Franz Gruber: Von Gott reden in geschichtsloser Zeit. Zur symbolischen
Sprache eschatologischer Hoffnung, 459 S., Herder Verlag, FreiburgBasel-Wien 1997. Rezension erschienen in Lebendiges Zeugnis 54 (1999), 155-157.
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ie Ordnung und Beherrschung der uns umgebenden Welt vollzieht sich, wie
Ernst Cassirer in seinem Hauptwerk „Philosophie der symbolischen Formen“
darlegte, mittels eines Systems von Symbolen, die keine Abbilder der ‘äußeren’
Wirklichkeit sind, sondern im weitesten Sinne Ausdrucksformen der intellektuellen
Synthesis darstellen, deren Schöpfer der Mensch ist. Sprache, Mythos und wissenschaftliche Erkenntnis bezeichnen Weisen der Symbolisierung, deren Bedeutung
auch im theologischen Diskurs nicht ignoriert werden sollte. Dies gilt auch dann,
wenn das zentrale Thema der christlichen Theologie die geschichtliche Relation und
Aktion von Gott und Mensch ist.
Franz Grubers umfangreiche Habilitationsschrift macht darauf die Probe. Ziel dieser
Studie ist es, „das verschlungene Verhältnis von Geschichte-Eschatologie-Symbol“ (7) zu
bestimmen, und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem Geschichte als Thema und Projekt
ihre Faszination verloren hat und die Versuchung einer individualistischen Engführung eschatologischer Themen wächst. „Ich werde den Vorschlag unterbreiten, daß
Geschichte und Symbol keine sich ausschließenden Kategorien sind, sondern in der
eschatologischen Form des Glaubens ihre wechselseitige Verwiesenheit finden.“ (5)
In drei großen Teilen versucht Gruber, diesen Gedanken auszuführen und zu begründen. Hält man sich an Cassirers Einteilung der symbolischen Formen, so widmet sich der erste Teil, „Semiotik geschichtlichen Sinns“, der wissenschaftlichen, diskursiven Erkenntnis von Geschichte als Geschichtsschreibung und Geschichtsphilosophie.
Im Laufe der Neuzeit wird Geschichte aus ihrem religiösen und theologischen Symbolsystem gelöst und, parallel zu den Naturwissenschaften, in eine diskursive Symbolisierung überführt, welche die Phänomene aus ihrem immanenten Zusammenhang
heraus erklärt. Damit ist allerdings die Frage nach dem Sinn von Geschichte - und
Gruber verfolgt die Diskussion in den Kapiteln 3 und 4 ausführlich - nicht schon erledigt. Geschichtszeit ist - individuell und kollektiv - limitierte Zeit: Geschichte müßte einschließlich ihres Endes erzählt und reflektiert werden; welches Subjekt aber
könnte ‘nach’ seinem Ende dies noch leisten? Universalgeschichtliche Konzeptionen,
die beanspruchen, das Ziel und den Sinn von Geschichte, der bislang religiös symbolisiert wurde, im Medium des Begriffs darlegen zu können, haben freilich ihre Plausibilität eingebüßt. Die doppelte Kritik der Hegelschen Geschichtsphilosophie durch
Marxismus und Historismus verwies auf den Bruch zwischen Vernunft und Geschichte, den die Hegelsche Spekulation zu heilen versuchte. Soweit in den erstarrten
Kategorien des DiaMat Universalgeschichte in säkularisierter Form erneuert wurde,
René Buchholz: Rezension von Franz Gruber, Von Gott reden...
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verfiel auch der ‘offizielle’ Marxismus dem Verdacht einer erpreßten Versöhnung.
Im Sinne einer Kritik universalgeschichtlicher Reflexion hat, wie Gruber im ersten
Kapitel zeigt, die Rede vom ‘Ende der Geschichte’ ihr spezifisches Recht; sie schlägt
aber in Ideologie um, wenn sie dazu dient, den status quo für die Ewigkeit zu präparieren.
Anders als es den modernen Theorien des Fortschritts vorschwebte, enthüllt sich Geschichte dem kritischen Blick als permanente Katastrophe: Kontinuität der Diskontinuität. Gruber greift hier - mit Recht - auf die geschichtsphilosophischen Thesen Walter Benjamins zurück, die selbst unter dem Eindruck der Katastrophe 1940 verfaßt
wurden. Hoffnung auf Rettung noch des Verlorenen heftet sich demnach nicht an die
Logik der Geschichte, sondern an deren Unterbrechung (143 - 152).
Die ‘unzeitgemäßen Thesen zur Apokalyptik’ von Johann Baptist Metz gehören in
die späte theologische Rezeptionsgeschichte des Benjaminschen Œuvres. Die Unabgeschlossenheit der Geschichte, die Benjamin - gegen Horkheimers Bedenken - ausdrücklich theologisch verstanden wissen wollte, wird für Metz zum Stachel einer
triumphalistischen Theologie der Geschichte. Geschichte ist, entgegen allen vorschnellen Vertröstungen, nach wie vor Leidensgeschichte. Affirmative Theorien der
Versöhnung scheitern an diesem Befund. Der Theodizeefrage kommt damit auch für
die Artikulation eschatologischer Hoffnung eine eminent kritische Bedeutung zu.
Daß, wie Gruber meint, Metz in eine „problematische Nähe zur fundamentalistischen Rede vom Leiden“ gerate, durch welche Leiden verewigt werde (188), ist allerdings weniger überzeugend.
Der zweite Teil untersucht nun die ‘eschatologische Grammatik der Theologie’. Die
Wiederentdeckung der Eschatologie durch Overbeck, Weiss und Schweitzer hatte für
die weitere exegetische und systematische Arbeit erhebliche Konsequenzen. Schwerlich ließ christliche Eschatologie sich noch mit einem Fortschrittsbegriff, wie er vor
allem in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts sich durchsetzte und in den Katastrophen dieses Jahrhunderts diskreditiert wurde, vereinbaren. Gruber diskutiert
ausführlich die unterschiedlichen theologischen Reaktionen auf diese Situation. Soweit die frühchristliche Eschatologische in mythischen Bildern sich artikulierte,
konnte sie theologisch nicht einfach repristiniert werden. Die Frage der Entmythologisierung und des darin ausgesprochenen Verständnisses mythischer Symbolisierung, die im 8.Kapitel angesprochen wird, deutet sich hier schon an. Die kritische
Arbeit seit der Aufklärung, einschließlich der berühmten ‘Lessingfrage’, läßt sich
nicht einfach ignorieren.
Jene Versuche aber, die hier aufbrechenden Probleme in der Form einer existentialen
(Bultmann) oder transzendentalen (Rahner) Hermeneutik zu schlichten, haben, wie
Gruber überzeugend darlegt, die tiefe Tendenz, die eschatologischen und apokalyptischen Elemente des christlichen Glaubens zu neutralisieren und ihrer geschichtli-
René Buchholz: Rezension von Franz Gruber, Von Gott reden...
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chen Indices zu berauben – trotz oder gar wegen aller Rede von ‘Geschichtlichkeit’
(Kaptel 5).
Solche Entgeschichtlichung der Eschatologie ist freilich kaum mit der an-
dauernden Penetranz der Geschichte vereinbar und mündet in eine „siegreiche
Glaubensunbekümmertheit gegenüber dem, was Hegel die Schlachtbank der Geschichte, Benjamin die Katastrophe, was Metz Auschwitz nannte“ (255).
Solche Kritik zeigt den Übergang von einer Hermeneutik zu einer Pragmatik eschatologischer Hoffnung (Kapitel 6) an, den die neue Politische Theologie (Metz, Peukert,
Arens) und die Theologie der Befreiung jeweils auf ihre Weise vollzogen. Eschatologische Hoffnung ist geschichtlich und gesellschaftlich situiert. ‘Sinn’, dieses Lieblingskind der Theologen, ist nicht in verdinglichter Form als fertiges ‘Sinnangebot’
zu haben, sondern erweist sich in der bestimmten Negation des Unsinns. Der Wahrheitsgehalt christlicher Hoffnung beschränkt sich nicht nur auf die Interpretation geschichtlicher Wirklichkeit, sondern erstreckt sich - als ‘gefährliche Erinnerung’ - auf
deren Kritik und Veränderung. Was aber, wenn die vorhandene Wirklichkeit sich als
veränderungsresistent erweist, Geschichte im nunmehr alternativlosen Kapitalismus
hektisch auf der Stelle tritt und - wie schon Horkheimer und Adorno erkannten - die
Attribute der statischen oder zirkulären mythischen Zeit aufweist? Wie läßt sich unter diesen Bedingungen von Eschatologie - „die religiöse Symbolisierung des Ziels von
Geschichte“ (311) - noch verbindlich sprechen? Ohne die Errungenschaften jener
pragmatischen Wende in der Theologie aufzugeben, plädiert Gruber dafür, das Bedürfnis nach ‘symbolischem Sinn’, das gerade die posthistoire kennzeichnet, gleichsam gefiltert durch eine kritische und politische Theologie, auch in der Entfaltung
der Eschatologie aufzugreifen. Das Symbolische verbindet nach Gruber die Hermeneutik und die Pragmatik eschatologischer Rede (Kapitel 7).
Soweit die biblischen Traditionen ihrerseits eschatologische Hoffnung mythisch
symbolisierten, ist eine theologische Theorie des Mythos unverzichtbar. Zu untersuchen ist nicht zuletzt das unabgegoltene Potential des Mythos und das Verhältnis
von Mythos und Geschichte (Kapitel 8). Dies ist Aufgabe des dritten Teils unter dem
Titel „Symbolik der Hoffnung“, der abschließt mit der „Theorieskizze einer Symbolik
der Hoffnung“ (Kapitel 9), einem Plädoyer für eine symboltheoretische Erweiterung
der handlungstheoretischen Vermittlungen (Peukert, Arens) eschatologischer Hoffnung. Gruber gelingt es, sowohl das im Kontext der Kerygmatheologie verkürzte
Mythosverständnis Bultmanns (326 - 338) als auch die problematische Remythisierung
der Geschichte bei Drewermann (356 - 374) einer hellen und gut begründeten Kritik zu
unterziehen. Wer sich über die theologische Mythosdiskussion im 20. Jahrhundert
von Bultmann bis Dalferth und Baudler informieren möchte, wird hier fündig. Die
abstrakte Antithese von Mythos und Logos bzw. Geschichte kann Gruber überzeugend als eine halbierte Ideologiekritik, welche die totalisierende Tendenz von Logos
und Geschichtsbegriff übersieht, zurückweisen. Ob allerdings Metz tatsächlich in
René Buchholz: Rezension von Franz Gruber, Von Gott reden...
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diesem Sinne die Antithese von Mythos und Geschichte zuspitzt (339 - 343), wie Gruber meint, sei dahingestellt.
Ungeachtet des fehlenden Konsenses in der theologischen Mythosdiskussion (390)
sieht Gruber die Relevanz des Symbolischen und Mythischen in der „expressiven
Ausdrucksgestalt von Sinn“. Weiterhin bildet das Symbolische als die „Repräsentanz
von Vernunftideen und Glaubensüberzeugungen“ die „metaphorische Form von
Rationalität“ (ebd.). Was die unglückliche Doppelung ‘expressive Ausdrucksgestalt’
bedeutet, bleibt dunkel. Mißlich wirkt sich gerade hier die fehlende Auseinandersetzung mit der neueren philosophischen Symboltheorie seit Ernst Cassirer aus, und
Gruber läßt es zuweilen an begrifflicher Strenge und dialektischer Durcharbeitung
des Materials fehlen. Nicht ‘Symbol’ und ‘Diskurs’ bezeichnen die entscheidende
Differenz, sondern narrativ-mimetische und diskursive Symbolisierung. Beide Formen sind Akte intellektueller Synthesis, die, was Gruber nur andeutet, in ihrer Einebnung des Differierenden problematische Züge hat (394f). Der Symbolbegriff ist darum nicht auf das Bildhafte oder Mythische engzuführen. Das prekäre Verhältnis
von diskursiver und rational-mimetischer Symbolisierung schließlich hätte eine differenziertere Erörterung verdient: der Bruch zwischen beiden Formen ist auf seine
geschichtlichen Ursachen hin transparent zu machen.
Wie ist schließlich das Verhältnis von Repräsentation und Metaphorik im Symbolischen zu charakterisieren? Die alte Streitfrage zwischen Realismus und Konventionalismus ist nicht nur für die Symbolik im liturgischen und sakramentalen Bereich relevant, sondern gerade auch für die Frage nach der Repräsentation von Geschichte in
den symbolischen Formen, die freilich rasch erstarren und als verdinglichte sich einer von Herrschaftsinteressen okkupierten Erinnerung anbieten. Die geschichtliche
Struktur des Symbolischen muß darum zur symbolischen Struktur geschichtlicher
Vernunft vermittelt werden; eine Absicht, die in Grubers Drewermann-Kritik angelegt ist, aber nicht konsequent ausgeführt wird. Bildhafte, mythische und diskursive
Symbolsysteme sind kristallisierte Geschichte, die auf ihr eschatologisches Erwachen
hofft. Von erheblicher Bedeutung wäre in diesem Zusammenhang die Rezeption von
Walter Benjamins Sprachphilosophie, dessen Begriff der ‘integralen Prosa’ und seiner
messianischen Konnotationen sowie der Theorie des ‘Dialektischen Bildes’ gewesen,
die man - zumindest sachlich - als bestimmte Negation der Jungschen Remythisierung der Geschichte deuten kann. Hier hätte Gruber wichtige Anregungen für eine
„symbolische Sprache eschatologischer Hoffnung“ erhalten können.
Trotz dieser kleinen Einschränkungen sei die Studie Grubers jenen empfohlen, die
sich am intrikaten Verhältnis von Geschichte, Eschatologie und Symbol abarbeiten
und, darin Grubers Intention aufgreifend, Geschichte nicht vorschnell aus dem philosophischen und theologischen Diskurs verabschieden wollen.
René Buchholz