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I N HALT ÄGYPTEN I セ@ 6 In der »Höhle der Bestien« Rudolph Kuper Norbert Benecke und Reinder Neej Felsbilder in der Libyschen Wüste berichten von einer Zeit, in der die Sahara noch grün war. Ob diese Kultur jene des alten Ägypten prägte, als zunehmende Trockenheit die Menschen ins Niltal drängte, darüber rätseln Forscher noch Im 4. Jahrtausend v. Chr. boomte die Kupfer- und Schmuckindustrie in Tell Hujayrat al-Ghuzlan, einer Siedlung am Golfvon Akaba. Archäobiologen versuchen zu verstehen, wie ein solches Gemeinwesen mitten in der Wüste Bestand haben konnte JORDANIEN I ÄGYPTEN 11 14 Die ersten Karawanen 4 PAKISTAN JORDANIEN 11 32 Die Induskultur - vom Hochland zur Schwemmebene 18 Trauben in der Wüste Ute Franke 22 Kollaps oder Niedergang? Bis heute gibt die Entstehung der frühen Hochkultur am Indus den Archäologen Rätsel auf. War sie etwa ein Import aus Mesopotamien? Ausgrabungen im trockenen Hochland zeigen : Ihre Wurzeln hatte diese Zivilisation am Oberlauf des großen Stroms JEMEN セ@ 38 Wasser in der Wüste Bemd Müller-Neuhoj Miroslav Borta Seit der Jungsteinzeit durchquerten Nomaden mit ihren Herden die Wüstensteppen Vorderasiens. Mit den Jahrhunderten erschlossen sie ein Handelsnetz, das die Ansiedlungen in den fruchtbaren Gebieten durch Lasttiere miteinander verband und Klaus-Dieter Linsmeier Iris Gerlach Was läutete einst das Ende des Alten Reichs ein? Manche Experten glauben an ein allmähliches Siechtum infolge gesellschaftlicher Fehlentwicklungen, andere an einen plötzlichen Zusammenbruch auf Grund eines Klimawandels Das legendäre Königreich von Saba verdankte seinen Reichtum nicht nur dem Weihrauchhandel- sondern auch dem Knowhow in der Bewässerungstechnik. Kein Wunder, dass der Große Damm von Marib heute eine Touristenattraktion ist! SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT· SPEZIAL 212011: IM BANN DER WÜSTE ÄTHIOPIEN 44 Kolonisation oder Kulturtransfer? Pawel Wolf Ein Heiligtum des sabäischen Reichsgottes Almaqah wirft ein neues Licht auf eine alte Diskussion: Gründeten arabische Kaufleute im fruchtbaren Hochland am Horn von Afrika eine Kolonie? Oder importierten einheimische Könige sabäische Traditionen? SUDAN 50 HamadabLeben am oberen Nil Pawel Wolf Unweit der prächtigen Tempel und Paläste von Meroe stießen Archäologen auf die Ruinen einer Kleinstadt - jetzt erforschen sie den Alltag des Mittelstands im Reich von Kusch WWW.SPEKTRUM.DE SYRI EN セ@ 58 Resafa - Pilgerstadt und Kalifenresidenz am Rand der Wüste Dorothee Sack und MarUn Gussone Noch heute beeindrucken die Ruinen von Resafa, Kultstätte des von Christen und Muslimen gleichermaßen verehrten Märtyrers Sergios. Der Aufstieg zu einem Pilgerzentrum der Spätantike ermöglichte den Bau prächtiger Basiliken, erforderte aber auch die Anlage großer Zisternen zur Wasserversorgung PERU 72 Kulturentwicklung als Überlebensfrage Markus Reindei und Bernhard Eitel Im Großprojekt »Anden-Transekt« gehen Archäologen und Naturwissenschaftler der Frage nach: Wie entstanden die ersten Hochkulturen Südamerikas - und was war der Grund für ihren Untergang? SOI\JSTIGES NORDAFRIKA 66 Barbaren der Wüste Philipp von Rummel Nachdem Roms Nordgrenze dem Ansturm der »Völkerv"anderung« nachgegeben hatte, begann in den nordafrikanischen Provinzen die Zeit der Vandalen und Mauren 3 Editorial 76 Impressum Tite/motiv: Bridgeman Berlin / Brooklyn Museum of Art, New York (Pepi I. Statue), Fotolia / Khorixas (Hintergrund) Die auf der Titelseite angekündigten Themen sind mit セ@ gekennzeichnet 5 72 SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · SPEZIAL 212011 : IM BANN DER WÜSTE Im Großprojekt »Anden-Transekt« gingen und gehen Archäologen gemeinsam mit l\Jaturwissenschaftlern der Frage nach: Wie entstanden die ersten Hochkulturen Südamerikas - und was war der Grund für ihren Untergang? Von Markus ReindeI und Bernhard Eitel ünf Millimeter Niederschlag fallen in der Atacama im Jahresdurchschnitt pro Quadratmeter; hier zu Lande geht diese Menge in wenigen Stunden nieder. Damit zählt die Wüste, die sich vom Norden Chiles entlang der peruanischen Küste bis an die Grenze zu Ecuador erstreckt, zu den trockensten der Erde. Und dennoch hat gerade diese unwirtliche Region die ersten Monumentalbauten in der Neuen Welt hervorgebracht: In Orten wie Caral, Aspero und Sechin Bajo entstanden schon um 3000 v. Chr., lange vor der Zeit der Inka, Tempel und Repräsentationsbauten. Wie sich diese Entwicklung zur Hochkultur vollzog, welche Einflüsse den Prozess förderten, verstehen Archäologen aber erst in Ansätzen. Sicher profitierten die Menschen vom Fischreichtum der Pazifikküste und damit ausgerechnet von einem der Gründe für die große Trockenheit: Das kalte Wasser des Humboldtstroms trägt zu einer stabilen Luftschichtung bei, und die verhindert, dass Feuchtigkeit über dem Meer aufsteigt und zur Küste transportiert wird. Doch auf der anderen Seite ist das kalte Wasser reich an Nährstoffen - und damit an Meerestieren. Die ältesten Fischerdörfer stammen aus dem 10. Jahrtausend v. Chr. Den Flüssen folgend, die den Niederschlag abführen, der während der Sommermonate in den Anden fällt, gelangten die Menschen ins Landesinnere. Wann aber begann in solchen Flussoasen der Ackerbau? Und reichte der mutmaßlich rege Warenaustausch zwischen Küste und Hinterland schon, um Entwicklungen anzustoßen, WWW.SPEKTRUM.DE 73 Das Untersuchungsgebiet des Projekts »Anden-Transekt« umfasst die Region Palpa im Süden Perus. Von der Küstenwüste ausgehend reicht es bis ins Andenhochland. die in hierarchisch strukturierten Gemeinschaften mündeten, wie sie der Bau von Monumentalarchitektur nun einmal voraussetzt? Noch vor wenigen Jahrzehnten hätte kaum ein Archäologe bei der Suche nach Antworten Klimaänderungen ins Spiel gebracht. Das Klima galt seit dem Beginn unserer Warmzeit (Holozän) vor gut 12000 Jahren als stabil. Dank neuer Untersuchungstechniken wissen wir aus vielen Teilen der Welt, dass dem nicht so ist und dass globale Klimaänderungen Kulturen ebenso hervorgebracht wie auch zerstört haben. Seit 2002 kombiniert das Projekt »Anden-Transekt« deshalb Methoden der Natur- und der Geisteswissenschaften, um die Wechselwirkungen zwischen Umwelt- und Kulturentwicklung im Detail zu erforschen (als Transekt bezeichnet man bei geologischen oder ökologischen Felduntersuchungen eine Abfolge von Datensätzen und Untersuchungsorten entlang eines Landschaftsquerschnitts). Die archäologische Forschung liegt dabei vor allem in der Hand der Kommission für die Archäologie Außereuropäischer Kulturen (KAAK) des AUF EINEN BLICK KULTURENTWICKLUNG IM PROFIL 1n Mittel- und Südamerika erblühten frühere Hochkulturen vor allem in Regionen, in denen heute nur wenig Niederschlag fällt, zum Beispiel in der peruanisehen Küstenzone mit der Atacama. 1 2 Die Auflösung dieses Widerspruchs scheiterte bisher daran, dass Method en fehlten, um vorgeschichtliche Klimawechsel zu erkennen und zu datieren. Das »Anden-Transekt« ist ein interdi sziplinäre s Forschungsprojekt. Entlang einer gedachten Linie von der peruanischen Küste bis ins Andenhochland untersuchen Geoarchäologen die Siedlungsgeschichte in Verbindung mit den jeweiligen Umweltbedingungen. Auf diese Weise setzen sie Kultur- und Klimaentwicklung miteinander in Beziehung. 3 74 Deutschen Archäologischen Instituts. Bei der Klima- und Umweltforschung sind die Geografen der Universität Heidelberg federführend. Peru gilt als Modellregion für ganz Südamerika: denn von der Küstenwüste bis zu den schneebedeckten Gipfeln folgen auf kaum 100 Kilometern sehr unterschiedliche Lebensräume aufeinander. Dem Andenvorland mit seinen tief in alte Ablagerungen eingeschnittenen Flusstälern gilt dabei besonderes Interesse, weil die Übergangszonen zwischen Wüste und semiarider Gebirgslandschaft nach heutigem Wissen sehr empfindlich auf Klimaschwankungen reagieren - wird es feuchter, zieht sich die Wüste zurück, umgekehrt wächst sie in die Anden hinein. Als Modellregion für Peru wählten wir die im Süden des Landes gelegene Region Palpa mit den drei Flüssen Rio Grande, Rio Palpa und Rio Viscas, von denen nur Ersterer ganzjährig Wasser führt. Zwar hat dort keine der Hochkulturen große Tempelanlagen oder besonders reich ausgestattete Gräber hinterlassen - Palpa lag stets am Rand ihrer Einflussphären. Dafür unterlag es aber nicht dem Einfluss EI Ninos, eines Klimaphänomens, das immer wieder das nördliche Peru heimsucht. Normalerweise bringen nur die Flüsse Wasser. Das stammt aus dem Hochland, wo im Sommer feuchte Luftmassen abregnen, die über dem Amazonasbecken aufsteigen. EI Nino durchbricht diese Regel und bringt verheerende Regenfluten vom anormal erwärmten Pazifik. Diese haben in der Vergangenheit nicht nur ganze Siedlungen ze rstört, sondern auch - was für das Transekt noch wichtiger ist - durch Sedimenteinträge die geologischen und archäologischen Schichten durcheinandergebracht. In Palpa konzentrierten wir uns zunächst auf die Küste und die Flussoasen, die vom Vorland bis in den Andenfuß reichen. Gemeinsam mit unserem peruanisehen Kollegen lohny Isla entdeckten wir eine nahezu lückenlose Abfolge von Siedlungen, die von den frühesten Formen sesshafter Lebensweise bis zu Dörfern der Inka-Zeit im 15. Jahrhundert reichte. Darunter ist Pernil Alto am Rio Grande die bisher älteste Stätte (siehe Karte oben und Bild S. 77); der Ur- und Frühgeschichtler Hermann Gorbahn von der Universität Kiel untersucht sie im Rahmen seines Promotionsvorhabens. Wie Radiokohlenstoffdatierungen belegen, entstand das Dorf im 4. Jahrtausend v. Chr., in der Chronologie Südamerikas Archaikum genannt (alle im Artikel erwähnten Radiokohlenstoffdatierungen wurden von Bernd Kromer vom Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg und vom Klaus Tschira-Labor des Curt-Engelhorn-Zentrums Archäometrie in Mannheim vorgenommen) . Die Menschen bauten runde bis ovale Grubenhäuser. Wie der Name besagt, waren diese Hütten leicht in den Boden eingetieft; darüber stand eine Konstruktion aus Ästen, mit Blättern oder Gras bedeckt, die Schutz vor Wind und nächtlicher Kühle bot. Weil zwischen den Hütten große Flächen frei gelassen wurden, auf denen Gorbahn Feuerstellen nachweisen konnte, vermutet er, dass der Alltag der Dorfbewohner dort stattfand. Diese ernährten sich zum einen von Pflanzen. Reib- SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT· SPEZIAL 2/2011: IM BANN DER WÜSTE steine und Mörser wurden ausgegraben. Archäobotaniker untersuchen derzeit das daran noch haftende Material. Identifiziert haben sie schon Bohnen, die in getrocknetem Zustand erhalten blieben. Die Bewohner von Pernil Alto verstanden es offenbar nicht nur, Körner zu mahlen und weiterzuverarbeiten, sondern betrieben schon Landwirtschaft. Dass die Jagd zudem nach wie vor eine Rolle spielte. verraten Bruchstücke von Hirschgeweihen. Aber auch Meerschweinchen wurden verzehrt. Schalen von Meeresmuscheln kamen zum Vorschein, erstaunlicherweise jedoch bislang keine Fischgräten. Ob die Muscheln - gesalzen oder getrocknet selbst beschafft oder von Händlern gebracht und eingetauscht wurden, lässt sich nicht eindeutig sagen. Parallelen zur Alten Welt Unserer Ansicht nach lebten die Menschen von Pernil Alto zwar schon weit gehend sesshaft, waren aber immer noch sehr mobil. Als Indiz dafür deuten wir auch zwei Pfeilspitzen, etliche Abschläge und Steinkerne von Obsidian, denn der harte Werkstoff wurde im Hochgebirge abgebaut. Nicht nur die Bauweise der Hütten und die Wirtschaftsaktivitäten zeigen eine erstaunliche Ähnlichkeit mit denen, die in den ältesten Siedlungen der Alten Welt gut sechs Jahr- tausende früher entwickelt wurden. Es gibt auch Parallelen in den Bestattungssitten: Wie etwa in Jordanien, Syrien oder in der Türkei setzte man die Toten im Hüttenboden bei. Eine gut erhaltene Kindermumie zeigt, dass die Körper dort beigesetzt wurden - der Skelettverband war gut erhalten - und nicht zuerst an einem anderen Ort verwesten und dann umgebettet wurden, wie es später im Hochland üblich war. Offenkundig dokumentiert Pernil Alto eine Zwischenstufe auf dem Weg zu den nur wenige Jahrhunderte später folgenden Hochkulturen. Was veranlasste nun seine Bewohner oder deren Vorfahren, sich am Rio Grande niederzulassen und Feldbau zu betreiben? Eine mögliche Antwort wissen die Heidelberger Geografen. Sie entdeckten ausgedehnte Vorkommen von Löss am Fuß der Anden bei Palpa und datierten diese Ablagerungen mittels Optisch Stimulierter Lumineszenz auf die Zeit zwischen 10 000 und 2000 v. ehr. Löss entsteht aus Staub, kann sich also nur bilden, wenn eine dichte Grasdecke das feine Material auffängt - und das setzt eine entsprechende Menge Regen voraus. Mit der globalen Erwärmung nach dem Ende der letzten Eiszeit nahm tatsächlich weltweit die Luftfeuchte zu. Spätestens um 2000 v. ehr. endete jedoch die Lössbildung. Das ist ein klarer Hinweis auf immer trockenere Bedingun- fluktuierender Wüstenrand während der Frühen Zwischenperiode (Nasca-Ku};Ur; 200 v. Fhr.- VP⦅セN@ Chr.) ddJ'! Wüstenrand während der Späten Zwischenperiode (ca. 1000-1400 n. Chr.) Meter über NN .. Sommerregen オョ、wゥ ;--- Wüstenrand ", i heutiger ", " stenrand - -1-:"1/..,-'/- -r- b;w, .800 " eh., 1 セQャLG^@ セ\Gエゥ[@ \Gセ@ セ@ ell l III III IIIIII III -40 00 Il, ;;)' ,,0' , '1>.;;.,q; absteigende Luft J 3000 \ Gräser und Sträucher iョ⦅セAMjャN ---- i= , -__ d, : ⦅セ セ⦅@ 00")_'_' セ@ ⦅セ , セ@ : kleine I c=::::=::> ..... B@ N B |Q@ ." i : L N@ /\! セ B iャL|ZッM \ ",,0 ",Y> \1 •... ______ ... --f-------------- vereinzelt ャッウセイエ・@ J セ⦅M MセN セ セ⦅NM Landwl!:'schaft auf bewasserten Kaktusf・ャ、セイョ@ gurtel NM M MlNャセ@ .M NMセ MjN@ 10 20 Küstenkordillere ______ J___ Ir ! 3p 40 I,' Ica-Nasca-Senke! 00 セ@ セ@ 1000 IntenSive landWirtschaft in den Flussoasen Sedimentgesteine a __ _ • セ@ 'e kleine Felder mit Bewässerung feldbau セ@ 80 70 90 0 100 km WestfIanke der Anden I aセゥ@ Mセi@ nördliche Atacama -Wüste I Südperu !heutiger Wüstenrand !Übergang zur puna/AltiPlano s Eine Inversionswetterlage an der peruanischen Pazifikküste verhindert, dass über dem Meer Wolken aufsteigen und an land abregnen_ Selbst Nebel gelangt nicht bis ins Andenvorland, so dass dort einzig in Flussoasen Ackerbau möglich ist. Diese führen Wasser, das im Sommer im Hochgebirge als Regen niedergeht_ Globale Klimaveränderungen haben in der Vergangenheit mehrfach lange andauernde Dürren gebracht, in denen sich die Wüste ausbreitete. WWW.SPEKTRUM .OE 2000 -------------r----------[----1---- äiteObe: flachen un / C::::=::> ., ?jlnd',teinplateaus セ lᅱspッャウエセイ vQセィキゥイエウ」。ヲ@ und Bewässerungswirtschaft 7S gen - die Pflanzendecke verschwand. Wie und wann genau das geschah, lässt sich aus den Sedimentanalysen nicht ableiten. An dieser Stelle wollen wir es vorsichtig formulieren: Die Ausbreitung der Wüste könnte die Menschen gezwungen haben, mehr und mehr entlang der Flussoasen zu siedeln, den gezielten Anbau von Nahrungspflanzen zu entwickeln und sich in Dorfgemeinschaften zu organisieren. Pernil Alto ist eine sehr ergiebige Grabungsstätte. Der Platz war offenbar gut gewählt. So konnten wir dort erstmals eine Siedlung der Initialzeit (1500-800 v. Chr.) großflächig ausgraben. Diese Phase der Kulturentwicklung zeichnet sich durch das Aufkommen von Keramik aus. In den 1950er Jahren galt das unter Archäologen noch als Indiz für einen dramatischen Entwicklungsschritt, der den Übergang zur Hochkultur einleitete, daher die Bezeichnung »Initialzeit«. Heute wird dies differenzierter gesehen, wissen wir doch von südamerikanischen Kulturen, die monumentale Bauten errichteten, aber keine Keramikgefäße nutzten, und von Keramik produzierenden Nomaden in Eurasien. Auch die sich anschließende Zeit der Paracas-Kultur (800200 v. Chr.) ließ sich in Pernil Alto dokumentieren. Bislang gab es nur Einzelfunde, die aus Raubgrabungen stammten und in privaten oder öffentlichen Sammlungen zu bewundern sind. Hier kam erstmals eine ganze Siedlung dieser Zeit ans Licht, eingebettet in den stratigrafischen Zusammenhang der vorangehenden und folgenden Epochen. Sie war aber beileibe nicht die einzige. Während dieser Phase lebten immer mehr Menschen in den Taloasen von Palpa. Offenbar herrschten damals am Andenfuß günstige klimatische Bedingungen. Allerdings bevorzugten die Siedler Bereiche, die einen schnellen Zugang zu Wasser boten, wie etwa das gut 60 Quadratkilometer große Gebiet um den Zusammenfluss von Rio Grande, Rio Palpa und Rio Viscas. Wir sehen darin auch ein Indiz dafür, dass Techniken; Flusswasser auf uferferne Felder zu leiten, kaum entwickelt waren. An den Hängen, von den Dörfern aus gut sichtbar, legten die Menschen der Paracas-Kultur erstmals Geoglyphen an, großflächige Scharrbilder mit religiöser Bedeutung. Diese Tradition führte die Nasca-Kultur fort, verwendete aber vor allem geometrische statt figürlicher Motive, vergrößerte die Bodenzeichnungen und verlegte sie auf Plateaus, in die die Flussoasen heute bis über 100 Meter tief eingeschnitten sind. In der Initial-Nasca-Zeit (200 v. Chr. -100 n. Chr.) setzte sich die Kulturentwicklung zunächst fort, doch kristallisierten sich nach wie vor keine örtlichen »Zentren« heraus. Das änderte sich erst in der Frühen Nasca-Zeit (100-300 n. Chr.), der präkolumbischen Blüte der Region Palpa. Dörfer säumten nun fast lückenlos die Talränder (siehe Bilder S. 78). Erste Verwaltungszentren entstehen Besonders begehrt waren Siedlungs- und Ackerflächen am Rand der fruchtbaren Schwemmebene am Treffpunkt der drei Andenflüsse; dort wuchsen erste Siedlungszentren für einige hundert Menschen heran. Das erforderte Organisation, was in der Geschichte der Menschheit immer wieder der Nährboden war, auf dem sich Verwaltung und Herrschaft entwickelt haben. Und so unterschieden sich diese Orte von den einfachen bäuerlichen Siedlungen mit ihren lehmverputzten Schilfhütten durch eine planvolle Anlage und massive Bauten mit bis zu einem Meter dicken Mauern aus luft- IMPRESSUM leser- und Bestellservice: Helga Em merich, Sabine Hausser. Ute Park, Te\. 062219126-743. E- Mait: se rv ice@spektrurn.com Vertrieb und Abonnementverwaltung: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH. clo ZENIT Pressevertrieb GmbH. 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Operations and Administration fイjョHヲセウ@ Newburg. Vlce President. Financc. and Business Development: Michael Florek. Mana gi ng Director. Consumer Marketing: Christian Dorbandt. Vice Pres ident and Publisher Bruce Brandfon SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT· SPEZIAL 2/2011: IM BANN DER WUSTE Am Fundort Pernil Alto nahe Palpa wurde eine Siedlung aus dem 4. Jahrtausend v. ehr. ausgegraben. Zu erkennen sind die runden und ovalen Eintiefungen der Grubenhäuser sowie die kleinen Grabund Speichergruben. getrockneten Lehmziegeln. Im Hauptsiedlungszentrum des Nasca-Tals entstand mit Cahuachi um die Zeitenwende sogar ein Kultort von überregionaler Bedeutung: 24 Quadratkilometer groß, ausgestattet mit sechs Stufenpyramiden, die bis zu 30 Meter hoch aufragten, sowie etlichen weiteren Gebäuden. Aus archäologischer Sicht legt das den Schluss nahe, dass die Flüsse im Siedlungsgebiet ausreichend Wasser führten und eine intensive Landwirtschaft betrieben wurde. Doch zu Beginn der Mittleren Nasca-Zeit (300-450 n. Chr.) müssen sich die Lebensverhältnisse dramatisch verschlechtert haben. Orte wurden aufgegeben, die Zentren zum Gebirge hin verlegt. Wie Funde von Keramik zeigen, war es schon immer Brauch, auf den Bodenzeichnungen Opfer darzubringen. Diese Ritualhandlungen fanden nun offensichtlich häufiger und mit größerem Zeremoniell statt. Insbesondere in der Späten Nasca-Zeit (450-600 n. ehr.) wurden auf den Bodenzeichnungen kleine Plattformen, Altäre und Tempel errichtet (siehe Bild S. 73). Unter den Opfergaben fanden wir Überreste von Feldfrüchten sowie Krebse und diverse Muscheln, insbesondere Stachelaustern (Spondylus). Sie galten im Andenraum schon seit den frühesten Kulturstufen als Symbol für Fruchtbarkeit - und Wasser. Alles deutet darauf hin, dass die kostbare Ressource knapp wurde. Wie Flusssedimente zeigen, erreichte die Trockenheit um 600 n. Chr. ihr Maximum. Bertil Mächtle vom Heidelberger Geographischen Institut hat unsere Befunde mit Daten aus dem gesamten Andenraum verknüpft. Demnach geht die Ausdehnung der Wüste in die Anden-Westkordillere hinein auf übergeordnete Veränderungen des atmosphärischen Zirkulationsmusters zurück. Zur Zeit des Mittleren Horizonts (600 - 1000 n. Chr.) - einer Phase mit weit gehend einheitlichen Fundmerkmalen fast im gesamten Andenraum - existierten in der Region Palpa nur noch wenige Orte (siehe Bild S. 78). Als regional unterscheidbare Kultur ist in dieser Zeit im Gebirge von Zentralperu die Huari-Kultur entstanden. Ein paar Gräber und Lagerplätze im Untersuchungsgebiet an der WWW.SPEKTRUM .DE Küste konnten wir ihr zuordnen. Offenbar wurden die Täler von Palpa nur noch als Durchgangsstation auf dem Weg zur Küste genutzt - die Huari beschafften sich dort wohl Rohstoffe oder trieben Handel. Die Situation änderte sich erst wieder in der Späten Zwischenperiode (1000-1400 n. Chr.), nun aber offenbar sehr dynamisch: Große, fast stadtartige Siedlungen entstanden, und das zum Teil in der heute extrem trockenen Wüste. Offenbar gab es wieder reichlich Regen. Im benachbarten Santa-Cruz-Tal konnten wir in Trockentälern zudem Anlagen identifizieren, wie sie beispielsweise aus Indien und Pakistan als Khadin bekannt sind (siehe Grafik unten) : Dämme quer zum Talgrund stauten das Wasser, das dort nur in der Regenzeit abfloss. Dahinter lagerte sich Sediment ab, das den Niederschlag speicherte. So entstanden fruchtbare Ackerflächen, die sich Jahr für Jahr erneuerten (siehe auch die Beiträge S. 32 und S. 38). Anhand ähnlicher Anlagen in Afrika oder Asien schätzte Mächtle die durchschnittliche Niederschlagsmenge Mit so genannten Khadins, Anlagen, um Wasser zu stauen, machten die Bewohner Trockentäler fruchtbar. 77 damals ab: Bei weniger als 150 bis 200 Millimeter pro Quadratmeter hätten sich die Talsperren nicht gelohnt. bei deutlich mehr Niederschlag wären sie von den herabschießenden Wasserfluten zerstört worden. Woher kamen die Neusiedler? Und wohin waren die früheren Bewohner entschwunden? Hatten sie sich, um der Trockenheit zu entkommen, immer weiter nach Osten zurückgezogen, also vom Andenvorland ins Gebirge? Auf diese Je nach Klima nutzten die Menschen die Palpa-Region unterschiedlich über die Jahrhunderte. In der feuchteren Paracas-Zeit erschlossen beispielsweise Neusiedler die Flussoasen der Täler, in der Frühen Nasca-Zeit entstanden Zentren flussabwärts, im Mittleren Horizont war das Land weit gehend entvölkert, in der Späten Zwischenperiode entstanden Großsiedlungen. 78 Fragen gab es bis vor Kurzem keine Antworten. Denn das Hinterland Palpas, die bis in 4500 Meter Höhe über dem Meeresspiegel reichende Anden-Westkordillere, war archäologische Terra incognita. Deshalb konzentriert sich das Projekt in der zweiten Phase auf diesen Bereich. Carolina Hohmann von der KAAK entdeckte bei systematischen Feldstudien eine unerwartet große Zahl an Siedlungsplätzen aus allen Zeitstufen. Besonders interessant war ein Felsüberhang (fachlich: Abri) am Cerro Llamoca in mehr als 4000 Meter Höhe; er gab einst Gruppen von Jägern und Sammlern Schutz. Eine Testgrabung erbrachte zwei Holzkohlestücke, mutmaßlich aus Feuerstellen, die sich mit der Radiokohlenstoffmethode auf etwa 8000 v. Chr. datieren ließen. Im Umfeld von Abri und Berg kamen zudem etliche Artefakte zu Tage. darunter Werkzeuge aus feinkristallinem Kalkgestein, die ihrer Machart nach wohl der Pa- SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT· SPEZIAL 212011 : IM BANN DER WÜSTE Am Ende des Anden-Transekts, in 4500 Meter Höhe, befindet sich der Cerro Llamoca, ein Felsmassiv aus vulkanischem Gestein, das in vors panischer Zeit als heiliger Berg verehrt wurde. An seinem Fuß entspringen Quellen, die ein ausgedehntes Hochmoor entstehen ließen. Es ist über Jahrtausende gewachsen und dadurch ein hervorragendes Klimaarchiv. läoindianischen Phase (11000-8000 v. Chr.), also der frühesten Siedlungsphase Südamerikas, zuzuordnen sind. Mehrere Quellen speisten und speisen ein Moor (siehe Fotos auf dieser Seite), in dem Mensch und Tier auch in derTrockenzeit Wasser und Nahrung fanden. Im Lauf der Jahrtausende entstand dank der ständigen Durchfeuchtung eine durchgehende Pflanzendecke, in der sich Pflanzenreste und Pollen erhalten haben - ein wunderbares Klimaarchiv. Der Heidelberger Geograf Markus Forbriger hat es gemeinsam mit Karsten Schittek untersucht, einem Mitarbeiter aus dem Team von Frank Schäbitz von der Universität Köln, Experten für die Analyse von Pollen aus Südamerika. Feucht- und Trockenzeiten im Pollen bild Zunächst erkundeten die Heidelberger Wissenschaftler den Aufbau des Moors mit geoelektrischen Widerstandsmessungen, dann entnahmen sie Bohrkerne aus bis zu zehn Meter Tiefe (siehe Bild rechts). Darin fanden sich abwechselnde Lagen von Pflanzenmaterial und Sedimenten. Letztere deuten auf Phasen hin, in denen die Pflanzendecke wegen größerer Trockenheit nicht dicht genug war, um bei Starkregen das Einschwemmen von Sand zu verhindern. Noch mehr Details lieferte die Analyse der Pflanzenreste und Pollen. Grasarten zeigten feuchte Bedingungen an, Strauchvegetation hingegen ein trockenes Klima. So rekonstruierten wir die Abfolge von Feucht- und Trockenzeiten bis auf wenige zehn Jahre genau . Dazu wurden bislang mehr als 100 Proben aus verschiedenen Tiefen mit der Radiokohlenstoffmethode datiert. Nun endlich fanden wir bestätigt, was wir längst vermutet hatten : Schon im 4. Jahrtausend v. Chr., etwa zeitgleich mit der Gründung von Pernil Alto im Tiefland, wurde das Klima auch im Hochland trockener. Die Bewohner der zunehmend wüstenhaften Küstenregion waren gezwungen, sich den veränderten Verhältnissen anzupassen. Sie besiedelten die Flussoasen und entwickelten neue Strategien wie den Ackerbau und später in der Paracas-Zeit die Bewässerungswirtschaft. Zu den Überlebensstrategien unter widrigen Klimabedingungen gehörte aber auch die Nutzung des Hochlands, die dann in guten Zeiten die Nahrungsversorgung zusätzlich WWW.SPEKTRUM.DE absicherte. So entdeckte Carolina Hohmann in Höhen über Metern etliche Pferche, die heute noch an den verfallenen Steinmauern zu erkennen sind. Darin weideten einst große Lamaherden. In vorspanischer Zeit lieferten die Tiere Fleisch und Wolle; Lamakarawanen transportierten Güter zwischen Hochland und Küste. Im Untersuchungsgebiet des Anden-Transekts haben wir inzwischen etliche Fernrouten anhand von Wegstationen mit Felsbildern identifiziert. Überraschender als die Pferche sind die ausgedehnten Feldbauterrassen, die viele der von Hohmann entdeckten Niederlassungen umgeben. Zum Teil umfassten sie mehrere Quadratkilometer. Heute ist diese Gegend nur noch dünn besiedelt, die alten landwirtschaftlichen Flächen liegen großenteils brach . Offenbar gab es zu einer früheren Zeit einen hohen Bedarf an Ackerland im Gebirge. Möglicherweise dienten die Terrassen in feuchten Phasen dazu, den Boden vor Auswaschung zu bewahren und überschüssiges Wasser abzuführen; in trockeneren halfen sie, die wenige Feuchtigkeit besser zu nutzen. Inmitten solcher Terrassen lag Cutamalla, ein Siedlungsplatz aus der Paracas-Zeit (siehe Bild S. 80 unten). Bei Ausgra3800 Eine Sonde wird in das gut zehn Meter mächtige Hochmoor vom Cerro Llamoca gerammt. Die in den Bohrkernen enthaltenen pflanzen- und Pollenreste verraten viel über die klimatischen und landschaftlichen Veränderungen während der letzten Jahrtausende. 79 80 SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT· SPEZIAL 212011: IM BANN DER WUSTE bungen brachten wir eine Architektur zum Vorschein, die bislang in Südamerika einmalig ist. Gewissermaßen das Grundmodul von mindestens zehn Gebäudekomplexen bildete ein vertiefter runder Platz von etwa 25 Meter Durchmesser, der von O-förmigen Bauten umgeben war, so dass sich ein blütenförmiger Grundriss ergab. Innerhalb der D-förmigen Bauten kamen ausgemauerte Schächte zu Tage, die wir als Speicher deuten. Denselben Zweck dürften etliche Gruben im Innenhof erfüllt haben. Wir entdeckten zwar zahlreiche Werkze uge und Pflanzenreste, können derzeit aber noch nicht sagen, was dort oben angebaut, verarbeitet und gelagert worden ist. Denkbar wäre, dass hier eine Agrarkolonie für die Paracas-Siedlungszentren an der Küste beispielsweise Mais anbaute. Die Bedingungen waren ideal: Die Heidelberger Geografen fanden äußerst fruchtbare, sehr nährstoff- und humusreiche Böden, wie sie vor allem aus den Steppen Nordamerikas und Eurasiens bekannt sind. Die Huari - eine Kultur des Hochlands Auch in der gleichfalls im Hochland liegenden Siedung Huayuncalla sind solche Kreisanlagen zu erkennen. Auf deren Ruinen hatten die Menschen der Nasca- und dann der HuariKultur ihre Häuser errichtet. Alles deutet darauf hin, dass immer mehr Siedler während der Mittleren und Späten NascaZeit ins Hochland gekommen waren, möglicherweise wegen der zunehmenden Trockenheit an der Küste. Vermutlich intensivierten sie bestehende Kontakte zu Gruppen im Altiplano, also im Gebiet zwischen West- und Ostkordillere. Diese Gruppen, aus denen die Huari-Kultur des Mittleren Horizonts hervorging, dehnten nun ihr Siedlungsgebiet nach Westen aus, übernahmen die Nasca-Dörfer und stießen ihrerseits bis in die Küstenregionen vor. Dass dort kaum Siedlungen von ihnen auszumachen sind, legt den Schluss nahe: Für die Huari war die Küste nicht als Lebensraum interessant; sie wollten nur ihre Produkte eintauschen, zum Beispiel gegen Baumwolle und Pfeffer. [n Huayuncalla lässt sich die Ankunft der Huari-Mensehen an der charakteristischen rechteckigen Form ihrer öffentlichen Gebäude und Sonderbauten erkennen. Am höchsten Punkt der Siedlung haben wir beispielsweise zwei Grabanlagen frei gelegt. Beide bestanden aus einem Rundbau mit einer rechteckigen Ummauerung. In jedem Gebäude gab es eine Kammer, in der jeweils etwa 20 Personen beigesetzt worden waren. Dabei handelte es sich um Sekundärbestattungen - die Leichen waren an einem anderen Ort verwest. Als Beigaben fanden wir Keramikgefäße und - auch das war neu in der Huari-Zeit - eine große Anzahl von Kupfer- und Goldobjekten (siehe Bild S. 82). Es ist noch nicht klar, ob die Metalle aus den Küstengebieten oder aus dem Hochland stammen. In jedem Fall spielten sie in der Wirtschaft der Huari-Kultur eine bedeutende Rolle. Über die engen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Hochland und Küste an der Westflanke der Anden hatten zwar schon die spanischen Eroberer berichtet. Allerdings WWW.SPEKTRUM .DE Dieses Gefäß entdeckten die Archäologen in einem der Gräber, die in der Siedlung Huayuncalla innerhalb von Rundbauten angelegt worden waren. Die 14,5 Zentimeter große Keramik stellt einen jungen Mann der Huari-Kultur (600-1000 n. ehr.) dar, der ein gestreiftes Hemd, Hals- und Nasenschmuck trägt. sind diese Beziehungen noch nie so umfassend durch siedlungsarchäologische Untersuchungen nachgewiesen worden wie im Projekt Anden-Transekt. Zusätzlich unternahm der Anthropologe Lars FehrenSchmitz vom Institut für Historische Anthropologie und Humanökologie der Universität Göttingen paläogenetische Studien an den Überresten von mehr als 150 Individuen. Bei den Hochlandpopulationen stellte er nur geringe genetische Unterschiede fest - man blieb unter sich. Für die Küstenpopulationen galt das aber wohl nur während der Paracas- und der Nasca-Zeit, in denen sich der Genpool noch deutlich von dem der Gebirgsregionen unterschied. Ab der Späten Zwischenperiode war das nicht mehr der Fall. Dieser Befund bestätigt unsere Vermutung, dass die Wiederbesiedlung der Andenfußzone ab 1000 n. Chr. vom Hochland ausging. Unklar hingegen ist noch, wohin die Bewohner des Tieflands um 600 n. Chr. zogen, als eine lang anhaltende Trockenheit das Ende der Nasca-Kultur besiegelte. Fest steht, dass der Genpool im Tiefland trotz der schwindenden Bevölkerung nicht verarmte und im Hochland keine genetischen Spuren der Tieflandbewohner nachweisbar sind. Das spricht dafür, dass sich die Nasca-Menschen in die verbliebenen, weit auseinanderliegenden Gebiete mit ausreichender Feuchtigkeit zurückzogen. Mit der Zeit wäre der Kontakt zwi81 In der Zeit des Mittleren Horizonts (600-1000 n. ehr.) erlangte die Metallverarbeitung große Bedeutung. In Grabanlagen der Siedlung Huayuncalla wurden zahlreiche Objekte aus Gold und Kupfer gefunden, darunter Scheiben aus Goldblech mit einfachen Verzierungen (oben) sowie Fibeln und Knebel aus Kupfer (unten). schen ihnen abgebrochen, was die konstante genetische Vielfalt erklären würde. Nicht auszuschließen ist aber, dass ein Teil der Bevölkerung ins Hochland abwanderte. Da die Frauen nicht an Höhen von mehr als 2500 Metern angepasst waren, ist vermutlich in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft nur jedes zweite Kind lebend zur Welt gekommen und ihr Beitrag zum Genpool der Hochlandbewohner deshalb verschwindend gering geblieben. Nach gut zwei Generationen ließe sich so die Abstammung aus dem Tiefland nicht mehr nachweisen. Isotopenanalysen sollen bald Klarheit bringen. Dazu hat die Forschergruppe von Stefan Hölzl der Bayerischen Staatssammlung für Geologie und Paläontologie Referenzproben im Untersuchungsgebiet genommen. Beispielsweise gibt das Mengenverhältnis der Strontiumisotope im Zahnmaterial Auskunft über den Lebensraum während der Kindheit. Das erlaubt Rückschlüsse auf die Herkunft eines Verstorbenen. Noch sind viele Fragen offen, doch erweist sich schon jetzt, dass Klimaänderungen entscheidend zum Aufstieg und Niedergang der Hochkulturen im Süden Perus beitrugen. Schon ein geringer Rückgang des Niederschlags bewirkte, dass sich die Wüste kräftig ausdehnte. In feuchteren Phasen ging sie bis auf einen wenige zehn Kilometer breiten Streifen entlang der Pazifikküste zurück. Fast immer waren die Flussoasen ein attraktiver Siedlungsraum. Bei feuchterem Klima konzentrierte sich die Bevölkerung in den bewässerbaren Trockentälern des Andenvorlands. Zu fast allen Zeiten gab es auch Siedlungen in den Hochland regionen, doch vor allem, um die Tieflandorte mit Fleisch, Gemüse und Getreide versorgen zu helfen. Das änderte sich erst in der Huari-Zeit beziehungsweise im Mittleren Horizont, als die große Trockenheit die meisten Menschen aus dem Andenvorland vertrieb. Die Verbliebenen deckten einen Teil ihres Nahrungsbedarfs durch den Handel mit den Huari. Als es dann in der Späten Zwischenperiode wieder feuchter wurde, entwickelte sich die Westflanke der Anden bis hinunter in die heutige Küstenwüste erneut zu einem eigenständigen Lebens- und Wirtschaftsraum - dank der eingewanderten Hochlandbewohner. An keinem anderen Ort in Amerika ließen sich die Wechselwirkungen zwischen Klima- und Kulturentwicklung bis- 82 her so detailliert nachweisen wie im Untersuchungsgebiet des Projekts Anden-Transekt. Die Ergebnisse bestätigen frühere Befunde über den Einfluss klimatischer Veränderungen auf kulturelle Umbrüche in verschiedenen Regionen der Neuen Welt. So war wohl die extreme Trockenphase nach dem 6. Jahrhundert n. Chr. mitverantwortlich für die Krise der Maya-Kultur in Mesoamerika, und im Titicacabecken führten Klimaverschlechterungen zum Niedergang der dortigen Tiahuanaco-Kultur ab dem 10. Jahrhundert n. Chr. Nach dem Vorbild des interdisziplinären Anden-Transekts empfiehlt sich daher gerade bei regionalen Fragestellungen, klimatische und landschaftliche Veränderungen als mögliche Einflussfaktoren in Betracht zu ziehen. セ@ DIE AUTOREN Der Archäologe Markus Reindei (link s) ist Referent für Amerika bei der Kommission für die Archäologie Außereuropäischer Ku Itu ren (KAAK) des Deutschen Archäologischen Instituts in Bonn . Nach Forschungsprojekten in Mexiko, Ecuador und Peru führt er seit 1997 in Süd peru interdisziplinäre Forschungen zur Siedlungsarchäologie und Geoarchäologie im Nasca-Gebiet durch. Der Geograf Bernhard Eitel ist Rektor der Universität Heidelberg und war zuvor Direktor des Geographischen Instituts der Universität. Das Projekt »Anden-Transekt« wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. QUELLEN Eitel, B. et al.: Geoarchaeo logical Evidence from Desert Loess in the Nazca-Palpa Region. Southern Peru : Palaeoenvironm ental Changes and their Impact on Pre-Columbian Cultures. In : Archaeometry 47. S. 137-158. 2005 Mächtle, B., Eitel, B.: Holozäne Umwelt- und Kulturentwi cklung in der nördlichen Atacama (mit einem Exkurs zum »Neodeterminismus-Paradigma«).ln: Nova Acta Leopoldina NF 108. S. 109-124, 2°°9 Reindei, M.: Jahresberichte des Deutschen Archäologi schen Instituts. Ausgrabungen und Fo rschungen der Kommission für Allgemeine und Vergleichende Archäologie, Bonn. In : Archäologischer Anzeiger 2003-2010 Reindei, M.: Archäologische Forschungen der Jahre 2007 und 2008 im Anden-Transekt, Süd -Peru . In: Zeitschrift für Archäologie Außereuropäischer Kulturen 3, S. 207-224. 2010 Reindei, M., Wagner, G.A. (Hg.): New Technologies for Archaeology. Multidisciplinary Investigations in Palpa and Nasca. Peru. Springer, Heidelberg. Berlin, New York 2009 WEBLINK Weblinks und weitere Informationen finden Sie im Internet: www.dainst.org/anden-transekt SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT· SPEZIAL 2/2011: IM BANN DER WÜSTE