I N HALT
ÄGYPTEN I
セ@
6
In der »Höhle der Bestien«
Rudolph Kuper
Norbert Benecke und Reinder Neej
Felsbilder in der Libyschen Wüste
berichten von einer Zeit, in der
die Sahara noch grün war. Ob diese
Kultur jene des alten Ägypten
prägte, als zunehmende Trockenheit die Menschen ins Niltal
drängte, darüber rätseln Forscher
noch
Im 4. Jahrtausend v. Chr. boomte
die Kupfer- und Schmuckindustrie
in Tell Hujayrat al-Ghuzlan, einer
Siedlung am Golfvon Akaba.
Archäobiologen versuchen zu
verstehen, wie ein solches Gemeinwesen mitten in der Wüste
Bestand haben konnte
JORDANIEN I
ÄGYPTEN 11
14 Die ersten Karawanen
4
PAKISTAN
JORDANIEN 11
32 Die Induskultur - vom Hochland zur Schwemmebene
18 Trauben in der Wüste
Ute Franke
22 Kollaps oder Niedergang?
Bis heute gibt die Entstehung der
frühen Hochkultur am Indus den
Archäologen Rätsel auf. War sie
etwa ein Import aus Mesopotamien? Ausgrabungen im trockenen
Hochland zeigen : Ihre Wurzeln
hatte diese Zivilisation am Oberlauf
des großen Stroms
JEMEN
セ@
38 Wasser in der Wüste
Bemd Müller-Neuhoj
Miroslav Borta
Seit der Jungsteinzeit durchquerten
Nomaden mit ihren Herden die
Wüstensteppen Vorderasiens. Mit
den Jahrhunderten erschlossen
sie ein Handelsnetz, das die Ansiedlungen in den fruchtbaren Gebieten durch Lasttiere miteinander
verband
und Klaus-Dieter Linsmeier
Iris Gerlach
Was läutete einst das Ende des
Alten Reichs ein? Manche Experten
glauben an ein allmähliches Siechtum infolge gesellschaftlicher Fehlentwicklungen, andere an einen
plötzlichen Zusammenbruch auf
Grund eines Klimawandels
Das legendäre Königreich von Saba
verdankte seinen Reichtum nicht
nur dem Weihrauchhandel- sondern auch dem Knowhow in der Bewässerungstechnik. Kein Wunder,
dass der Große Damm von Marib
heute eine Touristenattraktion ist!
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT· SPEZIAL 212011: IM BANN DER WÜSTE
ÄTHIOPIEN
44 Kolonisation oder
Kulturtransfer?
Pawel Wolf
Ein Heiligtum des sabäischen
Reichsgottes Almaqah wirft ein
neues Licht auf eine alte Diskussion: Gründeten arabische Kaufleute im fruchtbaren Hochland am
Horn von Afrika eine Kolonie?
Oder importierten einheimische
Könige sabäische Traditionen?
SUDAN
50 HamadabLeben am oberen Nil
Pawel Wolf
Unweit der prächtigen Tempel
und Paläste von Meroe stießen
Archäologen auf die Ruinen einer
Kleinstadt - jetzt erforschen sie
den Alltag des Mittelstands im
Reich von Kusch
WWW.SPEKTRUM.DE
SYRI EN
セ@
58 Resafa - Pilgerstadt
und Kalifenresidenz am Rand
der Wüste
Dorothee Sack und MarUn Gussone
Noch heute beeindrucken die Ruinen von Resafa, Kultstätte des von
Christen und Muslimen gleichermaßen verehrten Märtyrers Sergios.
Der Aufstieg zu einem Pilgerzentrum der Spätantike ermöglichte
den Bau prächtiger Basiliken, erforderte aber auch die Anlage großer
Zisternen zur Wasserversorgung
PERU
72 Kulturentwicklung als
Überlebensfrage
Markus Reindei und Bernhard Eitel
Im Großprojekt »Anden-Transekt«
gehen Archäologen und Naturwissenschaftler der Frage nach: Wie
entstanden die ersten Hochkulturen Südamerikas - und was war der
Grund für ihren Untergang?
SOI\JSTIGES
NORDAFRIKA
66 Barbaren der Wüste
Philipp von Rummel
Nachdem Roms Nordgrenze dem
Ansturm der »Völkerv"anderung«
nachgegeben hatte, begann in den
nordafrikanischen Provinzen die
Zeit der Vandalen und Mauren
3 Editorial
76 Impressum
Tite/motiv: Bridgeman Berlin / Brooklyn
Museum of Art, New York (Pepi I. Statue),
Fotolia / Khorixas (Hintergrund)
Die auf der Titelseite angekündigten Themen
sind mit セ@ gekennzeichnet
5
72
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT · SPEZIAL 212011 : IM BANN DER WÜSTE
Im Großprojekt »Anden-Transekt« gingen
und gehen Archäologen gemeinsam
mit l\Jaturwissenschaftlern der Frage nach:
Wie entstanden die ersten Hochkulturen
Südamerikas - und was war der Grund für
ihren Untergang?
Von Markus ReindeI und Bernhard Eitel
ünf Millimeter Niederschlag fallen in der Atacama
im Jahresdurchschnitt pro Quadratmeter; hier zu
Lande geht diese Menge in wenigen Stunden nieder.
Damit zählt die Wüste, die sich vom Norden Chiles
entlang der peruanischen Küste bis an die Grenze zu Ecuador
erstreckt, zu den trockensten der Erde. Und dennoch hat gerade diese unwirtliche Region die ersten Monumentalbauten
in der Neuen Welt hervorgebracht: In Orten wie Caral, Aspero
und Sechin Bajo entstanden schon um 3000 v. Chr., lange
vor der Zeit der Inka, Tempel und Repräsentationsbauten.
Wie sich diese Entwicklung zur Hochkultur vollzog, welche
Einflüsse den Prozess förderten, verstehen Archäologen aber
erst in Ansätzen.
Sicher profitierten die Menschen vom Fischreichtum der
Pazifikküste und damit ausgerechnet von einem der Gründe
für die große Trockenheit: Das kalte Wasser des Humboldtstroms trägt zu einer stabilen Luftschichtung bei, und die
verhindert, dass Feuchtigkeit über dem Meer aufsteigt und
zur Küste transportiert wird. Doch auf der anderen Seite
ist das kalte Wasser reich an Nährstoffen - und damit an
Meerestieren. Die ältesten Fischerdörfer stammen aus dem
10. Jahrtausend v. Chr. Den Flüssen folgend, die den Niederschlag abführen, der während der Sommermonate in den
Anden fällt, gelangten die Menschen ins Landesinnere.
Wann aber begann in solchen Flussoasen der Ackerbau?
Und reichte der mutmaßlich rege Warenaustausch zwischen
Küste und Hinterland schon, um Entwicklungen anzustoßen,
WWW.SPEKTRUM.DE
73
Das Untersuchungsgebiet des
Projekts »Anden-Transekt«
umfasst die Region Palpa im
Süden Perus. Von der Küstenwüste ausgehend reicht es
bis ins Andenhochland.
die in hierarchisch strukturierten Gemeinschaften mündeten, wie sie der Bau von Monumentalarchitektur nun einmal
voraussetzt?
Noch vor wenigen Jahrzehnten hätte kaum ein Archäologe bei der Suche nach Antworten Klimaänderungen ins Spiel
gebracht. Das Klima galt seit dem Beginn unserer Warmzeit
(Holozän) vor gut 12000 Jahren als stabil. Dank neuer Untersuchungstechniken wissen wir aus vielen Teilen der Welt,
dass dem nicht so ist und dass globale Klimaänderungen
Kulturen ebenso hervorgebracht wie auch zerstört haben.
Seit 2002 kombiniert das Projekt »Anden-Transekt« deshalb
Methoden der Natur- und der Geisteswissenschaften, um die
Wechselwirkungen zwischen Umwelt- und Kulturentwicklung im Detail zu erforschen (als Transekt bezeichnet man
bei geologischen oder ökologischen Felduntersuchungen
eine Abfolge von Datensätzen und Untersuchungsorten entlang eines Landschaftsquerschnitts). Die archäologische Forschung liegt dabei vor allem in der Hand der Kommission für
die Archäologie Außereuropäischer Kulturen (KAAK) des
AUF EINEN BLICK
KULTURENTWICKLUNG IM PROFIL
1n Mittel- und Südamerika erblühten frühere Hochkulturen vor
allem in Regionen, in denen heute nur wenig Niederschlag fällt,
zum Beispiel in der peruanisehen Küstenzone mit der Atacama.
1
2
Die Auflösung dieses Widerspruchs scheiterte bisher daran,
dass Method en fehlten, um vorgeschichtliche Klimawechsel zu
erkennen und zu datieren.
Das »Anden-Transekt« ist ein interdi sziplinäre s Forschungsprojekt. Entlang einer gedachten Linie von der peruanischen
Küste bis ins Andenhochland untersuchen Geoarchäologen die
Siedlungsgeschichte in Verbindung mit den jeweiligen Umweltbedingungen. Auf diese Weise setzen sie Kultur- und Klimaentwicklung miteinander in Beziehung.
3
74
Deutschen Archäologischen Instituts. Bei der Klima- und
Umweltforschung sind die Geografen der Universität Heidelberg federführend.
Peru gilt als Modellregion für ganz Südamerika: denn von
der Küstenwüste bis zu den schneebedeckten Gipfeln folgen
auf kaum 100 Kilometern sehr unterschiedliche Lebensräume aufeinander. Dem Andenvorland mit seinen tief in alte
Ablagerungen eingeschnittenen Flusstälern gilt dabei besonderes Interesse, weil die Übergangszonen zwischen Wüste
und semiarider Gebirgslandschaft nach heutigem Wissen
sehr empfindlich auf Klimaschwankungen reagieren - wird
es feuchter, zieht sich die Wüste zurück, umgekehrt wächst
sie in die Anden hinein.
Als Modellregion für Peru wählten wir die im Süden des
Landes gelegene Region Palpa mit den drei Flüssen Rio Grande, Rio Palpa und Rio Viscas, von denen nur Ersterer ganzjährig Wasser führt. Zwar hat dort keine der Hochkulturen große
Tempelanlagen oder besonders reich ausgestattete Gräber
hinterlassen - Palpa lag stets am Rand ihrer Einflussphären.
Dafür unterlag es aber nicht dem Einfluss EI Ninos, eines Klimaphänomens, das immer wieder das nördliche Peru heimsucht. Normalerweise bringen nur die Flüsse Wasser. Das
stammt aus dem Hochland, wo im Sommer feuchte Luftmassen abregnen, die über dem Amazonasbecken aufsteigen. EI Nino durchbricht diese Regel und bringt verheerende
Regenfluten vom anormal erwärmten Pazifik. Diese haben in
der Vergangenheit nicht nur ganze Siedlungen ze rstört, sondern auch - was für das Transekt noch wichtiger ist - durch
Sedimenteinträge die geologischen und archäologischen
Schichten durcheinandergebracht.
In Palpa konzentrierten wir uns zunächst auf die Küste
und die Flussoasen, die vom Vorland bis in den Andenfuß
reichen. Gemeinsam mit unserem peruanisehen Kollegen
lohny Isla entdeckten wir eine nahezu lückenlose Abfolge
von Siedlungen, die von den frühesten Formen sesshafter
Lebensweise bis zu Dörfern der Inka-Zeit im 15. Jahrhundert
reichte. Darunter ist Pernil Alto am Rio Grande die bisher
älteste Stätte (siehe Karte oben und Bild S. 77); der Ur- und
Frühgeschichtler Hermann Gorbahn von der Universität Kiel
untersucht sie im Rahmen seines Promotionsvorhabens.
Wie Radiokohlenstoffdatierungen belegen, entstand das
Dorf im 4. Jahrtausend v. Chr., in der Chronologie Südamerikas Archaikum genannt (alle im Artikel erwähnten Radiokohlenstoffdatierungen wurden von Bernd Kromer vom Institut
für Umweltphysik der Universität Heidelberg und vom Klaus
Tschira-Labor des Curt-Engelhorn-Zentrums Archäometrie
in Mannheim vorgenommen) . Die Menschen bauten runde
bis ovale Grubenhäuser. Wie der Name besagt, waren diese
Hütten leicht in den Boden eingetieft; darüber stand eine
Konstruktion aus Ästen, mit Blättern oder Gras bedeckt, die
Schutz vor Wind und nächtlicher Kühle bot.
Weil zwischen den Hütten große Flächen frei gelassen
wurden, auf denen Gorbahn Feuerstellen nachweisen konnte, vermutet er, dass der Alltag der Dorfbewohner dort stattfand. Diese ernährten sich zum einen von Pflanzen. Reib-
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT· SPEZIAL 2/2011: IM BANN DER WÜSTE
steine und Mörser wurden ausgegraben. Archäobotaniker
untersuchen derzeit das daran noch haftende Material. Identifiziert haben sie schon Bohnen, die in getrocknetem Zustand erhalten blieben. Die Bewohner von Pernil Alto verstanden es offenbar nicht nur, Körner zu mahlen und weiterzuverarbeiten, sondern betrieben schon Landwirtschaft.
Dass die Jagd zudem nach wie vor eine Rolle spielte. verraten
Bruchstücke von Hirschgeweihen. Aber auch Meerschweinchen wurden verzehrt. Schalen von Meeresmuscheln kamen
zum Vorschein, erstaunlicherweise jedoch bislang keine
Fischgräten. Ob die Muscheln - gesalzen oder getrocknet selbst beschafft oder von Händlern gebracht und eingetauscht wurden, lässt sich nicht eindeutig sagen.
Parallelen zur Alten Welt
Unserer Ansicht nach lebten die Menschen von Pernil Alto
zwar schon weit gehend sesshaft, waren aber immer noch
sehr mobil. Als Indiz dafür deuten wir auch zwei Pfeilspitzen,
etliche Abschläge und Steinkerne von Obsidian, denn der
harte Werkstoff wurde im Hochgebirge abgebaut.
Nicht nur die Bauweise der Hütten und die Wirtschaftsaktivitäten zeigen eine erstaunliche Ähnlichkeit mit denen,
die in den ältesten Siedlungen der Alten Welt gut sechs Jahr-
tausende früher entwickelt wurden. Es gibt auch Parallelen
in den Bestattungssitten: Wie etwa in Jordanien, Syrien oder
in der Türkei setzte man die Toten im Hüttenboden bei. Eine
gut erhaltene Kindermumie zeigt, dass die Körper dort beigesetzt wurden - der Skelettverband war gut erhalten - und
nicht zuerst an einem anderen Ort verwesten und dann umgebettet wurden, wie es später im Hochland üblich war.
Offenkundig dokumentiert Pernil Alto eine Zwischenstufe auf dem Weg zu den nur wenige Jahrhunderte später folgenden Hochkulturen. Was veranlasste nun seine Bewohner
oder deren Vorfahren, sich am Rio Grande niederzulassen
und Feldbau zu betreiben? Eine mögliche Antwort wissen die
Heidelberger Geografen. Sie entdeckten ausgedehnte Vorkommen von Löss am Fuß der Anden bei Palpa und datierten
diese Ablagerungen mittels Optisch Stimulierter Lumineszenz auf die Zeit zwischen 10 000 und 2000 v. ehr. Löss entsteht aus Staub, kann sich also nur bilden, wenn eine dichte
Grasdecke das feine Material auffängt - und das setzt eine
entsprechende Menge Regen voraus. Mit der globalen Erwärmung nach dem Ende der letzten Eiszeit nahm tatsächlich
weltweit die Luftfeuchte zu.
Spätestens um 2000 v. ehr. endete jedoch die Lössbildung.
Das ist ein klarer Hinweis auf immer trockenere Bedingun-
fluktuierender Wüstenrand während der
Frühen Zwischenperiode
(Nasca-Ku};Ur; 200 v. Fhr.- VP⦅セN@
Chr.)
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Wüstenrand während der
Späten Zwischenperiode
(ca. 1000-1400 n. Chr.)
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in den Flussoasen
Sedimentgesteine
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kleine Felder mit Bewässerung feldbau セ@
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100 km
WestfIanke der Anden
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Mセi@
nördliche Atacama -Wüste I Südperu
!heutiger Wüstenrand !Übergang zur puna/AltiPlano
s
Eine Inversionswetterlage an der peruanischen Pazifikküste verhindert, dass über dem Meer Wolken aufsteigen und an
land abregnen_ Selbst Nebel gelangt nicht bis ins Andenvorland, so dass dort einzig in Flussoasen Ackerbau möglich
ist. Diese führen Wasser, das im Sommer im Hochgebirge als Regen niedergeht_ Globale Klimaveränderungen haben in
der Vergangenheit mehrfach lange andauernde Dürren gebracht, in denen sich die Wüste ausbreitete.
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und
Bewässerungswirtschaft
7S
gen - die Pflanzendecke verschwand. Wie und wann genau
das geschah, lässt sich aus den Sedimentanalysen nicht ableiten. An dieser Stelle wollen wir es vorsichtig formulieren: Die
Ausbreitung der Wüste könnte die Menschen gezwungen
haben, mehr und mehr entlang der Flussoasen zu siedeln,
den gezielten Anbau von Nahrungspflanzen zu entwickeln
und sich in Dorfgemeinschaften zu organisieren.
Pernil Alto ist eine sehr ergiebige Grabungsstätte. Der
Platz war offenbar gut gewählt. So konnten wir dort erstmals
eine Siedlung der Initialzeit (1500-800 v. Chr.) großflächig
ausgraben. Diese Phase der Kulturentwicklung zeichnet sich
durch das Aufkommen von Keramik aus. In den 1950er Jahren galt das unter Archäologen noch als Indiz für einen dramatischen Entwicklungsschritt, der den Übergang zur Hochkultur einleitete, daher die Bezeichnung »Initialzeit«. Heute
wird dies differenzierter gesehen, wissen wir doch von südamerikanischen Kulturen, die monumentale Bauten errichteten, aber keine Keramikgefäße nutzten, und von Keramik
produzierenden Nomaden in Eurasien.
Auch die sich anschließende Zeit der Paracas-Kultur (800200 v. Chr.) ließ sich in Pernil Alto dokumentieren. Bislang
gab es nur Einzelfunde, die aus Raubgrabungen stammten
und in privaten oder öffentlichen Sammlungen zu bewundern sind. Hier kam erstmals eine ganze Siedlung dieser Zeit
ans Licht, eingebettet in den stratigrafischen Zusammenhang der vorangehenden und folgenden Epochen. Sie war
aber beileibe nicht die einzige. Während dieser Phase lebten
immer mehr Menschen in den Taloasen von Palpa.
Offenbar herrschten damals am Andenfuß günstige klimatische Bedingungen. Allerdings bevorzugten die Siedler
Bereiche, die einen schnellen Zugang zu Wasser boten, wie
etwa das gut 60 Quadratkilometer große Gebiet um den Zusammenfluss von Rio Grande, Rio Palpa und Rio Viscas. Wir
sehen darin auch ein Indiz dafür, dass Techniken; Flusswasser auf uferferne Felder zu leiten, kaum entwickelt waren.
An den Hängen, von den Dörfern aus gut sichtbar, legten
die Menschen der Paracas-Kultur erstmals Geoglyphen an,
großflächige Scharrbilder mit religiöser Bedeutung. Diese
Tradition führte die Nasca-Kultur fort, verwendete aber vor
allem geometrische statt figürlicher Motive, vergrößerte die
Bodenzeichnungen und verlegte sie auf Plateaus, in die die
Flussoasen heute bis über 100 Meter tief eingeschnitten sind.
In der Initial-Nasca-Zeit (200 v. Chr. -100 n. Chr.) setzte sich
die Kulturentwicklung zunächst fort, doch kristallisierten
sich nach wie vor keine örtlichen »Zentren« heraus. Das änderte sich erst in der Frühen Nasca-Zeit (100-300 n. Chr.),
der präkolumbischen Blüte der Region Palpa. Dörfer säumten nun fast lückenlos die Talränder (siehe Bilder S. 78).
Erste Verwaltungszentren entstehen
Besonders begehrt waren Siedlungs- und Ackerflächen am
Rand der fruchtbaren Schwemmebene am Treffpunkt der
drei Andenflüsse; dort wuchsen erste Siedlungszentren für
einige hundert Menschen heran. Das erforderte Organisation, was in der Geschichte der Menschheit immer wieder
der Nährboden war, auf dem sich Verwaltung und Herrschaft
entwickelt haben. Und so unterschieden sich diese Orte von
den einfachen bäuerlichen Siedlungen mit ihren lehmverputzten Schilfhütten durch eine planvolle Anlage und massive Bauten mit bis zu einem Meter dicken Mauern aus luft-
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76
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Bruce Brandfon
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT· SPEZIAL 2/2011: IM BANN DER WUSTE
Am Fundort Pernil Alto nahe
Palpa wurde eine Siedlung
aus dem 4. Jahrtausend v. ehr.
ausgegraben. Zu erkennen
sind die runden und ovalen
Eintiefungen der Grubenhäuser sowie die kleinen Grabund Speichergruben.
getrockneten Lehmziegeln. Im Hauptsiedlungszentrum des
Nasca-Tals entstand mit Cahuachi um die Zeitenwende sogar
ein Kultort von überregionaler Bedeutung: 24 Quadratkilometer groß, ausgestattet mit sechs Stufenpyramiden, die bis
zu 30 Meter hoch aufragten, sowie etlichen weiteren Gebäuden. Aus archäologischer Sicht legt das den Schluss nahe,
dass die Flüsse im Siedlungsgebiet ausreichend Wasser führten und eine intensive Landwirtschaft betrieben wurde.
Doch zu Beginn der Mittleren Nasca-Zeit (300-450 n. Chr.)
müssen sich die Lebensverhältnisse dramatisch verschlechtert haben. Orte wurden aufgegeben, die Zentren zum Gebirge hin verlegt. Wie Funde von Keramik zeigen, war es schon
immer Brauch, auf den Bodenzeichnungen Opfer darzubringen. Diese Ritualhandlungen fanden nun offensichtlich
häufiger und mit größerem Zeremoniell statt. Insbesondere
in der Späten Nasca-Zeit (450-600 n. ehr.) wurden auf den
Bodenzeichnungen kleine Plattformen, Altäre und Tempel
errichtet (siehe Bild S. 73). Unter den Opfergaben fanden wir
Überreste von Feldfrüchten sowie Krebse und diverse Muscheln, insbesondere Stachelaustern (Spondylus). Sie galten
im Andenraum schon seit den frühesten Kulturstufen als
Symbol für Fruchtbarkeit - und Wasser. Alles deutet darauf
hin, dass die kostbare Ressource knapp wurde.
Wie Flusssedimente zeigen, erreichte die Trockenheit um
600 n. Chr. ihr Maximum. Bertil Mächtle vom Heidelberger
Geographischen Institut hat unsere Befunde mit Daten aus
dem gesamten Andenraum verknüpft. Demnach geht die
Ausdehnung der Wüste in die Anden-Westkordillere hinein
auf übergeordnete Veränderungen des atmosphärischen Zirkulationsmusters zurück. Zur Zeit des Mittleren Horizonts
(600 - 1000 n. Chr.) - einer Phase mit weit gehend einheitlichen Fundmerkmalen fast im gesamten Andenraum - existierten in der Region Palpa nur noch wenige Orte (siehe Bild
S. 78). Als regional unterscheidbare Kultur ist in dieser Zeit im
Gebirge von Zentralperu die Huari-Kultur entstanden. Ein
paar Gräber und Lagerplätze im Untersuchungsgebiet an der
WWW.SPEKTRUM .DE
Küste konnten wir ihr zuordnen. Offenbar wurden die Täler
von Palpa nur noch als Durchgangsstation auf dem Weg zur
Küste genutzt - die Huari beschafften sich dort wohl Rohstoffe oder trieben Handel.
Die Situation änderte sich erst wieder in der Späten Zwischenperiode (1000-1400 n. Chr.), nun aber offenbar sehr
dynamisch: Große, fast stadtartige Siedlungen entstanden,
und das zum Teil in der heute extrem trockenen Wüste.
Offenbar gab es wieder reichlich Regen. Im benachbarten
Santa-Cruz-Tal konnten wir in Trockentälern zudem Anlagen
identifizieren, wie sie beispielsweise aus Indien und Pakistan
als Khadin bekannt sind (siehe Grafik unten) : Dämme quer
zum Talgrund stauten das Wasser, das dort nur in der Regenzeit abfloss. Dahinter lagerte sich Sediment ab, das den Niederschlag speicherte. So entstanden fruchtbare Ackerflächen,
die sich Jahr für Jahr erneuerten (siehe auch die Beiträge S. 32
und S. 38). Anhand ähnlicher Anlagen in Afrika oder Asien
schätzte Mächtle die durchschnittliche Niederschlagsmenge
Mit so genannten Khadins, Anlagen, um Wasser zu stauen,
machten die Bewohner Trockentäler fruchtbar.
77
damals ab: Bei weniger als 150 bis 200 Millimeter pro Quadratmeter hätten sich die Talsperren nicht gelohnt. bei deutlich mehr Niederschlag wären sie von den herabschießenden
Wasserfluten zerstört worden.
Woher kamen die Neusiedler? Und wohin waren die früheren Bewohner entschwunden? Hatten sie sich, um der
Trockenheit zu entkommen, immer weiter nach Osten zurückgezogen, also vom Andenvorland ins Gebirge? Auf diese
Je nach Klima nutzten die Menschen die Palpa-Region unterschiedlich über die Jahrhunderte. In der feuchteren Paracas-Zeit
erschlossen beispielsweise Neusiedler die Flussoasen der Täler,
in der Frühen Nasca-Zeit entstanden Zentren flussabwärts,
im Mittleren Horizont war das Land weit gehend entvölkert,
in der Späten Zwischenperiode entstanden Großsiedlungen.
78
Fragen gab es bis vor Kurzem keine Antworten. Denn das
Hinterland Palpas, die bis in 4500 Meter Höhe über dem
Meeresspiegel reichende Anden-Westkordillere, war archäologische Terra incognita.
Deshalb konzentriert sich das Projekt in der zweiten Phase
auf diesen Bereich. Carolina Hohmann von der KAAK entdeckte bei systematischen Feldstudien eine unerwartet große Zahl an Siedlungsplätzen aus allen Zeitstufen. Besonders
interessant war ein Felsüberhang (fachlich: Abri) am Cerro
Llamoca in mehr als 4000 Meter Höhe; er gab einst Gruppen
von Jägern und Sammlern Schutz. Eine Testgrabung erbrachte zwei Holzkohlestücke, mutmaßlich aus Feuerstellen, die
sich mit der Radiokohlenstoffmethode auf etwa 8000 v. Chr.
datieren ließen. Im Umfeld von Abri und Berg kamen zudem
etliche Artefakte zu Tage. darunter Werkzeuge aus feinkristallinem Kalkgestein, die ihrer Machart nach wohl der Pa-
SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT· SPEZIAL 212011 : IM BANN DER WÜSTE
Am Ende des Anden-Transekts,
in 4500 Meter Höhe, befindet
sich der Cerro Llamoca, ein Felsmassiv aus vulkanischem Gestein, das in vors panischer Zeit
als heiliger Berg verehrt wurde. An seinem Fuß entspringen
Quellen, die ein ausgedehntes
Hochmoor entstehen ließen.
Es ist über Jahrtausende gewachsen und dadurch ein hervorragendes Klimaarchiv.
läoindianischen Phase (11000-8000 v. Chr.), also der frühesten Siedlungsphase Südamerikas, zuzuordnen sind.
Mehrere Quellen speisten und speisen ein Moor (siehe Fotos auf dieser Seite), in dem Mensch und Tier auch in derTrockenzeit Wasser und Nahrung fanden. Im Lauf der Jahrtausende entstand dank der ständigen Durchfeuchtung eine
durchgehende Pflanzendecke, in der sich Pflanzenreste und
Pollen erhalten haben - ein wunderbares Klimaarchiv. Der
Heidelberger Geograf Markus Forbriger hat es gemeinsam
mit Karsten Schittek untersucht, einem Mitarbeiter aus dem
Team von Frank Schäbitz von der Universität Köln, Experten
für die Analyse von Pollen aus Südamerika.
Feucht- und Trockenzeiten im Pollen bild
Zunächst erkundeten die Heidelberger Wissenschaftler den
Aufbau des Moors mit geoelektrischen Widerstandsmessungen, dann entnahmen sie Bohrkerne aus bis zu zehn Meter
Tiefe (siehe Bild rechts). Darin fanden sich abwechselnde Lagen von Pflanzenmaterial und Sedimenten. Letztere deuten
auf Phasen hin, in denen die Pflanzendecke wegen größerer
Trockenheit nicht dicht genug war, um bei Starkregen das
Einschwemmen von Sand zu verhindern. Noch mehr Details
lieferte die Analyse der Pflanzenreste und Pollen. Grasarten
zeigten feuchte Bedingungen an, Strauchvegetation hingegen ein trockenes Klima. So rekonstruierten wir die Abfolge
von Feucht- und Trockenzeiten bis auf wenige zehn Jahre genau . Dazu wurden bislang mehr als 100 Proben aus verschiedenen Tiefen mit der Radiokohlenstoffmethode datiert.
Nun endlich fanden wir bestätigt, was wir längst vermutet
hatten : Schon im 4. Jahrtausend v. Chr., etwa zeitgleich mit der
Gründung von Pernil Alto im Tiefland, wurde das Klima auch
im Hochland trockener. Die Bewohner der zunehmend wüstenhaften Küstenregion waren gezwungen, sich den veränderten Verhältnissen anzupassen. Sie besiedelten die Flussoasen und entwickelten neue Strategien wie den Ackerbau
und später in der Paracas-Zeit die Bewässerungswirtschaft.
Zu den Überlebensstrategien unter widrigen Klimabedingungen gehörte aber auch die Nutzung des Hochlands, die
dann in guten Zeiten die Nahrungsversorgung zusätzlich
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absicherte. So entdeckte Carolina Hohmann in Höhen über
Metern etliche Pferche, die heute noch an den verfallenen Steinmauern zu erkennen sind. Darin weideten einst
große Lamaherden. In vorspanischer Zeit lieferten die Tiere
Fleisch und Wolle; Lamakarawanen transportierten Güter
zwischen Hochland und Küste. Im Untersuchungsgebiet des
Anden-Transekts haben wir inzwischen etliche Fernrouten
anhand von Wegstationen mit Felsbildern identifiziert.
Überraschender als die Pferche sind die ausgedehnten
Feldbauterrassen, die viele der von Hohmann entdeckten
Niederlassungen umgeben. Zum Teil umfassten sie mehrere
Quadratkilometer. Heute ist diese Gegend nur noch dünn
besiedelt, die alten landwirtschaftlichen Flächen liegen großenteils brach . Offenbar gab es zu einer früheren Zeit einen
hohen Bedarf an Ackerland im Gebirge. Möglicherweise dienten die Terrassen in feuchten Phasen dazu, den Boden vor
Auswaschung zu bewahren und überschüssiges Wasser abzuführen; in trockeneren halfen sie, die wenige Feuchtigkeit
besser zu nutzen.
Inmitten solcher Terrassen lag Cutamalla, ein Siedlungsplatz aus der Paracas-Zeit (siehe Bild S. 80 unten). Bei Ausgra3800
Eine Sonde wird in das gut zehn Meter mächtige Hochmoor vom
Cerro Llamoca gerammt. Die in den Bohrkernen enthaltenen
pflanzen- und Pollenreste verraten viel über die klimatischen und
landschaftlichen Veränderungen während der letzten Jahrtausende.
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SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT· SPEZIAL 212011: IM BANN DER WUSTE
bungen brachten wir eine Architektur zum Vorschein, die
bislang in Südamerika einmalig ist. Gewissermaßen das
Grundmodul von mindestens zehn Gebäudekomplexen bildete ein vertiefter runder Platz von etwa 25 Meter Durchmesser, der von O-förmigen Bauten umgeben war, so dass sich
ein blütenförmiger Grundriss ergab. Innerhalb der D-förmigen Bauten kamen ausgemauerte Schächte zu Tage, die wir
als Speicher deuten. Denselben Zweck dürften etliche Gruben im Innenhof erfüllt haben.
Wir entdeckten zwar zahlreiche Werkze uge und Pflanzenreste, können derzeit aber noch nicht sagen, was dort oben
angebaut, verarbeitet und gelagert worden ist. Denkbar wäre,
dass hier eine Agrarkolonie für die Paracas-Siedlungszentren
an der Küste beispielsweise Mais anbaute. Die Bedingungen
waren ideal: Die Heidelberger Geografen fanden äußerst
fruchtbare, sehr nährstoff- und humusreiche Böden, wie sie
vor allem aus den Steppen Nordamerikas und Eurasiens bekannt sind.
Die Huari - eine Kultur des Hochlands
Auch in der gleichfalls im Hochland liegenden Siedung Huayuncalla sind solche Kreisanlagen zu erkennen. Auf deren
Ruinen hatten die Menschen der Nasca- und dann der HuariKultur ihre Häuser errichtet. Alles deutet darauf hin, dass immer mehr Siedler während der Mittleren und Späten NascaZeit ins Hochland gekommen waren, möglicherweise wegen
der zunehmenden Trockenheit an der Küste. Vermutlich
intensivierten sie bestehende Kontakte zu Gruppen im
Altiplano, also im Gebiet zwischen West- und Ostkordillere.
Diese Gruppen, aus denen die Huari-Kultur des Mittleren
Horizonts hervorging, dehnten nun ihr Siedlungsgebiet nach
Westen aus, übernahmen die Nasca-Dörfer und stießen ihrerseits bis in die Küstenregionen vor. Dass dort kaum Siedlungen von ihnen auszumachen sind, legt den Schluss nahe:
Für die Huari war die Küste nicht als Lebensraum interessant; sie wollten nur ihre Produkte eintauschen, zum Beispiel
gegen Baumwolle und Pfeffer.
[n Huayuncalla lässt sich die Ankunft der Huari-Mensehen an der charakteristischen rechteckigen Form ihrer öffentlichen Gebäude und Sonderbauten erkennen. Am höchsten Punkt der Siedlung haben wir beispielsweise zwei Grabanlagen frei gelegt. Beide bestanden aus einem Rundbau mit
einer rechteckigen Ummauerung. In jedem Gebäude gab es
eine Kammer, in der jeweils etwa 20 Personen beigesetzt
worden waren. Dabei handelte es sich um Sekundärbestattungen - die Leichen waren an einem anderen Ort verwest.
Als Beigaben fanden wir Keramikgefäße und - auch das war
neu in der Huari-Zeit - eine große Anzahl von Kupfer- und
Goldobjekten (siehe Bild S. 82). Es ist noch nicht klar, ob die
Metalle aus den Küstengebieten oder aus dem Hochland
stammen. In jedem Fall spielten sie in der Wirtschaft der
Huari-Kultur eine bedeutende Rolle.
Über die engen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen
Hochland und Küste an der Westflanke der Anden hatten
zwar schon die spanischen Eroberer berichtet. Allerdings
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Dieses Gefäß entdeckten die Archäologen in einem der Gräber,
die in der Siedlung Huayuncalla innerhalb von Rundbauten
angelegt worden waren. Die 14,5 Zentimeter große Keramik stellt
einen jungen Mann der Huari-Kultur (600-1000 n. ehr.) dar, der
ein gestreiftes Hemd, Hals- und Nasenschmuck trägt.
sind diese Beziehungen noch nie so umfassend durch siedlungsarchäologische Untersuchungen nachgewiesen worden
wie im Projekt Anden-Transekt.
Zusätzlich unternahm der Anthropologe Lars FehrenSchmitz vom Institut für Historische Anthropologie und
Humanökologie der Universität Göttingen paläogenetische
Studien an den Überresten von mehr als 150 Individuen.
Bei den Hochlandpopulationen stellte er nur geringe genetische Unterschiede fest - man blieb unter sich. Für die
Küstenpopulationen galt das aber wohl nur während der
Paracas- und der Nasca-Zeit, in denen sich der Genpool
noch deutlich von dem der Gebirgsregionen unterschied.
Ab der Späten Zwischenperiode war das nicht mehr der Fall.
Dieser Befund bestätigt unsere Vermutung, dass die Wiederbesiedlung der Andenfußzone ab 1000 n. Chr. vom Hochland ausging.
Unklar hingegen ist noch, wohin die Bewohner des Tieflands um 600 n. Chr. zogen, als eine lang anhaltende Trockenheit das Ende der Nasca-Kultur besiegelte. Fest steht,
dass der Genpool im Tiefland trotz der schwindenden Bevölkerung nicht verarmte und im Hochland keine genetischen
Spuren der Tieflandbewohner nachweisbar sind. Das spricht
dafür, dass sich die Nasca-Menschen in die verbliebenen,
weit auseinanderliegenden Gebiete mit ausreichender
Feuchtigkeit zurückzogen. Mit der Zeit wäre der Kontakt zwi81
In der Zeit des Mittleren Horizonts (600-1000 n. ehr.) erlangte
die Metallverarbeitung große Bedeutung. In Grabanlagen der
Siedlung Huayuncalla wurden zahlreiche Objekte aus Gold und
Kupfer gefunden, darunter Scheiben aus Goldblech mit einfachen
Verzierungen (oben) sowie Fibeln und Knebel aus Kupfer (unten).
schen ihnen abgebrochen, was die konstante genetische Vielfalt erklären würde. Nicht auszuschließen ist aber, dass ein
Teil der Bevölkerung ins Hochland abwanderte. Da die Frauen nicht an Höhen von mehr als 2500 Metern angepasst waren, ist vermutlich in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft
nur jedes zweite Kind lebend zur Welt gekommen und ihr
Beitrag zum Genpool der Hochlandbewohner deshalb verschwindend gering geblieben. Nach gut zwei Generationen
ließe sich so die Abstammung aus dem Tiefland nicht mehr
nachweisen.
Isotopenanalysen sollen bald Klarheit bringen. Dazu hat
die Forschergruppe von Stefan Hölzl der Bayerischen Staatssammlung für Geologie und Paläontologie Referenzproben
im Untersuchungsgebiet genommen. Beispielsweise gibt das
Mengenverhältnis der Strontiumisotope im Zahnmaterial
Auskunft über den Lebensraum während der Kindheit. Das
erlaubt Rückschlüsse auf die Herkunft eines Verstorbenen.
Noch sind viele Fragen offen, doch erweist sich schon jetzt,
dass Klimaänderungen entscheidend zum Aufstieg und Niedergang der Hochkulturen im Süden Perus beitrugen. Schon
ein geringer Rückgang des Niederschlags bewirkte, dass sich
die Wüste kräftig ausdehnte. In feuchteren Phasen ging sie
bis auf einen wenige zehn Kilometer breiten Streifen entlang
der Pazifikküste zurück. Fast immer waren die Flussoasen ein
attraktiver Siedlungsraum. Bei feuchterem Klima konzentrierte sich die Bevölkerung in den bewässerbaren Trockentälern des Andenvorlands.
Zu fast allen Zeiten gab es auch Siedlungen in den Hochland regionen, doch vor allem, um die Tieflandorte mit Fleisch,
Gemüse und Getreide versorgen zu helfen. Das änderte sich
erst in der Huari-Zeit beziehungsweise im Mittleren Horizont, als die große Trockenheit die meisten Menschen aus
dem Andenvorland vertrieb. Die Verbliebenen deckten einen
Teil ihres Nahrungsbedarfs durch den Handel mit den Huari.
Als es dann in der Späten Zwischenperiode wieder feuchter
wurde, entwickelte sich die Westflanke der Anden bis hinunter in die heutige Küstenwüste erneut zu einem eigenständigen Lebens- und Wirtschaftsraum - dank der eingewanderten Hochlandbewohner.
An keinem anderen Ort in Amerika ließen sich die Wechselwirkungen zwischen Klima- und Kulturentwicklung bis-
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her so detailliert nachweisen wie im Untersuchungsgebiet
des Projekts Anden-Transekt. Die Ergebnisse bestätigen frühere Befunde über den Einfluss klimatischer Veränderungen
auf kulturelle Umbrüche in verschiedenen Regionen der
Neuen Welt. So war wohl die extreme Trockenphase nach
dem 6. Jahrhundert n. Chr. mitverantwortlich für die Krise
der Maya-Kultur in Mesoamerika, und im Titicacabecken
führten Klimaverschlechterungen zum Niedergang der dortigen Tiahuanaco-Kultur ab dem 10. Jahrhundert n. Chr. Nach
dem Vorbild des interdisziplinären Anden-Transekts empfiehlt sich daher gerade bei regionalen Fragestellungen, klimatische und landschaftliche Veränderungen als mögliche
Einflussfaktoren in Betracht zu ziehen. セ@
DIE AUTOREN
Der Archäologe Markus Reindei
(link s) ist Referent für Amerika
bei der Kommission für die
Archäologie Außereuropäischer
Ku Itu ren (KAAK) des Deutschen
Archäologischen Instituts in
Bonn . Nach Forschungsprojekten in Mexiko, Ecuador und
Peru führt er seit 1997 in Süd peru interdisziplinäre Forschungen
zur Siedlungsarchäologie und Geoarchäologie im Nasca-Gebiet
durch. Der Geograf Bernhard Eitel ist Rektor der Universität
Heidelberg und war zuvor Direktor des Geographischen Instituts
der Universität. Das Projekt »Anden-Transekt« wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
QUELLEN
Eitel, B. et al.: Geoarchaeo logical Evidence from Desert Loess in the
Nazca-Palpa Region. Southern Peru : Palaeoenvironm ental Changes
and their Impact on Pre-Columbian Cultures. In : Archaeometry 47.
S. 137-158. 2005
Mächtle, B., Eitel, B.: Holozäne Umwelt- und Kulturentwi cklung
in der nördlichen Atacama (mit einem Exkurs zum »Neodeterminismus-Paradigma«).ln: Nova Acta Leopoldina NF 108. S. 109-124,
2°°9
Reindei, M.: Jahresberichte des Deutschen Archäologi schen
Instituts. Ausgrabungen und Fo rschungen der Kommission für
Allgemeine und Vergleichende Archäologie, Bonn. In : Archäologischer Anzeiger 2003-2010
Reindei, M.: Archäologische Forschungen der Jahre 2007 und
2008 im Anden-Transekt, Süd -Peru . In: Zeitschrift für Archäologie
Außereuropäischer Kulturen 3, S. 207-224. 2010
Reindei, M., Wagner, G.A. (Hg.): New Technologies for
Archaeology. Multidisciplinary Investigations in Palpa and Nasca.
Peru. Springer, Heidelberg. Berlin, New York 2009
WEBLINK
Weblinks und weitere Informationen finden Sie im Internet:
www.dainst.org/anden-transekt
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