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DEMOKRITOS KALTSAS N EUES ZUM „A NTHEIA -F RAGMENT “ (PSI VI 726) aus: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 216 (2020) 27–49 © Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn 27 N EU ES ZUM „A N T H EI A-F R AGM EN T “ (PSI VI 726) PSI VI 726 (Mertens–Pack3 2627) wurde 1920 von Medea Norsa ediert. Er nimmt die Rückseite des fragmentarischen Textträgers ein; das Rekto enthält einen Teil von Demosthenes or. 51 (PSI VI 721, Mertens–Pack3 332). Der Papyrus, heute in der Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz aufbewahrt, stammt zweifellos von einer Buchrolle. Trotz der Schwierigkeiten in Lesung, Ergänzung und Interpretation (s. im Folgenden) konnte Norsa mit Sicherheit bestimmen, daß das Verso den Rest eines sonst unbekannten Romans enthält. Es handelt sich um das Bruchstück einer offenbar breit angelegten, zusammenhängenden Erzählung in Prosa, in welcher abenteuerliche Vorkommnisse (darunter Mord, Gift, Flucht, Seereise) um fiktive Personen, Männer und Frauen, behandelt wurden. Zudem tragen zwei der auftretenden Personen Namen, die bei Xenophon von Ephesos wiederkehren: Εὔξεινος (Kol. II 2, vgl. Ephesiaca I 15.3 – II 2.2); und ganz besonders Ἄνθεια, welche im Fragment eine wichtige Rolle zu spielen scheint und am ehesten die Heldin des Romans gewesen sein wird (Kol. II 10, 11 und 13): bekanntlich hat die Heldin der Ephesiaca denselben oder zumindest einen sehr ähnlichen Namen, Ἀνθία1. Die Einordnung Norsas ist allgemein und zu Recht akzeptiert worden; das Stück wurde in alle späteren Sammlungen der Romanpapyri aufgenommen2, z. T. mit ausdrücklichem Hinweis auf die Unsicherheit in der Textkonstitution. Eine sehr weitgehende Rekonstruktion bot Franz Zimmermann, unterstützt durch Wilhelm Crönert und mit wichtigen, am Original gewonnenen Lesungen von Teresa Lodi; bis auf Einzelheiten vermag seine Wiederherstellung aber nicht zu überzeugen. Ich lege im Folgenden manche Vorschläge zur Lesung vor und diskutiere ihre mögliche Bedeutung für die Gesamtinterpretation und Einordnung des Textes. Nach ersten Versuchen an Hand der publizierten Abbildungen3 konnte ich einen Scan von hoher Auflösung benutzen, den ich der Güte Rosario Pintaudis verdanke. Ein Teil der hier vorgelegten Ergebnisse wurde auf dem XXIX. Internationalen Papyrologenkongreß in Lecce (2019) präsentiert. I. Technisches Das Stück wird auf Grund der Schrift in das 2./3. bzw. die zweite Hälfte des 2. Jh. datiert4. Erhalten sind drei Kolumnen. Alle drei sind im unteren Teil verstümmelt; der ersten fehlen zudem die Zeilenanfänge, während von der dritten nur noch die ersten Buchstaben der Zeilen vorhanden sind. Hinzu kommt, daß an allzu vielen Stellen die Tinte abgerieben oder sogar spurlos verschwunden ist, was Lesung und Ergänzung ungemein erschwert. Ein objektives Kriterium zur Berechnung des Umfangs des unten verlorengegangenen Textes hat man in der demosthenischen Rede der Vorderseite gesehen, die ebenfalls ihres unteren Teils verlustig gegangen ist (die beiden Seiten sind nicht auf dem Kopf zueinander beschrieben) und deren Text uns ja bekannt ist. Siehe Zimmermann 78: „An der Hand dieses Demosthenestextes berechnet Cr[önert], der sich um das schwierige Stück besonders bemüht hat, den Ausfall des unteren Teils auf etwa 28 Zeilen je Kolumne“ (vorhanden sind noch je 19 Zeilen [bei Kol. III z. T. nur durch Spuren vertreten]). Vgl. auch Stephens–Winkler, S. 279: „To judge from the Demosthenes on the front, the lower two-thirds of each column of our text will be missing.“ Auf die Zeile genau muß Crönerts Berechnung nicht sein, denn die Rolle könnte vor ihrem 1 Siehe zum Schwanken zwischen den beiden Formen Kanavou, „Onomastic Research“ 611–612; der codex unicus, Lau- rentianus Conv. Soppr. 627, hat die Form mit Iota, und entsprechend behält diese James N. O’Sullivan in seiner Teubneriana bei, s. seinen app. crit. zu I 2.5 (Z. 47 des Buches). 2 Lavagnini, S. 29–31; Zimmermann, Nr. 9; Stephens–Winkler, S. 277–288; López Martínez, Nr. XXIV / 31. 3 Vgl. etwa PSIonline (http://www.psi-online.it/home), zu PSI VI 726. 4 Für das 2./3. Jh. n. Chr. plädieren u. a. Norsa in der Ed. und Cavallo, „Veicoli materiali“ 15 (= Il calamo 216; auf S. 34 [= Il calamo 223–224] aber spricht er aus Versehen vom 2. Jh.); für weitere Stellungnahmen s. den oben, Anm. 3 genannten Eintrag im Internet. 28 D. Kaltsas Wiedergebrauch etwas gekürzt worden sein, etwa um einen beschädigten unteren Teil zu entfernen oder weil aus praktischen oder ästhetischen Gründen ein allzu hoher Textträger mißfiel5. Auf jeden Fall gibt es aber erheblichen Textverlust, wie der Bruch in der Kontinuität zwischen Kol. I–II und II–III beweist6. Zum Umfang des unversehrten Textträgers schreiben Stephens–Winkler zit.: „If the papyrus roll contained only this speech [d. h. Dem. 51], its complete dimensions would have been about 1.60 meters long by 30 cm high. This is relatively small: approximately two-thirds the size of Xenophon’s Ephesiaka, Book 1, shorter than most of the dialogues of Lucian. The roll might have contained more than this one speech, however; for example, P2 337 (= Demosthenes Epistle 3) is part of the same roll as P2 1234 (= Hyperides).“ Dies ist nicht das beste Beispiel, denn es handelt sich dabei um einen vereinzelten Sonderfall7; es trifft aber durchaus zu, daß in einer Buchrolle mehrere kürzere Reden vereint sein konnten8. Auch mit der Möglichkeit der Kürzung des Textträgers in der Länge beim Wiedergebrauch oder auch seiner Zusammensetzung mit anderen Stücken ist zu rechnen; somit fehlt uns jeder Anhalt zu einer verläßlichen Berechnung des ursprünglichen Umfangs des durch PSI VI 726 vertretenen Romanbuches. Aus inhaltlichen Gründen hat man im übrigen vermutet, wir befänden uns mit dem durch das Fragment erhaltenen Textausschnitt nahe dem Ende des ganzen Werkes (Zimmermann 78 [zustimmend Morgan, „Fringes“ 3353]; López Martínez, S. 303). Zum Erhaltungszustand des Stückes habe ich ferner zu bemerken, daß durch die letzten Zeilen der zweiten Kolumne (II 13–19) ein vertikaler Riß geht, bei dessen (wohl neuzeitlicher) Reparatur die beiden Teile des Papyrus etwas näher aneinandergerückt und geklebt wurden als dem ursprünglichen Zustand entspräche; den Fehler kann man, wie zu erwarten, auch auf der Vorderseite feststellen, bei den Zeilenanfängen von Kol. III 21–27 des demosthenischen Textes (s. besonders Z. 259). Auf der uns interessierenden Seite ist dadurch der Raum verringert oder ganz beseitigt worden, den folgende verlorene Buchstaben einst einnahmen: Das zweite Epsilon von ἔχ[ε]ι in II 14 (s. Abschnitt V z. St.); wohl der Artikel bei [ὁ] μὲν γὰρ Λύσανδρος in II 15 (während die Partie des Papyrus, auf der das verschwundene Schluß-Sigma des direkt vorausgehenden σαφῶ[ς] stand, teilweise noch vorhanden ist)10; sowie das Epsilon von [ε]ἰκασία in II 18 – das Wort ist also kein Beispiel für Iotazismus im Text. In den übrigen Zeilen standen im geopferten Raum nur Teile noch vorhandener Buchstaben; in II 13 kann ich an der Stelle nichts lesen (s. Abschnitt IV zu Z. 12–13). Von den Schreibgewohnheiten des Kopisten ist für die kritische Behandlung des Textes Folgendes relevant: Er scheint keine elidierte Form zuzulassen, sondern schreibt überall die Schlußvokale aus. Im Text, den Stephens und Winkler bieten, gibt es hiervon vier Ausnahmen: In II 1 drucken sie Λύσιππος δ᾽ ἐ[λ]θὼν 5 Das Phänomen bespreche ich in meiner demnächst erscheinenden Monographie Untersuchungen zum Buchwesen des griechisch-römischen Ägypten: Literatur auf der Rückseite von Dokumenten, Kapitel „Die Höhe des Textträgers“. Ein Beispiel liegt etwa mit den Rekto und Verso desselben Textträgers einnehmenden Stücken Mertens–Pack3 2172 (P.Oxy. II 220) und 1205 (P.Oxy. II 221) vor, s. die Einl. von Grenfell und Hunt zum ersteren Stück, S. 42: „Before being utilized for this second purpose [d. h. für 1205] the papyrus, which had no doubt become worn, was cut down, so that of the metrical treatise [d. h. 2172] only the upper parts of the columns – perhaps not more than one half of what they originally were – are preserved.“ Der Homerkommentar 1205 ist dagegen oben stellenweise unversehrt erhalten, einschließlich des oberen Randes (die beiden Seiten sind auf dem Kopf zueinander beschrieben). 6 (Für die dem Folgenden zugrundeliegende Deutung s. unten, Abschnitt III.) Mit der ersten Zeile von Kol. II beginnt eine neue Szene; ob das erste Wort der Zeile, ἐνγραψάτω, noch zu der Szene gehört, mit der Kol. I abbricht (I 16–19), ist nicht zu erkennen. Die arg verstümmelten Reste von Kol. III könnten den Dialog von Kol. II fortsetzen. Das erste Wort, ἐσῳζόμην, kann aber kaum vom namen- und farblosen Berichterstatter von Kol. II stammen: Entweder spricht hier Lysippos, dann vielleicht als der männliche Held des Romans (s. unten, Abschnitt VIII); oder es hat eben erneut Szenenwechsel stattgefunden, und es spricht jemand anders, vielleicht Antheia. Dabei könnte es sich um einen Dialog oder aber auch um einen Monolog handeln, wie vielleicht auch nach I 19. (Stephens–Winkler, App. zu III 7, lesen in dieser Zeile einen Doppelpunkt, was auf Dialog wiese; mir sieht das Zeichen eher wie ein einfacher Hochpunkt aus, wie bereits von Norsa gelesen; der vermeintliche untere Punkt könnte zufällige Tinte oder Verschmutzung der Oberfläche sein. Vgl. auch Anm. 44 zu I 16.) 7 Siehe dazu Kaltsas, „Buchrollen“ 23–25. 8 Ich verweise auf meine Anm. 5 genannte Monographie, Kapitel „Sammelrollen mit mehreren Werken oder Werkbüchern“. 9 Abb. im Netz, PSIonline (wie Anm. 3), zu PSI VI 721. 10 Etwas Platz wird auch der unbedingt anzunehmende Hochpunkt nach σαφῶς eingenommen haben. Neues zum „Antheia-Fragment“ (PSI VI 726) 29 ἐπὶ κτλ.; im Komm. hierzu (S. 285) weisen sie auf das Problem der elidierten Form hin, urteilen aber, daß der verfügbare Platz für scriptio plena nicht ausreiche; mir scheint dies doch der Fall zu sein, ich würde daher mit Zimmermann δὲ [ἐλ]θών transkribieren. In I 1 wurde das zunächst geschriebene ]εισησαν[ in ]εισδ᾽ησαν[, also zweifellos ]εις δ᾽ ἦσαν korrigiert; die verbesserte Fassung wurde vorsichtshalber am rechten Rand neben I 1–2 wiederholt, ̣ ε̣ ις δ᾽ | ησαν (so Norsa; Zimmermann schlug für das erste Wort überzeugend τρεῖς vor). Wenn nicht alles täuscht, stammt die Korrektur nicht vom Schreiber selbst, der wohl δε geschrieben hätte; zumindest bei dem Zusatz am Rand macht auch die Hand einen unordentlichen Eindruck11. Zu II 14 s. im Folgenden, S. 34–35, zu II 17 S. 36–37. In I 13 könnte nach meiner Lesung aber doch eine elidierte Form stehen, s. S. 42. Das iota adscriptum wird nirgendwo gesetzt; zur vermeintlichen Ausnahme II 17 s. im Folgenden, S. 36–37. Zum Iotazismus s. den Schluß des vorletzten Absatzes. Der Text ist durchgehend und mit großer Sorgfalt interpungiert; benutzt werden der Hochpunkt nach Satzende (regelmäßig)12 und der Doppelpunkt beim Sprecherwechsel im Dialog (II 13 und 14, s. S. 31 mit Anm. 20; zu I 16 s. Anm. 44, zu III 7 Anm. 6). Nach ihrer Plazierung zu urteilen stellen diese Zeichen nirgendwo nachträgliche Einschiebsel dar, vielmehr wurden sie vom Schreiber mit dem Rest des Textes kopiert. Die gewissenhaft durchgeführte Interpunktion fördert das Verständnis des Textes sehr; leider hat an den schlecht erhaltenen Stellen gerade sie am meisten gelitten. Einmal (II 1) begegnet die Paragraphos; die Zeile enthält einen Hochpunkt und m. E. auch einen Szenenwechsel. Es ist infolge des Erhaltungszustands gerade der Zeilenanfänge der Kol. II und III unmöglich festzustellen, ob das Zeichen auch sonst gesetzt wurde oder nicht13. Kol. II und III, bei denen die Zeilenanfänge noch vorhanden sind, weisen die vertraute Maas’sche Ausrückung auf (s. Johnson, Bookrolls 91–99). Zum Hiatus im Text s. S. 42 mit Anm. 37; zu rhythmischen Klauseln S. 43 mit Anm. 39. II. Zum Verhältnis zu Xenophon von Ephesos Ein solches wird in erster Linie durch den Namen Ἄνθεια nahegelegt, den, wie eingangs erwähnt, die Person trägt, welche die besten Chancen hat, die Heldin des Romans zu sein (daher spricht man vom „AntheiaFragment“, „Antheia-Roman“ usw.). Hinzu kommt Εὔξεινος (Kol. II 2), dessen Rolle im Text dunkel bleibt; in den Ephesiaca heißt so einer der Seeräuber, denen Habrokomes und Anthia am Anfang ihrer Drangsale in die Hände fallen; er verliebt sich in die Heldin, versucht sie für sich zu gewinnen, kann aber schließlich nichts ausrichten und verschwindet nach seinem ersten Erscheinen recht bald wieder14. Weitere mögliche Berührungspunkte, auf welche die Forschung hingewiesen hat, sind die Erwähnung der Göttin Artemis (III 7), eines Tempels (I 6 mit 6–8), eines Giftmittels in den Händen der Antheia (I 17–19 [?] und II 11–12); siehe Stephens–Winkler, S. 278. Man hat Franz Zimmermann den Vorschlag zugeschrieben, unser Fragment könne aus einer volleren Urfassung der Ephesiaca stammen15. Damit wäre an die Auffassung mancher Gelehrter angeknüpft, die aus einer Reihe von (natürlich subjektiv empfundenen) Schwächen, Widersprüchen und Unebenheiten des Werkes den Schluß gezogen hatten, daß die handschriftlich erhaltenen fünf Bücher nicht mehr als eine Epitome darstellen; manche haben sich im selben Zusammenhang auch auf die Angabe der Suda berufen 11 Auch Paola Degni in Crisci, Papiri letterari, weist im Datensatz zu PSI VI 726 („Commento: note al contenuto“) die Randkorrektur einer zweiten Hand zu. 12 Nicht klar ist mir seine genaue Funktion in I 2–5. 13 Bei II 10 und 17, die beide Hochpunkte enthalten, meine ich immerhin das Fehlen einer Paragraphos mit einiger Zuversicht feststellen zu können. 14 Daß sein Namensvetter im Papyrusfragment nicht eine ähnlich finstere Rolle bekleidet haben muß, betont zu Recht Zimmermann, S. 81 zu Z. 21 (vgl. hier, Anm. 48). Euxeinos erscheint ja in PSI VI 726 als Gefährte des Lysippos, welch letzterer Anteilnahme am Schicksal der Antheia bekundet (s. für meine Auffassung der Szene unten, Abschnitt III); zumindest auf den ersten Blick scheint es sich nicht um Widersacher der Heldin zu handeln. 15 Siehe etwa Stephens–Winkler, S. 278; Morgan, „Fringes“ 3353–3354 und „Riddle“ 92; vgl. auch Hägg, „Naming“ 43 mit Anm. 34 (= Parthenope 216). 30 D. Kaltsas (Ξ 50), daß das Werk aus z eh n Büchern bestehe. Die Theorie der Epitome ist aber in neuerer Zeit mit guten Argumenten bekämpft worden; siehe Hägg, „Epitome“; O’Sullivan, Xenophon 100–139. Auch unabhängig davon aber wird die Deutung des PSI VI 726 im genannten Sinne zu Recht zurückgewiesen, weil der Befund, daß von den zahlreichen Personen, die im Fragment neben Antheia und Euxeinos vorkommen, und den Ereignissen, in welche sie alle verwickelt erscheinen, in den Ephesiaca nicht die geringste Spur vorhanden ist, ein unwahrscheinlich radikales Epitomierungsverfahren voraussetzen würde. Siehe Stephens– Winkler, S. 278; Morgan, „Fringes“ 3353–3354 und „Riddle“ 92–93. Ich weise nur darauf hin, daß, soweit ich sehe, die bekämpfte Deutung Zimmermann zu Unrecht unterschoben wird16. Ob zwischen den beiden Romanen ein engeres Verhältnis bestand und ob Xenophon unbedingt der Gebende ist oder auch der Nehmende sein könnte, sind Fragen, die bisher offengeblieben sind; vgl. Hägg, „Epitome“ 139 (= Parthenope 177–178); Stephens–Winkler, S. 278 und 286–287; López Martínez, S. 306; Tilg, Chariton 91; Trnka-Amrhein, „Ephesian Story“, welche die Existenz eines ganzen „text network“ um die Ephesiaca für möglich hält17; Morgan, „Riddle“ 93–95 und 96–97. Auch durch die hier vorgelegte Neuinterpretation werden diese Fragen nicht sonderlich aufgehellt; siehe im Folgenden, Abschnitt IX. III. Zum Text der zweiten Spalte Stephens–Winkler bieten für Kol. II folgenden Text (hier mit leichten Änderungen): ἐνγραψάτω (l. ἐγγρα-)· Λύσιππος δ’ ἐ[λ]θὼν ἐπὶ θάλατ|ταν σὺν Εὐξείνῳ πυνθάνεται τῶν γνω|[ρί]μων τὴν κατάστασιν ̣ νισ|5[ ]̣ τ̣ ος. Θαλασσία δὲ ἀναρπάσασα [π]ᾶσαν ̣ ̣ ̣ ̣ ωσα|[2–3] πολιτ ̣ ̣ ̣ ·̣ Θρασέας μὲν ἄρχει ̣ ω τὸ πλοῖ|[ο]ν Κλεάνδρου Θρασέαν περιέπει καὶ ̣ [̣ | ̣ ̣ ̣ ̣ ε̣ ισιν ἀλλ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ὅτε ἐξέ|[π]λευσεν λαθοῦσα αὐτὰ[ς ὧ]ν αὐτῇ μέ|λ[ει ]̣ – ἀσφαλὲς γὰρ δοῦναι ̣ ̣ ̣ τὰς Θαλασ|10σίας βουλάς – τὰ δὲ ᾿Aνθ[εί]ας ἑλομένη, | [ ]̣ ̣ [̣ ]̣ ρεσ [̣ ̣ ]̣ ν Ἄνθειαν ἰδοῦσα τὸ φάρ|[μ]ακον καὶ κατακρύψασα ὡς μάλιστα ὑ ̣ [̣ ]̣ | ̣ ̣ ε̣ σ ̣ ̣ ̣ περιεγ°νετο.” “τὰ δὲ Ἀνθείας, | [ο]ὐδ’ ἔχ[ει] λέγειν, φίλτατε;” “οὐκ οἶδα,” ἔφη, |15 “σαφῶ[ς. ὁ] μὲν γὰρ Λύσανδρος αὐτὴν ὑπ[ὸ ἁ]ρ|παγῆς παρέδωκεν δ [̣ ̣ ]̣ ̣ ̣ ̣ καὶ Θρασ°α[ς] | ἐξῄ̣ρητο ἐπ’ αὐτῆι. δ[ῆλ]α ταῦτα ἅπασιν· | [τὰ δὲ] ἄλλα εἰκασία καὶ λόγος μεμιγμένος | [ca. 6]ατι ἔχοντι τὸ ἄπιστον καὶ παράδο|20[ξον.”] (mit Z. 19 bricht die Kolumne ab). Dies übersetzen sie folgendermaßen: „A: “let him write it down. Lysippos, having come to the sea | with Euxeinos, asks the people he knows | about the whole situation … | government; Thraseas is ruling … |5 Thalassia, having commandeered Kleandros’ | boat is aiding Thraseas … | … | when she sailed out having escaped notice of those in her care – | for it is safe to give out … Thalassia’s devisings – |10 having taken Antheia’s affairs in hand, | she … Antheia, after she saw the poison | and concealed it certainly | … 16 In Roman-Papyri 78 sagte er: „Im Hinblick auf die Erwähnung der Artemis (45), sowie die Namen Euxeinos (21) und Antheia (30. 32) sind Beziehungen zu X[enophon] E[phesius] bzw. der von Ker[ényi, Romanliteratur] 232 für X. E. erschlossenen (von ihm mit Xen. I bezeichneten) Vorlage denkbar, zumal die Begegnung des gleichen Namens der Heldin für sich steht“, womit er mir nicht mehr zu meinen scheint, als daß der unbekannte Autor des PSI VI 726 nicht die heutige Fassung der Ephesiaca, sondern ihre Vorlage vor Augen gehabt und daraus entlehnt haben könnte. („Xen. 1“ war nach Kerényi zit. „jene ältere Fassung, die dem oben wiederholt besprochenen Orakelspruch [Eph. I 6.2] wörtlich entsprach, d. h. die Erlösung des Liebespaares in Aegypten, dem heiligen Lande des Isisdienstes enthielt“ [S. 232], ein „Isisroman“ [ebd.]; „Xen. 2“ war „die ausführliche Fassung des großen Romans, wahrscheinlich gleichfalls schon aus nachtrajanischer Zeit [wie Xen. 3]“ [S. 232] bzw. „[d]er erweiterte und verweltlichte Isisroman“ [S. 234]; „Xen. 3“ schließlich ist das uns vorliegende Werk, eine Epitome des Xen. 2.) In seinem späteren Aufsatz „Ἐφεσιακά“ 286 wiederum schrieb Zimmermann: „So lange wir nicht wenigstens Teile der unverkürzten Fassung [sc. der Ephesiaca] zur Gegenüberstellung haben, sollte man sich mit einem non liquet begnügen. Aber die neuen Funde der Romanpapyri auf dem Boden Ägyptens lassen es als durchaus nicht ausgeschlossen erscheinen, daß auch hier einmal Licht in das Dunkel gebracht wird. Besitzen wir doch schon ein Bruchstück aus einem Antheia-Roman [hierzu Anm. 4: „PSI 726 = [Zimmermann,] R[oman-]P[apyri] 9 S. 78ff.“], nur leider in einem recht argen Zustande. Doch wie erst unlängst neue Bruchstücke aus dem Historiker von Oxyrhynchos, dem Ninos-Roman und dem Roman des Achilleus Tatios zutage getreten sind, kann uns ja einst die Τύχη auch ὄλβια δῶρα aus unserem unverkürzten Roman bescheren“, woraus hervorgeht, daß er PSI VI 726 nicht für einen Teil der unverkürzten Ephesiaca hielt. – Auch Mendoza und Rattenbury, die Morgan, „Fringes“ 3353 und Anm. 54 in diesen Zusammenhang zu stellen scheint, haben keine solche Behauptung aufgestellt. 17 Zu der von ihr 43, Anm. 16 genannten Möglichkeit des Auftauchens einer weiteren Antheia in Mertens–Pack3 2629.1, einem Text, für welchen u. a. eine Einordnung als Roman erwogen worden ist, s. die überzeugende neue Textfassung von Stramaglia, „Piramo e Tisbe“ 83 (ἄνθε[μ]α) mit S. 85, 90–91 und 93; für die Gattung ebd. 93–98. Neues zum „Antheia-Fragment“ (PSI VI 726) 31 she escaped” (?) B: “About Antheia’s affairs, | is it not possible to speak, friend?” A: “I’m not sure,” he said. |15 “Lysander betrayed her by a rape … and Thraseas | has been removed because of her(?). These things are clear to everyone. | The rest is conjecture and talk, mingled with | [–––] holding the unbelievable and astonishing.”“ Wie man sieht, ist selbst hier sehr viel undeutlich. Bereits über die Abgrenzung der Dialogpartie bzw. die Deutung der angewandten Erzählform läßt sich streiten: Stephens–Winkler weisen Kol. II 1–13 (einschließlich des ersten Wortes) einem ersten Sprecher, die Frage in II 13–14 einem zweiten, den Rest der Spalte wieder dem ersten zu. Auf S. 285 (zu II 1) schreiben sie: „It is possible that Lysippos or Euxeinos is the speaker of this report, referring to himself in the third-person.“18 Mir scheint der Text eine andere Auffassung nahezulegen: Das erste Wort der Kolumne, ἐνγραψάτω, beschließt eine Szene19; mit Λύσιππος beginnt die nächste, die bis zum Ende der Spalte in ihrem heutigen Zustand reicht und sich vielleicht noch bis in Kol. III erstreckte (s. oben, Anm. 6). Voran steht ein Satz, der dem Erzähler des Romans gehört (II 1–4): Die zwei Männer, sagt er dem Leser, begeben sich ans Meer und erkundigen sich über die ihnen noch unbekannte Situation. Auf ihre Anfrage hin beginnt einer der Anwesenden, ihnen in direkter Rede Auskunft zu gewähren (II 4–13); in II 13–14 wird eine Frage eingeschaltet, wohl von Lysippos, über das Befinden der Antheia, nachdem deren Name gefallen war (davor und danach der zu erwartende, den Sprecherwechsel anzeigende Doppelpunkt20); die Erwiderung des Berichterstatters darauf nimmt die verbleibende Partie der Spalte ein (II 14–19), an deren jähem Ende sie immer noch nicht abgeschlossen war. Nur das parenthetische ἔφη in II 14 stammt noch vom Erzähler des Romans, alles andere gehört den beiden aktiven Gesprächsteilnehmern. Das Verb πυνθάνεται in II 2 ist ein historisches Präsens, ein Tempus, das in den Romanen auch sonst benutzt wird; dagegen beziehen sich die weiteren Präsentia in Z. 4 (ἄρχει), 6 (περιέπει), 7 (εἰσίν bzw. ein Kompositum) und 14 (ἔχ[ε]ι, s. im Folgenden, Abschnitt V) auf die Gegenwart der beiden Gesprächspartner; ganz normal ist auch der Gebrauch der Präterita. Einzugestehen ist freilich, daß bei dieser Deutung jeder Hinweis auf die Identität des Berichterstatters fehlt, der in II 4 zu sprechen beginnt und der in Z. 14 immerhin als φίλτατος angeredet wird; zumindest ein εἷς δ᾽ αὐτῶν (sc. τῶν γνωρίμων, s. II 2–3) ἔφη / φησί in II 4 als Einleitung zu seinem Bericht hätte ich für unentbehrlich gehalten21. Soll man annehmen, daß es sich um eine Besonderheit des Stils dieses Autors handelt, oder sogar um eine Schwäche seiner Kunst22? 18 Bereits Zimmermann hatte den ganzen erhaltenen Text gedeutet als „Bericht eines männlichen (vgl. 33 φίλτατε) Sprechers in der 1. Person (vgl. 33.39.46 [?]) vor größerem Publikum (vgl. 36 ἅπασιν) usw.“ (S. 78); S. 81 (Vorbemerkung zum Zeilenkommentar zu Kol. II): „Referent berichtet von der schwierigen Lage der gefährdeten Gruppe“; S. 83, Zeilenkommentar zu Z. 32 (= II 13): „Damit berührt Referent die Hauptperson [d. h. Antheia], worauf ein uns nicht näher bekannter Zwischenredner sofort eingeht.“ 19 Wegen des Modus scheint es in der Tat vorzuziehen zu sein, das Verb wie bisher als von einer der handelnden Personen gesprochen aufzufassen; nur eben von einer, deren Rede damit auch zum Abschluß kommt. Vgl. Garin, „Papiri“ 180, Anm. 2: „Un ἐγγραψάτω, prima parola della 2a colonna, ci fa pensare alla fine di una deliberazione; un discorso si aveva certo al termine della colonna stessa.“ 20 Der Doppelpunkt in II 13 scheint mir an Hand des Scans gesichert; z. T. wurde er in den Edd. als Buchstabenrest mißdeutet. 21 Ich hatte zeitweilig gedacht, ein solcher einleitender Satz könnte in den rätselhaften Resten in Z. 3–4 stecken ̣ σα|[2–3] πολιτ ̣ ̣ ̣ )̣ , habe aber schließlich eine andere Herstellung vorgezogen (s. im Folgenden, Abschnitt VI), die ( ̣ ̣ ̣ ω keinen Raum dafür übrigläßt. Auch der ungelesene Teil von Z. 4–5 ist immerhin eine Möglichkeit. 22 Eine schnelle Suche in den vollständig erhaltenen griechischen Romanen hat keine völlig befriedigende Parallele ergeben. Heranzuziehen ist vielleicht die geläufige Erscheinung des unmittelbaren Wechsels von der indirekten Rede oder einer dieser gleichkommenden Formulierung in die direkte (Beispiele aus der attischen Prosa bei Kühner–Gerth II 556–557; für die Möglichkeit der „gleichkommenden Formulierung“ vgl. die interessante Bemerkung O’Sullivans, Xenophon 133–134). Vgl. etwa Chariton I 11.6: ἐδόκει δὴ πᾶσι καταπλεῖν εἰς Ἀθήνας, ο ὐκ ἤρε σ κε δὲ Θ ήρ ων ι τ ῆς π όλ ε ω ς ἡ περι ερ γ ί α· “μόνοι γὰρ ὑμεῖς οὐκ ἀκούετε τὴν πολυπραγμοσύνην τῶν Ἀθηναίων; κτλ.”; V 8.6–7: βασιλεὺς δὲ μεταστησάμενος ἅπαντας ἐβουλεύετο μετὰ τῶν φίλων - - - εἰ χρὴ διαδικασίαν προθεῖναι περὶ τῆς γυναικός. Καὶ τοῖ ς μ ὲ ν ἐ δ όκε ι μὴ β α σ ι λικ ὴν εἶναι τ ὴν κ ρί σ ιν· “τῆς μὲν γὰρ Μιθριδάτου κατηγορίας εἰκότως ἤκουσας, σατράπης γὰρ ἦν,” τούτους δὲ ἰδιώτας πάντας εἶναι· οἱ δὲ πλείονες κτλ. Könnte es nun sein, daß sich unser Autor in diesem Sinne berechtigt fühlte, von πυνθάνεται τῶν γνω|ρ[ί]μων κτλ., das ja den Anfang des Wortwechsels darstellt, mit der Antwort bereits in die direkte Rede ohne verbum dicendi überzugehen? Vielleicht hülfe es, wenn man πυνθάνεται mit „er erfährt“ (LSJ s. v. Ι 1) statt des näherlie- 32 D. Kaltsas IV. Das Verhältnis zwischen Thalassia und Antheia (II 7–13) Für diese Zeilen schlage ich folgende Herstellung vor: 7 - - - εισιν ἀλλήλοις· ̣ ̣ ̣ ̣ τ̣ ις δὲ ἐξέ8 πλευσεν λαθοῦσα· οὐ γὰ[ρ] ἦν αὐτῇ μέ9 [νειν] ἀσφαλές, προδού[σ]ῃ ̣ μὲν τὰς Θαλασ10 σίας βουλάς, τὰ δὲ ᾿Aνθείας ἑλομένῃ· 11 [κ]αὶ γὰρ ἔσωσεν Ἄνθειαν οὐ δοῦσα τὸ φάρ12 [μ]ακον κα[ὶ] κατακρύψασα ὡς μάλιστα ὑ ̣ ̣ 13 [ ̣ ]̣ σεσ ̣ ̣ ̣ περιε ε̣ ινε ̣ . Τὰ δὲ κτλ. 7 αλληλοις ·̣ Pap. 10 ελομενη· Pap. 12 [μ]ακον· Pap. (?) 13 ε ̣ : τα Pap. - - - einander; -tis (weibliche Person) wiederum entkam heimlich zu Schiff; denn es war für sie nicht gefahrlos zu bleiben, da sie die Pläne der Thalassia verraten und für Antheia Partei ergriffen hatte. Denn sie (d. h. die entflohene Frau, -tis) hatte Antheia gerettet, indem sie ihr das Gift nicht verabreichte und sie (?) versteckte - - - am meisten (?) - - - gut zu behandeln (?). 7–8: αλλ[α]πασι[ ̣ ̣ ]̣ τις δε εξε|[π]λευσεν Norsa || αλλ[α]πασι[ ̣ ̣ ]̣ ̣ ̣ τις δὲ ἐξέ|[π]λευσεν Zimmermann nach Lodi || ἀλλ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ὅτε ἐξέ|[π]λευσεν Stephens–Winkler. ἀλλήλοις wurde bereits vorgeschlagen von Stephens–Winkler im Komm. zu II 7 (S. 286). Die Lesung von -τις δέ scheint mir überzeugend zu sein. Die Buchstaben davor kann ich leider nicht entziffern. Daß hier die Rede von einer weiteren Frau sein könnte (s. die Diskussion im Folgenden), hat bereits Zimmermann vermutet, S. 81, Vorbemerkung zum Zeilenkommentar zu Kol. II und S. 82, Komm. zu Z. 26 (= II 7); auf Grund der älteren Lesung dachte er an etwas wie Πασίκλειά τις. -τις dürfte aber vielmehr die Endung des Namens sein. 8–9: λαθουσ[α] αυτ [̣ ̣ ]̣ ν αυτη με|[ ̣ ̣ ̣ ]̣ ασφαλες κτλ. Norsa || λαθοῦσ[α] αὐτὰ[ς ὧ]ν αὐτῇ̣ μέ|[λει·] ἀσφαλὲς κτλ. Zimmermann mit Lodis Bemerkung zum zweiten Wort: „La lettera dopo τ sembra α“ || λαθοῦσα αὐτὰ[ς ὧ]ν αὐτῇ μέ|λ[ει ]̣ ἀσφαλὲς κτλ. Stephens–Winkler. Die Lesung des Gamma von γά[ρ] scheint mir gesichert zu sein. Daß im Passus eine Negation am Platze wäre, hat bereits Lavagnini geahnt, diese allerdings an falsche Stelle gesetzt, II 8–9: λαθοῦσ[α] αὐτ[ὸν ]̣ ν ̣ αὐτὴ μὲ[ν?] | [οὐκ ἦν] ἀσφαλὲς γὰρ δοῦ[ναι] κτλ. 9–10: ασφαλες γαρ δου ̣ ̣ ε̣ ̣ τας Θαλασ|σιας ο̣ υλας ταδε[ ̣ ]̣ ν αφελομενη Norsa, mit Anm. (zu Z. 20–21 [= II 1–2]): „- - - non riusciamo ad immaginare un contesto possibile (τὰς ⟨τῆς⟩ Θαλασσίας δούλας?).“ || ἀσφαλὲς γὰρ δ᾽ οὖ[ν ὅθ]εν τὰς Θαλασ|σίας δούλας τὰ δε[ῖπ]να ἀφελομένη Zimmermann, mit Lodis Lesungen δου ̣ ̣ ε̣ ν (nach dem γάρ) und ταδε[ ̣ ]̣ να (nach δούλας) || ἀσφαλὲς γὰρ δοῦναι ̣ ̣ ̣ τὰς Θαλασ|σίας βουλάς, τὰ δὲ ᾿Aνθ[εί]ας ἑλομένη Stephens–Winkler ([β]ουλάς bereits Lavagnini). Die Lesung von προ- nach ἀσφαλές paßt gut zu den Tintenresten sowie den Platzverhältnissen. Auch das εν vor τάς scheint mir sehr gut vertretbar zu sein (vgl. bereits die Lesungen Norsas und Lodis). Am Ende von Z. 10 scheint mir die Lesung von Stephens–Winkler das Wahre zu treffen; für τά τινος αἱρεῖσθαι („Partei für jemanden ergreifen“, „sich auf jemandes Seite stellen“; LSJ s. v. αἱρέω B II 2) vgl. etwa Xenophon Ephesius II 5.1: μή με παρίδῃς μηδὲ ὑβρίσῃς τὴν τὰ σὰ ᾑρημένην. Nur handelt es sich beim hier vorliegenden Partizip um einen Dativ (zu αὐτῇ), keinen Nominativ (zum durchgehenden Verzicht auf das iota adscriptum im Stück s. oben, S. 29). genden „er erkundigt sich“ übersetzte (der Satz wäre etwa gleichbedeutend mit οἱ γνώριμοι δηλοῦσι / φράζουσι Λυσίππῳ τὴν κατάστασιν πᾶσαν). Den Umstand, daß die das Wort ergreifende Person auf keine Weise näher bezeichnet wird, könnte man damit rechtfertigen, daß die Auskunft von der Gruppe der eben genannten γνώριμοι kam, ohne daß die Identität des konkreten Wortführers interessierte (vgl. das oben gegebene Beispiel aus dem fünften Buch der Callirhoe). Wenn dies aber zutrifft, so ist es als Achtlosigkeit des Autors zu werten, daß er dann den Berichterstatter mit ὦ φίλτατε angeredet sein ließ (II 14, s. Abschnitt V zu Z. 13–14) und in seine nächste Rede ἔφη eingeschaltet hat (II 14); denn damit hat er ihn unnötigerweise als Einzelperson in den Vordergrund gerückt (auch οὐκ οἶδα σαφῶς in Z. 14–15 hätte anders formuliert werden können). Neues zum „Antheia-Fragment“ (PSI VI 726) 33 11–12: ̣ ̣ [̣ ]̣ ρεσα ̣ ̣ ̣ Ανθεια ι̣ δουσα το φαρ|[μ]ακον Norsa || [καὶ τ]ρέσα[σα]ν Ἄνθεια[ν] ἰδοῦσα, τὸ φάρ|[μ]ακον Zimmermann, mit Lodis Komm.: „la lettera che precede Ανθ. sembra ν“ || [ ]̣ ̣ [̣ ]̣ ρεσ [̣ ̣ ]̣ ν Ἄνθειαν ἰδοῦσα τὸ φάρ|[μ]ακον Stephens–Winkler || ̣ ̣ [̣ ]̣ ρεσα ̣ ̣ν Ἄνθεια [δ᾽] ἰδοῦσα τὸ φάρ|[μ]ακον López Martínez. Mit einiger Zuversicht meine ich auf der sehr schlecht erhaltenen Oberfläche des Stückes das AlphaIota von [κ]αί und das Gamma von γάρ erkennen zu können (vom Alpha des Wortes ist nur ein winziger, nichtssagender Rest erhalten). Der früher als Alpha gelesene Buchstabe nach ρεσ (der in meinen Augen gar keine Ähnlichkeit mit Alpha aufweist) ist m. E. ein durch Bruch und Verrücken eines kleinen Stücks entstelltes Omega. Die beiden nachfolgenden Buchstaben sind mehr geraten als gelesen, während das Schluß-Ny sicher ist. Schwierig ist die Lesung der Negation vor δοῦσα: Ich bin mir nicht ganz sicher, was Tinte und was Schmutz auf der Oberfläche ist. Man könnte zwar den linken Teil eines kleinen Omikron und die Unterlänge des Ypsilon ausmachen, die beiden Buchstaben wären dann aber sehr dicht beieinander geschrieben. Vielleicht hatten beide Buchstaben hier etwas besondere Formen (vgl. das Ypsilon von λαθοῦσα in Z. 8); auf jeden Fall ist mehr Platz vorhanden als nur für ein Iota. Für φάρμακον διδόναι = „Gift verabreichen“ s. etwa Heliodoros VIII 9.3: αὐτὴ δεδωκέναι διωμολόγει τῇ Κυβέλῃ τὸ φάρμακον, εἰληφέναι δὲ παρ’ αὐτῆς ἐκείνης ἐφ’ ᾧ δοῦναι μὲν τῇ Χαρικλείᾳ, προληφθεῖσαν δὲ εἴτε ὑπὸ θορύβου τῆς κατὰ τὴν πρᾶξιν ἀτοπίας εἴτε καὶ συγχεθεῖσαν ὑπὸ τῆς Κυβέλης προτέρᾳ δοῦναι τῇ Χαρικλείᾳ νευούσης, ἐναλλάξαι τὰς κύλικας καὶ τῇ πρεσβύτιδι προσενεγκεῖν ἐν ᾧ ἦν τὸ φάρμακον23; VIII 9.7. Plutarch, Aratus 52.3: ὁ δὲ ποιησάμενος τὸν Ἄρατον συνήθη, φάρμακον αὐτῷ δίδωσιν, οὐκ ὀξὺ καὶ σφοδρόν, ἀλλὰ τῶν θέρμας τε μαλακὰς τὸ πρῶτον ἐν τῷ σώματι καὶ βῆχα κινούντων ἀμβλεῖαν, εἶθ’ οὕτως κατὰ μικρὸν εἰς φθόαν περαινόντων. Artemidoros, Onirocriticon IV 71: Οἷον ἔδοξέ τις λέγειν αὐτῷ τὸν Πᾶνα ‘ἡ γυνή σοι φάρμακον δώσει διὰ τοῦ δεῖνος ὄντος γνωρίμου καὶ συνήθους’. Τούτου ἡ γυνὴ φάρμακον μὲν οὐκ ἔδωκεν, ἐμοιχεύθη δὲ ὑπ’ αὐτοῦ ἐκείνου δι’ οὗ ἐλέγετο φάρμακον δώσειν. 12–13: και κατακρυψασα ως μαλιστα υ ̣ ̣ |[ ]̣ σεσθαι περιεπειν ε[ ]̣ τ̣ αδε κτλ. Norsa || κ[αὶ] κατακρύψασα ὡς μάλιστα υ ̣ |̣ [ἔ]σεσθαι περιέπειν ε[ἴα]· τὰ δὲ κτλ. Zimmermann ([ἔ]σεσθαι bereits Lavagnini; nach ε[ἴα] Hochpunkt als Interpunktion des Papyrus [es handelt sich aber vielmehr um einen Doppelpunkt]) mit Lodis Komm.: „και non si legge tutto: il solo κ pare probabile“; „[l’]ultima lettera [sc. von Z. 12] sembra α o λ“ || καὶ κατακρύψασα ὡς μάλιστα ὑ ̣ [̣ ]̣ | ̣ ̣ ε̣ σ ̣ ̣ ̣ περιεγ°νετο. τὰ δὲ κτλ. Stephens–Winkler. Trotz mehrerer Versuche konnte ich an diesem Punkt nicht weiterkommen. Am Anfang ist selbst das Kappa von κα[ί] mehr geraten als gelesen, aber welches Wort käme statt dessen in Frage? Davor könnte ein Hochpunkt stehen (wenn es sich nicht um zufällige Tinte handelt), was bedeuten mag, daß mit der Konjunktion ein neuer Satz begann. Was den Schluß vor dem immerhin eine klare Grenze bildenden Doppelpunkt betrifft, so scheint mir der Buchstabe nach περιε tatsächlich nur Gamma oder Pi sein zu können (trifft ersteres zu, so ist ein Strich, der anderenfalls das rechte Bein des Pi wäre, als zufällige Tinte abzutun). Liest man Gamma, so kommt nur das von Stephens und Winkler erstmals in Betracht gezogene περιγίνεσθαι in Frage. Allerdings sehe ich nach dem dritten Epsilon ziemlich klar ein beschädigtes Iota; es könnte sich demnach nur noch um die Form des Imperfekts περιεγείνετ[ο] handeln, mit einem ziemlich kleinen, an das Tau angehängten Omikron (vgl. II 5, ἀναρπάσασα τὸ κτλ.), von dem keine Spur übriggeblieben wäre. Die iotazistische Schreibung περιεγείνετο statt περιεγίνετο wäre freilich im Text singulär (zu II 18 mit vermeintlichem ικασια für εἰκασία, also dem umgekehrten Fall, s. oben, S. 28). Das Verb verstehen Stephens–Winkler im Sinne von „entkommen, gerettet werden“ (dieser Gebrauch des Wortes liegt etwa bei Achilleus Tatios vor, s. O’Sullivan, Lexicon s. v.; vgl. auch Heliodoros IV 8.7; V 7.1). Trifft statt dessen die früher bevorzugte Lesung zu, περιέπειν, so kommt für das nachfolgende kurze Wort am ehesten εὖ in Frage (für περιέπειν εὖ vgl. LSJ s. v. περιέπω 1; Achilleus Tatios VIII 17.4: περιεῖπεν εὖ καὶ καλῶς). Bei keiner der beiden Lesungen verstehe ich aber Syntax und Sinn, zumal mir auch der Schluß von II 12 paläographisch völlig rätselhaft bleibt. Die einzigen sicheren Anhaltspunkte sind, daß die Frau von Z. 7 Subjekt von κατακρύψασα ist und daß als Objekt des Partizips wohl Antheia gemeint ist (eher 23 Der Relativsatz ist nach Reeve, „Hiatus“ 520, Anm. 1, zu tilgen. 34 D. Kaltsas als τὸ φάρμακον, wie von manchen angenommen; auch ἑαυτήν wäre denkbar, läßt sich aber nirgendwo unterbringen). Hingewiesen sei ferner auf die gleich im Anschluß hieran gestellte Frage des Lysippos über das Schicksal der Antheia (II 13–14, s. Abschnitt V): Daß diese als neuer Punkt formuliert wurde, könnte andeuten, daß das zuletzt davor Gesagte hauptsächlich nicht diese Frau betraf, sondern die andere. Ab II 7 informiert also der anonyme Berichterstatter über das Befinden einer dritten Person, nachdem er in II 4–7 zunächst über Thraseas, dann über Thalassia gesprochen hatte; die neue Information wird mit einem zweiten δέ angeknüpft, nach dem μέν in Z. 4 und dem δέ in Z. 5. Es handelt sich um eine Frau, deren Name mit -τις (-τίς?) endet (leider kann ich die kärglichen Reste des Anfangs nicht lesen). Die Frau, hören wir, sei geflüchtet aus Angst vor Thalassia, weil sie gegen deren Willen Antheia geholfen habe. Anschließend wird präzisiert, wie sie gegen Thalassia und für Antheia agiert hat: Sie sollte letztere vergiften, natürlich auf Geheiß der Thalassia; dies habe sie jedoch nicht ausgeführt, sondern Antheia vielmehr versteckt – der Rest ist nicht mehr auszumachen. Akzeptiert man die Neulesungen, so ergeben sich folgende Konsequenzen für die zugrundeliegende Situation: Thalassia gehörte zu den Bösewichten des Romans – wie groß ihre Rolle darin war, können wir nicht bestimmen. Sie hat versucht, Antheia durch Gift beseitigen zu lassen. Eine Parallele bietet uns Heliodoros: Im achten Buch der Aethiopica läßt die Gemahlin des Satrapen von Ägypten, Arsake, die Heldin des Romans, Charikleia, durch ihre treue Dienerin Kybele vergiften. Natürlich scheitert die Intrige, die Becher werden noch rechtzeitig vertauscht, und statt Charikleia stirbt Kybele (Heliodoros VIII 6.5–8.3). Auch in unserem Roman gab es eine dritte Frau, -tis, welche das Gift verabreichen sollte; es könnte sich auch bei ihr um eine Dienerin, eben der Thalassia, gehandelt haben. Die Persönlichkeit wird aber eine ganz andere gewesen sein: Kybele war ja selbst die Urheberin des Vergiftungsplans (VIII 6.5–7.2) und hat noch im Sterben gegen Charikleia falsch ausgesagt (VIII 8.2); dagegen hat die hier in Rede stehende Frau Mitleid mit Antheia gehabt und ihr das Leben gerettet. Man ist zum einen an Plangon erinnert, die Dienerin des Dionysios, die in Charitons Callirhoe der Heldin in ihren Schwierigkeiten beisteht, wenn auch zunächst nicht ganz uneigennützig (Chariton II 2.1 u. ö.), zum anderen etwa an einen Fall wie denjenigen des Lampon, welcher in den Ephesiaca von seiner Herrin, der bösen Manto, angewiesen wird, Anthia zu töten, dieser aber aus Mitleid das Leben schenkt und sie statt dessen in die Ferne verkauft (Xenophon Ephesius II 11). Die Situation in unserem Fragment legt nahe, daß Antheia sich zeitweilig in der Macht ihrer Gegnerin befand – zumal sie allem Anschein nach durch die dritte Frau versteckt werden mußte, um heil zu bleiben (II 12); in einem vergleichbaren Verhältnis zu den beiden Damen, die ihnen nach dem Leben trachteten, standen auch Anthia (als Sklavin der Manto) und Charikleia (als unfreiwilliger Gast im Satrapen-Palast). Der Grund, warum Heliodoros’ Arsake den Tod der Charikleia wünschte, war ihre Leidenschaft für den Helden des Romans, Theagenes – der selbstverständlich nur für Charikleia Augen hatte. Bei Manto war es die Liebe ihres eigenen Mannes für Anthia, die den unmittelbaren Anlaß für den Mordbefehl bildete; früher hatte freilich auch sie versucht, den Helden des Romans, Habrokomes, für sich zu gewinnen, war von diesem aus Treue zu Anthia abgewiesen worden und trug dies jener immer noch nach (Xenophon Ephesius II 11.2). Auch in unserem Falle mag es um einen Mann gegangen sein. Aber welchen? Zu dem einzigen für uns greifbaren Kandidaten, Thraseas, s. die Diskussion im Folgenden, Abschnitt VIII; die Frage kann nicht entschieden werden. V. Antheias Begegnung mit Lysandros (II 13–17) Für diese Zeilen schlage ich folgende Herstellung vor: 13 - - - - - - - - - - - - - - - - - - ‘τὰ δὲ Ἀνθείας 14 [π]ῶς ἔχ[ε]ι λέγε, ὦ φίλτατε·’ ‘οὐκ οἶδα,’ ἔφη, 15 σαφῶ[ς. Ὁ] μὲν γὰρ Λύσανδρος αὐτὴν ὁ Sπ[α]ρ16 τιάτης παρέδωκεν δ [̣ ̣ ]̣ ̣ ·̣ καὶ Θρασέα[ς] 17 ἐξῄ̣[τ]ητο ἐπ᾽ α[ὐ]τῇ· κτλ. 14 φιλτατε : Pap. 16 δ [̣ ̣ ]̣ ̣ ·̣ Pap. 17 α[υ]τη· Pap. Neues zum „Antheia-Fragment“ (PSI VI 726) 35 „Aber sag doch, wie es um Antheia steht, liebster Freund!“ „Ich weiß es nicht“, sagte er, „genau. Denn Lysandros der Spartaner hat sie - - - übergeben; und Thraseas war ihretwegen (bzw. zusätzlich zu ihr) zur Auslieferung verlangt worden (?).“ 13–14: ταδε Ανθειας | [ ̣ ]̣ ιδεχ[ ]̣ ̣ λεγειν φιλτατε Norsa mit Anm. zu Z. 33 (= II 14) „[p]arrebbe [ἐπ]ιδέχ[ο]υ“ || τὰ δὲ Ἀνθείας | [ἐπ]ιδέχ[ου] λέγειν φίλτατε Zimmermann || τὰ δὲ Ἀνθείας, | [ο]ὐδ᾽ ἔχ[ει] λέγειν, φίλτατε; Stephens–Winkler. Die hier vorgelegten Lesungen scheinen mir gut vertretbar zu sein. Das Epsilon der Endung von ἔχ[ε]ι ist völlig verschwunden, und der Platz, den es eingenommen hätte, aus restauratorischen Gründen etwas reduziert, s. oben, S. 28. Vom ὦ vor φίλτατε ist nur noch das rechte Ende erhalten; für ὦ φίλτατε vgl. Xenophon Ephesius III 2.15 (zwischen Männern); Achilleus Tatios V 15.6; V 26.1 (eine Frau zu einem Mann). Auf das Problem, daß bei meiner Deutung des Textes die Person, die hier so angeredet wird, vorher mit keinem Wort vorgestellt worden ist, habe ich oben, S. 31 und Anm. 22 aufmerksam gemacht. 15–16: [ο] μεν γαρ Λυσανδρ[ο]ς αυτη σι ̣ ̣ |̣ [ ̣ ]̣ τ̣ ης παρεδωκεν δη[ ̣ ]̣ α[ ]̣ ̣ Norsa || [ὁ] μὲν γὰρ ̣ |[ ̣ ]̣ τ̣ ης παρέδωκεν δὴ [ἱκ]α[ν]ά Zimmermann nach Lodi, mit ihrem Λύσανδρ[ο]ς αὐτῇ σι ̣ ̣ [̣ ]̣ φ Komm. zu II 16 Anfang: „Piuttosto τ che γ; la lettera precedente potrebbe essere α“ sowie (im Zeilenkomm.) dem Vorschlag Crönerts für den Übergang zwischen den Zeilen ἀφ᾽ ἁρπαγῆς (also etwa ἀφ᾽ | [ἁρπ]αγῆς)24 || [ὁ] μὲν γὰρ Λύσανδρος αὐτὴν ὑπ[ὸ ἁ]ρ|παγῆς παρέδωκεν δ [̣ ̣ ]̣ ̣ ̣ ̣ Stephens–Winkler. Das von Stephens–Winkler gelesene Ny von αυτην in II 15 ist sicher. Danach sieht man zwei rundliche Reste oben in der Zeile, die Stephens–Winkler einem ungewöhnlich breiten Ypsilon zuweisen. Meines Erachtens sind sie durchaus vereinbar mit einem Omikron und einem Sigma. Rechts hiervon sieht man mit Stephens und Winkler das Pi und nach einer Lücke in der Breite eines Buchstabens das Rho (von Lodi als Phi mißdeutet). Für den Anfang von II 16 vgl. die Lesung Lodis. Beachtenswert ist, daß [ὁ] μὲν γὰρ Λύσανδρος das einzige Beispiel für den Gebrauch des Artikels vor einem Personennamen im Papyrus darstellt; sollte unser geringfügiges Fragment für den diesbezüglichen Usus des Autors repräsentativ sein, so ließe sich zur Erklärung der Ausnahme – da die Apposition ὁ Σπαρτιάτης an sich nicht ihr Grund sein kann (s. Kühner–Gerth I 600–601) – an den Fall „besonderer Hervorhebung“ denken (ebd. 601), der Gebrauch wäre also durch die allgemeine Bekanntheit des Lysandros bedingt; siehe im Folgenden25. Für ein vergleichbares Hyperbaton zwischen Namen und Apposition vgl. etwa Plutarch, De Herodoti malignitate 868 F: καὶ Λακράτης μὲν αὐτοῖς ὁ Σπαρτιάτης ἄντικρυς ἐμαρτύρησεν. Ein weiteres Hyperbaton weist unser Stück allem Anschein nach in I 15–16 auf (πολλῶν - - - φόνων), s. im Folgenden, S. 43. Was nach παρέδωκεν in II 16 steht, konnte ich nicht mit Sicherheit feststellen. Wir brauchen eine Ergänzung zu diesem Verb: nach den Platzverhältnissen zu urteilen einen Dativ, der besagt, wem Lysandros die Frau übergeben hat26 (man könnte etwa denken an den Dativ eines Personennamens, eines Ethnikon im Plural, einer Funktionsbezeichnung, oder sogar an etwas wie δεσμοῖς [Achilleus Tatios VIII 8.6] oder θανάτῳ [Achilleus Tatios zit. (θανάτοις); VIII 8.9; 9.11]). Was die Lesung betrifft, so scheint der Buchstabe nach dem Delta am ehesten ein Eta, ein Ny oder vielleicht ein Iota mit Teil eines nachfolgenden Tau zu sein. Nach einer Lücke, in welcher etwa zwei Buchstaben standen, sehe ich einen Buchstabenrest, der etwa zu einem Alpha (am ehesten), einem Lambda oder allenfalls dem rechten Teil eines My gehören könnte. Was rechts davon steht, halte ich für den linken Teil eines entzweigerissenen Omega, dessen rechte Hälfte 24 Zimmermann und Crönert schwebte etwas wie „Lysandros übergab ihr ausreichende X aus einer Beute“ vor. 25 Ähnliche Fügungen lassen sich in den fünf vollständig erhaltenen Romanen antreffen (s. etwa Xenophon Ephesius V 9.1: ὁ δὲ Ἱππόθοος ὁ Περίνθιος; Chariton IV 2.4: ὁ δὲ Μιθριδάτης ὁ σατράπης); in diesen Werken begegnet aber auch sonst der anaphorische Gebrauch des Artikels bei Personennamen, was in unserem Text nach dem erhaltenen Ausschnitt zu urteilen eben nicht der Fall war. 26 Aus Versehen geben Stephens–Winkler παρέδωκεν mit „betrayed“ wieder, als stünde da προέδωκεν (nicht relevant ist LSJ s. v. παραδίδωμι I 2 „give a city or person into another’s hands … deliver up, surrender … with collat. notion of treachery, betray“. Eine bessere Wiedergabe bei Morgan, „Riddle“ 85: „Lysandros handed her over in a kidnap“). Zu dem hier diskutierten Wort sagen Stephens–Winkler, S. 287: „an adverb? Initially δη or δε, and after break, ναϲ or νωϲ seems possible.“ Für Zimmermanns Deutung s. oben, Anm. 24. 36 D. Kaltsas das Wort auch beschließt; beide Teile des Buchstabens stehen infolge der Position der sie beherbergenden Stücke Papyrus etwas schief. Meines Erachtens gibt es also nach der Lücke nur zwei Buchstaben, nicht drei. Wenn die Lesung des letzten Buchstabens als Omega richtig ist, so dürfte ein Dativ Singular vorliegen. Um was für ein Wort es sich aber konkret handelt, bleibt unsicher. δημίῳ oder δημοσίῳ (LSJ s. v. IIa), „dem Henker“, läßt sich nicht lesen. Unter den Möglichkeiten, die eine Reihe von TLG-Suchen mit verschiedenen Kombinationen des Erhaltenen mit den Unbekannten ergab, schien mir allenfalls der Personenname ∆ημύλος in Frage zu kommen (d. h. ∆η[μύ]λῳ̣); dieser ist in der Literatur selten27, immerhin in der attischen Komödie bezeugt (Sosipatros, Fr. 1, 2 K.–A.) sowie als Charaktername bei Lukian (Philopseudes sive incredulus 25) und Claudius Ailianos (Epistulae rusticae 18). Zu nennen ist vielleicht auch der schattenhafte, mal Demylos, mal anders heißende Tyrann, von dessen Zusammenstoß mit Zenon von Elea (5. Jh. v. Chr.) erzählt wurde, etwa bei Plutarch, Adversus Colotem 1126 D–E (= Zenon [29] A 7 Diels–Kranz); siehe zur Frage Untersteiner, Zenone 11–13; Berve, Tyrannis I 159 mit II 611; von Fritz, „Zenon“ 54–55. Bei der extremen Unsicherheit der Sache lasse ich mich auf keine weiteren Spekulationen ein. 16–17: και Θρασε[α ̣ ]̣ | ε [̣ ̣ ̣ ̣ ]̣ τοε ̣ ̣ [̣ ̣ ]̣ η Norsa || καὶ Θρασέ[ας δ᾽] | ἐξ[επτό]ητο ἐπ᾽ α[ὐ]τῇ Zimmermann, für Z. 17 nach Crönert und Lodi || καὶ Θρασ°α[ς] | ἐξῄ̣ρητο ἐπ’ αὐτῆι Stephens–Winkler. Wie Stephens–Winkler zu II 15 bemerken (S. 287), ist das von Zimmermann am Ende von Z. 16 eingefügte δέ unnötig. Man kann nach der Lücke, die den größten Teil des zweiten Alpha von Θρασέα[ς] verschlungen hat, eine Tintenspur sehen, die, wenn sie nicht zufällig ist, zum Ausläufer des Schluß-Sigma gehören wird; Alpha-Sigma wäre in diesem Falle etwas breiter geschrieben als meistens im Text, die Lesung wäre aber noch akzeptabel. Das am Anfang von Z. 17 Stehende kann man mit εξ ̣ [̣ ]̣ ητο oder εξ [̣ ]̣ ητο transkribieren, je nachdem, ob eine nach dem Xi zu sehende Tintenspur als Rest des Ausläufers dieses Buchstabens (vgl. das Xi von ἐξέ|πλευσεν in II 7) oder als Teil eines anderen Buchstabens gedeutet wird. Die Lesungen Lodis, die dem bei Zimmermann gedruckten ἐξ[επτό]ητο (wohl vielmehr ἐξεπ[τό]ητο) zugrunde liegen, sind an sich ansprechend, für zwei Buchstaben ist die Lücke aber dann doch zu schmal (vgl. Stephens–Winkler zu II 17 [S. 288]); auch vom Sinn her läßt sich mit ἐκπτοεῖσθαι nicht viel anfangen28. Stephens–Winkler zu II 17 (S. 287–288) schreiben: „options would appear to be limited to a pluperfect middle/passive of an ἐξ-compound. - - - Either ἐξήρητο or ἐξέριπτο (= ἐξέρριπτο) are possibilities. Presumably Thraseas is the subject, not Antheia (who would seem to be ἐπ᾽ αὐτῆι below?). - - - Has Thraseas been removed from Antheia’s presence so that he cannot fall in love with her?“ Vgl. ihre bereits zitierte Übersetzung „and Thraseas has been removed because of her(?)“. Das von Stephens–Winkler gebotene ἐξῄ̣ρητο kann man als Lesung im großen und ganzen nachvollziehen (man muß eben mit einem lang auslaufenden Xi rechnen; der folgende Buchstabe sieht zwar eher wie der Rest eines Pi aus [vgl. Lodis Lesung], doch könnte man die Lesung als Eta unter Hinweis auf ἦν in I 7 verteidigen); von dem zwischen den beiden Etas stehenden Buchstaben ist aber gar keine Spur mehr vorhanden. Aus inhaltlichen Gründen scheint mir der paläographisch gleich wahrscheinlichen Lesung ἐξῄ̣[τ]ητο (passiv gebraucht) der Vorzug zu geben zu sein: Eben war die Rede von der „Übergabe“ der Antheia durch Lysandros; in diesen Zusammenhang paßt gut das Verb ἐξαιτεῖν in seiner Bedeutung „demand the surrender of a person, esp. a criminal“ (LSJ s. v. Ι). Vgl. Heliodoros II 9.2–3: καὶ τέλος τὴν Θίσβην εἰς βασάνους ἐξῄτουν. Ὡς δὲ ὑποσχόμενος ὁ πατὴρ οὐκ εἶχε παραδιδόναι, κτλ. Diodoros Siculus VIII 25.3 (= VIII Fr. 36.3 Cohen-Skalli29): εὐλαβεῖτο γάρ, μὴ τοὺς αἰτίους τῆς λῃστείας οὔθ’ εὑρεῖν δυνάμενος οὔτε παραδιδοὺς τοῖς ἐξαιτοῦσι δόξῃ πόλεμον ἄδικον ἐπαναιρεῖσθαι. Siehe aber im Folgenden, S. 38. Zum Ende des Satzes merken Stephens–Winkler an, S. 288: „the reading is anomalous on two counts: elsewhere in the body of the text, when the readings are not in doubt, there is scriptio plena, and iota adscript 27 Ausweislich der Bände des LGPN wurde er noch in der Kaiserzeit als Name getragen, freilich ohne besonders häufig zu sein. 28 Zimmermann kommentiert: „Pass. ἐκπτοέομαι ‘sich entsetzen, erschrecken’ - - - Die Handlungsweise der Antheia ist demnach dem Thraseas völlig unverständlich.“ 29 A. Cohen-Skalli, Diodore de Sicile, Bibliothèque historique, Fragments I (CUF, Série grecque, 486), Paris 2012. Neues zum „Antheia-Fragment“ (PSI VI 726) 37 was not written.“ Das zweite Problem besteht nicht, denn nach dem Eta steht nicht ein iota adscriptum, sondern der Hochpunkt, der hier zu erwarten ist und den bereits Norsa so gelesen hat. Die Elision wäre dagegen in der Tat eine Abweichung vom usus scribendi im Stück (s. oben, S. 28–29). Nun sieht man auf dem Scan, daß das rechte Bein des Pi der Präposition länger ist als sein linkes; in dieser Form kommt dies beim Buchstaben im Text ansonsten nicht vor (länger als das linke, aber nach rechts gebogen, ist etwa das rechte Bein bei den beiden Pis in II 1 Λύσιππος). Könnte es sich vielmehr um ein nachträglich zwischen das Pi und das Alpha gequetschtes Iota handeln, das die scriptio plena wiederherzustellen bestimmt war? (Zu transkribieren wäre dann ἐπὶ α[ὐ]τῇ.) Dies wäre ein sehr interessantes Zeugnis für die Konsequenz des Kopisten (freilich in einer Sache, die an sich der Mühe nicht wert erscheint). Wie der Präpositionalausdruck genau zu verstehen ist, bleibt mit dem ganzen Zusammenhang im dunkeln. Am nächsten liegt vielleicht der kausale Gebrauch, an den bereits Zimmermann und Stephens– Winkler gedacht haben (LSJ s. v. ἐπί B III 1; vgl. das bei O’Sullivan, Lexicon s. v. ἐπί C III 1b [S. 151] genannte Beispiel für die Verbindung mit dem Dativ einer Person, Achilleus Tatios V 25.5: ὁ ἀνὴρ - - μοιχείαν κατέγνωκεν ἐπὶ σοί, und doch auch VII 16.1: οὐκ ἔστι φονεὺς ἐφ᾽ ᾗ καταδεδίκασται): „er war wegen Antheia zur Auslieferung verlangt worden“; aber zumindest ebenso wahrscheinlich wäre im Kontext die Bedeutung „zusätzlich zu“ (LSJ B I 1e): „neben Antheia“, „zusätzlich zu Antheia“. Siehe gleich im Folgenden. Nach der hier verfochtenen Neulesung ist also Antheia (vermutlich erst nachdem sie aus Thalassias Händen entkommen war) mit einem Spartaner namens Lysandros in Kontakt gekommen, der über ihr Schicksal zu entscheiden hatte und dies in ihr offenbar ungünstigem Sinne tat. Bei der Kombination von Namen, Ethnikon und Machtposition (vgl. auch die sprachliche Beobachtung oben, S. 35) liegt es sicherlich am nächsten, an den berühmten Lysandros zu denken, den Politiker und Militär, der Ende des 5. und Anfang des 4. Jh. v. Chr. tätig war, Sparta zum Sieg über Athen im Peloponnesischen Krieg verhalf und die politische Situation in der griechischen Welt zu lenken suchte30. Trifft dies zu, so enthüllt sich uns die Zeit, in welcher der Roman spielte, nämlich das Ende des 5. bzw. die Wende vom 5. zum 4. Jh.; in die Handlung war mindestens eine literarisch bezeugte Persönlichkeit aus jener Epoche eingeflochten. Hierfür läßt sich aus den erhaltenen Romanen die Parallele des Chariton beibringen, dessen Kallirhoe als Tochter eines anderen Helden des Peloponnesischen Krieges dargestellt wird, des Syrakusaners Hermokrates (Callirhoe I 1.1 u. ö.); in demselben Roman treten ferner der persische König Artaxerxes und seine Frau, Stateira, als handelnde Personen auf (v. a. in Büchern V–VIII). Von literarisch bezeugten historischen Persönlichkeiten handelte auch der Roman Metiochos und Parthenope: Metiochos war Sohn des Miltiades, Parthenope Tochter des Samiers Polykrates, der an den Ereignissen des früheren Teils des Romans auch aktiv beteiligt war (Hägg–Utas, Virgin 215–241). Siehe für diesen Aspekt des griechischen Romans den grundlegenden Beitrag Häggs, „Beginnings“; zu Chariton s. ferner Hunter, „History“ und Ramelli, „Caritone“; und vgl. für die ganze Frage auch Dostálová, „Romanzo storico“ (mit weiter gestecktem Rahmen). Weitere Überlegungen hierzu am Ende des Aufsatzes, Abschnitt IX. Wie groß die Rolle war, die Lysandros in unserem Roman spielte, ist nicht zu ermitteln. Sein Kontakt mit Antheia, um den es hier geht, kann direkt, aber allenfalls auch indirekt gewesen sein, im Mittelpunkt der Handlung, zumindest für einen Teil des Werkes, gestanden haben oder aber nur eine flüchtig erzählte Episode unter vielen gewesen sein. Die Nennung des Ethnikon des Mannes ist keineswegs unvereinbar mit der Annahme, daß im Roman schon viel von ihm gesprochen war. Auf jeden Fall scheint seine Begegnung mit unserer Heldin für sie keinen glücklichen Ausgang gehabt zu haben: Es heißt, er habe sie ausgeliefert dem –; leider läßt sich das indirekte Objekt des Verbs παρέδωκεν nicht wiederherstellen (s. oben zu Z. 15–16). Wenn es ein Personenname war, so wäre am ehesten an jemanden zu denken, mit welchem Antheia in einer früheren Phase der Romanhandlung in Berührung gekommen war und der, aus welchem Grund auch immer, Böses mit ihr vorhatte; daß es sich dabei um eine Pri30 Stephens–Winkler bemerken zu II 15 (S. 287, vgl. allgemeiner S. 278 und II 1 Komm. [S. 285]), daß der Name, wie vielleicht andere im Text, von Xenophons Hellenica inspiriert sein könnte, wo er öfter in Zusammenhang mit dem hier diskutierten Spartaner vorkommt; jetzt sehen wir, daß es sich nicht um den bloßen Namen, sondern um die historische Figur selbst handelt. 38 D. Kaltsas vatperson handelte, wäre zwar nicht ausgeschlossen, näher läge aber vielleicht der Gedanke an jemanden, der eine Machtposition innehatte. Um so eher wäre letzteres anzunehmen, wenn die Ergänzung in II 17 richtig ist und von derselben Seite auch Thraseas in einigermaßen formeller Art gesucht war. Dies würde zugleich einen Fingerzeig über die Stellung des Thraseas im Roman (und zu Antheia) liefern. Da dies ein zentrales Problem der Interpretation ist, sei hier aber noch einmal ausdrücklich betont, daß Lesung und Vervollständigung an besagter Stelle unsicher ist. Siehe auch im Folgenden, Abschnitt VIII. VI. Der Anfang des Gesprächs Wie bereits erwähnt, hebt der Berichterstatter mit Informationen über Thraseas und Thalassia an (II 4–7); leider habe ich bei der Lesung dieser für die Gesamtdeutung ausnehmend wichtigen Zeilen (s. im Folgenden, Abschnitt VIII) keinen Fortschritt erzielen können. Ich erwähne nur, daß mir sehr zweifelhaft ist, ob bei der auf Thalassia bezogenen Angabe in Z. 5–6 ἀναρπάσασα τὸ πλοῖ|[ο]ν Κλεάνδρου der Akkusativ τὸ πλοῖον richtig sein kann31. Einen Vorschlag – freilich einen recht unsicheren – habe ich für den Teil der Einleitung des Berichtes (II 1–4), in welchem präzisiert wird, worüber denn Lysippos von seinen Bekannten Informationen erbeten hat, Z. 3–4: 2 - - - - - - - - - - - - - - πυνθάνεται τῶν γνω3 ρ[ί]μων τὴν κατάστασιν [π]ᾶσαν τ[ῆς] ἐν Σά4 [μῳ] πολιτ[ε]ίας· Θρασέας - - 4 πολιτ[ε]ιας· Pap. ̣ σα|[ ̣ ]̣ πολιτ[ ]̣ [̣ ̣ ]̣ Norsa || πᾶσαν τ[ῆς ἕ]ως ἄ|[ρτι] πολιτ[ε]ί[ας] Zimmermann || 3–4: πασαν τ ̣ ̣ ω ̣ ̣ ̣ ̣ [π]ᾶσαν ωσα|[2–3] πολιτ ̣ ̣ ̣ ̣ Stephens–Winkler. An Zimmermanns Vervollständigung der Stelle mißfällt die regelwidrige Silbentrennung ἄ|ρτι statt ἄρ|τι (im Text wird oft und immer korrekt getrennt). Stephens–Winkler merken an, S. 285–286: „the ̣ σα|[ ̣ ̣ ]̣ πολιτείας·, but ωσα has prosimplest solution is a genitive following κατάστασιν [π]ᾶσαν, τ∞ς ω ved intractable. τὴν κατάστασιν [π]ᾶσαν ἵν[α γ]νῷ σα|[φῶς τὰ] πολιτικά might do, but there is no room for a definite article.“ Die hier vorgeschlagene Rekonstruktion resultierte in erster Linie aus dem Versuch, eine Lösung für das tatsächlich fast „intractable“ σα- am Ende der Zeile zu finden; von den interpungierten Buchstaben sind manche nur noch spurenweise vorhanden, so daß der Vorschlag zu den unsichersten unter den in diesem Aufsatz unterbreiteten gehört. Immerhin meine ich, am Anfang von Z. 4 eine Tintenspur zu sehen, die zu dem rechten Teil des My gehören könnte. Die oben zitierten Zeilen wären dann etwa zu übersetzen mit er erkundigt sich bei seinen Bekannten über die politische Gesamtlage auf Samos32 (bzw. er erfährt von seinen Bekannten die politische usw., s. Anm. 22). Ich sehe im Text nichts, was ausdrücklich gegen Samos als einen der Schauplätze der Romanhandlung spräche: Die Frau, die Antheia unterstützt hat, sei ja von dem betreffenden Ort zu Schiff entkommen (II ̣ (̣ ?) οι|[ο]ν Zimmermann mit Lodis Anm.: „Dopo το c’è più spazio che per πλοι“ und seinem eigenen Komm.: „Da οι laut Lo[di]’s ausdrücklicher Versicherung das Zeilenende bildet, kommt kaum ein anderes Objekt als πλοῖον in Frage.“ || wie oben Stephens–Winkler. Meine Zweifel betreffen die Lesung, nicht die allgemeine Wahrscheinlichkeit der Situation (s. hierzu López Martínez, S. 303, Anm. 233): Ich lese ἀναρπάσασα τὸ ̣ ̣ ο̣ |̣ [1–2]ν; der Buchstabe nach dem Artikel könnte u. a. ein Ny sein, also kommt auch ein Maskulinum in Frage. Danach sehe ich einen rundlichen Rest oben in der Zeile. Der als Omikron gelesene vorletzte Buchstabe könnte allenfalls auch ein Rho sein. Der letzte Buchstabe der Zeile ist beschädigt; ich meine, mehr Tinte zu sehen als bei einem Iota zu erwarten. 32 Eine solche Wiedergabe des ἡ κατάστασις τῆς πολιτείας scheint, auch angesichts der Angaben, die in bezug darauf gemacht werden, vor dem sprachlich an sich näherliegenden „das gesamte politische System auf Samos“ (LSJ s. v. κατάστασις II 3) den Vorzug zu verdienen. Eine flüchtige TLG-Suche hat eine etwas späte Parallele für diese Bedeutungsnuance ergeben, Zosimos (5.–6. Jh.), Historia nova IV 21.3 (ed. F. Paschoud, Zosime, Histoire nouvelle II.2 [CUF, Série grecque], Paris 1979): συνέβαλλον οἱ τὰ τοιαῦτα ἐξηγεῖσθαι δεινοὶ τὴν ἐσομένην προμηνύειν τῆς πολιτείας κατάστασιν, ὅτι τε πληττόμενα καὶ μαστιγούμενα διατελέσει τὰ πράγματα, ψυχορραγοῦσιν ἐοικότα, μέχρις ἂν τῇ τῶν ἀρχόντων καὶ ἐπιτροπευόντων κακίᾳ τελέως φθαρείη (hier ist πολιτεία aber der Staat). 31 αναρπασασα το πλοι|[ο]ν Norsa || ἀναρπάσασα τὸ Neues zum „Antheia-Fragment“ (PSI VI 726) 39 7–8); an diesem Ort oder in der Umgebung habe sich auch der Spartaner Lysandros aufgehalten (II 15–16): Nun wissen wir, daß der „historische“ Lysandros in der allerletzten Phase des Peloponnesischen Krieges Samos belagert und eingenommen hat (siehe u. a. Xenophon, Hellenica II 3.3 und 6–7 sowie Diodoros Siculus XIV 3.4–5; vgl. für das historiographische Problem etwa Bearzot, Lisia 206–209 mit Lit.). Auch die Ereignisse von Kol. I, wie im Folgenden rekonstruiert (s. Abschnitt VII), mit einer möglichen Auseinandersetzung zwischen Griechen und Nicht-Griechen unter Beteiligung eines Persers, könnten im nahe gelegenen Westkleinasien spielen33. Aber natürlich reicht dies alles nicht, der Hypothese zur Gewißheit oder auch nur zu besonderer Wahrscheinlichkeit zu verhelfen. Sollte sie aber doch das Wahre treffen, so ließe sich ferner erwägen, ob der Rede von neuen politischen Entwicklungen auf der Insel, mit Auskunft über Thraseas (der ἄρχει, II 4–5) und wohl auch Thalassia (II 5–7), ein historisches Ereignis zugrunde liegen könnte, nämlich die politischen Umwälzungen, die Lysandros in Samos herbeiführte (s. etwa Shipley, Samos 130–134). Des weiteren wäre dann zu erörtern, ob denn das ganze Gespräch, welches in der zweiten Spalte des Papyrus wiedergegeben wird, selbst auf Samos stattfindet oder an einem nahe gelegenen Ort, dessen Einwohner über die Nachbarn gut unterrichtet sind. Mir ist letzteres wahrscheinlicher (u. a., weil am Anfang der Szene gesagt wird, daß sich Lysippos und Euxeinos ἐπὶ θάλατταν begeben haben [II 1–2]; trug sich die Szene auf Samos zu, so müßte man dem am ehesten entnehmen, daß sie sich bisher im Inneren der nicht gerade riesengroßen Insel aufhielten, so daß sich die Frage erhöbe, wieso denn die samischen Neuigkeiten ihnen nicht bereits bekannt waren [natürlich ist dies kein unerschütterliches Argument]). Daß sich auch die Szene von Kol. I 1–16 am ehesten woanders abspielte, ist bereits erwähnt worden; siehe gleich im Folgenden. Hingewiesen sei schließlich darauf, daß Samos der Hauptschauplatz der Handlung im früheren Teil und vielleicht auch wiederum am Schluß des Romans Metiochos und Parthenope war; siehe Hägg–Utas, Virgin 215–241 bzw. 247–250. VII. Zur ersten Spalte Hier ist der Erhaltungszustand besonders desolat. Bei Stephens–Winkler hat der Text folgende Form: [ ̣ ]̣ εις δ᾽ ἦσαν [10–12]ον [ ̣ ̣ ]̣ ρ̣ οτε|[ρ ]̣ ·̣ τοὺς μητ[10–12]πουσ ̣ κ̣ ον|[ ̣ ]̣ αν ὥσπερ ̣ ̣ [̣ ca. 6]σεχ ο̣ ς ἐρρω|[μέ]νοι· μήτε σ [̣ ]̣ εν [̣ ̣ ̣ ]̣ των διεμεν[ ̣ ̣ |5 μήτ]ε ἀναστῆναι ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ντας [ca. 6 | ca. 5] ̣ τ̣ ες τὸν νεὼν καὶ χεῖρ[ας νί]ψαν|[τες καὶ] πόδας καὶ εἴ τι ἄλλο ἦν ἄκρον· ενι|[ca. 5 δ]εσποτικῶν ἀναθημάτ[ων] κα|[ca. ̣ ον προ ̣ ο̣ ̣ ̣ ̣ |̣ 10[ca. 6] ̣ β ̣ ̣ δ̣ [ ]̣ φρου ̣ ̣ ̣ τ̣ [ca. 4 | ca. 6] τ̣ ες δίφρο[υ] τοῦ τῆς ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ |[ca. 6]ταις 6] ̣ ̣ ̣ π ̣ ̣ ̣ ̣ |̣ [ca. 6]τα η ̣ [ ]̣ ικου ἀνέστρεφε ε̣ κ ̣ |̣ [ca. 5]τοξαρην ὡς δια ̣ α ̣ σιαυτ ̣ ̣ ̣ ρ̣ α|15[ca. ἡλίκαις π[άσ]αις ρ ω 6]περ πολλῶν ἀπολογησαμεν ̣ν | [ca. 6]ησιν φόνων. ἡ δὲ ἐπεὶ κατα|[ca. 6 εἰς] τὴν πολίχνην ἔμελλεν, τὸ μὲν | [ca. 8] τοῖς κόλποις κατέθετο, μή τις αὐ|[τὴν ἀφέλη]ται πάλιν. αὐτὴ δὲ ἀνατείνασα (hiermit bricht der Text der Kolumne ab). Sie übersetzen: „[ - - - ] and there were | [ - - - ] some … | [ - - - ] just as … the strong … | [ - - - ] nor to |5 [ - - - ] nor cause to leave | [ - - - ] ––ing the temple and washing their hands | [and] feet and any other extremity. | [ - - - ] of the despot’s dedications | [ - - - ] - - - |10 [ - - - ] - - - | [ - - - ] … chair … | [ - - - ] to all women of like age | [ - - - ] … he was overthrowing | [ - - - ] … on the grounds that |15 [ - - - ] having defended himself | [against a charge] of many murders. But when she | was going [to lodge in] the village, she | [put the poison?] in her clothes, lest someone | [capture her] again; and she, stretching out“ 33 Bei dieser Gelegenheit erwähne ich die bereits von Zimmermann (I 17 Komm., S. 80–81, vgl. auch den Index der Eigennamen auf S. 114) in Betracht gezogene Möglichkeit, daß das in I 17 begegnende Wort πολιχνην (16–17: ἡ δὲ ἐπεὶ κατα|[ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ εἰς] τὴν πολίχνην ἔμελλεν) als Ortsname gebraucht ist; in der griechischen Toponymie ist dies nicht ganz selten, s. Kirsten, „Polichna“. Und sollte ein Teil der Handlung tatsächlich auf Samos gespielt haben, wie eben vorgeschlagen, so wäre am ehesten (wenn auch keineswegs zwingend) an Πολίχναι in dieser Gegend zu denken, wie die (von Herodot bezeugte) Nr. 4, die Nr. 9 und die (von Thukydides bezeugte) Nr. 10 bei Kirsten zit. (s. ferner Hornblower, Commentary 793 mit Lit. [zu Thukydides VIII 14.3]; Hornblower–Pelling, Histories 120 mit Lit. [zu Herodot VI 26.2]), eventuell Kirstens Nr. 8 (?). Für den Gebrauch des Artikels mit einem Ortsnamen vgl. etwa Achilleus Tatios II 15.1: καὶ ταχὺ καταπλεύσας εἰς τὴν Τύρον; V 17.1: ἥκομεν εἰς τὴν Ἔφεσον. 40 D. Kaltsas Hieraus läßt sich enttäuschend wenig gewinnen. Klar ist auf jeden Fall, daß spätestens in Z. 16 mit ἡ δὲ κτλ. Szenenwechsel stattfindet; daß alles Davorstehende eine einheitliche Szene darstellt, ist zwar sehr wahrscheinlich, kann aber nicht als ganz gesichert gelten. Mehr oder weniger verständlich sind nur die Z. 6–8, mit ihrem Hinweis auf einen Tempel mit Weihgaben; die Z. 14–16, wo von einer Verteidigung in Zusammenhang mit Mordtaten die Rede zu sein scheint; von Z. 16 bis zum Ende wiederum geht es um eine Frau, die bei der Einreise in eine πολίχνη (s. aber auch Anm. 33) etwas in ihren Kleidern versteckt, damit es ihr nicht wieder (!) genommen wird. Eine Verbindung des eben genannten Passus I 16–19 mit der besser verständlichen zweiten Spalte hat als erster Lavagnini durch folgende Ergänzungen hergestellt: ἡ δὲ ἐπεὶ κατα|[λύειν εἰς] τὴν πολίχνην ἔμελλεν τὸ μὲν | [φάρμακον ἐν] τοῖς κόλποις κατέθετο μή τις αὐ|[τὴν ἀφαιρῆ]ται πάλιν, offenbar inspiriert von II 11–12 (bei Lavagnini: Ἄνθεια [δὲ] ἰδοῦσα τὸ φάρ|[μ]ακον καὶ κατακρύψασα)34. Diese Herstellung ist von den späteren Interpreten mit leichten Änderungen beibehalten worden; in der anonymen Frau sieht man eben Antheia (Zimmermann, S. 79 [Vorbemerkung zum Zeilenkommentar zu Kol. I] und 80 zu Z. 16; Stephens–Winkler, S. 285, Komm. zu I 17–19 [vgl. S. 277]; López Martínez, S. 303 mit Anm. 230)35. Im Lichte der oben gegebenen Neulesung für II 11–12 erscheint nun die Ergänzung von φάρμακον in der Lücke am Anfang von I 18 weniger überzeugend; zumindest kann nicht das Gift gemeint sein, mit welchem Antheia getötet werden sollte und welches sich, soweit wir wissen, nicht in ihren Händen befunden hat. Besonders merkwürdig erscheint das am Anfang von Z. 14 stehende, übereinstimmend und ziemlich sicher gelesene ]τοξαρην: Zimmermann änderte zu τοξάρ⟨χ⟩ην, womit er einen Polizeibeamten der Stadt meinte, in welcher nach seiner Auffassung die ganze Szene spielte, nannte aber (S. 80, Zeilenkommentar zu Z. 14) auch den Vorschlag Crönerts, es könnte sich um einen „Barbarenname[n]“ handeln. Stephens–Winkler, S. 284 (Komm. zu I 14) schlagen zweierlei vor, einmal die Deutung als Nebenform zu τοξήρης, dann wiederum die Vervollständigung zu einem persischen Namen, Ἀρτοξάρης: „- - - attested as the name of a eunuch of Artaxerxes in Ktesias (Photios Epit. 72.42ff.). - - - an Artoxares could be one of the characters. Note, for example, that Artaxerxes and his eunuch Artaxates figure prominently in Chariton.“ Für den Passus in Z. 10 Ende bis 16 meine ich folgende Rekonstruktion vorschlagen zu können: ̣ 10 - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ̣ ̣ ]̣ ̣ ̣ α 11 [ca. 6] τ̣ ες δὲ φρο[υ]ροὺς τῆς ̣ ̣ [̣ ̣ ̣ ]̣ ̣ 12 [ca. 6] ταῖς ἡλικίαις κ[αὶ] ταῖς ῥώμ[αις ]̣ ̣ 13 [ca. 6]ται ἐπ᾽ [ο]ἴκου ἀνέστρεφον [ ]̣ ̣ [̣ ]̣ 14 [ca. 3 Ἀρ]τοξάρην, ὡς διὰ μιᾶς ταύτ[ης] πρά15 [ξεως ὑ]πὲρ πολλῶν ἀπολογησάμενον 16 [τοῖς Ἕλλ]ησιν φόνων. 16 φονων· Pap. ̣ σ ̣ ̣ ̣ ̣ [̣ ̣ ̣ ]̣ | ] ̣ α ̣ ις ηλικιαις ̣ ̣ ̣ α ̣ ισρ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ Norsa (hieraus ἐς δίφρο[ν] 11–12: ] ̣ ε̣ ς διφρο ̣ ̣ τ̣ ου ̣ ̣ η ̣ σ ̣ ̣ ̣ [̣ ̣ ̣ ]̣ | [ca. 6] ̣ [τ]αῖς ἡλικίαις π[άσ]αις· und [τ]αῖς ἡλικίαις Lavagnini) || [ca. 6] ̣ ε̣ ς δίφρο[ν τ]οῦ ̣ η ̣ σ und mit den ῥ[ύ]μ[αι δὲ ἦ|σαν κτλ.] Zimmermann auf Grund von Lodis Lesung in Z. 11: διφρο ̣ ο̣ υ ̣ η weiteren Kommentaren Lodis zu Z. 12: „Dopo ἡλικίαις traccia di un tratto verticale“ und „ῥ[ύ]μ[αι molto dubbio“ || [ca. 6] τ̣ ες δίφρο[υ] τοῦ τῆς ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ | [ca. 6]ταις ἡλίκαις π[άσ]αις ρ ω ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ Stephens–Winkler. Stephens–Winkler zu I 11 (S. 284) denken an einen δίφρος als Weihgabe im Tempel (vgl. I 6–8). Die hier vorgeschlagenen abweichenden Lesungen für Z. 11 scheinen mir zu den erhaltenen Spuren nicht in Widerspruch zu stehen (nur über das Epsilon von δέ ließe sich vielleicht streiten). Nach dem Artikel könnte Pi zu lesen sein, was auf das (paläographisch nicht verifizierbare) πόλεως führt; aber es wird andere Möglichkeiten geben. 34 In seinem app. crit. nannte Lavagnini auch die Alternative τὸ μὲν | [δακτύλιον ἐν] τοῖς κόλποις. 35 An Thalassia denkt hingegen Morgan, „Riddle“ 86 und 93. Neues zum „Antheia-Fragment“ (PSI VI 726) 41 Zu Z. 12: Zwischen dem Kappa und dem Alpha von ἡλικίαις gibt es sowohl Platz für als auch Spuren von einem Buchstaben, am ehesten eben Iota, wie vor Stephens–Winkler gelesen. Nach diesem Wort sehe auch ich wie Lodi Spuren eines vertikalen Strichs, den ich dem Kappa eines καί zuweise. Nach dem einhellig gelesenen Rho meine ich, den rechten Teil eines Omega und den linken Teil eines My zu sehen. Für die Kombination von ἡλικία und ῥώμη s. etwa Plutarch, Pericles 12.5: τοῖς μὲν γὰρ ἡλικίαν ἔχουσι καὶ ῥώμην αἱ στρατεῖαι τὰς ἀπὸ τῶν κοινῶν εὐπορίας παρεῖχον. Für den Gebrauch im Plural s. Diodoros Siculus XVII 108.1: κατὰ τοῦτον τὸν καιρὸν ἧκον εἰς τὰ Σοῦσα τρισμύριοι τῶν Περσῶν, νέοι μὲν παντελῶς ταῖς ἡλικίαις, ἐπιλελεγμένοι δὲ ταῖς τῶν σωμάτων εὐπρεπείαις τε καὶ ῥώμαις. Wenn die Neulesungen das Wahre treffen, wird in diesen beiden Zeilen am ehesten gesagt sein, daß die Gruppe, um die es geht, eine Anzahl junger und starker Männer als Wache in der (frisch eroberten?) Stadt (oder wo auch immer) zurückließ und selbst nach Hause zurückkehrte (s. die nächste Zeile). Der Akkusativ φρουρούς dürfte von einem Partizip abhängen, dessen letzte Buchstaben am Anfang von Z. 11 erhalten sind; man denkt am ehesten an καταλείπειν (vgl. etwa Xenophon, Cyropaedia VII 4.7: καὶ ἅμα ταῦτα λέγων ἀπῆγε τὸ στράτευμα, φρουροὺς ἐν ταῖς ἄκραις καταλιπών), aber die Lesung am Ende von Z. 10 ist schwierig: Der letzte Buchstabe könnte ein Alpha sein, direkt davor ist etwas zu sehen, was wie ein vertikaler Strich aussieht, vielleicht aber nur ein Teil des Risses der Oberfläche ist, den man auch darunter nach einer Lücke etwas nach links verschoben sieht. Trifft dies zu, so wäre die Lesung [κ]α|[ταλιπόν]τες (oder vielleicht sogar κα-) möglich (ich setze auch das Ny in die Klammer, weil ich dort, wo es stehen sollte, gar keine Tinte sehen kann; vgl. unten zu I 12 Anfang). Sicherlich wird es aber auch andere Möglichkeiten geben. Noch schwerer fällt es, einen sicheren Kandidaten zu finden für das Wort, auf welches sich die Dative in Z. 12 beziehen. Am liebsten hätte ich etwas ergänzt wie τοὺς ἀκμάζοντας ταῖς ἡλικίαις καὶ ταῖς ῥώμαις (vgl. Polybios XXX 25.3 [= Athenaios V 22, 194 D]: ἄνδρες ἀκμάζοντες ταῖς ἡλικίαις πεντακισχίλιοι. Plutarch, Aetia Romana et Graeca 304 D: ὁ δ’ ἄνθρωπος ἐκαλεῖτο μὲν Ἀνταγόρας, ἀκμάζων δὲ τῇ ῥώμῃ τοῦ σώματος ἐκέλευσεν αὑτῷ διαπαλαῖσαι τὸν Ἡρακλέα. φρουρούς wäre dann prädikativ gebraucht, vgl. Polyainos, Strategemata V 2.9: οἱ Καρχηδόνιοι πάνυ ἀσμένως τὰ χωρία παρελάμβανον ἄνευ μάχης καὶ πολλοὺς τῶν στρατιωτῶν φρουροὺς καὶ φύλακας ἐν ἑκάστῳ κατέλειπον). Eine solche Ergänzung wäre aber für den zwischen Z. 11–12 zur Verfügung stehenden Platz entschieden zu lang. An eine Plazierung des hier gesuchten Wortes nach ῥώμ[αις] zu denken (bzw. an eine Formulierung wie τοὺς ταῖς ἡλικίαις καὶ ταῖς ῥώμαις ἀκμάζοντας), hindert das verstümmelte Wort, mit welchem Z. 13 anfängt, da dessen Vervollständigung keinen Raum übrigließe (s. im Folgenden). Als eine unsichere Möglichkeit nenne ich dementsprechend ἀκμαίους, ohne Artikel (φρουρούς wäre demnach Objekt zu καταλιπόντες oder was auch immer: καταλιπόντες δὲ φρουροὺς τῆς – ἀκμαίους ταῖς ἡλικίαις καὶ ταῖς ῥώμαις); vgl. Polybios X 17.11: ἐκλέξας τοὺς εὐρωστοτάτους καὶ τοῖς εἴδεσι καὶ ταῖς ἡλικίαις ἀκμαιοτάτους. Herodian V 3.7: ἦν δὲ τὴν ἡλικίαν (mit v. l. τῇ ἡλικίᾳ) ἀκμαῖος καὶ τὴν ὄψιν τῶν κατ’ αὐτὸν ὡραιότατος μειρακίων πάντων. Heliodoros II 25.1: γύναιον Θρᾳκικὸν τὴν ὥραν ἀκμαῖον. Die Koppelung des Adjektivs mit ταῖς ῥώμαις ist weniger ansprechend (eine TLG-Suche ergibt nur zwei byzantinische Belege für ἀκμαῖος τὴν ῥώμην), vgl. aber immerhin das oben gegebene Beispiel aus Plutarch für ἀκμάζειν τῇ ῥώμῃ. Dann wäre ἀ|[κμαίους] ταῖς κτλ. herzustellen – den am Ende von Z. 11 stehenden Buchstabenrest kann ich aber nicht gut mit einem Alpha, und auch sonst nicht identifizieren; oder alternativ (und dann eng geschrieben) [ἀκμαίους] ταῖς κτλ.; das Sigma stand auf noch vorhandenem Papyrus (vgl. oben zu I 11 Anfang). 13: ]ταιεπ ̣ ι̣ κου ανεστεφεν ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ Norsa mit Anm.: „È possibile ἐπ[ιν]ίκου.“ || Z. 12–14: ῥ[ύ]μ[αι δὲ ἦ|σαν μεσ]ταὶ ἐπινίκου. ἀνέστεφεν ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ | [ ̣ ̣ ̣ τὸν] τοξάρ⟨χ⟩ην Zimmermann mit Komm.: „ἀνέστεφεν sehr ̣ [ ]̣ ικου ἀνέστρεφε ε̣ κ ̣ S ̣ tephens–Winkler. breit geschr[ieben]“ || [ca. 6]τα η Der Scan läßt keinen Zweifel daran, daß das Verb ἀναστρέφειν, wie von Stephens–Winkler gelesen, und nicht ἀναστέφειν war. Aus inhaltlichen Gründen möchte ich aber am Ende des Wortes kein Epsilon, sondern die linke Hälfte eines etwas großen Omikron lesen; danach den linken Teil eines Ny, wie bereits Norsa (und Lodi). Zum Sinn merken Stephens–Winkler an (S. 284): „Given that this passage continues with a mention of bloodshed [d. h. I 16 φόνων], and that the status of a government is at issue in the next 42 D. Kaltsas column, “he was overthrowing” might suit context better than “he was crowning.” The verb requires an object, which is presumably ]τοξαρην in the next line.“ Für das hier hergestellte ἀναστρέφειν ἐπ᾽ οἴκου = „nach Hause zurückkehren“ s. Strabo XV 1.61 (Bd. IV Radt, 714 C., Z. 19; = FGrHist Nr. 139 [Aristobulos von Kassandreia] F 41 [II B, S. 782.1–2]): συνακολουθήσαντα γὰρ μικρὰ τῷ βασιλεῖ ταχὺ ἀναστρέψαι πάλιν ἐπ’ οἴκου; vgl. auch Achilleus Tatios VI 3.1: δειπνήσας πάλιν ἀνέστρεφεν (mit v. l. ἀνέστρεψεν) ἐπὶ τὴν οἰκίαν. Nach dem oben, S. 28–29 diskutierten Usus des Kopisten hätte ich eigentlich ἐπὶ οἴκου erwartet, man müßte aber eine ziemlich gedrängte Schreibweise annehmen, um ein Iota unterzubringen; es wäre wie das Omikron spurlos verschwunden. Das Subjekt des Verbs ist natürlich dasselbe wie bei dem oben vermuteten Partizip von Z. 10–11 ([κ]α|[ταλιπόν]τες?). Das ]ται am Anfang von Z. 13 könnte nun die Endung des Substantivs sein, mit welchem dieses Subjekt ausgedrückt war. Um welches Wort es sich konkret handelte, läßt sich natürlich nicht erraten (οἱ πολῖται? οἱ ὁπλῖται? Ein Ethnikon auf -της36? Oder, mit einer völlig verschiedenen Auffassung der Situation, οἱ λῃσταί?). Auf den zweifachen Hiatus in I 13 hat Reeve, „Hiatus“ 537 (zu Pack2 2627) auf Grund der Lesung der ed. pr. (bzw. von Lavagnini) hingewiesen37. Für den Übergang zwischen dieser und der nächsten Zeile s. im Folgenden. ̣ σταυτ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ | ]περ πολλων απολογησαμενων | ]εισιν φονων Norsa (hieraus 14–16: ]τοξαρηνωσδια α ̣ σ ταῦτ[α] ̣ ̣ ̣ ̣ | [ καθά]περ πολλῶν κτλ. Lavagnini mit dem Alternativvorschlag ] τοξαρην ωσ δια α ̣ ς ταυτ[ ̣ ]̣ ̣ α ̣ | [ ̣ ̣ ̣ καί]περ πολλῶν ἀπολογησαμένων | zu 15 εἴ]περ) || [ ̣ ̣ ̣ τὸν] τοξάρ⟨χ⟩ην ὡς δι α [τὴν ἔγκλ]ησιν φόνων Zimmermann, mit Lodis Komm. zu Z. 14 Ende: „Le due lettere di cui restano tracce sembrano πρ, ovvero τρ“, und 16 Anfang: „Resto in dubbio se ]εισιν oppure ]ησιν; ma credo piuttosto ]ησιν“ (ἔγκλ]ησιν war der Vorschlag Ulrich Wilckens, Crönert wollte ἀπείλ]ησιν einsetzen). Für Z. 14 –15 dachte Zimmermann an etwas wie ὡς διὰ βίας ταῦτα πεπρα|χότα, gestand aber ein, daß dies der Raum ̣ σιαυτ ̣ ̣ ̣ ρ̣ α| [ca. 6]περ πολλῶν ἀπολογησαμεν ̣ν | [ca. 6]ησιν nicht zulasse. || [ca. 5]τοξαρην ὡς δια ̣ α φόνων Stephens–Winkler (im Komm., S. 284–285, nennen sie als mögliche Herstellung von 14–15 ὡς διαστασι (l. διαστάσει) oder διὰ στάσι⟨ν⟩ αὐτὰ πεπρα|[χότα]). Zu dem Übergang zwischen Z. 13–14: Am ehesten schiene mir ein weiteres Partizip im Nominativ Plural in Frage zu kommen, um eine Handlung des Subjekts des Satzes in bezug auf Artoxares zum Ausdruck zu bringen. Um was es genau ging, kann man nur vermuten. Denkbar ist etwa ein finales Partizip („sie gingen heim, um Artoxares zu …, da er in ihren Augen usw.“), ein modales („sie gingen heim, indem sie Artoxares … [etwa: priesen], da er in ihren Augen usw.“), oder ein temporales („sie gingen heim, nachdem sie Artoxares … hatten, da er usw.“). Ein konkreter Vorschlag, der zu den Raumverhältnissen und m. E. auch zu den geringfügigen Spuren am Ende von Z. 13 gut paßt, ist [ἀ]φέ[ν]|[τες Ἀρ]τοξάρην (temporal), also „und sie gingen heim, nachdem sie Artoxares freigelassen hatten, da er usw.“ Es folgt in Z. 15 ein kausales Partizip, das sich am besten auf besagten Artoxares beziehen läßt. Zur Lesung des vorletzten Buchstabens: Norsas Omega scheint mir wenig ansprechend; in Frage kommt statt dessen entweder ein links verstümmeltes Eta oder ein kleines, teilweise in das folgende Ny hineingeschriebenes Omikron. Aus der eben erwähnten inhaltlichen Überlegung ziehe ich die an zweiter Stelle genannte Lesung vor (so auch Stephens–Winkler zu I 15–16 [S. 285], ebenfalls mit dem Gedanken, daß das Bezugswort ]τοξαρην sei); die graphische Irregularität könnte vielleicht mit irgendeiner in scribendo getätigten Korrektur an dieser Stelle zusammenhängen. 36 Nur weil ich zufällig darauf gestoßen bin und ohne der Sache irgendwelche Wahrscheinlichkeit beizumessen, erwähne ich, daß zum Ortsnamen Πολίχνη (s. oben, Anm. 33) neben Πολιχναῖος auch Πολιχνίτης gebildet wurde, s. etwa Kirsten, „Polichna“ 1373 (zu Nr. 9); vgl. auch Stephanos Byzantios, Ethnica Π 202 Billerbeck–Neumann-Hartmann mit Komm. 37 Wenn ich Reeves Kriterien korrekt anwende, so ist ]ται ἐπ᾽, bei welchem -ται Endung eines Substantivs ist (s. Reeve, „Hiatus“ 515), der einzige etwas härtere Hiatus im erhaltenen Text, auch in seiner neuen Fassung. Vielleicht könnte man aber das Subjekt (-ται) enger zum Partizip, mit welchem der Satz begann, ziehen und nach ihm Pause annehmen; es handelte sich dann um den Fall des weniger anstößigen Hiatus „after a participial phrase“, Reeve, ebd. 516, Nr. 4(b); 518 (zu Heliodoros); 522 (zu Achilleus Tatios); 526 (zu Chariton); 529 (zu Longos). – Der zweite Fall in dieser Zeile, [ο]ἴκου ἀνέστρεφον, fiele unter die Kategorie „hiatus before a verbal prefix“, Reeve, ebd. 520 (zu Heliodoros); 523 (zu Achilleus Tatios); 527 (zu Chariton). Neues zum „Antheia-Fragment“ (PSI VI 726) 43 In Z. 14 sehe ich nach δια den rechten Teil eines My (der linke ist einem Loch im Papyrus zum Opfer gefallen) und dann sehr geringfügige Spuren eines Iota; am Ende der Zeile stimme ich mit Lodi in der Lesung πρα- überein. Für die Syntax vgl. Galen, De usu partium VII 9 (I 399.2–6 Helmreich [III 548 Kühn]): ᾧ δῆλον, ὡς ἱκανὰς εἰς μεγίστην διάστασιν ἄγειν τὸν πνεύμονα τὰς τραχείας ἀρτηρίας ἡ φύσις ἐδημιούργησε, καὶ δι’ ἑνὸς τούτου σοφίσματος εἰς ταύτας μόνας ἀναγκαῖον ἐποίησεν ἐν ταῖς εἰσπνοαῖς εἰσιέναι τὸν ἔξωθεν ἀέρα. Libanios, Declamatio 41, 8 (Bd. VII Foerster, 374.20–375.1): καὶ πολλοὶ δὴ τοὺς αὐτοῖς προσκεκρουκότας ἀπώλεσαν δι’ ἑνὸς τούτου μισθοφόρου. Dieselbe Syntax mit einer anderen Präposition etwa in Acta Apostolorum 24.20–21: ἢ αὐτοὶ οὗτοι εἰπάτωσαν τί εὗρον ἀδίκημα στάντος μου ἐπὶ τοῦ συνεδρίου, ἢ περὶ μιᾶς ταύτης φωνῆς ἧς ἐκέκραξα ἐν αὐτοῖς ἑστὼς ὅτι περὶ ἀναστάσεως νεκρῶν ἐγὼ κρίνομαι σήμερον ἐφ’ ὑμῶν. Für ἀπολογεῖσθαί τινι (Person) ὑπέρ τινος (Sache) vgl. Longos IV 29.5: ὁ δὲ ἰδὼν Χλόην καὶ ἔχων ἐν ταῖς χερσὶ Χλόην τῷ μὲν ὡς εὐεργέτῃ διηλλάττετο, τῇ δὲ ὑπὲρ τῆς ἀμελείας ἀπελογεῖτο. Dion Chrysostomos, Oratio 32, 21: εἰ οὖν τὰ τοῦ Ἑρμοῦ ἔπη κἀγὼ λέγοιμι πρὸς ὑμᾶς, ὡς ἐκεῖνος ἐν Ὀδυσσείᾳ πεποίηται Καλυψοῖ ἀπολογούμενος ὑπὲρ τῆς ἀγγελίας, ἣν ἀηδῆ οὖσαν ἐκόμιζε, κτλ. Für die hier erforderliche Nuance des Verbs („[durch sein Benehmen] sich [für eine frühere Verfehlung] entschuldigen“, fast „[die Verfehlung] sühnen“) vgl. etwa Josephus, De bello Judaico IV 352: δεῖν οὖν - - - αὐτοὺς ἀναχωρεῖν ἐπ’ οἴκου καὶ τῷ μὴ κοινωνεῖν τοῖς φαύλοις ἁπάντων ἀπολογήσασθαι πέρι, ὧν φενακισθέντες μετάσχοιεν. Aus den Romanen vgl. Chariton VIII 1.3: ἐπεὶ δὲ καλῶς ἀπελογήσατο τῷ Ἔρωτι Χαιρέας ἀπὸ δύσεως εἰς ἀνατολὰς διὰ μυρίων παθῶν πλανηθείς, ἠλέησεν αὐτὸν Ἀφροδίτη. Das sog. bewegliche Ny wird im Text auch sonst vor Konsonanten gesetzt (vgl. II 8: ἐξέ|πλευσεν λαθοῦσα; II 16: παρέδωκεν δ-); hier (und in II 8) könnte es dem Rhythmus dienen, s. gleich im Folgenden. Was die Wortstellung in Z. 14–16 mit dem Hyperbaton ὑπὲρ πολλῶν - - - φόνων angeht, so könnte dadurch eine Hervorhebung des Schlußwortes φόνων bezweckt sein. Daneben oder in Kombination damit38 könnten auch rhythmische Rücksichten von Einfluß gewesen sein: In seiner jetzigen Form endet der Satz mit der zweiten Variante des Rhythmus Nr. 1 bei Hutchinson, Rhythmic Prose xii (s. die Diskussion auf S. 11–12 und 16–19). Bei der natürlicheren Wortstellung ὑπὲρ πολλῶν φόνων ἀπολογησάμενον τοῖς Ἕλλησιν hätte sich hingegen der unrhythmische Schluß Nr. 6 ergeben; freilich gäbe es neben der hier bevorzugten auch andere rhythmisch geeignete Lösungen39. Mit den unsicheren Ergänzungen, die im Komm. diskutiert wurden, lautet die Übersetzung: Die — hinterließen Wächter der Stadt, blühend jung und kräftig, und kehrten nach Hause zurück, nachdem sie Artoxares entließen; denn sie meinten, daß er durch diese eine Tat den Griechen gegenüber viele Mordtaten gesühnt habe. Treffen die Lesungen und Ergänzungen zu, so wird das Bild von der Situation in der ersten Kolumne etwas schärfer: Die eben behandelten Zeilen beschließen eine Szene, zu welcher auch der davorstehende Teil der Spalte gehören dürfte. Eine Gruppe hat sich eines fremden Ortes (einer Stadt?) bemächtigt; dort dürfte sich dann der Tempel befunden haben, von welchem in I 6–8 die Rede ist; die in diesen Zeilen genannten, mir nach wie vor unverständlichen Handlungen werden am ehesten von den Mitgliedern der siegreichen Gruppe (oder von manchen unter ihnen) vorgenommen worden sein40. Einen entscheidenden Beitrag zum Erfolg der Gruppe hat ein gewisser Artoxares geleistet (etwa indem er Verrat geübt oder den Eroberern, z. B. dank seiner Ortskenntnis oder seiner sonstigen Vertrautheit mit den Bewandtnissen des Zieles, irgend38 Denn der Hervorhebung eines wichtigen Begriffs kann nach Hutchinsons Analyse durchaus auch seine Stellung am Anfang oder Schluß einer rhythmischen Folge dienen, s. etwa Rhythmic Prose 55–57. 39 Ich erwähne bei dieser Gelegenheit, daß, soweit der Zustand des Stückes ein Urteil zuläßt, auch sonst auffällig viele Klauseln der von Hutchinson, Rhythmic Prose xii unter Nr. 1–4 genannten Arten vorkommen. Ich kann der Frage mangels Erfahrung auf dem Gebiet nicht weiter nachgehen. 40 Mit Auseinandersetzungen bei der Eroberung des fremden Ortes könnte im übrigen I 5 zusammenhängen: Hier (]εαν αυτην α ̣ ̣ ̣υν ̣ ε̣ ντασ Norsa || [μήτ]ε ἀναστῆναι [ε]ὐνηθέντας Zimmermann nach Crönert und Lodi || [μήτ]ε ἀναστῆναι ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ ̣ντας Stephens–Winkler) lese ich [μήτ]ε ἀναστῆναι [δ]υνηθέντας (vom ersten Buchstaben des Partizips ist vielleicht eine nichtssagende Spur erhalten); ging es also um Leute, die weder … (Z. 4) noch aufstehen konnten? Waren diese etwa Verteidiger des umkämpften Ortes? 44 D. Kaltsas einen taktischen Vorteil verschafft hat), weswegen er nun befreit wird – er befand sich also bisher bei der Gruppe in Verwahrung, und über sein Schicksal hätte in Anbetracht seiner Vergangenheit auch ganz anders entschieden werden können. Die Gruppe bestand, wenn der Anfang von I 16 richtig ergänzt wurde, aus Leuten, die sich mit den Griechen identifizierten, also waren auch sie selbst Griechen; diesen wird Artoxares gegenübergestellt, nach seinem Namen zu urteilen ein Perser. Daß auch der Ort, wo die Wache hinterlassen wurde, sich bis dahin in nicht-griechischer (also persischer?) Hand befunden hatte, liegt nahe41. Die Begegnung könnte etwa in Westkleinasien stattgefunden haben. Ob Artoxares die vielen Morde an Griechen, die auf seiner Vergangenheit lasteten, selbst verübt hatte, etwa als gemeiner Räuber, oder sie als Machthaber des persischen Reiches durch seine Untergebenen hatte durchführen lassen (bzw. durch Intrigen herbeigeführt hatte), kann nicht geklärt werden; der ihm beigelegte Name spricht aber eher für letztere Deutung, denn der historisch belegte Artoxares war ein machtvoller königlicher Eunuch am Hofe des Artaxerxes I. und des Dareios II.42 Romanhafte Situationen, die einen (vormals?) mächtigen Perser in griechische Hände führen könnten, sind leicht auszudenken43. Nach φόνων in Z. 16 findet der erste für uns greifbare Szenenwechsel statt44, mit der Frau, die in das Städtchen (oder nach Polichne, s. Anm. 33) fährt. Es wäre ökonomisch, wenn diese πολίχνη das Reiseziel auch der heimkehrenden Gruppe von Z. 10–16 darstellte; eine Versammlung der wichtigsten Romanfiguren am selben Ort wäre um so eher zu erwarten, wenn die Handlung hier tatsächlich ihrem Ende zustrebt (s. oben, S. 28). Mehr als eine Möglichkeit ist dies aber freilich nicht. Es ist nun aber auf folgendes in meinen Augen schwerwiegende Problem hinzuweisen: Die Frau, zu welcher die Erzählung jetzt übergeht (Antheia?), wird mit einem bloßen ἡ δέ eingeführt. Ein Frauenname, auf den sich das demonstrativ gebrauchte ἡ bezöge, läßt sich in den einigermaßen sicher gedeuteten Teilen der Spalte nirgendwo lesen und fände auch, wenn die hier gegebene Rekonstruktion richtig ist, schwerlich darin Platz (Antheia kann doch nicht selbst Mitglied der militärischen Expedition gegen den fremden Ort gewesen sein). Ist es denkbar, daß nach so bewegten Szenen, wie in Kol. I 1–16 enthalten, auf eine früher, von mir aus selbst unmit- 41 Haben wir bei den δεσποτικὰ ἀναθήματα, von denen in I 8 die Rede zu sein scheint, an Weihgaben des persischen Königs zu denken? Vgl. etwa Isokrates, Panegyricus 178 (τὸν δὲ βάρβαρον ἁπάσης τῆς Ἀσίας δεσπότην κατέστησαν); Panathenaicus 59 (ἀλλὰ καὶ δεσπόται πολλῶν Ἑλληνίδων πόλεων κατέστησαν); Philippus 154 (βαρβαρικῆς δεσποτείας); Libanios, Declamatio 17, 30 (Bd. VI Foerster, 208.14: καὶ φίλῳ χρῆσθαι τῷ τῆς Ἀσίας δεσπότῃ). Da uns der Kontext fehlt, können wir freilich die genaue Bedeutung des Adjektivs nicht erkennen. 42 Photios, Bibliotheca cod. 72, 41a23–25; 26–27; 39–41; 42a34–36; 42b3–5; 43a5–10 = Ktesias, FGrHist Nr. 688 F 14.42; 43 und F 15.50; 51; 54 (III C.1, S. 467.6–7; 8; 20–21 bzw. 469.16–18; 23–25; 471.5–8); siehe jetzt die Ed. von D. Lenfant, Ctésias de Cnide. La Perse; l’Inde; autres fragments (CUF, Série grecque, 435), Paris 2004 (und beachte die Einl., S. CVI–CVII und CXVI, sowie Anm. 565 auf S. 132 und Anm. 620 auf S. 273). Siehe ferner Schmitt, Personennamen 123–124. 43 Sollte hinter der Figur des Romans der historiographisch belegte Träger des Namens selbst stehen (wie im Falle des Lysandros), so läge ein in einem Roman verzeihlicher Anachronismus vor, denn der Eunuch Artoxares kann das Ende des Peloponnesischen Krieges nicht erlebt haben (s. die in Anm. 42 zuletzt angeführte Stelle aus Lenfants Edition). Durchaus möglich ist aber auch, daß der Romanschreiber einen freieren Gebrauch des Namens aus Ktesias machte. Hunter, „History“ 1056, schreibt zu Chariton: „Some minor characters also have names drawn from history, while their actual identity has been distorted“; darunter befinden sich die Perser Pharnakes, Zopyros und Megabyzos sowie die Perserin Rhodogune (vgl. ferner Mithridates). Siehe auch Baslez, „La Perse“ 201 (speziell zu den persischen Namen); Ramelli, „Caritone“ 59–61, und die von ihr auf S. 49, Anm. 16 zitierte Literatur; vgl. für Mithridates auch Tilg, Chariton 55–57. Für die Wichtigkeit des Ktesias für Chariton s. Baslez zit. 200–201 und Hunter zit. 1058–1060. – Baslez zit. 201 meint, daß der Name des persischen Eunuchen Artaxates bei Chariton (V 2.2 und öfter) eine „altération“ desjenigen des bei Ktesias genannten Artoxares (sie schreibt „Artaxarès“) sein könnte. 44 Nach φόνων steht ein Hochpunkt, wie von Norsa gelesen, nicht der Doppelpunkt, den Stephens–Winkler sehen (vgl. ihren Komm., S. 285): Der vermeintliche untere Punkt dürfte ein Loch im Papyrus sein. Vgl. Anm. 6 zu III 7. Neues zum „Antheia-Fragment“ (PSI VI 726) 45 telbar davor erwähnte Person so selbstverständlich, ohne erneute Namensnennung, Bezug genommen wäre45? Soll man auch hier (vgl. oben, S. 31 mit Anm. 22) den Autor mangelnder Sorgfalt verdächtigen46? VIII. Zur Gesamtdeutung und zu verbleibenden Problemen Fassen wir zusammen. Wenn die oben vorgetragenen Lese- und Ergänzungsvorschläge im großen und ganzen zutreffen47, handelt es sich bei PSI VI 726 um den Überrest eines Romans mit (pseudo-)historischem Anstrich: Die Handlung spielte etwa gegen Ende des Peloponnesischen Krieges, der Spartaner Lysandros trat in einer kleineren oder größeren Rolle auf. Es ist denkbar, daß die Ereignisse jener bewegten Epoche (vermutlich in verzerrter Form) überhaupt den Hintergrund der Abenteuer des Liebespaares bildeten. Unter den Schauplätzen könnten sich die Insel Samos und Orte in Westkleinasien befunden haben. Erhalten sind Episoden oder Berichte über Episoden, wie sie für die Gattung typisch sind: Irgendeine größere Auseinandersetzung, vielleicht zwischen Griechen und Persern (Kol. I); ein gescheiterter Vergiftungsversuch gegen die Heldin (Kol. II); die Auslieferung der Heldin an irgendeine feindliche Macht (Kol. II). Manche der auftretenden Personen haben nun schärfere Konturen angenommen: Thalassia als skrupellose Gegenspielerin der Antheia; eine dritte Frau, die Antheia vor jener in Schutz nimmt; Lysandros der Spartaner; ein Perser, Artoxares, der viel gegen die Griechen verschuldet hatte, ihnen aber im entscheidenden Moment wichtige, das Alte aufwiegende Hilfe geleistet hat (Kol. I). Für eine Würdigung der Erzähltechnik reicht das Erhaltene nach wie vor nicht aus. Allem Anschein nach lag auch hier der Fall eines „externen“ Erzählers vor. An zwei Stellen (I 16 und II 4) schien uns schriftstellerische Ungeschicklichkeit nachweisbar zu sein, s. S. 44–45 bzw. S. 31 mit Anm. 22; aber freilich könnte vielmehr meine Rekonstruktion bzw. Interpretation der Passus verkehrt sein. Es verbleibt ein großes, bisher nur angedeutetes interpretatorisches Problem, nämlich die Identität des männlichen Teils des Liebespaares. Es ist zunächst einmal auf die Möglichkeit hinzuweisen, daß dieser Herr in unserem Fragment überhaupt nicht auftritt; das Schicksal könnte auch hier, wie bei Chariton und Xenophon von Ephesos, die beiden Liebhaber für längere Zeit getrennt haben, der uns zufällig erhaltene Ausschnitt wiederum aus einer der Partien stammen, in welchen ausschließlich von den Abenteuern der Frau die Rede war. Sollte der Liebhaber der Antheia aber doch unter den im Fragment namentlich genannten Männern zu suchen sein, so kommen wohl nur zwei von diesen in Frage, Lysippos (II 1) und Thraseas (II 4, 6, 16): Lysippos zeigt immerhin ein lebhaftes Interesse an dem Schicksal der Antheia (II 13–14); er ist über bedeutsame Ereignisse der Romanhandlung nicht informiert, wofür eine denkbare Erklärung wäre, daß er parallel zu jenen von eigenen Abenteuern eingenommen war; vgl. auch Anm. 6 für die entfernte Möglichkeit, daß er der Sprecher von III 1 ist. 45 Auf das Problem, das sich auch bei seinem Rekonstruktionsversuch stellt, hat Zimmermann hingewiesen, allerdings mit einer mir unklaren Formulierung (S. 80, Komm. zu Z. 16): „Gemeint ist offenbar Antheia, deren Name in Hinblick auf den referatartigen Charakter des Ganzen nicht zu fehlen braucht“ – meinte er damit, daß der Name gut vermißt werden könne, nicht unbedingt hier stehen müsse? Sein Argument läuft wohl darauf hinaus, daß hier ein von einer der Figuren des Werkes abgestatteter Bericht vorliege, in dessen „Brennpunkt“ Antheia überhaupt stehe (Zitat aus S. 79, Vorbemerkung zum Zeilenkommentar), so daß diese nicht immer beim Namen genannt werden müsse (s. für seine Gesamtauffassung des Textes hier, Anm. 18). Meines Erachtens ist auch diese Partie des Textes nicht einer der handelnden Personen in den Mund gelegt, sondern sie stammt vom Erzähler des Romans; vgl. Abschnitt III. — Bei der Diskussion eines Überlieferungsproblems bei Achilleus Tatios wies Reeve, „Hiatus“ 538–539 (S. 539), darauf hin, daß die Kodizes in II 3.3 ein αὐτήν bieten, das sich auf die zuletzt in II 2.1 in Rede stehende Leukippe bezieht, während dazwischen ein langer Passus ganz anderen Inhalts steht; dies diente ihm als eines der Argumente für die Annahme, daß besagter Passus erst sekundär dorthin geraten ist. (Das ganze Problem streife auch ich in meinem Buch [Anm. 5], Kapitel „Das Verso der Rolle als Schreibfläche: Allgemeines“.) 46 Eine Alternativlösung wäre, in ]τοξαρην in Z. 14 irgendeinen unbelegten Fr auen namen zu sehen (in Z. 15 wäre dementsprechend ἀπολογησαμένην zu lesen) und ἡ δέ in Z. 16 darauf zu beziehen. Daß so etwas zutrifft, kann ich aber nicht glauben. 47 Mit diesen ist die neuerdings von Morgan, „Riddle“ gebotene Interpretation des Fragments nicht vereinbar. 46 D. Kaltsas Über Thraseas48 wird mehr gesagt, bedauerlicherweise aber sind drei der vier Stellen, die ihn betreffen, unsicher gelesen bzw. völlig unverständlich (II 4–5; 6–7; 16–17). In II 4–5 scheint gesagt zu sein, daß er politische Macht ausübe (seit kurzem? seit kurzem wieder?). In II 5–6 wird über das Verhältnis der Thalassia zu ihm ausgesagt, daß sie ihn περιέπει (s. im Folgenden; wiederum stellt sich die Frage: Ist dies eine neueste Entwicklung? War ihre Einstellung zu ihm früher eine andere?). Das Verhältnis der beiden zueinander betrifft auch der folgende Satz (II 6–7), der mit ἀλλήλοις endet (s. oben, S. 32); leider kann ich den Anfang von Z. 7 nicht entziffern. Schließlich wird Thraseas abermals in II 16–17 genannt; wenn die oben, S. 36, für II 17 vorgeschlagene Ergänzung richtig ist (καὶ Θρασέα[ς] | ἐξῄ̣[τ]ητο ἐπ᾽ α[ὐ]τῇ), so erscheint er an dieser Stelle als des bedrohlichen Schicksals der Antheia teilhaftig, als neben ihr von derselben feindlichen Macht verfolgt. Verfügten wir nur über die letztgenannte Angabe, so bestünde keine Schwierigkeit, in Thraseas den Liebhaber der Antheia zu erkennen. Der Rest scheint aber zu dieser Annahme nicht ohne weiteres zu passen. Wir erfahren, daß der Mann jetzt politische Macht ausübe – dies steht zwar zu seinem eben besprochenen Zustand in einem Widerspruch; es könnte sich aber um zwei aufeinanderfolgende Phasen seines Schicksals im Roman handeln49. Auch die hohe Position an sich ist eines Helden keineswegs unwürdig50. Man würde aber eher erwarten, daß sie erst am Schluß aller Abenteuer und des Romans, vor allen Dingen nach der endgültigen Vereinigung mit der Geliebten erreicht wäre, und dies scheint hier nicht der Fall sein zu können. Hinzu kommt die Angabe über das Verhältnis der Thalassia zu Thraseas, mit dem ohne einen größeren Kontext mehrdeutigen Verb περιέπει: LSJ s. v. 1 gibt für das ohne begleitendes Adverb oder vergleichbares Komplement gebrauchte Verb die Bedeutung „treat with respect or honour“; so ist das Wort auch bei Heliodoros, wo es öfter vorkommt, gebraucht51. Aber welche konkrete Bedeutungsnuance könnte hier vorliegen? Ist bloß eine freundliche, zuvorkommende Behandlung gemeint, etwa auf Grund gemeinsamer (politischer?) Interessen? Oder könnte das Verhalten der Thalassia einen erotischen Hintergrund haben? Von zwei Hetairai sagt Athenaios XIII 66, 594 C: καὶ τοῦ λοιποῦ φίλαι ἐγένοντο, κοινῶς περιέπουσαι τὸν ἐραστήν. Vgl. auch – leider auf Grundlage einer antiquierten Edition – Kyrillos von Alexandreia, Commentarius in Isaiam prophetam (PG 70) 440 D: Εἶτα, φησί, θεασαμένη τοῦτον (sc. Adonis) ἡ παρ’ αὐτοῖς 48 Zu dem Namen bemerkte Zimmermann, Komm. zu Z. 23 (= II 4) auf S. 82: „Thraseas als Personenname mehrf[ach] bekannt (Pape–B[enseler] 2, 516) darf für die kompositionelle Deutung nicht mit ähnlichen Bildungen, wie Thrasyleon (Apul. Met. 4, 15 [86, 8]) oder Thrasyllus (ebd. 8, 1 [177, 9]), auf die mich Cr[önert] hinweist, zusammengebracht werden.“ Thrasyleon bei Apuleius ist ein Räuber, Thrasyllus ein skrupelloser, moralisch verworfener junger Mann, der u. a. zum Mörder wird (die Bedeutung seines Namens wird in VIII 8.1 und vielleicht bereits VIII 1.5 hervorgehoben, s. Hijmans u. a., Apuleius 85 bzw. 34); Zimmermann meinte vermutlich, daß Thraseas in unserem Roman ungeachtet dieser Parallelen sowie der Bedeutung von θρασύς und θράσος keine negative Rolle gespielt haben müsse (vgl. hier, Anm. 14). Morgan, der Thraseas für einen der Bösewichte des Romans hält (s. „Riddle“ 87), weist auf die mögliche negative Konnotation hin (ebd. 88 und 93). – Sollte Thraseas tatsächlich mit der Insel Samos in einem engeren Verhältnis gestanden haben (s. oben, Abschnitt VI), so könnte man auf das Paar der Athener Thrasybulos und Thrasyllos hinweisen, über deren gemeinsame Aktivitäten auf eben jener Insel Thukydides VIII 73–77 berichtet (für die Namensform Θράσυλλος s. [Gomme–]Andrewes–Dover, Commentary 265; Hornblower, Commentary 972 [beide zu VIII 73.4]). Hunter, „History“ 1057, notiert die Ähnlichkeit des Namens des Χαιρέας bei Chariton mit dem des Atheners Χαβρίας, der bei den kriegerischen Triumphen des Romanhelden evoziert sein könnte; wäre es möglich, daß auch hier ein ähnliches oder vergleichbares Verhältnis vorlag? Ich nenne schließlich die noch weiter entfernte Möglichkeit, daß mit dem Namen Θρασέας an den die nämliche Endung aufweisenden Χαιρέας des Chariton angeknüpft sein könnte; dies käme ernsthaft nur dann in Frage, wenn Thraseas hier tatsächlich der männliche Held wäre. Der Name des Chaireas klingt nach Kerényi, Romanliteratur 171, Anm. 72 (auf welchen Tilg, Chariton 82 hinweist) in späteren Romanfiguren mit Namen zu χαίρειν und χάρις nach. 49 Nicht ganz klar ist mir dabei das anzunehmende zeitliche Verhältnis zu den Abenteuern der Antheia. 50 Vgl. den Schluß der Babyloniaca des Iamblichos nach Photios, Bibliotheca cod. 94, 78a39–40 (= Epitoma Photiana 22, S. 68.11–12 Habrich): Ῥοδάνης δὲ καὶ νικᾷ καὶ τὴν Σινωνίδα ἀπολαμβάνει, καὶ βασιλεύει Βαβυλωνίων. Zu nennen ist auch der Fall der Charikleia, die am Ende der Aethiopica des Heliodoros als Tochter des Königs von Äthiopien erkannt wird, und der möglicherweise ähnliche Fall der Parthenope: Deren Roman könnte damit seinen Abschluß gefunden haben, daß sie in Samos den Thron ihres Vaters Polykrates (in der Welt des Werkes eines Königs) bestieg, s. Hägg–Utas, Virgin 247–250 (S. 249 für die Möglichkeit, daß dies auch das Vorbild für den Fall der Charikleia war). 51 I 2.4; I 15.5; I 16.2; I 32.3; II 27.1; VI 7.1; VII 8.3 (mit verschiedenen Nuancen). Neues zum „Antheia-Fragment“ (PSI VI 726) 47 Ἀφροδίτη (ἑταιρικὸν δὲ τοῦτο γύναιον ἦν), ἠράσθη τε καὶ συνεγένετο, καὶ περιέπουσα διετέλει. Eine solche Deutung könnte zwar den Weg zu einer ökonomischen Rekonstruktion eines Teils der hier referierten Ereignisse ebnen: Wenn Thalassia in Thraseas verliebt war, so könnte darin der Grund zu erblicken sein, warum sie Antheia beseitigen wollte, unter der Annahme nämlich, daß Thraseas ihr jene vorzog (s. oben, S. 34); daß Thraseas der männliche Held unseres Romans war, ergäbe sich hieraus nicht notwendig, läge aber nicht fern. Diese Rekonstruktion ist aber nicht ohne gravierende Schwierigkeiten: Wenn Thalassia von einer Leidenschaft für Thraseas ergriffen wäre, die sie zu solchen Exzessen treiben konnte, wäre nicht eine eindeutigere Bezeichnung ihrer Einstellung statt des farblosen περιέπει gewählt worden? Auch könnte, wie schon erwähnt, mit diesem Verb eine neue Situation umschrieben sein, während der Vergiftungsversuch anscheinend bereits zurücklag. Auch andere Nuancen des Verbs kämen vielleicht in Frage. Wie dem auch sei: Ist es vorstellbar, daß Thraseas als einziger über die Intrigen der Thalassia gegen Antheia im dunkeln war, wo doch alle Welt darüber Bescheid wußte und offen davon erzählte (Kol. II 7–13)? Wußte er aber davon, wie hätte er sich die wie auch immer geartete Aufmerksamkeit der Thalassia gefallen lassen, wenn er der männliche Held des Romans wäre? Man könnte sich verschiedene Kombinationen ausdenken, um aus dem Fragment doch ein Τὰ περὶ Θρασέαν καὶ Ἄνθειαν zu machen; aber es ist sicherlich besser, die Frage einstweilen offenzulassen52. IX. Zur literaturgeschichtlichen Einordnung Wie eingangs diskutiert (Abschnitt II), wurde das „Antheia-Fragment“ aus naheliegenden Gründen mit dem Werk Xenophons des Ephesiers in Verbindung gebracht. Dieses Verhältnis bleibt nach wie vor nebelhaft53. Aus der vorausgegangenen Erörterung hat sich hingegen eine größere Nähe zu einem anderen unter den vollständig erhaltenen Romanen ergeben, nämlich demjenigen des Chariton: Derselbe pseudo-historische Hintergrund (wie bestimmend dieser für die Handlung unseres Werks war, können wir nicht ermessen) mit eingeflochtenen Figuren aus der Geschichte des 5.–4. Jh., die Teil des Allgemeinwissens der Leser waren, und daneben freiem Gebrauch der Namen weiterer historischer Gestalten (s. oben, Anm. 43, und vgl. Anm. 30); auch die mehr oder weniger prononcierte Gegenüberstellung von Griechen und Persern könnte ein beiden Romanen gemeinsamer Zug gewesen sein. Charitons Callirhoe und das im historischen Anstrich ähnliche (bzw. noch eher davon bestimmte54) Werk Metiochos und Parthenope gehören zu den frühesten für uns greifbaren Vertretern des griechischen Romans; hinzu kommt der bis zu einem Punkt vergleichbare Ninus55. Daß auch unser Roman eine ähnliche Färbung aufwies, muß nicht bedeuten, daß er ebenfalls zu den früheren Erzeugnissen der Gattung gehörte56; es gibt keinen Grund zu glauben, daß man sich nicht längere Zeit auf das erprobte Erfolgsrezept der Callirhoe und ihrer Gegenstücke verlassen hätte, unbekümmert um Entwicklungen, welche die Gattung währenddessen in den Händen literarischer Neuerer wie des Achilleus Tatios und des Longos durchmachte. 52 Für den Helden des Romans hält Thraseas López Martínez, S. 303. 53 Immerhin zeigt die neue Rekonstruktion von II 7–13 (oben, Abschnitt IV), daß hier das φάρμακον ganz anders in die Geschichte eingebunden war als in den Ephesiaca (Stephens–Winkler, S. 278). 54 Siehe Hägg, „Beginnings“ 198–199 (= Parthenope 90–92). 55 Siehe zur Frage der Datierung der frühesten Romane etwa Bowie, „Chronology“ mit Lit. Eine zusammenhängende Rekonstruktion der Frühgeschichte der Gattung hat Tilg, Chariton vorgelegt, mit der Hauptthese, ihr Erfinder sei der im Kurztitel genannte Autor (s. insbesondere 36–79 zur Datierung des Chariton und 83–127 zu den anderen frühen Stücken; relevant für uns ist die nach anderen mit guten Argumenten verfochtene Behauptung, daß auch Metiochos und Parthenope des Charitons Werk sei [92–105]). Anders hat über die Frage J. N. O’Sullivan geurteilt, für den Xenophon von Ephesos der früheste (faßbare) Romanschreiber ist, s. Xenophon 2–9; 145–170 (S. 166: „Chariton is to be seen as the first truly literary novelist, taking a primitive tradition that had recently emerged into writing [d. h. durch Xenophon und eventuell andere] and attempting to raise it to the level of respectable literature by clothing it in the semblance of historiography“ usw.) und „Ephesian Tales“ 48; 51–53. — Zur Frage, ob Ninus als „historischer Roman“ angesehen werden kann, s. Hägg, „Beginnings“ 199, Anm. 78 (= Parthenope 92); vgl. auch Tilg, Chariton 94–95 und 124 sowie Dostálová, „Romanzo storico“ 170–174. 56 Zur Datierung des Papyrus s. oben, S. 27 mit Anm. 4. Für die zeitliche Einordnung des Romans ist natürlich auch das Verhältnis zu Xenophon von Ephesos von Belang, über welches leider keine Klarheit herrscht; siehe S. 29–30 und oben. 48 D. Kaltsas Vgl. auch den Hintergrund des Romans des Heliodoros (s. Hägg, „Beginnings“ 200–201 [= Parthenope 93–95])57. Literatur Chariton zitiere ich nach der Teubneriana B. P. Reardons, Xenophon von Ephesos nach derjenigen J. N. O’Sullivans, Longos nach derjenigen M. D. Reeves (31994); für Achilleus Tatios habe ich die beiden Editionen E. Vilborgs und J.-Ph. Garnauds (CUF) herangezogen, für Heliodoros diejenige R. M. Rattenburys und T. W. Lumbs (CUF). Baslez, Marie-Françoise, De l’histoire au roman: la Perse de Chariton, in dies. u. a. (Hgg.), Le monde du roman grec. 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Johnson, William A., Bookrolls and Scribes in Oxyrhynchus (Studies in Book and Print Culture), Toronto u. a. 2004. 57 Ich habe nicht untersucht, inwieweit auch andere Romanfragmente Spuren ähnlichen Hintergrundes aufweisen bzw. ein solcher in der Forschung rekonstruiert worden ist; wie ungünstig der geringe Umfang und der fragmentarische Zustand des Großteils des Materials gerade für die Beantwortung einer solchen Frage sind, dürfte jedem klar sein. Vgl. immerhin die Überlegungen von Marini, „Chione“ zu jenem Roman (auf den Aufsatz bin ich durch Tilg, Chariton 106 aufmerksam geworden; siehe dort, 105–109, für eine Begründung der bereits von anderen vorgebrachten These, auch dieser Roman gehöre Chariton). Siehe ferner Stramaglia, „Prosimetria“ 133–136 für zwei weitere nur aus Papyri bekannte Romane, die vielleicht z. T. am persischen Hof spielten (selbstverständlich ohne daß dies gleich hieße, daß sie „historisch“ im Sinne Häggs waren). Siehe auch Parsons zu P.Oxy. LXXI 4811 (Mertens–Pack3 2625.01), S. 48, und „Panionis“ 46–49. 58 Wiederabgedruckt auch in Simon Swain (Hg.), Oxford Readings in the Greek Novel, Oxford 1999, 137–160. Neues zum „Antheia-Fragment“ (PSI VI 726) 49 Kaltsas, Demokritos, Mehrfach beschriebene griechische Buchrollen, in Ulrike Ehmig (Hg.), Vergesellschaftete Schriften. Beiträge zum internationalen Workshop der Arbeitsgruppe 11 am SFB 933 (Philippika, 128), Wiesbaden 2019, 21–39. Kanavou, Nikoletta, Onomastic Research Then and Now. An Example from the Greek Novel, in R. W. V. Catling – F. Marchand (Hgg.), Onomatologos. Studies in Greek Personal Names Presented to Elaine Matthews, Oxford 2010, 606–616. Kerényi, Karl, Die griechisch-orientalische Romanliteratur in religionsgeschichtlicher Beleuchtung; ein Versuch. Mit Nachbetrachtungen, zweite, ergänzte Auflage, Darmstadt 1962 (erste Auflage: Tübingen 1927). Kirsten, E., Polichna [/ Polichne], RE XXI.2 (1952) 1366–1376. 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