Academia.eduAcademia.edu
Goethe-Universität Frankfurt am Main Institut für Soziologie Veranstaltung: Soziologie der Kommunikation Dozent: Prof. Thomas Ley Wintersemester 2016/17 Unwahrscheinlichkeit und Medien der Kommunikation in der Systemtheorie von Niklas Luhmann Zum Erwerb des Leistungsscheins im Modul „Soziologische Theorien“ vorgelegt von: Martin Ebendorff Verfasser: Studiengang: Fachsemester: Matrikelnummer: Email-Adresse: Anschrift: Martin Ebendorff Soziologie BA Hauptfach 05 5778272 s7002326@stud.uni-frankfurt.de Marburger Straße 30, 60487 Frankfurt am Main Inhalt Einleitung ................................................................................................................................... 3 1 Grundbegriffe der Systemtheorie von Niklas Luhmann: System und Umwelt, Beobachtung und Konstruktivismus ................................................................................... 4 2 Kommunikation als eine Synthese von drei Selektionen .................................................... 6 3 Doppelte Kontingenz und die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation ...................... 10 4 Sprache, Verbreitungsmedien und Erfolgsmedien ............................................................ 13 Zusammenfassung .................................................................................................................... 17 Literatur .................................................................................................................................... 18 Erklärung zur Prüfungsleistung ................................................................................................ 19 Einleitung Niklas Luhmann gilt als einer der bedeutendsten Soziologen des 20. Jahrhunderts. Mit seiner Systemtheorie1 hat er ein neues Paradigma in der Soziologie geschaffen und sich an der systemtheoretischen Neubeschreibung vieler ihrer Gegenstände versucht. Sein Anspruch ist nicht der einer politisch-emanzipatorische Intervention, als welche sich die Beiträge der Kritischen Theorie von Adorno bis Habermas verstehen; so lehnt er Theoriebildung mit normativem Anspruch ab. Theorien, die an der Komplexität der modernen Gesellschaft scheitern, können für Luhmann keine befriedigenden Ausblicke auf andere, vermeintlich bessere Gesellschaftsordnungen bieten. Wenn überhaupt, so liegt der Ausweg für Luhmann in der bloßen Beschreibung, welche Orientierung verschaffen soll. Die Systemtheorie zielt auf eine maximale theoretische Abstraktion. Sie soll auf alle gesellschaftlichen Phänomene angewendet werden können und befasst sich weniger mit der Erklärung eingegrenzter empirischer Phänomene als vielmehr mit der Bereitstellung eines begrifflichen Rahmens, der völlig unterschiedliche Phänomene vergleichbar machen soll. Die systematische Entfaltung dieses Rahmens geschah vor allem in seinen beiden Hauptwerken, Soziale Systeme (Luhmann 1984) und Die Gesellschaft der Gesellschaft (Luhmann 1997). In der Zeit zwischen diesen zwei Werken hat er zahlreiche Werke zu Funktionssystemen innerhalb der Gesellschaft geschrieben, um den systemtheoretischen Begriffsrahmen durch Anwendung auf der Empirie näherstehende Felder weiter fundieren zu können. Für Luhmann ist im Gegensatz zu anderen Gesellschaftstheoretiker*innen Kommunikation die Letzteinheit der Gesellschaft, und nicht Handlung. Gesellschaft ist für ihn prozessierte Kommunikation. Ihre Existenz ist nicht an Bedingungen normativer Integration gekoppelt, sondern an die Existenz von Kommunikation, und da diese heute weltumfassend ist2, muss von der Weltgesellschaft gesprochen werden statt von einer deutschen, chinesischen oder europäischen Gesellschaft. Doch was bedeutet es, wenn Kommunikation das ist, was die Welt zusammenhält, und nicht etwa Werte, Handlungen oder Bewusstseinszustände? In dieser Arbeit soll Luhmanns Kommunikationsverständnis durch die Beantwortung folgender Frage verständlich gemacht werden: Warum ist in der Systemtheorie Kommunikation unwahrscheinlich, und welche Mechanismen sind an ihrer Wahrscheinlichmachung beteiligt? Diese Es gibt auch andere soziologische Systemtheorien als die von Luhmann, etwa die von Talcott Parsons. Im Folgenden ist aber immer die Luhmannsche Systemtheorie gemeint. 2 Vielleicht abgesehen von einigen isolierten Völkern irgendwo im Amazonasbecken. 1 3 Frage ließe sich auch ganz anders stellen, allerdings mit ähnlichen Ergebnissen, was sich hoffentlich im Laufe dieser Arbeit herausstellen wird: Was ist für Luhmann soziale Ordnung, und wie kommt sie zustande? Im ersten Abschnitt (1) werde ich zunächst einige Grundbegriffe der Systemtheorie erläutern, die im weiteren Verlauf der Arbeit vorausgesetzt werden müssen. Im zweiten Abschnitt (2) werde ich Luhmanns Kommunikationsbegriff als eine Synthese von drei Selektionen entfalten und anschließend auf sein Verhältnis zu Handlung eingehen. Im dritten Abschnitt (3) wird der erste Teil der Forschungsfrage beantwortet. Ich werde zu zeigen versuchen, dass die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation aus metatheoretischen Überlegungen und der doppelten Kontingenz hervorgeht. Im vierten Abschnitt (4) will ich zeigen, wie Sprache, Verbreitungsund Erfolgsmedien zur (Un-)Wahrscheinlichmachung der Kommunikation beitragen. Im letzten Abschnitt soll eine kurze Zusammenfassung gegeben werden. 1 Grundbegriffe der Systemtheorie von Niklas Luhmann: System und Um- welt, Beobachtung und Konstruktivismus Im Folgenden werde ich einige Grundbegriffe der Systemtheorie erläutern, welche zum Verständnis ihres Kommunikationsbegriffes vorausgesetzt werden müssen. Da die Begriffe der Systemtheorie zirkulär und nicht auf hierarchische Weise miteinander verwiesen sind, ist das Herauspicken von Grundbegriffen ein durchaus willkürlicher Akt; man könnte die Theorie sicherlich auch von anderen Begriffen ausgehend entfalten. System und Umwelt, Beobachtung und Konstruktivismus scheinen mir persönlich diejenigen Begriffe zu sein, welche am geeignetsten sind, um eine grobe Orientierung über ihren Aufbau zu erlangen. Luhmann geht von einer Vielzahl von Systemen aus (Luhmann 1984: 16), von denen bloß zwei für seine Gesellschaftstheorie relevant sind: psychische Systeme und soziale Systeme. Statt vom Subjekt, dem Individuum oder gar vom Menschen zu sprechen, bevorzugt Luhmann den Begriff des psychischen Systems. Damit wird ein bisher unbelasteter Begriff eingeführt, der sich von philosophischen Implikationen eines Subjektbegriffs absetzen kann. Der Begriff des Menschen hingegen ist Luhmann zu ungenau, wo der Mensch doch sowohl ein biologisches System ist als auch ein psychisches. Aber was ist nun ein System? System und Umwelt gehören immer zusammen und bedingen sich gegenseitig, wobei es vom jeweiligen Beobachter abhängig ist, was System ist und was Umwelt. Systeme sind einander Umwelt und können in Subsysteme untergliedert sein, welche ebenfalls einander Umwelt sind. 4 Ein System ist das Resultat seiner eigenen grenzziehenden Operationen, durch die es sich von der Umwelt unterscheidet (Baraldi et al. 1997: 195f.). Soziale oder psychische Systeme sind selbstreferentiell und operativ geschlossen; d.h. sie reproduzieren sich selbstständig durch ihre eigenen Operationen. Psychische Systeme operieren durch Gedanken, soziale Systeme operieren durch Kommunikationen (ebd.: 29), und diese Operationen kommen nur innerhalb ihrer je eigenen Systemgrenzen vor. Innerhalb eines sozialen Systems kann Kommunikation nur an Kommunikation anschließen und innerhalb eines psychischen Systems kann ein Gedanke nur an einen Gedanken anschließen. Solche Systeme nennt Luhmann autopoietisch. Zum Ineinandergreifen, also zur operativen Kopplung zwischen sozialem und psychischem System kommt es immer dann, wenn ein Gedanke an eine Kommunikation anschließt oder wenn ein Gedanke kommuniziert wird. Soziale oder psychische Systeme stehen nie in direktem Kontakt zu ihrer Umwelt, aber sie können von ihr irritiert werden. Sie nehmen keine Informationen aus der Umwelt auf, sondern müssen diese erst durch Beobachtungen gewinnen, die eigene Konstruktionsleistungen sind und kein Abbild der (Um-)Welt. Für Luhmann ist Beobachtung die Einheit der Differenz zwischen Unterscheiden und Bezeichnen, und wenn ein System beobachtet, dann trifft es immer eine Unterscheidung, wobei nur eine Seite der Unterscheidung bezeichnet wird (ebd.: 123ff.). „‘Beobachtung‘ stellt den Oberbegriff dar für solche Sachverhalte wie Denken, Handeln, Wahrnehmen, Kommunizieren, denn all diese Vorgänge leben davon, dass sie Unterscheidungen benutzen. Gedanken denken an dieses – und nicht an jenes. Man versucht, dieses Ziel durch solche Handlungen zu erreichen, und nicht jenes Ziel durch andere Handlungen. Man teilt diese Information mit, nicht jene, die aber auch anders verstanden werden könnte.“ (Schützeichel 2004: 246) Beobachtungen sind also eine grundlegende Operation sozialer und psychischer Systeme, denn sowohl Kommunikationen als auch Gedanken sind nur dann möglich, wenn etwas unterschieden und bezeichnet werden kann. Durch die Ausblendung bzw. Unverfügbarkeit der nicht-bezeichneten Seite für Anschlussoperationen entsteht jene Selektivität, die Voraussetzung aller Informationsverarbeitung ist. Wenn ich eine Tasse nicht von nicht-Tassen unterscheiden kann, kann ich sie weder denken, noch über sie sprechen. Beobachten ist also die Voraussetzung dafür, dass Operationen an vorherige Operationen anschließen können. Die Bezeichnung fungiert hier als eine Markierung, an die weiter angeschlossen werden und die mit anderen Bezeichnungen in Relation gesetzt werden kann. Sie ist eine Selektion, weil sie nur auf einen kleinen Ausschnitt vieler Möglichkeiten verweist. Ich kann ein Objekt je nach Kontext als Tasse, als Geschenk oder als Kunst beobachten bzw. bezeichnen (und damit von allen anderen nicht-Tassen usw. unterscheiden), was zu ganz unterschiedlichen Anschlussoperationen führen kann, da jede dieser Bezeichnungen über einen anderen Verweisungshorizont verfügt. Wenn man mir eine Tasse 5 in die Hand drückt, werde ich mich anders verhalten als wenn es ein Kunstgegenstand ist oder ein Geschenk, auch wenn es sich um dasselbe physikalische Objekt handelt. Luhmann ist sich der Kontingenz jeglicher Beobachtungen bewusst und macht deutlich, dass sie auch für seine Beobachtungen (die Systemtheorie) gilt: „Die Aussage ‚es gibt Systeme‘ besagt also nur, daß es Forschungsgegenstände gibt, die Merkmale aufweisen, die es rechtfertigen, den Systembegriff anzuwenden; so wie umgekehrt dieser Begriff dazu dient, Sachverhalte herauszuabstrahieren, die unter diesem Gesichtspunkt miteinander und mit andersartigen Sachverhalten auf gleich/ungleich hin vergleichbar sind.“ (Luhmann 1984: 16) Ein System bzw. die System-Umwelt-Differenz ist demnach keine ontische Entität in der Welt als vielmehr ein Beobachtungswerkzeug bzw. eine nützliche Konstruktion, mit der sich neue Informationen und Schlussfolgerungen gewinnen lassen, so zumindest Luhmanns Hoffnung. Die Systemtheorie beobachtet Gesellschaft nicht von einem archimedischen Punkt aus, was für Luhmann ein aussichtsloses Unterfangen ist. Indem sie Beobachtungen in der Gesellschaft als Teil der Gesellschaft beobachtet, beteiligt sie sich an der gesellschaftlichen Selbstbeschreibung (vgl. Luhmann 1986). Somit erscheint die Systemtheorie sich selbst als einer ihrer Gegenstände (Luhmann 1981: 11); sie ist ebenso selbstreferentiell wie ihre Gegenstände, was ihr eine besondere Fähigkeit zur Selbstreflexion ermöglicht. Soviel zu den Konsequenzen des radikalen Konstruktivismus für die (systemtheoretische) Theoriebildung. Widmen wir uns nochmal den sozialen Systemen. Die Gesellschaft als das allumfassende soziale System ist in zahlreiche Subsysteme untergliedert, etwa in das Rechts-, Wissenschafts-, oder Wirtschaftssystem. Diese Funktionssysteme zeichnen sich durch einen jeweils spezifischen Binärcode aus, durch den sie ihre Umwelt beobachten. So orientiert sich zum Beispiel das Wissenschaftssystem entlang der Differenz von wahr/nicht-wahr (vgl. Abschnitt 4). Es beobachtet sich selbst und seine Umwelt, also Kommunikationen anderer Subsysteme daraufhin, ob sie wahr sind oder nicht (Baraldi et al. 1997: 211). Kommunikation ist also immer dann wissenschaftlich, wenn sie vorherige Kommunikationen als wahr oder nicht-wahr zuordnet. Dazu muss sie aber auf Theorien oder Methoden zurückgreifen, die selbst wissenschaftlich sein müssen (ebd.: 212), damit ihre Zuordnung als wissenschaftlich akzeptiert werden kann. 2 Kommunikation als eine Synthese von drei Selektionen Für Luhmann ist Kommunikation eine Synthese dreier Selektionen: Information, Mitteilung, Verstehen (Luhmann 1984: 195ff.). Informationen sind Beobachtungen, welche einen Neuigkeitswert haben und den Erwartungen von psychischen oder sozialen Systemen widersprechen 6 (Baraldi et al. 1997: 76). Sie kommen als systeminterne und damit beobachterabhängige Ereignisse immer dann Zustande, wenn ein System von seiner Umwelt irritiert wird und diese Irritation durch seine eigenen Strukturen bearbeiten kann; wenn also eine Beobachtung zu einer Strukturveränderung führt. Eine Information ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht (ebd.). Sie ist ein Unterschied, weil sie eine Möglichkeit ist aus einem Horizont weiterer Möglichkeiten, von dem sie sich unterscheidet. Sie macht einen Unterschied, weil diese Möglichkeit von den erwarteten Möglichkeiten abweicht und die Erwartungen zu einer Veränderung zwingt. Wenn eine Information den Systemzustand bzw. die Strukturen des Systems verändert hat (im Falle eines sozialen Systems sind das Erwartungen), verschwindet ihr Neuigkeitswert bei weiteren Wiederholungen (ebd.: 77), bis sie irgendwann keine Information mehr ist. Da Informationen systemintern produziert werden und als Ereignis im Moment ihrer Entstehung auch schon Verschwinden, können sie nicht übertragen werden, wie es andere Kommunikationstheorien behaupten. Ich kann eine Information schriftlich, mündlich, gestisch, durch Blicke oder durch meine Körperhaltung mitteilen und dabei verschiedene Möglichkeiten wählen, dies zu tun, wobei die Wahl nicht bewusst stattfinden muss. Eine Mitteilung ist eine Selektion; sie ist eine Möglichkeit unter vielen und hätte auch anders gewählt werden können. Doch zur Kommunikation wird ein Mitteilungsverhalten erst dann, wenn es verstanden wird, und nur dann kann es auch zu einer Anschlusskommunikation kommen. Die Differenz zwischen Information und Mitteilung ist Verstehen. Verstehen ist erst dann möglich, wenn man in der Lage ist „das Mitteilungsverhalten von dem zu unterscheiden, was es mitteilt“ (Luhmann 1984: 198). Wenn man Information und Mitteilung nicht unterscheidet, dann findet bloß eine „Wahrnehmung von informativen Ereignissen“ (ebd.) statt, aber keine Kommunikation. So wird zum Beispiel ein Zuwinken nur dann zur Kommunikation, wenn es verstanden wird, wenn also die Differenz zwischen Information und Mitteilung beobachtet wird, wenn ich also der mir zuwinkenden Person eine Mitteilungsabsicht zurechne, der ich wiederum bestimmte Gründe zuschreiben kann, die anders sein könnten (Baraldi et al. 1997: 89). Wenn ich Information und Mitteilung nicht unterscheide, würde ich die Handbewegung vielleicht als Ausdruck eines physiologischen Reflexes o.Ä. interpretieren, nicht aber als Gruß. Für Luhmann ist Verstehen immer auch Missverstehen. Da Systeme operativ geschlossen sind und damit einander Umwelt, können sie nicht die internen Operationen anderer Systeme beobachten, sondern nur die Kommunikation. Sie können aber jede Anschlusskommunikation daraufhin prüfen, „ob die vorausgehende Kommunikation verstanden worden ist“ (Luhmann 7 1984: 198), und wenn der Test negativ ausfällt, besteht „Anlaß zu einer reflexiven Kommunikation über Kommunikation“ (ebd.). Kommunikation besteht aber auch dann, wenn Person A keine Mitteilungsabsicht hat, Person B ihr aber eine solche zuschreibt (durch Beobachtung einer Differenz zwischen Information und Mitteilung) und sich in einer Anschlusskommunikation auf diese Differenz bezieht. Und wenn Person B etwas kommuniziert hat, liegt es nicht mehr in ihrer Hand, was mit ihrer Kommunikation geschieht. Sie kann zwar durch weitere Kommunikation versuchen, so auf Person A einzuwirken, dass sie verstanden wird wie sie verstanden werden will, doch aufgrund der Möglichkeit von unaufrichtiger Kommunikation oder einer mangelnden Bereitschaft von Person A, so zu verstehen, wie es von ihr verlangt wird, und der Tatsache, dass in Kommunikationen immer nur ein Bruchteil der Informationen psychischer Systeme eingehen können (Luhmann 1992: 27), kann sich Person B nie endgültig sicher sein, ob sie auch ‚wirklich‘ richtig verstanden worden ist. Das kann Dynamiken entfachen und zu Situationen führen, die von keinem gewollt oder geplant waren. Dies alles stützt Luhmanns Auffassung der operativen Schließung von psychischen und sozialen Systemen, von Bewusstsein und Kommunikation, und diese Einsicht lässt sich wie folgt zusammenfassen: „Der Mensch kann nicht kommunizieren; nur die Kommunikation kann kommunizieren“ (ebd.: 31). Psychische Systeme können die Bedeutung ihrer Gedanken nicht übertragen; und wenn man die Bedeutung eines Gedankens als seine Relation zu anderen Gedanken definiert3, dann müsste sich das psychische System selbst übertragen können oder doch zumindest seinen aktuell nutzbaren Verweisungszusammenhang, damit seine Gedanken wirklich verstanden werden könnten. Doch dann wäre es nicht mehr operativ geschlossen, es wäre transparent, beobachtbar, und folglich mit seiner Umwelt verschmolzen. Es könne nicht mehr kommunizieren – und müsste dies auch nicht mehr tun.4 Daraus folgt, dass Kommunikation nicht trotz, sondern wegen der operativen Geschlossenheit von psychischen oder sozialen Systemen überhaupt erst möglich ist; dies allerdings nur, solange diese durch Umweltirritationen neue Informationen gewinnen und ihre Strukturen entsprechend (an die Umwelt) anpassen können. Kommunikation als solche ist ein Ereignis ohne Dauer; ein Kommunikationsprozess entsteht erst durch Anschlusskommunikationen (Baraldi et al. 1997: 91). Damit ein solcher zustande kommen kann, ist eine vierte Selektion nötig, welche sich außerhalb der Elementareinheit von Mir ist nicht bekannt, dass Luhmann Bedeutung so definiert. Mit Bedeutung im Sinne von subjektivem Sinn kann die Theorie sozialer Systeme nur wenig anfangen; eine Theorie psychischer Systeme wohl schon eher, so etwa die Phänomenologie, von der Luhmann wichtige Impulse erhalten hat (vgl. Luhmann 1996). Ich verwende diesen Begriff nur, um meine Argumentation besser illustrieren zu können. 4 Zu einer ähnlichen Situation käme es auch bei der doppelten Kontingenz in Reinform. Siehe dazu Abschnitt 3. 3 8 Kommunikation befindet, also jenseits der Synthese von Information, Mitteilung und Verstehen. Sie liegt in der „Annahme bzw. Ablehnung der mitgeteilten Sinnreduktion […] als Prämisse eigenen Handelns“ (Luhmann 1984: 203). Sinnreduktion bedeutet hier, dass die mitgeteilte Information Anschlussmöglichkeiten weiterer Kommunikationen einschränkt. Wenn ich zum Beispiel eine mir mitgeteilte Information annehme, die besagt, dass eine Person unschuldig ist, so kann ich damit rechnen, dass man mich selbst verurteilen würde, falls ich sie weiterhin wie eine schuldige Person behandeln würde. Wenn ich diese Information nicht annehme, so werde ich mich vielleicht dafür rechtfertigen müssen und Gründe für meine Ablehnung benennen müssen, um nicht selbst abgelehnt zu werden. Das Annehmen bzw. Ablehnen der Information hat für mich wie für andere Konsequenzen, die sich aus den durch sie eröffneten oder eingeschränkten Anschlussmöglichkeiten ergeben. Wenn ich eine Information annehme, kann ich mein Handeln an ihr orientieren und dadurch verändern. Doch auch bei Ablehnung wird sie meinen Zustand verändert haben, auch wenn mir das nicht bewusst ist (ebd.). Man kommuniziert bei jeder Anschlusskommunikation (und zumeist implizit) mit, ob man die Sinnreduktion der vorherigen Kommunikation angenommen hat oder nicht. Doch es gibt Fälle, wo man Kommunikatoren bzw. ihre Anschlusskommunikationen nicht daraufhin prüfen kann, ob sie die vorherige Kommunikation richtig verstanden haben, etwa, wenn ihre Kommunikation unaufrichtig ist. Eine andere Möglichkeit ist die Wahl einer Anschlusskommunikation, deren Verweisungshorizont keine Überschneidungen mit dem der vorherigen Kommunikation hat. Wenn der eigene Beitrag kein Bezug zum Thema der vorherigen Kommunikation hat, kann nicht festgestellt werden, ob er die mitgeteilte Sinnreduktion annimmt oder ablehnt. Dadurch kann jedoch der ganze Kommunikationsprozess ins Stocken geraten, welcher für Luhmann typischerweise anhand der Differenz von Thema und Beitrag strukturiert ist: „Kommunikationszusammenhänge müssen durch Themen geordnet werden, auf die sich Beiträge zum Thema beziehen können. Themen überdauern Beiträge, sie fassen verschiedene Beiträge zu einem länger dauernden, kurzfristigen oder auch langfristigen Sinnzusammenhang zusammen. Über einige Themen kann man ewig, über andere fast endlos reden. Auch reguliert sich über Themen, wer was beitragen kann. Themen diskriminieren die Beiträge und damit auch die Beiträger.“ (ebd.: 213) Das Passen eines Beitrages zum Thema wird fortlaufend immer wieder neu ausgehandelt. Themen können sich ändern oder abgelehnt werden, etwa, weil sie übersättigt und damit langweilig geworden sind, oder weil sie zu Reaktionen führen könnten, die nicht erwünscht sind. Nach meinen Ausführungen zum Kommunikationsbegriff der Systemtheorie bleibt noch eine Frage unbeantwortet; nämlich die nach dem Verhältnis zwischen Kommunikation und Handlung. Kommunikation als solche ist für Luhmann unbeobachtbar; sie wird immer in der Form 9 von Handlung beobachtet (ebd.: 226). Ein an sich ungerichteter, zwischen den Kommunikatoren symmetrisch ablaufender Prozess wird zeitlich sequenziert und in Einheiten zerteilt, die auf Personen oder soziale Systeme zugerechnet werden und damit eine Zuschreibung von Kausalrelationen ermöglichen. Diese Einheiten sind Handlungen; und durch sie wird die Kommunikation asymmetrisiert, denn „erst dadurch erhält sie eine Richtung vom Mitteilenden auf den Mitteilungsempfänger“ (ebd.: 227), wo doch Kommunikation als solche immer in beide Richtungen verläuft. Eine Anschlusskommunikation ist nur dann möglich, wenn die vorherige Kommunikation als Handlung beobachtet wurde. Dabei wird sie als Punkt markiert, an den neue Gedanken oder Kommunikationen anschließen können; sie ist Teil der Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung der Gesellschaft geworden. „Was eine Einzelhandlung ist, läßt sich […] nur aufgrund einer sozialen Beschreibung ermitteln“ (ebd.: 228). Handlungen als ontologische Entität existieren nicht. Sie sind komplexitätsreduzierende Konstruktionen, eine Art Deutungsmuster, ohne die soziale Systeme allerdings keine Anschlusspunkte für weitere Operationen hätten, was ihre autopoietische Selbstreproduktion kappen würde (ebd.: 230). Wenn die Zuschreibungsregeln der Kommunizierenden in ausreichendem Maße übereinstimmen, wenn sie alle bestimmte Sequenzen eines Kommunikationsprozesses als eine bestimmte Handlung beobachten, „haben es [alle, Anm. d. Verf.] im Moment mit dem gleichen Objekt zu tun, und daraus ergibt sich eine Multiplikation der Anschlussmöglichkeiten für den nächsten Moment“ (ebd.: 231, Hervorh. i. O.). Wenn Kommunikation als Handlung beobachtet wird, werden soziale Situationen synchronisiert, aber dies bedeutet nicht, dass Kommunikation automatisch zur Herstellung von Konsens führt (ebd.: 231, 237). Ihre Leistung besteht nicht in Integration; sondern in einer komplexitätsreduzierenden Überführung von Umweltirritationen und Störungen in eine anschlussfähige Form, welche dadurch extern weiterbehandelt werden kann. Diese Weiterbehandlung geschieht durch die Fortsetzung der Kommunikation in sozialen Systemen und durch eventuell daran anschließende Gedanken. Kurz zusammengefasst: soziale Systeme bestehen „aus Kommunikationen und […] deren Zurechnung als Handlung“ (ebd.: 240). 3 Doppelte Kontingenz und die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation Nachdem ich im ersten Abschnitt einige Grundbegriffe der Systemtheorie erläutert habe und im zweiten Abschnitt ihr Kommunikationsverständnis, so werde ich im Folgenden zu erklären versuchen, warum Luhmann das Zustandekommen von Kommunikation als unwahrscheinlich betrachtet. Dazu werde ich zunächst einige seiner metatheoretischen Überlegungen wiedergeben müssen, bevor ich mich der doppelten Kontingenz zuwende und damit dem Problem der Emergenz von Kommunikation. 10 „Kommunikation ist unwahrscheinlich. Sie ist unwahrscheinlich, obwohl wir sie jeden Tag erleben, praktizieren und ohne sie nicht leben würden“ (Luhmann 1981: 26). Dieser paradox klingende Satz wird erst dann verständlich, wenn er mit metatheoretischen Vorentscheidungen in Verbindung gebracht wird. Luhmann unterscheidet zwei Typen von Theorie. Der erste Typ will die Verhältnisse verbessern, wozu er eine Ordnung oder eine Normalität voraussetzt, um ihre Abweichungen und Defekte zu problematisieren (ebd.: 11, 25). Für Luhmann sind die meisten Theorien der Soziologie diesem Theorietypus zugehörig, am prominentesten die Kritische Theorie. Luhmann entscheidet sich für den zweiten Theorietypus: „Zum anderen Theoriemodell geht man über in dem Maße, als man gerade das Normale für unwahrscheinlich hält“ (ebd.: 12). Normalität wird als unwahrscheinlich problematisiert, um nach Gründen fragen zu können, die sie dennoch zu einem wahrscheinlichen und damit normalen Ereignis machen (ebd.). Sie wird nicht als selbstverständlich, sondern immer schon als eine Lösung für ein bestimmtes Problem betrachtet, welches auch anders gelöst werden könnte (Luhmann 1984: 162f.). Wenn man Kommunikation als unwahrscheinlich betrachtet, kann man zahlreiche Probleme entdecken, die ihr Zustandekommen behindern. Es ist unwahrscheinlich, dass man versteht, was eine andere Person meint, denn „Sinn kann nur Kontextgebunden verstanden werden, und als Kontext fungiert für jeden zunächst einmal das, was sein eigenes Gedächtnis bereitstellt“ (Luhmann 1981: 26). Wie kann also Sinn verstanden werden, wo doch jedes Gedächtnis individuell anders strukturiert ist? Ein zweites Problem ist die Unwahrscheinlichkeit des Erreichens von Empfängern. „Es ist unwahrscheinlich, daß eine Kommunikation mehr Personen erreicht, als in einer konkreten Situation anwesend sind“ (ebd.). In einer solchen Situation herrscht noch genug Aufmerksamkeit zur Wahrnehmung und Erwiderung einer Kommunikation, aber räumliche und zeitliche Distanzen sorgen für Verbreitungsschwierigkeiten. Doch selbst wenn die Kommunikation über „bewegliche und zeitbeständige Träger“ (ebd.) verfügt, ist noch keinesfalls gesichert, dass sie Aufmerksamkeit bekommt, denn „[i]n anderen Situationen haben die Leute etwas anderes zu tun“ (ebd.). Die dritte Unwahrscheinlichkeit betrifft den Erfolg einer Kommunikation. Nur wenn ich eine Kommunikation verstehe, muss ich noch lange nicht ihre Information annehmen (vgl. Abschnitt 2 und 4). Luhmann begründet die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation mit der Unwahrscheinlichkeit von Verstehen, Verbreitung und Erfolg. Dazu verweist er – durchaus ungewöhnlich für seinen Theoriestil – auf folgende anthropologische Grundannahme: „Diese Unwahrscheinlichkeiten sind nicht nur Hindernisse für das Ankommen einer Kommunikation beim Adressaten; sie wirken zugleich als Schwellen der Entmutigung und führen zum Unterlassen einer 11 Kommunikation, die man für aussichtslos hält […]. Man wird Kommunikationen unterlassen, wenn Erreichen von Personen, Verständnis und Erfolg nicht ausreichend als gesichert erscheinen“ (ebd.: 27). Weil soziale Systeme prozessierte Kommunikation sind und umgekehrt, können sie erst dann entstehen, wenn die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation überwunden wird. Dazu muss das Problem der doppelten Kontingenz gleich mitüberwunden werden. Psychische Systeme sind einander intransparent (‚black boxes‘); sie können die Selektionskriterien eines anderen Systems nicht beobachten, und wenn keine Kommunikation stattgefunden hat, auch nicht erschließen. Deshalb beobachten sie ihre Selektionen wechselseitig als kontingent, da sie weder Wissen noch Erfahrungen zur Hand haben, die ihnen Sicherheit darüber geben könnten, was als nächstes passiert (Baraldi et al. 1997: 37f.). Keine Reaktion des Gegenübers ist notwendig, aber jede möglich. So erweist sich die Situation als unvorhersehbar, und so ist eine Entscheidung über das zu wählende Verhalten unmöglich, wo doch keinerlei Kriterien zur Verfügung stehen, anhand derer man entscheiden könnte, was richtig wäre und was falsch. „Kontingenz […] entsteht dadurch, daß Systeme auch andere Zustände annehmen können, und sie wird zur doppelten Kontingenz, sobald Systeme die Selektion eigener Zustände darauf abstellen, daß andere Systeme kontingent sind“ (Luhmann 1975: 171). Wenn psychische Systeme ihr Handeln wechselseitig voneinander abhängig machen, ohne ihr Handeln wechselseitig beobachten zu können, kommt es zur Verhaltensunbestimmbarkeit. Diese kann nur dann überwunden werden, wenn man ins Blaue hinein handelt und dabei riskiert, überrascht oder enttäuscht zu werden (Baraldi et al. 1997: 39). Genau dieser Akt führt zur Emergenz eines sozialen Systems; durch Kommunikation können nun Handlungen wechselseitig beobachtet und Erwartungen aufgebaut werden, welche die Kommunikation ordnen und größere Strukturen bilden. „Ein soziales System entsteht, weil es in einer Situation der doppelten Kontingenz keine Sicherheit gibt“ (ebd.). Damit wäre die doppelte Kontingenz (vorübergehend und partiell) gelöst, wobei sie weder in Reinform bestehen, noch endgültig gelöst werden kann (ebd.). Würde sie in Reinform bestehen, so hätte ich nicht die geringste Vorstellung darüber, wie auf meine Kommunikation reagiert werden könnte. Es gäbe keinen Kondensationspunkt und keine Anschlussmöglichkeiten für Handlungsoptionen; keine Handlungsoption erschiene mir besser als eine andere, womit ich selektions- und damit handlungsunfähig wäre. Doch in der Regel sehe ich die Person, mit der ich kommuniziere, und selbst wenn nicht, kann ich mir etwa aufgrund des Kontextes, in dem sich die Kommunikation anbahnt, erste Vorstellungen machen, welche ich aber erst durch Kommunikation überprüfen kann. Wäre die doppelte Kontingenz hingegen endgültig gelöst, so hätte ich keinerlei Gründe zur Kommunikation, da mir alles bekannt und planbar erscheinen würde. 12 Was ich auch kommunizieren würde, die Reaktion wäre mir bekannt und die Kommunikation damit überflüssig. Soziale Systeme sind also eine in die Wahrscheinlichkeit überführte Kommunikation und gründen auf Unsicherheit (Luhmann 1981: 28), welche zwar nicht gänzlich überwunden, aber doch meist im Zaum gehalten werden kann. Dies geschieht im Allgemeinen durch Erwartungsstrukturen, zu denen auch Erfolgsmedien gehören, die wiederum auf Sprache und Verbreitungsmedien aufbauen. 4 Sprache, Verbreitungsmedien und Erfolgsmedien Warum ist in der Systemtheorie Kommunikation unwahrscheinlich, und welche Mechanismen sind an ihrer Wahrscheinlichmachung beteiligt? Meine Forschungsfrage wurde im vorherigen Abschnitt noch recht ungenau beantwortet. Dies will ich nun korrigieren, indem ich die Mechanismen ihrer Wahrscheinlichmachung ausführlicher thematisiere. Kommunikationsmedien sind die Lösung für das Problem der Unwahrscheinlichkeit des Verstehens einer Kommunikation, ihrer Verbreitung und ihres Erfolgs; sie „erfüllen die Funktion, die Unsicherheit zu regeln, den Selektionen Koordinationswahrscheinlichkeit zu sichern und die sozialen Systeme zu strukturieren“ (Baraldi et al. 1997: 39). Zunächst muss jedoch kurz geklärt werden, was Luhmann unter der Unterscheidung zwischen Medium und Form versteht. In Medien herrscht eine lose, äußeren Einwirkungen nur wenig standhalten könnende Koppelung zwischen Elementen vor; und die äußeren Einwirkungen bestehen darin, dass sie die Elemente in einer rigideren Form arrangieren können (ebd.: 58f.). Als Medium ist alles geeignet, was in Form gebracht werden kann. So ist etwa Luft das Medium für Laute, doch erst Schallwellen sorgen für eine rigidere Koppelung der ansonsten recht homogen verteilten Luftmoleküle, was die Formen schafft, die wir hören können. Luft an sich ist geräuschlos. Eine Beobachtung als Einheit der Differenz von Unterscheiden und Bezeichnen ist auch eine Form, denn nur die bezeichnete Seite ist anschlussfähig für weitere Operationen. Beim obigen Beispiel ist der Laut anschlussfähig für weitere Operationen; nur er kann in psychischen oder sozialen Systemen weiterbehandelt werden, die an sich geräuschlose Luft hingegen nicht. Medium und Form können immer nur relativ zueinander bestimmt werden, Formen können selbst wiederum Medien sein. Ohne Laute keine Sprache; ihre Elemente setzen sich „als Formen im Kontinuum der Laute durch und kondensieren in ihm als stabilere Konfigurationen; sie bilden aber zugleich ein Medium für die Übermittlung von Kommunikationsinhalten“ (ebd.: 59). Sprache, Verbreitungs- und Erfolgsmedien sorgen also für eine rigidere Koppelung von Elementen; sie ermöglichen „die ständige Produktion von Formen“ (ebd.: 60). Solche 13 Formen sind etwa Wörter, Sätze, Texte, Zahlungen, wissenschaftliche Theorien oder Rechtsnormen (ebd.). Das grundlegendste und älteste Kommunikationsmedium ist die Sprache. Sie erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Kommunikation verstanden wird: „Sie benutzt symbolische Generalisierungen, um Wahrnehmungen zu ersetzen, zu vertreten, zu aggregieren und die damit anfallenden Probleme des übereinstimmenden Verstehens zu lösen. Die Sprache ist […] darauf spezialisiert, den Eindruck des übereinstimmenden Verstehens als Basis weiteren Kommunizierens verfügbar zu machen – wie brüchig immer dieser Eindruck zustandegekommen sein mag“ (Luhmann 1981: 28). Durch Sprache kann man über etwas kommunizieren, „was nicht anwesend oder nur möglich ist“ (Baraldi et al. 1997: 180). Auch die abstraktesten, von der Wahrnehmung am weitesten entfernten Sachverhalte können durch Sprache kommuniziert und erst damit auch verstanden werden. Dies erweitert die Möglichkeiten der Kommunikation; sie kann durch Sprache komplexere Formen bilden und selbstreflexiv werden. So kann sie immer unwahrscheinlichere Formen riskieren; man kann über Dinge sprechen, die dem Partner unbekannt oder unmöglich sind, „weil Unverständnis gegebenenfalls auf reflexiver Ebene geklärt werden kann“ (ebd.: 182). Damit ist aber nicht automatisch für mehr Konsens gesorgt: „Wenn man eine Kommunikation richtig versteht, hat man umso mehr Gründe, sie abzulehnen“ (Luhmann 1981: 27). Jede sprachliche Aussage kann auch sprachlich negiert werden; dies ist bei vorsprachlicher, auf Wahrnehmung basierender Kommunikation nur begrenzt möglich. Auf der Grundlage von Sprache kam es im Laufe der soziokulturellen Evolution zur Entwicklung von Verbreitungsmedien (Baraldi et al. 1997: 199). „Verbreitungsmedien bestimmen und erweitern den Empfängerkreis einer Kommunikation. In dem Maße, in dem dieselbe Information verbreitet wird, wird Information in Redundanz verwandelt. Redundanz erübrigt Information. Sie kann zur Bestätigung sozialer Zusammengehörigkeit verwendet werden: Man erzählt schon Bekanntes, um Solidarität zu dokumentieren“ (Luhmann 1997: 202). Die Schrift ist das älteste Verbreitungsmedium; sie löst die Kommunikation aus ihrer Abhängigkeit von Interaktionssituationen direkter Anwesenheit heraus. Das ermöglicht ihr einerseits mehr Adressaten, andererseits „gewinnt die mündliche Kommunikation mit der Verfügbarkeit von schriftlichen Texten eine neue Relevanz“ (Baraldi et al. 1997: 199). Da Mitteilung und Verstehen nicht mehr zur selben Zeit am selben Ort stattfinden müssen, sind vielfältige Rekombinationen möglich, und da Schrift fixiert ist, fungiert sie als eine Art Gedächtnis, auf welches bei Bedarf immer wieder zurückgegriffen werden kann. Dies eröffnet neue Kommunikationsmöglichkeiten und befördert die Selbstreflexivität der Kommunikation (ebd.: 199f.), gleichzei14 tig schränkt Schrift aber auch die Wahrscheinlichkeit von Verstehen und Annahme der Kommunikation ein. Da sie den Kreis der Anwesenden überschritten hat, kann Unverständliches nicht mehr durch Rückschlüsse auf Routinen und Erwartungen einer direkten Interaktionssituation erschlossen werden; mangelnder Kontext erschwert die Deutung, und Rückfragen können, wenn überhaupt, nur über räumliche und zeitliche Umwege gestellt werden. Der Buchdruck hat die durch Schrift angestoßenen Gesellschaftsveränderungen verschärft, da er die Reichweite von Kommunikationen nochmals drastisch vergrößert hat. Es ist kaum noch kontrollierbar, wer was liest oder publiziert, und die dadurch eröffneten Kommunikationsmöglichkeiten haben zur Delegitimation von Eliten beigetragen. Hierarchien wurden zugunsten von Hererarchien aufgelöst, die stratifizierte Gesellschaft entwickelte sich zur funktional differenzierten Gesellschaft, welche heute in zahlreiche (teil-)autonome Funktionssysteme gegliedert ist (ebd. 200f., Luhmann 1997: 312). Diese Entwicklung führt schließlich in der modernen Gesellschaft zur Entstehung von Massenmedien. Kino und Fernsehen kombinieren optische und akustische Wahrnehmungen, erzeugen so originaltreue Realitäten und machen die Welt als ganze kommunikabel (Baraldi et al. 1997: 201). Dies verwischt jedoch die Differenz zwischen Information und Mitteilung (ebd.); Operationen der Beobachtung von Handlung als Zuschreibung an ein System müssen zumindest teilweise Operationen des Erlebens weichen als Zuschreibung an eine Umwelt (Luhmann 1975: 175). Dies macht die Kommunikation unsichtbar, obwohl sie dennoch stattfindet, nur in anderen Formen (Baraldi et al. 1997: 201). Die Selektivität von Verbreitungsmedien führt spätestens seit der Dominanz von Massenmedien zur Einschränkung dessen, „was für anschließende Kommunikationen zur Verfügung steht“ (Luhmann 1981: 28). „Die Mitteilung ist keine Selektion in der Kommunikation mehr, sondern Selektion für die Kommunikation: wer mitteilt, wählt Themen, Formen und Zeiten für eine einseitige Kommunikation aus. Etwas Ähnliches gilt für das Verstehen: wer zuhört und zuschaut, wählt aus, was er hören und sehen will. Die Selektion vollzieht sich dann nicht mehr auf der Grundlage der Koordination zwischen Mitteilung und Verstehen; diese trennen sich immer mehr“ (Baraldi et al. 1997: 201). Dies erzeugt zwar Redundanz, da die Kenntnis vieler Informationen aufgrund ihrer massenmedialen Verbreitung vorausgesetzt werden kann, andererseits entstehen immer mehr Beobachtungsstandpunkte, welche beanspruchen, die Welt als Ganze in den Blick zu bekommen. Wenn man in Interaktionen unter Anwesenden kommuniziert, „gibt es genug soziale Pressionen5, eher Angenehmes als Unangenehmes zu sagen und die Kommunikation von Ablehnungen zu unterdrücken“ (Luhmann 1997: 204). Wenn Kommunikation durch Verbreitungsmedien aus solchen 5 Dies bezeichnet den Zwang oder Anreiz, Kommunikationen anzunehmen (Luhmann 1984: 204f.). 15 Situationen herauslöst wird, wenn sie ihre Informationen vervielfacht und sich die durch sie eröffneten Perspektiven diversifizieren, so muss der Mangel an Pressionen und sich überschneidenden Realitätskonstruktionen durch Erfolgsmedien kompensiert werden. Andernfalls droht ihre Annahme – und damit die Kommunikation selbst – unwahrscheinlich zu werden (ebd.). Die wichtigsten Erfolgsmedien sind symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien6. Sie koppeln Selektion mit Motivation und erfüllen ihre Funktion, „wenn die Annahme der Selektion von der konkreten Situation unabhängig ist […]“ (Baraldi et al. 1997: 191). Beispiele für SGK sind Wahrheit, Werte, Liebe, Geld bzw. Eigentum, Kunst, Macht und Recht (ebd.: 193). Wenn beispielsweise eine Information als wahr gilt, so gilt das unabhängig von der aktuellen Kommunikationssituation; und weil sie als Wahrheit gilt, ist es wahrscheinlich, dass sie als Prämisse eigenen Handelns angenommen wird, selbst wenn sie kontraintuitiv, nur schwer verständlich oder kaum mit dem bisherigen Weltbild in Einklang zu bringen ist. „Die wichtigste strukturelle Eigenschaft symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien ist das Vorliegen eines binär schematisierenden Codes“ (ebd.). Dabei wird eine Seite des Codes bevorzugt, was ihr Wertigkeit verleiht und den Code legitimiert (Luhmann 1975: 184). Bei Wahrheit z.B. lautet der Code wahr/nicht-wahr; aber nur das wahre wird bevorzugt angenommen und damit als Referenz für Anschlussoperationen gesetzt (Baraldi et al. 1997: 193). SGK motivierten zur Annahme einer Selektion, weil man nun weiß, dass sie – obwohl sie kontingent ist – ein Resultat bestimmter Bedingungen ist, z.B. bestimmter Verfahren, die es rechtfertigen, dieser Selektion einen Wahrheitswert zuzuschreiben. Man kann sich auch selbst zur Kommunikation ermutigen, wenn man diese Bedingungen beachtet. Wenn man „seine eigenen Selektionen kommunikationslos mit einer interpretierten Realität und Intentionalität anderer […]“ (Luhmann 1975: 177) abstimmt, in der man selbst als Objekt vorkommt, so kann man den Erfolg seiner Kommunikation steigern, indem man sich an ihren Annahmebedingungen orientiert (ebd.). Dies funktioniert aber nur dann, wenn die Kommunikation entsprechende Symbole in Anspruch nimmt, welche den Gebrauch des Mediums bezeugen können (Luhmann 1997: 321); bei Wahrheit wäre dies womöglich eine wie auch immer definierte Wissenschaftlichkeit. Viele, aber längst nicht alle SGK sind an Funktionssysteme gekoppelt (vgl. Abschnitt 1), welche sich erst durch sie evolutionär entwickeln konnten (Baraldi et al. 1997: 194). Zur Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien ließe sich noch viel sagen, worauf ich hier aus 6 Im Folgenden werde ich symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien als ‚SGK‘ bezeichnen. 16 Platzgründen verzichten muss. Im Allgemeinen lässt sich noch feststellen, dass Kommunikationsmedien eine durchaus paradoxe Wirkung entfalten: „Die Kommunikationsmedien bilden [einerseits, Anm. d. Verf.] ein schwaches und formloses Substrat: Die Sprache spricht nicht, der Buchdruck bestimmt nicht, was geschrieben wird, die wissenschaftliche Wahrheit als Medium bildet keine Erkenntnis usw.“ (ebd.: 60) Andererseits sorgt ihre Dominanz dafür, dass Wissen und Überlieferungen jenseits dessen, was durch sie geregelt werden kann, „verkrüppeln“ (Luhmann 1975: 181). In hochentwickelten Medien-Codes finden sich Symbole, welche bestimmte Verhaltensweisen abwerten; etwa ökonomische Askese und Selbstgenügsamkeit im Bereich der Wirtschaft oder subjektive und introspektiv gewonnene Evidenzen im Bereich der Wissenschaft (ebd.). Zusammenfassung An dieser Stelle möchte ich die Ergebnisse dieser Arbeit knapp zusammenfassen. Kommunikation findet für Luhmann immer dann statt, wenn zwischen Information und Mitteilung unterschieden wird. Sie ist nicht als solche, sondern nur in der Form von Handlung beobachtbar; also wenn die verstandene Mitteilung einem System zugeschrieben wird (vgl. Abschnitt 2). Da für Luhmann Kommunikation unterlassen wird, wenn ihre Annahme als aussichtslos erscheint, ist soziale Ordnung (=Kommunikation) nur dann möglich, wenn sie über Strukturen verfügt, die ihre Annahme wahrscheinlich machen. Schrift, Buchdruck und Massenmedien lösen die Kommunikation aus Interaktionssituationen direkter Anwesenheit heraus und führen zu einer unüberschaubaren Pluralität von Realitätskonstruktionen, was die Annahmewahrscheinlichkeit der Kommunikation drastisch reduziert und soziale Ordnung höchst unwahrscheinlich gemacht hätte, wenn es nicht zur Koevolution von SGK gekommen wäre. SGK sind gesellschaftliche Strukturen, an denen sich Kommunikationen orientieren können, um ihre Annahmewahrscheinlichkeit zu steigern. Sie legitimieren den Wert einer Kommunikation, wenn sie bestimmten Anforderungen genügt; darüber hinaus sind viele SGK an Funktionssysteme innerhalb der Gesellschaft gekoppelt. Sie ermöglichen soziale Ordnung, trotz und genau wegen einer funktional differenzierten Gesellschaftsform (vgl. Abschnitt 3 und 4). Die hohe Komplexität der Systemtheorie zwang mich zu einem selektiven Vorgehen. Begriffe wie Sinn und Evolution, aber auch die verschiedenen Kopplungsformen zwischen Systemen konnten hier nicht berücksichtigt werden, obwohl auch sie Kommunikationsbedingungen, -folgen und -formen sind. 17 Literatur Baraldi, Claudio/Corsi, Giancarlo/Esposito, Elena (1997): GLU. Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Luhmann, Niklas (1975): Soziologische Aufklärung 2. Opladen: Westdeutscher Verlag. Luhmann, Niklas (1981): Soziologische Aufklärung 3. Opladen: Westdeutscher Verlag. Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Luhmann, Niklas (1986): Die Selbstbeschreibung der Gesellschaft und die Soziologie. Online: http://soundcloud.com/karl-olmers/die-selbstbeschreibung-der-gesellschaft-und-die-soziolo gie-1986 (zuletzt geprüft am 25.04.2017). Luhmann, Niklas (1992): Die Wissenschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Luhmann, Niklas (1996): Die neuzeitlichen Wissenschaften und die Phänomenologie. Vortrag im Wiener Rathaus am 25. Mai 1995. Wien: Picus. Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Schützeichel, Rainer (2004): Soziologische Kommunikationstheorien. Konstanz: UVK. 18 Erklärung zur Prüfungsleistung Name, Vorname: Matrikelnummer: Studiengang: Ebendorff, Martin 5778272 Soziologie BA Hauptfach Die am FB03 gültige Definition von Plagiaten ist mir vertraut und verständlich: „Eine am FB03 eingereichte Arbeit wird als Plagiat identifiziert, wenn in ihr nachweislich fremdes geistiges Eigentum ohne Kennzeichnung verwendet wird und dadurch dessen Urheberschaft suggeriert oder behauptet wird. Das geistige Eigentum kann ganze Texte, Textteile, Formulierungen, Ideen, Argumente, Abbildungen, Tabellen oder Daten umfassen und muss als geistiges Eigentum der Urheberin/des Urhebers gekennzeichnet sein. Sofern eingereichte Arbeiten die Kennzeichnung vorsätzlich unterlassen, provozieren sie einen Irrtum bei denjenigen, welche die Arbeit bewerten und erfüllen somit den Tatbestand der Täuschung.“ Ich versichere hiermit, dass ich die eingereichte Arbeit mit dem Titel „Unwahrscheinlichkeit und Medien der Kommunikation in der Systemtheorie von Niklas Luhmann“ nach den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis angefertigt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus Veröffentlichungen oder aus anderen fremden Mitteilungen entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht. Die vorliegende Arbeit ist von mir selbständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Quellen und Hilfsmittel verfasst worden. Ebenfalls versichere ich, dass diese Arbeit noch in keinem anderen Modul oder Studiengang als Prüfungsleistung vorgelegt wurde. Mir ist bekannt, dass Plagiate auf Grundlage der Studien- und Prüfungsordnung im Prüfungsamt dokumentiert und vom Prüfungsausschuss sanktioniert werden. Diese Sanktionen können neben dem Nichtbestehen der Prüfungsleistung weitreichende Folgen bis hin zum Ausschluss von der Erbringung weiterer Prüfungsleistungen für mich haben. Frankfurt am Main, den 14.05.2017 19