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Entscheidungszwäng E ge im z zivilrechtlichen Kinde desschutz Die Bedeutung der Sozialpädagogischen D n Familienb begleitung (SPF) als Hilfeleistung im Abkl klärungsprozess u / oder als professionelle Intervention und n zur Abwendung e einer drohenden oder bestehenden Gefäh ährdungslage S Simone Hengartner Thurnheer Master in Sozialer Arbeit M B Bern I Luzern I St.Gallen I Zürich Entscheidungszwänge im zivilrechtlichen Kindesschutz Die Bedeutung der Sozialpädagogischen Familienbegleitung (SPF) als Hilfeleistung im Abklärungsprozess und / oder als professionelle Intervention zur Abwendung einer drohenden oder bestehenden Gefährdungslage Master-Thesis-Arbeit von: Simone Hengartner Thurnheer Hirschenstrasse 2 9536 Schwarzenbach simone.hengartner@gmail.com Studienbeginn: Wintersemester 2009 Fachbereich: Master in Sozialer Arbeit Bern I Luzern I St.Gallen I Zürich Fachbegleitung: Prof. Sabine Makowka M.A. Abgabedatum: 13. Januar 2011 Abstract In der vorliegenden Master-Thesis-Arbeit wird der Frage nachgegangen, nach welchen Kriterien und Indikatoren im Rahmen des zivilrechtlichen Kindesschutzes von welchen Akteuren beurteilt und / oder entschieden wird, ob eine Sozialpädagogische Familienbegleitung (SPF) als Hilfeleistung im Abklärungsprozess und / oder als professionelle Intervention zur Abwendung einer drohenden oder bestehenden Gefährdungslage für eine Familie geeignet ist. Als theoretische Grundlage wird der aktuelle Forschungsstand und Fachdiskurs zum zivilrechtlichen Kindesschutz und zur aktuellen Situation der SPF in der Schweiz – im Ländervergleich mit Deutschland – behandelt. Mittels einer qualitativen Fallstudie wird der Prozess von der Gefährdungsmeldung bis hin zum Einsatz und ersten Verlauf der SPF untersucht. Die Auswahl und Analyse der Daten erfolgte nach der Grounded Theory. Die Ergebnisse zeigen, dass sich für Akteure des zivilrechtlichen Kindesschutzes Entscheidungszwänge auf der Grundlage unvollständiger Informationen ergeben. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer SPF-Organisation tragen zur Gewinnung von zusätzlichen Informationen bei und können Familien gleichzeitig eine Unterstützung bieten. Eine gelingende Kooperation mit Adressatinnen und Adressaten ist dabei Grundvoraussetzung zur Informationsgewinnung. Das aus den Daten entwickelte Schema bietet eine geeignete Reflexionsgrundlage für Professionelle der Sozialen Arbeit, welche Mitglieder einer Organisation des zivilrechtlichen Kindesschutzes oder einer SPF-Organisation sind. Keywords: Zivilrechtlicher Kindesschutz, Sozialpädagogische Familienbegleitung, SPF, Kindeswohl, Kindeswohlgefährdung Vorwort In der Schweiz bieten private soziale Dienstleistungsorganisationen Sozialpädagogische Familienbegleitungen (SPF) an. Diese werden im Rahmen des Kindesschutzes von verschiedenen Akteurinnen und Akteuren beauftragt zivilrechtlichen Familien zu begleiten, wenn diese nach ersten Abklärungen zum Schluss gelangt sind, dass eine Kindeswohlgefährdung vorliegt oder entstehen könnte. Die SPF als Intervention soll Familien vor Ort eine professionelle Hilfeleistung bieten, wenn sie Probleme in ihrem Familienalltag nicht mehr selbstständig bewältigen und die Eltern ihre Erziehungsaufgaben nicht genügend wahrnehmen können. Die Auftragsklärung findet in der Regel mit Professionellen der Sozialen Arbeit statt, welche als Rollenträger eines Vormundschaftsamtes, einer Amtsvormundschaft oder eines Sozialdienstes von der Vormundschaftsbehörde mit der Abklärung der Situation bzw. der Begleitung einer Familie beauftragt wurden. In einem telefonischen Erstkontakt schildern die Sozialarbeitenden der internen Dienste die Problemlage einer Familie. Wenn der Einsatz einer SPF beiderseits als sinnvoll erachtet wird, folgt in den Räumlichkeiten des Sozialdienstes oder einer Amtsvormundschaft ein Erstgespräch mit den Eltern oder der erziehungsberechtigten Person, in welchem konkrete Ziele für die Begleitung formuliert werden. Wenn es sich um gefährdete Jugendliche handelt, so nehmen diese in der Regel ebenfalls am Erstgespräch teil. Jugendliche sind stärker als Kinder an der Erreichung der Zielsetzungen beteiligt. Sofern alle beteiligten Personen mit den Zielen einverstanden sind, werden diese schriftlich festgehalten und unterzeichnet. Ab diesem Zeitpunkt ist die SPF arbeitsfähig. Diese grobe Skizze prototypischer Abläufe beruht auf meiner eigenen Praxiserfahrung als Sozialpädagogische Familienbegleiterin. Die Praxiserfahrung zeigt, dass eine SPF als Intervention wirkungslos bleiben oder eine Situation zusätzlich belasten kann, wenn die nötige Sorgfalt in der Abklärung der Situation und in den gemeinsamen Gesprächen zur Zielfindung gefehlt hat. Auch Merchel hält fest, dass „die Qualität der vorangehenden Hilfeplanung zu einem wesentlichen Bezugspunkt für die Qualität der einzelfallbezogenen Ausgestaltung der ambulanten Erziehungshilfe“ ist (Merchel, 1998, S. 226). Dem Prozess von der Gefährdungsmeldung bis hin zur Unterzeichnung der Ziele sollte deshalb grösste Aufmerksamkeit geschenkt werden. Grund genug also, diesen Prozess zum Thema meiner Master-Thesis-Arbeit zu machen und einer systematischen Analyse zu unterziehen. Mein Dank geht an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Organisationen und an die Familienmitglieder, welche sich dafür engagierten, dass sich die geplante Untersuchung realisieren liess. Sie stellten sich bereitwillig für Interviews und weitere Fragen zur Verfügung. Ich bedanke mich auch bei meiner fachlichen Begleiterin Frau Prof. Sabine Makowka M.A. für die hilfreichen und anregenden Impulse. Schwarzenbach, Januar 2011 Simone Hengartner Thurnheer Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung…………………………………………………………………….....................7 1.1. Ausgangslage mit Problem- und Fragestellung ……….………………………….7 1.2. Theoretische Überlegungen zur Fragestellung …………………………………..9 1.3. Aufbau der Master-Thesis-Arbeit…………………………………………………..10 Teil I: Theoretischer Teil……………………………………………………………………… 11 2. Stand der Forschung und des Fachdiskurses……..………………………………... 11 2.1. Das UNO-Übereinkommen über die Rechte des Kindes…….………………... 11 2.2. Zivilrechtlicher Kindesschutz in der Schweiz…..……………………………….. 12 2.2.1. Nationale Forschungsprogramme (NFP 52): Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen im sozialen Wandel.……………………………….. 12 2.2.2. Blickpunkt Kindeswohl… …………………………………………………………. 14 2.2.3. Neues Kindes- und Erwachsenenschutzrecht....……………………………….. 15 2.3. Stiftung Kinderschutz Schweiz…………………………………………………… 16 2.4. Verankerung der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) im Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) Deutschlands.. ………………………. 17 2.5. Sozialpädagogische Familienbegleitung (SPF) in der Schweiz……….…....... 20 3. Position der Sozialen Arbeit gegenüber dem zivilrechtlichen Kindesschutz…….. 22 3.1. Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession………………………………….. 22 3.2. Kindeswohl – Ein Definitionsvorschlag aus der Perspektive der Sozialen Arbeit………………………………………………………………… 24 3.3. Entwicklung und Professionalisierung der SPFH / SPF………………………. 25 Teil II: Qualititative Fallstudie……………………………………………………………….. 26 4. Forschungsleitende Fragestellungen………………………………………………… 26 5. Erhebungsdesign: Grounded Theory………………………………………………… 26 5.1. Auswahl der Gemeinde…………………………………………………………… 28 5.2. Feldzugang………………………………………………………………………… 28 5.3. Auswahl der Rollenträger………………………………………………………… 28 5.4. Auswahl der Familien…………………………………………………………….. 29 5.5. Methoden der Datenerhebung…………………………………………………… 29 5.6. Durchführung der Datenerhebung………………………………………………. 30 5.7. Analyse der Daten…………………………………………………………………. 32 6. Ergebnisse der Fallanalyse…………………………………………………………… 33 6.1. Gliederung der Ergebnisse……………………………………………………….. 33 6.2. Die Hauptgeschichte………………………………………………………………. 34 6.3. Das zentrale Phänomen: Situationseinschätzung und Entscheidungszwang auf unvollständiger Informationsgrundlage……………. 35 6.4. Kontext des Entscheidungszwangs……………………………………………… 37 6.5. Zwei Entscheidungstypen………………………………………………………… 39 6.5.1. Entscheidungstyp 1: Entscheidungszwang auf der Grundlage ungesichterter Informationen……………………………………………………... 39 6.5.2. Entscheidungstyp 2: Entscheidungszwang auf der Grundlage stichhaltiger Informationen……………………………………………………….. 40 6.6. Informations-Lücken-Füll-Strategien……………………………………………. 41 6.6.1. Führen von Gesprächen (Diskussionen, Absprachen, Besprechungen)……. 42 6.6.2. Tür-Öffner-Strategien……………………………………………………………… 43 6.6.3. Erziehungs-Kompetenz-Überprüfungs-Strategien……………………………… 44 6.7. Kooperationsvoraussetzungen…………………………………………………… 45 6.7.1. Artikulation von Anliegen…………………………………………………………. 45 6.7.2. Erahnung oder Entdeckung vorteilbringender Aspekte……………………….. 47 6.7.3. Finanzierungsklärung……………………………………………………………… 48 6.7.4. Gesetzliche Elternsouveränität…………………………………………………… 49 6.8. Formelle Zusammenarbeit mit einer SPF-Organisation……………………….. 50 6.8.1. Kurzeinsatz als Abklärungsinstrument…………………………………………... 53 6.8.2. SPF als Erziehungshilfe…………………………………………………………… 54 6.8.3. Mischform der Zusammenarbeit…………………………………………………. 56 6.9. Zirkularität des Entscheidungsprozesses……………………………………….. 57 Teil III: Diskussion und Schlussfolgerungen…………………………………………….. 59 7. Anknüpfungspunkte an den Forschungsstand und Fachdiskurs………………….. 59 7.1. Bestätigungen, Widersprüche und Ergänzungen zu den NFP-52-Studien….. 59 7.2. Rolle der SPF im Rahmen des zivilrechtlichen Kindesschutzes……………… 63 7.3. Der Einsatz von sozialarbeiterischem und sozialpädagogischem Wissen und Können im Abklärungs- und Entscheidungsprozess……………. 65 8. Schlussfolgerungen……………………………………………………………………..66 8.1. Reflexion über methodisches Vorgehen………………………………………… 66 8.2. Anregungen zur Reflexion für die Praxis………………………………………… 68 8.3. Offene Fragen und Hypothesen………………………………………………….. 71 8.4. Anschlussfähigkeit an theoretische Diskurse der Sozialen Arbeit……………. 72 Literaturverzeichnis…………………………………………………………………………. 76 Anhangsverzeichnis…………………………………………………………………………84 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer 1. Einleitung 1.1. Ausgangslage mit Problem- und Fragestellung Das aktuelle Vormundschaftswesen der Schweiz zeigt deutliche Spuren seiner fast 100jährigen Geschichte. Auch die Entwicklung der Sozialen Arbeit wurde durch diese stark beeinflusst (vgl. Hauss & Ziegler, 2010; Nadai et al., 2005; Ramsauer, 2000; 2001). Der Kindesschutz ist im schweizerischen Familienrecht verankert (Zivilrecht). Laut Artikel 307 ZGB (siehe Anhang 1) muss die Vormundschaftsbehörde geeignete Massnahmen zum Schutz des Kindes treffen, wenn dessen Wohl gefährdet ist und die Eltern die nötige Hilfe nicht gewährleisten können. Im konkreten Fall ist es demnach auch die Aufgabe der Behörden zu beurteilen, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt. In den meisten Gemeinden der Schweiz, insbesondere der Deutschschweiz, sind die Vormundschaftsbehörden identisch mit der Gemeindeexekutive oder einem Unterausschuss. Die mehrheitlich ehrenamtlichen Behördenmitglieder sind von Gesetzeswegen dazu verpflichtet, die Tätigkeiten der internen Dienste und somit auch Professionelle der Sozialen Arbeit zu kontrollieren. Es ist anzunehmen, dass Laien oftmals nicht über die notwendigen Kompetenzen verfügen. Kompetenzen sind hier nicht ausschließlich im Sinne von Zuständigkeiten gemeint, sondern auch als relevante Fähigkeiten, die u.a. Fachkenntnisse und Verfahrenssicherheit vereinen. Entsprechende Entscheidungen werden in diesem Fall vor dem Hintergrund von Alltagserfahrungen getroffen. Dabei wäre z.B. eine sorgfältige Analyse der konkreten Problemsituation nur eine der (fachlich notwendigen) Voraussetzungen für die Anordnung von angemessenen Massnahmen. Die schweizerischen Vormundschaftsstatistiken zeigen ausserdem, dass die Zahl der Fälle zunimmt. Weiter gilt es anzunehmen, dass auch die Komplexität der Fälle zunehmen wird. Die Gefahr von Fehlentscheidungen wird damit nicht kleiner. Die Entscheide haben z.T. gravierende Auswirkungen auf die betroffenen Kinder und ihre Familien. Fehlentscheide wirken zudem auch negativ auf die Vormundschaftsbehörden und auf die Soziale Arbeit insgesamt zurück, wie entsprechende Berichterstattungen in den Medien zeigen (vgl. Konferenz der kantonalen Vormundschaftsbehörden (VBK), 2008; Voll et al., 2008). Im Dezember 2008 hat das Parlament den Gesetzestext zur Totalrevision des Vormundschaftsrechts verabschiedet. Dieses Gesetz tritt voraussichtlich am 1.1. 2013 in Kraft. Das neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht strebt eine Professionalisierung der entscheidenden Behörden an und schreibt deshalb vor, dass die Erwachsenenschutzbehörde (welche auch für den Kindesschutz zuständig sein wird) eine Fachbehörde sein muss. Das 7 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer entscheidende Gremium (der „Spruchkörper“) muss aus drei Personen bestehen, welche aus drei Disziplinen stammen sollten (Recht, Soziale Arbeit, Psychologie / Pädagogik). Der Gesetzestext lässt jedoch einen großen Interpretationsspielraum für die Umsetzung des neuen Rechts zu. Zuständig für die Umsetzung dieser Rechtsgrundlage sind die Kantone (vgl. VBK, 2008, S. 65ff.). Eine Definition des Begriffs „Kindeswohl“ und die Beurteilung darüber, wann dieses Wohl als gefährdet gelten kann, wird eine interdisziplinär zusammengesetzte Fachbehörde vielleicht noch stärker herausfordern, als dies heute schon für die Vormundschaftsbehörden der Fall ist. Sicherlich wird die neue Fachbehörde auf spezifische inhaltliche Kompetenzen ihrer Mitglieder angewiesen sein, und ggf. Ressourcen von internen und externen Dienstleistern einholen (müssen), um Entscheide treffen zu können. Sofern die Behörde selbst oder beispielsweise aufgrund eines Abklärungsberichts eines Sozialdienstes zum Schluss gelangt, dass eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, so verfügt sie eine Massnahme (z.B. Erziehungsbeistandschaft nach Art. 308, siehe Anhang 1) und beauftragt entsprechend eine Mandatsträgerin oder einen Mandatsträger. In den meisten Fällen sind dies Professionelle der Sozialen Arbeit, welche in den Amtsvormundschaften oder Sozialdiensten tätig sind und durch eine hohe Anzahl von Mandaten stark belastet sind. Enge Begleitungen von Familien können dann nicht gewährleistet werden. Dies führt in der Regel sowohl bei den Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern wie auch bei Familien, welche die gesuchte oder anerkannte nötige Unterstützung nicht im gewünschten Mass erhalten, Frustrationen aus. Des Weiteren sind die Professionellen auch durch einzelne komplexe und schwierige Dossiers stark belastet oder fachlich überfordert, sodass eine konkrete Familiensituation zum Schutze des Kindeswohls den Einbezug einer weiteren, spezialisierten Fachperson erfordern kann (vgl. Voll et al., 2008, S. 145). Diese Einschätzung muss in jedem Fall individuell getroffen werden und erfordert unter anderem sozialarbeiterische Kompetenzen. Die Entscheidung, ob eine SPF als professionelle Intervention und Hilfeleistung im Rahmen des zivilrechtlichen Kindesschutzes für die Familie geeignet ist, erfordert ebenso theoretische Kenntnisse über diese Interventionsform wie professionelles Praxiswissen. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich daher mit der Frage, welche Bedeutung die SPF im Rahmen des zivilrechtlichen Kindesschutzes als Intervention oder als Hilfeleistung für den Abklärungsprozess hat. Anhand einer Beispielgemeinde soll der Prozess von der Gefährdungsmeldung bis hin zum Einsatz und ersten Verlauf der SPF exemplarisch untersucht werden. Aufgrund der föderalistischen Staatsordnung der Schweiz gestalten sich die Organisationsformen des Kindesschutzes in den verschiedenen Kantonen und Gemeinden höchst unterschiedlich. Im Rahmen dieser Arbeit wird der Fokus in einer 8 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Fallanalyse auf eine Gemeinde in der Ostschweiz gerichtet. Die präzise, forschungsleitende Fragestellung lautet: Nach welchen Kriterien und Indikatoren wird im Rahmen des zivilrechtlichen Kindesschutzes von welchen Akteuren beurteilt und/oder entschieden, ob eine Sozialpädagogische Familienbegleitung (SPF) als Hilfeleistung im Abklärungsprozess und/oder als professionelle Intervention zur Abwendung einer drohenden oder bestehenden Gefährdungslage für eine Familie geeignet ist? Die folgenden theoretischen Überlegungen zur Fragestellung dienen einem kurzen Überblick zur Verwendung der zentralen Begriffe. In den einzelnen Kapiteln (Teil I) werden sie in der Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand und des Fachdiskurses genauer erläutert. 1.2. Theoretische Überlegungen zur Fragestellung Als Akteure werden alle Rollenträgerinnen und Rollenträger* einer bestimmten beruflichen Position (z.B. Beiständinnen und Beistände), Gremien (z.B. Vormundschaftsbehörde) und Familienmitglieder (z.B. Erziehungsberechtigte) bezeichnet, welche in irgendeiner Art und Weise einen Einfluss im / auf den Abklärungs- und Entscheidungsprozess haben. Die soziale Rolle wird verstanden als „Summe der Erwartungen und Ansprüche“ welche von der Gesellschaft oder einzelner Gruppen an das „Verhalten und das äussere Erscheinungsbild des Inhabers einer sozialen Position“ gestellt werden (Hillmann, 1994, S. 742). Beim Begriff des Kindeswohls handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Mit Bezugnahme auf Staub-Bernasconi (2008) wird im Kapitel 3.1. ein Vorschlag unterbreitet, wie aus der Perspektive der Sozialen Arbeit definiert werden kann, wann es einem Kind wohl und in diesem Sinne das Kindeswohl gesichert ist. Hinweise darauf, dass zentrale Bedürfnisse des Kindes befriedigt oder – aus welchen Gründen auch immer – missachtet oder vernachlässigt wurden, können als Indikatoren dafür betrachtet werden, ob das Kindeswohl gewährleistet bzw. gefährdet ist (siehe Kapitel 3.2.). Möglicherweise spielen in Abklärungs- und Entscheidungsprozessen des zivilrechtlichen Kindesschutzes nebst solchen Indikatoren noch andere Faktoren, wie beispielsweise die Verfügbarkeit von gut ausgebildetem Personal oder Fragen der Finanzierung von *In der Folge wird zwecks einer angenehmeren Lesbarkeit nur noch die männliche Form „Rollenträger“ verwendet. Bei allen übrigen Bezeichnungen werden sowohl die weibliche wie auch die männliche Form berücksichtigt. 9 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer bestimmten Interventionen oder Massnahmen, eine entscheidende Rolle. Für solche Faktoren wird im Folgenden die Bezeichnung Kriterien gewählt. Ziel der vorliegenden qualitativen Untersuchung ist jedoch nicht das Erstellen einer Liste von Indikatoren (oder Kriterien), welche für oder gegen den Einsatz einer SPF sprechen. Solche Listen oder andere Hilfen zur sozialpädagogischen Diagnose oder Indikation in der Jugendhilfe existieren genug, obwohl es sich dabei vor allem um Fachliteratur zur Planung der richtigen „Hilfe zur Erziehung“ in der Jugendhilfe Deutschlands handelt (vgl. z.B. Bayerisches Landesjugendamt, 2004; Fröhlich-Gildhoff, 2002; Harnach-Beck, 2003; Merchel, 1998). Es soll anhand einer Organisation exemplarisch rekonstruiert werden, wie Vertreterinnen und Vertreter der Vormundschaftsbehörde unter den gegenwärtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen der Schweiz im Austausch mit Adressatinnen und Adressaten und weiteren Fachpersonen in ihrem Berufsalltag genau ermitteln, ob eine Indikation für eine SPF vorliegt und welche weiteren Kriterien für eine Entscheidung durch wen mit einfliessen. Der Begriff Massnahme wird in dieser Arbeit ausschliesslich für gesetzliche Kindesschutzmassnahmen (z.B. Erziehungsbeistandschaft nach Art. 308 ZGB) verwendet. Die SPF wird als Intervention bezeichnet. Sie wird von Erziehungsberechtigten mehrheitlich freiwillig in Anspruch genommen. Eine SPF kann jedoch von einer Vormundschaftsbehörde auch mit Bezug auf den Art. 307 ZGB angeordnet werden. In diesem Fall stellt auch die SPF eine Kindesschutzmassnahme dar (vgl. Kapitel 2.5.: Interpellation Fankhauser). 1.3. Aufbau der Master-Thesis-Arbeit In Bezug auf die Fragestellung dieser Arbeit sind als struktureller Kontext die UNOMenschenrechts- und Kinderrechtskonvention (internationale Ebene), der zivilrechtliche Kindesschutz (nationale Ebene) und die Position der Sozialpädagogischen Familienbegleitung in der Schweiz bedeutsam. Im theoretischen Teil I findet daher im Kapitel 2 eine Auseinandersetzung mit dem Stand der Forschung und des Fachdiskurses zu diesen Themen statt. In Kapitel 3 wird ein Vorschlag unterbreitet, wie sich die Soziale Arbeit gegenüber dem zivilrechtlichen Kindesschutz positionieren kann. Teil II bildet den empirischen Teil der Arbeit und beinhaltet eine qualitative Fallstudie. Das Vorgehen erfolgt nach der Grounded Theory. In Kapitel 4 werden die Kernfrage, sowie die darin implizit enthaltenen Unterfragen aufgelistet. Die Auswahl des Forschungsdesigns wird in Kapitel 5 begründet. Nachfolgend wird aufgezeigt, wie die Vorbereitung, Durchführung 10 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer und Auswertung der gewonnenen Daten erfolgte. In Form einer Story line werden in Kapitel 6 die Ergebnisse der Fallanalyse präsentiert. Die Ergebnisse der Fallanalyse werden im Teil III dieser Arbeit in Bezug zum Stand der Forschung und des Fachdiskurses aus Teil I diskutiert (Kapitel 7). Anregungen zur Reflexion für die Kindesschutz-Praxis, sowie Hypothesen und offene Fragen für eine weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik, werden in Kapitel 8 dargestellt. Um die Ergebnisse in einen für die Soziale Arbeit relevanten grösseren Rahmen zu stellen, wird abschliessend aufgezeigt, an welche theoretischen Diskurse der Sozialen Arbeit als Disziplin und Profession diese anschlussfähig sind. Teil I: Theoretischer Teil 2. Stand der Forschung und des Fachdiskurses In der qualitativen Fallstudie der vorliegenden Arbeit wird die Schnittstelle zwischen dem zivilrechtlichen Kindesschutz und der SPF untersucht. Im Teil I werden daher sowohl der Stand der Forschung und des Fachdiskurses über fachliche und rechtliche Aspekte des Kindesschutzes wie auch über die Position der SPF in der Schweiz diskutiert. 2.1. Das Das UNO-Übereinkommen über die Rechte des Kindes UNO-Übereinkommen über die Rechte des Kindes wurde 1989 von der Volksversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Es wurde von der Schweiz 1997 ratifiziert und ist heute somit Bestandteil unserer Rechtsordnung. Die überarbeiteten Referate, welche im Rahmen einer interdisziplinären Weiterbildung zum Thema „Die Rechte des Kindes“ gehalten wurden, liegen in einem Band veröffentlicht vor (vgl. Gerber Jenni & Hausammann, 2001). Die Beiträge sind interdisziplinär und diskutieren die Auswirkungen des Übereinkommens auf die Schweiz. Lücker-Babel (2001) hält in ihrem Referat fest, dass die ratifizierten Kinderrechte gegenüber der schweizerischen Gesetzgebung höherrangig, und dass in deren Formulierung nebst den rechtlichen auch eine politische, soziale und pädagogische Dimension eingebettet sind (vgl. S. 9). Gemäss Artikel 3 muss „bei allen Massnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungs11 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer organen getroffen werden“ das „Wohl des Kindes“ als vorrangiger Gesichtspunkt berücksichtigt werden (Art.3 KRK, siehe Anhang 2). Dieser Artikel richtet sich also an Vormundschaftsbehörden, Diensten, aber auch Sozialarbeitende an private in Vormundschaftsämtern Organisationen, welche und Sozialen Sozialpädagogische Familienbegleitungen anbieten, sowie an alle weiteren involvierten Fachpersonen. Sollten gegenwärtige Rahmenbedingungen die Realisierung dieses vorrangigen Ziels behindern, so ist die Schweiz verpflichtet, „alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Massnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte“ zu treffen (Art. 4 KRK, siehe Anhang 2). Lücker-Babel (2001) ist jedoch der Ansicht, dass beispielsweise Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter und Lehrerinnen und Lehrer aufgrund von mangelnden Weiterbildungsmöglichkeiten die Verwirklichung dieser Rechte nicht genügend vorantreiben können. Zudem bieten die meisten Artikel des Übereinkommens, analog zum ZGB, einen grossen Gestaltungsspielraum. Dies erschwert die Durchsetzung zusätzlich (vgl. S. 16-17). Zentral scheint jedoch, dass die Artikel des Übereinkommens, wie auch die entsprechenden Artikel zum Kindeswohl im ZGB, den stetigen fachlichen Diskurs darüber einfordern, welches geeignete Massnahmen zum Schutz der Kinder und Jugendlichen sind und welche Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden müssen (vgl. Biaggini, 2001, S. 39+40). 2.2. Zivilrechtlicher Kindesschutz in der Schweiz In der Schweiz wurden im Rahmen des nationalen Forschungsprogramms 52 (NFP 52) zwei Studien zu Fragen des zivilrechtlichen Kindesschutzes durchgeführt und veröffentlicht, welche im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit eine grosse Relevanz aufweisen. Wichtige Ergebnisse dieser Studien werden im Folgenden kurz dargestellt. 2.2.1. Nationale Forschungsprogramme (NFP 52): Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen im sozialen Wandel Voll, Jud, Mey, Häfeli und Stettler (2008) führten im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramm 52 „Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen im sozialen Wandel“ im Zeitraum von April 2003 bis Dezember 2006 eine Studie über Akteure, Prozesse und Strukturen im zivilrechtlichen Kindesschutz durch. Das Handeln von Behörden und Sozialarbeitenden und den entsprechenden Problemstellungen, die sich durch Unsicherheiten in der Beurteilung des Kindeswohls ergeben, werden thematisiert (vgl. S. 14). Zudem werden die verschiedenen Organisationsformen in der Schweiz, welche sich durch die föderalistische Staatsform ergeben, beleuchtet. Die Ergebnisse, welche auf der Grundlage einer Kombination von quantitativen und qualitativen Erhebungsmethoden beruhen, bieten 12 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer eine geeignete empirische Grundlage, an welche die vorliegende Arbeit mit der konkreten Fragestellung anknüpfen kann. In der Studie wurde die Anzahl von beteiligten Professionellen an einem Kindesschutzfall ermittelt und sieben Kategorien zugeordnet. Die SPF wird an keiner Stelle explizit genannt und fällt in dieser Zuordnung am ehesten unter die kleinste Gruppe „andere“. Unter anderem werden zu dieser Gruppe „private soziale Einrichtungen“ gezählt (vgl. S. 56). Interessant sind die Ergebnisse dieser NFP-Studie auch im Vergleich mit den „Beiträgen zur Geschichte der Sozialen Arbeit in St.Gallen“ von Hauss & Ziegler (2010) oder der Dissertation von Ramsauer (2000) über „Kindswegnahmen und die Entstehung der Jugendfürsorge im schweizerischen Sozialstaat 1900-1945“. Das Verhältnis von Kind, Eltern und Staat sowie entsprechende Prozesse zwischen den verschiedenen Akteuren werden in beiden Arbeiten beleuchtet. Auf die Notwendigkeit einer Professionalisierung (zum Beispiel die Errichtung von Amtsvormundschaften gegenüber privaten Mandatsträgern) wurde bereits anfangs 20. Jahrhunderts hingedeutet, „weil die betreuten Familien von behördlicher Seite immer mehr als schwierige Fälle wahrgenommen wurden“ (Ramsauer, 2000, S. 60). Mit der empirischen Studie über den Hilfeprozess und die Partizipation von Eltern und Kindern bei Pflegefamilien- und Heimplatzierungen liegt von Arnold, Huwiler, Raulf, Tanner und Wicki (2008) eine zweite NFP 52-Studie vor. Es wurden zu verschiedenen Zeitpunkten Erhebungen durchgeführt, um neben Aussagen zu den Indikations- und Platzierungsprozessen auch Aussagen über die Wirkungen einer Platzierung vornehmen zu können. Dabei wurden sowohl qualitative wie quantitative Methoden eingesetzt. Ein besonderes Augenmerk legt die Untersuchung auf Partizipationsaspekte an der Hilfeplanung, da die UNO-Konvention über die Rechte des Kindes unter Art. 9 (siehe Anhang 2) den Betroffenen das Mitbestimmungsrecht einräumt (vgl. S. 23 – 36). Die Stichprobenrekrutierung (N=50) erfolgte aus den Kantonen St.Gallen, Thurgau und Zürich (vgl. S. 37). Die Fallanalyse der vorliegenden Arbeit bezieht sich ebenso auf eine Gemeinde in diesem geografischen Raum. Somit sind die Ergebnisse der Studie von Arnold et al. (2008) bedeutsam für die vorliegende Arbeit. Von besonderem Interesse für diese Arbeit sind die Ergebnisse zum Aushandlungsprozess und der Entscheidungsfindung. Die Studie von Arnold et al. gelangt zum Ergebnis, dass 55,8 Prozent der Platzierungsfälle innerhalb eines Jahres nach der Erstmeldung erfolgten. Bei 34,9 Prozent liegt die Erstmeldung mehr als zwei Jahre zurück. Arnold et al. führen diese spätere Platzierung auf Verschärfungen der Problemlagen von Eltern oder Kindern zurück. Sie ergänzen, dass in diesen Fällen meist diverse Abklärungen, Therapien und andere Lösungsversuche vorausgingen, welche nicht die gewünschte Besserung der Situation bewirken konnten (vgl. S. 95). Sie stellen also ebenfalls fest, dass eine grosse Zahl von Fachleuten verschiedener Disziplinen (Psychologie, Medizin, Psychiatrie) in Fälle involviert ist. Bei 43 Platzierungsfällen gingen 12 Mal, von insgesamt 116 zusätzlich kontak13 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer tierten Stellen, ambulante Hilfen und Beratungsstellen voraus, zu welchen explizit auch die SPF gezählt wird. Gegenüber den Fachpersonen aus dem Schulbereich mit 42 Nennungen oder 33 Nennungen von Fachpersonen aus dem psychologischen, therapeutischen und medizinisch-psychiatrischen Bereich wurde die SPF also seltener beigezogen. Fehlende Standardisierungen für schriftlich dokumentierte Hilfeplanungen und der seltene Gebrauch von Instrumenten für die Hilfe- oder Massnahmenplanung sind weitere Ergebnisse der Studie (vgl. 96-97). 2.2.2. Blickpunkt Kindeswohl Im fachlichen Diskurs ist man sich darüber einig, dass gesetzlich legitimiertes Handeln von Behörden und das Handeln von Eltern, Erziehungsberechtigen und Fachpersonen in erster Linie dem Wohle des Kindes dienen soll und somit also das Kindeswohl gewährleisten soll. Die von der Schweiz ratifizierte UNO-Kinderrechtskonvention (Art. 3, siehe Anhang 2) und die entsprechenden Artikel im ZGB (Art. 307, siehe Anhang 1) dienen als rechtliche Grundlage. Unklar bleibt bei dieser Maxime jedoch häufig „ihr Gehalt, ihre inhaltliche Bestimmung, ihre Interpretation und Anwendung“ (Kaufmann, 2003, S. 15). Die Beiträge des interdisziplinären Symposiums „Blickpunkt Kindeswohl“ vom März 2002 in Freiburg, welches zwecks der oben genannten Unklarheiten stattgefunden hatte, wurden von Kaufmann und Ziegler (2003) in einem Band veröffentlicht. Das Kindeswohl wird darin aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Dies sind gesellschaftspolitische, juristische, medizinische, psychologische, pädagogische, ethische und philosophische Dimensionen des Kindeswohls. Im Rahmen dieser Arbeit wird keine umfängliche Darstellung aller relevanten Aspekte zur Beurteilung des Kindeswohls erfolgen*, sondern ein Vorschlag für eine sozialarbeiterische Definition des Begriffs unterbreitet (siehe Kapitel 3.2.). Häfeli (2003) erläutert in seinem Beitrag am Symposium „Blickpunkt Kindeswohl“ die Bedeutung der Erziehungsbeistandschaft nach Art. 308 ZGB (siehe Anhang 1). Er weist darauf hin, dass bei Kooperationsbereitschaft der Eltern „unter diesem Titel jede Art von im Einzelfall geeigneter Erziehungs- und Familienberatung möglich“ ist (S. 132; vgl. auch Häfeli, 2002, S. 68-71). Es wird jedoch an dieser Stelle nicht erwähnt, dass eine SPF mit der entsprechenden Aufgabe beauftragt werden kann. Obwohl in Deutschland diese Hilfeform gesetzlich verankert und etabliert ist (siehe Kapitel 2.4.), wird sie in der Schweiz im Rahmen des zivilrechtlichen *Eine detaillierte Übersicht bietet hierzu das deutsche Handbuch „Kindeswohlgefährdung nach Art. 1666 BGB und Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD)“ (vgl. Kindler et al., 2006). Der aktuelle Forschungsstand wird von Expertinnen und Experten auf rund 900 Seiten in Form von Fragen und Antworten rund um das Thema Kindeswohlgefährdung dargestellt. 14 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Kindesschutzes nicht thematisiert. Und dies obwohl eine Fremdplatzierung erst dann in Betracht gezogen werden sollte, wenn andere Massnahmen zum Wohl des Kindes nicht greifen bzw. wenn der Gefährdung nicht anders begegnet werden kann (Art. 310 ZGB, siehe Anhang 1). 2.2.3. Neues Kindes- und Erwachsenenschutzrecht Sechsmal jährlich wird von der Konferenz der kantonalen Vormundschaftsbehörden (VBK) die Zeitschrift für Vormundschaftswesen (ZVW) herausgegeben. Im April 2008 gab die VBK erstmals ihre Empfehlungen zur neuen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde als Fachbehörde heraus. Die Empfehlungen der VBK konzentrieren sich in erster Linie auf organisatorische Fragen der Kantone und Gemeinden, welche sich durch die neue Gesetzgebung ergeben (Behördenstruktur). Die Professionalisierung der Behörde wurde von der grossen Mehrheit des Parlaments befürwortet (vgl. VBK, 2008, S. 66). Zu den Aufgaben der Vormundschaftsbehörden zählt nach geltendem Recht u.a. die Analyse und Diagnose der Situation, sowie die Evaluation und Anordnung der geeigneten Massnahme. Eine der bedeutendsten Änderungen des neuen Rechts besteht darin, dass Massnahmen zukünftig individuell zugeschnitten, also massgeschneidert sein sollen, mit klar formulierten Aufgaben und Aufträgen an die Mandatsträgerinnen und Mandatsträger (vgl. Häfeli, 2010, S. 14ff.; VBK, 2008, S. 73; Vogel & Wider, 2009, S. 75). Die VBK geht in ihren Empfehlungen wenig auf Fragen in Bezug auf die Art und Weise der zukünftigen Zusammenarbeit einer interdisziplinären Behörde ein. Es besteht dadurch die Gefahr, dass durch die organisatorischen Schwierigkeiten des Wandels inhaltliche Fragen, und damit Fragen nach der Beurteilung des Kindeswohls, stark vernachlässigt werden. Aus dem Protokoll des ersten interkantonalen Erfahrungsaustauschs vom 7. April 2009 geht hervor, dass nebst der Behördenstruktur auch die Organisation der Abklärungsstelle und Delegationsmöglichkeiten an die Abklärungsstelle und der Einbezug verschiedener möglicher Fachstellen diskutiert wurden. Die VBK stellt in ihren Papieren den Wandel unkritisch als Notwendigkeit dar. Am Erfahrungsaustausch der Kantone wurde jedoch die Erarbeitung eines Argumentariums für die Projektverantwortlichen der einzelnen Kantone zur besseren Legitimation der Fachbehörde und der neuen Strukturen als weiterzubearbeitendes Thema angeregt. Allerdings scheinen diesbezüglich die finanziellen Konsequenzen des Wandels im Vordergrund der Diskussion zu stehen. In allen Kantonen sind entsprechende Umsetzungsarbeiten im Gange, wobei einzelne Kantone der Ostschweiz noch keine Tendenzen angegeben haben, wie die zukünftige Behördenstruktur ausgestaltet sein wird (vgl. Vogel & Wider, 2009, S. 80-82). Anlässlich der bevorstehenden Gesetzesänderung hat sich auch der Name geändert. Neu heisst die ehemalige VBK „Konferenz der Kantone für Kindes- und Erwachsenenschutz“ 15 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer (KOKES). Am 26. Mai 2010 hat der zweite interkantonale Erfahrungsaustausch stattgefunden. Eine Teilnahme im Zuhörerinnen-Status war leider nicht möglich. Die Schnittstelle zwischen dem neuen Recht und der SPF (Abklärung und Massnahmen) wird sich laut der Generalsekretärin der KOKES kaum in den nächsten Monaten herauskristallisieren (persönliche Kommunikation vom 5. Mai 2010). Am 8./9. September 2010 wurde von der KOKES in Freiburg eine zweitägige Fachtagung zum Thema „Interdisziplinarität – Herausforderung und Chance des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht“ durchgeführt (vgl. KOKES, 2010, S. 1-10). Die folgende Zusammenfassung der Tagungsinhalte beruht auf der persönlichen Teilnahme an der Tagung: Im Zentrum der Tagung stand die Interdisziplinarität als Herausforderung und Chance des neuen Rechts. In 10 verschiedenen Arbeitskreisen wurden ausgewählte Themen zu Massnahmen des neuen Rechts und Fragen zur Zusammenarbeit in einer interdisziplinären Fachbehörde bearbeitet. Des Weiteren erläuterten Fachpersonen aus den Disziplinen Medizin (Psychiatrie), Psychologie, Recht und Soziale Arbeit in ihren Referaten, welchen Beitrag ihre Professionellen zur interdisziplinären Zusammenarbeit leisten können. Verschiedentlich wurde dabei darauf eingegangen, dass massgeschneiderte Massnahmen, wie sie im neuen Recht vorgesehen sind, eine besondere Herausforderung darstellen. Rosch (2010) behandelte in seinem Referat verschiedene Schnitt- und Nahtstellen, zum Beispiel die Zusammenarbeit der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) mit der Sozialhilfe und weiteren öffentlichen und privaten Dienstleistungserbringern. Hierzu wurden explizit Schulen, Heime oder die Polizei genannt. Auf die SPF als Erziehungshilfe oder als möglicher externer Abklärungsdienst wurde kein Bezug genommen (vgl. S. 8+9). Heck (2010) als Vertreter der Sozialen Arbeit nahm in seinem Referat Bezug auf die allgemeine normative Handlungstheorie nach Staub-Bernasconi und erwähnte die SPF nebst dem Case Management und der lösungsorientierten Beratung als Methode der Sozialen Arbeit (vgl. S. 11-13). 2.3. Stiftung Kinderschutz Schweiz Die Stiftung Kinderschutz Schweiz hat im Januar 2010 ein Positionspapier zur Umsetzung des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts herausgegeben. Die Professionalisierung, sowie genügend grosse Einzugsgebiete zur Gewährleistung der Praxiserfahrung, werden von der Stiftung begrüsst. Allgemein ist zu nennen, dass sie sich den Empfehlungen der VBK anschliesst. Im Papier wird betont, dass nicht die Bürgernähe des zukünftigen Spruchkörpers, sondern der Sozialdienste entscheidend sei, da diese mehrheitlich mit der Mandatsführung beauftragt würden. Zuständigkeiten müssten jedoch zur Sicherung der Qualität und Transparenz dementsprechend klar geregelt sein (vgl. Stiftung Kinderschutz Schweiz, 2010, S. 1-6). Ausserdem hat die Stiftung Kinderschutz Schweiz im Auftrag von 16 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Bund und zwei weiteren privaten Stiftungen einen Vorschlag für ein Nationales Kinderschutzprogramm (NKP 2010 – 2020) ausgearbeitet. Mögliche Massnahmen / Projekte zum zivilrechtlichen Kindesschutz werden darin unter Punkt 5 präsentiert. Unter anderem soll das Verfahren der ausserfamiliären Unterbringung (Indikationen, Qualitätstandards) erarbeitet werden. Abgesehen von der Notwendigkeit dieses Vorhabens (siehe NFP 52 „Pflegefamilien- und Heimplatzierungen“) wird auch hier die Entwicklung von entsprechenden Standards für die Anordnung und Aufhebung von ambulanten, niederschwelligeren Massnahmen nicht berücksichtigt (vgl. Stiftung Kinderschutz Schweiz, 2009, S. 7). 2.4. Verankerung der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) im Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) Deutschlands Erste Projekte zur Sozialpädagogischen Familienbegleitung (SPF) in der Schweiz orientierten sich stark an der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) in Deutschland, welche dort ab 1969 im Zusammenhang mit der Heimdebatte entstand und heute bereits etabliert ist (vgl. Petko, 2004; Richterich, 1995). Es erscheint daher sinnvoll aufzuzeigen, wie die SPFH Deutschlands gegenwärtig in den gesetzlichen Kindesschutz eingebunden ist. Erkenntnisse aus Deutschland können auf diese Weise, unter Berücksichtigung der Unterschiede zu schweizerischen Bedingungen, mit beachtet werden. Das bis Ende 1991 geltende Jugendwohlfahrtsgesetz wurde durch das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) abgelöst. Damit vollzog sich ein deutlicher Perspektivenwechsel von einem Eingriffs- und Kontrollverständnis des Staates bei Gefährdungslagen hin zur Betonung von Eltern als Leistungsberechtigte bei erzieherischem Bedarf (vgl. BMFSFJ, 1998, S. 22). In der deutschen Gesetzgebung wird den Eltern, wie auch in der Schweiz, die höchste Autorität und Verantwortung für die Pflege und Erziehung der eigenen Kinder übertragen (§ 1 Abs. 2 SGB VIII, siehe Anhang 3). Die Eltern oder andere Personensorgeberechtigte haben aber einen Anspruch auf eine Hilfe zur Erziehung, wenn sie eine „dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung“ nicht gewährleisten können und „die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist.“ (§ 27 SGB VIII, siehe Anhang 3). Können die Eltern also ihre Verantwortung – aus welchen Gründen auch immer – ungenügend wahrnehmen, so gewährt das Jugendamt Leistungen der Jugendhilfe in Kooperation mit freien Trägern. In diesem Zusammenhang trat ein Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder-und Jugendhilfe (KICK) am 01.10.2005 in Kraft. Nach § 8a SGB VIII ist demnach das Jugendamt verpflichtet, Einschätzungen eines Gefährdungsrisikos in Zusammenarbeit mit weiteren Fachkräften vorzunehmen und entsprechende Massnahmen zum 17 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Wohl des Kindes zu treffen (vgl. Jordan, 2008, S. 7). Anlass zur Gesetzeserneuerung waren wiederholte Strafverfahren gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfe. Jordan (2008) plädiert in diesem Zusammenhang für verbindliche organisatorische, verfahrensbezogene und inhaltliche Festlegungen zwischen den verschiedenen Diensten und Trägern der freien Jugendhilfe zur Vermeidung von Überreaktionen oder folgenschweren Unterlassungen (vgl. S. 8). Wenn das Jugendamt zur Einschätzung gelangt, dass zur Abwendung oder Verhinderung einer Gefährdungslage keines der Angebote von Hilfen zur Erziehung geeignet oder ausreichend ist, so ist das Familiengericht zur Entscheidung über die elterliche Obhut anzurufen. Das Jugendamt stellt in diesem Fall (Amts-)Vormunde oder (Amts-)Pfleger, welche die Sorge über das Kind an Stelle der Eltern wahrnehmen (vgl. Wiesner, 2008, S. 10-18). Ein Handbuch zur Kindeswohlgefährdung nach Art. 1666 BGB bietet insbesondere Fachkräften des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) in Deutschland Informationen und Unterstützung (vgl. Kindler et al., 2006). Der aktuelle Forschungsstand wird auf rund 900 Seiten in Form von Fragen und Antworten rund um das Thema Kindeswohlgefährdung von Expertinnen und Experten dargestellt. Für die vorliegende Arbeit ist insbesondere das Kapitel 78 zu den verschiedenen möglichen Angeboten und Hilfen bei Beeinträchtigung oder Gefährdung des Kindeswohls aufschlussreich. Die möglichen Hilfearten werden präsentiert. Es werden ausserdem Überlegungen zu Vor- und Nachteilen, zu Kriterien für die Auswahl der geeigneten Hilfe, sowie zu bekannten Hilfeeffekten diskutiert (vgl. Blüml, 2006, S. 501-515). Blüml (2006) hält fest, dass unter dem Sammelbegriff SPFH diejenigen Angebote subsummiert sind, welche Familien auch bei erzieherischen Schwierigkeiten oder gravierenden Beeinträchtigungen des Kindeswohls unterstützen können. Es ist die stärkste der ambulanten Hilfen, da sie bei den Familien zu Hause stattfindet und somit der Eingriff in die Autonomie der Familie erheblich ist. Auch in Deutschland ist das Angebot durch eine grosse Heterogenität gekennzeichnet. Als Qualitätsstandards von Anbietern (Organisationen oder Einzelpersonen) werden als Beispiel eine Ausbildung in Sozialarbeit oder Sozialpädagogik, adäquate Zusatzausbildungen und regelmässige Supervisionen genannt. Zudem seien feste Arbeitsverträge und Pauschalfinanzierungen einer besseren Qualität zuträglich. Eine Intervention durch eine SPFH im Zwangskontext wird nicht ausgeschlossen, müsse jedoch im Einzelfall entschieden werden. Eine Heimplatzierung soll demnach erst dann geprüft werden, wenn auch diese stärkste Hilfe- bzw. Interventionsform nicht ausreicht, um eine bestehende Gefährdungslage abzuwenden (vgl. S. 508-509). Die SPFH ist in Deutschland nach Art. 31 SGB VIII des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) als eine von acht gleichrangigen Formen von Hilfen zur Erziehung gesetzlich klar verankert: 18 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer „Sozialpädagogische Familienhilfe soll durch intensive Betreuung und Begleitung Familien in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, der Lösung von Konflikten und Krisen sowie im Kontakt mit Ämtern und Institutionen unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe geben. Sie ist in der Regel auf längere Dauer angelegt und erfordert die Mitarbeit der Familie.“ (§ 31 SGB VIII). Mit dem „Handbuch Sozialpädagogische Familienhilfe“ hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Deutschland im Jahr 1998 die 2. überarbeitete Auflage eines Werks herausgegeben, welches die Ergebnisse des Projektes „Sozialpädagogische Familienhilfe in der Bundesrepublik Deutschland“ darstellt. Die auf rund 500 Seiten präsentierten Daten und Informationen wurden mittels verschiedener Methoden (Quantitative Erhebungen, Leitfaden-Interviews, Fallrekonstruktionen, Teilnehmende Beobachtung, Gruppendiskussionsverfahren) erhoben. Es wird als umfangreiches Nachschlagewerk verstanden, welches Fachkräften, öffentlichen und freien Jugendhilfeträgern sowie der Ausbildung und Forschung einen Einblick in die Tätigkeit der SPFH geben soll (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1998, S. 1-3; 22-26). Wie bereits erwähnt, wird im Rahmen des zivilrechtlichen Kindesschutzes in der Schweiz die Bedeutung der SPF in der aktuellen Forschung nicht thematisiert. Ein entsprechendes Handbuch für Behörden und Soziale Dienste fehlt dementsprechend in der Schweiz. Im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit bietet das Handbuch aus Deutschland jedoch fachliche Überlegungen dazu, in welchen Situationen der Einsatz einer SPF sinnvoll sein kann oder wann davon abgeraten werden sollte, auch wenn sich die (gesetzlichen) Rahmenbedingungen für diese Hilfeform in den beiden Ländern unterschiedlich gestalten. Der „erzieherische Bedarf im Einzelfall“ (§ 27 Abs. 2) stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar. Der Hilfeplan nach § 36 SGB VIII schreibt deshalb vor, dass eine Entscheidung für eine entsprechende Hilfe nur in einem Klärungs-, Beratungs- und Aushandlungsprozess zwischen mehreren Fachpersonen und den Betroffenen erfolgen darf. Es ist nicht möglich, eindeutige fallübergreifende Indikatoren oder Kriterien zur Gewährung einer SPFH festzulegen. Zudem sollen innerhalb dieses Prozesses die vorhandenen Ressourcen der Familie im Vordergrund stehen und Belehrungen und Schuldzuweisungen vermieden werden (vgl. BMFSJ, 1998, S. 23+24). Im Handbuch wird darauf hingewiesen, dass bei Überlegungen zur Auswahl der geeigneten Hilfe im Einzelfall örtliche Gegebenheiten und die Angebotsstruktur vorhandener sozialer Dienstleistungen (in dieser Arbeit Kriterien genannt) zentral sind (vgl. S. 24). Die Auswahl oder das Rekrutieren von geeigneten Anbietern im Einzelfall stellt also auch in Deutschland eine Aufgabe dar, welche von den zuständigen öffentlichen Diensten zu leisten ist. Wird eine SPFH oder andere Hilfe zur Erziehung installiert, so ist sie an der Aufstellung des Hilfeplans und an dessen stetiger Überprüfung ebenfalls zu beteiligen (vgl. § 36 Abs.2 19 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer SGB VIII). Büttner (2008) spricht sich dafür aus, dass der Entscheidungsfindungsprozess ausführlich dokumentiert und entsprechende Hilfepläne in Zusammenarbeit mit den Personensorgeberechtigten festgehalten und von diesen unterzeichnet werden sollten (vgl. S. 187). Aufgrund ihrer gesetzlichen Verankerung werden in Deutschland Statistiken zu den erzieherischen Hilfen konzipiert. Für das Jahr 2007 liegen beispielsweise genaue Zahlen vor, welche Gründe für eine Gewährung einer SPFH gemäss Art. 31 SGB VIII ausschlaggebend waren. Eine eingeschränkte Erziehungskompetenz wurde demnach mit 63% am häufigsten genannt, während die Gefährdung des Kindeswohls mit 16% relativ wenig genannt wurde. Mehrfachnennungen von Gründen pro Familie sind hierbei jedoch möglich. Trotzdem wird auf die relevante Bedeutung dieser Hilfeform bei Gefährdungslagen hingewiesen, da beispielsweise die Zahl der Heimeinweisungen aufgrund einer Gefährdungsmeldung mit 22% nicht viel höher liegt (vgl. Pothmann, 2009, S. 68-70). Da die SPF in der Schweiz nicht gesetzlich verankert ist, fehlen diesbezüglich Statistiken des Bundes. Vielmehr versuchen die verschiedenen Organisationen, betriebsinterne Statistiken aufzustellen. 2.5. Sozialpädagogische Familienbegleitung (SPF) in der Schweiz 1992 wurde die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft Sozialpädagogische Familienbegleitung (AG SPF) gegründet, welche seit 1998 den Namen Fachverband Sozialpädagogische Familienbegleitung Schweiz trägt. Er setzt sich zum Ziel, das Angebot der SPF im sozialen Bereich zu fördern. 1993 wurde an einer Fachtagung der AG SPF erstmals eine breitere Öffentlichkeit auf diese Angebotsform aufmerksam gemacht. Die Nationalrätin Angeline Fankhauser reichte in der Folge eine Interpellation beim Bundesrat ein mit der Frage, ob der Bundesrat bereit sei, diese Hilfeform in Zusammenarbeit mit den Kantonen zu fördern und finanziell zu unterstützen (vgl. Fachverband SPF Schweiz, o.J.; Fankhauser, 1993, S. 1). Der Bundesrat stimmte in seiner Antwort vom Februar 1994 zu, dass die SPF eine der geeigneten vorbeugenden Massnahmen gegen Kindesmisshandlungen sei, verwies jedoch auf den Zuständigkeitsbereich der Kantone und Gemeinden in Sachen Beratung und Begleitung von Familien. Die Kindesschutzmassnahmen nach Art. 307 ZGB böten für Behörden die nötige gesetzliche Grundlage, um eine SPF als Massnahme in Betracht zu ziehen, sofern diese als geeignet und erfolgsversprechend erscheinen würde (vgl. Bundesrat, 1994, S. 2). Laut eines Vorstandmitglieds findet gegenwärtig im SPF-Fachverband keine Diskussion zur Thematik der vorliegenden Arbeit statt (persönliche Kommunikation vom 27.Mai 2010). Die verschiedenen Anbieter von SPF als ambulante Hilfe befinden sich als freie Träger in einer steten Konkurrenzsituation um Aufträge. Die 20 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Finanzierung muss für jeden Einzelfall neu geregelt und sichergestellt werden. Die Ausgestaltung der verschiedenen Angebote in der Schweiz zeigt sich – analog zu Deutschland – als äusserst heterogen (vgl. Petko, 2004, S.23). Das Wissen um das Angebot der SPF und ihre Arbeitsweise ist selbst in Fachkreisen noch begrenzt. Wie bereits erwähnt wird SPF als Massnahme auch in der Studie von Voll et al. (2008) über Akteure, Prozesse und Strukturen im zivilrechtlichen Kindesschutz nicht explizit genannt. Gegenwärtig existieren für die Ostschweiz sechs Anbieter, welche als Mitglied des SPF-Fachverbands verzeichnet sind und somit bestimmte Qualitätsstandards erfüllen (siehe Anhang 4). Hierbei ist zu erwähnen, dass der Fachverband in erster Linie ermittelt, ob die erforderliche Strukturqualität der Einzelmitglieder oder Organisationen auf dem Papier (Flyer, Website) gegeben ist. Eine (systematische) Überprüfung der tatsächlichen Praxis und somit auch von Aspekten der Prozess- und Ergebnisqualität fehlt bis anhin (vgl. Fachverband SPF Schweiz, 2007; 2009). Vertreterinnen und Vertreter von Vormundschaftsbehörden müssen bei entsprechendem Bedarf die Aufgabe wahrnehmen, mit verschiedenen SPF-Organisationen in Kontakt zu treten und eine geeignete Auswahl für den Einzelfall zu treffen. Als Hilfestellung versenden SPF-Organisationen Flyer und informieren potentielle Auftraggeberinnen und Auftraggeber persönlich bei Anfrage oder mittels Website-Auftritten über ihre Angebote und die Kompetenzen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ihre Kompetenzen können diese zurzeit in einem neuen Zertifikatslehrgang erweitern. Im September 2010 hat an der Fachhochschule St.Gallen für Angewandte Wissenschaften in Rorschach erstmals der Zertifikatslehrgang „Sozialpädagogische Familienbegleitung“ begonnen. Im Rahmen von 6 Modulen (25 Tage) werden den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Grundlagen und erweiterte Handlungskompetenzen für die alltagsnahe Begleitung und Beratung von Familien vermittelt (vgl. FHS St.Gallen, 2010, S. 3-6). Zur schweizerischen Praxis der SPF existieren in der Schweiz lediglich die beiden Studien von Richterich (1993) und Petko (2004). Dementsprechend werden die beiden Autoren in zahlreichen Diplom- oder Lizentiatsarbeiten zur Tätigkeit der SPF zitiert. Petko (2004) untersuchte die Gesprächsformen und Gesprächsstrategien der SPF, insbesondere an welchem Punkt eines Gesprächs sich zum Beispiel „das Anerkennen“, „das positive Bestärken“ oder „der Vorschlag“ als sinnvoll erwiesen haben. Dies ist für die Schweiz von besonderer Bedeutung, da sich die schweizerischen Fachpersonen aufgrund der beschränkten zeitlichen und finanziellen Ressourcen schwergewichtig auf eine Begleitung durch Gespräche vor Ort konzentrieren. Fachkräfte sehen die Aktivierung der Eltern als „Hilfe zur Selbsthilfe“ als Kernelement ihrer Arbeit (vgl. S. 299). Petko (2004) betont jedoch, dass diese sozialpädagogische Intervention nicht von einem allgemeingültigen Familienbild ausgeht, welches es zu erreichen gilt, da sich die Ausgestaltung familiären Zusammenlebens in der 21 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer westlichen Gesellschaft äusserst unterschiedlich gestaltet (vgl. S. 33). Richterich (1993) führte unter anderem eine Evaluationsstudie zur Einführung der SPF als neues Angebot einer Organisation in Basel durch und beschrieb die Inhalte und die spezifischen Problemlagen von Familien. Eine Untersuchung darüber, welche Akteure im Rahmen des zivilrechtlichen Kindesschutzes sich wie für den Einsatz einer SPF entscheiden, existiert bisher nicht. Die Untersuchung von Arnold et al. (2008) über die Prozesse der Indikationsstellung, der Planung und Umsetzung von Platzierungen in Heime und Pflegefamilien bietet allerdings nützliche Erkenntnisse über bestehende Stärken und Schwächen im Entscheidungs- und Hilfeprozess. Nebst anderen staatlichen Instanzen (Bildungs-, Gesundheitswesen, Strafverfolgung) sind es wiederum die verschiedenen Akteure des Vormundschaftswesens, welche entsprechende Entscheidungen treffen und die Eltern, sowie die Kinder und Jugendlichen in sehr unterschiedlich hohem Mass partizipativ an diesem Prozess beteiligen lassen (vgl. S. 211ff.). Dies sind demzufolge dieselben Akteure, welche in der Studie von Voll et al. (2008) bereits Gegenstand der Untersuchung waren und auch in dieser Arbeit einen zentralen Stellenwert einnehmen. Die SPF wird hier, als weniger einschneidende, aber dennoch unter Umständen ausreichende Interventionsform, explizit erwähnt (vgl. S. 60). 3. Position der Sozialen Arbeit gegenüber dem zivilrechtlichen Kindesschutz 3.1. Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession In Artikel 1 Abs. 2 des von Avenir Social veröffentlichten „Berufskodex Professioneller der Sozialen Arbeit“ ist festgehalten, dass dieser unter anderem auf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und auf dem Dokument „Ethik in der Sozialen Arbeit – Erklärung der Prinzipien“ der International Federation of Social Workers (IFSW) basiere (vgl. avenir social, 2006, S. 1). Die IFSW legte Im Jahr 2000 in Montréal die folgende Definition für die Soziale Arbeit vor: „Soziale Arbeit als Beruf fördert den sozialen Wandel und die Lösung von Problemen in zwischenmenschlichen Beziehungen, und sie befähigt die Menschen, in freier Entscheidung ihr Leben besser zu gestalten. Gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse über menschliches Verhalten und soziale Systeme greift Soziale Arbeit dort ein, wo Menschen mit ihrer 22 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Umwelt in Interaktion treten. Grundlagen der Sozialen Arbeit sind die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit.“ (IFSW, o.J., unter Punkt 2.). Nebst der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wird das Übereinkommen über die Rechte des Kindes u.a. als besonders relevantes Dokument für die professionelle Soziale Arbeit erachtet (vgl. isfw, o.J., unter Punkt 3.). Diese explizite Orientierung an den Menschenrechten als Grundlage Sozialer Arbeit ist gerade für die Thematik dieser Arbeit von zentraler Bedeutung, zumal im Rahmen des zivilrechtlichen Kindesschutzes das Handeln von Professionellen der Sozialen Arbeit in Vormundschaftsämtern und Amtsvormundschaften der Sozialen Dienste auf der gesetzlichen Grundlage des schweizerischen ZGB basiert. Die tägliche Arbeit mit Klientinnen und Klienten wird durch behördliche oder richterliche Entscheide beeinflusst. Wie oben erwähnt, ist die von der Schweiz ratifizierte UNO-Kinderrechtskonvention der schweizerischen Gesetzesordnung übergeordnet. Freiburghaus-Arquint (2001) zeigte beispielsweise auf, dass die UNO-Kinderrechtskonvention einen Einfluss auf die Ausgestaltung des revidierten Scheidungsrechts im ZGB der Schweiz hatte. So kann seit dem 1. Januar 2000 nach einer Scheidung ein gemeinsames Sorgerecht beibehalten werden (ZGB Art. 133 Abs. 3) (vgl. S. 186-188). Durch die eigenständige Menschenrechtsorientierung müssen sich Professionelle der Sozialen Arbeit nicht bloss als ausführende und kontrollierende Instanz und somit als verlängerten Arm des Staates begreifen. Staub-Bernasconi (2008) weist darauf hin, dass diese Orientierung ein mögliches Werkzeug von mehreren zur „schonungslosen Diagnose“ einer Situation bieten kann. Eine Diagnose soll dadurch differenziert sein, eine einseitige Bestimmung von Tätern und Opfern verhindern und „keine Rücksicht auf Loyalitätsverpflichtungen“ zulassen (vgl. S. 14). Staub-Bernasconi (2008) plädiert in diesem Zusammenhang für eine Erweiterung Sozialer Arbeit als Profession mit Doppelmandat zu einer Profession mit Tripelmandat, welches sich folgendermassen zusammensetzt: - „eine wissenschaftliche Beschreibungs- und Erklärungsbasis und damit wissenschaftsbegründete Arbeitsweisen / Methoden und Social Policies - eine ethische Basis, das heisst ein von der Profession definierter, verbindlicher Berufskodex, der sich im Fall der Sozialen Arbeit, wie eingangs dargelegt, explizit auf die Menschenrechte als dessen Grundlage bezieht.“ (Staub-Bernasconi, 2008, S. 22). Sie konstatiert, dass sich im Bereich der Jugendhilfe und anderen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit die Feststellung von Menschenrechtsverletzung schwieriger gestaltet als zum Beispiel in paternalistisch-frauenfeindlichen Staatssystemen (vgl. S.14). Sie führt jedoch 23 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Beispiele auf, wie die Orientierung an Menschenrechten in der Lehre und Praxis Sozialer Arbeit umgesetzt wird. So werden im Rahmen des Masterstudiengangs „Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession“ in Berlin unter Beizug von Expertinnen und Experten Projekte konzipiert, umgesetzt und evaluiert. Im Bereich der Jugendhilfe wird eine Sozialpädagogische Prozessbegleitung für unbegleitete oder unqualifiziert begleitete Kinder als Zeuginnen in Strafverfahren implementiert. Im Bezug zu dieser Arbeit muss staatliches Handeln zum Schutz des Kindeswohls und das darin eingebettete eigene professionelle Handeln aus menschenrechtlicher Sicht, auch unter Einbezug von wissenschaftlichen Erkenntnissen, reflektiert werden. Zudem müssen stetige Schritte zur Verbesserung der Praxis realisiert werden. Dies kann unter Umständen bedeuten, dass Aufträge abgelehnt werden müssen, oder dass auf Mängel wie fehlende Partizipation im Abklärungsprozess hingewiesen werden muss (vgl. S. 22-28). 3.2. Kindeswohl – Ein Definitionsvorschlag aus der Perspektive der Sozialen Arbeit Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei dem Begriff des Kindeswohls um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der somit erhebliche Unsicherheiten in sich birgt und in der Fachöffentlichkeit breit diskutiert wird. An dieser Stelle wird mit Bezugnahme auf StaubBernasconi (2008) ein Vorschlag unterbreitet, wie aus der Perspektive der Sozialen Arbeit definiert werden kann, wann es einem Kind wohl und in diesem Sinne das Kindeswohl gesichert ist. Die verschiedenen Dimensionen des Begriffs werden durch diese Perspektive nicht ausgeklammert, sondern in die Betrachtung einer Situation mit einbezogen um Reduktionen auf eine Dimension vermeiden zu können: Staub-Bernasconi (2008) beschreibt als Adressatinnen und Adressaten Sozialer Arbeit „verletzbare Individuen und Gruppen“. Dazu zählen auch Kinder und Jugendliche. Ihre Verletzbarkeit ist darauf zurückzuführen, dass sie „für die Befriedigung ihrer biologischen, psychischen, sozialen / sozialkulturellen Bedürfnisse, die Entwicklung der Fähigkeit, ein eigenbestimmtes Leben zu führen – und mithin für die Erreichung von Wohlbefinden – direkt oder indirekt auf andere Menschen als Mitglieder sozialer Systeme (Familie, Peergruppen, Teams, Organisationen der Schule, Wirtschaft, Bildung, Politik und Kultur usw.) angewiesen sind.“ (Staub-Bernasconi, 2008, S. 13). Oder anders ausgedrückt: Einem Kind ist es wohl, wenn seine biologischen, psychischen und sozialen / sozialkulturellen Bedürfnisse befriedigt sind und die Eltern (und/oder weitere Erziehungs- 24 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer und Bezugspersonen) es in seiner Entwicklung der Fähigkeit, ein eigenbestimmtes Leben zu führen, direkt oder indirekt unterstützen. Diese Definition lässt jedoch nicht darauf schliessen, dass bereits eine akute Gefährdungslage besteht oder erste Schädigungen eingetreten sind, wenn ein Bedürfnis vorübergehend nicht oder nur kompensatorisch befriedigt ist (vgl. Staub-Bernasconi, 2007, S. 173). Sie verdeutlicht jedoch, dass Professionelle der Sozialen Arbeit auf Basiswissen anderer Disziplinen angewiesen sind, wenn sie sich mit Fragen des Kindeswohls beschäftigen müssen (vgl. ebd. S. 169). Zudem müssen weitere sozialarbeiterische Kompetenzen (wie wissenschaftsbegründete Arbeitsweisen oder Methoden) vorhanden sein, wenn bei einer hohen Anzahl und Komplexität von Sozialen Problemen mit den Betroffenen Lösungsstrategien ausgehandelt werden müssen (vgl. ebd. S. 200). Die gesetzliche Sozialarbeit wie auch die SPF stellen spezifische Berufsfelder innerhalb der Sozialen Arbeit dar. Professionelle beider Berufsfelder sollten demnach, gerade auch in der einzelfallbezogenen Zusammenarbeit, über die genannten sozialarbeiterischen Kompetenzen verfügen und sich an den Menschenrechten orientieren. 3.3. Entwicklung und Professionalisierung der SPFH / SPF Die SPFH wurde in Deutschland als Antwort auf die Heimkampagne Ende der sechziger Jahre entwickelt. Auch in der Schweiz wurde in der SPF eine Alternative zu stationären, ausserfamiliären Einrichtungen für Kinder gefunden, welche zugleich mit geringeren Kosten verbunden ist als eine Fremdplatzierung (vgl. Petko, 2004, S. 17-22). Es ist jedoch davon auszugehen, dass die gesetzliche Verankerung der SPFH in Deutschland ausschlaggebend war für die Fülle an bundesweiten und länderübergreifenden Forschungsbemühungen zu den Hilfen zur Erziehung im Allgemeinen (vgl. z.B. Bayerisches Landesjugendamt, 2004; Fröhlich-Gildhoff, 2002; HarnachBeck, 2003; Kindler et al., 2006; Merchel, 1998) und zur SPFH im Speziellen (vgl. z.B. Woog, 2006; BMFSFJ, 1998). In der Schweiz existieren (noch) keine politische oder wissenschaftliche Lobby zur weiteren Etablierung dieser Hilfeform. Die Etablierung in Deutschland impliziert die Grundannahme, dass die SPFH dazu beitragen kann, eine bestehende Kindeswohlgefährdung abzuwenden oder einer drohenden Gefährdungslage präventiv zu begegnen, ohne ein Kind aus seinem vertrauten Umfeld herausnehmen zu müssen. Die Untersuchung der Prozesse von einer Gefährdungsmeldung im Rahmen des zivilrechtlichen Kindesschutzes der Schweiz bis hin zur Beauftragung einer SPF als Intervention kann einen Beitrag zur Professionalisierung dieser Schnittstelle leisten. 25 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Teil II: Qualitative Fallstudie 4. Forschungsleitende Fragestellungen Die vorliegende qualitative Fallstudie verfolgt das Ziel, eine Antwort auf folgende Kernfrage generieren zu können: Nach welchen Kriterien und Indikatoren wird im Rahmen des zivilrechtlichen Kindesschutzes von welchen Akteuren beurteilt und/oder entschieden, ob eine Sozialpädagogische Familienbegleitung (SPF) als Hilfeleistung im Abklärungsprozess und/oder als professionelle Intervention zur Abwendung einer drohenden oder bestehenden Gefährdungslage für eine Familie geeignet ist? In dieser Kernfrage sind implizite Unterfragen enthalten, welche nachfolgend offengelegt werden: a) Welches sozialarbeiterische und sozialpädagogische Wissen und Können wird im Abklärungs- und / oder Entscheidungsprozess eingesetzt? b) Für welche Unterstützungsleistungen können externe Dienstleister herangezogen werden? Welche Tätigkeiten können / dürfen delegiert werden? c) Für welche Massnahmen kann die SPF eingesetzt werden? d) Welche Unterstützungen und Hilfeleistungen kann die SPF in den Verfahren und Entscheidungsprozessen anbieten? e) Welche neuen Formen der Begleitung muss die SPF entwickeln, um die Intentionen des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts umzusetzen? Kapitel 6 und 7 werden aufzeigen, inwieweit es möglich war, die Fragen a) bis d) zu beantworten. Zur Frage e) werden in Kapitel 8 begründete Hypothesen aufgestellt, welche in der Zukunft zu verifizieren sind. 5. Erhebungsdesign: Grounded Theory Zur Beantwortung der Fragestellungen wird ein qualitatives Design gewählt, da die Fragestellungen darauf abzielen, den Entscheidungsprozess der beteiligten Akteure zu interpre26 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer tieren und zu rekonstruieren. Es soll exemplarisch herausgearbeitet werden, wie unter den entsprechenden Rahmenbedingungen einer Organisation eine Situation benannt, interpretiert und bearbeitet bzw. gelöst wird. Die Orientierung an der Grounded Theory, welche eine komparative Analysemethode darstellt, schien geeignet zur Untersuchung der vorliegenden Fragestellung (vgl. Glaser & Strauss, 2010, S.39). Die Fragen nach dem Prozess und der Interaktionen zwischen beteiligten Personen sind darin implizit enthalten, in den Unterfragen zum Teil explizit. Handlungen und Interaktionen, sowie deren Prozesscharakter sind wichtige Bestandteile von Untersuchungen, welche mit der Grounded Theory durchgeführt werden (vgl. Strauss & Corbin, 1996, S. 118). Sie eignet sich zudem zur Auswertung verschiedener Datenmaterialien und aus forschungspraktischen Gründen. So bietet sich die Grounded Theory durch die stetige komparative Analyse der Daten und dem theoretical Sampling an, um im begrenzten Rahmen dieser Master-Thesis-Arbeit dennoch aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, welche über den gewählten Einzelfall hinaus einen Nutzen aufweisen können (vgl. Flick et al., 2007, S. 41-42). Die Grounded Theory wird nicht mit dem Ziel angewendet, quantifizierbare Fakten über den Untersuchungsbereich zu generieren, sondern um eine Theorie (mit eingeschränkter Reichweite) aus den Daten zu entwickeln, welche sich auf konzeptuelle Kategorien stützt. Diese sollte dadurch dem Untersuchungsbereich angemessen sein und damit Erklärungen ermöglichen (vgl. Glaser & Strauss, 2010, S. 41+47). Wie ertragreich sich das Verfahren bei der Analyse des konkreten Datenmaterials tatsächlich erwiesen hat, wird in Kapitel 8 kommentiert. Przyborski und Wohlrab-Sahr (2009) dienten als Orientierungsgrundlage für die Planung der Erhebungsinstrumente und Durchführung der Einzel- und Gruppeninterviews mit Rollenträgern der Vormundschaftsbehörde, des Vormundschaftsamtes, der Amtsvormundschaft, einer spezifischen SPF-Organisation und mit betroffenen Familienmitgliedern (S. 92106). Diese wurden durch die Analyse von Dokumenten ergänzt. Bei den Dokumenten handelt es sich um Organisationsbeschriebe, Fallakten, Gesprächsprotokolle, Berichte, Mails, behördliche Anordnungen und interne Planungspapiere. Auf diese Weise sollen die Interaktionen zwischen den beteiligten Akteuren, wie auch relevante Informationen zu konkret benannten Gründen (Indikatoren und Kriterien), die zum Einsatz einer SPF geführt haben, beleuchtet werden (vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2009, S. 19-27). Die folgende Darstellung der Vorgehensweise ist nicht als lineare Abfolge zu verstehen. Im Forschungsprozess bedingten die fortlaufenden Analysen (Kodes und Kategorien) der geführten Interviews und weiteren Dokumente die Auswahl der nächsten Interviewpartner und -Partnerinnen die Form des Interviews und die konkrete Durchführung. 27 Master-Thesis-Arbeit 5.1. Simone Hengartner Thurnheer Auswahl der Gemeinde Die Auswahl einer Gemeinde erfolgte auf der Grundlage der empirischen Ergebnisse der Studie von Voll et al. (2008) über Akteure, Prozesse und Strukturen im zivilrechtlichen Kindesschutz. Voll et al. haben 3 Typen von Behörden beschrieben. Demnach zählen 73% der deutschschweizer Behörden zum Typus der kommunal-generalistischen Behörden, welche identisch sind mit der Gemeindeexekutive oder einem Unterausschuss. Für die vorliegende Untersuchung wurde eine Gemeinde in der Ostschweiz ausgewählt, welche diesem Typus stark entspricht und über eine genügend hohe Einwohnerzahl verfügt, um eine gewisse Routine in der Zusammenarbeit mit Sozialpädagogischen Familienbegleitungen voraussetzen zu können (vgl. S. 204). Ausserdem wurde darauf geachtet, dass sich im Einzugsgebiet der Gemeinde mehrere Anbieter von SPF befinden. 5.2. Feldzugang Eine alltagsnahe Vorstellung des Feldes existiert aufgrund der eigenen Praxiserfahrung und durch Schilderungen von Berufskolleginnen und -Kollegen, welche in der gesetzlichen Sozialarbeit tätig sind. Der erste Zugang zu einer Organisation, welche aus oben genannten Gründen als Beispiel geeignet ist, konnte durch ein Informationsschreiben an zwei leitende Rollenträger des Vormundschafts- und Sozialamts zum geplanten Forschungsvorhaben, sowie zwei darauffolgenden Telefonaten mit denselben, sichergestellt werden. Die Vergewisserung, dass es tatsächlich laufende und abgeschlossene Fälle gibt, in welchen eine SPF als unterstützende Intervention oder als Hilfe im Abklärungsprozess installiert wurde, fand bei diesen ersten telefonischen Kontakten statt. Ein erster Eindruck über die Motivation zur Teilnahme konnte dadurch bereits gewonnen werden. 5.3. Auswahl der Rollenträger In einem Vorgespräch mit der Leitung des Vormundschaftsamtes wurden Fragen der Realisierbarkeit des Vorhabens diskutiert und die weiteren Schritte geplant. Zum einen beinhaltete dies die Diskussion um geeignete Fälle wie auch Abmachungen bezüglich Kontaktaufnahme mit weiteren Rollenträgern der Vormundschaftsbehörde, der Amtsvormundschaft, einer spezifischen SPF-Organisation und konkreten Familien. Alle kontaktierten Rollenträger bekundeten ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der Untersuchung. Diese Vorabklärung der vorhandenen Bereitschaft an einer möglichen Teilnahme war notwendig, um abschätzen zu können, ob das Forschungsvorhaben in der geplanten Zeit realisierbar ist. Die tatsächliche Auswahl der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner und Dokumente, sowie die Anpassung der Erhebungsinstrumente, erfolgte im Anschluss am Kriterium des 28 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer theoretical sampling, welches für die Grounded Theory zentral ist (vgl. Mey & Mruck, 2007, S. 18) 5.4. Auswahl der Familien Die Auswahl und Kontaktaufnahme mit entsprechenden Familien musste aus Datenschutzgründen den zuständigen Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern überlassen werden. Es konnte lediglich im Voraus besprochen werden, welche Kriterien die Auswahl von Familien leiten sollten. Nebst dem notwendigen Kriterium, dass eine SPF als Begleitung oder Abklärungsinstrument installiert sein muss, sollten die Fälle möglichst kontrastierend zueinander sein. 5.5. Methoden der Datenerhebung Nach der Grounded Theory können vielfältige Materialien zur Analyse verwendet werden, sodass keine bestimmten Erhebungsformen verwendet werden müssen (vgl. Glaser & Strauss, 2010, S. 34; Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2009, S.189). Die Datenerhebung orientierte sich daher ausschliesslich am Kriterium der Nützlichkeit zur Beantwortung der Forschungsfrage (Entdeckung von relevanten Kategorien aus den Daten) bzw. um relevant erscheinende Kategorien und ihre Dimensionen weiterentwickeln und verifizieren zu können (vgl. Glaser & Strauss, 2010, S. 80-81). Dazu wurden zum einen bereits vorhandene schriftliche Dokumente (siehe oben) verwendet und zum anderen Erhebungsinstrumente für Einzel- und Gruppeninterviews entwickelt, welche eine Mischform zwischen einem narrativen Interview und einem offenen Leitfadeninterview nach Przyborski und Wohlrab-Sahr (2009) darstellten (siehe zwei Beispiele Anhang 5 + 6). Einem Narrationsimpuls folgte jeweils ein Nachfrageteil mit immanenten und anschliessend exmanenten Fragen, um dem Forschungsinteresse Platz einräumen zu können. Der offene Leitfaden diente ausschliesslich der Orientierungshilfe während dem Zuhören und bot Anhaltspunkte für offene (immanente und exmanente) Nachfragen. Interviewte Personen orientierten sich auf diese Weise während des Erzählens an ihrer Relevanzstruktur, welches die Möglichkeit eröffnen sollte, Unbekanntes im Bekannten des zivilrechtlichen Kindesschutzes entdecken zu können (vgl. S. 139). Für die ersten Interviews wurden Leitfaden mit W-Fragen als Gedankenstütze formuliert und Phasen zugeteilt. Phasenmodelle sind in der Sozialen Arbeit im Hilfeplanprozess üblich (z.B. 1: Hinweis oder Gefährdungsmeldung, 2: dem Hinweis wird nachgegangen oder nicht, 3: Abklärung der Situation, 4: Verarbeitung der Abklärungsinformationen, 5: Entscheidungsfindung). Für die je unterschiedlichen Interviewpartnerinnen und –partner mussten die Phasen und Fragen jeweils angepasst werden. Das Stellen von W-Fragen ist nebst dem ständigen Vergleichen bei Strauss und Corbin (1996) ein wichtiges 29 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Element während des Kodierens und findet auf diese Weise bereits beim Zuhören ihre Bedeutung (vgl. S. 58). Die gesichtete Literatur diente als Hilfe beim Stellen von Fragen an die entsprechenden Personen, sowie an das Interviewmaterial. Die Interviews wurden fortlaufend vollständig transkribiert. Die Analyse (Kodes) der geführten Interviews steuerte die Anpassung des offenen Leitfadens an die neuen Interviewpartnerinnen und Interviewpartner. Die Durchführung einer Gruppendiskussion nach Przyborski und Wohlrab-Sahr (2009) wurde angestrebt (vgl. S. 109 – 115). Es wird davon ausgegangen, dass anhand einer Gruppendiskussion noch besser rekonstruiert werden kann, wie die konkrete Zusammenarbeit der Rollenträger des Vormundschaftsamtes, der Amtsvormundschaft und der SPFOrganisation stattfindet, als dies in Einzelinterviews der Fall ist. Zudem ist davon auszugehen, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gegenseitig in ihren Ausführungen ergänzen oder korrigieren, was einer authentischen Darstellung der Arbeitsweisen zuträglich sein müsste. Die Gruppendiskussion ist ebenfalls von Interesse im Hinblick auf die Tatsache, dass im neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht der Anspruch besteht, dass Entscheidungen im interdisziplinären Gespräch gefällt werden und somit die kollektive Einschätzung stärker gewichtet wird als individuelle Meinungen. Auch Familiengespräche könnten förderlicher sein als biografische Einzelinterviews, da die Familie gegenüber der Behörde und anderen Akteuren oftmals als Ganzes auftritt und diesen gegenüber möglicherweise jeweils ihre Gesamtsicht einer Situation darlegt (vgl. Przyborski&Wohlrab-Sahr, 2009, S. 106-122). 5.6. Durchführung der Datenerhebung Als weitaus schwieriger als die Bereitschaft zur Teilnahme zu gewinnen, erwies sich jedoch das tatsächliche Finden von verbindlichen Terminen für weitere Besprechungen und Interviews. Dies lag einerseits daran, dass in die Erhebungszeit sowohl die Sommerferien als auch die Herbstferien fielen. Wichtige Rollenträger für die Erhebung waren dadurch zu unterschiedlichen Zeiten abwesend. Des Weiteren wiesen sie aufgrund ihrer hohen Arbeitsbelastung eingeschränkte zeitliche Ressourcen auf. Nach einem ersten Einzelinterview mit einem Rollenträger des Vormundschaftsamtes wurde eine Gruppendiskussion zu einem konkreten Fall mit beteiligten Rollenträgern der Vormundschaftsbehörde (Präsidium), des Vormundschaftsamtes, der Amtsvormundschaft und der SPF-Organisation angestrebt. Aus oben genannten Gründen konnte eine solche Gruppendiskussion zu Beginn der Erhebungsphase nicht realisiert werden, sodass auf Einzelinterviews zurückgegriffen wurde. Die Interviews mit den Rollenträgern fanden in Büroräumlichkeiten der Organisa30 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer tionen statt. Beim Einzelinterview wurden sie gebeten, über den Prozess der ersten Information einer familiären Situation bis zum ersten Hausbesuch der SPF bei der Familie zu Hause zu berichten. Sie wurden aufgefordert, ihre Vorgehensweisen anhand von möglichst vielfältigen konkreten Fallgeschichten zu erläutern. Dies sollte dem Zweck dienen, möglichst authentische Darstellungen zu erhalten. Durch die Darstellung verschiedenster Fallgeschichten sollte es zudem möglich sein, Daten mit viel Varianz zur Ausarbeitung der Dimensionen von Kategorien zu generieren. Gegen Ende der Erhebung ist es doch noch gelungen, einen Termin mit drei Rollenträgern (Vormundschaftsamt, Amtsvormundschaft, SPF-Organisation) für eine Gruppendiskussion zu finden. Diese waren in den beiden Fällen involviert, zu welchen auch die Mütter und eine Jugendliche befragt wurden. So konnten wichtige Lücken im Datenmaterial gefüllt werden. Da es sehr anspruchsvoll ist, eine selbstläufige Gruppendiskussion aufrecht zu erhalten, wurde eine Mitstudentin als Unterstützung beigezogen. Sie konnte von aussen beobachten, ob die Rolle der Interviewerin eingehalten wurde und in einer kurzen Pause Rückmeldungen darüber geben, welche immanenten oder exmanenten Fragen noch nötig sind, um genügend Material in Bezug auf das Erkenntnisinteresse zu erhalten. Auch die Suche nach zwei möglichst kontrastierenden Fällen gestaltete sich schwierig. Verschiedene Familien waren nicht bereit für ein Interview oder es handelte sich um eine SPF-Organisation, welche die Interviewerin aus dem beruflichen Alltag kennt und somit Verzerrungen in der Wahrnehmung riskiert worden wären. Es erklärten sich zwei Mütter zu einem Interview bereit. Auf ein Familieninterview wurde verzichtet, da die Elternteile zerstritten waren, die Mütter jeweils das alleinige Sorgerecht hatten, die Entscheidung über die Installation im einen Fall ohne Kind erfolgte (aufgrund des Alters) und im anderen Fall aus organisatorischen Gründen nicht möglich war. Ein Interview mit der Tochter, welche am Zielgespräch und der Intervention von Anfang an beteiligt war, erschien gegen Ende der Erhebungsphase zur Spezifizierung einzelner Kategorien als wichtig, sodass dies zusätzlich durchgeführt wurde. Da laut Voll et al. (2008) in 71% der Gefährdungslagen Erwachsenenkonflikte ausschlaggebend sind (vgl. S. 29) sind sie als typische Fälle geeignet. Diese weisen neben dieser Gemeinsamkeit dennoch deutliche Unterschiede auf. Die Tatsache, dass in beiden Familien die Begleitung bereits abgeschlossen war, wies sowohl Vorteile wie Nachteile auf. Der Anspruch an die Erinnerungsleistung steigt einerseits für alle interviewten Personen, ermöglicht jedoch einen bilanzierenden Rückblick. Die Interviews mit den Müttern und der Jugendlichen fanden jeweils am Wohnzimmertisch statt, ohne störende Einflüsse von aussen. Sie wurden gebeten zu erzählen, wie sie die familiäre Situation vor dem ersten Kontakt mit der Vormundschaftsbehörde erlebt haben bis hin zum ersten Hausbesuch der SPF. 31 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Insgesamt wurden sechs Einzelinterviews und eine Gruppendiskussion durchgeführt. Es handelt sich total um 9h 34min Interviewmaterial, welches vollständig transkribiert wurde. Die genannten Dokumente konnten auf dem Internet abgerufen werden (Organisationsbeschriebe) oder wurden auf telefonische oder direkte Anfrage von entsprechenden Rollenträgern teils anonymisiert zusammengestellt und übergeben. 5.7. Analyse der Daten Die Analyse (das Kodieren) der gewonnenen Daten orientiert sich an den Verfahren der Grounded Theory nach Strauss und Corbin (1996). Dies wurde im Wissen entschieden, dass die Grounded Theory nicht (mehr) als einheitlicher methodischer Ansatz betrachtet werden kann, von verschiedenen qualitativ Forschenden jedoch als fruchtbar angesehen wird (vgl. Muckel, 2007, S. 211ff.). Diese klare Orientierung erleichtert der Leserin und dem Leser zudem die Nachvollziehbarkeit und die Beurteilung der Vorgehensweise bei der Datenerhebung und Datenanalyse. Um festzustellen, wie sich das Verfahren von Strauss und Corbin (1996) zu den anfänglichen Intentionen der Grounded Theory verhält, wurde die deutsche Übersetzung von Glaser und Strauss (2010) herangezogen. Nebst dem Werk von Strauss und Corbin (1996), diente diese als zusätzliche Arbeitshilfe für das Theoretical Sampling und die vergleichende Analyse, welche parallel zur Datenerhebung stattfand. Beim offenen Kodieren sind bei Strauss und Corbin (1996) für das Erstellen von Konzepten das Sammeln und Stellen von Fragen über die Daten (Wer? Wann? Wo? Was? Wie? Wieviel? und Warum?), sowie das Anstellen von Vergleichen zentral. Zudem müssen entwickelte Hypothesen laufend an den Daten verifiziert werden (vgl. Strauss & Corbin, 1996, S. 27+58). Die dazu notwendige theoretische Sensibilität stammt aus der eigenen beruflichen Erfahrung als Sozialpädagogische Familienbegleiterin, aus Gesprächen mit Berufskolleginnen und Berufskollegen, welche in der gesetzlichen Sozialarbeit tätig sind und aus dem Studium von Forschungsergebnissen und Fachliteratur zur Thematik. Auch das Axiale Kodieren mit dem Paradigmatischen Modell erschien in Bezug zur konkreten Fragestellung als geeigneter Orientierungsrahmen für die Analyse des umfangreichen Datenmaterials. Strauss und Corbin beschreiben diesen Vorgang wie folgt: „Beim axialen Kodieren liegt unser Fokus darauf, eine Kategorie (Phänomen) in Bezug auf die Bedingungen zu spezifizieren, die das Phänomen verursachen; den Kontext (ihren spezifischen Satz von Eigenschaften), in den das Phänomen eingebettet ist; die Handlungsund interaktionalen Strategien, durch die es bewältigt, mit ihm umgegangen oder durch die es ausgeführt wird; und die Konsequenzen dieser Strategien.“ (Strauss & Corbin, 1996, S. 76). 32 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Zur Spezifikation von Bedingungen kann die Bedingungsmatrix als Hilfsmittel eingesetzt werden. Informationen zu den einzelnen Matrixebenen können aus der Literatur oder der Erfahrung gewonnen werden. Die gewonnenen Informationen aus der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema im Teil I dieser Arbeit dienen diesem Zweck, müssen aber an den Daten verifiziert werden (vgl. S. 135+136). Das Schreiben von Memos während des gesamten Forschungsprozesses diente dem Festhalten von Gedanken, Ideen und Hypothesen, welche beim Analysieren der Daten und entwickeln von Kategorien und ihren Dimensionen entstanden. Sie erleichterten zudem die Verschriftlichung der gewonnenen Erkenntnisse in Form einer analytischen Geschichte (Story line) (vgl. Strauss & Corbin, 1996, S. 96-98). Die deutsche Übersetzung von „Awareness of dying“ lieferte zusätzliche Inspiration zur folgenden Darstellung der Ergebnisse (vgl. Glaser & Strauss, 1965). 6. Ergebnisse der Fallanalyse Aus Datenschutzgründen wurden sämtliche Namen und Bezeichnungen in den Zitaten anonymisiert. Die aus dem Datenmaterial entwickelten Hauptkategorien und Kategorien, sowie das zentrale Phänomen werden im Folgenden entlang ihrer Dimensionen und wechselseitigen Beziehungen in Form einer analytischen Geschichte, hier Story line genannt, präsentiert. 6.1. Gliederung der Ergebnisse Um eine passende Struktur zur Darstellung der Story line zu finden, wurde eine Metapher als Hilfsmittel herangezogen. Die gewählte Metapher soll der Leserin und dem Leser ebenfalls eine erste Orientierungshilfe bieten. Um die Gliederung der Ergebnisse zu veranschaulichen wird als Metapher die Betrachtung eines Gemäldes gewählt. Es stellt Figuren in einem hohen Aktivitätszustand dar. Besucherinnen und Besucher eines Museums betrachten das Gemälde als erstes aus der Distanz. Sie erlangen dadurch erste Eindrücke und Vorstellungen, was in der Szene dargestellt werden soll (siehe Kapitel die Hauptgeschichte). Anschliessend suchen sie nach einer oder mehreren Hauptfiguren, welche offensichtlich im Zentrum des Geschehens stehen (siehe Kapitel Situationseinschätzung und Entscheidungszwang auf unvollständiger Informationsgrundlage). Das Bild liefert womöglich Hinweise, was die Hauptfiguren zu ihren Aktivitäten veranlasst (siehe Kapitel Kontext des Entscheidungszwangs). Es zeigt 33 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer zudem, in welcher Umgebung diese Aktivitäten stattfinden und welche Pläne die Hauptfiguren schmieden (siehe Kapitel Informations-Lücken-Füll-Strategien). Am Bildrand sind unscharfe Figuren erkennbar, welche die Pläne oder das Geschehen in irgendeiner Weise beeinflussen. Auch das Wetter gibt Hinweise auf die Atmosphäre, in welchem es stattfindet (siehe Kapitel Kooperationsvoraussetzungen). Man kann sich vorstellen, wie das Folgegemälde aussehen würde, wenn es als Bildergeschichte dargestellt wäre (siehe Kapitel Formelle Zusammenarbeit mit einer SPF-Organisation). 6.2. Die Hauptgeschichte Die Hauptgeschichte dient der Vorstellung des zentralen Phänomens, der Hauptkategorien und wichtiger Unterkategorien. Die Dimensionen in ihren Ausprägungen werden in den einzelnen, darauf folgenden Kapiteln weiter ausgeführt. Verschiedene Rollenträger der Vormundschaftsbehörde, des Vormundschaftsamtes und der Amtsvormundschaft müssen auf unvollständiger Informationsgrundlage Situationseinschätzungen zu einfacheren bis hochkomplexen familiären Problemlagen vornehmen und formelle und informelle Entscheidungen für das weitere Vorgehen treffen. Meldungen mit zum Teil widersprüchlichen Teilinformationen über problematische Familiensituationen und kindliche Verhaltensauffälligkeiten gelangen von unterschiedlichen Meldeinstanzen (Mandatsführende, Schule, Polizei) und weiteren Informanten (Nachbarn, Elternteil, Selbstmelder) an das Vormundschaftsamt. Es gehen sowohl Meldungen mit diffusem Charakter wie auch Meldungen mit stichhaltigen Informationen ein. Daraus ergeben sich zwei Typen von Entscheidungszwängen: Den Entscheidungszwang auf der Grundlage ungesicherter Informationen, sowie den Entscheidungszwang auf der Grundlage stichhaltiger Informationen. Es werden Informations-Lücken-Füll-Strategien eingesetzt. Damit kann der Informationsgehalt einzelner Meldungen ausgelotet werden. Ausserdem können dadurch zusätzliche, relevante Informationen zur Steigerung der Entscheidungssicherheit für das weitere Vorgehen gewonnen werden. Zu diesen Strategien gehört das Führen von Gesprächen (Diskussionen, Absprachen, Besprechungen, Befragungen) mit unterschiedlichen hausinternen Rollenträgern (VB, Vormundschaftsamt, Amtsvormundschaft, Sozialdienst) und weiteren einzelfallbezogenen Akteurinnen und Akteuren. Die Gespräche werden begleitet durch bewusst eingesetzte Tür-Öffner-Strategien und Erziehungs-Kompetenz-Überprüfungs-Strategien. Ziel dieser Strategien sind das Beurteilen der Kompetenzen von Erziehungsverantwortlichen, sowie die Beurteilung der Ursachen und Komplexität von familiären Problemen. Zur Gewinnung von relevanten Informationen sind die Rollenträger des zivilrechtlichen Kindesschutzes auf die Kooperationsbereitschaft 34 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer der Erziehungsberechtigten und weiteren Familienmitgliedern angewiesen. Die Kooperationsbereitschaft der Beteiligten verändert sich im Laufe des Prozesses. Verschiedene Kooperationsvoraussetzungen beeinflussen das Mass der Bereitschaft, je nachdem ob die betroffenen Familienmitglieder die Voraussetzungen positiv oder negativ werten. Dazu zählen die Finanzierungsklärung von Interventionen oder Massnahmen, die Möglichkeit Anliegen zu artikulieren, die gesetzliche Elternsouveränität und die Erahnung oder Entdeckung vorteilbringender Aspekte. Eine SPF-Organisation als soziale Dienstleistungsorganisation bietet der Vormundschaftsbehörde Hilfeleistungen im Abklärungs- und Entscheidungsprozess. Sie bietet zwei Angebotsformen für eine formelle Zusammenarbeit an: Den Kurzeinsatz als Abklärungsinstrument und die SPF als Erziehungshilfe. Das folgende Zitat einer Sozialpädagogischen Familienbegleiterin veranschaulicht verschiedene Aspekte der Hauptgeschichte: „Man merkt eigentlich schon bei der Anfrage ziemlich gut, ob die Behörde die Familie schon länger kennt, wie konkret die Ziele sind oder die Vorstellungen, was sich verändern sollte, wie die Motivation ist von der Familie und dann gibt es auch die Familien, wo man weiss, da ist die Motivation nicht hoch, da weiss man eigentlich nicht viel darüber und da sollte man jetzt mal eine Tür-Öffner-Situation schaffen können“ (221010; Z. 455-461). In der weiteren Darstellung der Story line sind immer wieder Zitate aus geführten Interviews eingebettet. Dabei wird in der Regel nicht beschrieben, von welchen Rollenträgern oder welchem Familienmitglied ein Zitat stammt. Es geht nicht darum, den genauen Kontext einer Äusserung oder eine konkrete Fallgeschichte darzulegen. Es geht mehr darum, zu veranschaulichen, anhand von welchem Datenmaterial die Kategorien und Dimensionen entwickelt wurden und die story line durch konkrete Äusserungen aufzulockern. 6.3. Das zentrale Phänomen: Situationseinschätzung und Entscheidungszwang auf unvollständiger Informationsgrundlage „Im Haus“ der Sozialen Dienste müssen zu unterschiedlichen Zeitpunkten verschiedene Entscheidungen getroffen werden, die in einem Zusammenhang mit der Fragestellung dieser Arbeit stehen. Entscheidungen müssen immer erfolgen, auch wenn die Informationsgrundlage sehr unvollständig ist: „Und wenn die Leute nicht selber kommen und sagen [was das Problem ist, einf. d.A], dann bleibt es immer so im Bereich der Vermutung, wenn es um Entscheidungen geht oder um die Frage geht, was soll man oder was kann man auch machen“ (221010; Z. 216-219). „Im Haus“ bezeichnet die organisatorische Ausgestaltung der Sozialen Dienste mit einer Gesamtleitung und den verschiedenen Unterabteilungen: Vor35 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer mundschaftsamt mit Leitung, Amtsvormundschaft mit Leitung und Sozialamt mit Leitung. „Das Haus“ bezeichnet auch die physisch existierende Organisation in Form eines einzelnen Hauses. In diesem Haus gehen verschiedene Rollenträger wie Vormundschaftssekretäre, Sozialarbeiterinnen der Sozialberatungsstelle, Beiständinnen und Beistände ihrer Arbeit nach. Auch die Person, welche das Präsidium der Vormundschaftsbehörde innehat, besetzt einen Büroraum der Sozialen Dienste und ist somit physisch nah am Tagesgeschehen. Nicht nur das eigentliche Gremium, welches formal als Vormundschaftsbehörde in Räumlichkeiten dieses Hauses formelle Entscheidungen trifft, wird von Adressatinnen und Adressaten als Behörde bezeichnet. Einerseits wird das Haus als solches mit all seinen verschiedenen Rollenträgern als Behörde benannt, aber andererseits werden auch die verschiedenen Rollenträger oft unter dem Begriff Behörde als Gesamtgremium subsummiert: „Also ich habe sowieso nur bestimmte Personen gesehen, aber diese Personen haben ja auch wieder einen Chef und diese Person hat auch wieder einen Chef, also ist es für mich schon irgendwie die Behörde gewesen“ (261010; Z. 308-312). Aber auch Rollenträger, welche einer Abteilung der Amtsvormundschaft oder des Vormundschaftsamtes zugeordnet sind, unterscheiden in ihren Äusserungen nicht immer klar zwischen der formal entscheidenden Vormundschaftsbehörde als Gremium und der eigenen Position innerhalb des Hauses: „Und dann ist der Konflikt im Haus gewesen“ (221010; Z. 871-875) oder „Wir hören ja nicht [direkt von den Familien selbst, einf. d.A.] wir sind die anordnende Behörde, wir müssen Berichte annehmen.“ (221010; Z. 883). Die Benutzung des Behördenbegriffs bleibt also oftmals diffus. Sämtliche Rollenträger des Vormundschaftsamtes und auch des Sozialamtes werden zum Teil unter den begrifflichen Eintopf Behörde subsummiert. Andererseits werden zum Teil Personenmerkmale von Rollenträgern hervorgehoben wie das Geschlecht oder Charakterzüge. Diese verdeutlichen die Bedeutung der Einzelperson in Interaktionen: „Also es ist mit der Person, es ist ein Mann gewesen, es hat eigentlich regelmässig ein Crash mit dem Vater gegeben und das hat vielleicht auch damit zu tun gehabt“ (191010; Z. 270-272) oder „aber Herr Keller konnte jeweils schon recht auf den Tisch klopfen, wenn etwas gewesen ist und Herr Studer ist eher so der Ruhige Pool vom Ganzen“ (280910_2, Z. 315-317). Entscheidungsprozesse werden durch Informationen ausgelöst und beeinflusst. Während des Entscheidungsprozesses sind Interaktionen zwischen den verschiedenen internen Rollenträgern des Hauses, sowie mit externen Fachpersonen, Privatpersonen und Mitgliedern des engeren oder erweiterten Familiensystems möglich. Informelle Entscheide, welche als VorEntscheide bezeichnet werden können, liegen im Kompetenzbereich einzelner Rollenträger. So können jene des der Vormundschaftsamtes nach Eingang einer Gefährdungsmeldung, welche in diesem Sinne eine Information darstellt, in eigener Kompetenz entscheiden, welche zusätzlichen Informationen eingeholt werden müssen oder mit welchen internen 36 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Rollenträgern sie sich über das weitere Vorgehen beraten möchten. Die Person, welche das Präsidium innehat, wird über den Eingang einer Erstmeldung informiert. Deutet die Meldung auf eine komplexere Problemstellung hin, wird sie sich selbst mit Rollenträgern des Vormundschaftsamtes in Verbindung setzen oder von diesen kontaktiert werden. Diese Vorgehensweise scheint keinem festgelegten Verfahrensablauf zu folgen, sondern ist eher auf deren relativ häufige physische Präsenz in einem Büro „des Hauses“ zurückzuführen. Scheint eine Sachlage, zumindest bei Eingang der ersten Informationen, wenig kompliziert, so reicht eine blosse Information über die Meldung aus. Die Vormundschaftsbehörde als Gesamtgremium wird vom Präsidium und von Rollenträgern des Vormundschaftsamtes punktuell über Zwischenentscheide informiert. Sobald eine Vor-Entscheidung den Einbezug einer Fachstelle vorsieht, welcher mit der Erteilung eines Auftrags an externe Dienste und finanziellen Kosten verbunden ist, ist mindestens die Unterschrift des Präsidiums erforderlich. Formelle Entscheide, wie Weisungen und Verfügungen trifft hingegen immer die Gesamtbehörde. Auch bei formellen Entscheiden handelt es sich um Entscheide auf der Grundlage unvollständiger Informationen. 6.4. Kontext des Entscheidungszwangs Im Folgenden werden die dimensionalen Ausprägungen beschrieben, unter welchen informelle Vor-und Zwischenentscheide sowie formelle Behördenentscheidungen getroffen werden müssen. Diese werden verdeutlichen, mit welchen Entscheidungsproblemen Akteure und Akteurinnen des zivilrechtlichen Kindesschutzes konfrontiert sind, um im Einzelfall die „richtigen“ Entscheidungen für das weitere Vorgehen treffen zu können. Wie oben beschrieben, werden Entscheidungsprozesse durch Informationen ausgelöst und beeinflusst. Eine Erstmeldung, die das Vormundschaftsamt (und evtl. auch den Schreibtisch des Präsidiums) erreicht, stellt den Start eines Prozesses mit Zwischenstationen dar. Dies können formale Gefährdungsmeldungen von Schulen oder weiteren Stellen oder andere Meldungen (Anschuldigungen oder Vorwürfe von Elternteilen oder Nachbarn, Polizeirapporte) sein. An den Zwischenstationen müssen jeweils Entscheidungen über das weitere Vorgehen getroffen werden. Solche Meldungen können sowohl sehr präzise und konkret sein oder aber als diffuse Informations-Fragmente beim zuständigen Rollenträger des Vormundschaftsamtes eingehen. Mandatsträgerinnen und Mandatsträger der Amtsvormundschaft können beispielsweise aufgrund eines Scheidungsverfahrens bereits für eine Besuchsrechtsbeistandschaft eingesetzt worden sein. Diese haben Informationen über die familiären Problemsituationen gesammelt und stellen konkrete Anträge für weitergehende Massnahmen, welche sie als geeignet erachten. Andere Meldende wie Nachbarn, Grosseltern oder die Schule richten sich zum Teil mit eher diffusen Aussagen an das Vormund37 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer schaftsamt: „Da muss man mal hinschauen, in der Familie läuft es nicht gut“ (020910; Z. 139). Je nach Gehalt einer Information ist es schwieriger oder einfacher zu beurteilen, wie dringend ein schneller Entscheid für das weitere Vorgehen ist. Ambivalente Aussagen zu dieser Frage weisen darauf hin, dass das Abwägen der Dringlichkeit kein einfaches Unterfangen darstellt und dennoch in jedem Fall einer Meldung nachgegangen werden muss: „Also eine Meldung müssen wir immer ernst nehmen.“ (020910; Z. 442) oder „Aber es hat eben schon solche Leute, die inflationär Meldungen machen, das erhöht den Wert der Meldung nicht unbedingt“ (221010; Z. 1378-1379). Informationen über problematische familiäre Verhältnisse können äusserst komplex ausfallen oder sich auf ein Einzelproblem beziehen. Der Aufwand für das Einordnen der Information steigt mit der Komplexität einer Information und dem Schwierigkeitsgrad, weitere Informationen einholen zu können. Oftmals existieren Zugangsprobleme zu Informationen. Der Aufwand steigt auch durch die blosse Anzahl von Meldungen. Es sind sowohl Einzelmeldungen als auch beinahe tägliche Neumeldungen zu einer Fallgeschichte möglich: „Also wir haben praktisch jede Woche etwa fünf Telefonate gehabt von ihm [dem Kindsvater, einf. d.A.], wenn er mit etwas wieder nicht einverstanden gewesen ist oder seine Exfrau angegriffen hat“ (221010; Z. 29-32). Aus dem Kontaktieren von ausgewählten Informanten können zudem klare Informationen mit grossem Nutzen für die Entscheidungsfindung bis hin zu undifferenzierten Antworten resultieren. Wenn externe Fachstellen zur Informationsgewinnung mit der Erstellung eines Berichts oder eines Gutachtens beauftragt werden, variiert je nach Fachstelle die zeitliche Dauer bis zur Präsentation der Ergebnisse erheblich. Überlegungen zur Involvierung der geeigneten Fachstelle zur Informationsgewinnung müssen daher auch in Zusammenhang mit der Dringlichkeitsfrage gestellt werden. Die Konsequenzen einer zu schnellen oder zu späten Entscheidung müssen abgeschätzt werden: „und was auch noch dazu kommt ist manchmal der Faktor Zeit, Es ist einfach so (…) der Gutachtensweg, der geht eigentlich oft relativ lang, bis dann wirklich eine unterstützende Hilfe kann geboten werden“ (191010; Z. 399-403). Wie schnell qualitativ gute Informationen gewonnen werden können, hängt damit zusammen, wie stark „das Haus“ intern mit externen Fachpersonen vernetzt ist, und welche professionellen Fähigkeiten im Abklären von Situationen diese aufweisen bzw. ihnen attestiert werden: „Man war einmal da hineingelebt und war froh gewesen, wenn man etwas delegieren konnte und sagen, das haben wir jetzt in guten Händen“ (020910; Z. 288-290) oder auch „ich denke auch, diese Leute, mindestens mit diesen Leuten mit welchen ich heute zu tun habe, die sind professioneller ausgebildet“ (020910; Z. 301-303). Die Rollenträger der Vormundschaftsbehörde des Vormundschaftsamtes und Mandatsträgerinnen und Mandatsträger der Amtsvormundschaft greifen ihrerseits auf vielfältige Wissensformen zurück, um Informationen einordnen zu können. Der individuelle Bezug auf Erfahrungswissen und der 38 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer gemeinsame hausinterne Austausch darüber scheinen dabei im Vordergrund zu stehen: „Ich denke es ist sehr viel auch die Erfahrung wo man hat aus anderen Fällen“ (191010; Z. 390391). Auch auf sozialarbeiterisches Fachwissen, welches in Aus- und Weiterbildungen angeeignet wurde, wird Bezug genommen, sowie auf den professionellen Habitus. Nebst systemischen Denkweisen wird die Kunst des Fallverstehens als zentral erachtet: „das ist die Kunst auch, das Komplexe können verstehen und dann aber auf der Ebene der Zusammenarbeit ganz fassbar zu sein“ (221010; Z. 956-957). Wird aufgrund der eingegangenen Informationen auf eine komplexe und erheblich schwierige familiäre Situation geschlossen, so findet eine stärkere Vernetzung mit externen Fachpersonen und Fachgremien (Kinderschutzgruppe) statt: „weil es immer ein Abwägen ist zwischen dieser Information und dem Risiko einer Gefährdung aber auch ein Abwägen was wird verursacht, wenn man falsch, überstürzt handelt, wenn Stigmatisierungen passieren, ist eine enorm schwierige Aufgabe“ (221010; Z. 1340-1343). 6.5. Zur Zwei Entscheidungstypen Beantwortung der Fragestellung dieser Arbeit wird die Komplexität des Entscheidungsfindungsprozesses reduziert, indem theoretisch zwei Entscheidungstypen unterschieden werden. Diese treten in der Wirklichkeit nicht in dieser Reinform auf. Vielmehr existieren vielfältige Zwischenformen, welche die Individualität einer jeden Fallgeschichte verdeutlichen. Anhand der zwei Entscheidungstypen soll verdeutlicht werden, welche Prozesse und Interaktionen dazu führen, dass eine SPF-Organisation als Abklärungsinstrument eingesetzt wird bzw. mit einer längerfristigen sozialpädagogischen Familienbegleitung beauftragt wird. Zunächst werden die beiden Entscheidungstypen vorgestellt. Dazu werden jeweils die ursächlichen Bedingungen, unter welchen sich ein Entscheidungstyp entwickelt, unter Berücksichtigung der Kontextbedingungen erläutert. 6.5.1. Entscheidungstyp 1: Entscheidungszwang auf der Grundlage ungesicherter Informationen Entscheidungsprozesse werden durch Informationen über problematische Familiensituationen und kindliche Verhaltensauffälligkeiten ausgelöst und beeinflusst. Informationen, welche in diesen Entscheidungstyp münden, weisen vorrangig einen diffusen Charakter auf. Sie werden häufig auf eine eher impulsive Art und Weise an das Vormundschaftsamt gerichtet und werden unter diesen Umständen mehr als Vorwürfe und Anschuldigungen wahrgenommen, denn als sachliche Information über tatsächliche Problemkonstellationen in einer Familie. Widerholte Vorwürfe und Anschuldigungen werden beispielsweise von Elternteilen hervorgebracht, welche sich durch eine Trennungs- oder Scheidungssituation in 39 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer einem Sorgerechtskonflikt zueinander befinden: „Und dann ist es eben darum gegangen, dass mir der Kindsvater vorgeworfen hat, dass ich nicht recht für den Kleinen schaue“ (280910_2; Z. 33-35). Unter diesen Umständen ist es oftmals schwer zu beurteilen, ob eine Kritik an einer Erziehungshaltung angemessen ist oder ob diese eher durch den Konflikt genährt wird. Auch Vermutungen müssen als ungesicherte Informationen betrachtet werden. Schulleitungen oder Schulbehörden senden formelle Gefährdungsmeldungen an das Vormundschaftsamt, wenn sie aufgrund von wiederholten und massiven Verhaltensauffälligkeiten einer Schülerin oder eines Schülers auf problematische familiäre Verhältnisse schliessen: „Wir haben ‚öpe mal‘ Situationen wo die Schule eine Meldung macht und klar formuliert, das Kind müsste eigentlich sofort platziert werden und wir kommen oft als erstes zu einer anderen Einschätzung“ (191010; Z. 415-418). Auch Nachbarn, nahe Verwandte, anonyme Melder oder einzelne Familienmitglieder treten als Informanten oder Hilfesuchende auf. Zuständige Rollenträger des Vormundschaftsamtes und der Vormundschaftsbehörde sind bei diffusen Meldungen auf zusätzliche, stichhaltige Informationen über den Zustand eines Kindes oder der familiären Situation als Ganzes angewiesen. Nur so können sie entscheiden, ob und welche Massnahmen zum Schutz des Kindes eingeleitet werden müssen. Die Entscheidungsfindung beinhaltet also noch nicht die Frage nach einer geeigneten Massnahme, sondern erst die Frage, welche (Fach)Personen zur Gewinnung weiterer und stichhaltiger Informationen zu kontaktieren bzw. mit einzubeziehen sind. 6.5.2. Entscheidungstyp 2: Entscheidungszwang auf der Grundlage stichhaltiger Informationen Auch bei diesem Entscheidungstyp werden entsprechende Entscheidungsprozesse durch Informationen über problematische Familiensituationen und kindliche Verhaltensauffälligkeiten ausgelöst und beeinflusst. Anders als beim ersten Typ können Rollenträger des Vormundschaftsamtes oder der Vormundschaftsbehörde davon ausgehen, dass der Informationsgehalt grösser und somit stichhaltiger ist. Informanten können wiederum Schulleitungen oder Schulbehörden sein. In diesem Fall haben diese eventuell bereits weitere Fachstellen wie den Schulpsychologischen Dienst eingeschaltet, welche ein kindliches Verhalten untersucht und ein Gutachten erstellt haben. Es können auch konkrete kinderärztliche Diagnosen vorliegen, wie zum Beispiel ein Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) oder Verletzungen, welche auf häusliche Gewalt hinweisen. Auch Elternteile mit Sorgerecht treten als Selbstmelder auf und ersuchen die Behörde um Hilfe aufgrund der eigenen Überforderung im Erziehungsalltag oder wiederholter Anschuldigungen und Vorwürfe der Ex-Partner oder Dritter. Scheidungsgerichte beauftragen die Vormundschaftsbehörde, eine Beistandschaft zu errichten, um 40 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer stellvertretend für die Kinder zu überprüfen und zu überwachen, ob richterliche Sorgerechtsund Besuchsrechtsentscheide von den Erziehungsberechtigten beachtet werden. Dies gilt insbesondere für Situationen, in welchen sich hochstrittige Elternteile um das Sorge- und Besuchsrecht streiten. Mandatsführende verfügen durch die Begleitung über detaillierte Informationen zu Familienkonstellationen und konkreten Schwierigkeiten, welche im Erziehungsalltag bestehen. In den untersuchten Fällen handelt es sich beispielsweise um Probleme, welche sich einer arbeitstätigen alleinerziehenden Mutter im Erziehungsalltag stellen. Trägerinnen und Träger von solchen gesetzlichen Mandaten sind jedoch oftmals durch eine sehr hohe Anzahl von Mandaten stark belastet und sehen ihren Einflussbereich als stark begrenzt: „das ist sicher auch eine Schwierigkeit in dem Job als Beistand (…) man hat einfach zu wenig Ressourcen und zu wenig Möglichkeiten zum wirklich hineinsehen“ (221010, Z. 213-216). Auch die Art der errichteten Beistandschaft kann die Handlungskompetenz einschränken. In diesem Fall muss nicht entschieden werden, wie zusätzliche Informationen über das vorhandene Problem gewonnen werden können. Es geht vielmehr um die Entscheidung, wie Informationen darüber gewonnen werden können, welchen Ursprung eine Überforderungssituation von Erziehungsberechtigten hat und ob diese lernen können, diese Überforderung zu überwinden: „wie entsteht es, entstehen diese Gewaltanlässe und Schuldzuweisungen aus einer Überforderungssituation? Das wissen wir alles nicht“ (221010, Z. 234-236). Erziehungsberechtigte sind oftmals trotz stichhaltiger Informationen Dritter über problematische Entwicklungen eines Kindes oder über eine problematische Familiensituation der Meinung, dass sie ihrer Aufgabe als Erziehungsberechtigte gewachsen sind. In diesem Fall geht es um die Entscheidung, wie Informationen darüber gewonnen werden können, ob die Erziehungsberechtigten ihre Kompetenzen angemessen einschätzen. Die Darstellung der beiden Entscheidungstypen verdeutlicht bereits einige Entscheidungsprobleme, welche von Akteuren des zivilrechtlichen Kindesschutzes bewältigt werden müssen. Es werden verschiedene Strategien angewendet, um mit diesen umgehen zu können. Einige Strategien werden eher beim einen oder anderen Entscheidungstyp angewendet. Aber auch hier sind Mischformen deutlich erkennbar. 6.6. Informations-Lücken-Füll-Strategien Die verschiedenen Strategien wurden einer Hauptkategorie untergeordnet, welche den Namen Informations-Lücken-Füll-Stragien trägt. Diese aus den Entscheidungstypen folgenden Strategien werden im Folgenden erklärt. 41 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer 6.6.1. Führen von Gesprächen (Diskussionen, Absprachen, Besprechungen, Befragungen) Beide Entscheidungstypen sind geprägt durch vielfältige Interaktionen zwischen den verschiedenen internen Rollenträgern des Hauses, sowie mit externen Fachpersonen, Privatpersonen und Mitgliedern des engeren oder erweiterten Familiensystems. Die Interaktionen finden hauptsächlich in Form von Gesprächen (Diskussionen, Absprachen, Besprechungen, Befragungen) statt, welche für den Typ 1 (ungesicherte Informationen) als Grundlage der nötigen Entscheidung dienen, wie der Informationsstand am besten erweitert werden kann. Gespräche helfen den entsprechenden Entscheidungsträgern zudem beim Abwägen, Ausloten und Gewichten von Einzelinformationen, insbesondere dann, wenn widersprüchliche Informationen zu einer familiären Situation vorliegen. Beim Typ 2 (gesicherte Informationen) dient das Gespräch in erster Linie dem Erfassen von Kernthemen aus Gutachten oder mündlichen Berichten (von Mandatsführenden, weiteren Fachpersonen, Privatpersonen oder Familienmitgliedern), die als problematisch definiert werden müssen. Sie dienen auch dem Formulieren von Veränderungszielen. Das Gespräch stellt somit ein zentrales Element im Prozess der Entscheidungsfindungen dar und findet innerhalb einer Fallgeschichte zwischen verschiedenen Akteuren in wechselnden Konstellationen immer wieder seine Bedeutung: „Also ich denke, die Auseinandersetzung im Gespräch, das gemeinsame Abwägen, das gemeinsame Situation fassbar machen, das ist das Wichtigste“ (280920_1; Z. 638-640). Die Vormundschaftsbehörde wird punktuell über informelle Vorentscheidungen informiert. Die Aufgabe von Vormundschaftssekretärinnen und Vormundschaftssekretären liegt unter anderem in der Abklärung von Sachverhalten (z.B. durch Abnahme des rechtlichen Gehörs) und der Präsentation der Geschäfte in entscheidungsreifer Form, sodass die Vormundschaftsbehörde als Gesamtgremium formelle Entscheide über zu treffende Massnahmen aussprechen kann. Aber auch wenn bei formellen Entscheiden der Vormundschaftsbehörde relativ stichhaltige Informationen vorliegen, handelt es sich um Entscheide auf der Grundlage unvollständiger Informationen. Auch hier wird das Mittel der Diskussion zum Ausloten, Abwägen und Gewichten von Informations-Fragmenten eingesetzt. Im untersuchten Fall entspricht die Vormundschaftsbehörde bereits in einem weiten Mass einer Fachbehörde wie dies im neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht verlangt wird. Unter dieser Bedingung werden Behördensitzungen auch als Diskussionsplattform für informelle Vorgehensentscheide zur Informationsgewinnung genutzt. Beim Entscheidungstyp 1 (ungesicherte Informationen) kann also eine Vormundschaftsbehörde als Gesamtgremium schon früh stark in den Entscheidungsprozess involviert sein: „und dann haben wir einen zweiten Teil, wo wir einfach allgemein Informationen austauschen, wo wir auch mal eine kurze Fallbetrachtung machen“ (191010; Z. 72-76). Gespräche können einen standardisierten Charakter aufweisen. Sie können aber 42 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer auch als eher unvorbereitete Ad-hoc Reaktion auf neue Informationen geführt werden, welche als problematisch und dringlich eingestuft werden. Erstgespräche oder Standortgespräche mit Familien weisen ein klares Muster auf und werden protokolliert. Spontane Besprechungen zwischen verschiedenen Rollenträgern „des Hauses“ oder Zwischen- telefonate und Gespräche mit externen Fachpersonen und Familienmitgliedern folgen hingegen keinem bestimmten Muster: „dann habe ich dann eben Herrn Messmer am Telefon gehabt und ich bin wirklich drauf und dran gewesen, der Polizei anzurufen, wo er gesagt hat, Frau Keller, lassen Sie das, das machen wir jetzt nicht“ (280910_2; Z. 295-298). 6.6.2. Tür-Öffner-Strategien Wichtige Weichenstellungen, die in der Konsequenz in einer formellen Zusammenarbeit mit einer SPF-Organisation münden, finden oft schon früh im Entscheidungsprozess statt. Durch „hausinterne“ Absprachen gelangen Akteure des zivilrechtlichen Kindesschutzes beispielsweise zur Auffassung, dass eine SPF vor Ort die familiäre Situation besser oder schneller erfassen kann als dies beispielsweise durch die Errichtung einer Beistandschaft der Fall sein könnte. Mit betroffenen Familienmitgliedern werden verschiedene Interventionsmöglichkeiten besprochen und die Bereitschaft für eine Zusammenarbeit mit einer SPF ermittelt. Das Darlegen der Chancen, welche sich durch eine SPF für das familiäre Zusammenleben ergeben können, kann als Tür-Öffner-Strategie bezeichnet werden. Das Ziel besteht darin, „einen Fuss in die Familie zu setzen“, um den Informationsstand erweitern zu können. Tür-Öffner-Strategien werden deshalb schwerpunktmässig beim Entscheidungstyp 1 (ungesicherte Informationen) eingesetzt und münden in Bezug auf die formelle Zusammenarbeit mit einer SPF-Organisation eher in einem Kurzeinsatz als Abklärungsinstrument. Kurzeinsätze weisen durch eine langjährige Zusammenarbeit einen hoch standardisierten Charakter auf, sowohl in Bezug auf den Ablauf und die Dauer (3 Monate), wie auch in Bezug auf die Finanzierungsregelung. Die beschränkte Dauer des Kurzeinsatzes von drei Monaten wirkt ebenso als Tür-Öffner wie die Vollfinanzierung des Einsatzes durch ein Vormundschaftskonto. Betroffene Familien sind eher bereit, einem Kurzeinsatz zuzustimmen, wenn sie über dessen beschränkte Dauer wissen und keine finanzielle Belastung für sie daraus erwächst: „Also der Einstieg ist schon das schwierigste für vor allem für die betroffenen Familien (…) deshalb sind auch (…) gerade diese drei Gratismonate enorm hilfreich“ (221010; Z. 470-474). Eine SPF als Erziehungshilfe wird nicht über das Vormundschaftskonto finanziert. Der Einstieg findet jedoch mit einer Probezeit von drei Monaten statt, nach welcher die Zusammenarbeit evaluiert wird. Erziehungsberechtigte können nach der Probezeit eine weitere Zusammenarbeit begründet ablehnen. Die Probezeit kann somit ebenfalls als Tür-Öffner-Strategie bezeichnet werden: „und ich habe dann halt 43 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer gedacht, ja man kann ja mal eine Probezeit machen, man kann ja mal schauen wie es kommt“ (061010; Z. 171-173). Eine geklärte Finanzierung gilt auch als Tür-Öffner für die Zusammenarbeit zwischen der Vormundschaftsbehörde und der SPF-Organisation. Als privatwirtschaftliche Organisation arbeitet eine SPF-Organisation erst bei Abschluss eines Vertrages mit festgelegtem Kostendach: „dann ist von unserer Organisation her ausschlaggebend, ist die Finanzierung schon geklärt“ (280910_1; Z. 84-85). Weitere Überlegungen dazu folgen unter dem Kapitel Finanzierungsklärung (siehe Kapitel 6.7.3.). 6.6.3. Erziehungs-Kompetenz-Überprüfungs-Strategien Auf den Entscheidungstyp 2 (gesicherte Informationen) wird eher mit einer ErziehungsKompetenz-Überprüfungs-Strategie reagiert. Wie bereits erwähnt sind Erziehungsberechtigte oftmals trotz stichhaltiger Informationen Dritter über problematische Entwicklungen eines Kindes oder über eine problematische Familiensituation der Meinung, dass sie ihrer Aufgabe als Erziehungsberechtigte gewachsen sind. Medizinische Diagnosen (z.B. ADHS, somatische Beschwerden, Depression, Suchtmittelabhängigkeit) bei Kindern oder den Erziehungsberechtigten treten häufig gepaart mit Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern auf. Eine Vormundschaftsbehörde kann in so einem Fall mit einem Kurzeinsatz möglicherweise detailliertere Informationen über Probleme in der Alltagsbewältigung einer Familie gewinnen. Durch den Einsatz einer längerfristigen SPF soll hingegen überprüft werden, ob die Erziehungskompetenzen der Erziehungsberechtigten den besonderen und erschwerten Anforderungen im Erziehungsalltag genügen, oder aber es wird überprüft, ob entsprechende Ressourcen zur Bewältigung des Erziehungsalltages durch eine SPF mobilisiert werden können, damit sich eine Situation stabilisieren oder verbessern kann: „wir haben eine Gefährdungsmeldung gehabt für die ältere Tochter (…) es wurde dann eine SPF installiert, also die ist nicht wirklich gewünscht gewesen, weil die Betroffenen die Situation eigentlich ein bisschen anders gesehen haben“ (191010; Z. 110-114). Treten nach aussen trotz medizinischer Diagnose zum Beispiel keine Auffälligkeiten im kindlichen Verhalten oder der Leistungsfähigkeit in der Schule auf, so fehlt der Vormundschaftsbehörde die Grundlage, um in die Rechte der Erziehungsberechtigten einzugreifen. Man kann in diesem Fall von „fehlenden Indikatoren für eine Kindeswohlgefährdung“ sprechen: „er hat auch gewusst, was sein muss, dass sie bleiben kann, also damit man sie ihm nicht wegnimmt (…) also er hat geschaut, dass sie pünktlich zur Schule gegangen ist, dass sie die Hausaufgaben gemacht hat (…) einfach so der ganz normale Kreis, den man nach aussen sieht, der hat eigentlich funktioniert und darum hatte man nicht wirklich eine Handhabung gehabt“ (061010; Z. 331335). Andere Erziehungsberechtigte sind hingegen selbst verunsichert, ob sie den speziellen Anforderungen im Erziehungsalltag gewachsen sind. Diese Frage stellt sich zum Beispiel 44 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer eine Mutter, welche sich mit einer ADHS-Diagnose ihres Kindes konfrontiert sieht. Die Unsicherheit kann durch anhaltende und zum Teil massive Vorwürfe und Anschuldigungen vom anderen Elternteil, von Verwandten oder Dritten ansteigen. Einer SPF als ErziehungsKompetenz-Überprüfungs-Strategie wird unter diesen Umständen schneller zugestimmt, auch wenn diese einen Eingriff in die Privatsphäre darstellt. Spezifische Bedingungen ermöglichen oder behindern diese Strategien zur Informationsgewinnung, indem sie die Voraussetzungen für eine gegenseitige Kooperationsbereitschaft schaffen, verhindern oder vernichten. 6.7. Kooperationsvoraussetzungen Diese intervenierenden Bedingungen wurden unter der Hauptkategorie Kooperationsvoraussetzungen zusammengefasst. Im Folgenden werden diese einzeln erläutert. Sie tragen damit zur weiteren Spezifizierung der Informations-Lücken-Füll-Strategien bei. 6.7.1. Artikulation von Anliegen Hausinterne Rollenträger, hausexterne Fachpersonen (zum Beispiel eine Sozialpädagogische Familienbegleiterin) und betroffene Familienmitglieder beeinflussen den Entscheidungsprozess und den Erfolg der oben genannten Informations-Lücken-Füll-Strategien durch die Art und Weise, wie sie ihre Anliegen artikulieren (können). Verfügt jemand über eine ausgeprägte Fähigkeit, eigene Anliegen sachlich hervorzubringen und fachlich zu begründen, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er den Entscheidungsprozess zu seinen Gunsten beeinflussen kann. Dementsprechend wächst seine Kooperationsbereitschaft. Gelingt es hingegen nicht, die eigenen Anliegen einbringen zu können, so kann dies in einer ausgeprägten Verweigerungshaltung münden. Je nach Alter des Kindes und persönlicher Reife ist die Fähigkeit zur Artikulation von eigenen Anliegen stärker oder weniger ausgeprägt. Aber auch Erwachsene verfügen nicht immer über die kognitiven Fähigkeiten oder über ein Gefühl dafür, wie sie ihre Anliegen zu eigenen Gunsten einbringen können. Die fehlende Fähigkeit führt dann zur Fremdbestimmung: „Wenn ich anders reagiert hätte, sachlicher, aber das ist halt schwer für ein Kind, sachlich zu reagieren und ich finde darum sollte es eigentlich auch nicht sein, dass man ein Kind auch nicht anhört weil es nicht sachlich sein kann (…) ich merke schon, ich habe ein ‚zörrelndes‘ Verhalten an mir gehabt, aber durch das man mir nicht zugehört hat oder einfach etwas gemacht hat, ohne mich vorher zu fragen, ob es o.k. für mich ist oder so (…) habe ich auch ein wahnsinniges Trotzverhalten an den Tag gelegt, dass ich mich einfach komplett verweigert habe“ (261010; Z. 386-396). Nebst der eigenen Artikulationsfähigkeit spielt für die Kooperationsbereitschaft 45 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer also auch eine Rolle, ob beispielsweise in einer Anhörung alle Beteiligten die Möglichkeit erhalten, ihre Anliegen anzubringen: „Aber ja bis man es [den Entscheid für eine SPF, einf. d.A.] akzeptiert hat geht es lange, habe ich das Gefühl, vor allem wenn man nicht danach gefragt worden ist“ (261010; Z. 407-410). Demgegenüber können aber wiederholte Befragungen für Kinder und Jugendliche eine erhebliche zeitliche und psychische Belastung darstellen. Eine Jugendliche formulierte insbesondere den Zwang durch die Behörde, geäusserte Wünsche (z.B. über den gewünschten Aufenthaltsort) zu begründen als Belastung. Sie geriet dadurch in Loyalitätskonflikte: „Was mühsam war, ich habe es immer begründen müssen (…) aber ich habe das Gefühl ich bin für das irgendwie noch ein bisschen zu jung gewesen, ich bin 10 gewesen und habe mich immer rechtfertigen müssen für das, wo ich will und nicht will und das ist schon nicht gerade lustig gewesen“ (261010; Z. 191-197). Einzelne Familienmitglieder beeinflussen den Entscheidungsprozess, indem sie sich gegen geplante informelle und formelle Vorgehensweisen zur Wehr setzen. Die Verweigerungshaltung stellt in diesem Sinn eine sich-zur-Wehrsetzung dar. Sich zur Wehr setzen kann ebenso als eine Form der Artikulation von Anliegen betrachtet werden, wobei die Verweigerungshaltung eine sehr passive Form dessen darstellt. Eine Verweigerungshaltung wird als mangelnde Kooperationsbereitschaft wahrgenommen. Einzelnen Familienmitgliedern gelingt es, den Entscheidungsprozess stark zu beeinflussen, indem sie sich massiv und mit vielfältigen Hilfsmitteln zur Wehr setzen. Dazu gehören beispielsweise das Schreiben von Beschwerdebriefen, der Einbezug eines Rechtsanwalts zur Durchsetzung der Rechtsansprüche oder impulsive Ausbrüche in Gesprächssituationen: „und dann habe ich dann einen Brief geschrieben an die Vormundschaftsbehörde, dass mein Beistand im Interesse des Kindes handle und nicht im Interesse des Kindsvaters“ (280910_2; Z. 228230). Insbesondere wenn von verschiedenen Beteiligten und Betroffenen sehr unterschiedliche Anliegen und widersprüchliche Einschätzungen formuliert werden, erscheint die Zusammenarbeit mit einer SPF-Organisation mit einer „neutralen“ Position als sinnvoll: „Es ist auch eine Chance, weil die SPF ist keine Behörde und es gibt ja auch Abmachungen, was wir als Information bekommen und was nicht“ (221010; Z. 241-243). Eine SPF kann unter diesen Umständen als Mittel zur Kooperationsförderung eingesetzt werden. Einzelne Familienmitglieder beeinflussen also den Hilfeverlauf. Aus Sicht der hausinternen Rollenträger stellen die Verweigerungshaltung oder die ungebetene Partizipation im Sinne einer Einmischung negativ intervenierende Bedingungen dar. Die Kooperationsbereitschaft kann sich jedoch im Verlauf des Entscheidungsprozesses verändern. Das nächste Kapitel liefert Hinweise, wovon Veränderungen in der Kooperationsbereitschaft abhängen können. In Bezug auf die formelle Zusammenarbeit mit einer SPF-Organisation scheint ein klares Rollenbewusstsein auf Seiten der Behörde als anordnende, fallführende Instanz von grosser 46 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Bedeutung zu sein. So kann die SPF ihre unterstützende Haltung besser beibehalten. Damit wird die (zukünftige) Kooperationsbereitschaft der beteiligten Familienmitglieder nicht behindert oder verhindert: „dann hat sich der Vater eingemischt, was für Schnupperstellen seine Tochter darf annehmen (…) hat sie dann wirklich auch beschämt (…) voll kontraproduktiv“ (221010; Z. 730-734). In diesem konkreten Fall folgte beispielsweise eine Gefährdungsmeldung der SPF an den Beistand, indem sie die VB um eine Intervention gegen diese Einmischung bittet (D140308). 6.7.2. Erahnung oder Entdeckung vorteilbringender Aspekte Die Erahnung oder Entdeckung vorteilbringender Aspekte stehen ebenfalls in Zusammenhang mit der Kooperationsbereitschaft. Wenn es beispielsweise Rollenträgern des Vormundschaftsamtes oder der Amtsvormundschaft gelingt, den Adressatinnen und Adressaten vorteilbringende Aspekte einer Intervention oder Massnahme zu verdeutlichen bzw. diese von solchen zu überzeugen, so wächst die Kooperationsbereitschaft. Adressatinnen und Adressaten können jedoch auch eigenständig solche vorteilbringende Aspekte für sich entdecken, was zu einer erhöhten Kooperationsbereitschaft führt. Diese werden der mandatsführenden Person nicht unbedingt offengelegt. Die mandatsführende Person stellt unter diesen Umständen lediglich eine Steigerung der Kooperationsbereitschaft fest, ohne dass sie deren Ursprung kennt: „Ich habe einfach nicht daran teilgenommen [an den Gesprächen, einf. d.A.] und dann hat sie mich glaube ich mal dazu gezwungen, daran teilzunehmen (…) und nachher habe ich gemerkt, dass es mir eigentlich einen Vorteil gegenüber meiner Schwester einbringt“ (261010; Z. 219-223). Oder: „Und dann ist es ja auch ein wenig die Kunst vom Einstieg [einer SPF, einf. d.A.], dass man auch sagt, man kann es zu einem Vorteil machen. Man kann auch belegen, was gut geht und man kann auch weitergehende Massnahmen empfehlen, damit das Kind zu Hause sein kann“ (221010; Z. 1110-1114). Aus Sicht einer Beiständin oder eines Beistandes ist also der Einsatz einer längerfristigen SPF eine Erziehungs-Kompetenz-Überprüfungs-Strategie. Erziehungsberechtigte kooperieren hingegen in diesem Fall mit der SPF, da diese für sie eine Erziehungs-Inkompetenz-Widerlegungs-Strategie darstellt. Dieser Aspekt kann sich zudem als vorteilbringend herausstellen in Bezug auf Anschuldigungen aus dem sozialen Umfeld. Der Druck durch nicht erziehungsberechtigte Elternteile oder Lehrerinnen und Lehrer kann reduziert werden, wenn diese über den Einsatz einer SPF in Kenntnis gesetzt werden. Sämtliche Überlegungen scheinen nicht nur auf der Ebene der Auftraggebenden, sondern auch auf Seiten der Adressatinnen und Adressaten eine Rolle zu spielen. Wenn die SPF von Mandatsführenden beispielsweise als Platzierungs-Vermeidungsstrategie präsentiert wird, eröffnet dies den Adressaten die Entdeckung eines vorteilbringenden Aspekts, 47 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer welche sie zur Steigerung der Kooperationsbereitschaft veranlasst, auch wenn sie den Nutzen der SPF als Unterstützung für die Familie noch nicht einschätzen können oder als solches unnötig empfinden: „dass man sagen kann, auch wenn Sie es im Moment noch nicht als hilfreich sehen können, aber Sie haben diese Chance im Moment in dieser Zeit daran zu arbeiten, an diesen Zielen, auch wenn Sie noch nicht ganz sicher sind, dass keine andere Massnahmen zum Tragen kommen, die dann vielleicht grössere Massnahmen sind in Hinblick auf die Kinder, z.B. eine Platzierung“ (280910_1; Z. 280-286). Findet ein betroffenes Familienmitglied oder mehrere für sich (noch) keine direkt oder indirekt vorteilbringenden Aspekte, so ist deren Kooperationsbereitschaft zumindest eingeschränkt. 6.7.3. Finanzierungsklärung Die Klärung der Finanzierung einer geplanten Intervention beeinflusst die Kooperationsbereitschaft betroffener Familien und gilt gleichzeitig als Voraussetzung für die formelle Zusammenarbeit mit einer SPF-Organisation. Bei einem Kurzeinsatz als Abklärungsinstrument spielen sowohl die Übernahme der Kosten durch das VB-Konto, wie auch die Hoffnung der Adressaten und Adressatinnen, dass diese Intervention nach 3 Monaten beendet ist (zeitlich befristeter Eingriff), eine Tür-Öffner-Rolle. Eine SPF als Erziehungshilfe wird zwar oftmals über die Vormundschaftsbehörde angeordnet. Diese Form wird jedoch über das Sozialhilfe-Konto finanziert. Erziehungsberechtigte müssen, wenn es ihre Einkommensverhältnisse erlauben, einen Beitrag an die Begleitung leisten. Dies verhindert oder erschwert die Bereitschaft, einer SPF zuzustimmen. Die SPF-Organisation beeinflusst ihrerseits das Vorgehen der Behörde in Finanzierungsfragen. Familienbegleiterinnen und Familienbegleiter berichten über Schwierigkeiten bei der Erlangung einer Kooperationsbeziehung mit Adressatinnen und Adressaten, wenn diese Selbstzahler sind: „die Mutter ist auch Selbstzahlerin gewesen, was für mich den Auftrag dann jeweils schwieriger macht“ (221010; Z. 73-74) oder „man hat dann auch gelernt aus solchen Situationen, den Einstieg einer SPF zur erleichtern, indem wir eigentlich jetzt zwei Schienen fahren, dass man sagt, wir steigen einmal ein mit einem Kurzeinsatz“ (221010; Z. 105-112). Dieses Zitat weist auf eine Zwischenlösung hin, welche im Anschluss noch weiter ausgeführt wird. Neben dem Einfluss der SPF-Rückmeldungen spielt auch ein Entscheid einer kantonalen Verwaltungsrekurskommission vom 04.04.2008 zur Finanzierung der SPF eine Rolle: „es gibt ja einen Bundesgerichtsentscheid [korrekt wäre Verwaltungsrekurskommission, einf. d.A.], dass die Kosten von der SPF nicht dürfen weiterverrechnet werden“ (221010, Z. 165166). Sofern für Erziehungsberechtigte durch eine SPF keine oder nur wenige Kosten anfallen, kann dies von ihnen als vorteilbringender Aspekt betrachtet werden, welcher somit wie erwähnt als Tür-Öffner dient. 48 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer 6.7.4. Gesetzliche Elternsouveränität Der Gesetzgeber überträgt den Eltern vollumfänglich das Recht und die Pflicht für die Sorge um ihre Kinder (vgl. ZGB Art. 296, siehe Anhang 1). Diese hohe Elternsouveränität wird von Akteurinnen und Akteure des zivilrechtlichen Kindesschutzes als hohe Zugangsschwelle angesehen. Der Einsatz von Tür-Öffner-Strategien können auch als Reaktion darauf interpretiert werden: „Und der Gesetzgeber hat ein hohes Level was der Familie ist oder wo die Familie auch geschützt ist und dann ist ein Eingriff von aussen immer schwierig (…) manchmal ginge es den Leuten besser, wenn sie die Türe aufmachen“ (020910, Z. 312-317). Der Errichtung einer massgeschneiderten Beistandschaft (z.B. Besuchsrechtsbeistandschaft) können Erziehungsberechtigte einerseits eher zustimmen, da die Kompetenzen für Eingriffe in die Elternsouveränität damit eingeschränkt sind. Andererseits erschweren diese eingeschränkten Kompetenzen einen Eingriff, wenn das Kindeswohl gefährdet erscheint. Die Erweiterung einer Beistandschaft erfordert seitens der Vormundschaftsbehörde und den Rollenträgern des Vormundschaftsamtes viel Aufwand in Form von weiteren Abklärungen und zahlreichen Gesprächen mit den betroffenen Familienmitgliedern. Dieser Aufwand wird auch seitens von Familienmitgliedern wahrgenommen. Eine Mutter, welche beispielsweise um das Sorgerecht für ihre Tochter kämpfte, empfand die eingeschränkten Eingriffsmöglichkeiten der Vormundschaftsbehörde in die Rechte des Kindsvaters als sehr belastend: „da hat der Vater natürlich Einspruch erhoben (…) bis man dann wirklich eine rechtliche Grundlage hatte, ist es eigentlich überhaupt nicht mehr aktuell gewesen“ (061010; Z. 676-680). Die daraus resultierende Ohnmacht der Mutter führte zwischenzeitlich zu einer Abnahme ihrer Kooperationsbereitschaft. Erziehungsberechtigte wissen oftmals um ihre Rechte und müssen durch die Vormundschaftsbehörde auf die Rechtsgrundlagen aufmerksam gemacht werden. Sie können sich daher gegen formelle Behördenentscheide zur Wehr setzen und damit eine Kooperation verweigern: „man kann nicht einfach wegen dem jetzt die beiden Söhne platzieren, wir hätten als Behörde zu wenig in der Hand gehabt, wir haben auch gewusst, die würden uns durch alle Instanzen bekämpfen“ (191010; Z. 484-487). Das Führen von zahlreichen Gesprächen mit Erziehungsberechtigten und weiteren beteiligten Familienmitgliedern kann als Tür-Öffner-Strategie bezeichnet werden, die aufgrund dieser gesetzlichen Elternsouveränität an Gewicht gewonnen hat. Durch überzeugende Worte, die den Betroffenen die Entdeckung vorteilbringender Aspekte ermöglichen, soll die Kooperationsbereitschaft gesteigert werden. Auch das Ernstnehmen von artikulierten Anliegen hilft dabei massgeblich, dass Familien ihre Türe öffnen: „meistens versucht man ja mit Worten zu überzeugen und aufzuzeigen, was kann jemand auch bewirken“ (191010; Z. 471-474). Sofern ein Kindeswohl als gefährdet erscheint, die Erziehungsberechtigten jedoch vorgeschlagene oder angebotene Hilfsangebote ablehnen, können vorerst überzeugende Worte 49 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer einen erheblich drohenden Charakter annehmen. In diesen Situationen tritt die Kontrollfunktion der Vormundschaftsbehörde als rechtliche Instanz stark in den Vordergrund und kann zu einer nicht ganz freiwilligen bis erzwungenen Kooperation führen: „Ich glaube wir haben sie ziemlich unter Druck gesetzt, dass sie jetzt einfach muss“ (191010; Z. 464-466). Oder: „bei dieser (…) Familie haben wir auch Alternativen aufgezeigt. Sie können auch Nein sagen, aber dann müssen wir vielleicht platzieren“ (191010; Z. 927-928). Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass Informations-Lücken-Füll-Strategien eine Antwort auf vielfältige informelle und formelle Entscheidungsprobleme sind. Das Problem fehlender oder unvollständiger Informationen kann unter anderem durch eine erhöhte Kooperationsbereitschaft von Erziehungsberechtigten und weiteren Familienmitgliedern beseitigt werden. Verschiedene intervenierende Bedingungen wirken dabei als eher positive oder negative Kooperationsvoraussetzungen auf die Strategien ein. In der Konsequenz erfolgen daraus formelle Entscheide über zu treffende Massnahmen. Es können sowohl Einzelmassnahmen wie auch sich ergänzende mehrfache Massnahmen angeordnet werden. Eine mögliche Konsequenz ist die formelle Zusammenarbeit mit einer SPF-Organisation. Dabei können zwei Formen der Zusammenarbeit unterschieden werden: SPF als Erziehungshilfe und der Kurzeinsatz als Abklärungsinstrument. Auch dies stellt eine analytische Trennung dar. Es kristallisieren sich auch hier Zwischenformen heraus. Im Folgenden werden als erstes die formelle und die ihr vorausgehende informelle Zusammenarbeit mit einer SPF-Organisation dargestellt. Darauf folgt die Unterscheidung zwischen einer SPF als Erziehungshilfe und einem Kurzeinsatz als Abklärungsinstrument, indem nochmals nachgezeichnet wird, welcher Entscheidungstyp eher zu welchem Zusammenarbeitstyp führt. 6.8. Formelle Zusammenarbeit mit einer SPF-Organisation Die formelle Zusammenarbeit ist in einem hohen Mass standardisiert. Standards (z.B. zu Finanzierungsfragen und zur Fallführung) wurden nicht im Voraus festgelegt. Die wiederholte Zusammenarbeit führt zu einer Routine-Zusammenarbeit. Standards entwickeln sich aus der gemeinsamen Reflexion von Erfahrungen: „Und wir sind jetzt übereingekommen, dass die Fallführung eigentlich immer beim Auftraggeber ist. Aber das war nicht immer so klar (…) das hat eben auch Korrekturen gebraucht oder“ (020910; Z. 285-288). Wichtige Weichenstellungen, die in diesem (Zwischen-)Resultat münden, finden meist früh im Entscheidungsprozess statt oder können sogar unabhängig von einer konkreten 50 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Fallgeschichte erfolgen. Bereits nach Eingang erster hausexterner oder hausinterner Informationen im Vormundschaftsamt kann eine informelle Zusammenarbeit mit einer SPFOrganisation erfolgen. Der Zeitpunkt der ersten Kontaktaufnahme mit einer SPFOrganisation ist abhängig vom Kenntnisstand der familiären Situation, dem Grad der eigenen Belastung durch die Fallführung und der Kenntnis des SPF-Angebots. Bei einer frühen Kontaktaufnahme wirkt die SPF-Organisation als Triage-Stelle und Hilfe im Entwickeln von Lösungsstrategien (eher bei sozialarbeitsfremden Auftraggebenden). Eine späte Kontaktaufnahme mit klaren Vorstellungen und bereits vorangegangener Motivationsprüfung bei der Familie für diese Intervention erfolgt von Auftraggebenden, welchen das Angebot der SPF gut bekannt ist. Der Beitrag einer SPF-Organisation bei einer frühen Kontaktaufnahme besteht im Erfassen von Kernthemen aus Situationsschilderungen und deren Umformulierung in arbeitsfeldspezifische Zielsetzungen: „Der Zuweiser sagt, er hört der Mutter gar nicht zu und in der Schule gibt’s Probleme, ja der Vater ist zwar da, aber er kümmert sich nicht als Beispiel, dann formuliere ich es um als Zielsetzung im Erziehungsbereich“ (280910_1; Z. 363-366) oder: „das was er [der Auftraggeber, einf. d.A.] beschreibt an Defiziten, formuliere ich in Zielsetzungen um, die für uns dann so sind, dass sie auch zu unserem Arbeitsfeld gehören, natürlich, was anderes können wir ja nicht anbieten“ (280910_1; Z. 373-377). Die SPF wird von Mandatsführenden als hilfreiche Entlastungsmöglichkeit wahrgenommen. Hierbei führen gewachsene Strukturen, die in einer RoutineZusammenarbeit mit einer bestimmten SPF-Organisation münden zu einer erleichterten Installation dieser Interventionsform, sodass gerne darauf zurückgegriffen wird als Lösung: „das ist eben auch etwas (…) wo wir den SPF auch als Entlastung von unseren Mandatsführerinnen und Mandatsführern anschauen. Also bei erheblich schwierigen Situationen, weil sie sind dort vor Ort“ (020910; Z. 250-257). In einem Erstgespräch zwischen der mandatsführenden Person, involvierten Familienmitgliedern und der vorgesehenen Fachperson der SPF-Organisation werden Begleitziele formuliert. Der Zielformulierungsprozess wird als anspruchsvoll erlebt. Die Schwierigkeiten können wahrscheinlich darauf zurückgeführt werden, dass ein Kurzeinsatz als Abklärungsinstrument oder eine SPF als Erziehungshilfe gerne bei unklaren Problemlagen mit diffusen Meldungen eingesetzt werden, um vor Ort zu schauen, welche Probleme konkret existieren. Aus diesem Grund kann weder der Auftraggeber oder die Auftraggeberin, noch die Familie formulieren, wo genau das Problem liegt, bzw. welche Zielvorstellungen (Wünsche) existieren: „also beim Kurzeinsatz haben wir es [die Fragestellungen, einf. d.A.] auch schon offengelassen und gesagt, das soll eigentlich auch dazu dienen, mal den Anfang, die Startsituation, an was will man arbeiten und dann nachher die Vereinbarung kommt vielleicht nach einem Monat oder zwei Monaten, dass man dann vielleicht vor Ort sieht mit den Leuten, wo man einen näheren 51 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Kontakt hat“ (221010; Z. 1251-1256). Oder „dass man dann im Verlauf rollend Ziele definiert, wo man dran arbeiten müsste, wenn man dann den Überblick etwas besser hat“ 221010; Z. 1268-1269). Erst wenn Ziele oder Fragestellungen aus dem Erstgespräch formuliert und der Zusammenarbeitsvertrag von den involvierten Personen unterschrieben ist, kann von einer formellen Zusammenarbeit gesprochen werden. Im hier untersuchten Fall arbeiten Rollenträger des Vormundschaftsamtes und der Amtsvormundschaft vornehmlich mit zwei SPFOrganisationen zusammen. Dabei weist die Form der Zusammenarbeit mit der länger existierenden SPF-Organisation einen ausgeprägten standardisierten Charakter auf. Die ältere SPF-Organisation bietet Kurzeinsätze als Abklärungsinstrument und SPF als Erziehungshilfe an und unterscheidet die beiden Formen auch explizit in ihren schriftlichen Informationen für Auftraggebende. Die Wahl für eine geeignet erscheinende SPFOrganisation hängt von mehreren Faktoren ab. Wurden in der Zusammenarbeit mehrfach negative Erfahrungen in Bezug auf die fachlichen Kompetenzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer SPF-Organisation gemacht, so kann dies zum Abbruch einer Zusammenarbeit führen: „wir haben mal mit ihnen [einer spezifischen SPF-Organisation, einf. d.A.] zusammengearbeitet, ich glaube wir haben 2-3 Fälle gehabt und sind aber wirklich nicht zufrieden gewesen“ (191010; Z. 509-511). Werden negative Erfahrungen jedoch in gemeinsamen Gesprächen reflektiert, so kann daraus eine fruchtbarere Kooperation entstehen. Das Vertrauen in die Qualität der Arbeit ist eng an die Kenntnis einer SPFOrganisation und die Fachlichkeit der einzelnen Familienbegleiterinnen und Familienbegleiter gebunden, sodass Anfragen nicht nur an die SPF-Organisation als Ganzes gestellt werden, sondern auch direkt an einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: „ich finde das ist einer der positiven Aspekte von dieser Organisation, dass man wirklich auch eine Qualitätsgarantie hat, indem sie Supervision haben“ (191010; Z. 527-529). Das persönliche Kennenlernen ist Voraussetzung für die Vertrauensbildung. Die Entscheidung der SPFOrganisation für oder gegen Annahme eines Auftrages hängt dabei nicht nur von der freien Kapazität der jeweiligen Fachperson oder der SPF-Organisation als Ganzes ab. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überlegen sich anhand der Situationsschilderung auch, ob sie sich der Thematik fachlich und persönlich gewachsen fühlen: „An der Teamsitzung besprechen wir das, wer hat Kapazität, wer kann den Auftrag übernehmen (280910_1; Z. 112-114). Gezielte Rückfragen an potentielle Auftraggeber oder Auftraggeberinnen dienen diesem Zweck. Des Weiteren soll dadurch abgeklärt werden, ob ein Kurzeinsatz als Abklärungsinstrument oder eher eine SPF als längerfristige Erziehungshilfe angemessen erscheint. 52 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer 6.8.1. Kurzeinsatz als Abklärungsinstrument Gefährdungsmeldungen mit einem diffusen Informationsgehalt über familiäre Problemsituationen oder kindliche Verhaltensauffälligkeiten münden eher im Entscheidungstyp 1 (ungesicherte Informationen). Erscheinen die Problemschilderungen (Informationen) den Rollenträgern des Vormundschaftsamtes und der Vormundschaftsbehörde als komplex und eher dringlich, so müssen sie Entscheidungen darüber treffen, welche Familienmitglieder sie zu einem Gespräch einladen werden und mit welchen weiteren externen Fachpersonen sie zur weiteren Informationsgewinnung und zur Planung des weiteren Vorgehens in Kontakt treten werden. In einigen Fällen entsteht bei den Entscheidungsträgern der Eindruck, dass die Ursachen kindlicher Verhaltensauffälligkeiten eher auf soziale Problemstellungen innerhalb eines Familiensystems zurückzuführen sind. Problemlagen können durch erste ambulante Kurzabklärungen durch die Rollenträger des Vormundschaftsamtes oder der Sozialberatungsstelle nicht immer geklärt werden. Erwähnte eingeschränkte zeitliche Ressourcen und ein zu geringer Einblick in die Lebenswelt der betroffenen Familie sind häufige Gründe dafür. In diesem Fall wird eine SPF-Organisation mit einem Kurzeinsatz als Abklärungsinstrument beauftragt: „wenn wir die Problemstellungen vor allem im sozialen Umfeld sehen und auch den Eindruck haben, es könnte gelingen, wenn man einfach in das Familiensystem eingreifen kann (…) dass wir dann eigentlich einen Kurzeinsatz machen“ (191010; Z. 191195). Durch die Abklärung der familiären Situation vor Ort ist ein vertiefter Einblick möglich. Kurzeinsätze werden durch die Vormundschaftsbehörde als Gesamtgremium angeordnet. Sie formuliert spezifische Fragen, welche durch entsprechende Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter der SPF-Organisation in einem Schlussbericht schriftlich beantwortet werden. Die Fragestellungen werden den betroffenen Familienmitgliedern transparent gemacht. Dies wirkt ebenfalls als Tür-Öffner, da die Familienmitglieder sich ein Bild darüber machen können, mit welchem Ziel die abklärende Person zu ihnen nach Hause kommt. Nebst der Beantwortung der Fragestellungen enthält der Schlussbericht der SPF-Organisation in der Regel Empfehlungen für das weitere Vorgehen. Die Rollenträger des Vormundschaftsamtes und der Vormundschaftsbehörde verfügen dadurch über erweiterte und stichhaltigere Informationen, die dann in den Entscheidungstyp 2 (stichhaltige Informationen) münden können. Mögliche Alternativen oder ergänzende Interventionen: Eine SPF-Organisation mit einem Kurzeinsatz als Abklärungsinstrument zu beauftragen stellt eine Möglichkeit zur Informationsgewinnung dar: „um in einer ersten Runde vertiefte Informationen zu bekommen“ (191010; Z. 218). Liegt der Fokus eher auf den kindlichen Verhaltensauffälligkeiten, welche auf eine starke psychische Belastung des Kindes 53 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer hinweisen, wird oft der Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienst (KJPD) als Abklärungsinstanz beigezogen. Gutachten des KJPD liefern stichhaltige Informationen, welche wiederum in den Entscheidungstyp 2 münden können. Besonders wenn eine familiäre Problemsituation als dringlich erscheint, wird gerne auf einen Kurzeinsatz als Abklärungsinstrument zurückgegriffen. In diesem Fall kann in Kürze eine Fachperson bei der Familie zu Hause sein und nebst der Beantwortung der Fragestellungen eine Situation zu entschärfen und stabilisieren versuchen. Eine Abklärung durch den KJPD, welche nebst zum Teil langen Wartezeiten, bis zu einem halben Jahr in Anspruch nimmt, kann zusätzlich zum Kurzeinsatz angeordnet werden. Erscheint eine familiäre Situation nach ersten Gesprächen als wenig komplex und weniger dringlich, so kann auf niederschwelligere Interventionen wie die Vermittlung zur freiwilligen Sozialberatung oder einer semiprofessionellen Hilfsorganisation zurückgegriffen werden. Unter Umständen gelangen von Rollenträgern dieser Stellen wiederum Gefährdungsmeldungen an das Vormundschaftsamt, dass sie mit der Abklärung der familiären Situation oder der Unterstützung der Familie aus zeitlichen oder fachlichen Gründen überfordert sind und dass eine stärkere Intervention bzw. Massnahme zur weiteren Abklärung oder Unterstützung nötig ist: „wir haben ja noch die Sozialberatung (…) wir haben das mit ihnen angeschaut und die haben uns schon klar signalisiert, dass sie das nicht können“ (020910, Z. 760-763). Solche Meldungen können sowohl zurück in den Entscheidungstyp 1 oder aber direkt in den Entscheidungstyp 2 münden. 6.8.2. SPF als Erziehungshilfe Sofern Rollenträger der Vormundschaftsbehörde und des Vormundschaftsamtes von Beginn an über Meldungen mit stichhaltigen Informationen über eine familiäre Problemsituation oder kindliche Verhaltensauffälligkeiten verfügen, mündet dies eher im Entscheidungstyp 2 (stichhaltige Informationen). Wie bereits genannt können dies Informationen aus kinderpsychiatrischen Gutachten sein oder aus Kurzabklärungen der Sozialberatungsstelle. Es können auch konkrete Anträge von Beiständinnen und Beiständen sein, welche aufgrund genannter Arbeitsbedingungen eine Familie mit komplexen Problemstellungen nicht immer ausreichend Unterstützung bieten können: „und es braucht dann jemanden der wirklich genauer in der Familie schauen kann, wie erziehen die Eltern ihre Kinder? (…) Können die Eltern ihren Aufgaben als Mutter oder Vater gerecht werden? Das sind ja hunderte von Faktoren die hier eine Rolle spielen und die muss man ja auch immer im Gesamtkontext sehen“ (280910_1; Z. 778-784). Stichhaltige Informationen über familiäre Problemsituationen oder kindliche Verhaltensauffälligkeiten enthalten noch nicht unbedingt Angaben darüber, welche Ursachen zu den Problemen führen. Es ist oftmals auch noch unklar, ob Erziehungsberechtigte aufgrund ihrer Ressourcen in der Lage sind oder lernen können, diese 54 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Problemsituationen selbstständig oder durch eine Unterstützung im erzieherischen Alltag zu bewältigen: „wir haben keine Hinweise jetzt, dass die Mutter jetzt nicht in der Lage ist die Tochter zu erziehen (…) und wir haben dann einfach zur Bedingung gemacht, dass einfach die Unterstützung vom SPF erweitert wird“ (191010; Z. 778-782). Beiständinnen und Beistände stellen teils direkt einen Antrag auf eine SPF. Oftmals haben sie den betroffenen Familienmitgliedern das Angebot der SPF-Organisation schon vorgestellt und abgeklärt, ob diese für eine Zusammenarbeit mit einer Familienbegleiterin oder einem Familienbegleiter motiviert wären. Ist die Familie motiviert, so wird der Antrag direkt an die Sozialhilfe gestellt, da eine SPF – anders als ein Kurzeinsatz – über das Sozialhilfekonto finanziert wird. Die Vormundschaftsbehörde ordnet in diesem Fall die SPF nicht formell an, wird aber darüber informiert und erhält die schriftlichen Berichte über den Stand der Familienbegleitung. Sind Erziehungsberechtigte nicht der Ansicht, dass sie eine zusätzliche Unterstützung für die Erziehung ihrer Kinder benötigen, setzen sie sich in unterschiedlichem Mass dagegen zur Wehr. Die Vormundschaftsbehörde kann aber im Austausch mit den Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern, sowie involvierten Rollenträgern des Vormundschaftsamtes zur Ansicht gelangen, dass eine SPF als Erziehungshilfe zur Abwendung einer bestehenden oder möglichen Kindeswohlgefährdung nötig ist. In diesem Fall ordnet sie diese an in Form einer „Weisung im Sinne von Kindesschutzmassnahmen nach Art. 307 Abs. 1 und 3 ZGB“ (D210110). Da die Vormundschaftsbehörde per Gesetz dazu verpflichtet ist, die verhältnismässigste Massnahme anzuordnen, wird die SPF als Platzierungs-Vermeidungs-Strategie eingesetzt. Sofern die Eltern die SPF als kleineres Übel zur Fremdplatzierung betrachten (Entdeckung eines vorteilbringenden Aspekts), kann daraus eine minimale Kooperationsbereitschaft erwachsen: „auch wenn sie noch nicht so ganz sicher sind [ob für sie eine SPF hilfreich ist, einf. d.A.] dass keine anderen Massnahmen zum Tragen kommen, die dann vielleicht grössere Massnahmen sind in Hinblick auf die Kinder, z.B. eine Platzierung“ (280910_1; Z. 283-286). In einem Erstgespräch zwischen dem auftraggebenden Rollenträger, den beteiligten Familienmitgliedern und der zugeteilten Familienbegleiterin werden die Themen besprochen, welche aus Sicht des auftraggebenden Rollenträgers und den einzelnen Familienmitgliedern durch die SPF bearbeitet werden sollen. Diese werden in konkrete Zielsetzungen umformuliert. In regelmässigen Standortgesprächen wird der Stand der Zielerreichung evaluiert. Die SPF startet mit einer 3 monatigen Probezeit, nach welcher für die Erziehungsberechtigten die Möglichkeit besteht, eine weitere Zusammenarbeit abzulehnen. Sowohl die Zielsetzung wie auch die 3 monatige Probezeit wirken als TürÖffner. Einer Sozialpädagogischen Familienbegleiterin, einem Familienbegleiter kann es auch in einem Zwangskontext (angeordnete SPF) gelingen, die Kooperationsbereitschaft der Familie zu gewinnen, indem sie ihre Hilfe bei der Darlegung der vorhandenen 55 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Erziehungskompetenzen anbietet (Erziehungs-Inkompetenz-Widerlegungs-Strategie): „und für mich [Aussage einer Mutter, einf. d.A.] ist es eben dann auch gewesen, guten Willen zeigen zum nachher auch sagen zu können (…) es war von mir aus halt auch gewesen, zum wirklich auch zeigen können, auf meiner Seite läuft es gut, bei mir kann man reinschauen, ich bemühe mich um das Kind“ (061010; Z. 174-179). Durch die protokollierten Standortgespräche oder durch die SPF verfasste Zwischen- und Schlussberichte gelangen Rollenträger der Amtsvormundschaft und der Vormundschaftsbehörde zu weiteren stichhaltigen Informationen. Die Konsequenz daraus kann der Abschluss der SPF als Erziehungshilfe, eine Weiterführung der SPF mit eventuell angepassten Zielsetzungen oder die Anordnung neuer oder ergänzender Interventionen und Massnahmen sein. Mögliche Alternativen oder ergänzende Interventionen: Eine SPF als Erziehungshilfe kann eine mögliche Intervention oder Massnahme sein, um Erziehungsberechtigte in ihrem Auftrag zu unterstützen. Eine SPF als Erziehungshilfe wird oftmals bei komplexen familiären Problemsituationen eingesetzt, die als erheblich schwierig eingestuft werden. Sehr häufig handelt es sich um Fälle von Kindesvernachlässigung in Kombination mit häuslicher Gewalt oder Suchtproblematiken: „Vernachlässigung ist denke ich in aller Regel, wo wir SPF einsetzen“ (020910; Z. 638-639). Nicht für alle familiären Problemsituationen oder Gefährdungslagen von Kindern und Jugendlichen ist eine SPF geeignet. Die SPF wird auch eingesetzt um Familien zu begleiten, wenn eine Fremdplatzierung unmittelbar bevorsteht, oder wenn ein Kind in naher Zukunft zu den Erziehungsberechtigten rückplatziert werden soll. Sehr häufig sind nebst der SPF noch weitere Fachpersonen involviert wie zum Beispiel Fachpersonen aus Psychotherapie, Ergotherapie oder Logopädie. Erscheint eine Überforderungssituation nur vorübergehend und nur in Bezug auf einen klar umrissenen Bereich zu existieren, so können auch niederschwelligere Interventionen ausreichen wie zum Beispiel eine regelmässige Hausaufgabenhilfe oder Mittagstische. 6.8.3. Mischform der Zusammenarbeit Selbst wenn es wahrscheinlich scheint, dass eine längere Begleitung durch eine SPF erforderlich sein wird, wird manchmal mit einem Kurzeinsatz begonnen als Tür-Öffner. Diese drei Monate können dazu dienen, dass Adressatinnen und Adressaten vorteilbringende Aspekte der SPF entdecken und dadurch nach Ablauf des Kurzeinsatzes einer Weiterführung der Intervention als SPF zustimmen: „Also der Einstieg ist schon das Schwierigste vor allem für die betroffenen Familien dünkt es mich, ich habe schon ein paar Fälle erlebt, dass es da ziemlich Arbeit braucht eine Basis zu schaffen, deshalb sind auch 56 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer diese drei Monate, gerade diese drei Gratismonate sind enorm hilfreich“ (221010; Z. 470475). 6.9. Zirkularität des Entscheidungsprozesses Durch die Darstellung der Story line sollte es nun gelungen sein, die komplexen Bedingungen aufzuzeigen, unter welchen Entscheidungen getroffen werden müssen. Dieser Prozess beinhaltet sowohl informelle Vor- und Zwischenentscheide von hausinternen Rollenträgern wie auch formelle Behördenentscheide. Diese werden nicht unwesentlich von Entscheidungen, Empfehlungen oder Verhaltensweisen externer Fachpersonen, Familienmitgliedern und weiteren Privatpersonen beeinflusst. Der Entscheidungsprozess kann dabei nicht als lineare Abfolge mit einem Start und einem Endpunkt betrachtet werden. Das Schema „zirkulärer Entscheidungsprozess“ soll nachfolgend die Story line nochmals in einer vereinfachten Form veranschaulichen. 57 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Finanzierungsklärung Artikulation von Anliegen Kooperationsvoraussetzungen Gesetzliche Elternsouveränität Erahnung oder Entdeckung vorteilbringender Aspekte beeinflussen den zirkulären Entscheidungsprozess Schema 1: Zirkulärer Entscheidungsprozess Meldungen mit diffusem Charakter Informationen über problem. Familiensituation und kindliche Verhaltensauffälligkeiten Meldungen mit stichhaltigen Informationen Kurzeinsatz als Abklärungsinstrument Formelle Zusammenarbeit mit SPFOrganisation SPF als Erziehungshilfe Entscheidungszwang auf der Grundlage stichhaltiger Informationen Entscheidungszwang auf unvollständiger Informationsgrundlage Entscheidungszwang auf der Grundlage ungesicherter Informationen ErziehungsKompetenzÜberprüfungsStrategien InformationsLückenFüllStrategien Gespräche führen Tür-ÖffnerStrategien Quelle: eigene Darstellung 58 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Teil III: Diskussion und Schlussfolgerungen In diesem dritten und letzten Teil der Arbeit können nun die Ergebnisse aus der Fallanalyse in Bezug zu dem im ersten Teil dargestellten Forschungsstand und Fachdiskurs gesetzt werden. In den Schlussfolgerungen wird das methodische Vorgehen während des Forschungsprozesses reflektiert. Dies soll Rückschlüsse auf die Qualität der Befunde ermöglichen. Anschliessend können dadurch Anregungen zur Reflexion für die Praxis, sowie offene Fragen und Hypothesen für eine weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik formuliert werden. Um die Ergebnisse in einen für die Soziale Arbeit relevanten grösseren Rahmen zu stellen, wird abschliessend aufgezeigt, an welche theoretischen Diskurse der Sozialen Arbeit als Disziplin und Profession diese anschlussfähig sind. 7. Anknüpfungspunkte an den Forschungsstand und Fachdiskurs An dieser Stelle wird betont, dass die Ergebnisse der qualitativen Fallanalyse nicht auf andere Kontexte übertragbar sind. Die folgenden Bezüge zum Forschungsstand und Fachdiskurs gelten also nur für die untersuchten Organisationen in ihrem spezifischen Kontext und können nicht generalisiert werden. Die Kapitel sind so gestaltet, dass sie auch die in der Kernfragestellung implizit enthaltenen Unterfragen a) bis d) beantworten (siehe Kapitel 4). 7.1. Bestätigungen, Widersprüche und Ergänzungen zu den NFP-52-Studien Sowohl in der Studie von Voll et al. (2008) wie auch in der Studie von Arnold et al. (2008) wurden Methodenkombinationen eingesetzt. Schwerpunkte wurden im Voraus festgelegt und bestimmten somit deduktiv die Entwicklung der grösstenteils stark strukturierten Erhebungsinstrumente. Das zentrale Phänomen und die weiteren Hauptkategorien und Kategorien der vorliegenden Fallanalyse wurden hingegen in einem induktiven Prozess aus den Daten entwickelt. Einerseits können im Folgenden klare Parallelen zu den Ergebnissen der beiden NFP-52-Studien aufgezeigt werden. Andererseits wird deutlich, dass sich andere Schwerpunkte herauskristallisiert haben. In der Studie von Voll et al. (2008) wurde anfänglich die These aufgestellt, dass Risiken durch die Ungewissheit über die Notwendigkeit und Wirkungen von Schutzmassnahmen konstitutiv für den zivilrechtlichen Kindesschutz sind. Die Feststellung, dass bei zunehmen59 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer der Komplexität eines Falles die Anzahl beteiligter Professioneller steigt, wurde als Problemlösungsstrategie zur Bearbeitung des Falles dargestellt. Dies wird ausserdem als Versuch zur Risiko- und Verantwortungsverminderung begriffen. Auch knappe Instruktionen von Mandatsträgern und Mandatsträgerinnen durch unpräzise Auftragsstellungen wurden dahingehend interpretiert, dass Risiken für Entscheidungen diffus bleiben sollen (vgl. S. 225226). Daraus geht jedoch nicht hervor, auf welche Art und Weise die involvierten Professionellen informelle (Vor-) Entscheide und formelle Behördenentscheide beeinflussen. Auch in den hier untersuchten Fällen war eine grosse Anzahl von involvierten Professionellen zu verzeichnen. Rollenträger von Vormundschaftsbehörden, Vormundschaftsämtern und Amtsvormundschaften sehen eine generelle Schwierigkeit insbesondere darin, Zugänge zu stichhaltigen Informationen zu schaffen. Die Gewinnung einer präzisen Vorstellung über eine existierende Problemlage ist dadurch erschwert. Die persönliche Expertise im Fallverstehen, der Austausch in „hausinternen“ Intervisionen, sowie der Beizug von Professionellen aus dem kinder- und jugendpsychiatrischen, medizinischen, schulischen und sozialpädagogischen Bereich stehen im Vordergrund beim Einordnen von Informationen und dem daraus resultierenden Entscheidungszwang. Unklare Auftrags- und Zielformulierungen an „hausinterne“ Mandatsführende oder externe Dienstleistungsorganisationen (wie SPF-Organisationen), sowie daraus resultierende rollende Auftrags- und Zieldefinitionen sind deshalb nicht ungewöhnlich. Die Schwierigkeit, dass Situationseinschätzungen und Entscheidungen auf unvollständiger Informationsgrundlage getroffen werden müssen, hat sich also als Schwerpunkt herauskristallisiert und stellt deshalb das zentrale Phänomen dar. Durch einen Kurzeinsatz aber auch durch eine SPF als Erziehungshilfe kann ein Zugang zu relevanten Informationen geschaffen werden. Die informelle Kontaktaufnahme mit einer SPF-Organisation kann damit ebenfalls als Strategie zur Risikominderung angesehen werden. Mit der informellen und einer daraus resultierenden formellen Zusammenarbeit mit einer SPF-Organisation können gleichzeitig entstehende Risiken bei der Situationseinschätzung wie auch bei einem Verbleib eines (möglicherweise gefährdeten) Kindes in einer Familie vermindert werden. Mey (2008) hat anhand ihrer qualitativen Fallanalysen aufgezeigt, dass im Dreieck zwischen Eltern, Behörden und Mandatsführenden enttäuschte Erwartungen, ungeklärte Verantwortlichkeiten und Zeit- und Ressourcenknappheit dominieren und sich in einer „Dynamik der doppelten Ohnmacht“ zeigen (vgl. S. 166). Auch in den hier untersuchten Fällen treten die eingeschränkten zeitlichen Ressourcen und Kompetenzen von Mandatsführenden und die damit verbundenen eingeschränkten Einflussmöglichkeiten auf eine Problemlage in den Vordergrund. Die zunehmende Anzahl von Kurzeinsätzen als Abklärungsinstrument wie auch von SPF als Erziehungshilfe können als Antwort auf solche eingeschränkten zeitlichen Ressourcen und 60 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Kompetenzen angesehen werden. Sie bieten zudem einen Ersatz für fehlende geeignete „hausinterne“ Hilfsmittel für Abklärungen und Indikationsstellungen. Anders ausgedrückt dient die informelle Kontaktaufnahme mit einer SPF-Organisation auch der Bestimmung, was überhaupt „der Fall“ ist. Einen Mangel an geeigneten Diagnoseinstrumenten stellten auch Arnold et al. (2008) fest (vgl. S.213). Selbst in längerfristigen sozialpädagogischen Familienbegleitungen können grosse Unsicherheiten betreffend Kindeswohl auftreten. Der „Stuttgarter Kinderschutzbogen“ hat sich als Reflexionsinstrument als hilfreich erwiesen (zum genannten Kinderschutzbogen (vgl. Einsenlohr, 2004, S. 285-298). Mey (2008) zeigt in ihren Ergebnissen auf, dass Mandatsführende bei hochkomplexen Situationen mit stark aussengesteuerten Falldynamiken den Einbezug der Behörde kaum in Betracht ziehen (vgl. S. 154155). In der hier vorliegenden Untersuchung konnte jedoch gezeigt werden, dass das Führen von Gesprächen (Diskussionen, Besprechungen, Absprachen) zwischen diversen „hausinternen“ Rollenträgern der Vormundschaftsbehörde, des Vormundschaftsamtes, der Amtsvormundschaft und des Sozialdienstes eine bevorzugte Strategie darstellt, um in hochkomplexen Fällen zu einer gemeinsamen Einschätzung über mögliche geeignete weitere Vorgehensweisen zu gelangen. Laut der Statistik von Voll et al. (2008) handelt es sich bei Gefährdungslagen nach der Einschätzung der Behörden am zweithäufigsten um einen Fall von „Vernachlässigung“ (vgl. S.31). Als häufige und typische Indikation für eine SPF als Erziehungshilfe wurde auch in den Interviews der vorliegenden Untersuchung die Vernachlässigung genannt. Es erstaunt daher nicht, dass die SPF als Erziehungshilfe in der untersuchten Organisation als Massnahme je länger je häufiger eingesetzt wird und dadurch an Bedeutung gewinnt. Voll et al. (2008) gelangen zu dem Befund, dass die Dauer und der Aufwand für ein Verfahren und die Durchführung und Aufhebung einer Massnahme weniger durch die konkrete Problemlage als durch das System und die Dynamik der Fallführung bestimmt sind (vgl. S. 100+130). Auch die hier vorliegende Fallanalyse zeigt deutliche Hinweise, welche diesen Befund bekräftigen. Problemlagen sind anfänglich häufig diffuser Natur und konkretisieren sich erst im Verlauf des Verfahrens. Wie lange es dauert, bis stichhaltigere Informationen zur Massnahmenplanung vorliegen, hängt davon ab, wie erfolgreich die hier beschriebenen Informations-Lücken-Füll-Strategien von den verschiedenen Rollenträgern eingesetzt werden können. Die Kooperationsbereitschaft der Beteiligten kann sich im Laufe des Prozesses durch verschiedene Voraussetzungen verändern. Die Erläuterungen zur Kategorie „Kooperationsvoraussetzungen“ und ihren Unterkategorien zeigen Aspekte der Interaktionen zwischen Akteurinnen und Akteuren des zivilrechtlichen Kindesschutzes und betroffener Familien auf, welche bei Voll et al. (2008) und Arnold et al. (2008) keine oder wenig Berücksichtigung gefunden haben. Arnold et al. (2008) legten ein besonderes Augenmerk auf Fragen der Partizipationsmöglichkeit von 61 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Eltern und Kindern, da gemäss der UNO-Konvention über die Rechte der Kinder deren Partizipation verbindlich ist. Sie befinden, dass Partizipation ein unpräziser Sammelbegriff bleibt, welcher in der Schweiz im Fachdiskurs unzureichend berücksichtigt werde (vgl. S. 213-215). Sie weisen darauf hin, dass von Sozialarbeitenden als Schwierigkeit bei Platzierungen u.a. unkooperative Eltern und Angehörige genannt werden (vgl. S. 214). In der vorliegenden Fallanalyse wird dieser Aspekt unter der Kategorie „Artikulation von Anliegen“ als eine von mehreren kooperationsfördernden Voraussetzungen ebenfalls thematisiert. So kann eine Kooperationsverweigerung unter anderem auf eine zu geringe Partizipation am Entscheidungsprozess zurückgeführt werden. Sozialarbeitende müssten jedoch nach den Ergebnissen der vorliegenden Fallanalyse auch die Aspekte „Finanzierungsklärung“ von Interventionen und Massnahmen, „gesetzliche Elternsouveränität“, sowie „Erahnung oder Entdeckung vorteilbringender Aspekte“ berücksichtigen, bevor sie vorschnell auf eine grundsätzlich negative Kooperationsbereitschaft von betroffenen Familienmitgliedern schliessen. Generell zeigt die Fallanalyse, dass Akteurinnen und Akteure des zivilrechtlichen Kindesschutzes auf die Kooperationsbereitschaft der Erziehungsberechtigten angewiesen sind, wenn sie stichhaltige Informationen über eine problematische Familiensituation oder kindliche Verhaltensauffälligkeiten gewinnen möchten. Dies ist wiederum nötig, um adäquate Entscheidungen über das weitere Vorgehen treffen zu können. Arnold et al. (2008) gelangen zu dem Befund, dass Platzierungen erst nach langen und intensiven Phasen der Problemeskalation und erfolglosen Bewältigungsversuchen erfolgen (vgl. S. 211). Dies wird durch die vorliegende Fallanalyse bestätigt. Eine Platzierung stellt demnach zwar immer eine Möglichkeit bei einer bestehenden oder drohenden Kindeswohlgefährdung dar und wird bei komplexen Problemsituationen in den Diskussionen in die Überlegungen stets mit einbezogen. Es besteht jedoch eine klare Tendenz, eine Fremdplatzierung wenn möglich zu vermeiden und aufgrund des Verhältnismässigkeitsprinzips niederschwelligere Massnahmen vorzuziehen. Dies nicht zuletzt, weil eine Platzierung mit einem wesentlichen Aufwand verbunden ist und sich Erziehungsverantwortliche mit verschiedenen Mitteln stark dagegen zur Wehr setzen. Bei Arnold et al. (2008) zeigt sich, dass die Kontaktaufnahme mit einer Pflegefamilie oder einem Heim üblicherweise erst erfolgt, wenn die Entscheidung für eine Platzierung, zumindest von der Behörde, bereits erfolgt ist. Wie die vorliegende Untersuchung zeigt, gestaltet sich dies im Fall einer SPF als mögliche Interventionsform anders. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der SPF-Organisation werden in der Regel informell in den Entscheidungsprozess mit einbezogen. Eine SPF als Erziehungshilfe wird von Rollenträgern der Vormundschaftsbehörde, des Vormundschaftsamtes und auch der Amtsvormundschaft als Alternative zu einer Platzierung dargestellt. Gegenüber den Erziehungsverantwortlichen wird sie auch als 62 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Platzierungs-Vermeidungs-Strategie benannt und von diesen auch selbst als solche wahrgenommen (Entdeckung eines vorteilbringenden Aspekts). Aber auch eine SPF als Erziehungshilfe wird bereits als eine in die Privatsphäre stark einschneidende Massnahme beschrieben, sowohl von „hausinternen“ Rollenträgern, wie auch von Fachpersonen der SPF-Organisation und von Familienmitgliedern. Dennoch gelingt es Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der SPF-Organisation in der Regel, eine gute Kooperationsbasis mit den Erziehungsberechtigten und weiteren Familienmitgliedern aufzubauen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich eine SPF-Organisation sowohl gegenüber der Behörde wie auch gegenüber der Familie als soziale Dienstleistung versteht und eine neutrale Vermittlerrolle einnehmen kann. Arnold et al. (2008) stellten fest, dass die Wahrnehmungen der beteiligten Rollenträger und Familienmitglieder zum Beispiel in Bezug auf die Beurteilung der ElternKind-Beziehung stark variieren (vgl. S. 212). In der vorliegenden Fallanalyse wird dies deutlich bei der Schwierigkeit der Situationseinschätzung aufgrund von widersprüchlichen Informationen (Meldungen) oder beim Aspekt der Artikulation von eigenen Anliegen. Durch einen Kurzeinsatz als Abklärungsinstrument wie auch durch eine SPF als Erziehungshilfe sollen Wahrnehmungen der Erziehungsberechtigten überprüft werden (Erziehungs- Kompetenz-Überprüfungs-Strategie). Gerade die Aspekte „Artikulation von Anliegen“ und „gesetzliche Elternsouveränität“ zeigen auf, dass Elternteile nicht passiv sind, sondern sich mit rechtlichen Mitteln zur Wehr setzen und ihre Anliegen auch ungefragt artikulieren. Sie partizipieren somit aktiv am Entscheidungsprozess. Aus Sicht der „hausinternen“ Rollenträger mag es sich dabei um eine unerwünschte Art von Partizipation handeln, die als mangelnde Kooperationsbereitschaft ausgelegt werden kann. Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass Entscheidungen gegen einen massiven Widerstand der Erziehungsberechtigten kaum durchzusetzen sind, sofern diese für sich darin nicht einen minimalen vorteilbringenden Aspekt entdecken können. 7.2. Rolle der SPF im Rahmen des zivilrechtlichen Kindesschutzes In Kapitel 7.1. werden bereits einige Überlegungen zur Rolle der SPF im Rahmen des zivilrechtlichen Kindesschutzes angestellt. An dieser Stelle werden Ergänzungen dazu diskutiert. Obwohl die SPF als Erziehungshilfe in der Schweiz nicht gesetzlich verankert ist, wird sie zum Teil direkt von der Vormundschaftsbehörde und zum Teil indirekt über einen Antrag von Mandatsführenden angeordnet. In der untersuchten Organisation des zivilrechtlichen Kindesschutzes ist sie als hilfreiche externe Dienstleistung kaum mehr wegzudenken. Mandatsführende der Amtsvormundschaft übernehmen in erster Linie die Rolle von Case Managern, 63 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer wenn eine SPF eingesetzt wird. Sie sind froh um die externe Entlastung. Die SPF als Erziehungshilfe wird in erster Linie aufgrund ihrer aufsuchenden und systemischen Arbeitsweise gerne als Informations-Lücken-Füll-Strategie eingesetzt. Finanzierungsfragen werden von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich angegangen. Die daraus resultierenden Finanzierungslösungen vereinfachen oder erschweren den Einsatz einer SPF als längerfristige Erziehungshilfe. SPF-Organisationen orientierten sich am Basler-Modell, welches sich stark an der SPFH in Deutschland anlehnte. Das Angebot des Kurzeinsatzes als Abklärungsinstrument kann als Reaktion auf den Bedarf von Vormundschaftsbehörden und Mandatsführenden zurückgeführt werden, schnellen Zugang zu stichhaltigeren Informationen über familiäre Problemlagen gewinnen zu können. Private SPF-Organisationen erweiterten also ihre Angebotspalette, behalten aber ihre typische aufsuchende Arbeitsweise bei. Im Teil I wurde aufgeführt, welche Qualitätsstandards im deutschen Handbuch zur Kindeswohlgefährdung für SPFH-Anbieter festgehalten sind. Eine sozialarbeiterische oder sozialpädagogische Ausbildung und systemische Zusatzausbildungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von SPF-Organisationen, sowie regelmässige Supervision, werden auch in den Interviews dieser Untersuchung als Qualitätsmerkmale genannt. Die Zufriedenheit mit der Qualität des Angebots ist bestimmend, ob sich zwischen einer Vormundschaftsbehörde und einer SPF-Organisation eine Routine-Zusammenarbeit bildet. In der Schweiz existiert kein gesetzlich verankertes Hilfeplanverfahren. Die Installation und Durchführung eines Kurzeinsatzes wie auch einer SPF als Erziehungshilfe weist dennoch einen hoch standardisierten Charakter auf. Schriftliche Dokumente zu den Verfahrensweisen bestehen jedoch nicht. Ist die Installation eines Kurzeinsatzes oder einer SPF als Erziehungshilfe vorgesehen, so ist die SPF-Organisation in aller Regel stark an der Hilfeplanung bzw. der Zielformulierung und deren Überprüfung beteiligt, ähnlich wie dies in Deutschland im Hilfeplanverfahren festgelegt ist (vgl. KJHG § 36 Abs. 2, siehe Anhang 3). Gemäss dem deutschen „Handbuch Sozialpädagogische Familienhilfe“ können keine eindeutigen fallübergreifenden Indikatoren zur Gewährung einer SPFH festgelegt werden (vgl. BMFSJ, 1998, S. 23+24). Diese Feststellung kann durch die vorliegende Fallanalyse untermauert werden. In der im Teil I aufgeführten Statistik wurde für das Jahr 2007 eine eingeschränkte Erziehungskompetenz als Grund für eine SPFH am häufigsten genannt. Aus der Fallanalyse ging die „Erziehungs-Kompetenz-Überprüfungs-Strategie“ als Kategorie hervor. Diese weist darauf hin, dass Erziehungsprobleme oft vermutet werden. Eine SPF als Erziehungshilfe wird also nicht immer aufgrund eines klaren Indikators eingesetzt. 64 Master-Thesis-Arbeit 7.3. Simone Hengartner Thurnheer Der Einsatz von sozialarbeiterischem und sozialpädagogischem Wissen und Können im Abklärungs- und Entscheidungsprozess Erste Gefährdungsmeldungen in Form von diffusen bis stichhaltigen Informationen gehen als erstes im Vormundschaftsamt ein. Rollenträger dieses Amtes stammen in der vorliegenden Fallanalyse aus sozialarbeitsfremden Berufsrichtungen, sodass erste Weichenstellungen ohne den Einsatz von spezifischem sozialarbeiterischem oder sozialpädagogischem Wissen erfolgen können. Oftmals sind es jedoch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die in der hausinternen Amtsvormundschaft als gesetzliche Mandatsführerinnen und Mandatsführer arbeiten, welche konkrete Anträge an die Vormundschaftsbehörde stellen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass sozialarbeiterisches Wissen und Können in den hausinternen Diskussionen, Besprechungen und Absprachen eine Rolle spielen. Sozialpädagogisches Wissen und Können in Form von sozialpädagogischem Fallverstehen gelangt zudem über die frühe informelle Kontaktierung einer SPF-Organisation hinzu. Durch die Kenntnis verschiedener Interventionsmöglichkeiten und entsprechender Fachstellen kann die SPFOrganisation auch als Triage-Stelle wirken. In Bezug auf die Abklärung einer familiären Situation hat sich gezeigt, dass speziell bei komplex wirkenden Problemschilderungen, welche auf soziale Problemstellungen in einer Familie hinweisen, auf die sozialpädagogischen Kompetenzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der SPF-Organisation vertraut wird. Die Erfahrung hat gezeigt, dass semi-professionelle Anbieter bei Mehrfachproblematiken schnell an ihre Grenzen stossen und eine Übernahme durch die SPF-Organisation erforderlich ist. Sowohl Mandatsführende wie auch Mitarbeiterinnen der SPF-Organisation nennen als Kernkompetenzen eine systemische Denk- und Arbeitsweise, die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Distanznahme zum Fall, sowie die persönliche Expertise im Fallverstehen. Konkrete Kenntnisse über Pädagogik werden als weniger zentral aber nötig erachtet. Eine Ablehnung gegenüber standardisierten Diagnoseinstrumenten wird insbesondere bei Rollenträgern des Vormundschaftsamtes wie der Amtsvormundschaft deutlich und wird mit der Individualität des Einzelfalles begründet. Der Einsatz eines Kurzeinsatzes oder einer SPF als Informations-Lücken-Füllstrategie kann somit auch als Alternative zu standardisierten Diagnoseverfahren betrachtet werden. Allerdings tritt der Stellenwert sozialpädagogischer Diagnosen in bestimmten Fällen in den Hintergrund. So werden speziell in der Zusammenarbeit mit Gerichten oder bestimmten Adressatinnen und Adressaten kinderpsychiatrische Gutachten aufgrund von Akzeptanzfragen bevorzugt, auch wenn es sich eher um soziale Problemstellungen zu handeln scheint als um psychologisch oder psychiatrisch relevante Verhaltensauffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen. 65 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Mit der vorliegenden Fallanalyse liegt erstmals eine systematische Untersuchung über das Zusammenwirken von Rollenträgern einer staatlichen Organisation des zivilrechtlichen Kindesschutzes und einer privaten SPF-Organisation vor. Jeder Kindesschutzfall ist geprägt durch spezifische Besonderheiten. Die entwickelten konzeptuellen Kategorien, welche in einem vereinfachten Schema dargestellt wurden, können jedoch als Reflexionsgrundlage für „hausinterne“ Rollenträger des zivilrechtlichen Kindesschutzes und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einer SPF-Organisation dienen. Dies erleichtert die Orientierung in der Komplexität eines Falles, sowie die Entwicklung von Lösungsstrategien. In Bezug auf genannte Schwierigkeiten im Entscheidungsprozess enthält Kapitel 8.2. Anregungen zur Reflexion für die Praxis. 8. Schlussfolgerungen Der Teil II enthält bereits zentrale Überlegungen zur Auswahl der Forschungsmethode, wie auch Angaben über die konkreten Vorgehensweisen im Forschungsprozess. Eine abschliessende Reflexion über das methodische Vorgehen soll an dieser Stelle Schlussfolgerungen in Bezug auf die Qualität und den weiteren Verwendungszweck der Ergebnisse ermöglichen. 8.1. Reflexion über methodisches Vorgehen Eine Fallanalyse nach der Grounded Theory stellte sich ebenso als herausfordernd wie spannend heraus. Die Orientierung am Werk von Strauss und Corbin (1996) hat sich bei der Durchführung der einzelnen methodischen Analyseschritte als hilfreich erwiesen. Die Tatsache, dass diese Schritte in Einzelarbeit durchgeführt werden mussten, stellte die grösste Herausforderung dar. Die Analyseschritte wurden mit grosser Sorgfalt geplant und durchgeführt. Die permanente Hinterfragung von Interpretationen und gewählten Begriffen für Konzepte und Kategorien stellt in der Grounded Theory eine Notwendigkeit dar. Der Austausch in einer Forschungsgruppe würde einerseits sicherlich mehr Hartnäckigkeit im Hinterfragen von Zwischenergebnissen ermöglichen. Andererseits würde dieser aber auch Sicherheit vermitteln, dass die Ergebnisse tatsächlich gut in den Daten verankert sind. Die Technik des Fragen Stellens und des ständigen Vergleichs vermochte jedoch Zweifel zu verringern oder gar zu eliminieren. Zur Steigerung der theoretischen Sensibilität und Entwicklung der Dimensionen von Kategorien erwies sich insbesondere die Flip-FlopTechnik nach Strauss und Corbin (1996) als hilfreich (vgl. S. 64). Zur Erstellung von Memos 66 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer und für die Methode des Vergleichs wurden Vorlagen entwickelt. Sie dienten der Orientierung über das umfangreiche Datenmaterial und die entstandenen Konzepte und Kategorien. Gleichzeitig stellten sie eine wertvolle Hilfe beim Ausformulieren der Story line dar. Der Einsatz des paradigmatischen Modells als Orientierungshilfe erfolgte erstmals nachdem sich nach den ersten drei bis vier Interviews bestimmte Kategorien als besonders zentral herauskristallisierten. Diese Kategorien wurden mehrmals umbenannt, liessen sich jedoch im paradigmatischen Modell einordnen. Die letzten drei Interviews dienten insbesondere dem Zweck, die Kategorien und ihre Dimensionen genauer spezifizieren und in Bezug zu den anderen Kategorien setzen zu können. Im Vergleich zu den ersten Interviews waren die letzen Interviews stärker geprägt durch exmanente Nachfragen am Schluss eines Interviews. Damit konnten offene Fragen in Bezug auf die Bedeutung von einzelnen Kategorien und ihren Dimensionen geklärt werden. Zu diesem Zweck wurden zudem während des gesamten Forschungsprozesses die im Teil II genannten Dokumente beigezogen. Auch noch während dem Ausformulieren der Story line machten sich Unsicherheiten bemerkbar. Diese konnten durch einzelne Telefonate mit konkreten Nachfragen und das Anfordern von weiteren zentral erscheinenden Dokumenten beseitigt werden. Die Begriffe für die Hauptkategorien wurden sehr spät entwickelt und veränderten sich auch noch während des Schreibprozesses. Die Zitate wurden so gewählt, dass sie der Leserin und dem Leser einen anschaulichen Eindruck vermitteln können, aus welchen in den Interviews geschilderten Ereignissen, Vorfällen oder Handlungen sich eine Kategorie bzw. Hauptkategorie entwickelt hat. Sie könnten durch weitere Zitate ergänzt werden, welche sich innerhalb des gewählten Interviews an anderer Stelle oder auch in anderen Interviews befinden und ebenfalls Belege für die entsprechenden Kategorien sind. Dies vermittelte viel Sicherheit, dass die entstandene Theorie klar in den Daten verankert und damit dem Gegenstandsbereich angemessen ist. Bei der Bezeichnung „Tür-Öffner“ handelt es sich beispielsweise um einen „In-vivo-Kode“ (vgl. Strauss & Corbin, 1996, S. 50). Er wurde von Rollenträgern der Vormundschaftsbehörde (Präsidium), des Vormundschaftsamtes, der Amtsvormundschaft und auch von beiden interviewten Mitarbeiterinnen der SPF-Organisation verwendet. Dies ist wiederum eine Bestätigung dafür, dass das „Führen von Gesprächen“ (Diskussionen, Absprachen, Besprechungen) zwischen den beteiligten Rollenträgern ein zentrales Element im Entscheidungsprozess darstellt, da diese oftmals dasselbe oder ein sehr ähnliches Vokabular benutzen. Eine Ergänzung der Daten durch teilnehmende Beobachtung im Tagesgeschehen „des Hauses“ oder die Teilnahme an Befragungen von und Gesprächen mit Familienmitgliedern, wären für die Entdeckung neuer relevanter Kategorien oder die Weiterentwicklung der bestehenden sicherlich sehr wertvoll. 67 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Das Vorgehen nach der Grounded Theory stellte sich in Bezug auf die Fragestellung, insbesondere durch die Methode des ständigen Vergleichs, als ergiebig heraus. Die Ergebnisse der Fallanalyse in Form einer Story line geben eine differenzierte Antwort auf die Kernfrage, auch wenn diese nicht vollständig ist und auch nicht sein kann. Eine einfache und knappe Antwort auf die Kernfrage war auch nicht zu erwarten. Eine solche würde der Komplexität der Schnittstelle zwischen zivilrechtlichem Kindesschutz und der SPF als Erziehungshilfe bzw. als Abklärungsinstrument nicht entsprechen. Eine Weiterentwicklung der Theorie und eine weitere Differenzierung der Kategorien und ihren Dimensionen ist dementsprechend möglich. Im Kapitel 7 wurden die Ergebnisse in Bezug zum Forschungsstand und Fachdiskurs gesetzt. Die Kapitel wurden dabei so gestaltet, dass sie auch Antworten auf die Unterfragen a) bis d) ermöglichen. Die Unterfrage e) kann anhand des Datenmaterials nicht beantwortet werden. Begründete Hypothesen lassen sich jedoch ableiten. Diese werden im Kapitel 8.3. formuliert. Die Fallanalyse bezieht sich auf die Ausgestaltung des zivilrechtlichen Kindesschutzes innerhalb einer Organisation einer konkreten Gemeinde und deren Zusammenarbeit mit einer spezifischen SPF-Organisation in der Region. Die Ergebnisse können daher nicht auf andere Kontexte übertragen werden. Die folgenden inhaltlich-fachlichen Überlegungen richten sich daher auch an diese konkrete Praxis. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass die Ergebnisse dieser Arbeit auch Rollenträgern von Vormundschaftsbehörden, Vormundschaftsämtern und Amtsvormundschaften vergleichbarer Gemeinden, sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anderer SPFOrganisationen wichtige Anregungen für ihre Zusammenarbeit liefern können. 8.2. Anregungen zur Reflexion für die Praxis Die folgenden inhaltlich-fachlichen Überlegungen können als Anregungen zur Reflexion für „hausinterne“ Rollenträger und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von SPF-Organisationen und deren weitere Zusammenarbeit betrachtet werden. Im Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle: In Deutschland schreibt der Hilfeplan nach § 36 SGB VIII vor, dass eine Entscheidung für eine geeignete „Hilfe zur Erziehung“ nur in einem Klärungs-, Beratungs- und Aushandlungsprozess zwischen mehreren Fachpersonen und den Betroffenen erfolgen darf (vgl. BMFSJ, 1998, S. 23-24). Die SPFH wird als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden. SPF-Organisationen in der Schweiz haben für sich diese Intentionen übernommen und beschreiben diese in ihren Konzepten und auf ihren Websites. Die Fallanalyse hat gezeigt, dass Rollenträger des Vormundschaftsamtes und der Amtsvormundschaft Erziehungsberechtigte explizit auf die neutrale Position der SPF-Organisation aufmerksam machen. Sie versuchen Familienmit68 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer glieder in Gesprächen von einem möglichen Nutzen einer SPF zu überzeugen und zeigen alternative Hilfemöglichkeiten auf. Die Ausführungen zur Hauptkategorie „InformationsLücken-Füll-Strategien“ und deren Unterkategorie „Tür-Öffner-Strategien“ deuten jedoch darauf hin, dass Gespräche durchaus einen manipulativen oder drohenden Charakter annehmen können, welche mit dem Aushandlungsprinzip nicht vereinbar sind. Betroffene erkennen diesen Charakter und kooperieren unter diesen Umständen teils nicht (ganz) freiwillig oder setzen sich teils heftig dagegen zur Wehr. Bei einer drohenden oder bestehenden Kindeswohlgefährdung steht der Kontrollaspekt im Vordergrund. Dies sollte gegenüber den Betroffenen explizit gemacht werden. Die SPF-Organisation ihrerseits muss sich bewusst sein, dass sie sich als „Informations-Lieferant“ ebenso im Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle befindet und dies gegenüber Familien ebenfalls transparent machen muss. SPF-Organisationen möchten sich nicht als verlängerten Arm der Vormundschaftsbehörde verstehen. Dies bedeutet, dass sich eine SPF als Erziehungshilfe nicht für Kontrollfunktionen instrumentalisieren lassen darf. Sie muss Aufträge unter Umständen ablehnen, wenn der Kontrollaspekt im Vordergrund zu stehen scheint. Dass eine SPF-Organisation sowohl Kurzeinsätze als Abklärungsinstrument wie auch SPF als Erziehungshilfe anbietet, erhöht die Gefahr, dass die Aspekte von Hilfe und Kontrolle ungenügend reflektiert werden. Die Funktion einer Mitarbeiterin, eines Mitarbeiters einer SPF-Organisation ist in einem Kurzeinsatz als Abklärungsinstrument eine andere als in einer SPF als Erziehungshilfe. Während in einem Kurzeinsatz der Kontrollaspekt im Vordergrund steht, sollte in der SPF die Hilfe zur Erziehung im Vordergrund stehen. Besonders bei einem fliessenden Wechsel von einem Kurzeinsatz in eine SPF oder der genannten Mischform muss dieser Aspekt besonders gut reflektiert werden. Gesprächsführungskompetenzen: Um diesen Ansprüchen Rechnung tragen zu können sind Kompetenzen in den Bereichen Gesprächsführung und Mediation zentral. Das Mass in welchem Familienmitglieder am Entscheidungsprozess partizipieren können, darf nicht von deren Artikulationsfähigkeit abhängig sein oder gemacht werden. Es müssen beispielsweise entsprechende Kompetenzen für einen altersgerechten Einbezug von Kindern und Jugendlichen angeeignet werden. Regelmässige Weiterbildungen in diesem Bereich, sowie regelmässige, qualitativ hochstehende Supervisionen sind daher sowohl für hausinterne Rollenträger wie auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von SPF-Organisationen zentral. Klares Rollenbewusstsein: Eine SPF-Organisation beantwortet gegen Ende des Kurzeinsatzes die gestellten Fragen und gibt Empfehlungen über das weitere Vorgehen ab. Unter Umständen empfiehlt sie den 69 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Einsatz einer SPF. Wenn dieser Empfehlung zugestimmt wird, übernimmt in der Regel dieselbe SPF-Organisation diesen Auftrag. Aus professioneller Sicht gibt es Gründe, die sowohl für wie auch gegen eine solche Vorgehensweise sprechen. Es besteht die Gefahr, dass sich ein Wechsel der Rolle als schwierig erweist und der Kontrollaspekt im Vordergrund bleibt. Ausserdem können der SPF-Organisation ökonomische Interessen unterstellt werden, wenn sie sich sozusagen selbst Aufträge zukommen lässt. Andererseits wurde womöglich bereits eine gute Vertrauensbasis zwischen Familienmitgliedern und der Familienbegleitung aufgebaut, sodass eine Weiterführung durch dieselbe Person für alle Beteiligte sinnvoll erscheint. Diese Überlegungen müssen in einem konkreten Fall von den Auftraggeberinnen und Auftraggebern und der SPF-Organisation sorgfältig reflektiert und nicht aus Bequemlichkeitsgründen vernachlässigt werden. Schriftliche Standards: Die Fallanalyse zeigt, dass sich durch eine mehrjährige Zusammenarbeit eine Routine zwischen „hausinternen“ Rollenträgern und der SPF-Organisation entwickelt hat. Eine Vorgehensweise mit stark standardisiertem Charakter ist die Folge daraus. Verbesserungen in der Zusammenarbeit resultierten in erster Linie aus Erfahrungslernen. Sich als geeignet erwiesene Vorgehensweisen bleiben stark an die persönliche Expertise von einzelnen hausinternen und hausexternen Rollenträgern gebunden, wenn entwickelte Standards nicht schriftlich festgehalten werden, beispielweise in Form von Manuals. Ohne eine Verschriftlichung besteht die Gefahr, dass mit einem Wechsel von Rollenträgern dieses Wissen verloren geht. Diese schriftliche Fixierung von Verfahrensstandards sollte in Zusammenarbeit mit den SPF-Organisationen erfolgen. In Deutschland gibt es zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, welche zum Teil im Handbuch Kindeswohlgefährdung (vgl. Kindler et al., 2006) berücksichtigt sind. Der Einbezug solchen Wissens könnte sicherlich auch zur Verbesserung der schweizerischen Praxis beitragen. Einbezug wissenschaftlicher Erkenntnisse: Die Fallanalyse hat zudem gezeigt, dass die Gewinnung von stichhaltigen Informationen zu einer familiären Situation eine grosse Herausforderung darstellt. Nebst dem Beizug von externen Fachpersonen berufen sich interne Rollenträger in erster Linie auf ihre persönliche Expertise im Fallverstehen. Hierbei besteht die Gefahr, dass Wahrnehmungen durch eigene Werthaltungen verzerrt werden. Es existiert eine Reihe von wissenschaftlichen Erkenntnissen, welche wichtige Hinweise darüber geben können, welche Informationen wie eingeholt und ausgewertet werden können zur Steigerung der Entscheidungssicherheit (vgl. z.B. Kindler, 2007). Die stark eingeschränkten zeitlichen Ressourcen von Rollenträgern des Vormundschaftswesens und der Sozialen Dienste weisen darauf hin, dass Zeitgefässe zur 70 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Reflexion der eigenen Vorgehensweisen und zur Recherche und somit dem Einbezug von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu wenig vorhanden sind. Die Notwendigkeit solcher Zeitgefässe zugunsten einer professionellen Arbeit müssten in der Organisationsgestaltung berücksichtigt werden. 8.3. Offene Fragen und Hypothesen Einzelne Gemeinden der Ostschweiz informieren zurzeit auf ihren Websites oder durch Zeitungsartikel die Bevölkerung über die bevorstehenden Gesetzesänderungen und verkünden, dass sie regionale Lösungen anstreben (vgl. z.B. Widmer, 2010). Aus den geführten Interviews ist zudem zu entnehmen, dass die zukünftige Funktion von Amtsvormundschaften, bzw. die Rolle der heutigen Trägerinnen und Trägern von gesetzlichen Mandaten noch nicht geklärt ist mit dem neuen Recht. Die Kantone und Gemeinden sind, wie in Kapitel 1 erwähnt, sehr frei in der Umsetzung des neuen Kindesund Erwachsenenschutzrechts. Das neue Recht schreibt vor, dass Massnahmen in Zukunft massgeschneidert sein müssen mit klaren Aufträgen an die Mandatsträgerinnen und Mandatsträger. Die Fallanalyse hat gezeigt, dass gerade das Stellen von konkreten Fragen bzw. das Formulieren von klaren Zielsetzungen, auf der Grundlage von unvollständigen Informationen zu einer familiären Problemlage oder kindlichen Verhaltensauffälligkeiten, eine grosse Herausforderung darstellt. Im Spruchkörper soll die Soziale Arbeit vertreten sein. Es stellen sich folgende Fragen: Welche Rolle sollen oder müssen Professionelle der Sozialen Arbeit in diesem Spruchkörper übernehmen und mit welchen spezifischen sozialarbeiterischen und sozialpädagogischen Kompetenzen müssen sie ausgerüstet sein, um ihre Aufgaben professionell wahrnehmen zu können? Welche neuen Angebotsformen müssen SPF-Organisationen entwickeln, wenn das neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht in Kraft getreten ist? Aufgrund dieser Überlegungen und Fragestellungen lassen sich nun begründete Hypothesen aufstellen: Bei der Umsetzung des neuen Rechts werden sich wiederum unterschiedlichste Praxen entwickeln. Die zukünftige Kindesschutz-Praxis wird stark von den Rollenträgern abhängig sein, welche die verschiedenen beruflichen Positionen besetzen werden. Professionelle Behörden werden für Abklärungen aufgrund der Grösse des Einzugsgebiets ebenfalls auf externe Dienstleister angewiesen sein. 71 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer SPF-Organisationen werden den Kurzeinsatz als Abklärungsinstrument in ihrer Angebotspalette beibehalten oder weiter ausdifferenzieren für verschiedene Abklärungskontexte. Massgeschneiderte Lösungen stellen zur weiteren Etablierung der SPF gegenüber den heutigen Standardmassnahmen einen Vorteil dar, da eine SPF als Erziehungshilfe eine solche massgeschneiderte Lösung darstellen kann. SPF-Organisationen als private Dienstleistungsunternehmen entwickeln weitere sozialpädagogische Angebote, zum Beispiel für weitere Klientinnen- und Klientengruppen nebst Familien mit Kindern und Jugendlichen. Professionelle der Sozialen Arbeit, welche im Spruchkörper vertreten sind, kennen die SPF als mögliche Intervention und ihre Arbeitsweisen und setzen sie deshalb in Zukunft gezielt ein, auch für präventive Massnahmen. Aufgrund der Professionalisierung entwickeln sich vermehrt Standards, welche Familien mit welchen Problemstellungen einen Anspruch auf SPF haben und wie die SPF finanziert werden kann. Diese Hypothesen können zum Gegenstand zukünftiger Forschungsbemühungen gemacht werden, sowie den Fachdiskurs während des Umwandlungsprozesses vom alten zum neuen Recht anregen. 8.4. Anschlussfähigkeit an theoretische Diskurse der Sozialen Arbeit Die Thematik der vorliegenden Master-Thesis-Arbeit lässt vielfältige Bezüge zu theoretischen Diskursen der Sozialen Arbeit als Disziplin und Profession zu. Teil I dieser Arbeit wie auch die Ergebnisse der Fallanalyse im Teil II eröffnen Themen, welche an einige professionstheoretische Diskurse besonders anschlussfähig sind. Es sind Professionelle der Sozialen Arbeit, welche Mandate im Rahmen des zivilrechtlichen Kindesschutzes führen. Professionelle der Sozialen Arbeit sind auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von SPF-Organisationen. Mit Einführung des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts werden zukünftig auch Professionelle der Sozialen Arbeit Mitglieder im „Spruchkörper“ der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde sein. Es wird davon ausgegangen, dass dies zu einer Professionalisierung der Praxis führen wird. Familien mit Kindern werden im Rahmen des zivilrechtlichen Kindesschutzes zu Adressatinnen der Sozialen Arbeit. Es muss danach gefragt werden, was das spezifisch sozialarbeiterische bzw. sozialpädagogische in der Arbeit mit Familien mit Kindern ist und welche Qualität diese Arbeit aufweisen muss, um als professionell zu gelten. Im aktuellen professionstheoretischen 72 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Diskurs des deutschsprachigen Raums wird der Frage, was professionelles Handeln auszeichnet, anhand von empirischem Material kontrovers nachgegangen (vgl. Becker-Lenz, Busse, Ehlert & Müller, 2009a). Empirisches Material gibt Aufschluss über die Anforderungen der Praxis. Standards sollen nicht nur aus Theorie, sondern ebenfalls aus diesen Anforderungen abgeleitet werden (vgl. Becker-Lenz et al., 2009b, S.10). Am empirischen Material der vorliegenden Untersuchung kann aufgezeigt werden, dass die Bestimmung dessen, was „der Fall“ bzw. das problematische daran ist, und weshalb eine Situation eingetroffen ist, hohe Anforderungen an die Professionellen darstellen. Dies vor allem, da Situationseinschätzungen und Entscheidungen auf unvollständiger Informationsgrundlage getroffen werden müssen. Ein reflexiver Umgang mit Nicht-Wissen ist deshalb zentral für eine förderliche Kooperationsbeziehung mit Adressatinnen und Adressaten und kann als wesentliches Merkmal von professionellem Handeln in der Sozialen Arbeit angesehen werden (vgl. Dewe, 2009, S. 106; Staub-Bernasconi, 2009, S. 38). Nach Dewe (2009) muss wissenschaftliches Wissen immer fallspezifisch und kontextgebunden mobilisiert und eingesetzt werden. Differente Wissensformen sind dabei reflexiv aufeinander zu beziehen. Professionelles Handeln ist nach Dewe zudem daran gebunden, „in Interaktionen mit den Adressaten auf der Basis eines Arbeitsbündnisses eine Verständigung darüber herbeizuführen, was die je individuelle Problemkonstellation auszeichnet und was aus der Sicht der Adressaten sozialer Arbeit eine angemessene Bearbeitung und Lösung der Problemkonstellation sein könnte“ (Dewe, 2009, S. 105). Professionelle der Sozialen Arbeit müssen Adressatinnen und Adressaten in diesem Prozess umfassende Partizipationsmöglichkeiten einräumen, wenn sie diesen Ansprüchen an professionelles Handeln gerecht werden wollen. Arnold et al. (2008) fassen den Begriff Partizipation bewusst weit, da in der Schweiz nicht gesetzlich festgehalten ist, welche Form von Partizipation in welcher Intensität im Hilfeplanverfahren erwartet wird. Partizipation kann das blosse Informieren von Adressatinnen und Adressaten über fachliche Überlegungen bis hin zur Mitwirkung derselben im Entscheidungsprozess beinhalten (vgl. S. 102-103). Das empirische Material der vorliegenden Untersuchung weist darauf hin, dass Adressatinnen und Adressaten insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Mitwirkung nicht (immer) genügend am Entscheidungsfindungsprozess partizipieren können. Die Forderung nach umfassenderen Partizipationsmöglichkeiten von Adressatinnen und Adressaten Sozialer Arbeit kann auch aus menschenrechtlicher Sicht begründet werden. Staub-Bernasconi (2009) nennt als Interventionsort der Sozialen Arbeit den Schnittpunkt zwischen Individuum und Gesellschaft sowie Probleme in sozialen Beziehungen. Als Wertbasis nennt sie die soziale Gerechtigkeit und Prinzipien der Menschenrechte (vgl. S.31). Im Kapitel 3 wurde die explizite Orientierung der Sozialen Arbeit an den Menschenrechten für die Thematik dieser Arbeit als zentral 73 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer beschrieben. Dass sich die Soziale Arbeit an den Menschenrechten zu orientieren hat, scheint im Fachdiskurs eher unumstritten. Kontrovers diskutiert wird jedoch die Frage, ob die Soziale Arbeit für sich in Anspruch nehmen darf, sich als „Menschenrechtsprofession“ zu definieren (vgl. Staub-Bernasconi, 2008, S. 10). Zudem wird konstatiert, dass sich der Diskurs um die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession bislang vielmehr auf einer Metaebene bewege und im beruflichen Alltag im konkreten Handeln von Professionellen der Sozialen Arbeit von dieser Orientierung wenig bis nichts erkennbar sei (vgl. Kappeler, 2008, S. 36). Dies kann auch dahingehend aufgefasst werden, dass die Rede um die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession in erster Linie einer Statusaufwertung und Etablierung der Sozialen Arbeit als Profession zu dienen hat. Kerber-Ganse (2008) fragt danach, was die Kinder- und Jugendhilfe Deutschlands gewinnt, wenn sie die Rechte von Heranwachsenden als internationale Menschenrechte begreift und ihr Handeln an diesen reflektiert. Professionelle der Sozialen Arbeit müssten entsprechende Trainings durchlaufen, um den Verpflichtungen dieses Völkerrechts in ihrer täglichen Arbeit nachgehen zu können. Kinder haben das Recht angehört und in ihrer Meinung berücksichtigt zu werden. Diese übergeordneten Prinzipien haben deshalb durchaus eine Relevanz für das Alltagsleben (vgl. S. 66-70). Entscheidungsträger könnten demnach das Kindeswohl nur achten, wenn sie Kenntnisse über die entsprechenden Rechte eines Kindes haben und diese respektieren. Dies ist ohne deren Mitwirkung nicht möglich (vgl. Kerber-Ganse, 2008, S. 70). Das empirische Material der vorliegenden Fallanalyse zeigt auf, dass sich Rollenträger in einem Spannungsverhältnis zwischen Hilfe und Kontrolle befinden. Professionelle der Sozialen Arbeit müssen dieses aushalten und einen Umgang damit finden. Geraten sie durch den Kontrollaspekt stark unter Druck, kann dieser Umstand zu einer eingeschränkten Partizipation von Erziehungsberechtigten und ihren Kindern führen. Dieses Spannungsfeld der Hilfe und Kontrolle, in welchem sich die Soziale Arbeit konstitutiv befindet, beeinflusst also die Gestaltung von Arbeitsbündnissen mit Adressatinnen und Adressaten. Köngeter (2009) zeigt auf, dass sich gerade im Bereich der ambulanten Hilfen zur Erziehung nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) unterschiedliche Graubereiche zwischen Hilfe und Kontrolle ergeben (vgl. S. 180). Hierzu wird kontrovers diskutiert, ob sich die Soziale Arbeit diesem Spannungsfeld entziehen kann oder nicht, bzw. ob die Gestaltung eines Arbeitsbündnisses in Zwangskontexten überhaupt möglich ist (vgl. Wigger, 2009, S.143). Die Fallanalyse der vorliegenden Untersuchung hat hierzu gezeigt, dass auch unter einem Zwangskontext ein positives Arbeitsbündnis zwischen einer Sozialpädagogischen Familienbegleiterin bzw. einem Sozialpädagogischen Familienbegleiter und betroffenen Familienmitgliedern aufgebaut werden kann, sofern diese für sich vorteilbringende Aspekte der Begleitung erahnen oder entdecken bzw. ihre Bedürfnisse- und Interessen in den 74 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Zielvereinbarungsgesprächen artikulieren können. Es wäre im Weiteren zu untersuchen, inwieweit dabei das Handeln von Professionellen von organisatorischen Rahmenbedingungen beeinflusst wird (vgl. Dewe & Otto, 2010, S. 205). Heiner (2007) fasst die theoretische Diskussion zum Verhältnis von Profession und Organisation zusammen und hält fest, dass Professionalität sowohl von individueller Handlungskompetenz wie auch von der Leistungsfähigkeit einer Organisation abhängig ist (vgl. S. 203 + 214). Dewe und Otto (2010) sprechen sich für eine Flexibilisierung der Organisationsformen aus, da nur so neue Arbeitsformen und Handlungsmuster realisiert werden könnten (vgl. S. 199). Die SPFOrganisation als private Dienstleistungsorganisation legt in ihren Arbeitsformen einen Schwerpunkt auf die Nutzerpartizipation. In der vorliegenden Untersuchung hat sich gezeigt, dass sie ihre Angebote dem Bedarf von Organisationen des zivilrechtlichen Kindesschutzes, aber auch von Adressatinnen und Adressaten anpasst. 75 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Literaturverzeichnis Arnold, C., Huwiler, K., Raulf, B., Tanner, H., Wicki, T. (2008). Pflegefamilien- und Heimplatzierungen. Eine empirische Studie über den Hilfeprozess und die Partizipation von Eltern und Kindern. Zürich / Chur: Rüegger Verlag. Avenir social (2006). Berufskodex der Professionellen Sozialer Arbeit (PDF). Zugriff am 26.07.2010 auf http://www.avenirsocial.ch/de/cm_data/Berufskodex_A4_d.pdf Bayerisches Landesjugendamt (2004). Sozialpädagogische Diagnose. Arbeitshilfe zur Feststellung des erzieherischen Bedarfs. (4. Aufl.). Taufkirchen: Computer Print. Becker-Lenz, R., Busse, St., Ehlert, G., Müller, S. (Hrsg.). (2009a). Professionalität in der Sozialen Arbeit. Standpunkte, Kontroversen, Perspektiven. (2. Aufl.). 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Empirisch gestützte Diagnostik und Intervention bei Kindeswohlgefährdung. In P. Sommerfeld, M. Hüttemann (Hrsg.), Evidenzbasierte Soziale Arbeit. Nutzung von Forschung in der Praxis (S. 92-115). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Konferenz der Kantone für Kindes- und Erwachsenenschutz (KOKES) (2010). Fachtagung 2010. Interdisziplinarität – Herausforderung und Chance des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts (PDF). Zugriff am 01.06.2010 auf http://www.kokes.ch/assets/pdf/de/aktuell/KOKES-Tagung-2010-deutsch.pdf Konferenz der kantonalen Vormundschaftsbehörden (VBK) (2008). Empfehlungen Kindesund Erwachsenenschutzbehörde als Fachbehörde (Analyse und Modellvorschläge). Zeitschrift für Vormundschaftswesen. Recht und Praxis im Kindes- und Erwachsenenschutz, Nr.2/04, S. 63-101 Köngeter, St. (2009). Professionalität in den Erziehungshilfen. In R. Becker-Lenz, St. Busse, G. Ehlert, S. Müller (Hrsg.), Professionalität in der Sozialen Arbeit. 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Soziale Arbeit – eine verspätete Profession? In R. Becker-Lenz, St. Busse, G. Ehlert, S. Müller (Hrsg.), Professionalität in der Sozialen Arbeit. Standpunkte, Kontroversen, Perspektiven. (2. Aufl.) (S. 21-45). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, GWV Fachverlage GmbH. Stiftung Kinderschutz Schweiz (2009). Vorschlag für ein Nationales Kinderschutzprogramm NKP 2010 – 2020 (PDF). Zugriff am 21.5.2010 auf http://www.ppp-protectionenfance.ch/docs/bericht_1_de.pdf Stiftung Kinderschutz Schweiz (2010). Die Umsetzung des neuen Erwachsenen- und Kindesschutzrechtes (PDF). Zugriff am 21.5.2010 auf http://kinderschutz.ch/cms/files/Positionspapier%20Umsetzung%20des%20Kindes%20und%20Erwachsenenschutzrechts.pdf Strauss, A., Corbin, J. (1996). Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer Sozialforschung. Weinheim: Psychologie Verlags Union. Stuckert, A. (2009). Ein zögerlicher Schritt in Richtung Professionalisierung. Sozial Aktuell. 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Die Verbesserung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen vor Gefahren für ihr Wohl durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetzt (KICK). In E. Jordan (Hrsg.), Kindeswohlgefährdung. Rechtliche Neuregelungen und Konsequenzen für den Schutzauftrag der Kinder- und Jugendhilfe. (3. Aufl., S. 9-21). Weinheim und München: Juventa Verlag. Wigger, A. (2009). Der Aufbau eines Arbeitsbündnisses in Zwangskontexten – professionstheoretische Überlegungen im Licht verschiedener Fallstudien. In R. Becker-Lenz, St. Busse, G. Ehlert, S. Müller (Hrsg.), Professionalität in der Sozialen Arbeit. Standpunkte, Kontroversen, Perspektiven. (2. Aufl.) (S. 143-158). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, GWV Fachverlage GmbH. Woog, A. (2006). Soziale Arbeit in Familien. Theoretische und empirische Ansätze zur Entwicklung einer pädagogischen Handlungslehre. (3. Aufl.). Weinheim: Juventa Verlag. 83 Master-Thesis-Arbeit Simone Hengartner Thurnheer Anhangsverzeichnis Anhang 1: Erwähnte Artikel des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) Anhang 2: Erwähnte Artikel der UNO-Kinderrechtskonvention (KRK) Anhang 3: Erwähnte Artikel des Sozialgesetzbuches (SGB) - Achtes Buch (VIII) Anhang 4: Leitfaden für die Aufnahme von Mitgliedern im SPF-Fachverband Anhang 5: Leitfaden für Einzelnterview Nr. 020910 Anhang 6: Leitfaden für Gruppendiskussion Nr. 221010 84 Anhang 1 Erwähnte Artikel des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) Art. 2961 A. Voraussetzungen I. Im Allgemeinen 1 Die Kinder stehen, solange sie unmündig sind, unter elterlicher Sorge. 2 Unmündigen und Entmündigten steht keine elterliche Sorge zu. Art. 3071 C. Kindesschutz I. Geeignete Massnahmen 1 Ist das Wohl des Kindes gefährdet und sorgen die Eltern nicht von sich aus für Abhilfe oder sind sie dazu ausserstande, so trifft die Vormundschaftsbehörde die geeigneten Massnahmen zum Schutz des Kindes. 2 Die Vormundschaftsbehörde ist dazu auch gegenüber Kindern verpflichtet, die bei Pflegeeltern untergebracht sind oder sonst ausserhalb der häuslichen Gemeinschaft der Eltern leben. 3 Sie kann insbesondere die Eltern, die Pflegeeltern oder das Kind ermahnen, ihnen bestimmte Weisungen für die Pflege, Erziehung oder Ausbildung erteilen und eine geeignete Person oder Stelle bestimmen, der Einblick und Auskunft zu geben ist. Art. 3081 II. Beistandschaft 1. Im Allgemeinen 1 Erfordern es die Verhältnisse, so ernennt die Vormundschaftsbehörde dem Kind einen Beistand, der die Eltern in ihrer Sorge um das Kind mit Rat und Tat unterstützt. 2 Sie kann dem Beistand besondere Befugnisse übertragen, namentlich die Vertretung des Kindes bei der Wahrung seines Unterhaltsanspruches und anderer Rechte und die Überwachung des persönlichen Verkehrs. 3 Die elterliche Sorge kann entsprechend beschränkt werden. Art. 3101 III. Aufhebung der elterlichen Obhut 1 Kann der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden, so hat die Vormundschaftsbehörde es den Eltern oder, wenn es sich bei Dritten befindet, diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen. 2 Die gleiche Anordnung trifft die Vormundschaftsbehörde auf Begehren der Eltern oder des Kindes, wenn das Verhältnis so schwer gestört ist, dass das Verbleiben des Kindes im gemeinsamen Haushalt unzumutbar geworden ist und nach den Umständen nicht anders geholfen werden kann. 3 Hat ein Kind längere Zeit bei Pflegeeltern gelebt, so kann die Vormundschaftsbehörde den Eltern seine Rücknahme untersagen, wenn diese die Entwicklung des Kindes ernstlich zu gefährden droht. Quelle: Schweizerische Eidgenossenschaft (o.J.). Schweizerisches Zivilgesetzbuch. Zugriff am 28.12.10 auf http://www.admin.ch/ch/d/sr/210/index2.html Anhang 2 Erwähnte Artikel der UNO-Kinderrechtskonvention (KRK) Art. 3 (1) Bei allen Massnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. (2) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, dem Kind unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten seiner Eltern, seines Vormunds oder anderer für das Kind gesetzlich verantwortlicher Personen den Schutz und die Fürsorge zu gewährleisten, die zu seinem Wohlergehen notwendig sind; zu diesem Zweck treffen sie alle geeigneten Gesetzgebungsund Verwaltungsmassnahmen. (3) Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass die für die Fürsorge für das Kind oder dessen Schutz verantwortlichen Institutionen, Dienste und Einrichtungen den von den zuständigen Behörden festgelegten Normen entsprechen, insbesondere im Bereich der Sicherheit und der Gesundheit sowie hinsichtlich der Zahl und der fachlichen Eignung des Personals und des Bestehens einer ausreichenden Aufsicht. Art. 4 Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs—, Verwaltungs- und sonstigen Massnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte. Hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte treffen die Vertragsstaaten derartige Massnahmen unter Ausschöpfung ihrer verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit. Art. 9 (1) Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass ein Kind nicht gegen den Willen seiner Eltern von diesen getrennt wird, es sei denn, dass die zuständigen Behörden in einer gerichtlich nachprüfbaren Entscheidung nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften und Verfahren bestimmen, dass diese Trennung zum Wohl des Kindes notwendig ist. Eine solche Entscheidung kann im Einzelfall notwendig werden, wie etwa wenn das Kind durch die Eltern misshandelt oder vernachlässigt wird oder wenn bei getrennt lebenden Eltern eine Entscheidung über den Aufenthaltsort des Kindes zu treffen ist. (2) In Verfahren nach Absatz 1 ist allen Beteiligten Gelegenheit zu geben, am Verfahren teilzunehmen und ihre Meinung zu äussern. (3) Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes, das von einem oder beiden Elternteilen getrennt ist, regelmässige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu pflegen, soweit dies nicht dem Wohl des Kindes widerspricht. (4) Ist die Trennung Folge einer von einem Vertragsstaat eingeleiteten Massnahme, wie etwa einer Freiheitsentziehung, Freiheitsstrafe, Landesverweisung oder Abschiebung oder des Todes eines oder beider Elternteile oder des Kindes (auch eines Todes, der aus irgendeinem Grund eintritt, während der Betreffende sich in staatlichem Gewahrsam befindet), so erteilt der Vertragsstaat auf Antrag den Eltern, dem Kind oder gegebenenfalls einem anderen Familienangehörigen die wesentlichen Auskünfte über den Verbleib des oder der abwesenden Familienangehörigen, sofern dies nicht dem Wohl des Kindes abträglich wäre. Die Vertragsstaaten stellen ferner sicher, dass allein die Stellung eines solchen Antrags keine nachteiligen Folgen für den oder die Betroffenen hat. Quelle: Schweizerische Eidgenossenschaft (o.J.). Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Zugriff am 28. 12. 10 auf http://www.admin.ch/ch/d/sr/0_107/ Anhang 3 Erwähnte Artikel des Sozialgesetzbuches (SGB) - Achtes Buch (VIII) § 1 Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe (1) Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. (3) Jugendhilfe soll zur Verwirklichung des Rechts nach Absatz 1 insbesondere 1. junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen, 2. Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützen, 3. Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen, 4. dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen. § 27 Hilfe zur Erziehung (1) Ein Personensorgeberechtigter hat bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. (2) Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 gewährt. Art und Umfang der Hilfe richten sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall; dabei soll das engere soziale Umfeld des Kindes oder des Jugendlichen einbezogen werden. Die Hilfe ist in der Regel im Inland zu erbringen; sie darf nur dann im Ausland erbracht werden, wenn dies nach Maßgabe der Hilfeplanung zur Erreichung des Hilfezieles im Einzelfall erforderlich ist. (2a) Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses erforderlich, so entfällt der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen; die Gewährung von Hilfe zur Erziehung setzt in diesem Fall voraus, dass diese Person bereit und geeignet ist, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgabe der §§ 36 und 37 zu decken. (3) Hilfe zur Erziehung umfasst insbesondere die Gewährung pädagogischer und damit verbundener therapeutischer Leistungen. Sie soll bei Bedarf Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen im Sinne des § 13 Abs. 2 einschließen. (4) Wird ein Kind oder eine Jugendliche während ihres Aufenthaltes in einer Einrichtung oder einer Pflegefamilie selbst Mutter eines Kindes, so umfasst die Hilfe zur Erziehung auch die Unterstützung bei der Pflege und Erziehung dieses Kindes. § 36 Mitwirkung, Hilfeplan (1) Der Personensorgeberechtigte und das Kind oder der Jugendliche sind vor der Entscheidung über die Inanspruchnahme einer Hilfe und vor einer notwendigen Änderung von Art und Umfang der Hilfe zu beraten und auf die möglichen Folgen für die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen hinzuweisen. Vor und während einer langfristig zu leistenden Hilfe außerhalb der eigenen Familie ist zu prüfen, ob die Annahme als Kind in Betracht kommt. Ist Hilfe außerhalb der eigenen Familie erforderlich, so sind die in Satz 1 genannten Personen bei der Auswahl der Einrichtung oder der Pflegestelle zu beteiligen. Der Wahl und den Wünschen ist zu entsprechen, sofern sie nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sind. Wünschen die in Satz 1 genannten Personen die Erbringung einer in § 78a genannten Leistung in einer Einrichtung, mit deren Träger keine Vereinbarungen nach § 78b bestehen, so soll der Wahl nur entsprochen werden, wenn die Erbringung der Leistung in dieser Einrichtung nach Maßgabe des Hilfeplans nach Absatz 2 geboten ist. (2) Die Entscheidung über die im Einzelfall angezeigte Hilfeart soll, wenn Hilfe voraussichtlich für längere Zeit zu leisten ist, im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte getroffen werden. Als Grundlage für die Ausgestaltung der Hilfe sollen sie zusammen mit dem Personensorgeberechtigten und dem Kind oder dem Jugendlichen einen Hilfeplan aufstellen, der Feststellungen über den Bedarf, die zu gewährende Art der Hilfe sowie die notwendigen Leistungen enthält; sie sollen regelmäßig prüfen, ob die gewählte Hilfeart weiterhin geeignet und notwendig ist. Werden bei der Durchführung der Hilfe andere Personen, Dienste oder Einrichtungen tätig, so sind sie oder deren Mitarbeiter an der Aufstellung des Hilfeplans und seiner Überprüfung zu beteiligen. Erscheinen Maßnahmen der beruflichen Eingliederung erforderlich, so sollen auch die für die Eingliederung zuständigen Stellen beteiligt werden. (3) Erscheinen Hilfen nach § 35a erforderlich, so soll bei der Aufstellung und Änderung des Hilfeplans sowie bei der Durchführung der Hilfe die Person, die eine Stellungnahme nach § 35a Abs. 1a abgegeben hat, beteiligt werden. (4) Vor einer Entscheidung über die Gewährung einer Hilfe, die ganz oder teilweise im Ausland erbracht wird, soll zur Feststellung einer seelischen Störung mit Krankheitswert die Stellungnahme einer in § 35a Abs. 1a Satz 1 genannten Person eingeholt werden. Quelle: Bundesministerium der Justiz (o.J.). Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinderund Jugendhilfe. Zugriff am 28.12.2010 auf http://www.gesetze-iminternet.de/sgb_8/BJNR111630990.html#BJNR111630990BJNG000104308 Anhang 4 Leitfaden für die Aufnahme von Mitgliedern im Fachverband Schweiz Sozialpädagogische Familienbegleitung Siehe unter: http://spf-fachverband.ch/content/fachverband/documents/Leitfaden0309_000.pdf Anhang 5 Leitfaden für Einzelnterview Nr. 020910 Kurze Selbstpräsentation des Rollenträgers: Funktion, Position innerhalb der Organisation, Aufgabenbereich Erzählstimulus: Mich interessiert es, wie das genau abläuft, wenn das Vormundschaftsamt eine Gefährdungsmeldung oder einen Hinweis erhält, dass es in einer Familie oder mit einem Kind oder Jugendlichen Probleme gibt. Sie können ja vielleicht damit beginnen zu beschreiben, woher solche Meldungen kommen können und was dann passiert, welches dann die nächsten Schritte sind und welche Möglichkeiten und Varianten es bei diesen schon gegeben hat. Erzählen Sie ruhig ausführlich, auch Details, und lassen Sie sich Zeit. Ich werde Sie nicht unterbrechen. Für mich ist alles interessant, was für Sie wichtig ist. Phase: Hinweis oder Gefährdungsmeldung: Wo kommt ein Hinweis herein? Wer gibt den Hinweis? Woher kommt er? Wann, zu welchem Zeitpunkt? Unter welchen Umständen? Wer nimmt ihn entgegen? Wie findet die Informationsübergabe statt? Wieviel wird erzählt? Warum fühlt sich jemand dazu verpflichtet? Phase: Dem Hinweis oder der Meldung nachgehen oder nicht Wer bearbeitet die Information? Wer entscheidet bzw. wie wird entschieden, ob einem Hinweis nachgegangen wird? Was geschieht damit genau? Wie wird die Info weiterverarbeitet? Wo wird dies gemacht? Wann wird ein Hinweis weiterverfolgt, wann nicht? Warum? An wen werden Informationen weitergeleitet? Wer ist für diese Entscheidung verantwortlich? Phase: Abklärung der Situation Wer klärt die Situation der Familie ab? Warum diese Person? Wer kommt alles in Frage für diese Aufgabe, warum diese und keine anderen? Was muss bei der Abklärung berücksichtigt werden? Wo findet die Abklärung statt? Warum wird diese Form gewählt? Wieviele Infos sind nötig, um zu entscheiden ob es weiteren Handlungsbedarf gibt? Welche Infos sind vor allem nötig dazu? Bei wem werden notwendige Infos eingeholt? Wird die SPF beigezogen, um die Situation genauer abzuklären? Wie? Werden Empfehlungen der SPF berücksichtigt bei der Planung des weiteren Vorgehens? Wie? Phase: Verarbeitung der Informationen der Abklärung Wer fasst Infos zusammen und auf welche Art und Weise? Wer gibt sie an wen weiter und weshalb? Wann muss der Fall weitergeführt werden, wann kann er bereits abgeschlossen werden? Wer entscheidet dies, aufgrund welcher Unterlagen? Phase: Entscheidungsfindung (was weiter zu tun ist) Wer hat Entscheidungskompetenzen? Wer diskutiert mit wem und warum mit diesen Personen? Wo findet der Entscheid statt? Wann kann eine Entscheidung getroffen werden? Was braucht es dazu? Wie gelangen entsprechende Personen zu einem Entscheid? Was passiert, wenn nicht alle Personen mit dem Entscheid einverstanden sind? Welche Kompetenzen haben Sozialarbeiter im Entscheidungsprozess? Für welche Unterstützungsleistungen können überhaupt externe Dienstleister herangezogen werden? Welche Tätigkeiten können / dürfen delegiert werden? Für welche Unterstützungsleistungen werden grundsätzlich externe Dienstleister herangezogen? Wann wird der Einsatz einer sozialpädagogischen Familienbegleitung als sinnvoll erachtet und wann eben genau nicht? Wer entscheidet bzw. beurteilt dies aufgrund welcher Informationen? Werden Empfehlungen der SPF berücksichtigt bei der Planung des weiteren Vorgehens? Wie? Fragen, welche zu jeder Phase des Prozesses gestellt werden können: Welche verschiedenen Personen können an so einem Prozess beteiligt sein? Welche Funktion/Rolle übernehmen die Behördenmitglieder? Welche Funktion/Rolle übernimmt der Vormundschaftssekretär? Welche Rolle spielen strukturelle / organisatorische Rahmenbedingungen? Wird spezifisches sozialarbeiterisches und sozialpädagogisches Wissen im Abklärungs- und Entscheidungsprozess eingesetzt? Um welches sozialarbeiterische und sozialpädagogische Wissen handelt es sich dabei genau? Wird Bezug genommen auf konkrete Hilfsmittel wie Handbücher, Methoden o.ä.? Welche Rolle übernehmen Professionelle der Sozialen Arbeit in diesem Prozess? Erhebungsdaten nach Abschluss des Interviews: Jahrgang: Wohnort: Kinder ja/nein: Leibliche ja/nein: Beruf: Berufliche Tätigkeit: Telefonnummer und Erreichbarkeit: Geschlecht: Anhang 6 Leitfaden für Gruppendiskussion Nr. 221010 Die Vorbereitung für die Gruppendiskussion orientiert sich an: Przyborski Wohlrab-Sahr, 2009, S. 109 – 115 Wichtige Kriterien für Durchführung: Interventionen immer an die ganze Gruppe Weitgehender Verzicht auf die Teilnehmerrolle, Zurückhaltung im Gespräch Themenvorschläge ohne themenbezogenen Orientierungsrahmen Demonstrative Vagheit, methodisch reflektierte Fremdheit Anstossen detailreicher Darstellungen Die Gruppe besteht aus drei Personen (Vormundschaftssekretär, Leiter Amtsvormundschaft und Beistand, Sozialpädagogische Familienbegleiterin) Vor der Eingangsfrage werden die Teilnehmer über Interviewform infomiert. Es wird ihnen gesagt, dass es nichts ausmacht, wenn sie von meinem eingegebenen Thema abweichen, ich werde sie nicht unterbrechen. Spannend ist, wenn sie insbesondere Bezug auf die zwei untersuchten Fälle nehmen, sie können aber auch weitere Beispiele nehmen für die Diskussion um Unterschiede / Kontraste aufzuzeigen. Themenvorschlag ohne themenbezogenen Orientierungrahmen als Einstieg für selbstläufige Diskussion: Mich interessiert es, wie es zum Einsatz einer SPF kommen kann. Welche Erfahrungen haben Sie da in Ihrer Zusammenarbeit gemacht? Fragemodelle für immanente und exmanente Nachfragen Dahinter liegendes Erkenntnisinteresse Wie erleben Sie die Zusammenarbeit? Welche Wünsche oder Erwartungen haben Sie an die Zusammenarbeit? Welche Unterstützung bietet SPF? Welche Form der Zusammenarbeit ist sinnvoll? Kriterien? Indikatoren / Kriterien? Für welche Interventionen ist SPF geeignet? Bezug auf sozialarbeiterisches Wissen? Wie merken Sie ob SPF eine Lösung sein könnte? Welches Wissen oder welche Hilfsmittel erleben Sie als hilfreich? Kennen Sie konkrete Hilfsmittel, wie Diagnose-Tabellen oder Indikatoren-Listen? Was halten Sie davon? Indikatoren? Sozialarbeiterisches Wissen? Master in Sozialer Arbeit Bern I Luzern I St.Gallen I Zürich Persönliche Erklärung Einzelarbeit Erklärung der Studierenden zur Master-Thesis-Arbeit Studierende: Hengartner Thurnheer, Simone Master-Thesis-Arbeit: Entscheidungszwänge im zivilrechtlichen Kindesschutz – Die Bedeutung der Sozialpädagogischen Familienbegleitung (SPF) als Hilfeleistung im Abklärungsprozess und / oder als professionelle Intervention zur Abwendung einer drohenden oder bestehenden Gefährdungslage Abgabe: 13. Januar 2011 Fachbegleitung: Prof. Sabine Makowka M.A. Ich, obengenannte Studierende, habe die obengenannte Master-Thesis-Arbeit selbstständig verfasst. Wo ich in der Master-Thesis-Arbeit aus Literatur oder Dokumenten zitiere, habe ich dies als Zitat kenntlich gemacht. Wo ich von anderen Autoren oder Autorinnen verfassten Text referiere, habe ich dies reglementskonform angegebenen. Ort, Datum: Unterschrift: …………………………………………… ……………………………………………….. S. Hengartner Thurnheer