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Politiken der Sicherheit | Politics of Security l6 Horst Carl | Rainer Babel | Christoph Kampmann [Hrsg.] Sicherheitsprobleme im 16. und 17. Jahrhundert – Bedrohungen, Konzepte, Ambivalenzen Problèmes de Sécurité aux XVIe et XVIIe Siècles – Menaces, Concepts, Ambivalences Politiken der Sicherheit | Politics of Security herausgegeben von Thorsten Bonacker Horst Carl Eckart Conze Christoph Kampmann Regina Kreide Angela Marciniak Band 6 Horst Carl | Rainer Babel Christoph Kampmann [Hrsg.] Sicherheitsprobleme im 16. und 17. Jahrhundert Bedrohungen, Konzepte, Ambivalenzen Problèmes de Sécurité aux XVIe et XVIIe Siècles Menaces, Concepts, Ambivalences © Titelbild: Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne François Dubois (Amiens, 1529 – Genève, 1584) Le Massacre de la Saint-Barthélemy, vers 1572–1584 Huile sur bois, 94 x 154 cm Lausanne, Musée cantonal des Beaux-Arts Don de la Municipalité de Lausanne, 1862 inv.729 Photo: Nora Rupp, Musée cantonal des Beaux-Arts, Lausanne Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8487-5459-5 (Print) ISBN 978-3-8452-9614-2 (ePDF) 1. Auflage 2019 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2019. Gedruckt in Deutschland. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Inhalt Einleitung. Sicherheitsprobleme im 16. und 17. Jahrhundert 9 Bedrohungen, Ambivalenzen, Konzepte im französisch-deutschen Vergleich Horst Carl, Rainer Babel, Christoph Kampmann I. Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen Beobachtungen zum Gebrauch und zur Semantik von seur(e)té im Französischen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts 29 Lothar Schilling Securitization in the Holy Roman Empire 1495–1806 59 Peter H. Wilson Sicherheit und Libertät – Sicherheit versus Libertät 91 Securitas Imperii und kaiserliche Reichspolitik im Zeitalter Ludwigs XIV. Christoph Kampmann II. Räume der Unsicherheit und Sicherheit – Espaces d’insécurité et de sécurité Enjeu politique et devoir de l’État Le paradoxe de la sécurisation des routes à Lausanne (fin XVe – début XVIe siècle) 119 Lionel Dorthe Der städtische Raum und die bedrohte Sicherheit 141 Paris am Vorabend der französischen Religionskriege des 16. Jahrhunderts Christian Wenzel 5 Inhalt Höfische Körper als Sicherheitsproblem(e) 171 Der Fall Stuttgart 1580–1630 Regine Maritz Entre sécurité et garantie 195 Places fortes et places de sûreté dans le discours politique huguenot de la seconde moitié du XVIe siècle Hugues Daussy Von Richelieu zu Vauban 213 Sicherheit, Festungen, Grenzen und Strategie im Zeitalter Ludwigs XIV. Sven Externbrink Von kollektiver zu geostrategischer Sicherheit? 241 Der außenpolitische Wandel Frankreichs unter Ludwig XIV. Anuschka Tischer III. Sicherheit – Öffentlichkeit – Geheimhaltung Qualia ex repudiis illustrium infortunia et calamitates! 257 Der Verhandlungsgang dynastischer Ehen der Frühen Neuzeit als Frage der Sicherheit Philip Haas, Bengt Büttner Konfession als Nichtargument 285 Zur Dissimulation von Religionsmotiven in Konfessionskriegen Sascha Weber Verschwiegene Zukunft? 301 Erwartungsräume im politischen Handeln nach dem Pfälzischen Erbfolgekrieg Albert Schirrmeister Sicherheit und Konfession Der englisch-französische Gegensatz im Zeitalter Ludwigs XIV. Christian Mühling 6 327 Inhalt »Beleaguered Isle« 343 Dimensionen der »Versicherheitlichung« im England der Glorious Revolution Ulrich Niggemann IV. Ambivalente Sicherheitsressourcen: Freundschaft – Gewalt – Recht Vertu civique et garantie collective 381 La question de l’amitié dans les guerres de religion Olivier Christin Die Reformation als Sicherheitsrisiko? 403 Die Ambivalenz konfessioneller Allianzen und der Einigkeitsdiskurs in der Alten Eidgenossenschaft (16./17. Jahrhundert) Andreas Würgler »Si je n’y mettais cet ordre, je ne tiendrais pas votre pays sûr« 429 Rébellion et ordre royal dans la Lombardie assiégée des Valois (1521) Séverin Duc Forteresses et insécurité publique 443 Mise en ordre et désordres des États piémonto-savoyards (1559–1610) Julien Alerini Sécurité militaire et révolte chez les protestants français dans les années 1620 467 Pierre-Jean Souriac Geiselstellung und Rechtssicherheit 489 Die Friedensverträge von Madrid (1526) und Vervins (1598) Rebecca Valerius, Horst Carl Pulverfass Böhmen 511 Friedrich V. als dynastisch-staatsrechtliches Sicherheitsproblem der Wettiner Marcus Stiebing 7 Inhalt Garantir les dettes en temps de troubles Le problème de la sécurité juridique (XVIe–XVIIe siècle) 545 Nga Bellis-Phan Resümees/Résumés/Abstracts 565 Autorenverzeichnis 601 8 Pulverfass Böhmen Friedrich V. als dynastisch-staatsrechtliches Sicherheitsproblem der Wettiner1 Marcus Stiebing Die Wahl des Pfälzer Kurfürsten Friedrich V. (1596–1632) zum böhmi‐ schen, parallel hierzu die Ferdinands von Innerösterreich (1578–1637) zum römisch-deutschen König, im August 1619 stellte für das Reich und seine Territorien ein massives Sicherheitsproblem dar. Der seit 1618 an‐ schwellende Konflikt um Böhmen erreichte seinen ersten Höhe- und Wen‐ depunkt. Die Unruhen wurden zu einem irreversiblen Krieg für das Reich2. 1 Für inhaltliche Anmerkungen und formale Verbesserungen danke ich Anne Greule, Alexander Schmidt, Saskia Jungmann, Natalia Diaconu sowie Christoph Oelmann (alle Jena). 2 Vgl. Joachim Bahlcke, Theatrum Bohemicum. Reformpläne, Verfassungsideen und Bedrohungsperzeptionen am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges, in: Win‐ fried Schulze (Hg.), Friedliche Intensionen – Kriegerische Effekte. War der Aus‐ bruch des Dreißigjährigen Krieges unvermeidlich?, St. Katharinen 2002 (Studien zur Neueren Geschichte, 1), S. 1–21; Stefan Ehrenpreis, Die Rolle des Kaiserhofes in der Reichsverfassungskrise und im europäischen Mächtesystem vor dem Drei‐ ßigjährigen Krieg, in: Schulze (Hg.), Friedliche Intensionen (wie Anm. 2), S. 71– 106; Peter Wolf, Eisen aus der Oberpfalz, Zinn aus Böhmen und die goldene Böh‐ mische Krone, in: Ders. u. a. (Hg.), Der Winterkönig. Friedrich V. Der letzte Kur‐ fürst aus der oberen Pfalz, Augsburg 2003, S. 65–74; Joachim Bahlcke, Wird »Be‐ hemb ein Hollendisch goubernament«? Das böhmisch-pfälzische Staatsgründungs‐ experiment in europäischer Perspektive, in: Wolf u. a. (Hg.), Winterkönig (wie Anm. 2), S. 94–100; Petr Hlaváček, Bohemia Cor Europae. Die geopolitischen und theologischen Vorstellungen über die Rolle Böhmens und der Tschechen in der Reformationszeit, in: Kaspar von Greyerz u. a. (Hg.), Religion und Naturwissen‐ schaften im 16. Und 17. Jahrhundert, Gütersloh 2010 (Schriften des Vereins für Re‐ formationsgeschichte, 210), S. 123–140; Alexander Begert, Böhmen, die Böhmi‐ sche Kur und das Reich vom Hochmittelalter bis zum Ende des Alten Reiches. Stu‐ dien zur Kurwürde und zur staatsrechtlichen Stellung Böhmens, Husum 2003 (His‐ torische Studien, 475), S. 303–374 u. S. 424–433; Brennan C. Pursell, The Winter King. Frederick V. of the Palatinate and the Coming of the Thirty Years War, Alder‐ 511 Marcus Stiebing In einer offiziellen, durch Friedrich V. in Auftrag gegebenen Erklärung rechtfertigte er die Annahme der böhmischen Krone3 mit dem Schutz der Konfession, den nicht geführten Verhandlungen über die Gravamina der evangelischen Reichsstände4, der vermeintlich vernachlässigten Verteidi‐ gung gegen die Türken durch die Habsburger und den ausgeschlagenen Friedensbemühungen des Pfälzers. Daher hätten die böhmischen Stände eine gemeine Confoederation [...] mit einander auffgerichtet/ darauff noch ferner [eine] völlige verenderung des Regiments angestrebt und deswegen seien sie schließlich zu einer neuen Wahl geschritten. Ziel der Wahl sei es gewesen, das Reich bey mehrer ruhe vnnd sicherheit zu halten. Der edle Fried sollte hierdurch wiederhergestellt und dadurch das Reich und Böh‐ men vorsichert werden5. In diesem Sinne hatte Friedrich auch versucht, die Wahl Ferdinands aufzuschieben. Seine Instruktion für den Frankfurter Wahltag im August 1619 verdeutlich dies ebenso6 wie seine Erklärungsversuche gegenüber 3 4 5 6 shot u. a. 2003, S. 43–92; Robert Bireley, Ferdinand II. Counter-Reformation Em‐ peror, 1578–1637, New York 2014, S. 65–122. Vgl. zur Problematik der Wahlen 1619: Ferdinand Tadra, Über die Stellung Kur‐ sachsens gegenüber dem König Ferdinand und dem Böhmischen Aufstande bei der Keiserwahl 1619, in: Ders., Zur Kaiserwahl 1619. Actenstücke des K. Sächs. Hauptstaatsarchivs zu Dresden, Wien 1878, S. 4–20; Moritz Ritter, Die pfälzische Politik und die böhmische Königswahl, in: Historische Zeitschrift 79 (1897), S. 239–283; Begert, Böhmen (wie Anm. 2), S. 366–375; Pursell, Winter King (wie Anm. 2), S. 65–92; Bireley, Ferdinand II. (wie Anm. 2), S. 98–104; zur Wahr‐ nehmung der Wahl: Axel Gotthard, Der liebe vnd werthe Fried. Kriegskonzepte und Neutralitätsvorstellungen in der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 2014 (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht, 32), hier S. 332–342. Vgl. Gravamina der korrespondierenden evangelischen Reichsstände, Regensburg, 7./ 17. August 1613, in: Gottfried Lorenz (Hg.), Quellen zur Vorgeschichte und zu den Anfängen der des Dreißigjährigen Krieges, Darmstadt 1991 (FSGA, 19), S. 157–174. Unser Friedrichs/ Von Gottes Gnaden Königs in Böheimb/ Pfaltzgrafen bey Rein/ Churfürsten/ etc. Offen Außschreiben/ Warumb wir die Cron Böheimb/ und der In‐ corporirten Länder Reigerung auff uns genommen, Prag 1619, Zitate S. 8, 9 f. (http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/86246/1/ [27.02.2017]). Vgl. Instruktion Friedrichs V. für die Gesandten beim Frankfurter Wahltag, [Heidel‐ berg], 8. Juli 1619, BayHStA, K. schw. Nr. 12460, fol. 2r–15r; Ähnliche Position: Gutachten der kursächsischen geheimen Räthe an den Kurfürsten den Frankfurter Wahltag betreffend, Dresden, 4./ 14. Juni 1619, in: Tadra, Kaiserwahl (wie Anm. 3), Nr. 1, S. 523–531, hier bes. S. 526 u. S. 529; Instruction für die kursächsischen Gesandten (...) zum Wahltag in Frankfurt, in: ibid., Nr. 5, S. 537–545, hier bes. S. 540 u. S. 543f. 512 Pulverfass Böhmen Johann Georg I. von Sachsen (1585–1656)7. Friedrich V. hatte sich in einem Schreiben vom 8. November 1619 an den sächsischen Kurfürsten ganz selbstverständlich als Böhmischer König tituliert, weil er rechtmäßig gewählt worden sei8. In einem post scriptum auf dieses Schreiben führte Johann Georg aus, dass Friedrich den Titel nicht führen dürfe. Dies versto‐ ße gegen die Reichssatzungen, da die Cron Böhmen ein Lehen vnd fürneh‐ men Churfürstenthumb des heiligen Reichs [ist], vnd vns nicht gepürt, oh‐ ne vorhergehende communication vnd einhelligen Schluss vor vns ichtwas vorzunehmen, so vnseren haus vnd der Posteritet zu nachtheil vnd verweiß gereichen köndte9. Friedrich entgegnete in seinem Antwortschreiben vom 7./ 17. Januar 1620 schließlich, dass er fast von allen Evangelischen Chur: Fürsten vnd Ständen im Reich, auch vielen auserhalb Reichs beyder Reli‐ gion für ein[en] rechtmessigen erwehlten vnd gecrönten könig inn Boheim inn Schreiben vnd sonsten mit den Titel gewürdigt worden sei. Zudem ha‐ be er die conservation dieses königreichs dem h. Reich zu gutem eintzig vnd allein im Sinne10. Der Pfälzer sah seine Wahl als rechtlich legitim an und stellte diese in den Dienst des Reiches. Als Reaktion hierauf erging am 15. Januar 1620 ein kaiserliches Mandat, in dem Ferdinand II. klarstellte, dass der Land‐ frieden unter allen Umständen zu schützen sei. Er dürfe nicht unter dem gesuchten schein einer legitimen Königswahl gebrochen werden. Ebenso seien keine ainige[n] verbottene[n] Conspiration oder Bündnis/ wider den andern auf[zu]richten/ oder [zu] machen11. Friedrich V. war in dieser Per‐ spektive ein Friedensstörer, der nicht nur die rechtmäßige Stellung des Habsburgers unterminierte, sondern auch den Landfrieden massiv störte. 7 Vgl. Friedrich V. an Johann Georg I., Amberg, 6. Oktober 1619, Bayerisches Hauptstaatsarchiv München [BayHStA], Kasten schwarz [ks. Schw]. Nr. 25, fol. 143r–146r; Friedrich V. an Johann Georg I., Prag, 25. Oktober 1619, ibid., fol. 161r–164r; Friedrich V. an Johann Georg I., Prag, 8. November 1619, ibid., fol. 151r–155r; vgl. ferner die Antworten: Johann Georg I. an Friedrich V., Dresden, 20. Oktober 1619, ibid., fol. 85r–87r; Johann Georg I. an Friedrich V., Dresden, 21. Januar 1620, ibid., fol. 169r f. 8 Vgl. Friedrich V. an Johann Georg, Prag, 8. November 1619 (wie Anm. 7), hier fol. 151r. 9 Johann Georg I. an Friedrich V., post scriptum, Dresden, 29. Dezember 1619, BayHStA, Ks. Schw. Nr. 25, fol. 165r, Zitat ibid. 10 Friedrich V. an Johann Georg I., post scriptum, [Prag] 7./ 17. Januar 1620, BayHS‐ tA, Ks. schw. Nr. 25., fol. 167r f., Zitate 167r. 11 Landfriedensmandat Ferdinands II., Wien, 15. Januar 1620, BayHStA, Ks. Schw. Nr. 25, fol. 190r. 513 Marcus Stiebing Dies war nicht nur eine Warnung gegenüber Friedrich V., sondern auch an seine (potenziellen) Unterstützer. Gegenüber Johann Ernst d. J. von Sach‐ sen-Weimar (1594–1626) erklärte er im April 1620 die Wahl Friedrichs für null und ungültig. Diejenigen, die Friedrich unterstützten, seien ebenso Rebellen12. Es standen sich zwei völlig konträre Positionen hinsichtlich der staats‐ rechtlichen Legitimität der Wahl Friedrichs gegenüber: Was für den Pfäl‐ zer rechtens, legitim und damit Fundament der Sicherheit war, bedeutete für Ferdinand II. Unrecht, Illegitimität und Unsicherheit. Hieraus entwi‐ ckelte sich im weiteren Verlauf eine intensive Diskussion über die Rechtsund Verfassungsposition Böhmens und dessen Verhältnis gegenüber dem bzw. im Reich. Die zentralen Fragen waren, wie der ordnungs- und verfas‐ sungsmäßige Zustand Böhmens wiederhergestellt, ein Übergreifen der Un‐ ruhen auf den Reichs-Staat verhindert und damit die Sicherheit von Reich, Territorien und Untertanen gewährleistet werden konnte. Das entscheiden‐ de Problem hierbei war die ambivalente Ressource »Recht«, deren Aus‐ schöpfung mit dem jeweils eigenen Sicherheitsempfinden verknüpft war. Die eingangs zitierte Flugschrift kam in diesem Sinne schließlich zu dem Ergebnis, dass gerade durch die Experientz vnd die vnterschiedlichen be‐ schehenen gründlichen ausführungen [die] hohe[n] häupter vorsetzlich verlaittet/ vnd dieselbe in gegenwertige gefahr vnd verlust gebracht wor‐ den seien13. Auch die im November 1619 in Nürnberg versammelten evangelischen Reichsstände sahen diese Gefahr. Der Gesandte der Reichsstadt Nürnberg fasste die Situation treffend zusammen, wenn er von einer causa finalis et impulsiva14 sprach. Umso dringlicher erschien daher die Frage, wie die 12 Ferdinand II. an Johann Ernst d. J., Wien, 30. April 1620, UAJ, A244a, fol. 322r f., Zitate ibid.; ferner: Johann Georg an Johann Ernst, Dresden, 10. Mai 1620, ibid., fol. 323r–325r. 13 Cron Böheimb (wie Anm. 5), Zitat: 3f.; vgl. ferner: Friedrich V. an Johann Ernst d. J., Heidelberg, 15. September 1616, Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar [ThHStAW], H2, fol. 96r–99r, hier fol. 96v. 14 Protokolle der Verhandlungen zum Nürnberger Korrespondenztag, Nürnberg, 25. November 1619, ThHStAW, H3, fol. 60v–68v, Zitat fol. 64r; vgl. ferner: Be‐ richt Friedrich Hortleders von der Tagfahrt nach Nürnberg an Friedrich von Ko‐ spoth, Bayreuth, 6. Oktober 1619, ThHStAW, H8, fol. 2r–3v; Bericht Friedrich Hortleders von der Zusammenkunft in Nürnberg, Bayreuth, 11. November 1619, ibid., fol. 25r f.; Aufzeichnungen Friedrich Hortleders vom Fürstentag in Nürnberg an Friedrich von Kospoth, Nürnberg, 16. November 1619, ibid., fol. 31r–36r. 514 Pulverfass Böhmen evangelischen Reichsstände wieder zu mehrer sicherheit gelangen könn‐ ten, was für nothwendige mittel darzu zugebrauchen seien und wie das gantze Evangel[ische] Wesen (...) conservir[t] vnnd stabilisir[t] werden könne15. Im Folgenden werden zwei am Beginn der Böhmen-Krise konkurrie‐ rende Sicherheitskonzepte vorgestellt. Dies erfolgt unter besonderer Be‐ rücksichtigung des pfälzisch-wettinischen Verhältnisses. In den Mittel‐ punkt rücken hierbei zwei Gutachten, die im Umfeld der Universität Jena entwickelt wurden. Sie befassten sich übergeordnet mit der Frage, wie der dem Reich und seinen Territorien durch die böhmischen Unruhen drohen‐ de Krieg abgewendet und regional begrenzt werden konnte. Diese dienten dem Weimarer Herzog Johann Ernst d. J. als Entscheidungsgrundlage für seine Böhmen-Politik. Hierzu wird 1.) auf die Facetten des Sicherheitsbe‐ griff am Beginn des Dreißigjährigen Krieges eingegangen, 2.) der Zusam‐ menhang zwischen innerwettinischer und böhmischer Krise aufgezeigt, und herausgearbeitet, wie und warum die friderizianische Politik schließ‐ lich zu einem innerdynastisch-staatsrechtlichen Problem der Wettiner wur‐ de. 3.) werden zwei Interpretationen der Böhmen-Krise und deren darauf aufbauende Lösungsversuche durch den Weimarer Rat und Gelehrten Friedrich Hortleder (1579–1640) vom Juli 1618 und des Senats der Uni‐ versität Jena vom Januar 1620 skizziert. 4.) wird ein Fazit gezogen und ein Ausblick gegeben. I. Dimensionen des Sicherheitsbegriffes am Beginn des Dreißigjährigen Krieges Sicherheit ist stets menschengedacht, menschengemacht und damit spezi‐ fisch. Es werden konkrete Vorstellungen zugrunde gelegt, worin Sicher‐ heit bestehe. Ebenso wird, wenn ein Zustand als unsicher empfunden wird, das Handeln darauf ausgelegt, Sicherheit wieder herzustellen16. Der Aus‐ 15 Puncta ad deliberandum proposita, [Nürnberg 1619], ThHStAW, H8, fol. 37r–39r, Zitate fol. 36v u. 37v; Vgl. ferner: Puncta ad deliberationem Nouberg proposita [Nürnberg 1619], ThHStAW, H3, fol. 25r–27r, hier fol. 25r u. 26r. 16 Vgl. hierzu: Den Beitrag von Lothar Schilling in diesem Band; ferner: Cornel Zwierlein, Sicherheitsgeschichte. Ein neues Feld der Geschichtswissenschaften, in: Ders. (Hg.), Geschichte und Gesellschaft 38/3, Göttingen 2012, S. 365–386; Ders., Se-curare, sine cura, assecuratio. Innovationen der Sicherheitsproduktion in der Renaissance, in: Gert Melville, Gregor Vogt-Spira, Mirko Breitenstein 515 Marcus Stiebing bruch des Dreißigjährigen Krieges aber hatte »die Unsicherheit der Staats‐ wesen in besonders dramatischer Weise demonstriert«17. Die partikularen Einzelinteressen generierten am Vorabend des Dreißig‐ jährigen Krieges in- und außerhalb des Reiches Unsicherheit. Dies zeigen einerseits die Entwicklungen in Böhmen. Die Stände sahen sich hier kon‐ fessionell durch die Jesuiten, militärisch durch die Werbungen und die Präsenz der spanischen Truppen sowie politisch durch den Habsburger Ferdinand bedroht18. Noch Anfang August 1619 sah sich Ferdinand daher auch genötigt, dem sächsischen Kurfürsten mitzuteilen, dass durch dero‐ selben Praesenz und Gegewertigkeit viel guetes gerichtet und viel böses würdet kinden verhindert werden, E. L. beinebens frl. versicherent und verquisendt, daß weder Ihro noch einzigen Fürsten oder Standt des Reichs von mein in Böhemb ligunden Kriegs-Volch einige Bedrängnus solle zue‐ gefügt werden19. Die böhmischen Stände sahen dies gänzlich anders, betonten die Ge‐ fahr, die von den Truppen ausgehe. Gegenüber Johann Georg ließ Fried‐ rich V. verlautbaren, dass jene sich, anstelle sich vnter voriges Joch eines Habsburgers, gestützt auf militärische Macht, zwingen zu lassen, lieber vnter [eine] ander[e] Herrschaft begeben würden, nämlich die des Pfäl‐ (Hg.), Sorge. Europäische Grundbegriffe im Wandel, Köln u. a. 2015, S. 109–139; Eckart Conze, Securitization. Gegenwartsdiagnose oder historischer Analysean‐ satz, in: Zwierlein (Hg.), Geschichte und Gesellschaft (wie Anm. 16), S. 452– 467, hier S. 456–462; Christoph Kampmann, Ulrich Niggemann (Hg.), Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm, Praxis, Repräsentation, Köln u. a. 2013 (Frühneu‐ zeit-Impulse, 2); Christoph Kampmann, Christian Matthieu, Art. Sicherheit, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 11, Sp. 1143–1150 (im Folgenden EdN); Werner Conze, Art. Sicherheit, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 5, Stuttgart 1994, S. 831–862 (im Folgenden: GG); für das Nebeneinander von Krieg und Frieden vgl. Johannes Burkhardt, Die Friedlosigkeit in der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in: ZHF 24 (1997), S. 509–574; Anuschka Tischer, Sicherheit in Krieg und Frieden, in: Kampmann, Niggemann (Hg.), Si‐ cherheit (wie Anm. 16), S. 76–89. 17 Kampmann, Matthieu, Sicherheit (wie Anm. 16), Sp. 1143–1150, Zitat Sp. 1148. 18 Vgl. Pursell, Winter King (wie Anm. 2), S. 65–68, hier S. 67; ferner Axel Gott‐ hard, »Eine feste Burg ist vnser vnnd der Böhmen Gott«. Der Böhmische Auf‐ stand 1618/19 in der Wahrnehmung des evangelischen Deutschlands, in: Franz Brendle, Anton Schindling (Hg.), Religionskriege im Alten Reich und in Alteu‐ ropa, Münster 2006, S. 135–162. 19 Ferdinand II. an Johann Georg, Frankfurt, 2. August 1619, in: Tadra, Kaiserwahl (wie Anm. 3), Nr. XVI, S. 579 f., Zitat S. 579. 516 Pulverfass Böhmen zers20. Die jesuitischen Praktiken, die spanische Militärmacht und das Agieren Ferdinands II.: All dies waren Elemente, durch die die tranquili‐ tas publica empfindlich gestört wurde21. Jene Entwicklung verband sich 1619 mit der Reichsverfassungskrise. Auf dem Reichstag von 1613 beklagten sich Teile der evangelischen Reichsstände, dass die Gravamina noch immer nicht behandelt worden seien. Die nicht eingelösten Versprechungen der kaiserlichen Seite, Kom‐ positionsverhandlungen zu deren Lösung zu führen, verstärkten hierbei das Unsicherheitsgefühl. Dies war das inhaltliche Fundament der Nürnber‐ ger Verhandlungen im November 161922. Aus Perspektive der Nürnberger Teilnehmer fand dies seinen Nieder‐ schlag vor allem in der, modern gesprochen, Bedrohung der Rechtssicher‐ heit. Die »Verlässlichkeit der Rechtsordnung« war nicht mehr gegeben23. Die Gravamina von 1613, die im Kern die Ungleichheit evangelischer und katholischer Stände innerhalb des Reiches als Rechtsverband in den Mit‐ telpunkt rücken, machten dies insbesondere an der vermeintlich partei‐ ischen Reichsjustiz fest24. Im engen Zusammenhang damit stand der Landfriede, der 1555 um konfessionelle Fragen erweitert worden war. Die Konfession wurde damit zu einer reichsstaatsrechtlichen Kategorie. Wäh‐ rend die Bestimmungen des Religionsfriedens von katholischer Seite als Zugeständnisse gewertet wurden, sahen die evangelischen Stände diese als Vertrag zwischen dem Kaiser und den Reichsständen25. 20 Friedrich V. an Johann Georg von Sachsen, Amberg, 6. Oktober 1619 (wie Anm. 7), Zitat 145r; ähnlich: Friedrich V. an Johann Georg von Sachsen, 8. November 1619 (wie Anm. 7), hier fol. 152v: vielliber zugreiffen, dann sich vnter das vorige Joch wiederumb zubegeben. 21 Friedrich V. an Johann Georg, Heilbronn, 27. Juni/ 7. Juli 1619, in: Tadra, Kai‐ serwahl (wie Anm. 3), Nr. III, S. 533–536, Zitat S. 535; vgl. ferner: Conze, Si‐ cherheit (wie Anm. 16), S. 831–862, hier S. 837 f. u. S. 840. 22 Vgl. Puncta ad deliberandum proposita (wie Anm. 15), hier bes. fol. 37r–38r; Puncta ad deliberationem (wie Anm. 15), hier bes. fol. 26r f. 23 Jens Eisfeld, Art. Rechtssicherheit, in: EdN Bd. 10, Stuttgart, Weimar 2009, Sp. 743–746; vgl. ferner: Siegrid Westphal, Karl Härter, Rechtssicherheit. Sicher‐ heit durch Recht oder Recht Sicherheit des Rechts?, in: Kampmann, Niggemann (Hg.), Sicherheit (wie Anm. 16), S. 615–621. 24 Vgl. Gravamina (wie Anm. 4), hier bes. S. 160–165; Gotthard, Fried (wie Anm. 3), S. 340f. 25 Vgl. hierzu etwa: Martin Heckel, Deutschland im konfessionellen Zeitalter, Göt‐ tingen 22001 (Deutsche Geschichte, 5), S. 45–55, hier bes. S. 51; Adolf Laufs, Rechtsentwicklung in Deutschland, Berlin 62006, S. 145–161, hier S. 158. 517 Marcus Stiebing Noch das Zedlerische Universallexikon verstand in diesem Sinne unter dem Landfrieden einen Vertrag im Teutschen reiche, vermöge dessen kei‐ ner den andern befehden oder mit Kriege überzühen dürfe26. Der 1555 um die konfessionellen Komponenten erweiterte Landfrieden stand damit un‐ ter einem besonderen Schutz, wurde durch die Wahlkapitulationen und schließlich die nachfolgenden Reichsabschiede bestätigt. Gegen Vertrags‐ brüchige – Stör-Fried, Tumultuant[en], unruhig[e] Kopff[e], Auffwiegler, Auffrührer, Meutmacher, Meutenirer, Friedbrecher, ein von seinem OberHerrn abgefallener oder untreu geworden[er] – konnte demnach vorge‐ gangen werden. In diesem Sinne galten diejenigen, welche sich ihrer or‐ dentlichen Obrigkeit, der sie doch mit Eyd und Pflicht verwandt sind, un‐ gehorsamlich widersetzen, oder auch wohl gar die Massen wider dieselbe ergreiffen als Rebellen27. Anders gewendet: Vertragsbrüchige störten den Rahmen der Rechtssicherheit. Die Frage über den Grundsatzcharakter des Religionsfriedens, aber auch die, ob die Anhänger des reformierten Glau‐ bens in den Religionsfrieden miteingeschlossen waren, war eine gänzlich andere und wurde durch die beteiligten Parteien unterschiedlich beantwor‐ tet28. Am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges erreichte diese Debatte ihren vorläufigen Höhepunkt, wie die Diskussionen um das kurpfälzische bzw. kaiserliche Vorgehen in Böhmen verdeutlichen. Siegrid Westphal und Karl Härter betonten daher zurecht, dass Sicherheit »ein diskursiv-kom‐ munikatives, empirisch nur schwer messbares Produkt [ist], was insbeson‐ dere für die Rechtssicherheit gilt, die darauf beruht, dass Normadressaten das Recht bzw. Rechtssystem kennen, akzeptieren und es im Hinblick auf ihre Interessen für ›sicher‹ bzw. angemessen oder gerecht halten«29. Sowohl Friedrich V. als auch der Kaiser sahen die Sicherheit aus ihrer jeweiligen Perspektive als bedroht an. Hiergegen galt es Vorkehrungen zu treffen. In Friedenszeiten übernahm diese Schutzfunktion der Landfrieden. 26 Art. Land-Friede, in: Johann Heinrich Zedler, Grossses vollständiges UniversalLexicon aller Wissenschafften und Künste, 64 Bde., Halle, Leipzig 1732-1754, Bd. 16, Sp. 410–417, Zitat Sp. 410. Unterstreichung durch den Verfasser; vgl. fer‐ ner: Conze, Securitization (wie Anm. 16), hier S. 455. 27 Art. Rebelle, Renell, Stör-Fried, Tumultant, in: Zedler, Lexikon (wie Anm. 26), Bd. 30, Zitate Sp. 1233. 28 Irene Dingel, Augsburger Religionsfrieden und »Augsburger Konfessionsver‐ wandtschaft«. Konfessionelle Lesearten, in: Heinz Schilling, Heribert Smolins‐ ky (Hg.), Der Augsburger Religionsfrieden, Heidelberg 2007 (Schriften des Ver‐ eins für Reformationsgeschichte, 206), S. 157–176. 29 Westphal, Härter, Rechtssicherheit (wie Anm. 23), Zitat S. 617. 518 Pulverfass Böhmen Sowohl in Böhmen als auch im Reich war dieser massiv gefährdet. Wäh‐ rend im Reich die formalen Verfahrenswege und Foren 1619/20 zusam‐ mengebrochen waren, stemmte man sich in Böhmen gegen eine solche Entwicklung. Der Majestätsbrief galt in diesem Sinne als verfassungs‐ rechtliche Grundlage. Der König hatte diesen zu bestätigen und bis 1617, so die ständische Perspektive, gelang dies auch. Drohte der Bruch des Rechts oder wurde dieses bereits gebrochen, wie 1619, wurden entspre‐ chende Schutzmaßnahmen angestellt. Ziel war es, den Frieden zu wahren, anders ausgerückt, den Zustand öffentlicher Sicherheit zu schützen30. Der Schutz der Sicherheit konnte im militärischen Sinne etwa in Form von Bündnissen erfolgen. Die Gründung der Union bzw. der Liga verdeut‐ lichen dies31. In beiden Bünden waren sich die Anhänger darüber einig, dass es sich bei dem Augsburger Religionsfrieden um einen »Scheinkom‐ promiss« handelte. Dahingehend suchten beide Bünde »einen Weg zu mehr Sicherheit«32. Der Bündnischarakter konnte aber auch in ein staatsrechtliches Gewand gekleidet werden. Dies zeigt etwa die Entwicklung in Böhmen. Der 1609 erlassene böhmische Majestätsbrief legte hierfür den Grundstein33. Der zweite Schritt erfolgte in der im Juli 1619 verabschiedeten Konföderati‐ onsakte, die die ständischen Privilegien und deren Übergewicht gegenüber dem König nochmals bekräftigten und – wie hinzufügen ist –, zugleich 30 Vgl. zur Vorgeschichte: Bireley, Ferdinand II. (wie Anm. 2), S. 74–87; ferner: Art. Sichern, Versichern, oder Sicherstellen, in: Zedler, Lexikon (wie Anm. 26), Bd. 37, Sp. 910; Art. Defensio, die Verteidigung, in: ibid., Bd. 7, Sp. 397; Art. De‐ fension, in: ibid., Sp. 398; Art. Wehr, Gegenwehr, Schutz, Schirm, Defension, Ver‐ teidigung, in: ibid., Bd. 53, Sp. 1994–1999; Conze, Sicherheit (wie Anm. 16), S. 838. 31 Vgl. Unionsakte von Auhausen, Auhausen, 4./ 14. Mai 1608, in: Lorenz (Hg.), Quellen (wie Anm. 4), S. 67–77, hier bes. S. 68f.; Katholische Liga, München, 10. Juli 1609, in: ibid., S. 104–111, hier bes. S. 104–106. 32 Vgl. Maximilian Lanzinner, Ein Sicherheitssystem zwischen Mittelalter und Neuzeit. Die Landfriedens- und Sonderbünde im Heiligen Römischen Reich, in: Kampmann, Niggemann (Hg.), Sicherheit (wie Anm. 16), S. 99–119, Zitate S. 115 f.; Georg Schmidt, Die Union und das Heilige Römische Reich deutscher Nation, in: Albrecht Ernst, Anton Schindling (Hg.), Union und Liga 1608/09. Konfessionelle Bündnisse im Reich. Weichenstellung zum Religionskrieg?, Stutt‐ gart 2011 (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, 178), S. 9–28. 33 Vgl. Böhmischer Majestätsbrief, Prag, 9. Juli 1609, in: Lorenz (Hg.), Quellen (wie Anm. 4), S. 92–100. 519 Marcus Stiebing deutlich machte, dass diese notfalls militärisch verteidigt werden konnte34. Es zeigt sich somit ein Doppelcharakter. Die Konföderationsakte war Bündnis- und Verfassungsvertrag eines föderativen Gemeinwesens zu‐ gleich. Hierdurch sollte die Sicherheit, die im Wesentlichen mit der ständi‐ schen Libertät gleichgesetzt wurde, geschützt werden. Auch wenn Ferdi‐ nand noch im Februar 1619 gegenüber den Statthaltern in Böhmen sowie im April 1619 in einer General-Confirmation gegenüber den Ständen da‐ rauf hingewiesen hatte, dass er deren Privilegien und Freiheiten garantie‐ re35, hegten die böhmischen Stände hieran massive Zweifel. Sie schlossen ihre Gegenverfassung zum Schutz der verfassungsrechtlich verankerten Rechte und Privilegien daher mit der Wahl Friedrichs im August 1619 und dessen Krönung im November ab. 1619 wurde, so ist kurz zu konstatieren, die Sicherheit auf beiden Sei‐ ten an den Landfrieden gekoppelt. Während Friedrich V. und die böhmi‐ schen Stände den Landfrieden mit dem Schutz der Freiheit und der Garan‐ tie der ständischen Libertät gleichsetzten, verband sie Ferdinand mit der Akzeptanz seiner Landesherrschaft als König von Böhmen. Im Umkehr‐ schluss galt: Drohte eine Beschneidung der ständischen Privilegien bzw. eine Einschränkung der Landesherrschaft Ferdinands, wurde dies als Unsi‐ cherheit empfunden. Während das Reich als Rechts- und Sicherheitssys‐ tem 1619 weitgehend lahmgelegt war, versuchten die böhmischen Stände, einer solchen Entwicklung mit der Konföderationsakte bzw. mit der Wahl Friedrichs entgegenzuwirken. Von der Forschung wurde mit Blick auf die Wettiner bisher vor allem das kursächsische Agieren im Vorfeld und zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges thematisiert. Stets hervorgehoben wurden dabei die Rolle Johann Georgs als kaiserlichen Parteigängers, seine Separierung von den evange‐ lischen Reichsständen sowie dessen Interpositions- und Kompositionspoli‐ tik. Bereits der Vorgänger Johann Georgs, Christian II. (1583-1611), lehn‐ te einen offenen Beitritt zur Union ab. Axel Gotthard resümierte daher zu 34 Vgl. Böhmische Konföderationsakte, Prag, 19. Juli 1619, in: Lorenz (Hg.), Quel‐ len, (wie Anm. 4), S. 332–358, hier bes. S. 344 u. S. 347–352. 35 Vgl. Warhafftiger Bericht/ Was sich seithero der Röm: kay auch zu hungarn vnd Behaimb/ kün: May: hochseeligister Gedächtnus Ableben/ in den Böhmischen vn‐ wesen verloffen hat, Augsburg 1619, BayHStA, Auswärtige Staaten Böhmen Nr. 3, fol. 31r–44r, hier bes. fol. 36r–43v, Schreiben Ferdinands an die Statthalter (A), Revers von 1617 (B) und General-Confirmation (C); auch aufrufbar bei VD 17 (14:006769D). Mit Blick auf den Eid: Conze, Sicherheit (wie Anm. 16), hier S. 834–836. 520 Pulverfass Böhmen Recht: »Das Beiseitestehen der Dresdner war ein eklatantes Manko der Auhausener Union«36. Johann Georg blieb dieser Linie treu. In diesem Sine drängte der sächsische Kurfürst auf die Erhaltung des status quo und den friedlichen Ausgleich; dies schloss zugleich den Gehorsam gegenüber dem Kaiser mit ein. Die eingangs umrissene Position zur Titelfrage Fried‐ richs V. macht dies deutlich. Nur so konnte der Zusammenhalt des Reiches garantiert werden37. Die kursächsische Haltung führte indes zur Vertiefung der innerwettinischen Gräben38. II. Friedrich V. als dynastisch-staatsrechtliches Sicherheitsproblem Die Wettiner bestanden seit der Leipziger Teilung im August 1485 aus zwei Hauptlinien, den Albertinern und den Ernestinern. Bis 1546/47 hat‐ ten die Ernestiner die Kur inne. Nach dem Schmalkaldischen Krieg erfolg‐ te mit der Wittenberger Kapitulation von 1547 die Translation der Kur an die Albertiner als Belohnung, nachdem Herzog Moritz von Sachsen Kai‐ ser Karl V. im Vorgehen gegen den Schmalkaldischen Bund unterstützt hatte. Ab 1554 wurden die innerwettinischen Verhältnisse durch den Naumburger Vertrag geregelt. Um die Jahrhundertwende verkomplizierten sich die innerdynastischen Verhältnisse. Infolge der Landesteilung 1603 kam zu den bereits seit 1572 bestehenden ernestinischen Linien SachsenWeimar, Sachsen-Coburg und Sachsen-Eisenach eine neue Linie, SachsenAltenburg, hinzu39. 36 Gotthard, »Politice seint wir bäpstisch«. Kursachsen und der deutsche Protestan‐ tismus im frühen 17. Jahrhundert, in: ZHF 20 (1993), S. 275–319, Zitat S. 281. 37 Vgl. Thomas Niklas, Christian I. (1586–1591) und Christian II. (1591–1611), in: Frank-Lothar Kroll (Hg.), Die Herrscher Sachsens. Markgrafen, Kurfürsten, Kö‐ nige 1089–1918, München 2004, S. 126–136, hier bes. 134f.; Axel Gotthard, Jo‐ hann Georg I. (1611–1656), ibid. S. 137–147. 38 Vgl. Gotthard, Fried (wie Anm. 3), S. 310–316; Ders., Wahrnehmung (wie Anm. 18), hier S. 146–152; ferner: Ders., »Wer sich salviren könd, solts thun«. Warum der deutsche Protestantismus in der Zeit der konfessionellen Polarisierung zu keiner gemeinsamen Politik fand, in: HJb 121 (2001), S. 64–96; Frank Müller, Kursachsen und der Böhmische Aufstand 1618–1622, Münster 1997 (Schriftenrei‐ he der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte, 23); Thomas Niklas, Macht oder Recht. Frühneuzeitliche Politik im Obersächsischen Reichskreis, Stutt‐ gart 2002. 39 Vgl. Thomas Klein, Ernestisches Sachsen, kleinere thüringische Gebiete, in: An‐ ton Schindling, Walter Ziegler (Hg.), Die Territorien des Reiches im Zeitalter 521 Marcus Stiebing Innerdynastisch stieß die Dresdner Politik auf unterschiedliche Reaktio‐ nen. So unterstützte Sachsen-Coburg anfänglich noch die böhmischen Stän‐ de, wie ein Brief Johann Casimirs an den Jenaer Theologen Johann Ger‐ hard vom Oktober 1618 belegt40. Mit fortschreitender Zeit näherte sich der Coburger Herzog der kursächsischen Politik an. Er vertrat dabei aber auch eine »zur reformierten Seite vorsichtig Kontakt haltende Politik«41. Sach‐ sen-Altenburg unterstützte seit den beginnenden 1590er-Jahren Kursach‐ sen42. Sachsen-Weimar sonderte sich indes durch seine offene Unterstüt‐ zung des Pfälzers gänzlich von Dresden ab. In diesem Zusammenhang wurde das Herzogtum Sachsen-Weimar am Beginn des Dreißigjährigen Krieges jüngst vermehrt thematisiert und der Einfluss der herzoglichen Räte und Berater untersucht. Im Fokus stand dabei auch die Universität Jena43. Es wurde danach gefragt, wie die Gelehrten die Situation in Böh‐ 40 41 42 43 522 der Reformation und Konfessionalisierung, Bd. 4, Münster 1992 (Katholisches Le‐ ben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 52), S. 8–39, hier bes. S. 8–29; Georg Schmidt, Zur Einführung. Kein Staat zu machen mit den Ernesti‐ nern?, in: Siegrid Westphal, Hans-Werner Hahn, Ders. (Hg.), Die Ernestiner. Ein Lesebuch, Köln u. a. 2016, S. 127–137; Siegrid Westphal, Zur Einführung. Wer waren die Ernestiner?, ibid., S. 11–23; Dies., Das dynastische Selbstverständnis der Ernestiner im Spiegel ihrer Hausverträge, in: Werner Greiling u. a. (Hg.), Die Ernestiner. Politik, Kultur und gesellschaftlicher Wandel, Köln u. a. 2016 (Veröf‐ fentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, KR, 50), S. 33–54, bes. S. 40 f. Vgl. Johann Casimir von Sachsen-Coburg an Johann Gerhard, Coburg, 4. Oktober 1618, FB Gotha, Chart. A. 601, fol. 160r-161v; vgl. ferner: Marcus Ventzke, Zwischen Kaisertreue und Interessenpolitik. Sachsen-Altenburg zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte, 69 (1998), S. 49–73. Für diesen Literaturhinweis danke ich Alexander Schmidt. Klein, Sachsen (wie Anm. 39), Zitat S. 24f.; Niklas, Macht (wie Anm. 37), S. 171f. mit Anm. 27f. Vgl. Niklas, Macht (wie Anm. 37), S. 129–140, hier bes. S. 131 u. S. 136f.; Klein, Sachsen (wie Anm. 39), hier S. 24f. Vgl. hierzu zum Kontext: Matthias Asche, Der Dreißigjährige Krieg und die Uni‐ versitäten im Heiligen Römischen Reich. Ein Fazit und viele offene Fragen, in: Ders., Marian Füssel, Thomas Kossert (Hg.), Universitäten im Dreißigjährigen Krieg, Potsdam 2011 (Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, 15), S. 147– 182; Andreas Klinger, Alexander Schmidt, Die Universität zwischen Reich und Fürstenstaat, in: Joachim Bauer u. a. (Hg.), Die Universität Jena in der Frühen Neuzeit, Heidelberg 2008, S. 73–95; Stefan Wallentin, Fürstliche Normen und akademische »Observanzen«. Die Verfassung der Universität Jena 1630–1730, Pulverfass Böhmen men einschätzten44. Die Jenaer Einschätzungen gingen, wie noch zu zei‐ gen sein wird, auseinander. Sie verband jedoch ein gemeinsamer Ansatz‐ punkt: Sie betrachteten die böhmische Politik des Pfälzer Kurfürsten als innerwettinisches Problemfeld, bei dem territorial-dynastische mit reichs‐ staatsrechtlichen Fragen miteinander verzahnt waren. Mit Blick auf die spätere Unterstützung Friedrichs durch den Weimarer Herzog waren hier‐ bei zwei innerdynastische Aspekte entscheidend. Innerwettinische Machtkämpfe 2002 urteilte Siegrid Westphal in ihrer Habilitationsschrift mit Blick auf das Verhältnis von Albertinern und Ernestinern im späten 16. und frühen Köln u. a. 2009 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe, 27), hier bes. S. 59–75; Michael Stolleis, Geschichte des öffentli‐ chen Rechts in Deutschland, Bd. 1, München 1988, hier bes. S. 102–104, S. 126– 152 sowie S. 213–215; Rudolf Hoke, Die Reichsstaatsrechtslehre des Johannes Limnaeus, Aalen 1968 (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsge‐ schichte, NF 9), hier bes. S. 27–38; Walter Pauly, Martin Siebinger, Dominicus Arumäus (1579–1673) und Johannes Limnäus (1592–1663). Wegbereiter der Wis‐ senschaft vom öffentlichen Recht in Deutschland, in: Gerhard Lingelbach (Hg.), Rechtsgelehrte der Universität Jena aus vier Jahrhunderten, Jena u. a. 2012, S. 33– 50; Matthias Schmoeckel, Dominik Arumaeus und die Entstehung des öffentli‐ chen Rechts als rechtswissenschaftliches Lehrfach in Jena, in: Robert von Friede‐ burg, Ders. (Hg.), Recht, Konfession und Verfassung im 17. Jahrhundert. Westund mitteleuropäische Entwicklungen, Berlin 2015 (Historische Forschungen, 105), S. 85–127; Helmut G. Walther, Zur Entwicklung einer Reichsstaatsrechts‐ lehre an der Ernestinischen Gesamtuniversität (16.–17. Jh), in: Greiling u. a. (Hg.), Ernestiner (wie Anm. 39), S. 335–348. 44 Vgl. Josef Polišensky, Die Universität Jena und der Aufstand der böhmischen Stände in den Jahren 1618–1620, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der FriedrichSchiller-Universität Jena VII/4 (1957/1958), S. 441–447; Marcus Stiebing, Jenaer Politikberatung. Herzog Johann Ernst d. J. und der Böhmische Krieg, in: West‐ phal u. a. (Hg.), Ernestiner (wie Anm. 39), S. 168–174; Ders., Johann Major als Politikberater?, in: Katharina Bracht (Hg.), Johann Major (1564-1654). Professor der Theologie, Superintendent in Jena und Kirchenpolitiker im 30jährigen Krieg (Schriften zur Geschichte der Theologischen Fakultät, 1), Leipzig 2017, S. 69-95; Ernst Koch, Die politische Ethik Johann Gerhards und der Theologischen Fakultät Jena im Blick auf den Beginn des Dreißigjährigen Krieges, in: Markus Friedrich, Sascha Salatowsky, Luise Schorn-Schütte (Hg.), Konfession, Politik und Ge‐ lehrsamkeit. Der Jenaer Theologe Johann Gerhard (1582–1637) im Kontext seiner Zeit, Stuttgart 2017 (Gothaer Forschungen zur Frühen Neuzeit, 11), S. 93–112. 523 Marcus Stiebing 17. Jahrhundert: »Die Ernestiner fürchteten aber nicht so den kaiserlichen Hof als vielmehr den sächsischen Kurfürsten. Nicht zu Unrecht, wie die Teilungen von 1572, 1596 und die Rangstreitigkeiten zwischen Weimar und Altenburg nach 1603 belegen. Die Angst, daß Kursachsen bei innerer‐ nestinischen Streitigkeiten eingreifen könne, um seinen Einfluß im mittel‐ deutschen Raum auszubauen, dürfte durchaus die Bereitschaft zu Schieds‐ verfahren, Kompromissen und gütlichen Einigungen befördert und lang‐ wierige Sukzessionsstreitigkeiten verhindert haben«45. Zu Recht betonte sie das Spannungsverhältnis zwischen Ernestinern und Albertinern in Ab‐ hängigkeit vom Streben der Kurfürsten, sich als stärkste Kraft im mittel‐ deutschen Raum zu etablieren. Zu ergänzen ist, dass dies auch für die Reichspolitik der Herzöge in Weimar, Coburg und Altenburg galt, die der Kurfürst in eine ihm genehme, d. h. vor allem auch pro-kaiserliche Rich‐ tung lenken wollte. Auf Weimarer Seite beförderte die kursächsische Poli‐ tik die Kriegsbereitschaft. Infolge der Landesteilung von 1603 tobte zwischen Weimar und der neugebildeten Teillinie Sachsen-Altenburg der sog. »Primogenitur- und Präzedenzstreit«. Inhaltlich umfasste der Konflikt zwei verschiedene Be‐ reiche. Die »Primogenitur« betraf die Administration der Kur und eine po‐ tenzielle ernestinische Nachfolge. Diese wurde Altenburg zugesprochen. Bei der »Präzedenz« ging es hingegen um die Frage, wer innerhalb der Er‐ nestiner in der Rangfolge an erster Stelle stand. Konkret betraf dies Jo‐ hann Philipp von Sachsen-Altenburg (1597-1639) und Johann Ernst d. J. von Sachsen-Weimar (1594-1626) als die jeweils ältesten, aber noch un‐ mündigen Söhne46. Altenburg leitete aus der Primogenitur für sich und Weimar die gemeinsame Vertretung auf den Reichstagen ab. 45 Siegrid Westphal, Kaiserliche Rechtsprechung und herrschaftliche Stabilisierung. Reichsgerichtsbarkeit in den thüringischen Territorialstaaten 1648-1806, Köln u. a. 2002 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, 43), S. 104–110, Zitat S. 108; zuletzt hierzu: Stephan Ehrenpreis, Kaiserliche Ge‐ richtsbarkeit und Konfessionskonflikt. Der Reichshofrat unter Rudolf II. 1576-1612, Göttingen 2006. 46 Vgl. Art. Rang, Präcedentz, in: Zedler (wie Anm. 26), Bd. 30, Sp. 802–804, hier Sp. 803; Art. Vortritt, Präcedentz, Präcedenz, in: ibid., Bd. 50, Sp. 1358; Thomas Weller, Art. Präzedenz, in: EdN, Bd. 10, Sp. 286f.; Thomas Ott, Präzedenz und Nachbarschaft. Das Albertinische Sachsen und seine Zuordnung zu Kaiser und Reich im 16. Jh., Mainz 2008 (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abt. für Abendländische Religionsgeschichte, 217), hier bes. S. 9–20. 524 Pulverfass Böhmen Johann Philipp von Sachsen-Altenburg vertrat die Auffassung, dass er, obwohl er drei Jahre jünger als sein Weimarer Vetter war, den Vorrang bei Sitz- und Stimmfragen genieße. Auf Altenburger Seite wurde argumen‐ tiert, dass man die »Primogenitur«, also die Anwartschaft, auf die sächsi‐ sche Kur erhalten habe. Unterstützt wurde diese Argumentation durch Kurfürst Christian II., basierend auf einem von Rudolf II. (1552-1612) in dieser Frage am 27. September 1607 erlassenen Dekret47. Der Kaiser stützte sich hierbei auf ein Gutachten seiner Reichshofräte. Sie wandten die Sukzessionsregeln für weltliche Kurfürstentümer, die im siebten Kapi‐ tel der Goldenen Bulle festgeschrieben worden waren, auf nicht-kurfürstli‐ che weltliche Fürstentümer an48. Auf Weimarer Seite wurde hingegen die Auffassung vertreten, dass Pri‐ mogenitur und Präzedenz zwei unterschiedliche Fragen seien. Für letztere gelte: Es genieße immer der Ältere den Vorrang. Dies bedeutet, dass Jo‐ hann Ernst d. J. die Präzedenz innehabe, da er drei Jahre älter war als sein Vetter in Altenburg. Diese Position verteidigte auch der Weimarer Rat und Gelehrte Friedrich Hortleder49. Seine Ausführungen stützten sich auf ein Gutachten, dass der Reichshofrat Johann Matthäus Wacker von Wacken‐ fels (1550-1619) nach Erlass des kaiserlichen Dekrets ausgearbeitet hat‐ te50. Wackenfels kritisierte, wie mit dem Fall an sich umgegangen wurde. 47 Vgl. Mandat Rudolfs II., Prag, 27. September 1607, SächsHStADr, Loc. 10010/ 15. 48 Vgl. Votum Antivinariense der widrigen sechs kaiserlichen Hofräthe auf welcher rationes das kaiserliche decret [vom 27. September 1607; M. St.] sich gründet. Darümb dis votum vor allen anderen rationibus partis adversa, mit fleiß zupondie‐ ren, vnd auch vor allen anderen exactissime zu refutiren nötigk, Wien, 12. August 1607, ThHStAW, DS 161, fol. 214r–236v. 49 Vgl. Friedrich Hortleder, Vntherteniger Generahl bericht, worauf der Streitt vmb die primogenituhr auf beyden früstl. Theilen eigentlich beruhe, Weimar 1615, ThHStAW, Nachlass Hortleder/ Prüschenk Nr. 13, fol. 17r–24r; Ders., Grundvest Sächsisch-Weimarischer Praecedentz (Entwurf), Weimar o. J., ibid., fol. 141r– 156v; Ders., Grundvest/ Fürstlich sächsischer Weimarischer Praecedentz, vor der fürstlichen Herrschaft Altenburgischer Linien (Abschrift), SächsHStADr, Loc. 10019/7; neuere Auflage: Grundvest/ Fürstlicher Sächsischer Weimarischer Pra‐ ecedentz, vor der fürstlichen Sächsischen Herrschaft Altenburgischer Linien, Weimar 1640, SächsHStADr, Loc. 10019/6. 50 Vgl. Votum wackerianum pro parte Virmariensi (Abschrift), Prag, nach 27. Sep‐ tember 1607, ThHStAW, DS 161, fol. 149r–213v; vgl. ferner Johann Matthäus Wacker von Wackenfels, Johann Rudolf von Hegemüller: Votum Aulica Super Il‐ lustrissima Ducum Saxoniae Controversia De Iure Praecedenti in dignitate et suc‐ cessione […], Frankfurt 1619, http://reader.digitale-sammlungen.de/resolve/displa 525 Marcus Stiebing Er wollte daher die Ungültigkeit des Prozesses aufzeigen51. Schließlich vertrat er die prinzipielle Auffassung, dass man itzo de successione Electo‐ ratus nicht mehr, sondern allein die frage wehre, welcher vnter den zweien hertzogen zu Sachsen dem andern vorgehen vndt vorsichern sollte […] [S]olcher Vorgang inter pares natalibus principes [gebührt] dem elteren vnleugbarlich52. Die Eintracht des Hauses war durch diesen Streit massiv gefährdet, hat‐ te der Kurfürst durch seine reichspolitische Haltung und seine dynastische Positionierung pro Altenburg doch wesentlich dazu beigetragen, dass sich der Weimarer Herzog abwenden sollte. Johann Georg nutzte die kaiserli‐ che Entscheidung als ein Mittel zur Kleinhaltung der Weimarer Herzöge, das zudem reichsrechtlich abgesichert schien53. Ein zweites Instrument war für den Kurfürsten die Vormundschaft über Johann Ernst d. J. 1615 erlangte der Weimarer Herzog die Volljährigkeit. Dies bedeutete jedoch nicht, dass der Kurfürst nicht mehr die reichspoliti‐ schen Aktivitäten des Herzogs steuern wollte – ganz im Gegenteil. In der entsprechenden Quittierung der Vormundschaft durch den Herzog heißt es explizit, dass dieser in Reichs Sachen ohne S. Gn. Rath [Johann Georgs Rat; M. St.] vnnd bedenken nichts ahn[ordnen], viel weniger in einige Re‐ ligions mutation vnd verbündnus, es habe nahmen wie es wolle, ohne S. Gn vnserer vnnd vnserer vnmündigen brüder getreuen Landschafft Einwil‐ ligung54 agieren dürfe. Dies war eine massive Beschneidung reichsfürstli‐ cher Rechte. Dementsprechend versuchte er, diese noch einzuschränken. Bei der unter Anwesenheit von Notaren erfolgten Unterzeichnung fügte er eine Erläuterung über seine Deutung der Quittierung bei. Demnach habe er die Quittung der Rechte und der Billigkeit gemäß und nicht im Sinne 51 52 53 54 526 y/bsb10512865.html [19.03.2017]. Zu Wackenfels: Gottfried Theodor Stichling, Die Mutter der Ernestiner. Ein Lebensbild von der Grenzscheide des sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderts, Weimar 1860, S. 122; Ehrenpreis, Gerichtsbarkeit (wie Anm. 45), S. 315 f. Vgl. Votum wackerianum (wie Anm. 50), hier fol. 150r–161v; hierauf aufbauend Friedrich Hortleder, Vrsachen, Warumb die f. Sächsische Weymarische bitt vmb ordentlichen proceß in causa praecedentia & primogeniturae zu erhöhren sey. Vnd 1. Von den mängeln voriges processes, Weimar 1616, ThHStAW, Nachlass Hortle‐ der/ Prüschenk 13, fol. 34r–45r. Votum wackerianum (wie Anm. 50), Zitat fol. 149v. Vgl. Zweierley argument [Dresden] Januar 1620, ThHStAW, DS 133, fol. 1r-2v. Vormundschaftsquittierung für Johann Ernst d. J. (Abschrift), Weimar 1615, ThH‐ StAW, F1177, fol. 10r–13r, Zitat fol. 13r f. Pulverfass Böhmen der kurfürstlichen Deutung angenommen. Hierdurch sollte das innerwetti‐ nische Machtgefälle zumindest ein Stück weit günstiger für Weimar aus‐ gerichtet werden55. Was die Kurfürsten aus ihrer Perspektive als Schutz für das Gesamthaus und, wie hinzuzufügen ist, deren politische Dominanz ansahen, wurde in Weimar als Bevormundung und Einschränkung der eigenen reichsfürstli‐ chen Stellung aufgenommen. Durch die innerwettinischen Machtkämpfe und die einseitige Positionierung des Kurfürsten drohte das Haus Wettin auseinanderzubrechen. In diesem Sinne waren sowohl das kaiserliche De‐ kret als auch die Quittung zu verstehen. Johann Georg wollte sich über eine rechtmäßige Ausübung der Weimarer Landesherrschaft durch Johann Ernst versichert wissen, wodurch das Haus nicht gefährdet werden sollte. Johann Ernst versicherte sich mit dieser Quittierung hingegen seiner eige‐ nen Landesherrschaft. Die angespannte innerwettinische Lage trug damit das Ihre dazu bei, dass sich der Weimarer Herzog der calvinistischen Seite der ernestinischen Verwandtschaft zuwandte: den Pfälzer Wittelsbachern. Ernestinisch-wittelsbachische Verbindungen Die dynastischen Bindungen zwischen den Ernestinern und den pfälzi‐ schen Wittelsbachern, die die Pfalzgrafen stellten, reichten drei Generatio‐ nen zurück. Der geächtete Johann Friedrich der Mittlere (1529-1595, mit Elisabeth von der Pfalz; Urgroßvater Johann Ernsts), Johann Wilhelm von Sachsen-Weimar (1530-1573, mit Susanna von der Pfalz; Großvater Jo‐ hann Ernsts) und Friedrich Wilhelm (1562-1602, 2. Ehe mit Anna Maria von Pfalz-Neuburg; Onkel Johann Ernsts) waren allesamt mit Pfälzer Prin‐ zessinnen verheiratet. Brisant war dies aus Dresdner Perspektive deswe‐ gen, da ein politisches, weil – so Heinz Duchhardt – »verwandtschaft‐ 55 Vgl. zur Einschätzungen des Kurfürsten als caput familiae: Kanzler und Räte Co‐ burgs an Johann Christoph Oelhafen, Coburg, 12. November 1619, ThHStAW, H11, fol. 121r–124r, Zitat fol. 122v; ferner: Gutachten Laurentius Braun zur Frage der kurfürstlichen Präeminenz, ThHStAW, Nachlass Hortleder/ Prüschenk 13, fol. 220r–225r, hier bes. fol. 221v–224v. Zur kurfürstlichen Präeminenz im Rahmen der Kreispolitik bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges vgl. Niklas, Macht (wie Anm. 37), S. 97–151, hier bes. S. 98 mit Anm. 5, S. 102–117, S. 136– 151 sowie S. 167–178. 527 Marcus Stiebing lich bedingte[s] Zusammengehen« mit dem Calvinismus realistisch er‐ schien56. Zwischen Heidelberg und Weimar intensivierten sich die Verhandlun‐ gen seit der letzten Landesteilung 1603. Zusätzlich befördert wurde diese Hinwendung Weimars zur Pfalz und umgekehrt auch durch die kurfürstli‐ che Politik. Auch der Pfälzer Kurfürst gelangte rasch zu der Erkenntnis, dass Dresden für die forcierte Böhmen-Politik nicht zu gewinnen war. Da‐ ran änderte auch das kurzzeitige Interregnum zwischen März und Oktober 1619 nichts. Johann Georg sah zwar die Gefahr für den Protestantismus und auch für die ständische Libertät. Eine Unterstützung, die sich gegen den Kaiser richtete, lehnte er aber ab. Aus Weimarer Perspektive suchte man nun nach potenziellen Legitimationsstrategien, mittels derer eine Un‐ terstützung des Pfälzer Kurfürsten dennoch begründet werden konnte. In diesem Zusammenhang ist auf die Erbeinungen hinzuweisen, die zwischen dem Haus Sachsen und der Krone Böhmens bestanden und mehrmals erneuert wurden. Erbeinungen galten im 16. Jh. als Friedenssi‐ cherungsinstrumente57. Sie bezweckten, so Gabriele Haug-Moritz, »Frie‐ de, ewige Ruhe sowie Recht und Gerechtigkeit (Rechtfertigkeit)« und sollten den »gemeinen Nutzen« sowie die »Einigkeit von Land und Leuten gewährleisten«58. Hiervon abzugrenzen sind die sog. Erbverbrüderungen. Diese bezeichnen solche Verträge, »durch die sich zwei oder mehrere re‐ gierende Häuser für den Fall, dass eines von ihnen ausstirbt, wechselseiti‐ ges Erbrecht zusichern«. Für den Fall, dass diese Reichslehen betrafen, er‐ forderte dies eine kaiserliche Bestätigung. Hierdurch sollte also die Nach‐ folge in einem Territorium geregelt werden59. Solche Erbverbrüderungen 56 Heinz Duchhardt, Protestantisches Kaisertum und Altes Reich. Die Diskussion über die Konfession des Kaisers in Politik, Publizistik und Staatsrecht, Wiesbaden 1977 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, 87), S. 86– 100, Zitat S. 91. – Unterstützt wurde dies auch durch die verwandtschaftliche Nä‐ he Sachsen-Weimars zu den Anhaltinern. Vgl. hierzu: Niklas, Macht (wie Anm. 37), hier bes. S. 183–187. 57 Vgl. Lanzinner, Sicherheitssystem (wie Anm. 32), hier 106 f.; Wolfgang Sel‐ lert, Art. Erbvertrag, in: HRG I, Sp. 1389–1392; Gabriele Haug-Moritz, Frie‐ den im Land. Die sächsisch-brandenburgisch-hessische Erbeinung (1451/57-1555), in: Guido Braun, Arno Strohmeyer, (Hg.), Frieden und Frie‐ denssicherung in der Frühen Neuzeit. Das Heilige Römische Reich und Europa, Münster 2013, S. 3–35; Ott, Präzedenz (wie Anm. ), hier bes. S. 20–27. 58 Haug-Moritz, Erbeinung (wie Anm. 57), Zitate S. 7. 59 Sellert, Erbvertrag (wie Anm. 57), Zitat S. 1391. 528 Pulverfass Böhmen bestanden etwa zwischen Kursachsen, Kurbrandenburg und Hessen seit 1373 und diese wurden letztmalig 1614 vor dem Krieg erneuert60. Erbeinungen zwischen Sachsen und Böhmen hatten ebenfalls eine lange Tradition61. Böhmen hatte um 1500 einen, wie Thomas Ott hervorgehoben hat, »regelrechten Gürtel von Nachbarschaftsverträgen« abgeschlossen, und zwar zu einer Zeit, die sich durch Spannungen zwischen Habsburg und Sachsen auszeichnete62. Geschlossen wurden die Erbeinungen erst‐ mals 1546 zwischen dem sächsischen Kurfürsten, der Kraft Vormund‐ schaft für das Gesamthaus sprach, und dem jeweiligen böhmischen König in Anwesenheit der Stände. Die Verträge waren an die Person des Kurfürs‐ ten und des böhmischen Königs gebunden. Hierin zeigt sich insofern ein Widerspruch, als sämtliche Einungen immer wieder betonten, dass sie zu‐ gleich für die Erben und die Nachkommen geschlossen wurden. 60 Vgl. Erbverbrüderung zwischen Sachsen und Hessen, Naumburg, 30. März 1614 (Abschrift), ThHStAW, F194, fol. 22r–26r. 61 Vgl. Erbeinung zwischen Ferdinand I., König von Böhmen, und Kursachsen, 13. April 1557, ThHStAW, F194, fol. 29r–37r; Erbeinung zwischen der Krone Böhmens und dem Haus Sachsen, 28. Juni 1571, ThHStAW, Nachlass Hortleder/ Prüschenk Nr. 11, fol. 154r–167r (Abschrift, versehen mit Kommentaren Hortle‐ ders); Erbeinung zwischen Kayser Rudolpho II. und dem hause Sachsen, d. ao. 1587 (Abschrift), ThHStAW, F194, fol. 38r–47r; ferner: Original Concept der Er‐ beinigung zwischen könig Ferdinanden in Böhmen, Churfurst Johann Friedrichen und hertzog Moritzen und Augusten […], SächsHStADr, Loc. 8023/12, fol. 1r–8r; Bedenken hinsichtlich der Erbeinung zwischen Ferdinand und Kursachsen, SächsHStADr, Loc. 8023/15, fol. 266r–277v; Erbeinung zwischen der Krone Böh‐ men und dem Haus Sachsen, Prag 1586, SächsHStADr, Loc. 8056/7, fol. 1r–13r; Erbeinung zwischen der Krone Böhmen und dem Haus Sachsen, Prag, 24. Okto‐ ber 1587, SächsHStADr, Loc. 8023/11, fol. 79r–88v (Konzept); Erbeinung zwi‐ schen der Krone Böhmen und dem haus Sachsen, Prag, 24. Oktober 1587, SächsHStADr, Loc. 8023/11, fol. 88/1–88/11; Böhmische Erbeinung Anno 87. SächsHStADr, Loc. 8023/13; Erbeinung zwischen der Cron Böhmen Chur vndt furstlichen hause Sachsen bey Regierung Churfürst Johann Georgen in Sachsen vffgerichtet vnd vns derowegen allenthalben furgelauffen, SächsHStADr, Loc. 8023/14, fol.15r–20v; Johann Georgs Bekanntmachung hinsichtlich der vorange‐ gangenen Erbeinung, SächsHStADr, Loc. 8023/14, fol. 47r–72v. – In diesen Zu‐ sammenhang ist auf Patente des Kaisers bezüglich fremder Truppenwerbungen hinzuweisen, mit denen er sich an Johann Georg wandte. Vgl. hierzu: Johann Ge‐ org an Johann Ernst d. J., Freiburg, 29. Oktober 1616, ThHStAW, H1, fol. 47r; Kaiserliches Mandat bezüglich der Truppenwerbungen, Prag, 11. Oktober 1616, ibid., fol. 48r; Matthias an Johann Georg, Prag, 11. Oktober 1616, ibid., fol. 51r f.; Matthias an Johann Ernst d. J., Prag, 11. Oktober 1616, ibid., fol. 52r–54r. 62 Ott, Präzedenz (wie Anm. ), S. 28. 529 Marcus Stiebing Mit den Erbeinungen wurde das Ziel verbunden, einerseits die enge Bindung zwischen den Wettinern und Habsburgern über die konfessionel‐ len Grenzen hinaus zu stärken. Dass hierbei der Fokus besonders auf Böh‐ men gelegt wurde, erklärt sich aus der nachbarschaftlichen Nähe und dem gierigen Blick Dresdens auf die Lausitzen. Andererseits sollten dadurch gemeinsam Frieden und Ruhe gewahrt, ggf. wiederhergestellt werden. Ebenso wollte sich das Reichsoberhaupt der Unterstützung des mächtigs‐ ten protestantischen Reichsstandes versichern. Die »Wahrung des Friedens zwischen den Einungsverwandten und die gemeinsame Selbstbehauptung der Einungsverwandten gegen außenstehende Dritte« waren hierbei mit dem Frieden innerhalb des Reiches »unauflöslich verquickt«63. In allen Einungen war eine Schutz- bzw. Sicherheitsklausel eingebaut. Demnach wurde dem sächsischen Kurfürsten befohlen, die Verbindung ewiglich zu behalten, [zu] schützen und [zu] schirmen64. Im Umkehr‐ schluss sicherte man dem Kurfürsten wiederum Schutz zu. Jedweder Schaden, der beiden im Falle eines Angriffes eines Dritten drohte, sollte abgewendet werden. Mit Blick auf die böhmischen Einungen ist anzumer‐ ken, dass die Erbeinungen eine Unterstützung Sachsens in Religionssa‐ chen ausschlossen. Ebenso wurden Unterstützungsgesuche, die andere Verbindungen des böhmischen Königs/ Kaisers bzw. das Haus Sachsen betrafen, ausgenommen65. Die Frage war nun, ob auf Grundlage der Er‐ beinungen eine Unterstützung des neuen böhmischen Königs gerechtfer‐ tigt werden konnte. Dieser wurde, worauf bereits hingewiesen wurde, von Kursachsen nicht anerkannt. Ebenso untersagte die angesprochene Vor‐ mundschaftsquittierung Johann Ernsts ein alleiniges Agieren des Weima‐ rer Herzogs in Reichs- und Religionssachen. Schließlich ist zu bedenken, dass die letzte Erneuerung der Erbverbrüderung zwischen Sachsen, Hes‐ sen und Brandenburg diejenigen Bündnisschlüsse untersagte, die gegen diese gerichtet waren. 63 Haug-Moritz, Erbeinung (wie Anm. 57), Zitat S. 24. 64 Erbeinung 1557 (wie Anm. 61), Zitat 29v f.; vgl. ferner: Erbeinung 1571 (wie Anm. 61), hier bes. 156r –157r; Erbeinung 1587 (wie Anm. 61), hier fol. 39r f. 65 Vgl. Erbeinung 1571 (wie Anm. 61), 166r–167r. 530 Pulverfass Böhmen III. Strategien zur Wiederherstellung der Sicherheit Friedrich Hortleder: Sicherheit durch Assistenz (Juli 1618/ April 1620) Der Gelehrte und Weimarer Hofrat Friedrich Hortleder war einer der engs‐ ten Vertrauten der Herzogen-Familie66. Er selbst stammte aus einer nichtadligen Familie und gelangte vermutlich durch seine Dissertation, die er 1607 vor Dominicus Arumäus in Jena verteidigt hatte, in das nähere Um‐ feld der Weimarer Regentenfamilie. Seit 1608 war er als Präzeptor Johann Ernsts und seines ältesten Bruders Friedrich gemeinsam mit dem Hofmeis‐ ter Caspar von Teuteleben für die Erziehung und Bildung verantwortlich. Dementsprechend konnte er auch auf die Prinzen einwirken. In diesem Zusammenhang begleitete er Johann Ernst im Rahmen seiner Ausbildung an die Universität Jena. 1616 wurde Hortleder durch den nunmehr regie‐ renden Johann Ernst d. J. zum Hofrat berufen, wodurch er unmittelbaren Einfluss auf die Weimarer Politik nahm. Unter dem Namen Der Einrich‐ tende wurde er schließlich 1639 in die in Weimar ansässige Fruchtbringen‐ de Gesellschaft aufgenommen. Ein Jahr später verstarb er67. Bekannt wurde Hortleder vor allem durch seine monumentale, Fried‐ rich I. von Sachsen gewidmete Aktensammlung zur Geschichte des Schmalkaldischen Krieges, die 1617/1618 erschien. Es handelt sich hier‐ 66 Vgl. hierzu: Art. Hortleder, Friedrich, in: Zedler-Lexikon (wie Anm. 26), Bd. 13, Sp. 960f.; Johann Friedrich Jugler, Art. Friedrich Hortleder, in: Ders., Beyträge zur juristischen Biographie, oder genauere literrärische und critische Nachrichten von dem Leben und den Schriften verstorbener Rechtsgelerhten auch Staatsmän‐ ner, welche sich in Europa berühmt gemacht haben, 6 Bde., Leipzig 1773-1780, hier Bd. III/ 1 (1777), S. 106–118; Franz Xaver von Wegele, Art. Hortleder, Friedrich, in: ADB 13 (1881), Sp. 165–169; Stolleis, Öffentliches Recht (wie Anm. 43), hier S. 132f., S. 147 u. S. 150; Andreas Klinger, Geschichte als Lehr‐ stück. Friedrich Hortleders Darstellung des Schmalkaldischen Krieges, in: Verein für Schmalkaldische Geschichte und Landeskunde e. V. (Hg.), Der Schmal‐ kaldische Bund und die Stadt Schmalkalden, Schmalkalden 1996, S. 102–111; Ders., Art. Friedrich Hortleder, in: Wilhelm Kühlmann u. a. (Hg.), Frühe Neuzeit in Deutschland 1520-1620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon, Bd. 3, Berlin, Boston 2014, S. 408–414; Georg Schmidt, Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495-1806, München 1999, S. 87–92, hier S. 92; Alexander Schmidt, Vaterlandsliebe und Religionskonflikt. Politische Dis‐ kurse im Alten Reich (1555–1648), Leiden u. a. 2007 (Studies in Medieval and Reformation Traditions, 126), hier S. 84f., S. 180 u. S. 202–209. 67 Vgl. die Mitgliederdatenbank der Gesellschaft: http://www.die-fruchtbringende-ge sellschaft.de/index.php?category_id=4&article_id=16 [04.03.2017]. 531 Marcus Stiebing bei um eine Ansammlung verschiedener Quellen, die bewusst so angeord‐ net waren, um dadurch nachträglich das Vorgehen der Schmalkaldener ge‐ genüber Karl V. zu rechtfertigen68. Hortleder sah, wie er in der Vorrede klarstellte, den Schmalkaldischen explizit als einen deutschen Krieg an. Es wurde daher auch dasjenige Ma‐ terial gesammelt, das »den Rechtstraditionen des Heiligen Römischen Rei‐ ches« entsprach. Nur hierdurch, so der Grundgedanke, war es möglich, die Spezifika und die Entwicklung des Reiches und seiner Glieder aufzuzei‐ gen. Hortleder kam an dieser Stelle neben seiner Nähe zum Herzog auch zugute, dass er 1617 mit der Aufsicht über das herzogliche Archiv betraut wurde. Er hatte somit direkten Zugang den Akten69. Zum anderen ist auf den bisher in der Forschung weitgehend vernach‐ lässigten, engen Kontakt zu Melchior Goldast hinzuweisen. Goldast war 1611 Sachsen-Weimarischer Gesandter beim Kurfürstentag in Nürnberg. Er hatte den Auftrag, die Beschwerden hinsichtlich des Primogenitur- und Präzedenzstreites zu übermitteln. In derselben Funktion wurde er im Janu‐ ar/ Februar 1612 in Prag am Kaiserhof sowie beim Frankfurter Wahltag eingesetzt70. Zudem publizierte Goldast in enger Zusammenarbeit mit 68 Vgl. Friedrich Hortleder, Der keyser- und königlichen Maiestete/ auch deß heili‐ gen Rö. Reichs/ geistlicher vnd weltlicher Stände/ Churfürsten/ Fürsten/ Graffen/ herren/ Reichs- und anderer Stätte/ zusambt der heiligen Schrifft/ geistlicher und weltlicher Rechte Gelerten handlungen und Ausschreiben/ Rathschläge/ Beden‐ cken/ Send- und andere Brieffe/ Bericht/ Supperlicationschriften […] Von Recht‐ mässigkeit/ Anfang/ Fort- und endlichen Ausgang des Teutschen Kriegs/ Keyser Carls des Fünfften/ wider die Schmalkaldische Bundesoberste/ Chur- und Fürsten/ Sachsen und Hessen/ und I. Chur= und Fürstl,. S. G. Mitverwandte […], Frankfurt a. M. 1618; Georg Schmidt, Siegrid Westphal, Art. Schmalkaldischer Krieg, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 30, Berlin, New York 1999, S. 228–231; Ga‐ briele Haug-Moritz, Georg Schmidt, Art. Schmalkaldischer Bund, in: ibid., S. 221–228; Reinhart Koselleck, Art. Bund, Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat, in: GG, Bd. 1, S. 582–671, hier bes. S. 605–611; Georg Schmidt, Schmalkaldi‐ scher Bund und »Reichs-Staat«, in: Verein für Schmalkaldische Geschichte und Landeskunde e. V. (Hg.), Schmalkalden (wie Anm. 66), S. 3-18; Lanzin‐ ner, Sicherheitssystem (wie Anm. 32), hier S. 111f. 69 Klinger, Geschichte (wie Anm. 66), hier S 103f., Zitat S. 104. 70 Vgl. Gundula Caspary, Späthumanismus und Reichspatriotismus. Melchior Gol‐ dast und seine Editionen zur Reichsverfassungsgeschichte, Göttingen 2006 (For‐ men der Erinnerung, 25), S. 51–58, hier S. 58; ausführlicher hierzu: Stichling, Ernestiner (wie Anm. 50), S. 129–133. 532 Pulverfass Böhmen Hortleder 1614 seine »Politica Imperialia71. Es ist daher anzunehmen, dass Hortleder sowohl durch die Einflüsse von Dominicus Arumäus als auch den engen Kontakt mit Goldast zu seiner Aktensammlung bewegt wurde. Hinzu kamen schließlich die aktuellen Entwicklungen auf Reichs- sowie dynastischer Ebene72. Hortleder setzt sich in der Einleitung intensiv mit der erschienenen Li‐ teratur zum Schmalkaldischen Krieg auseinander. Insbesondere für die von Johannes Sleidan (1506/08-1556) verfasste Abhandlung fand er Be‐ wunderung. Unmissverständlich macht er klar, daß der Teutsche krieg/ vmb so viel rechtschaffner/ nützlicher und besser von ihm/ dann von an‐ dern/ beschrieben worden sei73. Die Geschichte des Schmalkaldischen Krieges sollte insbesondere mit Blick auf die kaiserliche Acht, mit der Jo‐ hann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen belegt worden waren, als exempel der gefährligkeit dienen74. Zugleich diente das Vorgehen der Schmalkaldener als Vorbild. Hortle‐ der rechtfertigt dieses damit, dass der Kaiser das Ziel verfolgt habe, der Bundesständ glaub auffzuheben/ und des Tridentinischen Concilii erkendt‐ nuß zuunterwerfen75. Die Reichsstände waren in ihrer Libertät bedroht. Stellvertretend hierfür stand der Angriff auf die Konfession. Hieran sollten die Weimarer Herzöge erinnert werden. Dies geschah bereits während der Ausbildung der Prinzen. Die Sleidan-Lektüre gehörte zum Grundkanon. Nun, nach Abschluss der Ausbildung und in seiner Stellung als Reichs‐ fürst, wurde Johann Ernst nochmals vor Augen geführt, dass sich die evangelischen Reichsstände in einer ähnlichen Lage wie die Schmalkalde‐ ner befanden: »Für die ernestinischen Fürsten waren und blieben … Kenntnisse über die Auseinandersetzungen des Schmalkaldischen Bundes 71 Caspary, Späthumanismus (wie Anm. 70), S. 31–45, hier bes. S. 43 sowie S. 180– 187, hier bes. S. 186f. 72 Die betreffenden Korrespondenzen zwischen Hortleder und Goldast werden der‐ zeit im Rahmen meiner Dissertation ausgewertet. 73 Hortleder, Vorrede, in: Rechtmässikeit (wie Anm. 68), S. 1–32, Zitate S. 5 (Sei‐ tenzählung; ohne eigene Paginierung); Vgl. ferner: Johannes SLEIDAN, De Statu Religionis et Reipublicae Carolo Quinto Caesare Commentarii, Straßburg 1555; Schmidt, Vaterlandsliebe (wie Anm. 66), S. 146, S. 177, S. 211 u. S. 310; Johan‐ nes Süßmann, Art. Sleidanus, Johannes, in: NDB 24 (2010), 499f. 74 Hortleder, Vorrede, in: Rechtmässikeit (wie Anm. 68) S. 6. 75 Ibid., S. 12. 533 Marcus Stiebing mit dem Kaiser eine grundlegende Voraussetzung für ihre eigne Reichspo‐ litik«76. Vor diesem Hintergrund äußerte sich Hortleder in einem ausführlichen, ungedruckten und im Juli 1618 verfassten Gutachten zum Fall Böhmen77. Hortleder griff hierbei auf, aus den Debatten um das Widerstandsrecht be‐ kannte Argumentationsstränge in Verbindung mit der ernestinischen Ge‐ schichte zurück. Sein Ziel war es, das »Dilemma von Gehorsam gegen‐ über dem Kaiser als Reichsoberhaupt und aufrichtigem Glaubensbekennt‐ nis« aufzuzeigen78. Hortleder arbeitet die Problematik anhand von fünf Fragen ab und ver‐ weist dabei in Form von Belegen immer wieder auf sein Werk zum Schmalkaldischen Krieg. Hortleder erörtert dabei zwei Möglichkeiten zur Wahrung der Sicherheit. Dies betrifft einerseits die »Assistenz« Weimars bei einem Ersuchen um Unterstützung durch die protestantischen Stände in Böhmen, durch den böhmischen König/ Kaiser oder für den Fall einer doppelten Anfrage der kriegerischen Parteien. Dem gegenüber stellt Hort‐ leder andererseits die Frage nach der »Neutralität« in Bezug auf Böhmen. Schließlich geht es darum, ob das Gesamthaus Sachsen den böhmischen König/ Kaiser unterstützen solle, wenn dieser gegen die böhmischen Stän‐ de vorging. Hortleder griff damit die wesentlichen Punkte vorweg, die im Januar 1620 beim Obersächsischen Kreistag besprochen werden sollten79 – und bei dem er selbst als Abgesandter den Herzog vertrat80. 76 Klinger, Geschichte (wie Anm. 66), Zitat S. 103. 77 Vgl. Vngefährliche Information, Was bey dem Böheimischen wesen der fürstl: sächsischen Lini zu Weymar zu thun sein wolle, Auff gnädigen befehl des gnädi‐ gen Fürsten und herren, herren Johann Ernsten des Jüngern, hertzogen zue Sach‐ sen, Jülich, Cleve und Bergk, gestället, durch Friedrich Hortleder, [Weimar?], 29. Juli 1618, ThHStAW Nachlass Hortleder/ Prüschenk Nr. 13, fol. 2r–17v. 78 Klinger, Geschichte (wie Anm. 66), Zitat S. 108. 79 Vgl. Ausschreiben zum Obersächsischen Kreistag, Dresden, 28. Januar 1620, SächsHStADr, Loc. 7879/3; Abschied des Obersächsischen Kreistages in Leipzig, Leipzig, 5. Februar 1620, SächsHStADr Loc. 7873/2, fol. 1r–6r, hier bes. fol. 3r f. (Abschrift; eigene Paginierung). 80 Vgl. Instruktion Johann Ernst d. J. für die Kammer- und Hofräte Friedrich von Ko‐ spoth, Laurentius Braun und Friedrich Hortleder für den obersächsischen Kreistag in Leipzig, Weimar, 28. Januar 1620, ThHStAW, C1613, fol. 9r–16r; Vollmacht Johann Ernsts d. J. für den Hof- und Kammerrat Friedrich von Kospoth, Gelehrten Rat Laurentius Braun und den Hofrat Friedrich Hortleder für den Obersächsischen Kreistag in Leipzig, Weimar, 28. Januar 1620, ThHStAW, C1614, fol. 81r; ferner: Gotthard, Fried (wie Anm. 3), hier S. 311-316. 534 Pulverfass Böhmen Hortleder stellt in seiner Argumentation die bereits erwähnten, zwi‐ schen Böhmen und Sachsen geschlossenen Erbeinigungen in den Mittel‐ punkt. Prinzipiell vertrat er die Auffassung, dass sich nicht gegen die Mit‐ verwandten gestellt und damit gegen die Einungsverträge verstoßen wer‐ den dürfe. Hinsichtlich der Stände sub utraque weist er darauf hin, dass Böhmen Sachsen und hiergegen Sachsen Böhmen zu helffen vnuerbunden sei. Jetzt betrifft [es] die Religion [wegen der Stände sub utraque eigener Apologi] Darumb ist Sachsen vnuerbunden, Böhmen zuhelffen. In Religi‐ onssachen war eine Intervention ausgeschlossen81. Dies galt mit Blick auf den böhmischen König/ Kaiser und die Stände. Hieraus ergab sich nun für ihn die Frage, ob der Weimarer Herzog im Umkehrschluss die königlich-katholische Seite unterstützen müsse82. Hortleder verneint diese Frage, da sich wider seinen Mittvereinte[n] (…) niemandt brauchen lassen solle. Die Stände sub utraque seien der Weyma‐ rischen lini Mittvereinte. Er führt an, dass, wenn die sächsischen Erbver‐ einten nicht aufgrund der Religion eingreifen dürften, auch der böhmische König eine Unterstützung nicht mit einem Angriff auf den katholischen Glauben begründen könne83. Schließlich führt Hortleder an: Denn zu vn‐ gerechtten Kriegen soll Niemandts helffen. Hortleder führt aus, dass in‐ maßen Gottes wort, vernunft und Justitita […] der königlichen Böhmi‐ schen [Majestät] und Stände sub una kriegk wider die sub utraque (...) vn‐ gerechtt sei. Zudem heißt es weiter, wann nemblich gedachte könige wider die sub utraque mit kriegesmacht verfahren wolten, wehre ihre handlung wider derselben stände privilegium, nemblich des Majestätsbrieff belan‐ gende das exercitium der Religion84. Hortleder stand nun vor einem Dilemma. Die Argumentation lief bisher auf eine Neutralität hinaus85. Die geistliche vorwandtnüs gebiete, dass man die evangelischen Stände gegen ihre Gegner unterstütze, nicht wegen des Glaubens, sondern weil mit Gewalt gegen sie vorgegangen worden sei. Es sei auch zu bedenken, dass eine unter Obrigkeit die Ihrigen wider der hohen Obrigkeit gewalt wohl schützen könne und müge […] wann gleich die Böhmen mit dem rauswerfen zum fenster denn sachen zuviel 81 82 83 84 Hortleder, Information (wie Anm. 77), Zitat fol. 2v f. Vgl. ibid., fol. 2v–4v. Ibid., Zitat fol. 3r. Ibid., Zitat fol. 3v; vgl. Ferner: Hlaváček, Cor Europae (wie Anm. 2), hier bes. S. 134. 85 Vgl. Hortleder, Information (wie Anm. 77), fol. 4v–7v. 535 Marcus Stiebing gethan hetten. Dann die Rechtmäßigkeit der Kriege ist aus der Hauptursa‐ che zu schätzen86. Eine Neutralität könne daher auch nicht in Erwägung gezogen werden. Hortleder stand nun vor der politischen Gretchenfrage: Solle man sich aufgrund der Erbeinungen bey einem oder den andern Theill mit hülffe be‐ teiligen, wenn zum einen nicht klar sei, welchen Theill man denn zuhelffen schuldigk sei, also dem König oder den böhmischen Ständen, und zum an‐ deren, wenn nicht klar sei, ob dies oder jenes recht oder unrecht sei87. Prinzipiell seien die Erbvereinten nicht dazu verpflichtet, eine der beiden Parteien zu unterstützen, sollte dies zu einem ungerechten Krieg führen. Dies gelte auch für die potenzielle Unterstützung des Königs durch den Kurfürsten von Sachsen! Erneut wird die erste Erbeinung zwischen Moritz und Ferdinand von 1546 angeführt. Hortleder kommt zu dem Schluss: Wollen nun die ietzigen evangelischen Böhmen in ihren streitigen sachen ordentlicher recht oder der Erbvoreinten erkändnüs leiden, des Keyser als Königk in Böhmen aber nicht, so ist man Ihnen beyzustehen schuldigk88. Um eine potenzielle Unterstützung Friedrichs V. durch den Weimarer Herzog auch legitimieren zu können, führt Hortleder darüber hinaus den böhmischen Majestätsbrief ins Feld. Hortleder macht deutlich, dass es sich bei den böhmischen Angelegenheiten nicht um eine Konfessionssache handele. Vielmehr ginge es um die conservationem privilegii et juris Bo‐ hemici nemblich des Majestätsbrieffs89. Dieser garantierte als Sicherungs‐ instrument die ständisch-libertäre Verfasstheit und war von vornherein präventiv gegen Angriffe ausgelegt. In diesem Sinne deutet Hortleder eine spezifische Passage, durch welche die Zugehörigkeit Böhmens zum Reich als Rechtsverband und damit die Gültigkeit des Religionsfriedens für Böh‐ men begründet werden sollte. Die Böhmen seindt inn religionsfrieden des hl. Reichs aufgenommen90. Im Majestätsbrief heißt es weiter, dass dieser von gegenwärtigen und künftigen Nachkommen [...] und zukünftigen Köni‐ gen in Böhmen allenthalben vollkommen und unverletzt gelassen und be‐ schützt werden [soll und das] Wir sie [Böhmen; M. St.] auch in den Religi‐ 86 87 88 89 90 536 Hortleder, Information (wie Anm. 77), Zitate fol. 5v. Ibid., fol. 7v–10v, Zitat fol. 7v f. Ibid., Zitat fol. 10r. Ibid., Zitat fol. 12r. Hortleder, Information (wie Anm. 77), fol. 14r. Pulverfass Böhmen onsfrieden des heiligen Reichs, als das vornehmste Mitglied desselben, gänzlich mit einschließen und bestätigen91. Jene Argumentation war jedoch höchst problematisch. Einerseits besaß Böhmen keine Reichsstandschaft. Zudem fehlte die Zuordnung zu einem Reichskreis, in denen die Reichsgesetzgebung galt. Hortleder sah dieses Problem übrigens selbst. In einer von ihm verfassten Abhandlung über die Reichskreise schrieb er: [Böhmen] ist zwar ein Kurfürstenthumb vnd Lehn des heyligen Reichs. Gehört aber in keinen dem Reich vnterthenigen vnd contriburenden Kreiß, die weil es durch Privilegia fast von allen gehor‐ samb vnd bürden des Reichs eximirt vnd liberirt [wurde]92. Schließlich be‐ stand das Problem, dass, selbst wenn Böhmen zum engeren Rechtsverband gezählt wurde, immer noch die reichsstaatsrechtliche Zugehörigkeit des reformierten Glaubens zum Augsburger Religionsfrieden ungeklärt war. Hortleder präferierte eine »Assistenz«. Der Weimarer Gelehrte entwarf ein künftiges und nicht unwahrscheinliches Szenario. Die Argumentation Hortleders bot die Möglichkeit, dass auch die Anhänger des reformierten Glaubens später unterstützt werden konnten. Indem eine potenzielle Inter‐ vention in Böhmen auf die Basis der Erbeinungen gestellt wurde, wurde sie zu einer dynastisch-reichsstaatsrechtlichen Angelegenheit erklärt. Un‐ terstützt werden sollte dies zusätzlich durch den Einbezug des Majestäts‐ briefes und des Religionsfrieden. Damit war der Boden für die Unterstüt‐ zung Friedrichs gelegt. Hierdurch sollte die Sicherheit gewahrt werden. Zumindest offiziell diente dies nicht dazu, die kursächsische Präeminenz anzugreifen. Vielmehr verbarg sich dahinter anscheinend der Gedanke, dass sich das gesamte Haus Sachsen geschlossen hinter den Böhmen-Kö‐ nig stellen sollte. Genau für diesen Zweck, so zumindest die HortlederDeutung, waren die Erbeinungen geschlossen worden. Die Haltung des Kurfürsten war aber bekannt. 91 Vgl. Majestätsbrief (wie Anm. 33), Zitat 99f.; vgl. hierzu auch mit Blick auf die Publizistik: Gotthard, Wahrnehmung (wie Anm. 18), hier S. 143–145 sowie S. 154f. 92 Friedrich Hortleder, Von abtheilung des heyligen Römischen Reichs in Lehen Kreiß vnd was vor Landtschafften in ieglichen kreiß gehören, ThHStAW, Nachlass Hortleder/ Prüschenk, Nr. 64, fol. 1r–14r, Zitat 3r f.; vgl. ferner zur Frage des Ver‐ hältnisses Böhmen zum Reich: Begert, Böhmen (wie Anm. 2), S. 303–331 (16. Jh.) sowie S. 357–375 u. S. 424–433 (17. Jh.). 537 Marcus Stiebing Der Senat der Universität Jena: Sicherheit durch Neutralität (April 1620) Im Januar 1620 – parallel zur Vorbereitung des Obersächsischen Kreista‐ ges in Leipzig – war es auch besagter Hortleder, der dem Rektor der Uni‐ versität Jena, Petrus Theodoricus, den Auftrag des Herzogs übermittelte, sich mit der Böhmen-Frage auseinanderzusetzen93. Der Senat der Univer‐ sität, dem Hortleder nicht angehörte, legte seine Auffassung in einem, in älteren Untersuchungen außen vor gelassenen, mehr als 30 Punkte umfas‐ senden Gutachten am 23. April 1620 dar94. Dieses bildete den Grundstock für die am 25. April 1620 erlassene Instruktion der universitären Gesand‐ ten für den Ende April/ Anfang Mai desselben Jahres stattfindenden Land‐ tag95. Etwa zeitgleich wandte sich der Herzog auch an die Theologen der Je‐ naer Universität. Diese, u. a. Johann Major und Johann Gerhard, die zu‐ dem dem Senat der Universität angehörten, sollten im Auftrag Johann Ernsts mit ihren Kollegen in Leipzig und Wittenberg die Frage erörtern, ob der Herzog aus Gewissensgründen in Böhmen eingreifen könne. Es müsse nachgewiesen werden, dass der Kaiser gegen das Gewissen und die konfessionelle Freiheit vorging. Mit anderen Worten: Es musste gezeigt werden, dass die Konfession und das Gewissen Bestandteile der Sicherheit waren. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass überhaupt nicht klar sei, ob der Kaiser gegen den Glauben und das Gewissen vorging. Überhaupt bedürfe es genauer Kenntnisse hinsichtlich der Motivation Ferdinands. Dies sei je‐ doch keine Aufgabe der Theologen, sondern, wie sie selbst eingestanden, eine der politischen Räte96. 93 Vgl. Friedrich Hortleder an Petrus Theodoricus, Jena, 8. April 1620, UAJ, 244a, fol. 299r f.; vgl. ferner zur Stellung des Rektors: Wallentin, Universität (wie Anm. 43), S. 244–257. 94 Vgl. Gutachten der Universität betreffen der Expedition nach Böhmen für Johann Ernst d. J., Jena, 23. April 1620, UAJ, 244a, fol. 318r–320v u. 327r–329v; vgl. ferner allgemein zum Senat der Universität: Wallentin, Universität (wie Anm. 43), S. 238–244. 95 Vgl. Instruktion der Universität Jena für Ortolphus Fomann und Dominicus Aru‐ mäus für den anstehenden Landtag, Jena, 25. April 1620 (Abschrift), ThHStAW, H1, fol. 325r–337r. 96 Vgl. Polišensky, Universität (wie Anm. 44), hier bes. S. 445 f.; Gotthard, Wahr‐ nehmung (wie Anm. 18), hier S. 151f. mit Anm. 66; zuletzt dazu: Stiebing, Poli‐ tikberatung (wie Anm. 44), hier bes. S. 170f.; Koch, Ethik (wie Anm. 44), hier bes. S. 104–108. 538 Pulverfass Böhmen Der Senat riet dem Herzog zur »Neutralität«. Generell könne der Plan des Herzogs als Angriff auf die kurfürstliche Stellung als Caput familiae gewertet werden. Sie erinnerten den Herzog an dessen Verantwortung für das Gesamthaus. Der Herzog solle sich nicht dem zweifelhaftigen glück vnd vngewißen ausgange des kriegs unterwerfen97. Das Gutachten kommt in diesem Zusammenhang auf die von Hortleder so stark betonten Erbei‐ nungen zu sprechen. Der Senat plädierte dafür, nicht Böhmen, sondern dem Gesamthaus eine höhere Priorität zuzumessen. Das hieß: Der Herzog solle der kurfürstlichen Deutung der Erbeinungen folgen. Das gemeinsame Vorgehen mit Kursachsen sei nicht nur im Sinne des Hauses. Vielmehr lie‐ ge dies auch im Interesse des Obersächsischen Kreises, der sich besorgt über die Entwicklung in Böhmen zeige. Schließlich bestehe auch ein Kreistagsbeschluss, der von den Kreisständen mehrheitlich angenommen worden sei und die Neutralität des Kreises festgelegt habe98. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass Sachsen-Weimar den Kreistagsabschied nicht un‐ terzeichnet hatte. Unter Neutralität ist in diesem eine besondere Spielart zu verstehen. Die allgemeine Neutralität beschreibt ein vollständiges Heraus‐ halten im Falle des Krieges. Die besondere Neutralität sieht hingegen Aus‐ nahmefälle vor, etwa dann, wenn ein Akteur qua Amt durch eine Seite zu einem Eingreifen verpflichtet wird. Dieser Fall trifft – zumindest in der Theorie – auf Kursachsen zu. Johann Georg wurde als kaiserlicher Kom‐ missar in den Lausitzen eingesetzt99. Das Senatsgutachten kommt sodann auf die Zuständigkeit des Religi‐ onsfriedens für Böhmen zu sprechen. Demnach sei Friedrich V. der Calvi‐ nistischen Sect zugethan und daher sei eine Unterstützung auch nicht legi‐ tim100. In dieser Deutung fielen die Anhänger des reformierten Glaubens nicht unter diejenige Gruppe, die 1555 der augspurgischen confession zu‐ 97 Instruktion (wie Anm. 95), Zitat fol. 327r f. 98 Vgl. ibid., 327v–328v. 99 Vgl. Schreiben/ So der Churfürst zu Sachssen/ u. an die Stände in Ober-Lausnitz gethan/ dorinnen sein Churf. Gn. denselben die kayserliche Commission ankün‐ digen, Stolpen, 26. August 1620 (VD17: 14:002762H; Zuletzt aufgerufen am 12. März 2017); Gotthard, Johann Georg (wie Anm. 37), hier S. 141; Bireley, Ferdinand II. (wie Anm. 2), S. 109–111. 100 Instruktion (wie Anm. 95), Zitate 328v f; vgl. ferner: Daniel Gehrt, Ernestini‐ sche Konfessionspolitik. Bekenntnisbildung, Herrschaftskonsolidierung, dynasti‐ sche Identitätsstiftung vom Augsburger Interim 1548 bis zur Konkordienformel 1577, Leipzig 2011 (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte, 34), S. 81– 85 sowie S. 149–155. 539 Marcus Stiebing gerechnet wurde. Zudem rief die Universität in Erinnerung, dass der Kai‐ ser den Pfälzer unabhängig von seiner Konfession zum Rebellen erklärt hatte. Sie stellten damit nicht nur die Legitimität seiner Wahl in Frage. Vielmehr noch folgten sie der Auffassung, dass Friedrich den Landfrieden gebrochen habe. Ferdinand II. sei in diesem Sinne prinzipiell als weltli‐ ches Oberhaupt anzuerkennen. Wenn er, so der nochmalige Unterton, tat‐ sächlich gegen das Gewissen in Böhmen vorgehe, sei dies nachzuweisen. Wende man sich nun dennoch gegen Ferdinand II., entziehe man ihm, was des kaysers ist. In letzter Instanz sei der Herzog dann genauso ein Rebell wie der Pfälzer101. Schließlich führte man auch die Stellung Ferdinands als des obersten Lehensherrn ins Feld. Das, wie es heißt, königkreich Boheim [ist] ein Reichslehn [und muss daher] beym Keyser gesuchett vnd von deroselben entpfangen werden102. Weder habe Friedrich dies empfangen, noch sei er rechtmäßig gewählt worden. Auch aus diesem Grund könne man ihm kei‐ ne Unterstützung gewähren. In ähnlicher Weise argumentierte auch Jo‐ hann Georg in dem eingangs umrissenen Streit um die Titulierung Fried‐ richs. Abschließend wird die bereits bei Hortleder aufgeworfene Frage ge‐ stellt, ob der in Böhmen geführte Krieg ein gerechter Krieg sei. Der Senat führt an, dass es sich aus Perspektive Friedrichs V. und der böhmischen Stände um eine gerechtfertigte Verteidigung handele, weil sie den Krieg für die ständisch-libertäre Verfasstheit Böhmens als Reichsmitglied führ‐ ten. Diese Argumentation, so die Gelehrten, konnte jedoch schwerlich gel‐ ten. Dies setzte ja voraus, dass man Böhmen zum engeren Rechtsverband zählte. Die Gelehrten wiesen ferner darauf hin, dass diese Deutung nur eine mögliche (und höchst strittige) Interpretation des Reichsstaatsrechts darstelle: Vff der Böhmen seitten furgiebt, Bellum hoc legitimum, necessarium, vnnd derhero iustissimum, utpoti pro religione, libertate, vita, coniugibus, liberis, privilegiorum et fortunarum tuitione susceptum esse, So würde doch solches a parte Caesaris alles negirt (...) vnnd gebüret vns de iustitia utriusq[ue] partis 101 Instruktion (wie Anm. 95), Zitat fol. 331r. 102 Ibid., Zitat fol. 332v; vgl. ferner zur Frage des Reichslehensverhältnis Böhmens im 16. Jh.: Begert, Böhmen (wie Anm. 2), hier bes. S. 358–363 u. S. 426–429 (Matthias) sowie S. 366–375 u. S. 429–433 (Ferdinand II.). 540 Pulverfass Böhmen nicht zu vrtheilen, denn wir darzu viel zu gering sein, auch nicht darzu requi‐ ret allein wirdt hierdurch der Böhmen praetension zuvielhafftig gemacht103. Der Senat folgte daher der kaiserlichen Auffassung, wonach ein Krieg nur da legitim sei, wo keine Offensive vorangeht104. Die Annahme der Wahl durch Friedrich wurde als Angriff auf den Kaiser gedeutet. Demnach han‐ dele es sich auch nicht um einen gerechten Krieg. Noch vor Beginn des Kreistages in Leipzig Ende Januar 1620 begab sich Johann Ernst in den militärischen Dienst des böhmischen Königs. Ihm wurde im Namen Friedrichs ein Regiment über ein deutsche[s] kriegsvol[k] erteilt105. Im August 1620 verteidigte der böhmische König nochmals die Werbungen und die Assistenzgesuche. Man wolle dem Vn‐ heil vnd Landsverderlichen Unwesen entgegentreten und die heilsame ruh vnd sicherung [der] Lande wiederherstellen. Als ein von Rechts vnd herko‐ menswegen obgelegen/ beruffner/ erwehlter vnd gekrönter gerechter könig sei es seine Pflicht106. In diesem Sinne rechtfertigte auch der Herzog im April 1620 nochmals seinen Entschluss in einer Proposition für den anste‐ henden Landtag107. Die Nicht-Behandlung der Gravamina und das Verhal‐ ten des Kaisers, der sich nach wie vor nicht bereit zeige, in allen politi‐ schen Dingen in Bezug auf Böhmen zu verhandeln, bestätige dies. Im Kern handele es sich hierbei um Verstöße gegen den Majestätsbrief, was als die wurtzel alle[n] zwietrachts anzusehen sei. Die Situation in Böhmen habe sich zu einer Krankheit entwickelt, die mit einer neu[en] medicihn bekämpft werden müsse108. IV. Fazit Der hier vorgelegte Beitrag stellte die Frage, welche Konzeptionen zur Er‐ haltung der Sicherheit am Beginn des Dreißigjährigen Krieges entwickelt wurden. Hierzu wurden zwei Konzepte, die Neutralität und die Assistenz, 103 Instruktion (wie Anm. 95), Zitat fol. 332r. 104 Defesio autem legitima, ubi nulla offensis praecedit, dici nequit. 105 Bestallung Johann Ernst d. J., Prag, 16./ 26. Januar 1620, ThHStAW, EGA Ur‐ kunden 1620. 106 Mandat Friedrichs V., Prag, 18. August 1620, ThHStAW EGA Urkunden 1620. 107 Vgl. Proposition Johann Ernst für den Landtag im Mai 1620, Weimar, 25. April 1620, ThHStAW, B11, fol. 19r–27r. 108 Proposition (wie Anm. 107), Zitate fol. 20v u. 21r f. 541 Marcus Stiebing skizziert, die dem Weimarer Herzogs Johann Ernst in Bezug auf den Böh‐ mischen Krieg 1619/20 vorgelegt wurden. Es hat sich dabei gezeigt, dass die böhmische Politik Friedrichs V. ein mehrschichtiges, d. h. dynastischstaatsrechtliches Sicherheitsproblem war. Im Vordergrund stand das Recht als Sicherheitsressource. Dies gilt sowohl mit Blick auf das Reich als Gan‐ zes als auch bei Fokussierung auf die innerdynastische Situation der Wet‐ tiner. In diesem Sinne überlagerten sich am Beginn des Dreißigjährigen Krieges eine territorial-dynastische und die Reichskrise. Es wurde ersichtlich, dass das Recht sowohl auf Reichs- als auch auf innerwettinischer Ebene eine ambivalente Ressource war. Dieses wurde mit dem jeweils spezifischen Sicherheitsbedürfnis der beteiligten Akteure (Johann Ernst, Friedrich V., Ferdinand II., Johann Georg I.) verknüpft. Dies galt sowohl für das Reichsrecht, das den äußeren Rahmen bildet, als auch für das dynastische Recht, das sich insbesondere in den Hausverträ‐ gen in Form der Erbeinungen widerspiegelte. Im vorliegenden Fall wurden die Sicherheitskonzeptionen mit dem Reichsstaats- sowie dynastischen Recht begründet. Hierdurch wurde, weil der Verhandlungsweg zusammengebrochen war, auch klar, dass auf Basis der Ressource Recht dieses Sicherheitsproblem nicht gelöst werden konn‐ te. Jede Deutung generierte stattdessen Unsicherheit. Dies wurde durch die auf beiden Seiten stattfindenden militärischen Rüstungen verstärkt. Hinzu kam aus Perspektive der evangelischen Stände das Auftreten Kursachsens. Schließlich führten die verschiedenen Interpretationen dazu, dass die ei‐ gentliche Böhmen-Problematik verkompliziert wurde. Es waren zwei zentrale Gründe, warum die Wahl Friedrichs V. durch seine böhmische Politik zu einem dynastischen-staatsrechtlichen Problem der Wettiner gemacht wurde, sich also der Weimarer Herzog von Dresden entfernte und auf die Seite Friedrichs stellte. Eine wesentliche Ursache war das innerwettinische Machtgefälle. Einerseits ist der Primogeniturund Präzedenzstreit zu nennen, der aus Weimarer Perspektive nie ord‐ nungsgemäß gelöst worden war. Er verdeutlichte in aller Klarheit die kur‐ sächsischen Versuche, die Weimarer Politik zu lenken. Dies prallte indes auf die insbesondere von Hortleder forcierte starke Stellung des Weimarer Herzogs als freier Reichsfürst. Dieses politische Handeln stellte er in den Dienst der ständischen Libertät. Dies bedeutete selbstverständlich, dass er in der Reichspolitik auch eigenständig agieren konnte. In diesem Sinne ist auch sein Gutachten einzuordnen. Der Kurfürst sah hierin indes nicht nur einen Angriff auf seine Präeminenz, sondern auch eine massive Gefähr‐ dung des inneren Hausfriedens. Zudem barg aus seiner und auch aus Sicht 542 Pulverfass Böhmen der Universität das Vorgehen des Herzogs erhebliche Gefahren für die sächsischen Territorien. Schließlich konnte die Unterstützung Friedrichs ihren Beitrag dazu leisten, dass der Krieg ins Reich hineintransportiert wurde. Eine zweite Ursache, warum sich der Herzog auf eine Intervention in Böhmen einließ und womit zugleich die Legitimität seines Handelns be‐ gründet werden sollte, waren die vertraglichen Bestimmungen der Erbei‐ nungen. Insbesondere Hortleder stieß ihn in diese Richtung und erklärte bereits 1618, dass das Haus aufgrund der Erbeinungen im Fall der Fälle zu einer potenziellen Unterstützung der böhmischen Stände verpflichtet sei. Dies wurde in dem Moment zum Problem, als Friedrich zum König ge‐ wählt und gekrönt wurde. Die Frage, die sich nun stellte, war, ob die zwi‐ schen dem Haus Sachsen und dem König von Böhmen vorangegangenen Erbeinungen auch für den Pfälzer Kurfürsten galten. Hortleder und der Herzog bejahten dies, der Senat der Universität Jena und der Kurfürst lehnten dies aus guten Gründen ab. Mit Blick auf den Weimarer Herzog ist dabei zu konstatieren, dass sich dieser nicht blindlings in ein Abenteuer Böhmen stützte. Vielmehr wog er die beiden Positionen der Assistenz bzw. der Neutralität ab. Am Ende setzte sich, trotz Einbezug des Senats-Gutachtens, die hortlederische Auf‐ fassung durch, die der Gelehrte unmittelbar nach dem Prager Fenstersturz formuliert hatte. Hortleder profitierte hierbei von seiner starken Stellung im Umfeld des Weimarer Herzogs, die er seit der Übernahme der Erzie‐ hung der Weimarer Prinzen innehatte und stetig ausbaute. Der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges zeigt damit, dass die Res‐ source Recht – ähnlich wie die Konfession – kein neutrales und damit ein potenziell auch sicherheitsgefährdendes Element des frühmodernen wer‐ denden Staates war. Rechtsfragen waren in diesem Sinne Sicherheitsfra‐ gen. 543