Die verspätete Rechnung | zeitgeschichte-online
HOME
KOMMENTAR
THEMA
INTERVIEW
02.11.2017, 13)12
FILM & TV
GESCHICHTSKULTUR
.
WEB
Die verspätete Rechnung
KRZYSZTOF RUCHNIEWICZ
Zur polnischen Diskussion über
Reparationszahlungen aus
Deutschland
von Krzysztof Ruchniewicz
Premier Beata Szydło w Sejmie. 2017-04-07, Warszawa, Sejm, Wystąpienie premier
Beaty Szydło w Sejmie. Der Sejm in Warschau, Foto: P. Tracz/KPRM, Quelle: Flickr,
Lizenz: Public Domain Mark 1.0
Veröffentlicht am 26. Oktober 2017
Krzysztof Ruchniewicz ist polnischer
Historiker, Deutschlandforscher,
Universitätsprofessor, Direktor des
Willy Brandt Zentrums für
Deutschland- und Europastudien der
Universität Wrocław, Blogger,
Freund von neuen Technologien,
leidenschaftlicher HobbyFotograf. Autor von zwei populären
Blogs über Geschichte,
@blogihistoria, und über Fotografie,
@blogifotografia (auf Polnisch).
mehr...
Seit einigen Monaten findet in Polen eine Diskussion über Reparationszahlungen Deutschlands für die im Zweiten
Weltkrieg erlittenen Verluste statt. Die Diskussion ist nicht neu. Bereits vor über zehn Jahren wurde sie im Sejm schon
einmal ausgetragen. Im Ergebnis der damalige Debatten wurde die polnische Regierung damit beauftragt, entschlossene
Schritte gegenüber Berlin einzuleiten. Eine Eskalation des Konfliktes wurde jedoch dank der Intervention Gerhard
Schröders vermieden. Der damalige Bundeskanzler versprach, dass seine Regierung keine Eigentumsansprüche ehemals
Vertriebener unterstützen werde. Die polnische Regierung nahm daraufhin Abstand vom Auftrag des Sejms.
Die aktuelle Diskussion erscheint nun als ein erneuter, verspäteter Versuch, Deutschland eine Rechnung für die durch
Deutsche verursachten Verluste im Verlauf des Zweiten Weltkriegs zu stellen. Vor allem jedoch hat sie eine enorme
Bedeutung in der gegenwärtigen, polnischen Innenpolitik. Mit dem Ausspielen der „Anti-Deutschland-Karte“ will man
Wähler und Wählerinnen mobilisieren und die realen Probleme, mit denen Polen sich derzeit herumschlagen muss,
sowohl im Inland (u.a. die Justizreform und die Medienreform) als auch im Ausland (die Isolation Polens in der
europäischen Union), vertuschen.
ZITATION
Krzysztof Ruchniewicz, Die verspätete
Rechnung . Zur polnischen Diskussion
über Reparationszahlungen aus
Deutschland, in: Zeitgeschichteonline, Oktober 2017, URL:
http://www.zeitgeschichteonline.de/kommentar/dieverspaetete-rechnung
TEILEN
Im Folgenden lege ich die wichtigsten Etappen der polnischen Diskussion über die deutschen Reparationszahlungen dar.
Um ihre derzeitige Ausprägung zu verstehen, ist es notwendig, kurz an die Debatte aus den Jahren 2003 und 2004 zu
erinnern.
Die Sejm-Resolution von 2004 und die Reaktion der polnischen Regierung darauf
Im August 2003 legte die konservative Partei im Sejm Liga Polskich Rodzin (dt. Liga Polnischer Familien) eine
Beschlussvorlage vor, die die polnische Regierung dazu verpflichten sollte, Reparationszahlungen von Deutschland zu
verlangen. Zu den Gründen für diese Initiative gehörten Gerüchte darüber, dass in Deutschland Stimmen laut wurden,
die die europäische Nachkriegsordnung infrage stellten. Damals wurden sowohl Maximalziele (der Erhalt von
Reparationszahlungen aus Deutschland) als auch Minimalziele (die Bundesrepublik erteilt den Forderungen ihrer Bürger
und Bürgerinnen eine Absage gegenüber allen Entschädigungen von polnischer Seite) formuliert. Die InitiatorInnen der
Debatte in Polen waren der Meinung, dass die Bedingung für das Zurücknehmen der polnischen Forderungen, die
Beilegung der individuellen deutschen Forderungen sei.
KLASSIFIKATOREN
Die Bundesregierung reagierte auf die polnischen Ängste: Bundeskanzler Gerhard Schröder nahm am Jahrestag des
Ausbruchs des Warschauer Aufstandes am 1. August 2004 teil und gab dort eine Erklärung ab, in der er offiziell
bestätigte, dass die Bundesrepublik von jeglichen Forderungen, hervorgehend aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs,
Abstand nehme und somit keine diplomatische Hilfe für die Forderungen nach Entschädigungszahlungen deutscher
StaatsbürgerInnen gewähren würde.
Wir Deutschen – so der Schröder in Warschau - wissen sehr wohl, wer den Krieg angefangen hat, und wer seine ersten
http://www.zeitgeschichte-online.de/kommentar/die-verspaetete-rechnung
Strona 1 z 5
Die verspätete Rechnung | zeitgeschichte-online
02.11.2017, 13)12
Opfer waren. Deshalb darf es heute keinen Raum mehr für Restitutionsansprüche aus Deutschland geben, die die
Geschichte auf den Kopf stellen. Die mit dem Zweiten Weltkrieg zusammenhängenden Vermögensfragen sind für beide
Regierungen kein Thema in den deutsch-polnischen Beziehungen. Weder die Bundesregierung noch andere ernst zu
nehmende politische Kräfte in Deutschland unterstützen individuelle Forderungen, soweit sie dennoch geltend gemacht
werden. Diese Position wird die deutsche Bundesregierung auch vor allen internationalen Gerichten vertreten.[1]
Die Versicherungen des Bundeskanzlers schafften es allerdings nicht, die Wogen in Polen zu glätten. Einige Wochen
später fand im polnischen Sejm eine parlamentarische Debatte statt in deren Folge am 10. September 2004 der Sejm
fast einstimmig die Erklärung „In der Sache: Polens Anrecht auf deutsche Reparationszahlungen und in der Sache:
Illegitime Forderungen gegenüber Polen und polnischer Staatsbürger und Staatsbürgerinnen, welche in Deutschland
gestellt werden“.[2]
In der Erklärung heißt es:
„Polen hat bis heute keine finanzielle Kompensation und Kriegsreparationen für die gewaltige Zerstörung und
materiellen und nicht-materiellen Verluste, welche von der deutschen Aggression, Besatzung, dem Völkermord und dem
Verlust der Unabhängigkeit Polens verursacht wurden.“[3]
Sie endete mit einem Appell an die polnische Regierung, entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Die Erklärung war nicht
bindend für die Regierung, sie stellte nur Empfehlungen auf. Auf diese Art wurde sie auch von dem Premierminister
Marek Belka aufgefasst. Am 19. Oktober 2004 gab der polnische Ministerrat eine Erklärung ab, in der klargestellt wurde:
„Die Erklärung der Regierung der Volksrepublik Polen vom Tage des 19. Oktobers, die polnischen Reparationszahlungen
aufzugeben, erkennt die Regierung der Republik Polen als obligatorisch an (…). Die Erklärung vom 23. August 1953 wurde
entsprechend der damaligen Verfassungsordnung unter Beachtung des Völkerrechts, welches in der UN-Charta festgelegt
wurde, verabschiedet.“[4] (An dieses Dokument knüpft der polnische Vize-Außenminister in der Regierung Beata Szydło,
Marek Magierowski, in seiner Erklärung vom 17. August 2017 an.)
Auf dem Kongress der deutsch-polnischen Annäherung in Krakau am 4. November 2004 verkündeten der Premierminister
der Republik Polen und der deutsche Bundeskanzler „das Ende der Forderungen“. Der polnische Premierminister Belka
beendete seinen Auftritt mit dem Appell, dass alle Menschen in Polen und in Deutschland, welche sich bis jetzt auf
weitere Ausnutzung und weiteren Missbrauch der Enteignungs-, Vermögensforderungs- und
Reparationsforderungsproblematik eingestellt hatten, ihre Einstellung überdenken sollten. Sie können sich entweder in
nutzlosen Aktionen verlieren und die gegenseitigen Beziehungen erschweren oder sich rational verhalten. Die
Entscheidung läge bei ihnen.[5]
Polen stellt neue Reparationsforderungen vor
Nach über einem Jahrzehnt, Mitte dieses Jahres, kam die Diskussion über die Reparationszahlungen in Polen wieder auf
und verschwand bis heute nicht von der politischen Tagesordnung. Die Debatte wurde vom Vorsitzenden der derzeit in
Polen regierenden PiS-Partei, Jarosław Kaczyński, im Rahmen des Konvents der Vereinigten Rechten in Przysucha in den
öffentlichen Fokus gerückt. In seiner Rede behauptete Kaczyński, dass Polen nie auf Entschädigungen aus Deutschland
verzichtet hätte:
„Unsere Kritiker aus dem Westen sollten sich daran erinnern“, sagte Kaczyński, „dass Polen das erste Land war, welches
sich dem deutschen Faschismus entgegenstellte (…). Haben wir etwas erhalten für die unglaublichen Schäden, die selbst
bis heute nicht vollständig beseitigt werden konnten? Nein (…) Menschliche Verluste, in der Elite, sind nicht
wiedergutzumachen, dafür sind fünf oder sieben Generationen notwendig, um das wieder zu kompensieren (…). Polen
hat nie auf diese Entschädigungen verzichtet. Die, die das behaupten, irren sich.“[6]
Einige Wochen später verkündete Kaczyński im Radiosender „Radio Marija“ die Vorbereitung der polnischen Regierung
„zu einer historischen Gegenoffensive“. [7] Das Ziel sollte die Einnahme „gigantischer Summen“ von Deutschland sein.
Nach Meinung vieler KritikerInnen brachten Kaczyńskis Forderungen die polnische Regierung in große Schwierigkeiten.
Weder die Premierministerin Beata Szydło, noch der Außenminister ihrer Regierung, Witold Waszczykowski reagierten
unmittelbar auf die Aussage des Parteivorsitzenden.
Schließlich ergriff einer der Abgeordneten der PiS, Arkadiusz Mularczyk das Wort und beauftragte das „Büro für
Analysen“ im Sejm mit der Ausarbeitung einer Einschätzung zum Thema Möglichkeiten für den Erhalt von
Entschädigungszahlungen aus Deutschland für die im zweiten Weltkrieg durch Polen erlittenen Schäden. Im Programm
„Radio Marija“ und im Fernsehsender „Telewizja Trwam“ offenbarte der Abgeordnete, wer Initiator der Anfrage war:
„Ich möchte unterstreichen, dass wir darüber reden können, dass der Herr Vorsitzende der Partei PiS, Jarosław
Kaczyński, diese Entscheidung getroffen hat. Das ist sozusagen sein Verdienst, dass es nun diese Entscheidung und diesen
politischen Willen gibt, sich mit dieser Angelegenheit zu beschäftigen. Bis heute – fast 30 Jahre leben wir bereits in
einem freien Polen – fasste keine der bisherigen Regierungen und keiner der Parteiführer dieses Thema, aus
unterschiedlichen Gründen, manchmal aus wirtschaftlichen Gründen, manchmal aus Angst und eventuell aus privaten
Interessen, an. Aber dieses Thema ist nie so ernsthaft wie heute in Erscheinung getreten.“[8]
Auf den Auftritt Mularczyks reagierten die regierungsnahen Medien sofort. Es gab keinen Fernseh-, Radiosender und
keine Zeitung, die sich nicht zu dieser Angelegenheit äußerten und die Mehrzahl machte deutlich, dass Polen ein Recht
auf die Reparationszahlungen von deutscher Seite habe. Jeweils unter Berufung auf Experten wurden die
http://www.zeitgeschichte-online.de/kommentar/die-verspaetete-rechnung
Strona 2 z 5
Die verspätete Rechnung | zeitgeschichte-online
02.11.2017, 13)12
unterschiedlichsten Forderungen erhoben, dabei wurden immer größere Summen genannt.
Die Mehrheit der Polen für die Entschädigungen von Deutschland
Um herauszufinden, wie Stimmung innerhalb der Gesellschaft in dieser Frage ist, wurden Meinungsumfragen in Auftrag
von unterschiedlichen Institutionen (Fernsehen, Internetportale udgl.) gegeben. Es lohnt sich, eine dieser Umfragen
genauer zu betrachten. In der Umfrage, welche im Auftrag der Internetplattform „Wirtualna Polska“ vom 12. bis zum 14.
August dieses Jahres durchgeführt wurde, wurden drei Fragen gestellt.[9]
Auf die Frage: Sollte Polen von Deutschland Entschädigungen für die im Zweiten Weltkrieg erlittenen Schäden erhalten?
antworteten 50% der von 1055 Befragten mit „Ja“, 25% antworteten mit „Nein“ und 25% hatten keine Meinung. Wie
vorherzusehen war, waren die meisten der Befürworter und Befürworterinnen Anhänger und Anhängerinnen der Partei
PiS (73%) und der national-populistischen Bewegung Kukiz’15 (54%). Dagegen ist die Quote der BefürworterInnen für die
Reparationszahlungen innerhalb der Oppositionspartei, der liberalen „Nowoczesna“ (56%) überraschend hoch.
Auf die zweite Frage: Hat Polen eine reelle Chance auf die Auszahlung von Entschädigungen aus Deutschland,
antworteten nur 16% der Befragten mit „Ja“, 53% mit „Nein“ und 31% konnten keine Einschätzung zu dieser Frage geben.
Auf die letzte Frage: Wird die Forderung von Entschädigungszahlungen von Deutschland einen Einfluss auf die Position
Polens in der EU haben? antworteten 33%, dass Polens Position dadurch geschwächt würde und 18% sagten, dass sie
gestärkt würde. Insgesamt 49% der Befragten hatten keine Meinung dazu. Diese Umfrage macht deutlich, dass innerhalb
der polnischen Gesellschaft noch immer das Gefühl der Verletztheit gegenüber Deutschland herrscht. Gleichzeitig waren
die Befragten eher skeptisch, was die Realisierung möglicher Entschädigungsforderungen betrifft. Und: Der
überwiegende Teil der Befragten hatte keine Meinung über mögliche Folgen für Polen innerhalb der Europäischen Union.
In den folgenden Wochen wurden weitere Umfrageergebnisse veröffentlicht, die jedoch die bereits Vorhandenen
Untersuchungen bestätigten.
Das Büro für Analysen im Sejm, dessen Analyse erwartet wurde, beeilte sich indes nicht mit der Veröffentlichung einer
Expertise. Die Verspätung wurde wie folgt entschuldigt:
„(Die Materie ist) sehr komplex, sie erfordert zudem einen Bezug auf eine Reihe von Fällen des internationalen Rechts
und die Analyse vieler Rechtsprobleme.“[10]
Widersprüchliche Aussagen
Man hörte zudem widersprüchliche Aussagen von unterschiedlichen Seiten. Auf Anfrage des PiS-Abgeordneten Adam
Ołdakowski bezüglich der Reparationsforderungen, antwortete der Vize-Außenminister, Marek Magierowski. In einem
Schreiben vom 8. August dieses Jahres sagte er:
„(…) die Erklärung aus dem Jahre 1953 stellt einen verbindlichen, uniliteralen Rechtsakt des polnischen Staates dar – ein
Subjekt des internationalen Rechts.“[11]
Weiterhin erinnerte Magierowski daran, dass im Jahr 2004 die Regierung die Gültigkeit der Erklärung aus dem Jahre 1953
anerkannte und seit diesem Moment der „Standpunkt der Regierung der Republik Polen (…) sich nicht verändert“ habe.
[12] Auf die Reaktion der Medien musste man nicht lange warten. Das Außenministerium, welches durch die Aussage
aufgeschreckt wurde, begann widersprüchliche Informationen herauszugeben. Es wurde erklärt, dass „die Möglichkeit
der Forderungen schwer einzuschätzen“ sei. Der Außenminister Waszczykowski fügte hinzu:
„Die Entscheidung über ein Einfordern von Kriegsentschädigungszahlungen ist eine Frage von Wochen oder sogar
Monaten.“[13]
In der zweiten Augusthälfte meldete sich schließlich die Premierministerin Beata Szydło. Während einer Pressekonferenz
am 24. August 2017 bezog sie sich auf das Schicksal Polens während des zweiten Weltkriegs und sagte:
„Wir sind Opfer des zweiten Weltkriegs, das Leid wurde in keiner Weise wiedergutgemacht, ganz im Gegenteil (…). Dass
wir heute über Reparationen sprechen, ist ein Erinnern an Gerechtigkeit und daran, was Polen zusteht.“[14]
Die Kommentatoren zerbrachen sich mehrere Tage lang den Kopf darüber, was in dieser Rede der Ausdruck ganz im
Gegenteil bedeuten solle. Zur Frage der Reparationen äußerten sich in den folgenden Tagen auch andere Minister
offenbar in der Annahme, dass die Premierministerin ein Signal zur öffentlichen Unterstützung der Angelegenheit durch
Regierungsmitglieder gegeben hatte. Am 2. September ergriff der Innenminister Mariusz Błaszczak das Wort, ebenfalls in
dem Radiosender „Radio Marija“.[15] Nach Meinung des Senders betrugen die materiellen Verluste Polens ca. 1 Billion
US-Dollar, was unter Berücksichtigung des derzeitigen Wechselkurses etwa Hunderttausend Złoty für jede/n BürgerInnen
ausmachen würde. Außerdem kämen noch personelle Verluste (menschliches Leben) hinzu, welche – nach Meinung des
Ministers – schwer einzuschätzen seien.
Die Sejm-Expertise bestätigt die Erwartungen der PiS-Partei
Am 11. September dieses Jahres wurde die Expertise des „Büros für Analysen“ des Sejms veröffentlicht.[16] Daraufhin
entbrannte eine lebhafte Diskussion unter JuristInnen, die auf internationales Recht spezialisiert sind. Der Autor der
Expertise, Robert Jastrzębski, betonte, dass Polen Reparationen zuständen und Behauptungen, dass die Forderung
ungültig oder verjährt wären, seien nicht zutreffend. Die vom Autor angeführten Argumente für die Unterstützung der
http://www.zeitgeschichte-online.de/kommentar/die-verspaetete-rechnung
Strona 3 z 5
Die verspätete Rechnung | zeitgeschichte-online
02.11.2017, 13)12
Regierungspläne wurden ebenfalls fast sofort von anderen JuristInnen infrage gestellt, vor allem von SpezialistInnen des
internationalen Rechts.[17]
Der Abgeordnete Mularczyk fuhr in den nächsten Wochen unbeeindruckt von der Kritik fort. Am 30. September wurde im
Sejm auf seine Initiative ein parlamentarischer Ausschuss gegründet, der mit der Schätzung der Höhe der
Entschädigungszahlungen, die Polen durch die von Deutschland im zweiten Weltkrieg verursachten Schäden zustehen,
beauftragt wurde. Die Hauptaufgabe des Ausschusses ist zum einen die Auflistung von Verlusten und Schäden, zum
anderen der Rechtswege, mittels derer Entschädigungszahlungen vom westlichen Nachbarn eingefordert werden
könnten.
Der Präses der PiS-Partei, Jaroslav Kaczynski, gibt die nächsten Schritte bekannt
Zu diesem Auftrag äußerte sich in einem Interview vom 4. Oktober dieses Jahres der Vorsitzende der PiS-Partei, Jarosław
Kaczyński. Dabei gab er Kritikern des Projektes seiner Partei zu verstehen, dass diese nicht im Interesse Polens handeln
würden:
„Die nächste Etappe, die wir schon in Kürze beginnen werden, wird die Arbeit auf Sejm-Ebene sein. Wir müssen
entscheiden, ob zu diesem Zweck eine einfache Kommission, wie sie damals in Griechenland eingerichtet wurde,
sinnvoller ist oder aber ein parlamentarischer Ausschuss. Jede Lösung hat ihre Vor- und Nachteile. Eine Kommission hat
definitiv mehr Möglichkeiten, aber es ist ebenso wahrscheinlich, dass in einer solchen Kommission sich Abgeordnete
befinden würden, die die deutschen Interessen verträten und nicht die polnischen. Das ist übrigens schon heute
offensichtlich, dass in den Reihen der sogenannten totalen Opposition sich Vertreter des deutschen Standpunktes
befinden. Wir wollen das Szenario unserer weiteren Aktion präzise in wenigen Schritten vorzeichnen und anschließend
erst beginnen, dieses zu realisieren.“[18]
Im selben Interview erinnerte der Kaczyński an die weiteren Maßnahmen seiner Partei. Er sei selbst nicht sicher, was die
Erfolgsaussichten angehe, aber dennoch überzeugt davon, dass die Forderungen an Deutschland zu einer größeren
gesellschaftlichen und internationalen Sensibilisierung, hinsichtlich des Schicksals Polens im zweiten Weltkrieg betrifft,
beitragen könne:
„(…) die Aufnahme der Reparationsangelegenheit und das Aufsehen, welches sie in der Öffentlichkeit erregt, ist ein
ausgezeichnetes Werkzeug, um die Weltöffentlichkeit zu informieren, was die Deutschen in Polen gemacht haben, wie
sie agiert haben. Wer Opfer war und wer Henker.“[19]
An dieser Stelle ist zu fragen, ob die These, die von Kaczyński aufgestellt wurde, zutrifft. In Wahrheit jedoch haben wir
es mit der Manipulation eines Geschichtsbildes zu tun, welches derzeit in der Welt vorherrscht. Meiner Einschätzung
nach ist Kaczyńskis Ansicht eine falsche Einschätzung, welche mit keinerlei Beweisen untermauert ist. Die Einzelfälle,
welche der Vorsitzende Kaczyński nannte, sollten nicht über den Fakt hinwegtäuschen, dass das Thema der deutschen
Okkupation in Polen während des Zweiten Weltkrieges gut erforscht ist und nur die von ihm genannten Fälle eine
marginale Rolle im historischen Diskurs spielen. Eine Gelegenheit, um Einfluss auf die Art der Erinnerung zu nehmen,
sollte ein Museum zum Zweiten Weltkrieg[20] sein, die einzige Einrichtung dieser Art in Europa. Die globale
Aufmerksamkeit, die auf das Schicksal der ZivilistInnen gelenkt werden sollte, war der herrschenden PiS-Partei aber
nicht genug. Nach Ansicht der PiS liegt das Augenmerk der Ausstellung nicht in ausreichendem Maße auf dem polnischen
Widerstand und dem Martyrium des polnischen Volkes. Der Direktor des Museums, Prof. Paweł Machcewicz wurde
entlassen, ein Teil der Angestellten wurde gezwungen, zu kündigen und es wurden Änderungen in der Dauerausstellung
des Museums angekündigt.
Die nächsten Monate werden zeigen, ob die Reparationsforderungen fallen gelassen oder ob sie mit Gewalt
durchgedrückt werden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Gründe für den Wunsch nach Reparationen
(innen-)politisch kaum relevant sind. Sie stellen vielmehr den verspäteten Versuch einer Bilanzziehung dar, einer
verspäteten Rechnung für die polnischen Verluste im Zweiten Weltkrieg. Die Frage der Reparationen hätten man vor
vielen Jahrzehnten wesentlich erfolgreicher verteidigen können. Vielleicht gelingt es der derzeit herrschenden PiS-Partei
für eine gewisse Zeit, mit Emotionen zu spielen und die polnische Bevölkerung von der Richtigkeit dieser Forderungen zu
überzeugen. Die Folgen jedoch, die die Forderung nach Reparationen haben werden, werden die Polen mit Sicherheit in
den nächsten Jahren zu spüren bekommen, sei es in den Beziehungen mit dem westlichen Nachbarn oder mit der
Europäischen Union.
Lesen Sie dazu auch: Ulf Brunnbauer, Aufrechnungen von Frustrationen. Griechische Reparationsforderungen an
Deutschland vor dem Hintergrund der Schuldenkrise, in: Zeitgeschichte-online, Juli 2015.
[1] Website: Bundeskanzler Gerhard Schröder 1998 – 2005. Eintrag vom 1.8.2004 zum 60. Jahrestag des Warschauer
Aufstands.
[2] Webseite: Uchwała Sejmu Rzeczypospolitej Polskiej (pdf-Dokument) z dnia 10 września 2004 r. w sprawie praw Polski
do niemieckich reparacji wojennych oraz w sprawie bezprawnych roszczeń wobec Polski i obywateli polskich
wysuwanych w Niemczech.
[3] Webseite: Uchwała Sejmu Rzeczypospolitej Polskiej (pdf-Dokument) z dnia 10 września 2004 r. w sprawie praw Polski
do niemieckich reparacji wojennych oraz w sprawie bezprawnych roszczeń wobec Polski i obywateli polskich
http://www.zeitgeschichte-online.de/kommentar/die-verspaetete-rechnung
Strona 4 z 5
Die verspätete Rechnung | zeitgeschichte-online
02.11.2017, 13)12
wysuwanych w Niemczech.
[4] Zit. nach: Brief vom stellvertretender Aussenminister, Janusz Cisek an Senatsmarschall, Bogdan Borusewicz vom
5.09.2012.
[5] Magdalena Kursa, Schröder i Belka ogłaszają koniec roszczeń, in: ”Gazeta Wyborcza”, 4.11.2004.
[6] Jarosław Kaczyński: "Idziemy we właściwym kierunku, realizujemy prawa Polaków. Realizujemy wśród sprzeciwów”.
Całe przemówienie prezesa PiS, in: „wpolityce”, 2.06.2017.
[7] Kacper Rogacin, Jarosław Kaczyński: Polska będzie domagała się odszkodowań od Niemiec za II wojnę światową, w:
„Głos Wielkopolski”, 1.08.2017.
[8] Reparacje wojenne za zbrodnie Niemców w Polsce. Poseł ujawnia kulisy sprawy, w: ”niezależna”, 5.08.2017.
[9] Ewa Koszowska, Polacy domagają się odszkodowań od Niemiec. Najnowszy sondaż, in: „wpopinie”, 17.08.2017.
[10] Website des polnischen Sejm vom 7.8.2017: W Biurze Analiz Sejmowych zamówiona została ekspertyza dotycząca
możliwości dochodzenia odszkodowania za straty poniesione podczas II wojny światowej (zuletzt: 18.10.17).
[11] Die Antwort des stellvertretenden Außenministers, Marek Magierowski auf die Anfrage des PiS-Abgeordneten Adam
Ołdakowski vom 8.08.2017.
[12] Ibidem.
[13] Szef MSZ: Decyzja ws. reparacji od Niemiec to kwestia tygodni lub miesięcy, in: „www.radiomaryja.pl”, 5.09.2017.
[14] Justyna Dobrosz-Oracz, Beata Szydło o reparacjach wojennych: "Upominamy się o sprawiedliwość i o to, co należy
się Polsce”, in: „Gazeta Wyborcza”.
[15] Błaszczak podał kwotę reparacji: Bilion amerykańskich dolarów, in: „Wprost”, 2.09.2017.
[16] Webseite: Opinia prawna (pdf-Dokument) w sprawie możliwości dochodzenia przez Polskę od Niemiec
odszkodowania za szkody spowodowane przez drugą wojnę światową w związku z umowami międzynarodowymi.
[17] Monika Prończuk, Ekspertyzę dla Sejmu o należnych Polsce reparacjach przygotował specjalista od ceł i weksli.
Znawcy tematu obnażają jego błędy i fałszywe wnioski, in: „oko.press“, 16.09.2017.
[18] Webseite: Nie będzie zgody na zmiany pozorne, in: „pis.org.pl”.
[19] Ibidem.
[20] Webseite: Daniel Logemann, Streit um das Museum des Zweiten Weltkriegs in Gdańsk. Wie soll man „polnische
Geschichte“ zeigen?, in: „www.zeitgeschichte-online.de”, 6.04.2017.
© 2017 zeitgeschichte online (ISSN 2366-2700)
http://www.zeitgeschichte-online.de/kommentar/die-verspaetete-rechnung
Über ZOL
Impressum
Login
Strona 5 z 5