise bereits überschritten. Voraussichtlich werden in wenigen Jahrzehnten – trotz der hektischen Suche nach »marginalen« Lagerstätten – die Ölquellen versiegen.
Akut wird ebenfalls der Klimawandel als Folge des fossilen Zeitalters.
Innerhalb weniger Generationen haben wir die »unterirdischen Wälder«, also die fossilen Lagerstätten, geplündert und mit ihrer Verbrennung gleichzeitig unsere Lebensgrundlage, das Klima, zerrüttet.
Die fossilen Ressourcen haben uns in den letzten 200 Jahren eine
ungeheuer dynamische Entwicklung ermöglicht. Sie haben immense
Vorzüge. Sie lagern in der Erde. Man braucht sie nur zu »erschließen«,
also aus der Erde zu holen. Wo eine Ölquelle versiegt, braucht man nur
tiefer zu bohren. Oder woanders zu schürfen. Aber fossile Ressourcen
haben einen entscheidenden Nachteil. Man kann sie nur einmal nutzen.
58 Ulrich Grober
Sie wachsen nicht nach. Mit der Erschöpfung der fossilen Lagerstätten
ist ein »business as usual« nicht mehr möglich. Unsere bisherige Art, zu
produzieren und zu konsumieren, ist nicht länger fortsetzbar. Nachhaltigkeit ist jetzt nicht mehr das Sahnehäubchen auf dem Kuchen einer
fossil angetriebenen Lebensweise, sondern eine Überlebensstrategie und
ein neuer zivilisatorischer Entwurf. Wir haben die notwendigen geistigen Ressourcen. Wir haben die sanften Technologien. Wir haben auch
eine – wenn auch immer wieder bedrohte – Sensibilisierung für die
Werte von Menschenrecht und Menschenwürde.
Der Zwang zu einer epochalen Wende birgt zugleich eine große
Chance. Der Übergang zu genuin nachhaltigen Mustern des Produzierens und Konsumierens ist möglich. Wenn nachwachsende Rohstoffe,
erneuerbare Energien und angepasste Technologien weltweit in den Mittelpunkt der Ökonomie rücken, hat das weitreichende Konsequenzen.
Dann werden das Wissen über das »Nachwachsen« lebendiger Ressourcen und der Respekt vor den langfristigen Prozessen in der Natur – wiederum – zur entscheidenden geistigen Ressource. Das darauf ausgerichtete spezifische Wissen und Ethos werden in einer zukunftsfähigen
Ökonomie eine Schlüsselrolle spielen. Eine neue Bedeutung bekommen
nach meiner Überzeugung die Träger dieses Wissens. Diese Zweige der
Lebenswissenschaften – Biologie, Agrarwissenschaft und nicht zuletzt
die Forstwissenschaft – rücken ins Zentrum einer »Forschungswende«.
Das nachhaltige Forstwesen, die Agrikultur, die Solarindustrie, ein
»sanfter« Bergbau samt Recyclingtechnologie, auch die Bildung für
nachhaltige Entwicklung werden den Kern einer neuen »green economy« bilden.
IV. Ein dritter und letzter Gedankengang. Er berührt das große Mantra
der aktuellen Politik: Globalisierung und Wettbewerbsfähigkeit. Diese
»Erzählung« – und mehr ist es nicht – handelt von den »emerging markets«, den aufstrebenden Schwellenländern. Sie handelt andererseits von
den abstiegsbedrohten Weltregionen, hier vor allem von dem vermeintlich erschöpften, überalterten und in die Bedeutungslosigkeit absinkenden »alten Europa«. Im Prisma der Nachhaltigkeitsidee betrachtet, halte
Nachhaltigkeit – Kind der Krise, Schlüssel zum Überleben
59
ich dieses Narrativ für grundfalsch. Es ist »geopolitisch«, also auf Machtstrukturen, ausgerichtet und nicht auf »Erdpolitik«, also auf die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Es reduziert die Kulturen der
Welt – darunter so alte wie China, Indien, Russland, Brasilien – auf ihre
Fähigkeit, den Weltmarkt mit Massengütern zu überschwemmen und
selber die verschwenderischen westlichen Konsummuster zu übernehmen. Und nicht zuletzt unterschätzt diese Erzählung auf fatale Weise
die Potenziale Europas als Ideenspeicher und Ideengeberin.
In China hat man vor einigen Monaten eine große Kampagne begonnen: die Suche nach dem »chinesischen Traum«. Was hindert uns
eigentlich daran, uns auf die Umrisse eines »europäischen Traums« zu
verständigen? Ich wage die Prognose, dass in einem solchen Prozess der
Selbstverständigung die Idee der Nachhaltigkeit samt ihren tiefen Wurzeln im kulturellen Erbe Europas als ein wesentliches Leitmotiv hervortritt. Könnten wir nicht auf diesem Weg in einen produktiven Dialog
der Kulturen der Welt – auf Augenhöhe – eintreten?
Ein Beispiel für einen solchen Dialog erlebte ich bei dem besagten
Symposium der Bertelsmann-Stiftung im November 2013. Dort kritisierte der indische Regierungsvertreter Arun Maira die vorherrschenden
Muster des globalen Wachstums. Sie seien nicht inklusiv, nicht fair, nicht
nachhaltig. Die »local people« in seinem Land verlören das Vertrauen
in die Wirtschaft und die staatlichen Einrichtungen. Und dann entwarf
Maira die Vision von den »four hills«, den vier Hügeln einer nachhaltigen Entwicklung:
1) Localization – also die Wiederentdeckung der Nahräume, der
regionalen und lokalen Kreisläufe, der Nachbarschaften;
2) Greening – die Ökologisierung der Prozesse;
3) Learning – Bildung
4) Conscious listening – den Leuten bewusst zuhören und auf die
Signale aus den sozialen Medien achten.
Sollten wir nicht diese »vier Hügel« in unseren europäischen Horizont
aufnehmen, um unser Nachhaltigkeitsdenken zu vitalisieren?
60 Ulrich Grober
»Nachhaltigkeit ist der Schlüssel zum Überleben der Menschheit«:
so der srilankische Jurist Christopher G. Weeramantry, ehemaliger Vizepräsident am Internationalen Gerichtshof. Aber es ging niemals nur um
das nackte Überleben, um ein »survivalism« nach dem atavistischen
Motto »Rette sich, wer kann«. Carlowitz sprach 1713 vom »Flor« des
Landes, also vom »Aufblühen«, von, wenn Sie so wollen, »blühenden
Landschaften«. Spinoza verfolgte das Ziel der »beatitudo«, der Glückseligkeit, heute würde man sagen, der Lebensqualität für alle.
Im Januar 2014 feierte man in der großen TV-Gala zum chinesischen
Neujahrsfest mit 700 Millionen Zuschauern den »chinesischen Traum«.
Ein Massenchor inonierte kurz vor Mitternacht das Lied »Nach vorn,
nach vorn, dem Traum des Wiederaufblühens folgen«. Die Sprache ist
vielleicht für unseren Geschmack etwas zu »blumig«. Doch wenn wir
bewusst hinhören, lassen sich möglicherweise Berührungspunkte für
einen globalen Dialog über eine geteilte Vision von nachhaltiger Entwicklung entdecken. Eines scheint mir jedenfalls gewiss: Nachhaltigkeit
ist wie Raketenwissenschaft – nur wesentlich komplexer.
Glück auf!
Zum Weiterlesen: Ulrich Grober, »Die Entdeckung der Nachhaltigkeit –
Kulturgeschichte eines Begriffs«. Antje Kunstmann Verlag, München 2010.
Erweiterte Paperback-Ausgabe 2013
Nachhaltigkeit – Kind der Krise, Schlüssel zum Überleben
61
Stefan Brunnhuber
Der neue Club-of-Rome-Bericht:
Geld und Nachhaltigkeit
Rede am Reformationstag 2013
in der St.-Georg-Kirche
in Rabenstein anlässlich des
300. Geburtstags von
Carl von Carlowitz
Einen schönen Abend, vielen Dank für die Einladung nach Chemnitz
in die St.-Georg-Kirche und vielen Dank für die Einladung der HansCarl-von-Carlowitz-Gesellschaft zum 300. Geburtstag.
Mit Carl von Carlowitz beginnt, wie wir bereits gehört haben, die Geburtsstunde des Nachhaltigkeitsbegriffs vor 300 Jahren. Wir feiern dieses
Jahr sozusagen den 300. Geburtstag, und ich darf Ihnen den neuen Clubof-Rome-Bericht zum Thema »Geld und Nachhaltigkeit« vorstellen.
Wenn man zu diesem Thema etwas schreibt, schreibt und spricht
man in eine laufende Diskussion hinein. Dabei ist man mit der Herausforderung konfrontiert, einmal Gemeinplätze zu vermeiden und zum
anderen auf eine ständige Entwicklung zu reagieren.
Ich möchte Ihnen im Rahmen der nächsten 60 Minuten das Thema
des neuen Club-of-Rome-Berichts vorstellen. Dabei ist es nicht ganz zu
vermeiden, dass ich Ihnen einige Zahlen zumuten muss. Das Thema
»Geld und Nachhaltigkeit« wird hier gewissermaßen quer zum Wissenschaftsbetrieb und dessen Diskussion und auch quer zu dem, was wir
in der politischen Diskussion registrieren dargestellt. Der Originaluntertitel heißt »Von einem überholten Finanzsystem zu einem monetären Ökosystem«. Ich habe für diese Veranstaltung einen anderen Untertitel gewählt, weil ich vermeiden möchte, dass die Veranstaltung einen
Talkshowcharakter bekommt, in dem Sie gewissermaßen nach Hause
gehen und nur das hören, was Sie sowieso schon wissen. Ich werde Ihnen
folglich nichts erzählen über Exit-Strategien (ES), also über den Austritt
von Volkswirtschaften oder Nationen aus dem Euro-Raum. Ich werde
Ihnen auch nichts erzählen über Quantitatives Easing (QE) als einer
spezifischen Form der Geldpolitik der EZB bei Nullzins, um gewissermaßen die Wirtschaft zu stimulieren. Ich werde Ihnen auch nichts er64 Stefan Brunnhuber
zählen über Euro-Bonds (EB) und auch nicht über die aktuelle Stellungnahme der Bundesregierung zum Thema European Stability Mechanism (ESM). Nicht weil es dazu nicht auch eine differenzierte Meinung von Club of Rome und Europäischer Akademie der
Wissenschaften gäbe, sondern weil wir in dem Bericht eine zu dieser aktuellen Diskussion quer liegende Position haben.
Bevor es richtig losgeht, möchte ich Ihnen zunächst zwei Fragen stellen.
Was glauben Sie, woher das meiste Geld (95 %) dieser Welt kommt?
A: Zentralbanken (ECB, FED)
B: Privat- und Geschäftsbanken
C: Parlamenten
D: Internationalen Finanzmärkten
Antwort B.
Zweite Frage. Was war wohl die Ursache der Finanzkrise 2008?
A: Staatsschuldenkrise
B: Immobilienblase
C: Rating-Agenturen
D: Bankenkrise
E: Marktversagen
F: keines von A-E
Antwort E: Ein System, das in sich instabil ist, kann durch unterschiedliche
Seiten zum Einsturz gebracht werden, wie ein Kartenhaus. Aber dazu
gleich mehr. In der folgenden Abbildung sehen Sie eine kurze Formel.
Nach.
Dem.
Tech.
Wert. Instit.
N= DxTxWxI
Wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, können wir in einer ersten
Näherung die Definition von Brundtland verwenden. Das N steht hier
Der neue Club-of-Rome-Bericht: Geld und Nachhaltigkeit 65
für Nachhaltigkeit, und im Brundtland-Report steht: »Nachhaltigkeit
ist eine Entwicklung, die aktuelle Bedürfnisse befriedigt und dabei zukünftige Generationen nicht einschränkt.« Es gibt eine umfangreiche
Diskussion darüber, ob die Definition selbst sinnvoll ist oder nicht. Carl
von Carlowitz hat es genannt: »… wenn nicht eine Gleichheit von Zuwachs und Nutzen erfolgt, dann entsteht Schaden.«
Wenn Sie nun Nachhaltigkeit zu einem zentralen Begriff in Ihrer
persönlichen oder auch gesellschaftlichen Weiterentwicklung betrachten, dann werden Sie früher oder später auf vier Faktoren treffen, die in
unterschiedlichen Modellierungen in der wissenschaftlichen und parteipolitischen Diskussion eine Rolle spielen. Der erste wichtige Faktor
steht für »D«, das heißt Demografie. Das war, historisch betrachtet, die
Diskussion der 70er- und 80er-Jahre (Malthusianer), bei der es vor allem
um den Zusammenhang von exponentieller Bevölkerungsentwicklung
und Ressourcenverbrauch ging. Dabei spielt eine aktive Bevölkerungspolitik (Immigration, Alterung, demografischer Faktor und soziale Absicherung) eine wichtige Rolle. Aber es geht in diesem Ansatz auch um
Fragen der Bildung für die weibliche Bevölkerung und etwa um Fragen
der Empfängnisverhütung. All das sind Betrachtungen, die darauf abzielen, dass der entscheidende Faktor für eine nachhaltige Gesamtentwicklung letztlich in der demografischen Entwicklung liegt.
In der Folge wurde dieser wichtige Punkt schwerpunktmäßig durch
eine zweite Variable abgelöst, und jene steht für die Abkürzung »T«, das
heißt die Technologie-Variable. Das war die Diskussion vor allem der
80er-und 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts, die bis heute andauert:
Dabei geht es weniger um die Frage, wie viel Menschen leben in einer
Gesellschaft oder auf unserem Planeten, sondern viel wichtiger ist, welche Technologie diese Gesellschaft verwendet? Wie sparen wir ein? Wie
effizient sind wir, wie verändern wir unsere Energiebasis? Wir Deutschen
sind stark, wenn es um diese Frage geht, weil es eine ingenieurwissenschaftliche Frage ist. Ernst Ulrich von Weizsäcker hat in »Faktor 4« mit
vielen anderen Forschern wichtige Impulse für diese Schwerpunktsetzung geleistet. Bei der Steigerung von Effizienz und Entkopplung von
der Ressourcenbasis geht es vor allem um die eingesetzte Technologie.
66 Stefan Brunnhuber
Gleichzeitig ist in den letzten 15 bis 20 Jahren deutlich geworden, dass
alle Technologien und Erneuerungen in diesem Bereich mit ReboundEffekten versehen sind: Passivhäuser, IT, E-Mails, Nullemissionsautos
gehören eben nicht automatisch zu den nachhaltigen Technologien. Sie
lösen entweder eine Forward-Rebound aus, in dem die jeweilige Technologie überproportional genutzt wird und dann im Nettoeffekt eine
höhere Belastung für das System entsteht. Oder aber es entstehen andere
Rebound-Effekte: additive Effekte beim Hausbau, materieller Rebound
bei Seltenen Erden, räumliche oder zeitliche Verlagerungen, IT-Schrott
und vieles mehr. Auch wenn es bei einzelnen Produkten zu einer relativen Entkoppelung von Technologie und Resourcenverbrauch kommt,
wird es durch den Mengeneffekt wieder neutralisiert. Und selbst eine
absolute Entkoppelung hat das Problem der Entsorgung noch nicht gelöst. Sie sehen, ein komplexes Thema, für das es keine eindimensionalen
Lösungen gibt.
Um die Jahrtausendwende gab es einen weiteren wichtigen Beitrag,
der mit der Abkürzung »W« beschrieben ist, und W steht für »Werte«.
Auch hierzu gibt es eine umfangreiche empirisch robuste Datenlage, die
sich mit der Frage beschäftigt, was eigentlich im Kopf der Menschen
passiert. Welche Bedürfnisse, Wünsche haben Menschen? Und ändert sich
das? Was man empirisch feststellen kann, ist, dass Menschen auf globaler
Ebene einen Bewusstseinswandel durchlaufen. Solche Veränderungen
im »Bewusstseinsschwerpunkt« jedes Einzelnen werden sichtbar, wenn
nicht mehr materielle und grobstoffliche Güter, ständige Wachstumsphantasien und Karriere, sondern qualitative Werte wichtiger werden.
So hat die Generation Y beispielsweise einen anderen Wertekanon.
Dabei geht es um Spiritualität, Nachhaltigkeit, Öko-Food, Work-LifeBalance, also um eine andere Wertestruktur. Faktor »W« ist unbestreitbar zentral für jede nachhaltige Entwicklung. Die Herausforderung liegt
jedoch darin, dass, wenn wir alle Vegetarier wären und den ganzen Tag
über meditieren würden, dann dieser Lebensstil auf die Grenzen der
vierten Variable treffen würde: »I«, und jene steht für »Institutionen«.
Gemeint ist damit, wie wir unser Gemeinwesen organisieren oder
regeln. »I« steht, wie man im Englischen sagt, für die Governance-StrukDer neue Club-of-Rome-Bericht: Geld und Nachhaltigkeit 67
tur einer Gesellschaft, also die Anreizstrukturen, über die hinweg wir
Wohlfahrts- und Verteilungseffekte organisieren, unser Staatswesen verwalten. Beispielsweise macht es eben einen riesigen Unterschied, ob wir
Nachhaltigkeitsfragen über eine Planwirtschaft, einen freien Markt, den
dritten Sektor oder über ein demokratisches Mandat zu organisieren
versuchen. Die Forschung der letzten 15 Jahre hat gezeigt, dass diese Variable »I« mit die entscheidende Variable ist, die alle drei anderen übersteuert. Und was ich Ihnen im Folgen zeigen will, ist, dass nämlich eine,
wenn Sie so wollen, Untervariable von I, nämlich das Geld- und Finanzsystem, alles andere mehr oder weniger übersteuert. Das ist ein Grund,
weshalb Dennis Meadows, der 1972 den Bericht verfasst hat, der hier
im Vortrag auch erwähnt wird (»Grenzen des Wachstums«) im Vorwort
zu unserem Buch schreibt: »Seit 40 Jahren beschäftige ich mich mit
Nachhaltigkeit. Ich hatte eigentlich nie über das Finanzsystem nachgedacht, und ich habe es als selbstverständlich und neutral für alle
menschlichen Gesellschaften angesehen. Aber jetzt verstehe ich es besser,
unser vorherrschendes Finanzsystem ist mit einer nachhaltigen Entwicklung unverträglich.« Aber nun zu unserem Thema. Im Folgenden
darf ich Ihnen zunächst einige Zahlen zumuten.
Instabilität der Finanzmärkte historisch (1970–2010):
145 Banken-, 208 Währungs- und 72 Staatsschuldenkrisen
Number of systemic crises, with distinctions between the three types:
sovereign-debt, monetary and banking crises (1970-2010). IMF, WB DATA
68 Stefan Brunnhuber
Seit 1950 gab es 186 Schuldenkrisen, 96 Staatsbankenkrisen, 180 Austritte aus Währungsunionen. Wenn Sie sich die letzten 40 Jahre genauer
ansehen, können Sie 425 Banken- und Währungskrisen aufaddieren;
das macht global die letzten 40 Jahre mehr als zehn Ereignisse im Jahr.
Das heißt, die 2008er-Krise war keine Ausnahme, sondern eigentlich der
Normalfall. Die Ausnahme war nur, dass diesmal erstmals drei Viertel
aller IWF-Mitglieder betroffen waren und die finanzkapitalintensiveren
Volkswirtschaften stärker betroffen waren als die Peripherie.
Währungsmarkt und Derivatmarkt – global
Instabilität: Währungsmarkt: $4 Trill/d
Derivative: $100 Trill in 2000 auf $600 Trill in 2010 (IMF)
Die Grafik oben zeigt Ihnen im historischen Verlauf (1980–2013) – rot
gezeichnet und gemessen in Billionen US $ – die Entwicklung des Währungsmarktes. Der Währungsmarkt ist der größte Einzelmarkt. Auf
einem Währungsmarkt werden Währungen gehandelt. Also US-$, Renminbi, Euro und alle möglichen Währungen. Und am Währungsmarkt
werden am Tag vier Trillionen US-$ umgesetzt. Jeden Tag.
Warum zeige ich Ihnen diese Grafik? Eigentlich nicht wegen dieser
roten Linie des Währungsmarktes, sondern wegen der grünen, die darunter liegt. Sie brauchen für die Umsetzung realer Dienstleistungs- und
Der neue Club-of-Rome-Bericht: Geld und Nachhaltigkeit 69
Gütertransfers auf der Welt, wo immer Sie irgendetwas hinschicken, nur
ungefähr zwei Prozent von dem, was auf den Währungsmärkten gehandelt wird, das heißt 98 Prozent dabei sind spekulativ.
Die zweite Zahl, die Sie hier sehen, ist die Entwicklung des Derivatehandels. Im Jahr 2000 lag der Derivatehandel bei ca. 100 Trillionen; er
ist mittlerweile auf über 600 Trillionen gestiegen. Sie gilt als Anhaltspunkt: Wir erwirtschaften auf der Welt jedes Jahr ungefähr ein globales
Bruttosozialprodukt von 50 bis 60 Trillionen US-$-Äquivalenten. Allein
auf dem Derivatmarkt wird das 12- bis 15-Fache umgesetzt.
Ist das alles Zufall, Ausdruck einer spezifischen nationalen Wirtschaftspolitik, ist es zyklisch, indem wir uns einfach darauf einstellen,
dass solche Krisen kommen und gehen, gleichsam schicksalhaft und endogen? Oder ist es systemisch? Das heißt: Hat es etwas zu tun mit dem
Design unseres Geldsystems? Wenn Sie heute mit dem Auto hierher gefahren sind, würden Sie wahrscheinlich, wenn Ihr Auto zehnmal im Jahr
einen Motorschaden hätte, wie unser Geldsystem weltweit, vielleicht zu
dem Schluss kommen, dass das nicht an Ihnen liegt, am Fahrer, sondern
am Design des Autos.
Kosten und Auswirkungen von Finanzkrisen
••!! Output-Verluste
Output-Ve
erluste
••!! Transferkosten
Tr
Transferkosten
••!! Indirekte
Indirekte Kosten
Kosten
---------------25 % GDP
•!!Pe
Pensionslücke
•Pe
nsionslücke ((prä-post)
prä-post)
13
26
3%–2
6%
1
Gorton 2012, Liikainen-report 12/2012, BIS 2012, Stern 2008,
OECD 2012, ILO 2012, GFC 2013
Das ist übrigens alles nicht billig (siehe Abbildung oben). Bis vor einigen
Jahren konnte man das nicht so richtig messen, mittlerweile kann man
die einzelnen Faktoren auch auseinanderhalten, und die empirische Da70 Stefan Brunnhuber
tenlage ist robuster. Wir wissen heute, dass Finanzkrisen für eine Volkswirtschaft extrem teuer sind. Und vor allem an vier Stellen wird das
sichtbar. Der erste Kostenfaktor nennt man einen Output-Loss, das
heißt, welche Auswirkungen hat diese Finanzkrise auf den Nichtfinanzsektor? Dabei sind ungefähr zehn bis 15 Prozent des Sozialprodukts betroffen. Der zweite Kostenfaktor, den Sie hier gut auseinanderhalten
können, beantwortet die Frage der Transferkosten. Also, es passiert eine
Banken- oder Währungskrise, und die Frage ist jetzt, wer zahlt das dann?
Und ich kann Ihnen sagen, in den letzten 300 Jahren war es immer eine
Bevölkerungsgruppe, die das gezahlt hat. Es war immer der Steuerzahler,
früher oder später. Das können Sie zurückverfolgen bis zur Tulpenkrise
in Holland 1650.
Der dritte Kostenfaktor, mit dem eine Volkswirtschaft zu rechnen
hat, wenn es zu einer Banken- und Währungskrise kommt, sind indirekte Kosten. Dieser Faktor wird in der Regel in den Medien, im Wissenschaftsbetrieb, auch in der parteipolitischen Diskussion mit der Krise
assoziiert, weil jene nicht innerhalb von einigen Monaten – postcrisis –
passieren, sondern im Nachgang, vielleicht vier bis sechs Jahre später.
Auch das können Sie messen z. B. an der Zunahme an Armut, Arbeitslosigkeit, Zunahme der Gesundheitskosten etc. Weltweit gab es etwa
eine Zunahme von Armut um 76 Millionen im Vergleich zur Situation
vor der Krise. Wenn man die Zunahme an Arbeitslosen, die Auswirkungen einer Finanzkrise auf die sozialen Sicherungssysteme und die Kosten
für Gesundheitssysteme zusammennimmt, kommt man schnell auf eine
zusätzliche Belastung von bis zu zwei Prozent des Sozialproduktes über
mehrere Jahre hinweg. Da sind dann nicht mitgerechnet die Auswirkungen auf die Pensionslücke, die den Unterschied zwischen den anstehenden Verbindlichkeiten und dem faktischen Wert dieses Assets beschreibt. Die letzte Krise hat diese Lücke doppelt so groß werden lassen.
Diese Diskrepanz betrifft vor allem Länder wie Deutschland oder auch
Frankreich am stärksten, weil sie dort Pensionsansprüche haben, die
von einem hohen Pre-retirement-Einkommen ausgehen.
Nun sind wir jetzt 2013 – sozusagen 300 Jahre nach dem Buch von
Carlowitz – in der eigenartigen Situation, dass mit ganz großer WahrDer neue Club-of-Rome-Bericht: Geld und Nachhaltigkeit 71
scheinlichkeit innerhalb dieser Dekade mit zwei weiteren Ereignissen zu
rechnen ist. Und zwar unabhängig davon, welches Parteibuch Sie haben,
und auch unabhängig davon, was Sie studieren, und auch unabhängig
davon, wie alt Sie sind. Das erste Ereignis ist die Transformation unserer
Gesellschaft hin zu einem nicht-fossilen Energieträger. In Deutschland
steht dies unter dem Stichwort »Energiewende«. Wir wissen heute, dass
die Prävention der Kosten einer Energiewende ungefähr ein Prozent des
Sozialproduktes ausmacht, das heißt, wenn wir uns entscheiden, unsere
Gesellschaft auf regenerative Energien umzustellen, kostet es uns ein
Prozent. Wenn wir warten, bis die ganzen Kosten dann aufgelaufen sind,
kostet es ungefähr zehnmal so viel. Das zweite Ereignis, das in den
nächsten zehn Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit auf uns alle zukommt, ist von ganz anderer Qualität, nämlich die Pensionseingänge
der Babyboomer. In den USA gehen jeden Tag etwa 10.000 Menschen
in Pension. Was haben wir bisher alles gemacht, um diese Entwicklungen aufzufangen und zu kompensieren? Das Thema des heutigen
Abends: Wir wollen nicht über Demografie, nicht über Technologie und
nicht über Wertewandel reden. Wir wollen heute über »Geld und Nachhaltigkeit« reden. Und Sie werden, je nachdem, aus welchem Land Sie
kommen, welcher Partei Sie zugehören, im Wesentlichen einen Mix aus
vier Variablen wiederfinden, wenn es um konkrete Lösungen geht.
Konventionelle Lösungen: Eine Liste mit eingeschränktem Erfolg
onus, T
Regulation: B
ff-Sheet, O
ff-Shore, Basel III
Regulation:
Bonus,
Tobin-Steuer,
obin-Steuer, O
Off-Sheet,
Off-Shore,
PP)
rivate-Public-Partnership (P
Privatisierungen: P
Privatisierungen:
Private-Public-Partnership
(PPP)
euererhöhungen
udgetkürzungen, St
Austeritätsprogramme: B
Austeritätsprogramme:
Budgetkürzungen,
Steuererhöhungen
DP iin
nG
-2 0
rozent G
imulus: 2 P
Keynes´ St
Keynes´
Stimulus:
Prozent
GDP
G-20
eniger N
achhaltigkeit
hulden, w
ehr G
eld, m
ehr Sc
ettoeffekt: m
N
Nettoeffekt:
mehr
Geld,
mehr
Schulden,
weniger
Nachhaltigkeit
IMF 2012, Sinn 2012, WB 2012, Koo 2013
72 Stefan Brunnhuber
Die erste ist, dass wir angefangen haben, auf europäischer Ebene oder
auch auf der Ebene der Bundesregierung die Systeme stärker zu regulieren. Es gibt eine umfangreiche Diskussion der Bankenregulierung,
der Einführung von Bonusprogrammen, der Regulierung über eine sogenannte Transaktionssteuer, die jetzt auch im Koalitionsvertrag stehen
soll, und vieles mehr. Die vorläufig letzte Maßnahme in diesem Zusammenhang ist die Einführung einer Euro-Derivat-Clearingstelle.
Der zweite Bereich betrifft die Privatisierung. Die Franzosen haben
ihr Autobahnsystem privatisiert, die Italiener über 10.000 öffentliche
Grundstücke, in der Regel über sogenannte Private-Public-Partnership(PPP-)Programme; die Griechen haben ihren Hafen an die Chinesen
verkauft usw.
Diese PPP-Programme, die Sie vielleicht auch aus Sachsen kennen,
sind zunächst mal ein toller technischer Begriff: Dahinter steckt natürlich, dass der Steuerzahler immer zweimal zahlen muss. Einmal, wenn
er beispielsweise als französischer Steuerzahler die Steuer bereithält,
damit die Autobahn gebaut wird, und dann ein zweites Mal, wenn er
sie dann privatisiert bekommen hat und dann eine Gebühr bezahlt, um
sie zu benutzen.
Der dritte Aspekt betrifft die Austeritätsprogramme, in der Regel
eine Kombination aus Steuererhöhungen und Abgabenkürzungen. Am
stärksten hat das in den letzten Jahren die mediterranen Länder getroffen, vorrangig Griechenland. Die Griechen müssen teilweise mit einem
verfügbaren Einkommen auskommen, das bis zu 42 Prozent unterhalb
von dem liegt, was sie vor der Krise hatten. Die letzte Maßnahme ist
das, was die Ökonomen Quantitative Easing nennen, das heißt, es wird
zusätzliches Geld zur Verfügung gestellt, um eine deflationäre Depression zu verhindern. Der Nettoeffekt bisher war, dass mehr Geld im System war, immer noch mehr Schulden entstanden sind, weniger Wohlfahrts- und Nachhaltigkeitseffekte entstanden sind. Und warum? Das
sehen Sie in der nächsten Grafik.
Der neue Club-of-Rome-Bericht: Geld und Nachhaltigkeit 73
Liquiditätsfalle
IMF 2012, Sinn 2012, WB 2012, Koo 2013
Hier sehen Sie eine Zeitreihe der letzten Jahre – relativ und saisonbereinigt, bezogen auf das Jahr 2009. Die Zahlenreihe zeigt Ihnen, wie viel
die Zentralbanken in Europa, in Großbritannien und in den USA an
zusätzlichem Geld (Quantitative Easing) geschaffen haben, um es der
Wirtschaft zur Verfügung zu stellen. In Europa um den Faktor 1,5, in
den anderen Regionen um den Faktor 3,0 bzw. 4,5. Das heißt über viermal so viel wie vor der Krise. Das bedeutet es, wenn Sie in den Nachrichten lesen, die Zentralbanken stellen viel Geld, viel Liquidität zur
Verfügung. Jetzt kommt der zweite Teil der Grafik. Der zeigt Ihnen, wie
viel die Geschäftsbanken der Realwirtschaft von diesem Geld wirklich
als Kredite zur Verfügung gestellt haben. Wie Sie sehen, ist der Wert
mehr oder weniger null im Vergleich zur Ausgangssituation. Man nennt
das in der Ökonomie eine Liquiditätsfalle. Auf der einen Seite wird viel
Geld, viel Liquidität zur Verfügung gestellt, auf der anderen Seite steht
es in der Realwirtschaft für notwendige Investitionen und für nötige
Aufbaumaßnahmen gar nicht zur Verfügung.
74 Stefan Brunnhuber
Schuldenfalle
Kumulative Zunahme der Öffentlichen Verschuldung
über drei Jahre nach einer Krise
Rogoff & Reinhardt 2011
Das hat etwas mit der obigen Grafik zu tun. Wir können davon ausgehen, dass über einen Zeitraum von drei Jahren die öffentliche Verschuldung um ungefähr 80 Prozent steigt (post-crisis). Manche Länder weniger, manche Länder mehr, das sind historische Zahlen aus den letzten
zehn Jahren. Und das Interessante ist, dass bei einem Schuldenstand von
ungefähr 90 Prozent zum BSP es zu Auswirkungen auf das Wachstum
einer Volkswirtschaft kommt.
Immer dann, wenn also das Geld- und Finanzsystem für eine Gesellschaft für eine Nachhaltigkeitsentwicklung irgendwie relevant wird,
immer dann, wenn sich in den letzten 300 Jahren Krisen ereignet haben,
haben Wissenschaftler, Vertreter der Presse oder auch Vertreter der Politik versucht, eine Geschichte zu erzählen, wer schuld ist und wer sozusagen die Verantwortung trägt. Es ist immer ein spezifisches Narrativ,
von den Tulpenzwiebelspekulationen 1650 bis zur letzten Krise 2008
geht’s immer im Nachhinein – ex post – darum, wer schuld ist. Im Augenblick stehen die Banker ganz oben auf der Liste dieses Narrativs.
Wir haben aber vorhin gesagt, wir gehen nicht diesen Weg. Uns interessiert weniger die Frage, ob diese Entwicklung links oder rechts der
Der neue Club-of-Rome-Bericht: Geld und Nachhaltigkeit 75
politischen Mitte ausfällt. Uns interessiert weniger die Frage einer isolierten Expertenmeinung, auch nicht, ob das jetzt einem neoliberalen
oder einem sozialdemokratischen Argument folgt. Uns interessiert auch
nicht, welche konkrete wirtschaftspolitische Maßnahme eine Rolle gespielt hat, sondern uns interessiert das Thema »Geld und Nachhaltigkeit« unter einem systemtheoretischen Zusammenhang.
Der gemeinsame Attraktor
Einkommensdisparität
Einkommensdisparität
Immo
Immobilienmarkt
bilienmarkt
Wachstumszwang
Wa
chstumszwang
fehlende
Quelle
Financial
Financial iinnovations
nnovations ((ABS)
ABS)
Insider-Trading
Ins
ider-T
Trading
Collateral
Collateral Debth
Obligations
CDO)
Obligations ((CDO)
Credit Default
Default Sw
a ps
Swaps
((CDS)
CDS)
Staatsschuldenkrise
Staatsschuldenkrise
Geldsystem
O
ff-Sheet
Off-Sheet
Chines. Merkantilismus
Leverage
L
everage bei
ui ti e s
Private
Equities
Pr
ivate Eq
Bonusprogramme
Bonusprogramme
OffShore
Off-Shore
US-Doppel-Defizit
U
S-Doppel-Defizit
Rating-Agenturen
Kurzzeitbetrachtung
Ku
rzzeitbetrachtung Rating-Agenturen
Pr
ozyklische IInterventionen
ntervventionen
Prozyklische
FED/ECB
von FED
/ECB
Ba
sel III
Basel
Wissen Sie, was das ist? (Gezeigt wird ein Trichter.) Für einen Systemtheoretiker ist das ein Attraktor. Die Ingenieurwissenschaftler wissen
das, die Physiker ohnehin: Ein Attraktor ist eine Variable, bei der nahezu
alle Parameter eines Systems früher oder später auf diesen Punkt zulaufen.
Es ist auch völlig egal, ob es dafür einen kausalen Zusammenhang gibt
oder nur eine statistische Korrelation oder eine zeitliche Koinzidenz.
Attraktoren übersteuern in einem System jede andere Dynamik.
Und wenn Sie sich dieses Bild ansehen, dann sehen Sie, dass es zu
allen einzelnen Faktoren eine umfangreiche Studienlage und Medienpräsenz gibt. Von Wachstumszwang und Staatsschuldenkrise über das
Bonusprogramm oder Basel III oder über Off-Shore-Regulierungen und
chinesischem Merkantilismus etc. Und all diese Stellungnahmen sind
natürlich nicht falsch. Aber sie laufen alle früher oder später auf diesen
einen Attraktor zu, nämlich auf unser Geldsystem. Aber das beschreibt
leider noch nicht die ganze Tragweite des Geldattraktors.
76 Stefan Brunnhuber
Die Nichtneutralitätsfalle
Prozyklisch:
rains
pours
urs
ins it po
rozyklisch: When it ra
1.!! P
2.!! K
Kurzzeitbetrachtung:
future
discounted
2.
urzzeitbetrachtung: Why the fu
ture is d
iscounted
rate
3.!! W
Wachstumszwang:
3.
achstumszwang: On debt and compound
compound interest
interest rate
verrsus super
ich
4.!! W
Wohlstandskonzentration:
Poor
4.
ohlstandskonzentration: Po
or versus
super rrich
ior ove
rpowers cooperation
cooperation
5.!! N
Negatives
Sozialkapital:
Competitive
behavior
overpowers
5.
egatives So
zialkapital: Co
mpetitive behav
Denn selbst wenn wir keine Finanzkrise gehabt hätten, würden wir jedes
Mal, wenn wir einen Euro, einen Dollar oder einen Renminbi oder
irgendeine andere Währung in die Hand nehmen, um irgendeine Transaktion durchzuführen, eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft konterkarieren. Und das hat etwas mit dem Design des Geldsystems zu tun. Es hat primär nichts mit der Wirtschaftspolitik und nichts
mit isolierten Expertenmeinungen links oder rechts der Mitte zu tun.
Es ist die Dynamik in der Mitte des Attraktors, die darüber entscheidet, wie wir unsere komplette Realwirtschaft, vom internationalen Handeln bis zur Regionalwirtschaft, unser nationales Bildungssystem, von
Kindergärten bis zum Max-Plank-Institut, von Hochtechnologie bis
Handwerk, von Forstwirtschaft bis zur Rohstoffextraktion, vom Flug
auf den Mars bis hin zur Nachbarschaftshilfe, über ein Geldsystem
organisieren, welches einmal einen Zins trägt, von einer Zentralbank
monopolistisch herausgegeben wird, spekulativ ist, welches einem
Knappheitskriterium folgt und dabei über einen Kreditschöpfungsmechanismus der Geschäftsbanken (entlang der Eigenkapitalvorschriften
nach Basel III) herausgegeben wird, ständig Schulden generiert und
schließlich auf einem Glaubenssystem basiert. Für ein solches Geldsystem haben wir uns entschieden. 1667, wenn Sie es genau wissen
wollen, war nämlich der Zeitpunkt der Einführung des europäischen
Bankensystems.
Der neue Club-of-Rome-Bericht: Geld und Nachhaltigkeit 77
Es gibt eine umfangreiche, recht robuste empirische Datenlage, die
wir auch im Bericht erwähnen, sowie eine historische und theoretische
Evidenz, dass dieses System, über das wir unsere komplette Gesellschaft – mehr oder weniger – organisieren, an mindestens fünf Stellen
menschliches Verhalten zuungunsten der Nachhaltigkeit fehlsteuert:
Das Erste ist, dass dieses Geldsystem immer eine prozyklische Tendenz hat. Das heißt, in der Kreditvergabe wie auch in der Geldschöpfung
werden die gegenwärtigen realökonomischen Zyklen immer verstärkt
(»When it rains it pours«).
Das Zweite ist, dass dieses Geldsystem immer eine Kurzzeitbetrachtung favorisiert. Wenn man die 500 Vorstandsvorsitzenden der wichtigsten Weltkonzern fragt, wie ihr Zeithorizont im privaten Bereich ist,
dann werden Ihnen fast alle sagen, 25 bis 30 Jahre. Denn dabei werden
im Wesentlichen die Ausbildung der nächsten Generation sowie die
eigene Pensionen integriert. Wenn Sie die gleiche Frage stellen und dann
sagen, wie ist der Zeithorizont im Unternehmen, werden Ihnen alle
500 Vorstände sagen: 30 Tage.
Das hat viele Gründe, aber eine liegt auch im Finanzsystem. Das hat
etwas zu tun mit dem sogenannten Discounted cash flow. Die Zukunft
wird über den Zins zur Gegenwart hin ständig abdiskontiert, und diesen
Effekt kennen Sie auch aus der Forstwirtschaft. Das führt zu einer Myopie, eben zu einer Kurzzeitbetrachtung von Entscheidungen. Ich erwähne dies deshalb, weil es historische Gesellschaften gab, die hatten
keinen positiven Zins zum Abdiskontieren der Zukunft, sondern das
Gegenteil. Dann würde sich nämlich das komplette Investitionsverhalten verändern.
Der dritte Punkt ist, dass unser Geldsystem eine Auswirkung auf die
Wachstumsdynamik hat. Die Ingenieurwissenschaftler und die Biologen
unter Ihnen wissen, dass jedes System nur dann nachhaltig ist, wenn es
früher oder später eine Wachstumsdynamik hat, die s-förmig ist. Unser
Geldsystem hat mit dem Zinseszinsmechanismus eine exponentielle
oder hyperexponentielle Variable eingebaut, die nie nachhaltig ist.
Das ist ein Grund – es gibt verschiedene –, weshalb wir in allen
OECD-Ländern höhere öffentliche Zinslasten haben, als wir Geld fürs
78 Stefan Brunnhuber
Gesundheitssystem ausgeben. Das ist ein Grund, weshalb die Kapitalflüsse vom Süden an den Norden ungefähr 150 Billionen US-$ im Jahr
höher liegen als die Transferzahlungen der Hilfeleistungen vom Norden
an den Süden – was in wesentlichen Teilen den Wachstumszwang von
Volkswirtschaften auf Kosten von Sozial- und Umweltstandards erklärt.
Der vierte Bereich, weshalb unser Geldsystem nicht neutral ist, liegt
an der Unterstützung einer zunehmenden Einkommensdisparität. Sie
kennen die Diskussion vielleicht aus Ihrem Umfeld. Die Reichen werden
immer reicher, die Mittelschicht immer dünner, und die Armen werden
immer ärmer. Diese Unterschiede in der Vermögens- und Einkommenszusammensetzung haben viele Gründe, und die kann man auch sozialwissenschaftlich untersuchen. Dabei spielen die Wirtschafts- und
Steuerpolitik, Globalisierungseffekte, Ausbildungsstand usw. eine wichtige Rolle. Aber ein Punkt liegt auch im Finanzsystem. Jedes Mal, wenn
es eine Staatsschuldenkrise gibt und sich die Staaten zusätzlich verschulden müssen, tun sie das natürlich bei privaten Menschen, die vermögend
sind, und verstärken damit die Einkommensschere. Auch dafür gibt es
einige empirische Zahlen, die diesen Zusammenhang nicht nur theoretisch stützen.
Der letzte Punkt, weshalb unser Geldsystem nicht nachhaltig ist im
Hinblick auf menschliches Verhalten, hat mit dem zu tun, was Sozialwissenschaftler Sozialkapital nennen. Die Frage, die hinter dieser Diskussion steht, ist: Was hält eine Gesellschaft zusammen? Es ist die zentrale Frage all der Forscher und Menschen, die sich mit dem Thema
Sozialkapital beschäftigen. Und zwei Forscher, F. Fukuyama und F. Putnam, haben das im Besonderen für Märkte und Demokratien gezeigt.
Gesellschaften funktionieren nicht dann am besten, wenn ihre Mitglieder die gleiche Religion haben, die gleiche Sprache sprechen oder
nahe beieinander leben, sondern wenn in der Gesellschaft die Vertrauens-, Verantwortungs- und Solidaritätsquotienten hoch sind. Gesellschaften, die dies ausbilden können, sind Gesellschaften, die relativ stabil
sind. Warum ist die Diskussion für unsere Fragestellung wichtig? Weil
unser Geldsystem genau das Gegenteil tut. Unser Geldsystem favorisiert
Der neue Club-of-Rome-Bericht: Geld und Nachhaltigkeit 79
nicht Vertrauen, Solidarität, Verantwortung, sondern Angst und Gier
und Wettbewerbsverhalten. Es gibt erstrangige Publikationen, die Ihnen
zeigen können, dass immer dann, wenn Menschen anfangen, sich mit
Geld zu beschäftigen, Hirnregionen aktiv werden, die dem eines Patienten, der schwer suchtkrank ist oder schwere Ängste hat, ähneln.
Geld ist also kein neutraler Schleier, der sich einfach über die Realwirtschaft legt, und wir machen dann in der Realwirtschaft irgendetwas.
Unser Geldsystem produziert nicht nur ständig eine Liquiditätsfalle,
nicht nur eine Schuldenfalle, sondern auch eine Neutralitätsfalle: Also
jedes Mal, wenn wir einen Euro in die Hand nehmen, werden nichtnachhaltige Prozesse unterstützt.
Das heißt, die Idee, dass wir unsere komplette Realwirtschaft, unser
komplettes gesellschaftliches Handeln durch ein Geldsystem organisieren, ist nicht nur, wenn Sie so wollen, unvorteilhaft für das Geldsystem
selbst, weil es instabil ist, nicht nur unvorteilhaft für die Gesellschaft,
weil es extrem teuer ist, sondern auch noch unvorteilhaft, weil es nicht
nachhaltig ist. Also, wenn wir uns für ein Design entschieden haben,
das Wachstumszwang, Kurzfristigkeit, Einkommensdisparität, reduziertes Sozialkapital produziert, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn
das dann auch am Ende heraus kommt.
Wir haben vonseiten der Autorenschaft Wert darauf gelegt, dass wir
nicht parteipolitisch Stellung beziehen, sondern dass uns eine systemische Betrachtung wichtig ist und dass wir uns dabei auf die Ergebnisse
aus der Systemtheorie beziehen wollen. Auf dem Bild (siehe S. 81) sehen
Sie auf der linken Seite den Panamakanal und unten eine Monokultur
der Holzwirtschaft. Und auf Ihrer rechten Seite sehen Sie oben das
Hindu-Delta und unten den Regenwald. Die Frage, die einen Systemtheoretiker interessiert, ist, warum halten manche Systeme nicht nur
zehn oder 15 Jahre, sondern Millionen Jahre. Die auf der rechten Seite
des Bildes verhalten sich in diesem Sinne nachhaltig, und die Frage ist:
Warum ist das so? Was sind die Parameter, und kann man diese Diskussion gewissermaßen für unsere Fragestellung, nämlich für die Fragestellung »Geld und Nachhaltigkeit«, nutzen. Das hat uns an der Stelle
des Berichts interessiert. Das Interessante ist, dass es letztlich nur zwei
80 Stefan Brunnhuber
Monokultur versus Ökosystem
fehlende
Quelle
Variablen sind, die ein System nachhaltiger gestalten lassen. Das gilt für
das Immunsystem, für biologische Systeme, für das Stromnetz und letztlich auch für das Finanzsystem.
Und in der folgenden Abbildung (siehe Folgeseite) sehen Sie eine
hochaggregierte Grafik, die den Zusammenhang der beiden Variablen
deutlich macht. Einmal das Ausmaß an Effizienz in einem System. Effizienz beschreibt dabei den Durchfluss oder den Through-put pro Zeit.
Und der zweite Parameter ist das Ausmaß an Resilienz eines Systems.
Der Begriff »Resilienz« kommt aus der Materialsystemforschung und
beschreibt die Fähigkeit eines Systems, auf einen äußeren Schock zu reagieren. Und Resilienz wird hier gemessen im Umfang des Vernetzungsgrads. Und was man empirisch findet, ist, dass das Ausmaß an Nachhaltigkeit aus einer richtigen Balance zwischen Effizienz und Resilienz
entsteht, und zwar bei allen Systemen. Diejenigen, die in der Stromwirtschaft tätig sind oder bei der Flugsicherung, können das bestätigen, diejenigen unter Ihnen, die Biologen sind oder mit dem Immunsystem sich
beschäftigen, auch und diejenigen, die in der Landwirtschaft tätig sind,
sowieso.
Der neue Club-of-Rome-Bericht: Geld und Nachhaltigkeit 81
Effizienz und Resilienz in Systemen
fehlende
Quelle
So sind Monokulturen beispielsweise extrem effizient, aber eben instabil. Das Gegenteil einer Monokultur wäre völlige Vernetzung von allem
und jedem. Während das System an der Stelle nicht nachhaltig ist, weil
es sozusagen instabil wird, ist das System an der anderen Stelle ebenfalls
nicht nachhaltig, weil es sozusagen abstirbt. Und die richtige Balance
zwischen diesen beiden Extremen findet an diesem »Window of Viability«, diesem Fenster der Nachhaltigkeit, statt. Und immer dann, wenn
ein System beispielsweise auf zu hohe Effizienz getrimmt wird, wie wir
es in der Forstwirtschaft bei den Monokulturen kennen, geht es früher
oder später in den Kollaps über, und es kommt dann wieder zu erneuten
recovery.
Nun kann man sich fragen, ob man das auch auf unser Geldsystem
übertragen kann. Das kann man natürlich, denn für unser Geldsystem
gilt die gleiche Systemdynamik wie beim Immunsystem oder bei biologischen Systemen oder bei der Flugsicherung. Unser System, wie etwa
am Beispiel der Derivate und des Währungssystems gezeigt, ist extrem
effizient. Und all die Maßnahmen, die wir in den Medien hören, die wir
in der Politik diskutieren und die wir wahrscheinlich auch im Koalitionsvertrag in Deutschland niedergeschrieben bekommen, bewegen sich
82 Stefan Brunnhuber
Effizienz und Resilienz im Finanzsystem
fehlende
Quelle
auf dieser Ebene, indem die Effizienz des Systems erhöht wird, weil wir
all unsere wirtschaftlichen Aktivitäten durch eine Monokultur organisieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses System nicht hält, was es verspricht, ist – wenn nun die Systemtheorie richtig ist – fast 100 Prozent.
Die Natur selektioniert eben nicht nach einem Maximum an Effizienz,
sondern einem Maximum an Balance zwischen Resilienz und Effizienz.
Und das ist beim Geld- und Finanzsystem nicht anders.
Die Fähigkeit, auf einen äußeren Schock zu reagieren, trifft nicht
nur beim Menschen zu, sondern auch bei biologischen Systemen, wie
z. B. bei Extremwetterlagen, in der Forstwirtschaft, in der Flugsicherung,
und wird gemessen als Ausmaß an systemimmanenter Vernetzung.
Diese Vernetzbarkeit eines System, das heißt ein hoher Anteil an Parallelverschaltungen (Hindu-Deltas und nicht Panamakanal), garantiert
eine hohe Resilienz.
Und die Frage ist, wenn mehr oder weniger alle Systeme nach dieser
Systemdynamik funktionieren, nach der richtigen Balance zwischen Effizienz und Resilienz, was heißt das für das Geld- und Finanzsystem?
Wie sähe denn ein monetäres Ökosystem aus? Passiert das vielleicht
schon? Und wenn ja, wie müsste das geschaffen sein, damit wir nachDer neue Club-of-Rome-Bericht: Geld und Nachhaltigkeit 83
haltiger, billiger, resilienter und menschengerechter wirtschaften können? Es geht im Bericht um den Zusammenhang von Geld und Nachhaltigkeit. Allgemein betrachtet, geht’s also jetzt um die Frage eines komplementären monetären Ökosystems. Was meint man damit eigentlich?
1980 gab es zwei solcher Systeme weltweit. Im Jahr 1990 gab es um 200
und im Jahr 2010 gab es 4000 solcher komplementären monetären Systeme. Aber was ist damit eigentlich gemeint?
Konzept des monetären Ökosystems
ährungen ((CC)
CC )
omplementäre W
M
onetäres Ö
kosystem: K
Monetäres
Ökosystem:
Komplementäre
Währungen
fehlende
Quelle
essourcen, e
D
iversifikation: u
ngenutzte R
nd Re
rhöht d
en V
ernetzungsgrad u
Diversifikation:
ungenutzte
Ressourcen,
erhöht
den
Vernetzungsgrad
und
Resilienz
silienz
um kkonventionellen
P
arallel: vverlaufen
erlaufen kkomplementär
omplementär zzum
Parallel:
System
onventionellen Sy
stem
Balance:
optionaler
Einsatz,
antizyklisch,
Re-regionalisierung,
tabilisierend, R
ntizyklisch, sstabilisierend,
e-regionalisierung,
B
alance: o
ptionaler E
insatz, a
Ökonomie
der
Nähe:
Preise
Qualität
ualität ssteigt
teigt
ähe: P
reise ssinken,
inken, Q
Ö
konomie d
er N
Einsatz:
(Furia-Kippu, WIR,
WIR, TimeDollars,
TimeDollars,
Im E
insatz: > 4000 CC weltweit im Einsatz
Einsatz (Furia-Kippu,
Regio,
Frequent-Flyer,
egio, Fre
quent-Flyer
yerr, Barter
Barter C-3 etc.)
LLETS,
ETS, R
In jeder Region dieser Welt, auch hier in Chemnitz, gibt es ungenutzte
Ressourcen, die vor dem Hintergrund des gegebenen Geld- und Finanzsystems nicht hinreichend umsetzbar sind. Weltweit gibt es 200 Millionen Arbeitslose. Weltweit gibt es 200 Millionen Kinder, die nicht in die
Schule gehen, sondern arbeiten. Oder denken Sie an die lokale kommunale Infrastruktur, Frühförderung, Bildungs- und Kulturangebote. Ein
monetäres Ökosystem bedeutet sozusagen, dass die Kanäle, über die wir
unsere Realwirtschaft organisieren, nach unterschiedlichem monetären
Design organisiert werden und damit den Vernetzungsgrad in einer Region erhöhen. Solche Komplementärwährungen laufen eben parallel.
Und sie laufen optional zum konventionellen System. Bleiben wir beim
Bild mit dem Hindu-Delta. Da gibt’s eben nicht nur einen Fluss in das
Delta hinein, sondern da gibt’s verschiedene.
Im konventionellen System geht es immer darum, aus Geld mehr
Geld zu machen, und es fließt dann dorthin, wo die Rendite am höchs84 Stefan Brunnhuber
Monetäres Ökosystem: Eine Win-win-Situation
Investoren
Risikobewertung, stabile Wertentwicklung, geringere
Volatilität
Banken
Kundenbindung, Branding, neue Geschäftsmodelle
Zentralbank
antizyklisch, antiinflationär, Geldmengensteuerung
Politik
Besteuerung, Schulden, kommunale Infrastruktur, indirekte Kosten, Rating, Dominanz der Politik über die
Wirtschaft
Industrie/KMU
Arbeitsplätze, regionale Nachfrage
Bürger
Sozialkapital, Nachbarschaft, Einkommen, Inklusion,
Regionalisierung der Wertschöpfungskette
Brunnhuber 2006 – Stodder 2009 – Lietaer 2012
ten ist, nicht aber dorthin, wo es am dringendsten gebraucht wird, nämlich für soziale, ökologische und kulturelle Projekte.
Warum müssen wir mit dem gleichen System, mit dem wir in Japan
einen Taxifahrer zahlen und in China CDs hergestellt werden, unseren
Biobäcker um die Ecke bezahlen oder auch kommunale Infrastruktur
(Bibliotheken, Schwimmbäder, Stadtparks, Kindergärten und Kulturzentren) und dabei zusätzlich all die negativen Effekte, die wir hier beschrieben haben, ständig in Kauf nehmen? Die Standardantwort ist:
»Weil es so am effizientesten ist.« Das ist nicht ganz falsch, aber unvollständig, denn es ist gleichzeitig eben auch extrem instabil und daher teurer und sicherlich nicht nachhaltiger.
Komplementärwährungen ersetzen das gegenwärtige Geldsystem
nicht, sondern ergänzen es, laufen parallel und versuchen ungenutzte
Ressourcen auf sektoraler oder/und regionaler Ebene zusammenzubringen. In der Regel haben sie eine eingebaute Zielsetzung (built-in target),
haben eine optionale Anreizstruktur mit einer standardisierten Verrechnungseinheit, erhöhen damit die Robustheit des Systems und die regionale Liquidität, auch wenn sie aus der hier beschriebenen Systemdynamik die Effizienz zugunsten der Resilienz verringern.
Der neue Club-of-Rome-Bericht: Geld und Nachhaltigkeit 85
Hier einige Beispiele für private monetäre Lösungen (Einzelheiten
haben wir im Bericht dann ausführlicher dargestellt):
• Doraland in Litauen: Wechselseitiges Lernen und Lehren wird
über ein komplementäres Anreizsystem verstärkt und belohnt,
welches über eine NGO organisiert ist.
•
Wellness Token unterstützen präventives Verhalten. Bei einem
üblichen ROI von 3:1 rentieren sich diese Parallelwährungen
für die Versicherungsbranche. Ein Umlauf in der Region verstärkt die Nachfrage von gesundheitsförderlichen Produkten
und Dienstleistungen.
•
Natural Savings: eine natürliche Sparanlage, welche vollständig
durch Bäume abgedeckt ist, zudem inflationssicher; darüber hinaus
werden Regionen wieder bewaldet und CO2-Senken geschaffen,
kombinierbar mit Mikrosparprogrammen.
•
C3: ein B2B zur Reduktion von Arbeitslosigkeit in der Region, abgedeckt durch die Lagerhaltung, verbessert zudem die kurzfristige
Kreditklemme der KMU.
•
TRC: ein globaler B2B als Handelsreferenzwährung, für multinationale Firmen mit Langzeiteffekt, inflationssicher mit einem Warenkorb, unabhängig von geopolitischen Verwerfungen.
Beispiele für staatliche Initiativen:
• Torekes: eine kommunale Komplementärwährung zur Verbesserung der Begrünung sowie der sozialen Kohäsion in einer Stadt
(seit 2010 in Ghent, BE).
•
Biwa Kippu: verbindet den ökologischen Wiederaufbau des Biwasees
(größter See in Japan) mit der hohen Arbeitslosigkeit in der Region.
•
CIVICS: unterstützt zivilgesellschaftliche Aktivitäten ohne weitere
Budgetbelastung im Bereich kommunaler Umweltprojekte, Kinderbetreuung, Aufbau von kommunalen Strukturen, basiert auf
Stundenbasis.
•
ECOS: zinsfreie Währungseinheit, die von Regierungsseite an
86 Stefan Brunnhuber
Unternehmen (KMU), die sich sozialen und ökologischen Projekten widmen und in ECO bezahlt werden, herausgegeben werden.
Dies sind Beispiele, einige hundert weitere sind bereits im Einsatz. Viele
werden scheitern, die erfolgreichsten werden sich durchsetzen. Welche
dann wo nachhaltig umgesetzt werden, wird von den Menschen abhängen mit ihren spezifischen Bedürfnissen, Wünschen und Visionen vor
Ort. Es ist ein bisschen so wie vor 100 Jahren mit den Gebrüdern Wright
und ihren ersten Flugversuchen. Damals haben viele gelacht, und heute
ist es undenkbar, dass wir auf das Flugzeug verzichten.
Monetäres Ökosystem und Beispiele
Monetäres
Mo
netäres Ö
Ökosystem:
kosystem:
E
Euro,
uro, Y,
Y, U
USD
SD
B
eispiele
Beispiele
Inter
national
International
Währungskorb, T
erra, Ba
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Währungskorb,
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Trans(-nationale) W
ährungen
Trans(-nationale)
Währungen
E
uro, Y,
Y, U
SD
Euro,
USD
Öffe
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Öffentlich-rechtlich
CIVIC, Curitiba,
Torekes, Saber,
Saberr,, Br
B istol Pound
Pound
Torekes,
Bristol
Pr
ivatwirtschaft
Privatwirtschaft
C3, Miles and Mo
re
More
TimeBanking, P
2P, W
IR
TimeBanking,
P2P,
WIR
No
n-Profit
Non-Profit
Ti
medollars, L
ETS,
Timedollars,
LETS,
IthakaHo
urs, Fureia
Fureia Kippu,
Kippu,
IthakaHours,
W
örgl, Wäda
GIOs
Wörgl,
Wäda,, RE
REGIOs
Lo
kale Initiativen
Initiativen
Lokale
Barter
Barter
www
w..elbtaler..de
www.elbtaler.de
fehlende
Quelle
So entsteht eine »Ökonomie der Nähe« als Ausgleich zur Ökonomie der
Globalisierung: Transportkosten fallen, aus Wegwerfartikeln wird Dauernutzung, kollektive Nutzung, Reparatur und Nachbarschaftshilfe. Eine
Ökonomie der Nähe unter Berücksichtigung dieses monetären Aspekts
bedeutet so viel regional wie möglich und so viel global wie nötig, nicht
umgekehrt. Wir gehen immer noch davon aus, dass wir für die Umsetzungen von ökologischen, sozialen Fragestellungen in der Region zuerst
auf dem Wettbewerbsmarkt einen Profit erwirtschaften müssen, den
wir dann über Steuertransferleistungen, über Stiftungen an soziale oder
karitative Einrichtungen freigeben. Ich habe Ihnen vorhin erzählt, dass
Der neue Club-of-Rome-Bericht: Geld und Nachhaltigkeit 87
es 1980 zwei solcher Systeme weltweit gab, eines in Bali und das andere
in der Schweiz, welches dort seit über 60 Jahren im Einsatz ist. Es ist das
WIR-System. Ein WIR ist äquivalent zu einem Schweizer Franken. Und
das Interessante ist, der WIR ist abgedeckt durch die Lagerhaltung der
kleinen und mittelständischen Unternehmen. Immer dann, wenn es der
Schweizer Wirtschaft schlecht geht, gemessen in Schweizer Franken, die
Arbeitslosigkeit zunimmt oder die Wachstumsquote nach unten geht,
dann nimmt die Anzahl der Wirtschaftsaktivitäten im WIR antizyklisch
zu. Das ist kein marginaler Effekt, wir sprechen von circa 1,5 Milliarden
Schweizer Franken Äquivalenten und einer Beteiligung von ungefähr
60.000 kleinen und mittelständischen Unternehmen.
Ich komme gerade aus Istanbul, wo ich die Möglichkeit hatte, den
Zumbara kennenzulernen, in dem bereits über 20.000 Menschen landesweit organisiert sind. Es sind regionale Wirtschaftskreisläufe, die parallel zur Landeswährung funktionieren und über ein Timedollar-System abgerechnet werden.
Das heißt die Werteinheit, die ausgetauscht wird, sind nicht Euro,
Dollar oder die Landeswährung, sondern Stunden. Der Wert eines Menschen lässt sich über eine Zeiteinheit, über eine Stunde, die zur Verfügung steht, eher abbilden als über den Preis, den er für eine Stunde bekommt. Ein solches Anreizsystem verändert unser Sozialkapital und
damit auch unser Zusammenleben. So gibt es weltweit über 4000 Systeme, die alle auf niedrigem Niveau zeigen, dass es geht. In Dresden habe
ich den Elbtaler kennengelernt, eine von 80 Regionalwährungsinitiativen in Deutschland.
Lassen Sie mich drei Dinge zusammenfassen: Ich habe versucht
Ihnen zu zeigen, dass unser konventionelles System teuer, instabil und
nicht nachhaltig ist. Wir denken, dass wir alles über ein System organisieren müssen. Wir haben in dem Bericht gezeigt, dass der Versuch, unsere komplette Realwirtschaft und unser komplettes Zusammenleben
über eine monetäre Monokultur zu organisieren, zwar extrem effizient,
aber eben nicht resilient und nicht nachhaltig ist. Ich habe Ihnen hier
einige Beispiele genannt, die wir im Buch auch erwähnen und deutlich
machen, wie ein monetäres Ökosystem aussehen kann.
88 Stefan Brunnhuber
Zusammenfassung
Konventionelles System: !"#"$%&'()!*+',&#(-&('./!0(*.//*,12&
&
Systemtheorie: 345'"(5&#(-&6")','"(5&
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Ich habe Ihnen zweitens versucht zu zeigen, dass die Systemtheorie deutlich macht, dass Systeme dann nachhaltig sind, wenn es ihnen gelingt,
die Balance zwischen Effizienz und Resilienz herzustellen. Und ich habe
Ihnen drittens gezeigt, dass, wenn man diesen Gedanken in die Geld-,
und Finanzwirtschaft übersetzt, man zu dem Konzept eines monetären
Ökosystems kommt.
Und solche komplementären – oder Parallelwährungen – sind optional, je nachdem, an welcher Stelle des Konjunkturzyklus sie zur
Anwendung kommen. Sie wirken antizyklisch, stabilisierend auf die
Ökonomie, fördern die Re-Regionalisierung und schaffen die institutionellen Voraussetzungen für eine Ökonomie der Nähe.
Von H.G. Wells stammt die Einsicht, dass sich die Geschichte als ein
Wettrennen zwischen Erziehung und Katastrophe darstellt. Für die
Eliten eines Landes bedeutet dies in Anlehnung an die Arbeiten von
A. Toynbee: Über 21 Zivilisationen gingen aus zwei Gründen unter: eine
zu hohe Wohlstandskonzentration und eine Elite, die nicht willens war,
sich an die geänderten ökologischen Bedingungen anzupassen.
Für Studenten der Wirtschaftswissenschaft bedeutet dies, dass es
darum gehen muss, das Paradigma der Ökonomie und des Geldsystems
offenzulegen und kritisch zu diskutieren. Und für uns alle gilt, dass wir
ein Verständnis für nichtlineare Prozesse insbesondere von exponentiellen Vorgängen entwickeln müssen und dass unser Geldsystem auf
einer Verhaltensebene nicht neutral ist. Ein monetäres Ökosystem ist
sicherlich kein Allheilmittel, aber es ist eine notwendige, wenn auch
nicht hinreichende Bedingung für ein nachhaltiges Zusammenleben.
Der neue Club-of-Rome-Bericht: Geld und Nachhaltigkeit 89
Wir werden es uns bald nicht mehr leisten können, diese Zusammenhänge zu ignorieren.
Ich habe immer wieder die Möglichkeit, mit Akademikern und
Politikern dieses Thema zu diskutieren, und dann entsteht häufig die
Einschätzung, dass wir uns an einer Weggabelung befinden. Einer Weggabelung, an der der eine Weg in mehr Armut, mehr militärische Auseinandersetzungen, mehr Angst, mehr Gier, mehr soziale Unruhen,
mehr Ungleichheit und mehr Umweltzerstörung und in weniger Chancen für unsere Kinder führt. Und an der ein anderer Weg in die Nachhaltigkeit führt. Auf diesem Weg werden wir ein monetäres Ökosystem
wieder treffen, vielleicht als eine der wichtigsten Einzelmaßnahmen.
Vielen Dank
90
Markus Vogt
Carlowitz weiterdenken.
Nachhaltigkeit als
Basis für eine
»Große Transformation«
heute
Vortrag zum 300. Todestag von
Hans Carl von Carlowitz in der
St.-Georgs-Kirche Chemnitz
am 3. März 2014
Manche Philosophen, Künstler oder Erfinder werden in ihrer Bedeutung
erst posthum entdeckt. Hans Carl von Carlowitz fand zwar schon zu
Lebzeiten große Anerkennung. Dennoch wird seine wegweisende Bedeutung in ihrer grundsätzlichen und globalen Dimension erst heute
allmählich erkennbar. Der vor 300 Jahren gestorbene Chemnitzer Forstwissenschaftler und Praktiker ist im 21. Jahrhundert aktueller denn je:
Die »Große Transformation« unserer Gesellschaft zu einer dauerhaft
natur-, klima- und schöpfungsverträglichen Entwicklung ist heute eine
der zentralen Schicksalsfragen unserer Zivilisation.
Carlowitz hat hierfür wegweisende Gedanken und Maßstäbe formuliert. Es wäre viel zu wenig, nur das Schlagwort der Nachhaltigkeit, das
mit seinem Namen verbunden ist, in den Blick zu nehmen. Erst wenn
man seine begriffliche Innovation in ihrem Kontext würdigt, der durch
eine humanistische und christliche Bildung geprägt ist, gewinnt der von
Anfang an weit über die Forstwirtschaft hinausweisende Fachbegriff
seine wegweisenden Konturen. Er ist Teil eines auf das Gemeinwohl ausgerichteten Denkens, das den Staat in besonderer Weise für Zukunftsverantwortung in die Pflicht nimmt. Er ist bei Carlowitz eng mit seinem
Glauben an die göttliche Vorsehung und ihre Erkennbarkeit in der
Schöpfung sowie einer tiefromantischen Einfühlung in die geheimnisvolle Schönheit der Naturordnung verbunden. Nachhaltigkeit ist bei
Carlowitz kein theoretisches Konzept, sondern durch einen praktischen
Sinn für Fragen des Managements von Problemen der Holzknappheit
und der Ressourcenbeschaffung »geerdet«.
All das ist aber nicht genug für heute. Die Transformation des
Mensch-Natur-Verhältnisses hat globale Dimensionen angenommen
und ist so eng mit den technischen und ökonomischen Entwicklungen
92 Markus Vogt
sowie mit dem Klimawandel verknüpft, dass sie heute nicht ohne deren
Analyse verstanden und gestaltet werden kann. All diese Zusammenhänge müssen in den Blick genommen werden, um Nachhaltigkeit wirksam in die Gegenwart zu übersetzen. Deshalb habe ich meinem Vortrag
den Titel gegeben »Carlowitz weiterdenken. Nachhaltigkeit als Basis für
eine ›Große Transformation‹ heute«.
Ich möchte acht Aspekte herausgreifen, an denen wir das von Carlowitz begründete Konzept der Nachhaltigkeit weiterdenken müssen,
damit es nicht zu einer Leerformel wird. Carlowitz hatte sehr konkrete
Probleme vor Augen, die es damals zu lösen galt. Heute lassen sich die
Herausforderung einer zukunftsfähigen Entwicklung mit dem Begriff
der »Großen Transformation« umschreiben. Diesen 1944 von Karl Ponany eingeführten Begriff hat der »Wissenschaftliche Beirat für globale
Umweltveränderungen der Bundesregierung« (WBGU) 2011 in seinem
Hauptgutachten aufgegriffen: Während der deutsche Titel nur von
der Großen Transformation spricht, nennt der englische Titel des
WBGU-Gutachtens den Begriff der Nachhaltigkeit: »World in Transition – A Social Contract for Sustainability«. Die Herausforderungen
der Nachhaltigkeit bündeln sich in der Suche nach einem neuen Gesellschaftsvertrag hinsichtlich der Ziele, Regeln, Verantwortlichkeiten und
Chancenverteilungen unseres Sozialgefüges und seiner Naturbeziehung.
Nachhaltigkeit wird hier weitergedacht von der (oft etwas idealistischen) Fokussierung auf wünschenswerte Ziele hin zur kritischen Reflexion derjenigen Kräfte und Hindernisse, die einen Transformationsprozess der Gesellschaft ermöglichen bzw. verhindern. Aus Sicht der
WBGU ist dafür die Abkehr von fossilen Energien, extensivem Ressourcenverbrauch, materialistischer Konsumfixierung und zivilgesellschaftlicher Passivität entscheidend. Jede Generation muss eine je eigene Antwort auf die spezifischen Chancen und Hindernisse für Nachhaltigkeit
in ihrer Epoche neu finden. Deshalb genügt es nicht, Carlowitz für heute
zu kopieren und nachzuahmen. Wir ehren sein Andenken am besten,
wenn wir seinen Mut zum Wandel und zu einer radikalen Kritik kurzfristiger und nachlässiger Naturbewirtschaftung im Blick auf unsere
heutigen Herausforderungen und Chancen weiterdenken.
Carlowitz weiterdenken
93
Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf Fragen des normativen Gehaltes von Nachhaltigkeit und benennen die aus meiner
Sicht notwendigen Klärungen für ein tragfähiges Verständnis der Nachhaltigkeit anhand von acht Dimensionen: 1. ökologisch/forstwirtschaftlich, 2. politisch, 3. gerechtigkeitstheoretisch, 4. sozioökonomisch, 5. demokratisch, 6. kulturell, 7. zeitpolitisch, 8. theologisch.
Zwei Leitthesen dieser Skizze zu den Dimensionen der Nachhaltigkeit lauten, dass alle acht Perspektiven substanziell sind für ein volles
Verständnis des Konzeptes, dass es jedoch gegenwärtig in allen Dimensionen fundamentale Missverständnisse gibt. Diese sind mitverantwortlich dafür, dass der Umwelt- und Entwicklungsdiskurs in den letzten
Jahren häufig in Sackgassen geraten ist und Nachhaltigkeit als vermeintlich inhaltsleeren »Gummibegriff« und unverbindlichen »Alleskleber«
in Misskredit gebracht hat. Das Ziel meines Vortrags ist ein Beitrag zur
»Rettung des Begriffs« durch die Abgrenzung gegen seine Verflachung
im undifferenzierten Gebrauch.
1. Ökologisch: Forstwirtschaftliche Impulse für das Gemeinwohl
Das Regulationsprinzip der Nachhaltigkeit, das zuerst 1713 von dem
sächsischen Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz formuliert
wurde (vgl. Carlowitz 1713/2013; Schanz 1996; Diefenbacher 2001, S. 58–
72; Grober 2010; Sächsische Hans-Carl-von-Carlowitz-Gesellschaft
2013), ist ein Produkt der Frühaufklärung. Die Herausbildung steht im
Kontext des Kameralismus, durch den er die bis heute prägende Orientierung auf das Staats- und Gemeinwohl übernahm (Münk 1999, S. 228).
Carlowitz verwendet »nachhaltig« als Gegenbegriff zu »nachlässig«
(Hamberger 2013)). Nachhaltigkeit ist von daher nicht ein passives Begrenzungsprinzip, sondern zielt auf eine optimale Anpflanzung und
Pflege der zum jeweiligen Boden und Bedarf passenden Bäume in robusten Kulturen. Es geht um aktive und innovative Zukunftsgestaltung,
nicht bloß um Grenzen dessen, was erlaubt bzw. verboten ist. Für den
von der Naturphilosophie Spinozas tief beeindruckten Carlowitz steht
dahinter die Vorstellung der »natura naturans«, also der Natur als einer
schaffenden, sich stets weiterentwickelnden Macht (Carlowitz 2013, bes.
94 Markus Vogt
45f., 114–126; Grober 2010, S. 108f.f). Es geht von daher nicht primär
um die Konservierung des Bestehenden, sondern darum, den Leben
schaffenden Kräften der Natur Raum zu geben.
Verallgemeinert man das Prinzip der Nachhaltigkeit als Regel für
den Umgang mit natürlichen Ressourcen insgesamt, bedeutet es: Das
Ressourceneigentumsrecht einer Generation ist nie unbeschränkt, sondern trägt immer den Charakter eines usus fructus, eines Rechts, sich
die Erträge anzueignen, solange die Ertragskraft als solche erhalten
bleibt. Weil der Mensch die Natur nicht geschaffen hat, kann er auch
nicht in einem emphatischen Sinn ihr Eigentümer sein (Weikard 2001,
S. 41; Höffe 1993, S. 185, mit Verweis auf Pufendorf, Descartes und
Marx). So formulierte es bereits der liberale Philosoph John Locke im
17. Jahrhundert. Bekannt ist diese Denkfigur heute insbesondere durch
die monotheistischen Religionen mit ihrem Hinweis auf Gott als den
eigentlichen Eigentümer der Schöpfung. Nachhaltigkeit braucht eine
kritische Reflexion des Eigentumsbegriffs.
Nachhaltigkeit ist also von Anfang an weit mehr als eine forstwissenschaftliche Erhaltungsregel. Dennoch ist die Kurzformel der forstlichen Nachhaltigkeit sehr einprägsam und für einen ersten Zugang zum
Begriffsverständnis gut geeignet: »Nicht mehr Bäume schlagen als nachwachsen« oder allgemeiner: »Nicht mehr Ressourcen verbrauchen als
sich im gleichen Zeitraum neu bilden.« Hierzu kann man in zahlreichen
Feldern anschauliche Analogien bilden. So beispielsweise in der Finanzwirtschaft: »Von den Zinsen und nicht vom Kapital leben« ist ein Maßstab finanzieller Nachhaltigkeit, der in Zeiten der Schuldenkrise zunehmend postuliert wird (beispielsweise in den »Goldenen Regeln zur
Haushaltsstabilisierung«; Bundesregierung 2008, S. 24–27).
Bei aller Begeisterung für die vielseitige Verwendbarkeit der Nachhaltigkeitsformel sollte man sich jedoch bewusst bleiben, dass es sich
dabei meist um metaphorische Übertragungen einer in dieser Abstraktheit recht banalen bäuerlich-forstwirtschaftlichen Erhaltungsregel handelt. Der Impuls zu langfristigem Denken wird zwar von der Forstwirtschaft durch den Umgang mit Bäumen besonders anschaulich inspiriert,
ist aber, wissenschaftlich gesehen, nichts spezifisch ForstwissenschaftCarlowitz weiterdenken
95
liches. Wenn man vom Naturbezug sowie von der Komponente aktiver
Gestaltungspflicht abstrahiert, verliert das Konzept seine Substanz. Kern
der Nachhaltigkeit ist die planend vorausschauende und umsichtige
Einbindung der Wirtschaft in ökologische Stoffkreisläufe und Zeitrhythmen (Ott/Döring 2004; Vogt 2013, S. 134–214, Sächsische CarlowitzGesellschaft 2013, 144–153).
Viele verbinden mit der forstlichen Nachhaltigkeit eine Rechtfertigung des zeitlich erweiterten Nutzentheorems. Dies bedarf jedoch einer
Differenzierung: Der Nutzen des Waldes wird gegenwärtig neu entdeckt.
Der Wald ist im Erdsystem unverzichtbar als CO2-Senke und als Wasserspeicher; er ist der entscheidende Rückzugs- und Erhaltungsort für
Biodiversität. Der vielfältige Nutzen des Waldes kann sich teilweise nur
dann entfalten, wenn er nicht direkt vom Menschen genutzt wird. In
dieser Paradoxie muss uns der Wald zu denken geben. Wer auf Einzelobjekte des Nutzens fixiert ist, sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht
und verliert das Ganze aus dem Blick. Den Menschen, der ökologischen
Dingen gegenüber offen ist, lehrt der Wald vernetztes, systemisches und
langfristiges Denken. Nachhaltigkeit im Anspruch von Carlowitz ist
mehr als eine bloße zeitliche Erweiterung des Nutzentheorems. Carlowitz greift das Nützlichkeitsdenken positiv auf und weist es doch zugleich in seine Grenzen.
Dieser feine und nur scheinbar kleine Unterschied ist auch heute
entscheidend: Nur wenn sich die Forstwissenschaft als Teil einer umfassenden Landnutzungs- und Erdsystemforschung versteht, kann sie
zur notwendigen Perspektivenumkehr, die mit Nachhaltigkeit gemeint
ist, beitragen. Eine isolierte Übertragung und Generalisierung einzelner
Theorieelemente der Forstwissenschaft auf ökosoziale Gesamtzusammenhänge verstärkt möglicherweise eine – auf den messbaren menschlichen
Nutzen bezogene (platt anthropozentrische) – verengte Interpretation
von Nachhaltigkeit (zur komplexen Diskussion um Anthropozentrik
vgl. Vogt 2013, S. 216–262). Die anthropozentrische Nutzenperspektive
ist bei Carlowitz in ein erweitertes Verständnis von Gemeinwohl, das
auch den Eigenwert der Schöpfung im Blick hat, eingebettet. Ich bin
mir nicht sicher, ob er den ersten Grundsatz der Rio-Deklaration für
96 Markus Vogt
Nachhaltigkeit der Vereinten Nationen »Human beings are at the center
of sustainable development« unterschrieben hätte.
2. Politisch: Nachhaltigkeit als Querschnittspolitik
Bei der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio
de Janeiro 1992 hat sich die Völkergemeinschaft auf das Leitbild der
nachhaltigen Entwicklung verständigt und dieses in weit ausgreifender
Hoffnung und Selbstverpflichtung als »Handlungsprogramm für das
21. Jahrhundert« (Agenda 21) definiert. Im Kontext der UN fand eine
Neuprägung des Verständnisses von Nachhaltigkeit statt. Innovativ
waren vor allem die Verknüpfung der Themen Umwelt und Entwicklung
sowie ihre Integration in alle Politikfelder. »Sustainable development«
wurde so zu einem umfassenden Leitbild globaler Partnerschaft (Heins
1997, S. 37; BMU 1992, S. 9–17; Sächsische Carlowitz-Gesellschaft 2013,
141–171, 257–265).
Die systematische Akzentuierung der vielschichtigen Zusammenhänge von ökologischen, sozialen und ökonomischen Faktoren ist der
Kern dieses Zugangs zu Nachhaltigkeit (BMU 1992, bes. S. 58–67). Die
übliche Bezeichnung als »Dreisäulenkonzept« ist irreführend, da es nicht
um ein gleichberechtigtes Nebeneinander der drei Zugänge geht, sondern um deren Integration und Vernetzung. »Retinität« (Gesamtvernetzung) nennt der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem
Gutachten von 1994 von daher die konzeptionelle umweltethische
Grundidee von Nachhaltigkeit und stellt einen Bezug zu Steuerungsproblemen vernetzter komplexer Systeme her (SRU 1994, Nr. 36–38;
Vogt 2013, S. 142–146). In der Planungspraxis ist als Pendant hierzu oft
von Querschnittspolitik die Rede.
Hinter dem Dreisäulenkonzept stecken zugleich eine tiefe Wahrheit
und eine grundlegende Gefahr: Richtig ist, dass aus ethisch-politischer
Sicht der entscheidende strategische Punkt von Nachhaltigkeit darin besteht, die ökologische Perspektive um soziale und ökonomische Zugänge
zu erweitern. Erst dies befreit die Umweltpolitik aus ihrer Isolierung
und vermag das nachsorgende Reparaturverhalten in eine zielorientierte
Programmatik zu wandeln, also in sozioökonomische EntwicklungsCarlowitz weiterdenken
97
konzepte zu integrieren. Der defensive Schutz von Naturreservaten ist
zu wenig als konzeptionelle Grundlage von Nachhaltigkeit.
Missverstanden wird das Dreisäulenkonzept jedoch, wenn man
damit eine Gleichwertigkeit von Ökologie, Ökonomie und Sozialem behaupten will. Das sind völlig unterschiedliche Bereiche, die man nicht
eins zu eins vergleichen kann. Man vergleicht Äpfel mit Birnen und
kommt in der Wertung zu willkürlichen Aussagen (zur Kritik am Dreisäulenkonzept SRU 2002, Nr. 9–19; Ott/Döring 2004; Eckard 2011; Vogt
2013, S. 134–153).
Wer Nachhaltigkeit als Summe aus sozialen, ökologischen und ökonomischen Zielen definiert, verfällt dem maximalistischen Fehlschluss.
Da es kaum etwas gibt, was sich nicht unter diese drei Begriffe subsummieren lässt, wird der Umfang des Begriffs nahezu unendlich – und
nach dem Gesetz der Logik sein Inhalt folglich nahezu null, da er ja
nichts begrenzt, nichts definiert und inhaltlich somit völlig leer ist. Soll
der Begriff der Nachhaltigkeit überhaupt einen Sinn machen, dann ist
er nicht als die Summe, sondern als die Wechselwirkung zwischen ökologischen, sozialen und ökonomischen Faktoren zu definieren. Es geht
nicht um die Gesamtheit aller ökosozialen und wirtschaftlichen Probleme, sondern um systemisches Denken angesichts der »Vergesellschaftung von Umweltproblemen« (Beck 1986, 107; Vogt 2013, 347–372).
Carlowitz war ein Generalist, der nicht additiv, sondern systemisch gedacht hat.
Diese Analyse hat erhebliche Konsequenzen für die konzeptionelle
Ausrichtung von Nachhaltigkeitsprozessen. Wer sie als Summe ökologischer, sozialer und ökonomischer Aspekte versteht, gerät in das Fahrwasser einer konturlosen und letztlich beliebigen Ausweitung. Diese
Problematik lässt sich deutlich auch in deutschen Nachhaltigkeitsdiskursen beobachten, sowohl auf Länderebene wie auf Bundesebene. In
der Regel reagiert man auf das Unbehagen gegenüber der beobachteten
Folgenlosigkeit mit dem Ruf nach Indikatoren, um die behaupteten Erfolge kontrollierbar und messbar zu machen. Dies greift jedoch zu kurz,
da auf einer viel grundlegenderen Ebene Unklarheit besteht. Der zugrunde liegende Begriff von Nachhaltigkeit ist häufig zu weit, deshalb
98 Markus Vogt
werden die Konzepte diffus und fassadenhaft. Indikatoren sind sinnvoll,
ersetzen aber nicht die konzeptionelle Basis.
Mit anderen Worten: Der Anspruch von Nachhaltigkeit als Querschnittskonzept muss im Blick auf die politische und gesellschaftliche
Gestaltung von Transformationsprozessen operationalisiert werden.
Eine aktuelle Herausforderung für Sachsen ist hier beispielsweise die
teilweise Verödung ländlicher Räume durch die Abwanderung der wirtschaftlich und kulturell aktiven Bevölkerungsteile sowie besonders vieler
junger Frauen (Vogt/Zimmermann 2013, bes. 29–44). Ich bin mir nicht
sicher, ob die sehr positiven Ergebnisse hinsichtlich der Bevölkerungszufriedenheit der forsa-Studie des Sächsischen Umweltministeriums
von Januar 2014 hier die ganze Wirklichkeit widerspiegeln (vgl. Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie 2014, bes. S. 8).
In jedem Fall sind die tief greifenden und höchst komplexen Wirkungen
des demografischen Wandels auf gesellschaftliche Transformationsprozesse eine typische Querschnittsherausforderung, ohne deren Beachtung
auch umweltpolitischer Gestaltungswille oft ins Leere läuft. Nachhaltigkeit muss heute im Blick auf die sehr komplexen Herausforderungen
des demografischen Wandels weitergedacht werden (Vogt 2012).
3. Gerechtigkeitstheoretisch:
Intergenerationelle und globale Verantwortung
Das Nachhaltigkeitskonzept von Rio setzt in seiner Argumentationslogik
nicht spezifisch ökologisch an. Stattdessen gründet es in der Erweiterung
des Verständnisses von Gerechtigkeit auf weltweite und generationenübergreifende Dimensionen (globale und intergenerationelle Gerechtigkeit). Dies ist eine logische Konsequenz der Globalisierung, deren
räumliche und zeitliche Entgrenzung wirtschaftlicher und sozialer Interaktionen eine entsprechende Erweiterung der Ethik erfordert (Höffe
1993, S. 179–195; Ekardt 2011).
Der wissenschaftliche Streit beginnt mit der Frage, ob »Gerechtigkeit« egalitaristisch als »Gleichheit« interpretiert werden soll. Wenn man
es befürwortet (wie z. B. die Studie »Zukunftsfähiges Deutschland«, die
1996 vom Wuppertal Institut erstellt wurde), ergeben sich zwei ethische
Carlowitz weiterdenken
99
Grundpostulate: 1. gleiche Lebenschancen für künftige Generationen,
2. gleiches Recht auf global zugängliche Ressourcen. Angesichts der tiefen Unterschiede hinsichtlich der geografischen, kulturellen und historischen Voraussetzungen, unter denen Menschen leben, sind solche
Gleichheitspostulate jedoch höchst problematisch. Sloterdijk spricht
von einem »Natursozialismus« pauschaler Gleichheitspostulate (Sloterdijk 2009, S. 695f.). Für die ethische Diskussion ihrer Differenzierung
und Eingrenzung sind die Begriffe »equity« und »fairness« hilfreich (vgl.
Diefenbacher 2001, S. 41–57 und 72–91; Wulsdorf 2005). Diese Begriffsvarianten lösen jedoch keineswegs die philosophischen Grundlagenprobleme (Vogt 2013, S. 386–426). Nach nonegalitaristischen Ansätzen (z. B.
Krebs 2000; Pauer-Studer 2000) kann Gleichheit nicht als eigenständiges
Ziel von Gerechtigkeit aufgefasst werden.
Weil sich Zukunft oft nicht ausrechnen lässt und die Bedürfnisse
und Fähigkeiten künftiger Menschen nur unvollständig bekannt sind,
sollte man der Freiheit einen hohen Stellenwert einräumen. Deshalb
hilft die Idee einer Gleichverteilung der Ressourcen zwischen den Generationen in vielen Bereichen nicht weiter. Zielgröße sollte vielmehr
sein, den Nachkommen eine Welt zu hinterlassen, die ihnen genügend
Freiheitsräume und Mittel bietet, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen (Weikard 2001, S. 42f.). Welche Konsequenzen sich daraus für das
Verhältnis zwischen Postulaten der Bestandserhaltung und solchen der
Entwicklungsfähigkeit von Naturräumen sowie sozioökonomischen
und kulturellen Systeme ergeben, muss orts- und problemspezifisch
ausgehandelt werden. Carlowitz hat sich dabei für seine Zeit zu Recht
auf den Wald als zentrale Grundlage von Gemeinwohl konzentriert.
Heute müssen wird dies weiterdenken in Bezug auf die gegenwärtig vorrangig kritischen Umweltgüter wie z. B. Biodiversität, Zugang zu sauberem Süßwasser oder Klimastabilität.
Zentrale Bewährungsprobe für intergenerationelle Verantwortung
ist heute die CO2-Gerechtigkeit. Auf der Basis eines menschenrechtlichen Ansatzes ergibt sich, dass Armutsbekämpfung systematisch integriert und ethisch vorrangig behandelt werden muss (Potsdam-Institut
für Klimafolgenforschung et al. 2010; Vogt 2010). Für die führenden In100 Markus Vogt
dustrienationen heißt CO2-Gerechtigkeit, dass sie ihren CO2-Ausstoß
bis 2050 um mindestens 80 Prozent reduzieren müssen. Für Deutschland bedeutet das eine Reduktion von ca. zehn auf zwei Tonnen pro Person und Jahr. Der scheinbare Erfolg in der Annäherung an diese Ziele
hat allerdings erhebliche blinde Flecken. Er beruht primär darauf, dass
wir die klima- und umweltbelastende Produktion in andere Länder ausgelagert haben und somit geschickt verstecken.
Wissenschaftlich gesehen, braucht Klimagerechtigkeit vor allem eine
Verbesserung der Informations- und Berechnungsbasis für die CO2Kreisläufe (z. B. Einbeziehung von Flugbenzin sowie der Senkenfunktion von Wäldern und Boden) sowie belastbare Analysen zu den Funktionsbedingungen von Märkten zum Emissionshandel, auf dem viele
Hoffnungen auf einen Kurswechsel zu nachhaltiger Energieversorgung
ruhen. Faktisch hat Deutschland bei den Verhandlungen in Brüssel jedoch dazu beigetragen, dass die Wirksamkeit des europäischen Zertifikatehandels zerstört wurde, weil zu viele billige Zertifikate ausgegeben
wurden und werden. Eine der größten Schwächen des ethischen Zugangs zu Nachhaltigkeit ist, dass es häufig ohne jede differenzierte Gerechtigkeitstheorie entweder mit pauschalen Gleichheitspostulaten oder
mit einem blinden Vertrauen auf die Effektivität und Fairness von
Marktprozessen verbunden wird. Der Mangel an innovativer gerechtigkeitstheoretischer Reflexion ist eine der Sackgassen des bisherigen Konzepts von Nachhaltigkeit, das aus meiner Sicht mitverantwortlich ist für
das Scheitern der bisherigen Klimakonferenzen. Eine Spur, auf der man
hier Carlowitz in der nötigen Weise weiterdenken könnte, ist sein
umfassendes Konzept des Gemeinwohls, das heute jedoch nicht national-kameralistisch, sondern global und in Bezug auf die ökologischen
Kollektivgüter wie Klima oder Wasserhaushalt zu entfalten wäre.
4. Sozioökonomisch:
Operationalisierungen des Nachhaltigkeitsprinzips
Nachhaltigkeit konkretisiert sich im Bemühen um die Erhaltung des
»natürlichen Kapitalstocks«. Die konzeptionelle Diskussion um das
Theorem des natürlichen Kapitalstocks läuft entlang der beiden Begriffe
Carlowitz weiterdenken
101
»starke Nachhaltigkeit« und »schwache Nachhaltigkeit«, wobei das
Zweite Substitutionen von Naturkapital durch ökologische, soziale oder
ökonomische Wertschöpfung zulässt, die erste Interpretation dagegen
nicht (Münk 1999; Ott/Döring 2004).
Das Postulat der »starken Nachhaltigkeit«, dem sich auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung angeschlossen
hat (SRU 2002, S. 9–19), ist insofern für das Verständnis des Konzeptes
von entscheidender Bedeutung, als es dem lange vorherrschenden Missverständnis des Dreisäulenmodells entgegentritt. Das vermeintlich
gleichberechtigte Nebeneinander der drei Dimensionen führte fast
zwangsläufig zur Aushöhlung der ökologischen Postulate. Die Regel,
dass unterschiedliche Kapitalformen von Ökologie, Ökonomie und Sozialem sich wechselseitig substituieren dürfen, birgt die Gefahr, dass
ökonomische Maßstäbe, die in der Form monetarisierter Bewertungen
als Vergleichsgröße dienen, einseitig dominieren und man die komplexe
Sensibilität der ökologischen Funktionen unterschätzt. Die Erhaltung
des natürlichen Kapitalstocks darf gemäß dem Konzept der starken
Nachhaltigkeit nur sehr eingeschränkt als etwas betrachtet werden, das
durch ökonomische Wertschöpfung kompensiert werden kann. Nach
den Erfahrungen der Finanzkrise ist eine solche Vorsicht in verstärkter
Weise geboten, da diese unabweisbar gezeigt hat, wie fragwürdig die
Messgrößen für wirtschaftlichen Wohlstand und Fortschritt in Zeiten
der virtuellen Geldschöpfung sind.
Allerdings gibt es ein methodisches Problem. Der Begriff »Ressource« wird im Modell der starken Nachhaltigkeit als vorsoziale Tatsache vorausgesetzt. Aber etwas ist erst dann als Ressource definierbar,
wenn dafür eine Nutzungsperspektive gegeben ist. Wenn man beispielsweise Wasserstoffmotoren erfindet, wird Wasserstoff zur Ressource. Für
eine Gesellschaft, die mit Öl nichts anzufangen wüsste, wäre Öl auch
keine Ressource. Der Begriff ist aufgrund seiner Nutzenrelation eine abhängige Variable von technischen und sozialen Innovationen. Durch die
Erfindung von neuen und effizienteren Nutzungsmöglichkeiten werden
Ressourcen gemehrt. Wenn man dies unterschlägt, degeneriert Nachhaltigkeit zum passiven Begrenzungsprinzip. Aufgrund dieser Zusam102 Markus Vogt
menhänge ist nach meiner Überzeugung die bisher diskutierte Alternative von starker oder schwacher Nachhaltigkeit unterkomplex, weil sie
Differenzierungen, auf die es ankommt, nicht benennt und damit keine
sinnvoll entscheidbaren Alternativen formuliert.
Bei dem Bemühen um eine Ökologisierung der Ökonomie ist zu beachten, dass das Nachhaltigkeitsprinzip im rein bioökologischen Sinn
kaum auf das moderne Wirtschaftssystem übertragbar ist. So wäre beispielsweise die urbane Siedlungsweise weitgehend unzulässig, weil sich
die Städte nicht selbst ernähren und insofern auch nicht nachhaltig sein
können. Das in der Natur vorfindliche Modell taugt hier nur begrenzt
als normativer Maßstab. »Letztlich müssen wir anerkennen, dass die
kulturelle Entwicklung der Menschheit, insbesondere im industrielltechnischen Stadium, sich über die nachhaltige Organisation der Natur
hinweggesetzt hat, und zwar irreversibel« (Haber 1994, S. 13). Gemessen
an ökologischen Gleichgewichtsmodellen, wäre der gesamte Zivilisationsprozess im Grunde ein Störfaktor, den es zu eliminieren gilt. Auch
evolutionär gesehen, ist die Lebensentwicklung ein offener Prozess in
der Spannung zwischen Gleichgewicht und Ungleichgewicht, ohne die
es keine Sukzessionen und damit auch keine Entwicklung gäbe. Es wäre
also weder möglich noch sinnvoll, alle sozioökonomischen Prozesse der
Gesellschaft nach einem naturalistischen Modell von Nachhaltigkeit
umzugestalten. Ohne den Bezug auf gesellschaftliche Zielsetzungen und
Interessen, die erst die Betrachtungsebene mit ihrer räumlichen und
zeitlichen Struktur festlegen, wird Nachhaltigkeit inhaltsleer (Haber
2010, S. 48–65).
Die umweltgeschichtlichen Untersuchungen von Frank Uekötter
können das Misstrauen dagegen schulen, ideologisch aufgeladene Autarkievorstellungen, die in Deutschland besonders in der Zeit des Nationalsozialismus Konjunktur hatten, vorschnell auf das Nachhaltigkeitskonzept zu übertragen (Uekötter 2009, S. 18f.). Nachhaltigkeit ist
ein normatives Konzept, das weder aus ökologischen noch aus ökonomischen Gleichgewichtsmodellen einfach funktional abgeleitet werden
kann. Es bedarf vielmehr einer ethisch-kulturellen Verankerung und,
darauf aufbauend, bewusster politischer Entscheidungen, die einen RahCarlowitz weiterdenken
103
men für das erlaubte Maß an Naturbeanspruchung setzen und den sozioökonomischen Innovationsprozessen eine Richtung geben. Auf dieser
Basis ist dann freilich die ökonomische und technische Operationalisierung der Nachhaltigkeit im Sinne einer Kreislaufwirtschaft zugunsten
eines sparsamen und effizienten Umgangs mit den natürlichen Ressourcen, der Erschließung neuer Nutzungs- und Wiederverwertungsmöglichkeiten sowie zugunsten der Vermeidung schädlicher Reststoffe der
dynamische Kern des Konzeptes.
»Stark« ist Nachhaltigkeit nicht dann, wenn sie einen naturalistischen Ressourcenbegriff voraussetzt, sondern wenn sie die komplexe
Wechselwirkung zwischen der je unterschiedlichen Eigenlogik sozioökonomischer und ökologischer Systeme im Blick behält. Angesichts
der sich verdichtenden Krisen von Klimawandel, Finanzsystem, Arbeitslosigkeit, Hunger, regionalspezifischem Süßwassermangel, Verlust von
Biodiversität, Aussterben von Fischbeständen, Bodenerosion und Rohstoffknappheiten – um nur einige Aspekte der multiplen Entwicklungskrise des frühen 21. Jahrhunderts zu nennen – sollte sich die Operationalisierung des Nachhaltigkeitskonzeptes künftig stärker auf Resilienz
und »Anitfragilität«, also den robusten Umgang mit Wandlungsprozessen, fokussieren (Wolter 2012; Taleb 2013; Welzer 2013, S. 188–198).
Die üblichen Win-win-Modelle von Umweltschutz und wirtschaftlichem Gewinn sind oft viel zu optimistisch und führen bisweilen in die
falsche Richtung (vgl. hierzu auch die Kritik der rein utilitaristischen
Interpretation von Nachhaltigkeit im ersten Abschnitt). Nicht selten
verhindert eine biologische Interpretation von Nachhaltigkeit, die dem
differenzierten Denken von Carlowitz nicht gerecht wird, dass man die
Kräfte wirtschaftlicher Innovation in angemessener Weise würdigt und
zugleich für die Lösung der vorrangigen Probleme in die Pflicht nimmt.
5. Demokratisch:
Pluralismus, Partizipation und demokratische Innovation
Die konstruktive Dynamik einer gesellschaftlichen Anpassung an die
Bedingungen der Natur beruht wesentlich auf sozialen Innovationsprozessen sowie einem kulturellen Wertewandel, der die Ziele der Nach104 Markus Vogt
haltigkeit von Anfang an in die wissenschaftliche, technische und wirtschaftliche Entwicklung integriert. Sie ist nur im Rahmen eines Konzeptes möglich, das die unterschiedlichen Präferenzen, Weltbilder und
Fähigkeiten in einer pluralistischen Gesellschaft anerkennt. Schon aufgrund dieser Offenheit kann das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung
keine inhaltlich eindeutig festgelegte Zielbestimmung sein. Es ist vielmehr ein Zielsystem nicht aufeinander zurückführbarer Teilkomponenten, das eine zukunftsorientierte Gesamtperspektive bietet, um in den
unterschiedlichen Situationen ethisch begründete und möglichst ausgewogene Zuordnungen auszuhandeln (Diefenbacher 2001, S. 98–105;
Vogt 2013, S. 1169–179). Es stellt ein plurales Leitbild dar, das nur durch
vielfältige gesellschaftliche Suchprozesse in Wirtschaft, Wissenschaft
und Kultur konkretisiert werden kann. Damit passt es hervorragend zur
Stadt Chemnitz, die ihr Image als »Stadt der Vielfalt« pflegt.
Die Offenheit des Leitbildes der Nachhaltigkeit fordert zur verstärkten zivilgesellschaftlichen Mitgestaltung des öffentlichen Lebens auf.
Dies ist die demokratische Leitidee der Agenda 21. Eine »teilhabende
Demokratie« (Agenda 21, Kapitel 27 sowie Teil drei [Kapitel 23–32]) ist
nicht nur Mittel, sondern zugleich fundamentaler Inhalt des Konzepts
nachhaltiger Entwicklung. Die aktive Mitgestaltung des jeweiligen Lebensraumes kann nicht von oben verordnet werden, sondern muss langsam wachsen. Durch Anerkennung und Mitgestaltung gedeiht Verantwortungsbewusstsein. Deshalb ist Partizipation ein ganz wesentliches
Element des ethischen Prinzips der Nachhaltigkeit.
In Zeiten der politischen Orientierungslosigkeit angesichts der großen Herausforderungen wie Klimawandel und Umweltdegradation, Finanzkrise oder globalem Hunger braucht Nachhaltigkeit einen Aufbruch der deutschen, europäischen und globalen Zivilgesellschaft für
eine neue Qualität gesellschaftlicher Mitverantwortung. Aktuelle Bewährungsprobe und Chance hierfür ist die 2011 von der deutschen Bundesregierung beschlossene Energiewende, die nicht ohne aktive Mitwirkung der Konsumenten durch neue Konsum- und Mobilitätsmuster
gelingen kann und die im Bereich der erneuerbaren Energien den »Prosumenten« fordert, der zugleich Energie produziert und konsumiert.
Carlowitz weiterdenken
»Vogt
2013, S.
1169–179«
=>
169–179
oder 11691179?
105
Eine solche Transformation vom zivilgesellschaftlichen Protest gegen
etwas hin zu – auch unternehmerischer – Mitgestaltung ist programmatisch für das Konzept der Nachhaltigkeit.
Nachhaltigkeit fordert tief greifende demokratische Innovationen
im Sinne eines Mehrebenenansatzes, der Nachhaltigkeitspraxen von Pioniergruppen aufgreift, dem latent vorhandenen Wertewandel zivilgesellschaftlichen Entfaltungsraum gibt und ihn konsequent auch auf der
Ebene eines Institutionenwandels strukturell absichert (Ostrom 2005).
Eine primär von Expertenwissen gelenkte »Große Transformation« ist
demokratietheoretisch nicht zu befürworten. Im Bereich der Risikodiskurse gibt es differenzierte Beteiligungsansätze, die grundlegende Beachtung verdienen (Renn 2008). Man sollte aber das Konfliktpotenzial
von nachhaltigen Verhaltensmustern nicht unterschätzen: Harald Welzer charakterisiert sein Buch »selbst denken«, das derzeit zu den scharfsinnigsten Analysen über Nachhaltigkeit gehört, als »Anleitung zum Widerstand« (Welzer 2013). Diese Idee des mündigen Bürgers durch aktive
Mitgestaltung von Nachhaltigkeitsinitiativen, die in konkreten lokalen
Initiativen ihren Anfang nehmen, ist nicht nur als moralisch-politisches
Postulat, sondern in der inzwischen weltweiten »Transitionbewegung«
soziale Realität. Allein in Deutschland werden dieser mehr als 120 Gruppen und Initiativen zugerechnet. Rob Hopkins, der Begründer dieser
Bewegung, bringt deren Motto in seiner aktuellen Bilanz anschaulich
auf den Punkt: »Einfach. Jetzt. Machen. Wie wir unsere Zukunft selbst
in die Hand nehmen« (Hopkins 2014). Auch die Carlowitz-Gesellschaft
könnte man als eine solche Transitionbewegung bezeichnen.
Aus der Sicht des WBGU ist Bewusstseinsbildung ein Herzstück und
Motor nachhaltiger Entwicklung. Er spricht von transformativer Bildung für ein systemisches Verständnis von Handlungsoptionen und
Lösungsansätzen (WBGU 2011). Die Bedeutung von »Transformationskompetenz« sei heute vergleichbar mit der grundlegenden Kulturtechnik des Lesen-und-Schreiben-Könnens als einer Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und Mündigkeit in der modernen Welt
(»transformative literacy«: Schneidewind 2013, 39f.). Transformationskompetenz muss aber nicht immer akademisch vermittelt werden. So
106 Markus Vogt
hat der WBGU auch sein Gutachten zur Großen Transformation in
einen Comic übersetzt.
Konzeptionell gibt es in der demokratischen Umsetzung von Nachhaltigkeit nach meiner Beobachtung vor allem zwei Grundprobleme:
Oft werden Partizipationskonzepte im Rahmen der Nachhaltigkeit vonseiten der Politik primär als Instrumente zur Akzeptanzbeschaffung gedacht und vonseiten der Bürger nach dem NIMBY-Prinzip (»Not in my
backyard«) praktiziert und so in kleinkarierten Eigeninteressen zerrieben. Dies macht sich gegenwärtig insbesondere in der Energiewende
lähmend bemerkbar (vgl. Vogt/Ostheimer 2014). Alle wollen sie, aber
keiner will, dass die dafür nötigen Stromtrassen oder Windräder bei
ihm gebaut oder Einschränkungen von ihm erwartet werden. Darüber
hinaus dominiert die Angst um Arbeitsplatz und Wohlstandwahrung
häufig über den Willen zu demokratischen Partizipations- und Verantwortungskulturen. Die Kurzfristigkeit der wählerwirksamen Interessen
ist ein Webfehler der gegenwärtigen Modelle von Demokratie. Dieser
sollte im Interesse der künftigen Generationen durch strukturelle Reformen ausgeglichen werden, z. B. durch eine(n) Ombudsmann/-frau
für Langfristinteressen. Auch global muss Nachhaltigkeit vor allem institutionell weitergedacht werden, um politisch wirksame Steuerungsmechanismen zu etablieren.
6. Kulturell: Lebensstil und ein neues Wohlstandsmodell
Nachhaltigkeit steht nicht nur für ein sozialtechnisches Programm der
Ressourcenschonung, sondern darüber hinaus für eine ethisch-kulturelle Neuorientierung. Das neuzeitliche Fortschrittsparadigma des unbegrenzten Wachstums ist durch die Leitvorstellung von in die Stoffkreisläufe und Zeitrhythmen der Natur eingebundenen Entwicklungen
abzulösen. Als »Fortschritt« kann künftig nur bezeichnet werden, was
von den Bedingungen der Natur mitgetragen wird (Korff 1997).
Nachhaltigkeit steht für eine neue Definition der Voraussetzungen,
Grenzen und Ziele von Fortschritt. Statt »schneller, höher, weiter« werden die Sicherung der ökologischen, sozialen und ökonomischen Stabilität menschlicher Lebensräume sowie die umsichtige RisikovermeiCarlowitz weiterdenken
107
dung zur zentralen Bezugsgröße gesellschaftlicher Entwicklung und politischer Planung (Renn 2008; Wolter 2012; Taleb 2013). Der dringendste
ökologische Handlungsbedarf und die größten finanziellen Einsparpotenziale für ein neues postfossiles und postnukleares Wohlstandsmodell liegen im Bereich der Energie (Bundesregierung 2010). Entscheidend ist hier die Verbindung von innovativer Technik, organisatorischer
Optimierung sowie persönlichen Verhaltensänderungen und damit die
Verknüpfung von drei Strategien: Suffizienz (Sparsamkeit), Effizienz
(technische Optimierung) und Substitution (erneuerbare statt fossile
Energie).
Nachhaltigkeit kritisiert die Fixierung kultureller Vorstellungen des
guten Lebens auf wirtschaftlich bestimmte Lebensziele. Eine »Kultur
der Nachhaltigkeit« erkennt Naturschutz als Kulturaufgabe und integriert Umweltqualität als fundamentalen Wert in die kulturelle, soziale,
gesundheitspolitische und wirtschaftliche Definition von Wohlstand.
Sie sind Ausdruck einer Wiederentdeckung der Ethik des Maßhaltens
(Welzer 2013, S. 49–53, 75–82, 204–206; Vogt 2013, 161–169).
Auf der gesellschaftlichen Ebene zielen sie auf ein neues ökologisches Wohlstandsmodell. Ein nachhaltiger Lebensstil zielt nicht auf
Wohlstandsverzicht, sondern auf intelligente, rohstoff- und umweltschonende Nutzungs- und Verteilungsstrukturen für möglichst viele
Menschen, einschließlich kommender Generationen. Langlebige und
reparaturfreundliche Produkte, Reparieren statt Wegwerfen, Qualität
durch maßgeschneiderte Dienstleistungen, gemeinsame Nutzung von
Gütern fördern Arbeitsplätze, schonen Ressourcen und sparen häufig
auch Geld.
Ein konzeptioneller Fehler vieler Nachhaltigkeitsmodelle ist, dass sie
den Bereich des Lebensstiles und Konsums allein der Privatsphäre zuordnen. Es ist zwar richtig, dass dieser Bereich nicht unmittelbar politisch kontrolliert oder gesteuert werden kann und auch nicht soll. Dennoch unterliegen die privaten Entscheidungen der Konsumenten
vielfältigen strukturellen Prägungen und Zwängen, die sehr wohl verändert werden können. Deshalb ist das Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft (Ostheimer/Vogt 2004, S. 119f.; Weizsäcker u. a. 1995, S. 177–
108 Markus Vogt
225), für das sich beispielsweise die Kirchen bereits 1985 starkgemacht
haben, der notwendige ordnungspolitische Ausdruck des Konzepts
Nachhaltigkeit. Nur durch ein Wechselspiel von Angebots- und Nachfragewandel lassen sich eingeschliffene Konsummuster ändern.
Die Schwierigkeit besteht hier genau darin, dass Konsumenten, Produzenten, Handel und Politik jeweils auf den ersten Schritt der anderen
warten, um mit dem Wandel zu beginnen. Nachhaltigkeit braucht deshalb Pioniere, die in der persönlichen oder unternehmerischen Praxis
neue Impulse setzen. Ebenso unverzichtbar sind Politiker, die die Rahmenbedingungen verändern, um die Vorleistungen Einzelner strukturell
auf Dauer zu etablieren, sowie zivilgesellschaftliche Akteure (z. B. Medien, Verbände, Bildungseinrichtungen und Kirchen), die Bewusstsein
fördern und an jeweils ihrem Ort Verantwortung praktizieren.
Häufig dient Nachhaltigkeit als grünes Mäntelchen für die Entwicklungs- und Wachstumsmodelle von gestern. Dies ist einer der Hauptgründe, warum die Glaubwürdigkeit des Konzeptes schwer angeschlagen
ist. Genügsamkeit und Maßhalten im Lebensstil der reichen Länder
sowie der Oberschichten in den Schwellen- und Entwicklungsländern
ist ein konzeptionell unverzichtbares Element von Nachhaltigkeit. Das
unbequeme Element der Suffizienz ist in den bisherigen Modellen der
politischen und ökonomischen Nachhaltigkeitsrhetorik jedoch wenig
beachtet. Man spricht lieber von »green economy« und »nachhaltigem
Wachstum« (so beispielsweise in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie
der Bundesregierung 2011 sowie bei der UN-Konferenz für Nachhaltigkeit in Rio 2012).
Nachhaltigkeit fordert ein grundlegendes Hinterfragen des Wachstumsparadigmas. Es geht im Kern darum, die Ambivalenzen der auf Gewinnmaximierung und Umsatzsteigerung fixierten gängigen Modelle
von Entwicklung im Blick auf Lebensqualität sowie auf manche ökosoziale Auswirkungen deutlicher in den Blick zu nehmen. Nachhaltig
ist nicht die Maximierung von Wachstum, sondern die Optimierung
von Lebensqualität und Teilhabechancen für möglichst viele. Nur ein
ressourcenleichter Wohlstand ist gerechtigkeitsfähig. Als Maß- und Kontrollgröße hierfür kann der »Index of Sustainable Economic Welfare«
Carlowitz weiterdenken 109
dienen, der Wohlstand nicht am Bruttosozialprodukt misst, sondern an
Kriterien eines umfassenden Konzeptes ökosozialer Entwicklung (Diefenbacher 2001, S. 133–170; Miegel 2010).
Wichtiger als solche Modelle ist die persönliche Bereitschaft eines
jeden, sich den Verführungen der Konsumversprechen zu entziehen und
die Kunst der Reduktion als Weg zu mehr Lebensglück zu entdecken
(Paech 2014; Linz 2014). Der nötige Wertewandel für nachhaltige Muster in Konsum, Produktion, Mobilität und Lebensstil wird nicht auf der
Basis von Moralappellen für Verzicht gelingen. Er braucht vielmehr eine
kulturelle Transformation der Vorstellungen von gutem und gelingendem Leben. Eine wichtige und derzeit viel diskutierte Dimension der
kulturellen Transformation für Nachhaltigkeit ist das Wiederentdecken
des Wertes von Heimat und der Verwurzelung im je eigenen Lebensraum (Krebs 2011). Dies führt zu einem Aufblühen von Regionalbewegungen und neuen Formen der lokalen Bürgermitverantwortung (Hopkins 2014).
Die Hoffnung, dass gestiegener Verantwortungswille der Konsumenten zu einer »Moralisierung der Märkte« (Stehr 2007) führe, scheint
jedoch gegenwärtig weitgehend ernüchtert, da dieser Wirkungszusammenhang von der ungebrochenen Jagd nach »Schnäppchen«
sowie vom internationalen Wettbewerb mittels Billigprodukten überlagert und verdrängt wird.
Das grüne Image von Produkten ist oft nur eine Fassade, deren
positive Ökobilanz durch umso eifrigeres Konsumieren kompensiert
wird. Der »mündige Konsument« ist weitgehend eine Fiktion und in
jedem Fall noch längst kein mündiger Bürger. Zu beobachten ist in
unübersichtlichen Zeiten eher das Gegenteil einer »Selbstentmündigung in Grün« (Welzer 2013, S. 86), indem sich die Konsumenten gerne
mit grünen Versprechen und wirkungslosen Ersatzhandlungen täuschen lassen.
Will man Carlowitz in diesem komplexen Feld der Konsumentenverantwortung für heute weiterdenken, könnte man vermutlich vor
allem methodisch von seinem konsequenten Willen zu genauen und
umfassenden Bilanzierungen lernen.
110 Markus Vogt
7. Zeitpolitisch: Rhythmen jenseits der Beschleunigungsgesellschaft
Die menschliche Zivilisation ist heute so erfolgreich, dass sie durch ihre
beschleunigte Expansion ihre eigene ökologische Nische destabilisiert
(z. B. Klimaveränderungen, Verlust von fruchtbarem Boden, Reduktion
der Süßwasservorräte). Die durch Entgrenzung und damit hohen Konkurrenzdruck erzeugte Beschleunigung lässt der Gesellschaft kaum Zeit
für den mühsamen Prozess der öffentlichen Verständigung auf die angestrebten Ziele ihrer Entwicklung (Rosa 2013). Man kann die atemlose
Beschleunigung der postmodernen Gesellschaft als Ausdruck und Folge
von Orientierungslosigkeit deuten: »Als sie das Ziel aus den Augen verloren, verdoppelten sie ihre Geschwindigkeit.« (Mark Twain)
Das Lob der Langsamkeit, das in den Feuilletons bereits zu einem
festen Topos geworden ist, bietet allerdings keinen Ausweg. Verlangsamung im Alleingang führt unter den Bedingungen moderner Gesellschaften zu selbstbestimmter Verelendung. Das Vermögen, langsam zu
handeln, ist kein Selbstwert wie das, schnell handeln zu können, sondern
es erhält seinen Sinn durch den Bezug auf Vorgänge in Natur und Gesellschaft, die nicht nur schnelle Aktivität, sondern auch die Fähigkeit
des Wartens und der Synchronisation verschiedener Rhythmen erfordern (Haeffner 2001, S. 85–89).
Langsamkeit und Bedachtsamkeit sind Haltungen, in denen der
Mensch nicht mit eigenen Kräften als Homo faber agiert, sondern auf
das Reifen der Saat wartet, sich sozialen und ökologischen Rhythmen
anvertraut. Wer auf den Wellen der Zeit reiten will (Haeffner 2001, S. 87),
braucht sowohl die Fähigkeit, sich abwartend an die Langsamkeit und
die Eigenzeiten mancher Prozesse anzupassen, als auch die Fähigkeit,
gezielt einzugreifen und rasch zu handeln.
Letztlich steht hinter dem haltlosen Sturz unserer Beschleunigungsgesellschaft in die Zukunft eine metaphysische Einstellung. Die Kunst,
sich Zeit zu lassen, braucht Zustimmung zur zeitlichen Bedingtheit und
eine Verabschiedung von der Illusion, dass all unsere Wünsche in der
Zukunft erfüllt werden könnten. Wer das Leben als »letzte Gelegenheit«
ansieht, verfällt fast unweigerlich den Imperativen der Maximierung
und Beschleunigung (Höhn 2011; Rosa 2013).
Carlowitz weiterdenken
111
Im Horizont des reinen Zweckdenkens ergibt sich automatisch eine
Konzeption der Zeit als bloßer, für sich sinnleerer Zwischenraum (Haeffner 2001, S. 92). Es geht darum, der zeitlichen Bedingtheit selbst einen
Sinn abzugewinnen, die Eigengeschwindigkeiten und Rhythmen des Lebens, der Natur, aber auch der Verläufe und Ereignisse unseres Lebens
und des sozialen Zusammenlebens als Bestandteil ihrer Identität und
Dignität zu erkennen und zu achten. Nachhaltigkeit braucht eine »Ökologie der Zeit« (Held).
Im Blick auf das Zeitdenken kann der Wald ein Lehrmeister für
Nachhaltigkeit sein. Bäume gehören zu den ältesten Lebewesen der Erde
und geben uns schon allein durch ihre bloße Existenz langfristig zu denken auf. Die Jahresringe eines Baumes repräsentieren den Rhythmus
der Jahreszeiten, nie exakt gleich, aber ähnlich. Erst durch solche variable
Ähnlichkeit, also einen Rhythmus im Unterschied zum bloßen Takt,
entsteht Zeitbewusstsein. Zeit ist also mehr als Dauer. Zeit ist Prozess
im Rhythmus von Werden und Vergehen. Das durch die Beobachtung
des Waldes geschulte Zeitdenken ist ein Grundimpuls des Nachhaltigkeitskonzeptes von Carlowitz.
Zeitpolitik ist eine Querschnittsaufgabe, die in allen Politikfeldern
soziale und ökologische Eigenzeiten berücksichtigt und schützt und
sich der Entrhythmisierung der Industriekultur entgegenstellt (Held
1995). Die Achtung und Wiederentdeckung natürlicher und sozialer
Rhythmen sind ein zentrales Entwicklungsprinzip der Nachhaltigkeit
(Geißler 1995, S. 9). Denn Rhythmen sind das entscheidende Medium
der Bindung, durch das Gesellschaften zusammenhalten und das es den
Individuen ermöglicht, sich im sozialen Raum zu lokalisieren (Geißler
1995, S. 16).
Unter sozialen Aspekten zielt Zeitpolitik auf Zeitwohlstand als Erhöhung der individuellen Zeitsouveränität durch selbstbestimmte Zeitgestaltung, auf eine Kultur der Zeitvielfalt, die zeitliche Monokulturen
durch Vielfalt ersetzt, und auf ein Finden der rechten Zeitmaße im Umgang mit der Natur. Die zentrale Bedeutung des Zeitaspektes für eine
nachhaltige Gesellschaft fehlt in den meisten der bisherigen Analysen
und Konzepte.
112 Markus Vogt
8. Theologisch: Schöpfungsglaube und Nachhaltigkeit
Das Worldwatch Institute in Washington geht davon aus, dass der »Kurswechsel« der Weltgesellschaft zu einer nachhaltigen Entwicklung gelingen kann, wenn die Religionen intensiv Mitverantwortung übernehmen.
Die spezifisch religiösen Potenziale liegen in der spirituellen Orientierung, der langfristigen Ethik, der globalen Gemeinschaftsbildung, der
rituellen Sinnstiftung und ihrer institutionellen Verankerung (Gardner
2003, S. 291–327). Diese werden bisher nur eingeschränkt aktiviert
(Vogt 2013, S. 482–494).
Mit anderen Worten: Der Nachhaltigkeitsdiskurs ist »religionsproduktiv«, insofern er grundlegende Fragen nach langfristiger Zukunft
und globaler Verantwortung stellt und von daher auch die Religionen
kritisch nach ihrem Beitrag zur Problembewältigung befragt (Sloterdijk
2009). Als älteste globale Institution auf unserem Planeten ist die Kirche
in besonderer Weise beauftragt, für globale und intergenerationelle
Gerechtigkeit einzutreten.
Der Brückenschlag zwischen Schöpfungsverantwortung und Nachhaltigkeit ist jedoch auch für die Kirchen ein mühsamer Lernprozess.
So wie der christliche Gedanke der Caritas jahrhundertelang nur
tugendethisch verstanden und erst in der Verbindung mit dem Solidaritätsprinzip politisch wirksam wurde, so braucht der Schöpfungsglaube eine Übersetzung in ordnungsethische Kategorien, um politikfähig und justiziabel zu werden und die konkreten Konsequenzen in
den organisatorischen Strukturen und wirtschaftlichen Entscheidungen
deutlich zu machen.
Deshalb sollte Nachhaltigkeit heute als viertes Sozialprinzip in der
christlichen Ethik verankert werden (Vogt 2009, S. 456–481). Die freiheitliche Demokratie beruht nicht nur auf den Werten bzw. Sozialprinzipien der Personalität, Solidarität und Subsidiarität, sondern ebenso
auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist der kategorische
Imperativ zeitgemäßer Schöpfungsverantwortung. Für die Christen
kann und muss das Konzept dazu dienen, die ethischen Impulse des
Glaubens in die Handlungsfelder der gesellschaftlichen Zukunftsgestaltung zu übersetzen.
Carlowitz weiterdenken
113
Zur politischen Bedeutung der religiösen Dimension von Nachhaltigkeit gab es bei der Nachhaltigkeitskonferenz 2012 in Rio einen interessanten Impuls einiger lateinamerikanischer Länder. So hat u. a. Peru
unter dem Rückgriff auf präkolumbianische Naturbegriffe den Schutz
der »Mutter Erde« in der Verfassung verankert und eine entsprechende
ethische Neuorientierung auch in der internationalen Politik eingeforkorrekter
dert. Das »Institute for Advanced Sustainability Studies« (IASS; www.
Link?
berlin-institut.org/index.php?id=39), das unter der Leitung von Klaus
Töpfer in Potsdam gegründet wurde, setzt sich in der wissenschaftlichen
und politischen Debatte für eine Stärkung solcher religiös konnotierten
Naturvorstellungen – gerade auch im Kontext der pluralistischen Kultur
der Weltgesellschaft – ein, um einen weniger ressourcenintensiven Weg
der Moderne zu ermöglichen.
Ein Schöpfungsglaube, der mit einer gewissen Demut und Bescheidenheit auf die Grenzen des Menschen verweist, ist ein entscheidendes
Korrektiv zu manchen Interpretationen des Konzeptes der Nachhaltigkeit, die daraus die Leitutopie des 21. Jahrhunderts für ein globales ökosoziales und ökonomisches Management machen. Oft dient das ökologische Wissen im Rahmen der Nachhaltigkeit nur dazu, den Anspruch
auf Naturbeherrschung auszuweiten, statt zugleich auch kritisch nach den
ethisch-politischen und kulturellen Bedingungen für eine langfristige
Beherrschbarkeit dieses Wissens zu fragen. Ohne die Tiefendimension
einer Anthropologie und Naturphilosophie bleibt der Nachhaltigkeitsdiskurs unkritisch und degeneriert oft zum bloßen Anpassungsdiskurs.
Manches, was gegenwärtig unter dem Stichwort »Geoengineering« diskutiert wird, ist nicht nur in hohem Maße riskant, sondern auch missbrauchbar. Aus Sicht aller Weltreligionen braucht die Fähigkeit zu Verantwortung intelligente Selbstbeschränkung.
Die mentalen Barrieren einer Abkehr vom Modell des grenzenlosen
Wachstums haben auch theologische Ursachen. Der Mensch hat das Bedürfnis nach einem offenen, Sinn stiftenden Horizont. Da viele diesen
heute nicht mehr in einer – wie auch immer gearteten – religiösen Vorstellung von Transzendenz finden, projizieren sie ihn in die Zukunft als
Raum vermeintlich unbegrenzter Möglichkeiten. So hat das »Prinzip
114 Markus Vogt
Hoffnung« (Bloch) eine auch sozialpsychologisch tiefe Funktion und
kann trotz aller kognitiven Einwände kaum verabschiedet werden.
Darüber hinaus hat das neuzeitliche Fortschritts- und Wachstumsmodell auch eine naturphilosophische Basis von hoher Evidenz: die
Newton’sche Mechanik, die Zeit und Raum als leere Behälter auffasst,
also als etwas, das von sich her keine Richtung und keine Struktur hat,
keinen Anfang und kein Ende kennt. Zeit und Raum sind demnach lediglich Hindernisse, die es zu überwinden gilt. Die Beschleunigungsgesellschaft, die in atemlosem Tempo die Energieressourcen aus Jahrmillionen verbraucht und unser Lebenstempo durch den Imperativ
»Jederzeit immer alles« bestimmt, ist eine Konsequenz dieser Naturdeutung. Der christliche Schöpfungsglaube sucht nach Alternativen hierzu
und kann in der Prozesstheologie auf der Basis eines Gesprächs mit
Quantenphysik, Relativitätstheorie sowie den Theorien komplexer
adaptiver Systeme neue naturphilosophische Anknüpfungspunkte finden (Faber 2003; Vogt 2009, S. 323–330). Die Grenzen von Raum und
Zeit sowie das Denken in Beziehungsgefügen und konkreten Kontexten
gewinnen hier neue Bedeutsamkeit und widersprechen den Zeit- und
Raumvorstellungen der neoliberalen Ökonomie.
Das Wissen um die begrenzte Möglichkeit des Menschen, komplexe
historische Prozesse zu steuern, kann zu Gelassenheit führen. Religiöse
Sprache drückt dies metaphorisch aus: »Die Zukunft liegt in den Händen Gottes.« Eine solche Haltung des Gottvertrauens ist strikt von Passivität zu unterscheiden und eher als ein aufmerksames Erwarten zu
charakterisieren. Bei der Herausbildung einer Haltung aufmerksamer
Gelassenheit, die für Nachhaltigkeit eine Schlüsselbedeutung hat, kann
der christliche Glaube eine substanzielle Rolle spielen. Man kann diese
Haltung der Zuversicht auch anhand einer philosophischen Waldmetapher veranschaulichen: »Ein wachsender Wald macht weniger Lärm als
fallende Bäume.« (Laotse) Der Wald wächst still, unentwegt. In ihm
steckt eine Lebenskraft, der es sich anzuvertrauen lohnt.
Häufig nimmt der Umweltdiskurs jedoch gerade in umgekehrter
Weise auf die verbliebenen Reste religiöser Vorstellungen Bezug. Sie werden benutzt, um moralische Schuldvorwürfe und apokalyptische ZuCarlowitz weiterdenken
115
kunftsängste zu untermauern. Das passt zwar zur medial geprägten Kultur, wo nur bad news Aufmerksamkeit finden, widerspricht aber dem
christlichen Grundimpuls als »Evangelium«, also einer Frohbotschaft,
die sowohl gegenüber den Verheißungen des neuzeitlichen Fortschrittsoptimismus als auch gegenüber dessen apokalyptischer Umkehrung kritische Distanz wahrt. Eine solche höchst sensible Balance ist ein entscheidendes Element des Nachhaltigkeitskonzeptes. Sie lebt von dem
Vertrauen in den Sinn und die Möglichkeit der Zukunftsgestaltung,
jedoch ohne die utopische Verheißung einer zivilisatorischen Emanzipation von der Natur. Sie ist Zukunftshoffnung jenseits von Fortschrittsoptimismus. Ohne eine transzendente, religiös-spirituelle Dimension –
ob christlich oder nicht christlich – droht das Zukunftsversprechen der
Nachhaltigkeit zur gefährlichen Ideologie zu werden (Reis 2003;
Vogt/Uekötter/Davis 2009, S. 38–41).
Für den tiefreligiös empfindenden Forstpraktiker Carlowitz, dessen
Denken christlich-lutherische, teilweise auch von der Naturphilosophie
Spinozas geprägte Wurzeln hat, geht es bei Nachhaltigkeit nicht nur um
eine Managementregel, sondern um eine Geisteshaltung, die er als Ehrfurcht vor der Schöpfung sowie als Teilhabe an deren kreativ-schöpferischer Macht beschreibt (Carlowitz 2013, bes. 45f., 114–126, Hamberger 2013, 136; Grober 2010, S. 108ff.). Von Carlowitz her gedacht, zielt
Nachhaltigkeit auf eine Haltung, in der das Wissen um die eigenen
Grenzen nicht in Resignation mündet, sondern in Demut im Sinne des
Mutes zu Verantwortung. Deren Quelle ist Dankbarkeit für die Schöpfung und Freude an ihrer Schönheit, aus der die Bereitschaft wächst, sie
als Lebensraum mit allen Geschöpfen gerecht zu teilen.
116 Markus Vogt
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Carlowitz weiterdenken
121
Vornamen ausschreiben?
Wie lautet dieser korrekt?
K.-H. Hübler
Was hat der
»Erfinder der Nachhaltigkeit«
von Carlowitz der Raumplanung
von heute zu sagen?
Es ist vermessen, rund 300 Jahre nach dem Tod von Hans Carl von Carlowitz seine Ideen und Konzepte so auszulegen, wie wir es heute brauchen könnten. Seine Grundideen, die er 1713 in dem über 450 Seiten
umfassenden Folioband »Sylvicultura oeconomica« in dem Leipziger
Verlag J. F. Braun veröffentlicht hat, müssten erst einmal in den Kontext
der damaligen politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Situation in Sachsen gestellt werden, um eine Bewertung der
Relevanz für heute und morgen vornehmen zu können. In Deutschland
herrschten nach dem Dreißigjährigen Krieg Armut, Hunger, Verwüstungen,
die Pest und niedergebrannte Städte und Dörfer waren kennzeichnend.
Diskussionen über Nachhaltigkeit fanden überwiegend in Krisenzeiten statt. Heute herrschen in Europa Wohlstand, eine früher nicht vorstellbare Mobilität und eine »kulturelle Übersättigung«. In dem von Dieter Füsslein edierten Sammelband »Die Erfindung der Nachhaltigkeit« ist
versucht worden, diesen Zustand von damals in Bezug zu heute zu setzen.
Raumplanung im heutigen Verständnis, also Raumordnungspolitik,
Landes- und Regionalplanung oder Territorialplanung gab es damals
nicht, und so ist die Beantwortung der Frage, die in der Überschrift meines heutigen Referates steckt, ziemlich hypothetisch. Allerdings: die
Organisation der Raumnutzung ist schon seit alters Gegenstand staatlicher oder herrschaftlicher (oder genossenschaftlicher) Tätigkeit gewesen, wie David Blackbourn es für Deutschland beschreibt. Ich erinnere
an viele Beispiele aus der jüngeren Geschichte wie die Melioration des
Oderbruchs durch Friedrich I., die Regulierung des Oberrheins durch
Tulla, die Tätigkeit des Ritterordens oder die Implementation des
Reichssiedlungsgesetzes in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts
durch die sogenannte Innere Kolonisation. In dem Buch von Carlowitz
124 K.-H. Hübler
sind unmittelbare räumliche Bezüge im Sinne von Raumordnung nicht
enthalten; natürlich ist Forstwirtschaft immer räumlich determiniert.
Wohl sind aus Carlowitz’ Beschreibungen Hinweise auf kleinräumige
Nutzungskonzepte für die Böden im Erzgebirge abzuleiten.
Die neuere Diskussion in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts über den alten neuen Begriff »Nachhaltigkeit« hatte auch ihre
Ursachen in der Erkenntnis, dass die »Philosophien« des wirtschaftlichen Wachstums von Gesellschaften (gemessen an den Steigerungsraten des Bruttosozialproduktes) keine Zukunft haben können.
Dieses Wachstum bedeutet vor allem eine Mehrung von Gütern zulasten
der natürlichen Lebensgrundlagen. Freilich hatte dieses Wachstum auch
vor allem in den Industrieländern eine ungeahnte Steigerung des Wohlstandes (wie auch immer definiert) zur Folge. In den vormals sozialistischen Ländern hatte die Steigerung der Produktivkräfte oberste
Priorität und alle anderen Ziele – vielleicht außer der militärischen Aufrüstung und der inneren Sicherheit – mussten sich dem unterordnen.
Sogenannte Weltmodelle von Meadows (Grenzen des Wachstums) oder
Bariloche (Grenzen des Elends) oder die Ergebnisse der BrundtlandKommission bestimmten damals die Diskussion (Hauff, 1987) in Westeuropa und auch in Ländern der Dritten Welt. Sie wurden intensiv diskutiert, und eine neue Nachdenklichkeit setzte vieler Orts ein.
Ehe ich mich an die Beantwortung der dem Referat zugrunde liegenden Frage wage, noch eine zweite Vorbemerkung: Ich finde es großartig , dass neben den berühmten Sachsen wie der Neuberin, R. Schumann, G. E. Lessing, R. Wagner, Karl May oder dem sächsischen
»Lokomotivenkönig« Hartmann aus Chemnitz ein anderer Sachse,
nämlich Hans Carl von Carlowitz, in das Blickfeld öffentlichen Interesses gerückt und seine zukunftsweisenden Ideen als kulturelles Erbe dokumentiert werden, nicht zuletzt dank der rührigen Chemnitzer Carlowitz-Gesellschaft. U. Grober schreibt in dem Buch über die Erfindung
der Nachhaltigkeit: »Nachhaltigkeit ist ein Geschenk der deutschen
Sprache an die globalisierte Welt des 21. Jahrhunderts. In dem Wort ist
alles enthalten, worauf es ankommt. Es hat die nötige Gravität, also die
Was hat von Carlowitz der Raumplanung von heute zu sagen?
125
existentielle Perspektive der umfassenden Daseinsvorsorge. Es hat die
nötige Elastizität, also die Fähigkeit, diese Substanz an die jeweiligen
konkreten Bedingungen anzupassen. So wird es zum Kompass für die
Erkundung eines unbekannten Terrains.«
Ich war gestern in Chemnitz und habe an der Festveranstaltung teilgenommen, die von der Carlowitz-Gesellschaft und dem Sächsischen
Umweltministerium organisiert war, und in der im Opernhaus Chemnitz den Herren Biedenkopf und Töpfer die Carlowitz-Nachhaltigkeitspreise verliehen wurden. Die Laudatoren, der evangelische sächsische
Landesbischof Bohl für Kurt Biedenkopf und der Ministerpräsident von
Sachsen Tillich für Klaus Töpfer, haben u. a. versucht, herauszuarbeiten,
was beide für die Nachhaltigkeit in ihrer früheren politischen Tätigkeit
geleistet haben, und damit den selben Versuch unternommen, Carlowitz
von vor 300 Jahren auf heutige Fragestellungen zu transferieren, wie ich
das heute hier soll. Dieser Transfer schien gestern – so mein Eindruck –
gelungen. Ich will heute in 30 Minuten einen ähnlichen Versuch unternehmen, allerdings bezogen auf eine sehr viel »engere« Angelegenheit,
nämlich die Raumplanung in Deutschland.
Ich selbst bin erstmals mit dem Begriff des »sustainable development«
konfrontiert worden, als ich im Bundesinnenministerium 1971/72 den
Auftrag erhielt, Statements für die UN–Umweltkonferenz 1972 in Stockholm vorzubereiten (der Bundesminister des Innern Genscher war in
den 70er-Jahren in der Bundesregierung auch für die Raumordnungspolitik und die neu konstituierte Umweltpolitik zuständig). Es war also
in einer Zeit, als in Westeuropa die öffentliche Diskussion über Nachhaltigkeit noch nicht im Gange war. Zwar zeigten sich damals die Hilflosigkeit der Industrieländer und ihr Verhältnis zu den früheren Kolonialländern und den massiven Umweltzerstörungen als Folge dieser
Historie in vielen Verhandlungen und Diskussionen. Fündig zum
Thema Nachhaltigkeit in Deutschland wurde ich u. a. in dem 1961 veröffentlichten SARO-Gutachten (einem Gutachten im Auftrag der Bundesregierung, von zehn Sachverständigen erstattet, die in der Mehrzahl
in die frühere Reichsraumordnung involviert gewesen waren), und ent126 K.-H. Hübler
sprechend ideologisch verbrämt waren viele Vorstellungen in diesem
Gutachten über Ordnung und Unordnung des Raumes (auf 144 Seiten)
formuliert. In Kapitel 14 (Landschaftspflege, Landespflege) fanden sich
einige allgemeine Aussagen zur Nachhaltigkeit, u. a.: »Nachhaltige Nutzung der von Natur dargebotenen Gaben ist aber Lebensvoraussetzung.«
Das SARO-Gutachten hatte jedoch deshalb politische Bedeutung, weil
es nach jahrelangen Auseinandersetzungen in Bonn 1965 zum Erlass
eines Raumordnungsgesetzes beim Bund führte (die Reichsraumordnung war nach einer Kontrollratsverordnung von den Besatzungsmächten 1947 für die BRD für obsolet erklärt worden). Der Begriff der Nachhaltigkeit aus dem SARO-Gutachten wurde indes nicht in die
Grundsätze der Raumordnung im § 2 Abs. 1 des Raumordnungsgesetzes
(ROG) aufgenommen, wohl aber die »Philosophie« des Erhalts der »natürlichen Hilfsquellen«. 1997 wurde dann sowohl das ROG und nachhaltige städtebauliche Entwicklung (BbauG) in Gesetzesnovellen durch
den Deutschen Bundestag nachgebessert. Es waren jedoch »PlaceboNormen« (Leerformeln), wie ich später noch erläutern will, um die sich
die Planungspraxis in der Folgezeit wenig gekümmert hat!
Zuzugeben ist indes, dass ich schon zuvor mit den Ideen einer nachhaltigen Entwicklung konfrontiert wurde. Ich erinnere mich an drei
Episoden: In einer Vorlesung an der Humboldt-Universität 1952 berichtete der damalige (bürgerliche) Ökonomieprofessor Sennewald über
Pachtverträge, die die preußische Domänenverwaltung vor 1914 über
jeweils zwölf Jahre abschloss und die Pächter zur nachhaltigen Bewirtschaftung der zu pachtenden Domänen (großen landwirtschaftlichen
Betrieben) durch Normierung von Fruchtfolgen, Düngungsvorschriften
usw. verpflichteten. Und zweitens an eine Exkursion in das fränkische
Fichtelgebirge. Dort berichtete ein Forstmeister, dass nach dem Kahlschlag der Wälder im 17. Jahrhundert zum Zwecke der Verwendung des
Holzes im Bergbau eine Wiederaufforstung mit Sämlingen aus der Mark
Brandenburg erfolgt ist (weil auf die Schnelle einheimisches Pflanzgut
nicht verfügbar war und das Markgrafentum Bayreuth zu Preußen gehörte). Diese dort aufwachsenden Fichtenwälder waren nicht dauerhaft
und nachhaltig: Windbruch und andere Schadenereignisse führten zu
Was hat von Carlowitz der Raumplanung von heute zu sagen?
»1997
wurde ...
nachgebessert«
=> bitte
Satz prüfen: was
wurde
nachgebessert?
127
geringen Erträgen. Nun zur dritten Episode: Ein bekannter und auch
erfolgreicher Regionalplaner aus Niederbayern entgegnete mir einmal
in einer öffentlichen Veranstaltung in den 90er-Jahren, Raumplanung
sei seit Anbeginn nachhaltig gewesen. Um dies festzustellen, brauche
man keine Evaluierungen oder spezifische Bewertungsverfahren, sondern dazu reiche das »raumplanerische Hirn« aus.
So einfach war das damals! Mit diesen drei Beispielen wollte ich zeigen, dass nachhaltige Elemente schon zuvor in vielen privaten und öffentlichen Bereichen eine auch ökonomisch begründbare Funktion hatten und nicht nur das Gedankengut von »spinnerten Umweltschützern«
waren. Das Etikett »nachhaltig« war indes vielseitig interpretierbar, oft
nicht werbewirksam, und Herr von Carlowitz war vergessen.
Einige Essentials der Nachhaltigkeit in der jetzigen Raumplanung (im
Sinne von Carlowitz)
Das Werk von Hans Carl von Carlowitz enthält nicht nur den Begriff
der Nachhaltigkeit in seiner heutigen Bedeutung. »Entscheidend ist
auch, dass in dessen Kontext embryonal, aber mit klaren Konturen das
›Dreieck der Nachhaltigkeit‹ erscheint. Dieses Zusammendenken von
Ökologie, Ökonomie und sozialer Gerechtigkeit ist heute grundlegend
für eine Theorie der Nachhaltigkeit« (Grober, 2012).
Wir haben Ende des vorigen Jahrhunderts in der TU Berlin unter
Auswertung der damaligen aktuellen Diskussion einen »Prüfraster« für
die Nachhaltigkeit für die Raumplanung in Deutschland zusammengestellt (Umweltbundesamt 1999), das noch heute geeignet scheint, die
Arbeitsinstrumente von Landes- und Regionalplanung – das sind im
Regelfall Pläne oder Programme – auf ihren Nachhaltigkeitsgehalt zu
beurteilen. Ich kann das ernüchternde Ergebnis dieser Studie im Einzelnen aus Zeitgründen nicht referieren.
Als »Messlatte« zur Beurteilung haben wir damals die folgenden
Kriterien zusammengestellt (ich nenne zur Erläuterung nur wenige
Stichworte):
• Vernetzung (nicht nur mit administrativen Systemen, sondern auch
mit Betroffenen, Initiativen und anderen »Denkschulen«)
128 K.-H. Hübler
• Vielfalt im ökologischen Sinne, Wohn- und Lebensformen, auch Nutzungsmischung
• Effizienz: Ein Aspekt der Effizienz ist mittlerweile in vielen Plänen
als Planungsgegenstand erkennbar; Reduzierung des Flächenverbrauchs (Bodenversiegelung), andere Aspekte von Effizienz sind in
der Raumplanung völlig außer Acht geblieben wie Rohstoffverbrauch,
verbesserte Lebensbedingungen durch verminderten Ressourceneinsatz (vgl. Haase, 1978, Hofmeister/Hübler, 1990)
• Suffizienz: bedeutet Genügsamkeit hinsichtlich der Überversorgung
von Teilsystemen, Aufwertung immaterieller Werte gegenüber den
materiellen Werten
• Konsistenz: bedeutet die dauerhafte Ausrichtung der räumlichen Entwicklung an der Tragekapazität ökologischer Systeme und Anpassung
der Zeitmaße der Eingriffe in Systeme an natürliche Prozesse
• Risikovorsorge: bedeutet Definition kritischer Konzentrationen, von
Eintragsraten, Vermeidung von irreversiblen Prozessen, Entwicklung
neuer Bewertungsparameter, Hochwasserschutz durch Ursachenvermeidung, erst dann höhere Dämme
• Intergenerative Gerechtigkeit: Verantwortung für künftige Generationen (Dauerhaftigkeit, Langfristorientierung, Verschuldung u. a.),
offenhalten von Optionen
• Intragenerative Gerechtigkeit: Verteilungsgerechtigkeit, Zugänge und
Entwicklungschancen, gerechte Verteilung von Nutzen und Lasten
• Partizipation, diskursive und kooperative Planungs- und Entscheidungsverfahren, Koordination mit anderen Planungen und Maßnahmen
• Transparenz: Offenlegung aller die Planung determinierenden Parameter (Ressourcenbilanzen, Stoff- und Energiebilanzen, ökologische
Fußabtritte oder Rucksäcke u. a.) Durchlässigkeit verschiedener Erfahrungswelten und Bildungsstile als Voraussetzung für Transparenz
Sie können sich aus diesen zehn Kriterien, die noch leicht erweiterbar
sind, die Kriterien selbst aussuchen, die Sie in Ihren Plänen berücksichtigt haben, und jene, die Sie aus Ihrer regionalen Sicht für untauglich
halten.
Was hat von Carlowitz der Raumplanung von heute zu sagen?
129
Ergebnis der damaligen Untersuchung, deren Ergebnisse im Jahre
1999 veröffentlicht wurden, war, dass – abgesehen von verbalen Bekundungen zur nachhaltigen Raumentwicklung und von Einzelfällen abgesehen – die Institutionen der Raumplanung bei Bund und Ländern
die Mehrzahl dieser Nachhaltigkeitskriterien nicht erfüllten und diese,
falls sie nachhaltige Konzepte realisieren wollen, noch einen weiten Weg
zu gehen hätten.
Und in der Sache hat sich seit zwölf Jahren wenig geändert! Als Beleg
für diese Behauptung mag der vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und
Raumforschung 2012 veröffentlichte Raumordnungsbericht 2011 dienen, in dem der Begriff »Nachhaltigkeit« sorgfältig vermieden wird. Und
auch bei einer Evaluierung der Regionalplanung aus demselben Institut
ist der Begriff »nachhaltige Entwicklung« nicht einmal Gegenstand dieses Monitorings (2). Dort sind auch ausgewählte sächsische Regionalpläne untersucht. Zwar sind einige Einzelmaßnahmen als Nachweis der
Berücksichtigung von Nachhaltigkeitserfordernissen dargestellt, die aber
allesamt in den Bezugsrahmen einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie nur kleine Einzelbauteile sind!
Die verschiedenen Institutionen der Raumplanung in Deutschland
haben m.E. die große Chance, die sich in den 90er-Jahren eröffnet hat
(auch wegen der Transformation zumeist ungeeigneter Konzepte von
den alten Ländern nach Ostdeutschland), nicht genutzt, eine zukunftsweisende neue Konzeption zur Nutzung des Raumes im Sinne einer
Nachhaltigkeit zu organisieren und vor allem eine neue Legitimation
für diese ehemals bedeutsame staatliche oder kommunale Aufgabe zu
begründen. Die Mitwirkung und die Mitgestaltung der Raumplaner/
innen bei der Energiewende ist marginal (Netzausbau, Mix der verschiedenen Formen der Erzeugung und Verwendung u. a.). Ich würde die
heutige Situation nach einer etwa 50-jährigen Erfahrung in dem Bereich
wie folgt beschreiben: Raumordnung und Landes- und Regionalplanung, so unterschiedlich ihre Aufgaben auf den verschiedenen Ebenen
und in den 13 Flächenländern auch sind, »laufen zumeist gesellschaftlichen Veränderungen nach«. Andere Institutionen eignen sich Lösungskompetenzen für die Dinge an, die eigentlich die Raumplaner regeln
130 K.-H. Hübler
könnten und sollten! Die Legitimation (und das Interesse der Politik)
sowie die Akzeptanz in der öffentlichen Meinung für diese Aufgabe wird
zunehmend geringer (wo war Raumplanung in den letzten Jahren bei
Bund und Ländern Gegenstand von Koalitionsverhandlungen oder von
Regierungserklärungen?).
Die mögliche Ansage des Hans Carl von Carlowitz 2013 an die sächsische und deutsche Raumplanung:
• Befasst euch mit Zukunft, sonst erledigen andere euren Job (z. B. neuerdings Netzplanungsagentur) und das vielleicht besser, als Ihr das
könnt. Sonst werdet ihr eines Tages entbehrlich, und euch geht die Legitimation immer mehr verloren, noch Raumplanung zu betreiben!
• Bezieht in eure Planung die Zeitkomponente und die voraussichtlichen ökologischen, sozialen und kulturellen Wirkungen eures Tuns ein –
der Wiederaufbau eines Waldes kann 150 bis 300 Jahre dauern, und
eine Brücke kann (mit Reparaturen) 50 bis 150 Jahre den Raum prägen.
• Nehmt euren Anspruch und Auftrag des Koordinierens (Querschnittsfunktion) ernster als bisher.
• Entwickelt neue Methoden der Vorausschau und versucht, sie anzuwenden (der Verhandlungs- und Planungsgegenstand »zentrale Orte«
war für Planer/innen vielleicht gestern oder vorgestern aktuell, heute
im Zeichen von Internet und Breitband, Amazon- oder Otto-Versand – ist das eine interessante Geschichte für Historiker
• Denkt daran, was euer Planen den Steuerzahler kostet, und nehmt die
Interessen der Planungsbetroffenen ernst!
(1) Kurzfassung eines Referates, das der Verfasser am 7. November 2013
anlässlich der Sächsischen Regionalplanertagung in Freiberg/Sachsen, gehalten hat
(2) In dem 250 Druckseiten umfassenden Raumordnungsbericht 2011 erscheint der Begriff »nachhaltige Entwicklung« drei- oder fünfmal und in
einer Quellenangabe ist von einem Nachhaltigkeitsbarometer die Rede.
Weshalb sich das Bundesinstitut trotz der gesetzlichen Vorgaben der Aufgabe entzieht, sich intensiv mit nachhaltiger Entwicklung auseinanderzusetzen, wird in den Veröffentlichungen nicht erklärt.
Was hat von Carlowitz der Raumplanung von heute zu sagen?
131
bei Grober
fehlen Ort
und Jahr/
was heißt
»die Erfindung«?
Literatur
Sächsische Carlowitz-Gesellschaft (Hrsg.): Die Erfindung der Nachhaltigkeit, Werk und Wirkung des Hans Carl von Carlowitz (editiert
von Dr. Füsslein), oekom Verlag, München, im Folgenden »die Erfindung« zitiert.
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132 K.-H. Hübler
Ilja Kogan, Sebastian Liebold
Sächsische Humanisten
als Ideengeber nachhaltiger
Ressourcennutzung.
Georgius Agricola und
Hans Carl von Carlowitz
Mit dem ersten »großen« Buch zur Bergkunde ist der Name Georgius
Agricola (1494–1555) verbunden. Er war ein Generalist jener Zeit, die
nicht umsonst »Renaissance« genannt wird. Dass in seinem Opus magnum »De re metallica libri XII« (Agricola 1556), einer Synthese zu Bergbau, Hüttenwesen und Mineralogie, nicht nur von der Erkundung, der
Gewinnung und Verarbeitung aller damals bekannten Erze die Rede ist,
von Technologie und Infrastruktur, sondern auch von den natürlichen
(Abbildung 1) und gesellschaftlichen Folgen des Bergbaus, blieb kaum
in Erinnerung. Sachsen als Land großer Silbervorkommen ist bekannt –
wie der Metallverbrauch in der Ära von Reformation, geografischen
Entdeckungen, aber auch von gewandelten Lebensgewohnheiten stieg,
weniger (Abbildung 2). Die Schattenseiten des Erzreichtums blendete
der Bergforscher nicht aus.
Wie kam Agricola zu den ungewohnten »Randbemerkungen« über
die Nutzung natürlicher Ressourcennutzung, zu gravierenden Umweltproblemen und den besonderen Bedingungen einer ganz auf den
Bergbau ausgerichteten Gesellschaft? Bereits die Studienfächer an der
Universität Leipzig zeugen von Interesse für interdisziplinäre Zusammenhänge: Er studierte Philologie (Griechisch und Latein), Philosophie,
Theologie und Jura. Während eines nahezu dreijährigen Italienaufenthaltes erhielt er den Doktorgrad eines Mediziners, die Grundlage für
seinen späteren Hauptberuf: Stadtarzt und Apotheker. In dieser Funktion lebte er in St. Joachimsthal, später in Chemnitz und betrachtete
pflanzliche und mineralische Substanzen zunächst hinsichtlich ihrer
Verwendung als Arzneien. Bald befasste sich Agricola nicht allein mit
Krankheiten und Verletzungen der Bergleute, sondern mit verschiedensten Details des Bergwesens selbst: mit Erzgängen und Klüften, mit den
134 Ilja Kogan, Sebastian Liebold
Wasserrädern, mit Gestängen, den Luftverhältnissen und dem Vortrieb.
In Chemnitz, wo er mehrfach als Bürgermeister diente, nahm er die
überregional bedeutende Kupferhütte in Augenschein, beteiligte sich an
dieser und heiratete schließlich in die Besitzerfamilie ein (Kramarczyk
2003).
Neben kleineren Veröffentlichungen ist das Wirken Agricolas bis
heute mit einer didaktisch überlegten lateinischen Grammatik, mit einer
Systematisierung von Maßen und Gewichten, nicht zuletzt mit einer
Geschichte der Wettinerfamilie und dem Leben am Hofe verbunden
(Agricola 1520, 1533, 1555). Für die Erforschung vergangener Erdzeitalter ist sein Begriff »Fossil« grundlegend – so nannte er Funde, die dem
Erdreich entrissen wurden (Agricola 1546). Gemeinsam ist all diesen
Studien: Der humanistisch Gebildete suchte Ordnung in seine Umwelt
zu bringen – zuweilen machte er mit diesem Anspruch bahnbrechende
Entdeckungen, manchmal gleichen die Ausführungen eher einer »Bestandsaufnahme«.
Das universale Herangehen an seine Forschungen, die Breite seines
Denkens und seiner wissenschaftlichen Interessen ermöglichten es Agricola, die Beschreibung der Ressourcennutzung über die Geowissenschaften hinaus in den Kontext von Natur und Gesellschaft zu stellen. Am
Anfang von »De re metallica« notiert er in einer Zusammenschau:
»Der Bergmann [muss] vieler Künste und Wissenschaften kundig
sein: zuerst der Philosophie, dass er den Ursprung, die Ursachen und
die Eigenschaften der unterirdischen Dinge erkenne. Denn er wird dann
auf leichterem und bequemerem Wege zum Abbau gelangen und besseren Nutzen von den geförderten Erzen haben. Zweitens der Medizin,
dass er für die Häuer und anderen Bergarbeiter sorgen könne, damit sie
nicht in Krankheiten verfallen, von denen sie vor anderen bedrängt werden, oder wenn sie in solche verfallen sind, dass er entweder selbst sie
kurieren oder dafür sorgen könne, dass Ärzte sie kurieren. Drittens der
Astronomie, damit er die Himmelsgegenden kennenlerne und nach
ihnen die Ausdehnung der Erzgänge beurteilen könne. Viertens der
Lehre von den Maßen, dass er einerseits messen könne, wie tief der
Schacht zu graben sei, damit er zu dem Stollen reiche, der darin getrieSächsische Humanisten als Ideengeber nachhaltiger Ressourcennutzung
135
ben wird, und dass er andererseits einer jeden Grube, besonders in der
Tiefe, bestimmte Grenzen setze. Sodann soll er auch die Rechenkunst
verstehen, damit er die Kosten, die für die Gezeuge und Arbeiten der
Häuer aufzubringen sind, zu berechnen vermag. Ferner die Baukunst,
damit er die verschiedenen Kunstgezeuge und Grundbauten selbst machen oder wenigstens anderen die Art und Weise angeben könnte, wie
sie zu machen seien. Alsdann soll er auch die Zeichenkunst kennen, dass
er die Modelle aller Gezeuge abzeichnen könne. Endlich soll er auch des
Rechtes, vor allem des Bergrechtes kundig sein, damit er einerseits den
anderen nichts wegnehme, andererseits für sich selbst nichts Unbilliges
begehre und das Amt übernehme, anderen Rechtsbescheid zu geben.«
(Agricola 1556, dt. Übersetzung von Carl Schiffner u. a., 1928: 1–2)
Agricola versah das Bergwesen nicht nur mit anwendungsnahen Illustrationen (sein Buch gibt den Nichtlesern 292 technisch ausgefeilte
Stiche an die Hand), er beschrieb auch die – oft mühseligen – Bedingungen des Bergbaus und die Folgen für die Umwelt, für den Menschen
und die Landschaft. Er sprach den hohen Holzverbrauch nicht nur in
den Erzminen, sondern auch bei der Weiterverarbeitung an, betonte
dabei zudem den Rückgang der Waldbestände in den angrenzenden Regionen und die Notwendigkeit, Holz aus entfernteren Gegenden herbeizuschaffen.
Er ging auf Befürchtungen der Bergbaugegner ein: »Durch das
Schürfen nach Erz werden die Felder verwüstet; deshalb ist einst in Italien durch ein Gesetz dafür gesorgt worden, dass niemand um der Erze
willen die Erde aufgrabe und jene überaus fruchtbaren Gefilde und die
Wein- und Obstbaumpflanzungen verderbe. Wälder und Haine werden
umgehauen; denn man bedarf zahlloser Hölzer für die Gebäude und
das Gezeug sowie um die Erze zu schmelzen. Durch das Niederlegen der
Wälder und Haine aber werden die Vögel und andern Tiere ausgerottet,
von denen sehr viele den Menschen als feine und angenehme Speise dienen. Die Erze werden gewaschen; durch dieses Waschen aber werden,
weil es die Bäche und Flüsse vergiftet, die Fische entweder aus ihnen
vertrieben oder getötet.« (Agricola 1556, dt. Übersetzung von Carl
Schiffner u. a., 1928: 6; vgl. Abbildung 1).
136 Ilja Kogan, Sebastian Liebold
A
Abbildung 1: Drei Darstellungen der Waldnutzung für den Bergbau Mitte des
16. Jahrhunderts. Quelle: Agricola (1556): De re metallica, Basel, S. 135, S. 270, S. 350.
Obgleich Agricola die ökonomische Bedeutung des Bergbaus für die
Wohlfahrt des Landes hervorhob, vernachlässigte er die negativen Folgen dieses Wirtschaftszweiges etwa für die Gesundheit der Bergleute
nicht. Auf seine Ausführungen zur toxischen Wirkung bestimmter
Mineralien bezogen sich Mediziner jahrhundertelang – ebenso wie auf
Passagen über die heilsame Kraft der zutage geförderten Stoffe. Dass
dabei zuweilen seltsame, ja wunderliche Zuschreibungen vorkommen,
liegt wohl ebenso in der Zeit begründet wie die an einzelnen Stellen
durch das Werk geisternden »Trulli« – auch hier befasst sich Agricola
eher mit der Systematisierung als mit dem Wahrheitsgehalt von Berichten über Berggeister.
Bis heute wegweisend sind dagegen Agricolas Äußerungen über die
schädliche Wirkung von Epidemien und von Kriegen, die seinerzeit
ganze Landstriche entvölkerten und so nicht nur die Wirtschaft, sondern das gesamte gesellschaftliche Leben zum Stillstand brachten (Horst
1955). Es brauchte einen umsichtigen Humanisten wie Georgius Agricola, um den Bergbauunternehmern wie den Politikern (Stadträten bzw.
den Ratgebern der Dresdner Herzöge) klarzumachen: Nicht kurzfristige
Sächsische Humanisten als Ideengeber nachhaltiger Ressourcennutzung
137
Gewinne, vielmehr langfristiges Wachstum sollten Ziel jedes Minengeschäfts sein.
Der Bericht über die Chemnitzer Kupfersaigerhütte, eine Art »Handbuch« und »Techniksoziologie« in einem, macht exemplarisch den synoptischen Blick Agricolas nachvollziehbar: Nach der Analyse der Funktionsweise der eigentlichen Saigertechnik, dem Material, der Bauweise
der Hütte und den Arbeitsgängen kommt Agricola auf die Risiken des
Hüttenwesens zu sprechen, er wägt zwischen Nutzen und Nachteil mit
Gespür für die Interessen der Geldgeber wie für die – oft unter miserablen Bedingungen beschäftigten – Arbeiter ab (Kramarczyk 2003). Auch
in »De re metallica« zählt Agricola die Probleme im Bergbau auf, ohne
die Bedingungen dieses – auch für ihn selbst – einträglichen Wirtschaftszweigs im Ganzen zu hinterfragen. Für ihn existieren die Schwierigkeiten fast schicksalhaft, menschliches Handeln muss sich im Wesentlichen
darauf einstellen. In einem zeitgenössischen Berglied heißt es: »Der
Bergmann muss viel tragen …« Strukturell verbesserte Arbeitsbedingungen und ein im engeren Sinne kritischer Blick auf die Umweltschäden jener Zeit sind bei Agricola nicht zu finden.
Agricola war sich allem Anschein nach der endlichen Natur der Erzvorkommen nicht bewusst. Wer sich vor Augen hält, dass im 16. Jahrhundert viele Bergbaugebiete weltweit ihrer »Entdeckung« harrten,
kann ermessen, dass die für Sachsen beschriebenen Probleme wohl insofern nicht als grundlegend erschienen, da der Mensch an vielen anderen Stellen des Globus neu »anfangen« und die bereits erschöpften
Minen und abgeholzten Regionen hinter sich lassen konnte. Das Zeitalter der Entdeckungen (man denke an die Goldvorkommen in Lateinamerika) setzte den Schwerpunkt in der Erkundung und – oft mit Waffengewalt – in der Besitzergreifung. Die Zeit der Glaubenskriege tat ihr
Übriges, wenig Augenmerk auf kritische Berichte über das – in dieser
Periode sowieso im Niedergang befindlichen – Bergwesen zu legen (Abbildung 2).
Nicht zuletzt die Nöte der »Edlen Bergwercke« veranlassten den
sächsischen Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz (1645–
1714), sich mit dem Problem der nachhaltigen Ressourcennutzung aus138 Ilja Kogan, Sebastian Liebold
Abbildung 2: Bevölkerungsdynamik (A), Bergbau (B) und anteilsmäßige Entwicklung
der Waldflächen (C) in Sachsen zwischen 900 und 2000 n. Chr. A und C umgezeichnet
nach Ueberfuhr & Miethke (2007), B nach Daten von Wagenbreth (1990) für das
Sächsische Erzgebirge. Dargestellte Erzausbeute (hellgrau: Silber; grau: Zinn; dunkelgrau: Wismut- und Kobalterz) gilt summarisch für das jeweilige Jahrhundert;
die Skaleneinteilung ist für jedes Erz unterschiedlich.
einanderzusetzen. Der Bergbau und die verarbeitende Industrie seien
rechte »Holtzfresser« (Carlowitz 1713: 97). Da beide für die Einwohner
des »Meißnischen Ertz-Gebürgischen Creyses« in jeder Hinsicht
»höchstnöthige Wercke« seien, müsse Bedacht auf dem »würcklichen
Anflug und Wiederwachs« der Wälder liegen, um die ökonomische
Prosperität zu sichern. Jahrhunderte der Übernutzung hatten zu einer
spürbaren Abnahme von Waldgegenden nicht nur in Mitteleuropa geSächsische Humanisten als Ideengeber nachhaltiger Ressourcennutzung
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führt: »Ein dergleichen wahres Exempel wird aus America von Potosi,
alwo die reichen Bergwercke sind / geschrieben / dass nehmlich alda
von allen Dingen / so der Mensch nöthig habe / ein großer Überfluß
sey / und über nichts / als über den Holtzmangel / Klage geführet
werde.« (Carlowitz 1713: 44) Wie Agricola hielt von Carlowitz die Erzvorkommen – mit dem Einwand, dass solcherlei Gestein nicht nachwachse – für »unendlich« (Carlowitz 1713: 98). Verbraucher großer
Mengen Holz wurden neben Berg- und Schiffbau immer stärker die großen Städte, die aufwendiger bauten und in kalten Wintern buchstäblich
»ihren« Wald verfeuerten. Wer auf die Geschichte »nachhaltigen Denkens« schaut, sollte die Differenzierung des Handwerks im 17. Jahrhundert nicht vergessen – viel Holz sei nötig für das »Rösten / Brennen /
Schmeltzen und [die] Gutmachung der Metallen / welches der grundgütige Gott diesen Landen auch nicht versaget« (Carlowitz 1713: 98).
Daher legte von Carlowitz besonderen Wert auf die ausgeglichene
Fortwirtschaft (Carlowitz 1713), auch wenn die Grenze des Verbrauchs
(so viel, wie nachwächst) zunächst eine Einschränkung – »Suffizienz« –
bedeutete. Es mag erstaunen oder nicht: Im werkbiografischen Vergleich
mit Agricola liegt dem Denken des wichtigsten sächsischen »Wirtschaftsmanagers« jener Zeit eine ähnliche und ähnlich breite humanistische Bildung zugrunde. Hans Carl von Carlowitz hatte eine etwa fünfjährige Grand Tour durch Europa hinter sich, als er bei der Verwaltung
des sächsischen Forsts die Probleme »stapelweise« vor sich sah. Allein
die Neubauten Augusts des Starken in Dresden verschlangen ein Mehrfaches der in Sachsen zu jener Zeit angepflanzten Bäume. Zuvor hatten
die Verwüstungen des 17. Jahrhunderts – vor allem des Dreißigjährigen
Krieges – ihr Scherflein zur Waldarmut beigetragen.
Die von Carlowitz vorgeschlagenen Maßnahmen zum Senken des
Energieverbrauchs, zum Ersetzen des Materials Holz (u. a. durch Torf
zum Heizen) und zum konsequenten Aufforsten beruhen nicht zuletzt
auf Ideen, die er auf seiner »Europatournee« gesammelt hatte. So sind
Grundlagen seines »nachhaltigen Programms« in Jean-Baptiste Colberts
»Grande réformation des forêts« (Devèze 1962) zu finden. Der Forscher-Manager aus Rabenstein hatte an vielen Standorten selbst gese140 Ilja Kogan, Sebastian Liebold
hen, welche Folgen der ungezügelte Holzverbrauch hatte. Der Bezug zurück zu Agricola fällt nicht schwer; Hans Carl von Carlowitz beeinflusste
wiederum bekannte Wissenschaftler wie Abraham Gottlob Werner oder
Alexander von Humboldt, die sich mit Geologie befassten. Eher schleppend nahmen sich Ökonomen des Wissens an, das nicht zuletzt unter
dem Stichwort der »Frucht-Niessung« (Carlowitz 1713: Vorrede) den
fruchtbaren Nutzen einer nachhaltigen Forstwirtschaft für die künftigen
Generationen darlegt. In jüngster Zeit beziehen sich vor allem Studien
zu »externen Kosten« in der Wirtschaftstheorie auf Agricola und Carlowitz (Endres 2013, Kleeberg 2013, Sächsische Carlowitz-Gesellschaft
2013, Sauer 2013).
Sächsische Humanisten haben in überzeugender Weise die Probleme
der Ressourcennutzung angesprochen und eine nachhaltige Produktionsweise – zum Wohle der Zeitgenossen wie der zukünftigen Generationen – angemahnt. Während Agricola darauf aus war, Gewinne durch
technische Verbesserungen zu steigern und Risiken für Mensch und
Natur zu minimieren, warb von Carlowitz für einen nachhaltigen Gebrauch von Ressourcen, die es nachfolgenden Generationen erlaubt, ein
ähnliches Maß an Wohlstand zu erreichen, wie es die gegenwärtige besitzt. Das humanistische Grundverständnis wirtschaftlicher Aktivität
beider Forscher sollte zu den Prinzipien modernen Ressourcenmanagements gehören.
Ilja Kogan, TU Bergakademie Freiberg, Geologisches Institut, Geowissenschaftliche Sammlungen & Bereich Paläontologie
Dr. Sebastian Liebold, Technische Universität Chemnitz, Institut für
Politikwissenschaft
Sächsische Humanisten als Ideengeber nachhaltiger Ressourcennutzung
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Literatur
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Agricola, G. (1533): Georgii Agricolae Libri quinque de mensuris et ponderibus. Paris.
Agricola, G. (1546): De natura fossilium libri X, Basel.
Agricola, G. (1555): Vier Bücher von der hochlöblichen Sippschaft des
Chur- und fürstlichen Hauses zu Sachsen.
Agricola, G. (1556): De re metallica libri XII, Basel. [dt. Carl Schiffner
u. a. (1928), München].
Carlowitz, H. C. von (1713): Sylvicultura oeconomica. Leipzig.
Devèze, M. (1962): La grande réformation des forêts sous Colbert
(1661–1680). Thèse pour le doctorat ès lettres. Nancy.
Endres, A. (2013): Umweltökonomie. 4. Aufl., Stuttgart.
Horst, U. (1955): Das Agricola-Büchlein. Dresden.
Kleeberg, K. [Hrsg.] (2013): Hans Carl von Carlowitz und die Nachhaltigkeit, eine 300-jährige Geschichte. Duderstadt.
Kramarczyk, A. (2003): Die Kupfersaigerhütte des Ulrich Schütz in
Chemnitz. Unternehmensgeschichte, Dokumentation, Perspektiven
eines Bodendenkmals. Agricola-Gespräch 12: 3-17.
Sächsische Carlowitz-Gesellschaft [Hrsg.] (2013): Die Erfindung der
Nachhaltigkeit. Leben, Werk und Wirkung des Hans Carl von Carlowitz. München.
Sauer, T. [Hrsg.] (2013): Ökonomie der Nachhaltigkeit. Grundlagen, Indikatoren, Strategien. 2. Aufl., Marburg.
Ueberfuhr, F., Miethke, A. (2007): Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen. F IV 4, Waldflächen 1800 und 2000. Leipzig.
Wagenbreth, O. [Hrsg.] (1990): Bergbau im Erzgebirge: Technische
Denkmale und Geschichte. Leipzig.
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