Archäometallurgische Beiträge:
Römische Buchstaben in Corvey?
sogenannte charakteristische Fluoreszenzstrahlung erzeugt wird,
Im Weltkulturerbe Kloster Corvey wurden im Füllschutt der
Bündelung der Röntgenstrahlung auf einen winzigen Messfleck
ersten Außenkrypta, mit dem Westwerk wohl einem der ältesten
von 50 µm kann sogar die ganze Probe abgerastert werden, so
Bereiche des Klosters, in den Jahren 1975-77 bei Ausgra-
dass sogenannte Elementverteilungskarten generiert werden
bungen zwei verbogene, vergoldete Buchstaben aus Buntmetall
können. Diese stellen die lokale Verteilung der Elemente als eine
gefunden (Abb. 1). Es handelt sich um ein I oder abgebrochenes
farbige Karte dar. Die Technik wird dann µRFA genannt, die
T (Befund 20&22 F18, KI18, Phase B: Erweiterung des Chores,
Ergebnisse sind in der Abbildung 2 dargestellt. Hellere Bereiche
vor 873) sowie ein O (Bef. 17&22 F17, KI18, Phase A: Gründung
stehen hierbei für höhere Konzentrationen des jeweiligen
der ersten karolingischen Kirche, 822–840).
Elements, dunklere Bereiche für niedrigere.
welche anschließend gemessen wird. Diese erlaubt Aussagen
zu den enthaltenen Elementen und deren Gehalten. Durch
Die pRFA-Messung ergab, dass beide Buchstaben aus Kupfer
(> 96% Cu) bestehen. Diese enthalten als wichtigste
Verunreinigung Blei (um 3 % Pb). Die Nägel bestehen aus einer
Bleizinnbronze. Auf der Oberfläche der Buchstaben und der
Nagelköpfe liegt eine dicke Vergoldung auf. Der Nachweis von
größeren Mengen Quecksilber (bis zu 10% in der Oberfläche)
Abb. 1: Die beiden in Corvey bei Ausgrabungen gefunden
Abb. 2: µ-RFA Elementverteilungskarte für einen Ausschnitt
vergoldeten Buchstaben (O und I oder abgebrochenes T)
des Buchstabens O mit Halterungsnagel. Rot = Kupfer, gelb
nach römischem Stil (Analysenr. 4350-51).
= Gold, grün = Quecksilber. (Fotos: R. Lehmann)
belegt eine Feuervergoldung, bei welcher auf das gebeizte
Die Buchstaben enthalten Reste von Nägeln, mit welchen sie in
Kupfer Goldamalgam aufgetragen wird, welches durch Erhitzen
eine Tafel eingeschlagen waren. Allerdings passen sie von der
anschließend umgewandelt wird. Dabei verdampft das flüchtige
Größe her nicht in die Inschriftentafel aus der Gründungszeit im
Quecksilber zum Großteil und lässt eine poröse Goldoberfläche
Westwerk (ehemalige Klosterkirche), wo ursprünglich doppelt so
zurück. Die Oberfläche wird anschließend poliert, um den
große Buchstaben eingesetzt waren. Da der karolingische Stil
Glanzeffekt zu erzielen. Die Goldschicht weist keine nennens-
der Buchstaben (capitalis quadrata) dem römischen angelehnt
werten Verunreinigungen von Silber oder Kupfer auf, d.h. es
ist, wurde oftmals hinterfragt, ob die Buchstaben vielleicht sogar
wurde kein legiertes Gold, sondern relativ reines Gold zur
doch römisch sein könnten und damit einen Hinweis dafür liefern
Vergoldung eingesetzt. Die Elementverteilungskarten bestätigen
würden, dass Corvey tatsächlich römische Wurzeln haben
dies bei beiden Buchstaben.
könnte. Diese Frage sollte nun durch archäometrische Analysen
näher beleuchtet werden. Die Analysen wurden vermittelt durch
Der Einsatz von reinerem Gold zur Feuervergoldung erlaubt eine
Birgit Mecke (LWL-Archäologie für Westfalen, Münster), Markus
abschätzende Datierung. Aus hunderten Analysen von mittel-
C. Blaich (RPZM, NLD) und Wilhelm Dräger (FAN).
alterlichen Kirchenschätzen kann geschlossen werden, dass
reines Gold auf Kupfer in der Regel nur bis etwa 1175 n.Chr.
Die archäometrische Analyse der beiden Buchstaben erfolgte
eingesetzt wurde. Auf Grund der Abnahme von Goldimporten aus
durch den Autor im Arbeitskreis Archäometrie des Instituts für
Afrika im 12. Jh. wurde Gold in Europa noch rarer und musste
Anorganische Chemie der Leibniz Universität Hannover. Die
gestreckt werden. Dies lässt sich an den Kirchenschätzen gut
Ermittlung der groben Zusammensetzung erfolgte mittels der
beobachten. Ab dem letzten Viertel des 12. Jhs. weisen die
portablen Röntgenfluoreszenzanalyse (pRFA). Die Röntgen-
Vergoldungen erhöhte Anteile von Silber, seltener Kupfer auf.
fluoreszenzanalyse erlaubt es, zerstörungsfrei und ohne
Dieses gestreckte Gold musste dann nach der Vergoldung mit
Berührung die Zusammensetzung zu ermitteln. Hierbei wird
Säure gebeizt werden, um einen reinen Goldton zu erzeugen.
weiche Röntgenstrahlung auf die Buchstaben eingestrahlt. Diese
Nach dem 12. Jh. wurde immer häufiger Silber statt Kupfer
tritt mit den Atomen der Buchstaben in Wechselwirkung, wobei
vergoldet, wohl weil der Silberpreis sank und die Kirchen reicher
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Römischer Mörtel in Corvey?
wurden. Deshalb ist vergoldetes Kupfer typisch für das
Frühmittelalter bis zum 12. Jh., danach wurde es durch
vergoldetes Silber verdrängt.
Bei Ausgrabungen im Westwerk des Klosters Corvey, seit 2014
Die Anwesenheit von Blei im Kupfer im Prozentbereich stört
Weltkulturerbe, wurde ein zusammengebackener Klumpen
dabei die Vergoldung massiv. Dies wussten bereits die Römer.
gefunden, welcher Rätsel aufgab. Manche sehen darin
So tritt beim Erhitzen des Amalgams auf bleihaltigem Kupfer
römischen Beton. Ebenso wurden ungewöhnlich harte Mörtel-
das Blei tropfenförmig aus und erzeugt in der Goldschicht
reste aus sekundär verbauten Steinen in der Mauer an der
unansehnliche graue Flecken. Um diese Flecken zu kaschieren,
Weserseite (äußere Ostmauer, sog. „Düstere Pforte“) festgestellt.
war eine mehrfache und dicke Vergoldung notwendig, was sehr
Die ungewöhnliche Härte ließ auch hier mögliche Reste von
kostenintensiv war. Dies ist der Grund, wieso die Römer derartige
römischer Technik vermuten. Mit archäometrischen Analysen
Vergoldungen von bleihaltigen Objekten in der Regel mieden.
am Institut der Anorganischen Chemie der Leibniz Universität
Diese Vergoldungen waren qualitativ minderwertig und ver-
Hannover sollte geklärt werden, ob diese Auffälligkeiten auf
brauchten viel Gold. Das Wissen um die schädliche Wirkung von
römisches Baumaterial schließen lassen könnten. Die Klärung
Blei bei Vergoldungen ist jedoch im frühmittelalterlichen Europa
dieser Frage sollte einen Beitrag zur Diskussion liefern, ob
verloren gegangen. Erst im Hochmittelalter wurde dieses Wissen
Corvey nicht nur auf karolingische Gründung zurückgeht,
neu entdeckt. Der berühmte Goldschmied Theophilus Presbyter
sondern möglicherweise sogar römische Wurzeln haben könnte.
(wohl identisch mit Rogerus von Helmarshausen) schrieb erst im
Der Nachweis von opus caementitium wäre hier ausschlag-
12. Jh. nieder, dass Blei im Kupfer bei der Vergoldung massiv
gebend.
stört und deshalb sehr reines und deshalb teureres Kupfer
eingesetzt wurden muss. Nur reines Kupfer kann dünn vergoldet
Opus caementitium bezeichnet römischen Beton, welcher zu den
und so Gold eingespart werden. Dieses Wissen setzte sich erst
innovativsten Baustoffen der Antike zählte und architektonische
ab Ende des 12. Jh. wieder durch.
Experimente erlaubte. Während heute weit mehr als 50 % der
Bauwerke aus Beton sind, etablierte sich der römische Beton erst
Der Nachweis von bleihaltigem Kupfer und einer dicken
im 1. Jh. n.Chr. Der erste Nachweis für römischen Beton wurde
Vergoldung bei den vorliegenden Buchstaben erlauben unter der
für 273 v.Chr. in Cosa (Spanien) geliefert. Die besterhaltenen
Berücksichtigung der geschichtlichen Überlieferungen und
antiken Bauwerke, wie das Pantheon in Rom (114-118 n.Chr.)
Reihenanalysen die Einschätzung, dass die beiden Buchstaben
und das Grabmal des Theoderich des Großen (6 Jh. n.Chr.) in
wohl NICHT römischen Ursprungs sind. Sie sind mit hoher
Ravenna, wurden aus opus caementitium hergestellt. Dieser
Wahrscheinlichkeit im Frühmittelalter, genauer vor 1175 n.Chr.,
hochqualitative Beton hat eine Lebensdauer von über 2000
entstanden. Dies bedeutet, dass sie trotz der römisch
Jahren, während im Vergleich dazu moderne Betonbauten in der
aussehenden Schriftart keine Bestätigung der erwogenen
Regel eine Lebenszeit von 70-120 Jahren haben. Der Grund
Datierung der alten Klosterkirche, insbesondere des Kerns des
hierfür liegt in der Zusammensetzung des modernen Betons. Ab
sog. "Westwerks", in die römische Zeit liefern können. Vielmehr
1950 wird immer mehr günstigeres Kaliumoxid statt Calciumoxid
bestätigen die Ergebnisse eine Einordnung der Bauphase, in der
beigemischt, welches wasserlöslich ist und so den Beton
diese Buchstaben verwendet wurden, in das Frühmittelalter.
kurzlebiger macht. Beton wird allgemein aus Zement, Wasser
Um zu erfahren, woher das Metall für die Buchstaben stammt
und Zuschlägen (Sand, Steine usw.) hergestellt. Das Bindemittel
(sowohl das Kupfer als auch das Gold), wird eine Bleiiso-
(Zement, Kalk u.a.) ist dabei entscheidend für die Qualität und
topenanalyse angestrebt. Dann kann auch diskutiert werden, wie
Langlebigkeit.
groß das Einzugsgebiet für Metall in Corvey war und wer diese
Römischer Beton besteht im Wesentlichen aus gebranntem
Inschrift möglicherweise stiftete. Die Metallherkunft kann zudem
Kalkstein (Calciumcarbonat wird durch Hitze zu Calciumoxid) mit
eine bessere zeitliche Einordnung erlauben, da die Bezugs-
oder ohne Ton und ggf. Puzzolan (vulkanische Asche/Tuff,
quellen sich im Laufe des Frühmittelalters häufig drastisch
Ziegelmehl). Dabei ist eine sehr feine Mahlung der Bindemittel
änderten, sei es durch Konflikte oder neu entdeckte Lagerstätten.
und des Puzzolans entscheidend, da dadurch die chemische
Reaktionsoberfläche vergrößert und der resultierende Beton so
Dr. Robert Lehmann
druckfester (stabiler) und enorm langlebig wird. Der Vorteil des
Einsatzes von Tuff (Vulkangestein) ist, dass der Beton selbst
Literatur:
unter Wasser aushärtet und durch Erdbeben entstehende
A. S. Gai, K. H. Krüger, B. Thier, Die Klosterkirche Corvey.
Mikrorisse sich selbstständig schließen. Dadurch kann der Beton
Geschichte und Archäologie (Denkmalpfl. u. Forsch. in Westfalen
bei optimalen Bedingungen Jahrtausende überdauern.
43.1.1), Darmstadt, Verlag Philipp v. Zabern, 2012, S. 438 – 440,
Das Geheimnis liegt u.a. in der Bildung des Minerals Strätlingit,
U. Lobbedey, Vergoldeter Buchstabe einer Inschrift. In:
eines Kalzium-Aluminium-Silikats, welches die Risse ausfüllt. Der
Ausstellungskatalog Paderborn 1999, Bd. 2, S. 571-572
Tuff kann auch durch sehr fein gemahlenes Ziegelmehl ersetzt
werden, allerdings ist der resultierende Beton weniger hochwertig. Im Rheinland nutzen die Römer Tuff aus der Eifel, in
Italien meist vom Vesuv.
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