Methoden
Kai Wortmann
Work in Progress. Für: Schlüsselbegriffe der Allgemeinen Erziehungswissenschaft. Pädagogisches
Vokabular in Bewegung, hg. von M. Feldmann, M. Rieger-Ladich, C. Voß und K.
Wortmann. Weinheim, Basel: Beltz Juventa.
Hier sind zwei Beobachtungen. Erstens: In den letzten Jahren hat die Anzahl an
Forschungsmethodentrainings, entsprechenden Summer und Winter Schools,
Fortbildungen sowie kostenpflichtigen Kursen und Angeboten zu Methodenberatung
stark zugenommen. Diese Veranstaltungen erwecken den Eindruck, jede*r
Doktorand*in müsse an einer solchen Veranstaltung teilgenommen haben. Dies hieße
im Umkehrschluss, dass die im Studium der Erziehungswissenschaft erworbene
„Methodenkompetenz“ nicht ausreicht, um eine Dissertation zu verfassen.
Zweitens: Vorlesungen und Seminare zu Methoden gehören sicherlich zu den
meistgehassten Pflichtveranstaltungen in erziehungswissenschaftlichen Studiengängen.
Den Studierenden wird häufig gar nicht einsichtig, welche Relevanz „Methoden“, die
sie in solchen Veranstaltungen gelehrt bekommen, für Wissenschaft allgemein oder ihre
eigene Forschung haben könnte. Oft werden diese daher als lästige Pflicht
wahrgenommen, die es in den ersten Semestern abzuhaken gilt, um sich dann den
inhaltlich interessanten Themen zuwenden zu können.
Welches Verständnis von „Methoden“ liegen diesen Schulungen und Vorlesungen
zugrunde? Womöglich in etwa folgendes: „Wenn man etwas über die Wirklichkeit
herausfinden will, muss man wissenschaftliche Regeln befolgen. Methoden bieten
solche Regeln, deren Befolgung zu empirisch gesicherten Aussagen über die
Wirklichkeit führt. Befolgt man diese Regeln hingegen nicht, produziert man sicher
auch irgendeine Form von Wissen über irgendetwas – nur eben kein wissenschaftliches
Wissen über die Wirklichkeit.“ Geht man von diesem Verständnis aus, stellen sich im
Anschluss an beide Beobachtungen drängende Fragen: Wie kann es sein, dass
Studierende gar kein Interesse an Wirklichkeitszugängen zeigen? Und warum ist erst
eine Zusatzqualifikation nötig, um wirklich etwas über die Wirklichkeit
herauszubekommen? Dieses Verständnis möchte ich im Folgenden problematisieren.
Im Anschluss daran schlage ich ein alternatives Verständnis von „Methode“ vor.
Schließlich wende ich mich der Rolle von Methoden in der Allgemeinen
Erziehungswissenschaft zu und ende mit einem Plädoyer, diese als Methodologie zu
betreiben.
Doing Method: Die doppelte Konstruktion der Methoden
Gehen wir davon aus, dass Methoden nicht einfach etwas sind, sondern etwas tun. Oder,
anders gesagt: Methoden existieren nicht außerhalb konkreter wissenschaftlicher
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Praktiken (vgl. Law 2004). Methoden vollziehen sich, sie werden beim Lesen über,
Forschen mit und Diskutieren von Methoden immer wieder neu hervorgebracht. Ein
Beispiel: Häufig liest man im Methoden-Teil empirischer Studien, diese hätten „die
Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2015)“ angewendet. Wirft man jedoch einen
Blick in das genannte Buch, wird sofort klar, dass es die Qualitative Inhaltsanalyse nach
Mayring überhaupt nicht gibt. Vielmehr schlägt Mayring eine ganze Reihe von
Vorgehen für verschiedene Anliegen vor. Ähnliches ließe sich zeigen für die
Dokumentarische Methode, die Grounded Theory, die Diskursanalyse und so weiter.
Keine dieser „Methoden“ präsentieren einen Weg, dem man nur noch zu folgen
braucht, um am Ende des Weges zur Wirklichkeit zu gelangen. Und das ist kein Makel,
sondern liegt in der Natur empirischer Sozialforschung.
Aus diesem Vollzugscharakter empirischer Methoden ergibt sich: Methoden sind selbst
Ergebnis sozialer Konstruktion in spezifischen historischen Kontexten. Aber keine
Panik, alles ist Ergebnis sozialer Konstruktion in spezifischen historischen Kontexten.
Das macht sie nicht weniger „real“. Genau so, wie ein Flugzeug Ergebnis von
komplexen Konstruktionsleistungen verschiedener Akteure zu bestimmten Zeiten an
konkreten Orten ist, wurden auch Methoden von verschiedenen Akteuren zu
bestimmten Zeiten an konkreten Orten konstruiert. Doch genau so wenig, wie uns diese
Tatsache davon abhält, ein Flugzeug zu besteigen – weil es, wie es ja manchmal heißt,
„nur konstruiert“ sei –, sollte uns dies davon abhalten, Methoden zu benutzen und uns
ernsthaft mit ihnen auseinanderzusetzen. Die Flugzeugkonstrukteur*innen haben sich
schon etwas dabei gedacht, als sie das Flugzeug konstruierten, und die
Methodenkonstrukteur*innen ebenso. Doch genau so, wie es absurd wäre, zu
behaupten, eine Art von Flugzeug sei allen anderen in allen Hinsichten überlegen – oder
gar: sei prinzipiell die einzig sinnvolle Art von Flugzeug –, wäre es auch absurd, dasselbe
von einer Methode zu behaupten. Bestimmte Arten von Flugzeugen und Methoden
eignen sich für bestimmte Aufgaben. Und in Zukunft werden neue Flugzeuge und
Methoden entwickelt werden, sobald diese bestimmte bestehende Aufgaben besser
erledigen können oder neue Aufgaben entstehen.
Doch nicht nur werden Methoden konstruiert, sie konstruieren auch selbst. Methoden
bilden die Wirklichkeit nicht ab, sie produzieren (bilden) sie. Das „Ergebnis“ von
Forschung ist nicht allein Produkt der untersuchten Wirklichkeit, sondern ebenso auch
des spezifischen Zugangs, der gewählt wurde, um diese zu erforschen. Dies wird bereits
ersichtlich an der Auswahl dessen, was überhaupt als Gegenstand von Forschung gilt.
Was wäre beispielsweise ein Fall von Mobbing in der Schule? Eine Sozialpädagogin
würde womöglich die Gruppendynamiken analysieren, eine Schulpädagogin die
Einflussmöglichkeiten der Lehrerin, eine Soziologin die milieuspezifischen
Sozialisationserfahrungen der beteiligten Akteure, eine Psychoanalytikerin das
individuelle Erleben der gemobbten Schülerin, eine Psychiaterin deren
Medikamentierung. Das Phänomen „Mobbing“ liegt also nicht einfach vor, sondern
wird im methodischen Zugriff der verschiedenen Disziplinen erst hervorgebracht und
dadurch bearbeitbar.
Halten wir fest: Die doppelte Konstruktion der Methoden besteht in der Konstruktion
der wissenschaftlichen Gegenstände durch Methoden und der Konstruktion der
Methoden durch die Wissenschaft. Sowohl die Gegenstände der Wissenschaft als auch
ihre Methoden haben also eine Geschichte und damit immer auch eine politische
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Dimension (darauf haben bereits so unterschiedliche Philosophen wie Max Horkheimer
(1937) und Hans-Georg Gadamer (1960) übereinstimmend hingewiesen). Daraus folgt
meines Erachtens, dass ein Methodenpluralismus erstrebenswert ist, der keinen Zugang
und keinen Gegenstand als prinzipiell unwissenschaftlich betrachtet.
Von der „Verengung des Erfahrungsbegriffs“ zum Methodenpluralismus
Ein solcher Methodenpluralismus ist keineswegs selbstverständlich. Denn gerade für
die Erziehungswissenschaft, die noch immer um Anerkennung als wissenschaftliche
Disziplin ringt (vgl. Rieger-Ladich 2007), kann es attraktiv sein, einen engeren Begriff
von Wissenschaft anzulegen, der sich über Methoden definiert, die die „Objektivität“
der eigenen Forschung garantieren sollen. Diese Verengung geht mit einer „Verengung
des Erfahrungsbegriffs“ einher, die einen prinzipiellen Unterschied zwischen
wissenschaftlichen Erfahrungen und einem „vorwissenschaftlichen Gebiet der
Heuristik“ festlegt:
„Als Inhalt einer Erfahrung wird nur das gelten gelassen, was passiert, wenn der Experimentator
[oder in der vorgeschlagenen Lesart die Forscher*in allgemein] die von ihm angestoßenen
Abläufe losläßt; erst dann gibt ‚die Natur‘ ihre Antwort. Und zur Erfahrung sollten nach dieser
Auffassung nur diese Antworten zählen, nicht auch die Tätigkeiten, die sie erzeugen und
ermöglichen“ (Schneider 1992, S. 14 f.).
Diese Unterscheidung zwischen Erfahrungen der „Antwort“ und solchen, die diese erst
ermöglichen, halte ich für ausgesprochen produktiv, denn sie kann genutzt werden, um
die elende Unterscheidung zwischen „qualitativen“ und „quantitativen“
Forschungsmethoden aufzugeben. Warum elend? Man achte einerseits einmal darauf,
wie oft in „qualitativen“ Untersuchungen quantitative Formulierungen wie zum Beispiel
„wie oft“ (oder „am häufigsten“, „meist“ und so weiter) vorkommen, und wie
pädagogisch irrelevant andererseits „quantitative“ Untersuchungen sind, die nicht auch
qualitative Elemente haben. Stattdessen könnten wir unterscheiden zwischen
Methoden, die die Person, die das Phänomen untersucht, in den Vollzug ihrer Methode
einbeziehen, also Erfahrungen, die die „Antwort“ erst ermöglichen, und jenen, die das
nicht tun, sich also ausschließlich für die „Antwort“ interessieren. Eine Methode zum
Bau eines Flugzeugs beispielsweise sollte unabhängig von der konkreten Person, die das
Flugzeug baut, funktionieren. Gleiches gilt für eine statistische Analyse. Solche
Methoden tun gut daran, Objektivität, also Unabhängigkeit von der Forscher*in,
anzustreben. Das heißt jedoch nicht, dass sie von der konkreten Person unabhängig sind
– was spätestens bei einem Fehler in der mechanischen oder statistischen Konstruktion
auffallen wird, der eben auf eine bestimmte Person zurückzuführen ist. Diese
Objektivität anstrebenden Methoden könnte man „empiristisch“ nennen. Andere
Methoden, man könnte sie „perspektivistisch“ nennen, streben eine solche
Unabhängigkeit von der Forscher*in nicht an. Im Gegenteil: Die Perspektive der
Forscher*in gilt als wertvolle Ressource für die Erkenntnisgewinnung. Für die
Erziehungswissenschaft gilt wohl ganz besonders, dass unsere Wahrnehmung eines
Phänomens wesentlich von unseren eigenen nicht-wissenschaftlichen Erfahrungen
geprägt wurde. Was Bernfeld für die Erzieher*in festhielt, gilt wohl auch für die
Erziehungswissenschaftler*in:
„Ein Kind kennt er [bei Bernfeld der Erzieher, in der vorgeschlagenen Lesart ebenso auch die
Erziehungswissenschaftler*in] mit unvermeidlicher Aufdringlichkeit und Lebendigkeit: sich
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selbst als Kind. Und diese Kindergestalt ist ein Apriori, das er jeder Erfahrung von anderen
Kindern als gebieterisches Prokrustesbett voranhält, sie völlig zerstückelnd und verstümmelnd.
[…] So steht der Erzieher vor zwei Kindern: dem zu erziehenden vor ihm und dem verdrängten
in ihm.“ (Bernfeld 1928, S. 28, 147)
Während Bernfeld die problematischen Konsequenzen der fehlenden Neutralität
betont – „völlig zerstückelnd und verstümmelnd“! –, wenden perspektivistische
Methoden die Tatsache, dass Erziehungswissenschaftler*innen meist nicht neutral auf
ihren Gegenstand blicken (können), sondern in diesen verstrickt sind, produktiv, indem
sie Verfahren vorschlagen, die auf die eigene Perspektive zurückzuführenden
Erfahrungen (mit) zum Gegenstand der Untersuchung zu machen.
Diese alternative Unterscheidung ordnet Methoden neu: Qualitative Inhaltsanalysen
beispielsweise wären als empiristisch zu begreifen, da sie auf Objektivität und
Replizierbarkeit aus sind, während sich ein Großteil der Grounded Theory als
perspektivistisch versteht. Genau so ließe sich sagen, dass Analytische Philosophie als
empiristisch zu verstehen ist – sie analysiert die logischen Beziehungen zwischen
Begriffen –, während beispielsweise die Philosoph*innen Richard Rorty (1982) oder
Donna Haraway (1988) die unhintergehbare Situiertheit jeder philosophischen
Sprecher*in affirmieren und damit perspektivistisch zu verstehen sind.
Aus der hier vorgeschlagenen methodenpluralistischen Perspektive ist es von großer
Wichtigkeit, sowohl empiristische als auch perspektivistische Methoden als legitime
wissenschaftliche Zugänge zu Phänomenen anzuerkennen. Das heißt insbesondere,
sich wechselseitig nicht mit abgedroschenen Grundlageneinwänden zu bekriegen: dass
die empiristische Objektivität nie vollständig gewährleistet werden kann, ist kein Grund,
sie nicht als regulatives Ideal anzustreben. Und dass die perspektivistische
Gebundenheit an konkrete Wissenschaftssubjekte die Reichweite der gewonnenen
Aussagen begrenzt, ist kein Grund, diese aus dem Feld der Wissenschaft
auszuschließen. Es spricht nichts prinzipiell für oder gegen empiristische oder
perspektivistische Methoden. Zu verschiedenen Zwecken brauchen wir verschiedene
Methoden – und eine ganze Weise der Erschließung von Phänomenen als nicht
wissenschaftlich zu bezeichnen, bedeutete, die Wissenschaft vorsätzlich zu verarmen.
Ein neuer Begriff von „Methode“
Warum habe ich die umständlichen Begriffe „Empirismus“ und „Perspektivismus“
verwendet und nicht die im Zusammenhang mit Methoden immer wieder gebrauchte
Unterscheidung zwischen „Realismus“ und „Konstruktivismus“? Dies hat zwei
Gründe. Der erste ist, dass ich noch nie eine Realist*in oder Konstruktivist*in getroffen
habe, also eine Person, die gesagt hätte, ihre Methoden würden die Wirklichkeit wie in
einem „Spiegel der Natur“ (Rorty 1981) abbilden, oder ihre Methoden würden allein in
ihr selbst die Wirklichkeit konstruieren, weshalb sie keine Aussagen über die
Wirklichkeit treffen könne. Ich habe den Eindruck, außerhalb von
Methodenlehrbüchern und einer Handvoll Hardlinern in der Philosophie gibt es gar
keine Realist*innen und Konstruktivist*innen. Es stimmt, was Hirschauer so treffend
auf den Punkt gebracht hat: „Wer meint, er finde die soziale Wirklichkeit, überschätzt
seine Wahrnehmung, wer meint, er erfinde sie, seine Imagination“ (2008, S. 175, Hv.
KW). Doch kaum jemand scheint das eine noch das andere zu meinen. Daher erweist
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sich die Unterscheidung zwischen realistischen und konstruktivistischen Methoden als
wenig hilfreich. Der zweite Grund dafür ist, dass meine Unterscheidung eine
eindeutigere Einteilung von Methoden erlaubt: entweder man strebt Unabhängigkeit
von der eigenen Person an oder nicht. Hingegen schließe ich mich Latours
Einschätzung an, dass man sehr wohl realistisch und konstruktivistisch zugleich sein kann
(vgl. Latour 2010) – und sollte. Dies klingt nur in einem unglücklicherweise
überphilosophisierten Methodendiskurs provokant, hingegen scheint mir es die
Haltung zu sein, die von den allermeisten empirischen Forscher*innen in ihrer
konkreten Forschungspraxis eingenommen wird. Natürlich möchten sie etwas über das
untersuchte Phänomen aussagen und versuchen dieses daher so realistisch wie möglich
zu beschreiben – und gleichwohl sind sie sich darüber im Klaren, dass ihr Zugriff das
Phänomen nicht einfach so beschreibt, wie es schlechterdings ist, sondern immer mit
konstruiert.
Auf diese Überlegungen aufbauend möchte ich nun ein alternatives Verständnis von
„Methoden“ andeuten. Dieses besteht darin, ihre Aufgabe darin zu sehen, den konkreten
Vollzug dieser – wie beschrieben völlig unproblematischen – Konstruiertheit
nachvollziehbar zu machen. Ein solches Verständnis von Methoden könnte sich auf die
Etymologie des Begriffs berufen, die das Entlanggehen oder Überschreiten (μετά) eines
Weges (ὁδός) beinhaltet. Ich würde also vorschlagen, μέθοδος als
„Nachgehbarmachen“ zu übersetzen: Methoden dienen dazu, den in einer
Untersuchung entlanggegangenen Weg zu markieren, sodass er erneut beschritten
werden kann. Sie antworten auf die Frage: Was hast Du gemacht, dass Du zu diesem
Ergebnis gekommen bist? Sie sollten dazu einladen, den als Antwort auf diese Frage
beschriebenen Weg ebenso entlangzugehen und damit nachzuvollziehen oder zu
überschreiten und so womöglich zu anderen Ergebnissen zu gelangen.
Eine „Methode“ würde dann keinen Regelkatalog zur Wirklichkeitsbeschreibung
enthalten, sondern einen mehr oder weniger häufig entlanggegangenen und demgemäß
mehr oder weniger einfach zu folgenden Weg beschreiben. Diskussionen um die
„richtige“ Anwendung einer Methode wären dann nichts anderes als Vorschläge, den
Weg ein wenig in diese oder jene Richtung auszubauen. „So ist es zu machen!“ könnte
durch „Lasst es uns doch einmal auf diese Weise versuchen!“ ersetzt werden. Eine
Methode anzuwenden, würde dann einer Haltung der Sorge, „Pflege und Vorsicht“
(Latour 2007, S. 246) bedürfen, insofern sie sich ihrer Konstruktion des
Untersuchungsgegenstands bewusst ist und diese auch vermitteln können muss. Nur
im Nach-, Ab- und Fortschreiten gelangen wir zu einer realistischen Haltung – nicht,
indem wir unsere Ergebnisse darstellen als die Realität, die wir mithilfe methodischer
Regeln aufgedeckt haben.
Methoden in der Allgemeinen Erziehungswissenschaft
Es formt sich gegenwärtig der Konsens, dass eine Methode notwendigerweise zum Standard
erziehungswissenschaftlichen Arbeitens gehört – das gilt immer häufiger ohne
Ausnahme und damit auch für „theoretische“ Forschung.1 Doch wie diesem Standard
Diese Beobachtung habe ich in Wortmann (2021) im internationalen Vergleich angestellt. Die folgenden
Überlegungen basieren auf diesem Text. Der aus einer Tagung der DGfE-Kommission Bildungs- und
Erziehungsphilosophie hervorgegangene Band mit dem Haupttitel „Praktiken und Formen der Theorie“
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hinreichend nachgekommen werden kann und soll, ist umkämpft: Was genau wird
gefordert, wenn von der Allgemeinen Erziehungswissenschaft die Angabe einer
„Methode“ verlangt wird? Und an welchen Kriterien wird die Qualität ihrer
Beschreibung und Durchführung gemessen? Diese Fragen verweisen erneut auf die
Gefahr einer Engführung – dann nämlich, wenn unter dem Deckmantel der Forderung
nach Methoden und einer damit einhergehenden Auffassung ihrer Qualitätskriterien
einzig eine bestimmte Form der Theoriebildung als legitim ausgewiesen wird. In dieser
Weise lässt sich die problematische Tendenz erkennen, mit ihrer Methodisierung – dem
aktiven Befolgen und Explizieren einer Methode – im Grunde die Standardisierung der
Allgemeinen Erziehungswissenschaft zu betreiben. Die Vorabfestlegung von
einheitlichen Ansprüchen an die Form sämtlicher Untersuchungen, die unabhängig von
ihrem spezifischen Inhalt Gültigkeit beanspruchen, ist meines Erachtens das größte
Risiko der Forderung nach Methoden in der Allgemeinen Erziehungswissenschaft.
Mit dem hier vorgeschlagenen Verständnis von Methoden könnte dieser Gefahr der
Standardisierung entgegengetreten werden. Gemäß dieses Methodenbegriffs ließe sich
der Maßstab für die Qualität der methodischen Durchführung von sowohl
„theoretischen“ als auch „empirischen“ Untersuchungen – ihre „Gütekriterien“ –
definieren als Grad der Nachgehbarkeit der konkreten Durchführung. Etablierte
Gütekriterien könnten dann als gesammelte Erfahrungen zur Markierung des Weges
Hilfestellungen anbieten. Letzten Endes muss aber jede Untersuchung an sich selbst
gemessen werden, da uns kein allgemeines Verfahren zur Nachgehbarmachung zu
Verfügung steht.
Allgemeine Erziehungswissenschaft als Methodologie
Mir scheint die deutsche Tradition der Allgemeinen Erziehungswissenschaft – die es in
den angelsächsischen Disziplintraditionen nicht gibt – in besonderer Weise geeignet,
um zu Methodenfragen der gesamten Disziplin zu arbeiten, und zwar sowohl
hinsichtlich
methodischer
Verfahren
für
die
Weiterentwicklung
erziehungswissenschaftlicher Forschung und deren Nachgehbarmachung, als auch der
Frage, welchen Status solche Methoden und Kriterien ihrer Qualität haben könnten. In
diesem Sinn könnten Methoden als Allgemeines der Disziplin verstanden werden, die in
gleicher Weise sowohl für theoretische als auch empirische Forschung Relevanz
beanspruchen.
Eine solche Strategie, für die insbesondere in den phänomenologischen und
pragmatistischen Traditionen theoretisch anspruchsvolle Anknüpfungspunkte
vorliegen, scheint mir in sowohl wissenschaftstheoretischer als auch disziplinpolitischer
Hinsicht vielversprechender als etwa die Forderung nach Methoden für theoretische
Forschung in toto zurückzuweisen. Mit einem solchen synthetisierenden Verständnis
der Methoden von Empirie und Theorie würde zudem der Gefahr entgegengewirkt
werden, die Kriterien für empirische umstandslos auf theoretische Forschung zu
übertragen. Nicht zuletzt könnte damit ein wichtiger Beitrag zu internationalen
Debatten geleistet werden, die meines Erachtens dazu tendieren, hinsichtlich der
(Thompson/Brinkmann/Rieger-Ladich 2021) lässt sich auch als eine Sondierung des Verhältnisses von
Theoriearbeit und Methoden im hier vorgeschlagenen Verständnis lesen.
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Methodenfrage streng zwischen empirischer und theoretischer Forschung zu
unterscheiden: Philosophy of Education scheint meist entweder über die eigenen
theoretischen Methoden zu diskutieren oder – etwa als „Philosophy of Educational Research“
– sich nur mit den Methoden empirischer Forschung zu beschäftigen. Bei letzterem
läuft sie zudem Gefahr, sich selbst entweder auf eine bloße Zuarbeiterin für empirische
Forschung oder notwendigerweise externe Kritikerin derselben zu reduzieren.
Daher möchte ich für eine Auseinandersetzung mit Methoden in der Allgemeinen
Erziehungswissenschaft plädieren, die keine Unterscheidung zwischen empirischen und
theoretischen Methoden voraussetzt. Hierzu scheint sie mir auf Grund ihrer im
internationalen Vergleich spezifischen Verfasstheit in besonderer Weise in der Lage.
Diese besteht darin, als Subdisziplin auf eine ausgeprägte Tradition sowohl
„theoretischer“ als auch „empirischer“ Forschung zurückgreifen und diese fortführen
zu können.
Literatur
Bernfeld, Siegfried (1928): Sisyphos oder die Grenzen der Erziehung. Leipzig: Internationaler
Psychoanalytischer Verlag.
Gadamer, Hans-Georg (1960): Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen
Hermeneutik. Tübingen: Siebeck.
Haraway, Donna (1988): Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and
the Privilege of Partial Perspective. In: Feminist Studies 14, H. 3, S. 575–599.
Hirschauer, Stefan (2008): Die Empiriegeladenheit von Theorien und der
Erfindungsreichtum der Praxis. In: Kalthoff, Herbert/Hirschauer, Stefan/Lindemann,
Gesa (Hrsg.): Theoretische Empirie. Zur Relevanz qualitativer Forschung. Frankfurt: Suhrkamp,
S. 165–187.
Horkheimer, Max (1937): Traditionelle und kritische Theorie. In: Zeitschrift für
Sozialforschung 6, H. 2, S. 245–309.
Latour, Bruno (2007): Elend der Kritik. Vom Krieg um Fakten zu Dingen von Belang. Zürich:
diaphanes.
Latour, Bruno (2010): Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Frankfurt: Suhrkamp.
Law, John (2004): After Method: Mess in Social Science. London: Routledge.
Mayring, Philipp (2015): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim:
Beltz.
Rieger-Ladich, Markus (2007): Akzeptanzkrisen und Anerkennungsdefizite: Die
Erziehungswissenschaft als subalterne Disziplin?. In: Ricken, Norbert (Hrsg.):
Verachtung der Pädagogik. Analysen – Materialen – Perspektiven. Wiesbaden: VS, S. 159–182.
Rorty, Richard (1981): Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie. Frankfurt:
Suhrkamp.
Rorty, Richard (1982): Method, Social Science, and Social Hope. In: ders.: Consequences
of Pragmatism. Minneapolis: University of Minnesota Press, S. 191–210.
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Schneider, Hans Julius (1992): Zur Einführung: Der Begriff der Erfahrung und die
Wissenschaften vom Menschen. In: Schneider, Hans Julius/Inhetveen, Rüdiger (Hrsg.):
Enteignen uns die Wissenschaften? Zum Verhältnis zwischen Erfahrung und Empirie. München:
Wilhelm Fink, S. 7–27.
Thompson, Christiane/Brinkmann, Malte/Rieger-Ladich, Markus (Hrsg.) (2021):
Praktiken und Formen der Theorie. Perspektiven der Bildungsphilosophie. Weinheim: Beltz.
Wortmann, Kai (2021): „Methoden“ in der Allgemeinen Pädagogik und der
„Philosophy of Education“. In: Thompson, Christiane/Brinkmann, Malte/RiegerLadich, Markus (Hrsg.): Praktiken und Formen der Theorie. Perspektiven der Bildungsphilosophie.
Weinheim: Beltz, S. 302–304.
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