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MARTIN BUCER UND DIE EINHEIT DER CHRISTENHEIT: EIN THEOLOGIEGESCHICHTLICHER BEITRAG ZUR ÖKUMENE-DEBATTE IM MODERNEN EVANGELIKALISMUS UNTER BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DER LAUSANNER BEWEGUNG FÜR WELTEVANGELISATION (MARTIN BUCER AND THE UNITY OF CHRISTENDOM: A THEOLOGICAL HISTORICAL CONTRIBUTION TO THE ECUMENICAL DEBATE IN MODERN EVANGELICALISM WITH SPECIAL REFERENCE TO THE LAUSANNE MOVEMENT FOR WORLD EVANGELISATION) by THOMAS KLÖCKNER submitted in accordance with the requirements for the degree of MASTER OF THEOLOGY in the subject SYSTEMATIC THEOLOGY at the UNIVERSITY OF SOUTH AFRICA Supervisor: Dr R Ebeling Co-Supervisor: Ds D F Olivier November 2012 STATEMENT Student number: 4600-953-1 I declare that Martin Bucer und die Einheit der Christenheit: Ein theologiegeschichtlicher Beitrag zur Ökumene-Debatte im modernen Evangelikalismus unter besonderer Berücksichtigung der Lausanner Bewegung für Weltevangelisation (Martin Bucer and the unity of Christendom: a theological historical contribution to the ecumenical debate in modern evangelicalism with special reference to the Lausanne Movement for World Evangelisation) is my own work and that all the sources that I have used or quoted have been indicated and acknowledged by means of complete references. Weinheim, den 24.02.2012 SIGNATURE (MR T KLÖCKNER) DATE 2 Danksagung Das Entstehen und die Fertigstellung dieser Arbeit verdanke ich vielen Personen, die hier nicht alle namentlich genannt werden können. Besonders danken möchte ich aber Herrn Dr. Rainer Ebeling, der freundlicherweise die Betreuung dieser Arbeit übernommen hat. Ebenso schulde ich der Bucer-Forschungsstelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, insbesondere Herrn PD Dr. Thomas Wilhelmi meinen Dank für die zuvorkommende Art in der Beantwortung meiner Fragen. Frau Christine Druskeit (M.A.) hat die mühsame Aufgabe des Korrekturlesens auf sich genommen, dafür sei ihr an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich gedankt. Bedanken möchte ich mich ebenfalls für die vielfältige Unterstützung und Ermutigung, die ich sowohl von meiner Familie als auch von Freunden bekommen habe, „sine quibus non“. 3 Zusammenfassung: Die ökumenische Bewegung weltweit steht nicht erst seit kurzem vor großen Herausforderungen, nicht nur an der Basis. Kirchenpolitische Interessen, kulturelle Barrieren und in der Tat theologische Differenzen fragen nach dem Kern christlicher Einheit. Vor dieser Aufgabe steht auch und insbesondere die evangelikale Bewegung mit ihrer spezifischen Prägung und Fragestellung im Kontext der weltweiten Christenheit. Innerhalb dieser global betrachtet expandierenden Bewegung begegnet man dem ökumenischen Anliegen mit geteilter Aufmerksamkeit, offener Kritik und völliger Abstinenz. Mithilfe der Darstellung der Unionsbemühungen des Reformators Martin Bucer, insbesondere seiner theologischen Motive, wird ein hoffentlich weiterführender Gesprächsbeitrag für die Ökumene-Debatte im modernen Evangelikalismus geliefert. Schlüsselwörter: Martin Bucer, Abendmahlsstreit, Religionsgespräche, Christliche Einheit/Ökumene, Ökumenische Bewegung, Evangelikalismus, Lausanner Komitee für Weltevangelisation, Deutsche Evangelische Allianz Abstract: World-wide ecumenicism has to challenge big issues for a long time now. Church-political interests, cultural frontiers and, of course, theological differences search for the center of christian unity. Especially evangelicalism as a part of world-wide christianity has to face this challenge with its specific character. Within this expanding movement, a variety of viewpoints exist with regard to ecumenicism: divided attention, open criticism and neglection. Martin Bucer as ecumenical pioneer in the period of reformation elaborates a fresh approach towards the evangelical ecumenicism-debate. His theological motives build the center of this dissertation. Key terms: Martin Bucer, sacramentarian controversy, colloquies, christian unity/ecumenicism, evangelicalism, Lausanne Comitee for World Evangelisation, German Evangelical Alliance 4 Formalia Beim Nachweis von Zitaten und Literatur wende ich die von UNISA vorgeschriebene Harvard-Methode an und folge dabei den Regeln in: Christof Sauer (Hg.) 2004. Form bewahren: Handbuch zur Harvard-Methode. (GBFEStudienbrief 5). 1. Aufl. Lage: Gesellschaft für Bildung und Forschung in Europa e.V. Auf die Verwendung der alten Rechtschreibregelung in Zitaten weise ich am gegebenen Ort nicht hin (kein sic!). 5 Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis...........................................................................................................................7 1. Einstieg und Orientierung...............................................................................................................8 1.1 Notwendigkeit und Fragestellungen............................................................................................8 1.2 Vorgehensweise.........................................................................................................................11 1.3 Auswahl, Quellenlage und Stand der Forschung........................................................................12 2. Martin Bucer und die unio christianorum....................................................................................17 2.1 Der vergessene Reformator.......................................................................................................17 2.2 Unionsbemühungen im Zeichen von reformatorischem Aufbruch und konfessioneller Identitätsbildung..............................................................................................................................25 2.2.1 Abendmahlsstreit...............................................................................................................25 2.2.1.1 Früher Abendmahlsstreit (1524-1528)..................................................................26 2.2.1.2 Marburger Religionsgespräch (1529-1530/31).....................................................35 2.2.1.3 Wittenberger Konkordie (1532-1536)...................................................................45 2.2.1.4 Zusammenfassung und Auswertung.....................................................................51 2.2.2 Religionsgespräche............................................................................................................56 2.2.2.1 Leipziger Gesprächstage und Hagenauer Verhandlungen (1539/40).....................59 2.2.2.2 Wormser Religionsgespräch und Regensburger Reichstag (1540-1541)...............61 2.2.2.3 Kölner Reformationsversuch (1543-1546)...........................................................71 2.2.2.4 Zusammenfassung und Auswertung.....................................................................76 2.2.3 Ökumene im 16. Jahrhundert!?..........................................................................................80 2.3 Motive und Grenzen der Bucer’schen Vermittlungstätigkeit.....................................................85 3. Evangelikale und die Ökumene.....................................................................................................91 3.1 Ökumenismus als neuzeitliches Phänomen................................................................................91 3.1.1 Historische Streiflichter.....................................................................................................92 3.1.2 Theologische Schwerpunkte..............................................................................................95 3.1.3 Aktuelle Perspektiven......................................................................................................103 3.2 Ökumenismus innerhalb der evangelikalen Bewegung............................................................106 3.2.1 Problemanzeige...............................................................................................................106 3.2.1.1 Die Auseinandersetzung mit dem Säkularökumenismus ....................................107 3.2.1.2 Die zunehmende Entspannung zu Beginn des 21. Jahrhunderts..........................111 3.2.2 Globale und nationale evangelikale Alternativen zum ÖRK............................................114 3.2.2.1 Lausanner Komitee für Weltevangelisation........................................................114 3.2.2.1.1 Lausanner Verpflichtung............................................................................116 3.2.2.1.2 Pan-African Christian Leaders’ Assembly.................................................124 3.2.2.1.3 Lausanne Occasional Papers......................................................................129 3.2.2.1.4 Manila Manifest.........................................................................................131 3.2.2.1.5 European Leadership Consultation on Evangelisation...............................133 3.2.2.1.6 Cape Town Commitment...........................................................................134 3.2.2.1.7 Abschließende Analyse .............................................................................139 3.2.2.2 Deutsche Evangelische Allianz...........................................................................141 3.2.2.2.1 Geschichtliche Wurzeln und theologische Verortung................................141 3.2.2.2.2 Kirchen- und Einheitsverständnis der DEA...............................................143 3.2.2.2.3 Abschließende Analyse.............................................................................149 3.2.3 Evangelikales Ökumeneverständnis im Werden..............................................................151 4. Wesenszüge christlicher Einheit: Bucers Beitrag zur evangelikalen Ökumene-Debatte.........153 4.1 Einheit und Caritas..................................................................................................................154 4.2 Einheit und Erkenntnis............................................................................................................157 4.3 Einheit und Bekenntnis............................................................................................................161 4.4 Einheit und Dienst...................................................................................................................165 4.5 Einheit und Vollendung...........................................................................................................167 5. Ergebnis und Ausblick.................................................................................................................168 Literaturverzeichnis.........................................................................................................................172 6 Abkürzungsverzeichnis (weitere Abkürzungen im Verzeichnis der TRE) ACK AfeT BCor BDS BFeG BOL BSLK CA CO CR CT CTC DEA Diss. DH EA EEA ELK EmK ERT ETM FAGST FAZ FS GER ICCC idea Inst. kath. KNA KTGQ LD LKWE LOP luth. LV MM ÖRK ref. S. th. WA WABr WATR WEA ZW Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland Arbeitskreis für evangelikale Theologie Martin Bucers Korrespondenz Martin Bucers Deutsche Schriften Bund Freier Evangelischer Gemeinden in Deutschland Bucerus Opera Latina Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche Confessio Augustana Calvini Opera (CR 29ff) Corpus Reformatorum Confessio Tetrapolitana Cape Town Commitment Deutsche Evangelische Allianz Dissertation Denzinger-Hünermann (40. Aufl. 2005) Evangelische Allianz Europäische Evangelische Allianz Europäisches Lausanne Komitee Evangelisch-methodistische Kirche Evangelical Review of Theology Mitteilungen, Anregungen und Berichte aus dem AfeT Facharbeitsgruppe Systematische Theologie des AfeT Frankfurter Allgemeine Zeitung Festschrift Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre International Council of Christian Churches Informationsdienst der Deutschen Evangelischen Allianz Institutio Christianae Religionis (Ausgabe 1559) katholisch Katholische Nachrichtenagentur Kirchen und Theologiegeschichte in Quellen Luther Deutsch Lausanner Komitee für Weltevangelisation Lausanne Occasional Paper lutherisch Lausanner Verpflichtung Manifest von Manila Ökumenischer Rat der Kirchen reformiert Summa Theologiae Th. Aquino Weimarer Ausgabe von Luthers Schriften Briefwechsel Tischreden Weltweite Evangelische Allianz (1951-2006 WEF) Huldrych Zwinglis sämtliche Werke 7 1. Einstieg und Orientierung 1.1 Notwendigkeit und Fragestellungen Die ökumenische Bewegung weltweit steht nicht erst seit kurzem vor großen Herausforderungen. Betroffen ist sowohl die Basis als auch der Überbau. Die Auseinandersetzung mit kirchenpolitischen Interessen, kulturellen Barrieren und in der Tat theologischen Differenzen lässt die Frage nach dem Kern christlicher Einheit immer wieder neu aufkommen. Vor dieser Aufgabe - soweit sie als solche überhaupt wahrgenommen wird steht auch und insbesondere die evangelikale Bewegung mit ihrer spezifischen Prägung und Fragestellung im Kontext der weltweiten Christenheit. Innerhalb dieser global betrachtet expandierenden Bewegung (Wetzel 1998:84.90f)1 begegnet man dem ökumenischen Anliegen ganz unterschiedlich: mit geteilter Aufmerksamkeit, offener Kritik und völliger Abstinenz. Mithilfe der Darstellung der Unionsbemühungen des Reformators Martin Bucer 2, insbesondere seiner theologischen Motive und Argumentation, soll ein weiterführender Gesprächsbeitrag für die Ökumene-Debatte im modernen Evangelikalismus geliefert werden. Schirrmacher (2002:13) ist zuzustimmen, wenn er fordert: „In einer Zeit, in der uns die Frage der Einheit der Gemeinde Jesu ganz neu interessiert und insbesondere die evangelikale Welt die Frage bewegt, wie wir im Gestrüpp theologischer Auffassungen die grundlegenden Lehren und Werte unseres Glaubens von zweitrangigen Fragen trennen können, muß der Reformator, der sich zeitlebens keiner Konfession zuordnen ließ, der mit allen redete und diskutierte - Lutheranern, Reformierten, Täufern und Spiritualisten, und der nie müde wurde, Christen zusammenzuführen, von enormer Bedeutung sein.“ Es ist ersichtlich: Wie kaum ein anderer hat der Straßburger Reformator Martin Bucer gerade in den konfessionellen Wirren der Reformationszeit das Programm „Einheit der Christenheit“ zu vertreten gewusst. Neben der biblisch-theologischen und sicher auch politischen Notwendigkeit hierfür, die ihn trotz aller Widerstände zu Gesprächen mit den Altgläubigen veranlasste, war wohl auch seine persönliche Veranlagung, die in dieser Hinsicht einzigartig unter den Reformatoren der ersten Stunde ist, mit ausschlaggebend. „Sein überaus regsamer, beweglicher und erfinderischer Geist machte ihn zum geborenen Vermittler (…)“ (Moeller 1998:1811).3 Die Grundthese und zugleich -frage, die mit dieser 1 Vgl. dazu allerdings Geldbach (2008), der diese gängige Behauptung, zumindest hinsichtlich der Situation in den USA auf Grund einer kritischen Analyse von Dean M. Kelleys programmatischer Untersuchung „Why Conservative Churches Are Growing“ (1977) in Frage stellt. Eine exakte empirische Erhebung ist wohl kaum möglich, da die Vergabe des Etiketts „evangelikal“ unbestreitbar, wesentlich vom status confessionis des jeweiligen Betrachters (Institution, Verband, Werk usw.) abhängt. 2 Zur Schreibweise: In seinen deutschen Schriften schreibt Bucer seinen Namen mit tz, später hingegen in Angleichung an die latinisierte Form „Bucerus“ mit c. Letztere Schreibweise hat sich zuerst in der angelsächsischen und französischen Literatur durchgesetzt und wurde auch im deutschen Sprachraum übernommen (Stupperich 1981:258). 3 Bornkamm (1952:10) charakterisiert ihn ebenso: „Bucer behielt dagegen zeitlebens eine fast unermüdliche, manchmal an die Grenzen des Möglichen gehende Leichtigkeit des Gesprächs, der Anpassung, der Vermittlung.“ 8 MTh-Dissertation zur Diskussion gestellt wird, lautet, ob BUCER als Konsenstheologe nicht auch heute noch mit seinen fundierten theologischen Urteilen, gepaart mit einer strategischen Sicht der Dinge, einen Beitrag liefern kann, der sich für die ökumenische Aufgabe im modernen Evangelikalismus als fruchtbar erweist. Sein Vermittlungsdienst wäre damit noch nicht abgeschlossen. Als der „Ökumeniker“ und zugleich „Pietist“ (Lang 1972:8.passim) die Begrifflichkeiten stehen zur Diskussion (vgl. Friedrich 1993a und Wallmann 1993b) unter den Reformatoren der ersten Stunde scheint er dazu prädestiniert zu sein. Im Hinblick auf den konfessionellen Protestantismus hat dieses Unterfangen schon einmal Früchte getragen. M. Lienhard (in: Hammann 1989:13) konstatiert: „Wer heute Ökumene treibt, bemüht sich um Konvergenz im Zentralen, welche Gemeinschaft schafft, ohne den Reichtum der legitimen Vielfalt preiszugeben. Das war das Anliegen der Leuenberger Konkordie als Konkordie zwischen bekenntnisverschiedenen Kirchen. Das war auch Bucers Weg, der im reformatorischen Lager zur Wittenberger Konkordie (1536) geführt hat. Auf dieses ökumenische Modell haben die Gespräche des 20. Jahrhunderts, insbesondere zwischen Lutheranern und Reformierten, immer wieder hingewiesen.“4 Der moderne Evangelikalismus, der hinsichtlich Theologie und Auftreten sicherlich nicht als monolithischer Block zu betrachten ist (vgl. Ellingsen 1988; Tidball 1999; Krapohl und Lippy 1999), hat sich mit der Lausanner Verpflichtung von 1974 zu grundlegenden Fragen seiner Identität geäußert. Überhaupt die Tatsache, dass es zu solch einer Erklärung gekommen ist, ist bleibender Ausdruck von Einheitsstreben, aber auch zugleich Abgrenzung gegen andere Formen ökumenischer Gemeinschaft (ÖRK)5. In Artikel 7 der LV wird zur Sache verlautbart: „Wir bekräftigen, daß die sichtbare Einheit der Gemeinde in Wahrheit Gottes Ziel ist. Evangelisation ruft uns auch zur Einheit auf, weil unsere Uneinigkeit das Evangelium der Versöhnung untergräbt.“ (Marquardt und Parzany 1990:323). Anspruch und Wirklichkeit divergieren hierbei selbstredend je nach Situation und Ort. Das Wesen der erwünschten Einheit wird zwar später im selben Artikel präzisiert („regional“ u. „funktional“), verdient aber m. E. noch genauerer Bestimmung. Die deutsche evangelikale Bewegung macht einem Mikrokosmos gleich die Spannbreite der möglichen Unionsverständnisse deutlich. Immer - historisch bedingt - in Auseinandersetzung mit „Genf“, sprich dem ÖRK und seiner Reputation. Zwischen kritischer Für van Campen (1991:82) ist er schlicht und ergreifend der „Brückenbauer“ unter den Reformatoren der ersten Stunde. 4 Hervorhebung von mir. In diesem Zusammenhang darf auch erwähnt werden, dass die KNA im Jubiläumsjahr 1991 anlässlich des 500. Geburtstages des Straßburger Reformators immerhin dreimal den profunden Bucer-Kenner M. Greschat zu Wort kommen ließ, um so Bucers ökumenisches Vermächtnis zu würdigen (Greschat 1991/30:5-9; 1991/31:5-8; 1991/32:5-8; zur Rezension neuer Veröffentlichungen über Bucer s. 1991/48:14). 5 Die jeweils verwandten Abkürzungen werden nicht eingeführt, s. hierzu das Abkürzungsverzeichnis zu Beginn. 9 Ablehnung (bspw. apokalyptische Deutungen der „Einheitskirche“) und offenem konstruktiven Dialog befindet sich die Mehrheit wohl in einem passiven und uninformierten Status (Eber 2006:216). Pragmatische Ansätze, die der „Zusammenarbeit“ - ein Kardinalbegriff der Lausanner Bewegung - dienen, sind verlockend, müssen sich aber die Frage gefallen lassen, wie es um ihre theologische Fundierung, insbesondere ihr Ernstnehmen der jeweiligen ekklesiologischen Existenz ihrer Mitglieder, steht. Der weltweite Evangelikalismus steht in seinen Einschätzungen, aber auch hinsichtlich der Anfragen, grob skizziert - mutatis mutandis -, dem nationalen Phänomen Deutschland in nichts nach (Fackre 1993; Tidball 1999:251-258). Auf dem Weg zu einem verantwortbaren ökumenischen Miteinander innerhalb und außerhalb der evangelikalen Bewegung, das sicher auch seine Grenzen markieren darf und muss, scheint die Beschäftigung mit Martin Bucer und seiner Begründung der unio christianorum ein lohnenswertes Unterfangen. Ein praktisch-theologischer Ertrag, der nicht Aufgabe dieser Studie ist, könnte darin liegen, Vorurteile, Missverständnisse und fragwürdige Motive im ökumenischen Prozess zu benennen und von hier her - ex negativo Perspektiven, Strategien und vor allem Hoffnung für den „einen Leib Christi“ (Eph 4,4) zu gewinnen. Zulehner (2004:119) beschreibt nach einer kurzen Standortbestimmung eines postchristlichen Europas die Aufgabe der Kirche6 heute folgendermaßen: „Es braucht eine missionarische Kirche mit neuer Qualität, und das an Haupt und Gliedern. Dabei gilt es Respekt zu haben vor der Freiheit der Menschen. Die Kunst wird es dann sein, ‚Freiheit und Wahrheit‘ zusammenzuhalten und der Versuchung zu widerstehen, sich auf einen der beiden Pole drängen und festlegen zu lassen - auf der einen Seite in einen unfreiheitlichen Fundamentalismus, auf der anderen in einen agnostischen, an der Wahrheitsfrage verzweifelnden Modernismus.“ Die Koordinaten sind damit genannt, in denen sich die Ökumene-Debatte im modernen Evangelikalismus vorrangig bewegt. BUCERS Beitrag hierzu soll anhand seiner „ökumenischen Hermeneutik“ - soweit eruierbar - erhoben und ins Spiel gebracht werden. Vielleicht ergibt sich so ein neuer Blick auf das gängige Koordinatensystem, eine neue Dimensionalität, die alte Polarisierungen aushebelt. Konkrete Fragestellungen in diesem Kontext lauten: Welche systematisch-theologischen Überzeugungen sind für BUCER tragend in seinem Ringen um einen konziliaren Weg mit den Alt- und Neugläubigen? Wo liegen die Wurzeln und Abhängigkeiten; inwiefern handelt es sich um einen Ansatz sui generis?7 Inwieweit zeichnen sich hier Vorboten ökumenischen 6 Es wird an keiner Stelle ersichtlich, ob Zulehner mit „Kirche“ gemäß dem Präfekt seiner Glaubenskongregation seine eigene Kirche, die röm.-kath. oder generalistisch den Leib Christi meint. 7 Strohm (2001:94) weist in einem kurzen Forschungsüberblick darauf hin, dass die bisherigen Untersuchungen über Bucers Unionsbemühungen diese beiden Fragen nicht zufriedenstellend geklärt haben: 10 Denkens und Handelns ab, das Gemeinsamkeiten betont und Unterschiede in sekundären Fragen nicht herausstreicht? Was sind für Martin Bucer sekundäre Fragen, Adiaphora oder auch theologische Urteile, die für ihn nicht im strengen Sinne zu den neceassitas medii zählen? Wie begegnet der Reformator dementsprechend den Glaubensgenossen? Folgt seine Argumentation mit ihnen einem bestimmten Muster, nicht nur rhetorisch betrachtet, sondern grundsätzlich? Anders formuliert: Gibt es für ihn einen irenischen Kern, der von seinem Verständnis des Evangeliums her dogmatische Grenzziehungen unter gewissen Umständen als nicht notwendig erscheinen lässt? In Summe: Welche theologischen Gewichtungen in den Topoi wie Christologie, Soteriologie und Ekklesiologie - insbesondere letztere scheint der sichtbaren Einheit der Kirche am abkömmlichsten - lassen sich beim Straßburger Reformator ausmachen? Im Hinblick auf die evangelikale Bewegung und ihr Ökumeneverständnis steht folgender Fragenkomplex im Raum: Wo liegen die Wurzeln der ökumenischen Bewegung? Was kennzeichnet ihre Geschichte, Theologie und aktuelles Auftreten? Welchen Stellenwert hat der Ökumenismus innerhalb der evangelikalen Bewegung weltweit und deutschsprachiger Prägung? Worin sind theologische oder auch andersartige Widerstände begründet? Gibt es hierbei erhellende Faktoren, die bisher noch zu wenig Berücksichtigung gefunden haben und der Aufklärung dienen würden? Worin manifestieren sich bleibende Unterschiede zwischen dem ÖRK und dem LKWE? Welche praktischen Schlussfolgerungen werden daraus von den einzelnen partizipierenden Vertretern aus Kirchen und Gemeinden gezogen und wie steht es um deren theologische Grundierung, z. B. hinsichtlich der ekklesiologischen Frage? Schlussendlich: Welche Standpunkte nimmt die evangelikale Bewegung hinsichtlich der Ökumene-Debatte derzeit ein und welches Potenzial für theologische Weiterarbeit ist darin enthalten? 1.2 Vorgehensweise Ausgangspunkt der Studie ist die Analyse der BUCER’SCHEN Konzeption, seines Verständnisses von christlicher Einheit, gewonnen in der Auseinandersetzung mit den alten und neuen Mächten Europas in einem Zeitalter grundsätzlicher theologischer und nicht nur kirchenpolitischer Neuorientierung. Einleitend (2.1) soll das Lebenswerk des „Vergessenen“ als Rahmenhandlung kurz vorgestellt werden. Innerhalb des dann folgenden Paragrafen (2.2) geschieht die systematisch-theologische Erörterung immer in, mit und unter der Betrachtung der historischen Situation, ohne die ein sachgemäßes Verständnis der jeweiligen „Keine der Arbeiten hat jedoch die theologischen Grundentscheidungen, die hinter Bucers Vermittlungstätigkeit stehen, genauer geklärt - sieht man einmal ab von Einzellehren oder summarischen Verweisen auf humanistisches Gedankengut bei Bucer.“ (:94). 11 Fragestellungen und Motive schlichtweg nicht möglich ist. 8 Unter Kap. 2.3 wird eine Synthese mittels der aufgefundenen Grundentscheidungen BUCERS gewagt. Der theologiegeschichtlichen Darstellung einer „klassischen“ Position folgt unter 3. ein Kapitel neuzeitlicher Theologie- und Kirchengeschichte, das noch im Werden begriffen ist. Einigen einleitenden Informationen zur ökumenischen Bewegung (3.1: Geschichte, Theologie und status quo) schließt sich die Untersuchung der evangelikalen Bewegung und ihres „ökumenischen“ Ansatzes an (3.2). Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf die Dokumente und Kommentare der Lausanner Bewegung gelegt. In synthetischer Hinsicht komplettiert wird die MTh-Dissertation durch eine systematisch-theologische Reflexion (4.), die gewonnene Ergebnisse aufgreift und an ihrem jeweiligen dogmatischen Ort reflektiert. Das Wesen christlicher Einheit soll - wenn man so will - in einer Art tractatus oecomenicus skizziert und damit zur Diskussion gestellt werden. Die Möglichkeit neuer Theoriebildung ist eingeschlossen, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Grunde genommen nur die Zuspitzung und Aktualisierung des BUCER’SCHEN Vermächtnisses im evangelikalen Kontext die Qualifizierung „neu“ verdient. Eine thesenartige Zusammenfassung samt Ausblick rundet die vorliegende Untersuchung ab (5.). Missverstanden und in keiner Weise sachgemäß wäre die totale Inanspruchnahme der Person Martin Bucer für die Anliegen der evangelikalen Bewegung heute. Ein mögliches Urteil nach dem Motto, bei BUCER handle es sich um den ersten „evangelikalen“ Vorzeigeökumeniker, ist anachronistisch und methodologisch nicht verantwortbar (vgl. im Falle CALVINS dazu Nijenhuis 1960:63). Vielmehr ist der kritische und nicht präjudizierte Dialog zwischen Martin Bucer und - salopp formuliert - den Evangelikalen Aufgabe und Strukturmerkmal dieser Studie. 1.3 Auswahl, Quellenlage und Stand der Forschung Eine erste Eingrenzung geschieht zunächst durch die Konzentration auf einen der z. T. in Vergessenheit geratenen Reformatoren, den Elsässer Martin Bucer. Markante Stationen seiner Biografie, die den Sitz im Leben für seine Unionsbemühungen bilden, sowie zentrale Schriften zur Thematik stehen im Mittelpunkt der Untersuchung. 9 Eine Begrenzung auf eines 8 Gäumann (2001:31f) moniert, dass die historische Aufarbeitung zuweilen selbst in genuin kirchengeschichtlichen Arbeiten (z. B. Diss. von H. J. Selderhuis) zu kurz käme. 9 Das „ökumenische“ Traktat schlechthin stellt die Vorrede zur zweiten Ausgabe des Evangelienkommentars von 1530 dar. In einem Brief an den Konstanzer Reformator Ambrosius Blaurer bringt er dies deutlich zum Ausdruck, wenn er seine Vorrede als „epistolam (…) de seruanda ecclesiae vnitate“ bezeichnet (BCor IV, 86, 2f). Am Rande: Die Zitation der Quellentexte Martin Bucers folgt den gängigen Mustern in der Literatur: Auf den Band folgt die Seiten- und dann schließlich die Zeilenangabe, jeweils durch ein Komma samt Leerzeichen getrennt; nur im Falle der Korrespondenz werden für den Band lat. Ziffern verwandt. Eine einheitliche Festlegung im Hinblick auf reformatorische Werkausgaben generell steht nach Markschies (1995:55) noch aus. 12 seiner Werke, u. U. auf sein opus magnum, den Römerbriefkommentar von 1536, oder sein Spätwerk „De regno Christi“ von 155010 erscheint nicht sinnvoll, da sie der nicht streng dogmatisch beschaffenen Struktur seiner Theologie und vor allem ihrer Darstellung zuwiderläuft.11 W. H. Neuser (1998b:224) hält fest: „Das Fehlen einer zutreffenden Charakterisierung (sc. der Theologie Bucers) weist auf ein tieferliegendes Problem hin, auf die Spannweite der Theologie Bucers. Der Straßburger Theologe verbindet, systematisch nicht immer konsequent und abgesichert, einander entgegengesetzte Lehrpunkte, wie Geistwirken und Amtsautorität, Prädestination und kirchliche Heilsmittel, Kerngemeinde und christlichen Staat. Diese Spannbreite ist Ausdruck seines Gedankenreichtums. Aus ihm hat wie kein anderer Calvin geschöpft, dessen Lehrer Bucer wurde.“12 Die Bucer-Forschung blickt naturgemäß auf eine lange Tradition zurück, die Literatur ist schlichtweg Legion (vgl. die monumentale Bibliografie von Pils, Ruderer & Schaffrodt 2005). Die spezifische Fragestellung nach dem Verständnis von „Einheit der Christenheit“ bei BUCER wurde von Beginn an verhandelt, zunächst unter eher polemischen Gesichtspunkten, insbesondere durch die luth.13, aber auch ref. Orthodoxie14, dann mit dem Aufbruch der ökumenischen Bewegung zu Beginn des letzten Jahrhunderts zunehmend mithilfe 10 Diese Schrift ist in gewisser Hinsicht ein merkwürdiges Buch und so einzigartig unter den Schriften der Reformationszeit; ein Reformprogramm für die englische Gesellschaft wird entworfen, das ein „Schreckensbild einer bis in den letzten Winkel hinreichenden klerikalen Bevormundung menschlichen Zusammenlebens“ (de Kroon 1991:251) enthält, ohne es auf dieses reduzieren zu wollen. Eine Dogmatik analog zu Calvins „Institutio christianae religionis“ sucht man vergebens; vgl. generell zu Bucer und Calvin de Kroon 1991:229-257; van’t Spijker 1993a:462.470; im Rückgriff auf Ficker und Winckelmann (1904) hält van’t Spijker (1993a:461f) fest: „[W]enn Calvin überaus viel vom [sic!] Straßburg empfangen hat, theologisch wohl vor 1535, in kirchlicher praktischer Arbeit aus den kirchlichen Verhältnissen in der Zeit seines längsten Aufenthaltes in Straßburg, so hat er doch Straßburg und seinen Reformatoren auch gegeben: er, der 1538-1541 innerlich schon in den Hauptzügen fest und fertig war, überragt Bucer an systematischer Gabe, in der weisen Ökonomie und der scharfgezogenen Form lichtvoller Darlegung und er – der Jurist und der Romane – auch in der systematischen, konsequenten und straffen Behandlung der praktischen Aufgaben des Lebens und der Kirche im Leben.“ O. Ritschl (1926:125) urteilt jedoch über Bucer: „An theologischer Originalität war er Calvin überlegen, Melanchthon und Zwingli vielleicht ebenbürtig.“ 11 Bucer war eher wie Luther nicht so sehr systematischer als vielmehr praktischer Theologe: „Über seine theologischen Anschauungen und ihre Folgen gibt er sich im Rahmen seiner auf die kirchliche Praxis gerichteten Schriften Rechenschaft“ (Stupperich 1981:265); vgl. aber auch Ritschl 1926:125: „Bucer hat zwar kein eigentlich theologisches, wohl aber ein kirchentheoretisches System gehabt, in dem doch auch seine Theologie ihre überaus bedeutsame Stelle einnahm.“ 12 Hervorhebung im Original. Eine aus seiner Sicht zutreffende Charakterisierung bietet Neuser dann doch, er titelt seinen Paragrafen zur Sache mit „Selbständige Weiterbildung zwinglischer Theologie – Martin Bucer“ (vgl. auch Neuser 1993:703f). 13 Allen voran der Reformator Martin Luther höchstpersönlich, der im Hinblick auf die von Melanchthon und Bucer verfasste Schrift „Einfältiges Bedenken“ (1543) formulieren konnte, das sei „alles zu lang und gros gewessch, das ich das klapper maul, den Butzer, hie wol spüre“ (WABr X, 618, 23f). 14 Noch im Jahre 1571 klagt Bullinger in einem Brief an Theodore de Bèze, dass man es dem unglückseligen Versöhner - „infelix conciliator“ -, namentlich Bucer zu verdanken habe, dass es in der Abendmahlsfrage nicht deutlich genug zu einer Abgrenzung von den Lutheranern gekommen sei. An Calvins Uneindeutigkeit in dieser Sache sei jener letztlich auch schuld. Bullinger konnte anlässlich des Todes Luthers sogar äußern, es sei ihm noch lieber, wenn auch Bucer „vocaretur a domino“ (WA 54, 134). Die Äußerung Johannes Hallers in einem Brief an Bullinger (16. November 1565) ist von derselben Qualität. Als das Gerücht aufkam, dass die Evangelischen in Frankreich die Confessio Augustana unterschreiben wollten, vermutete man als Urheber den sowieso schon luth. Tendenzen verdächtigen Simon Sulzer, der als Reformator in Bern, Basel und BadenDurlach tätig war. Dieser wolle wohl ein neuer Bucer werden („alter querit esse Bucerus“); vgl. zum Ganzen Strohm 2001:111-112, bes. Anm. 61, 62 u. 67. 13 aufgeschlossenerer Wahrnehmung.15 Vermutet man, das letzte Wort zur Erforschung der BUCER’SCHEN Konzeption sei schon gesprochen, so steht dem die vitale Debatte unter Experten (vgl. dazu nur die Erwiderung Gäumanns 2001:443, Anm. 13 auf Friedrich [1990] 2002:145-198) und die Tatsache, dass die Edition der Werke Bucers als historisch-kritische Gesamtausgabe noch nicht abgeschlossen ist, entgegen.16 Revisionen bisheriger Einsichten, u. U. sogar Überraschungsfunde sind somit per se nicht ausgeschlossen. Generell gilt immer noch, was der Grandseigneur der Bucer-Forschung, Martin Greschat, vor über 30 Jahren schrieb ([1981] 1994:8): „Die Fülle der Anstöße und Anregungen, die er [sc. Bucer] den verschiedenen Konfessionen vermittelt hat - sie sind im einzelnen und in ihrer Gesamtheit noch keineswegs hinreichend erforscht - sind jedoch reicher, auch aktueller, als die unmittelbare Wirkungsgeschichte Bucers erkennen lässt.“ Eine umfassende Rezeption der „Fülle von Anstöße[n] und Anregungen“ durch das evangelikale Spektrum steht wohl noch aus; im Hinblick auf die hier zu verhandelnde Thematik ist dies m. E. im deutschen Sprachraum bisher nur durch Thomas Schirrmacher geschehen, allerdings zum gegebenen Zeitpunkt nur in nuce (s. Schirrmacher 2002:45-49). Eine Auswahl hinsichtlich des modernen Evangelikalismus 17 zu treffen, stellt eine Herausforderung dar. Die Quellenlage bzgl. der Ökumene-Debatte unter den Evangelikalen lässt einfach Wünsche offen. Ganz der Natur einer Bewegung entsprechend, die Mitglieder unterschiedlicher Kirchen und Verbände mit je eigenem status confessionis verbindet - eine „Regenbogenkoalition“ (Wellings 1994:47) -, liegt keine einheitliche, bindende Verlautbarung zur gestellten Frage vor. Die Bewegung ist zu vielschichtig und vor allem noch kein Objekt bloß historischer Anschauung, um sie in welcher Form auch immer in Bezug auf ihr Ökumeneverständnis auf einen Nenner bringen zu können. Naheliegend, vielleicht der einzig gangbare Weg für eine systematisch-theologische Untersuchung ist daher die Konzentration auf repräsentative „Bekenntnistexte“ der Lausanner Bewegung und ihre 15 Bereits nach seinem Tod unternahm zwar sein Sekretär Konrad Hubert den Versuch, das Schrifttum des Reformators zu sichten, zu ordnen und auch zu kommentieren. Den Beginn einer neutraleren Bucer-Forschung kann man allerdings erst in das Jahr 1891 verorten. Damals gab sein 400jähriger Geburtstag nach dem Vorbild der Lutherfeier den Anlass für eine Bibliografie (Mentz und Erichson) und erste Einzeluntersuchungen, die einer kritischen Gesamtausgabe seiner Werke und zunächst einmal einer großen Biografie den Weg ebnen sollten (Stupperich 1981:267). 16 Seit 1955 in drei Serien: Series Latina/Deutsche Schriften/Briefwechsel; vgl. pars pro toto zum Stand und zur Problematik der Edition der dt. Schriften Seebaß 1980:561-576 u. generell Seebaß 1997:277-282 o. a. online im Internet: http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/~ej9/#forschungsstelle [Stand: 15.02.2012] u. http://idwonline.de/pages/de/news201186 [Stand: 15.02.2012]. 17 Unter modernem Evangelikalismus wird in der vorliegenden Untersuchung, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts weltweit wiedererstarkte evangelikale Bewegung (Tidball 1999:48) verstanden. Für den deutschsprachigen Sektor ist diese Entwicklung untrennbar mit dem Weltkongress für Evangelisation in Berlin 1966 verbunden (Jung 1992:7-8.154), der zum maßgeblichen Wegbereiter für die Teilnahme der deutschsprachigen Delegation am Lausanner Kongress für Weltevangelisation 1974 wurde (Hardmeier 2008:19.21-22). Eine klare, nicht anfechtbare Definition zu liefern, ist zum gegebenen Zeitpunkt wohl kaum möglich (vgl. Berneburg 1997:16-22). 14 Rezeption, die Niederschlag gefunden hat und findet in den Veröffentlichungen um die Lausanner Konferenzen und Konsultationen herum (s. die Liste im Anhang von Marquardt und Parzany 1990:350-355, neuerdings Walldorf 2002:362-367 u. generell Stott 1997). Für die DEA sprechen immer noch Laubach (1972:97-121) und Laubach und Stadelmann (1989, Glaubensbasis und Erklärung). Aus der Sekundärliteratur seien nur folgende Veröffentlichungen kurz erwähnt: Klaus Bockmühl als einer der großen Vordenker der evangelikalen Bewegung kommt in einer postum veröffentlichten Sammlung missionstheologischer Aufsätze und Notizen unter dem Titel: Was heißt heute Mission: Entscheidungsfragen der neueren Missionstheologie ([1974] 2000) zu Wort. Obwohl er von Hause aus kein Missiologe ist, spiegelt sich in dieser Schrift doch in präziser Art und Weise die innere Entwicklung, der Anfang genuiner Anschauungen jener Bewegung in der Auseinandersetzung mit den aufkommenden Theologien rund um den ÖRK klassisch wider. John Stott als, wenn man so will, die Galionsfigur des modernen Evangelikalismus westlicher Prägung18 äußert sich dezidiert zur Fragestellung. In seiner kurzen Schrift Einheit der Evangelikalen: Gegen die falschen Polarisierungen (1975) greift er die damals und teilweise heute noch virulenten Problemfelder für das evangelikale Spektrum auf und versucht sie zu entschärfen. Seine leider äußerst kurz geratene Einführung (:7-10) mit einigen hermeneutischen Überlegungen steht zur Diskussion. Martin Hamel diskutiert mit seiner umfangreichen Tübinger Diss. Bibel – Mission – Ökumene: Schriftverständnis und Schriftgebrauch in der neueren ökumenischen Missionstheologie (1993) einen Dreh- und Angelpunkt der Ökumene-Debatte unter den Evangelikalen weltweit, der für manche das Haupthindernis für eine Zusammenarbeit mit „Genf“ darstellt: das Schriftverständnis in der neueren ökumenischen Missionstheologie. Anhand historischer Dokumente - einen Schwerpunkt bildet die neunte Weltmissionskonferenz 1980 in Melbourne - wird die Entwicklung der Hermeneutik in der ökumenischen Missionstheologie seit 1961 (Neu-Delhi) beschrieben und so für eine sachgemäße theologische Auseinandersetzung greifbar gemacht. Friedemann Walldorf zeichnet in seiner Diss. (UNISA) Die Neu-Evangelisierung Europas: Missionstheologien im europäischen Kontext (2002) den Weg, insbesondere des europäischen Lausanner Komitees seit 1984 nach. Die für ihn das Interesse leitende Frage, welche Ansätze und Methodenvorschläge zur Neuevangelisierung Europas die untersuchte Bewegung bietet, verfolgt er stringent und gibt so passim Einblicke in das dort vorherrschende 18 Vgl. nur Tidball, der seinen Dank gegenüber Stott und seinem Verdienst um das theologische Arbeiten in der evangelikalen Bewegung beinahe überschwänglich im Vorwort seiner Monographie zum Ausdruck bringt (1999:43-44). 15 Ökumeneverständnis. Hans Hauzenberger gelingt es mit seiner Berner Diss. Einheit auf evangelischer Grundlage: Vom Werden und Wesen der Evangelischen Allianz (1986) gründlich das Werden der EA, insbesondere die bis dahin relativ unbekannte Frühgeschichte nachzuzeichnen. Darüber hinaus wird ebenso das Wesen evangelischer Einheit im Sinne der Allianzväter damals dargestellt: ein Versuch den Begriff „evangelikal“ von den Anfängen her zu deuten. Besonders aufschlussreich für die vorliegende Untersuchung, die mit einer systematischtheologischen Reflexion zur Sache enden soll, sind die Kapitel 4 (Einheit auf evangelischer Grundlage - Versuch einer Bilanz) und 4.4 (Thesen für ökumenisches Denken, Reden und Handeln) in H. Hauzenbergers Studie. Karl Heinz Voigt, der ehemalige Berliner Superintendent der EmK - derzeit einer der europäischen Vizepräsidenten der World Methodist Historical Society - beschreibt in seiner Monografie Die Evangelische Allianz als ökumenische Bewegung: Freikirchliche Erfahrungen im 19. Jahrhundert (1990) sowohl die historischen Linien als auch die aktuellen Schwerpunkte der EA unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Freikirchen in diesem Geschehen. Das ökumenische Potenzial, das mit und seit der Gründung vorhanden ist, wird dabei immer wieder gewürdigt. Analog im Aufbau zu H. Hauzenbergers Werk zeichnet Friedhelm Jung mit seiner Marburger Diss. Die deutsche Evangelikale Bewegung: Grundlinien ihrer Geschichte und Theologie (1992) die historischen und theologischen Linien der deutschen evangelikalen Bewegung nach. Neben der DEA und ihrer Entwicklung wird besonderes Augenmerk auf die Bekenntnisbewegung innerhalb der evang. Landeskirchen sowie die Charismatische und Pfingstbewegung gerichtet. Den Ausführungen zu theologischen Grundpositionen folgt ein interessanter Abschnitt über „Tendenzen zur Kirchwerdung der Evangelikalen Bewegung“ (:217-228) - eine Frage von höchster ekklesiologischer Brisanz. Gabriel J. Fackre unternimmt mit seinem Beitrag Ecumenical faith in evangelical perspective (1993) ein äußerst spannendes Unterfangen. Er bezeichnet sich selbst als evangelikalen Ökumeniker (nicht zu verwechseln mit einem ökumenisch gesinnten Evangelikalen wie er betont), der seit den 70er Jahren durch wachsende Kontakte und damit einhergehenden theologischen Austausch an der Aufklärung beider Seiten arbeitet. Sein Ziel ist der Abbau von Stereotypen, zuallererst einmal überhaupt der gegenseitigen NichtWahrnehmung. Jochen Eber, dessen Erlanger Diss. (bei R. Slenczka) sich mit „Einheit der Kirche als dogmatisches Problem bei Edmund Schlink“ befasst, gibt in seinem kurzen Beitrag „Damit sie alle eins seien“ - Evangelikale Christen und die Ökumene (2006) zu einem Sammelband 16 der Facharbeitsgruppe Systematische Theologie des AfeT einen äußerst hilfreichen Überblick über die anstehende Thematik: Die Positionierungen im evangelikalen Spektrum werden herausgestellt, ein kurzer historischer Rückblick auf Ökumeneversuche vor dem 20. Jahrhundert schließt sich an, das Einheitsverständnis der EA wird benannt und teilweise kritisch beleuchtet. Den Abschluss bildet in aller Kürze ein Ausblick auf mögliche Schritte auf dem Weg der Einheit der Kirchen. Ausgehend von der CA Art. 4 und 7 entwirft J. Eber ein Bild für die ökumenische Aufgabe der Zukunft unter Evangelikalen, die er in vier Thesen bündelt.19 2. Martin Bucer und die unio christianorum 2.1 Der vergessene Reformator Im Falle des Straßburger Reformators Martin Bucer drängt sich die Notwendigkeit auf, einige Angaben zu seiner Person und dem Umgang mit derselben vorauszuschicken. Im Falle LUTHERS oder MELANCHTHONS könnte sicher auf einen biografischen Einstieg verzichtet werden, nicht jedoch bei Martin Bucer. Gerade darin besteht seine Eigenart, gehört er doch nach dem Urteil eines Reformationshistorikers wie Heinrich Bornkamm in eine Reihe mit diesen beiden - er bezeichnet BUCER als den „dritte[n] deutsche[n] Reformator“ (1961:88). 20 „Will man den Mann nennen, der hinter dem Wittenberger Freundespaar Luther und Melanchthon den nächsten Rang innerhalb der deutschen Reformation beanspruchen kann, so muß man einen fast unbekannten Namen angeben: Martin Bucer. Woher kommt das?“ (:88).21 Die Gründe sind vielfältig: Nicht zu vergessen ist zunächst einmal die schlichte Tatsache, dass Bucer aus dem Grenzland Elsass stammt, eine Region, in der man wegen der bewegten Geschichte nur schwer der Bewahrung seines Andenkens nachkommen konnte. Auch die Reichsstadt Straßburg, in der er über 25 Jahre lebte, verlor, wie viele andere ihresgleichen, mit dem Ende des 16. Jahrhunderts ihre Bedeutung zugunsten der aufstrebenden Fürstentümer. 19 Am Rande: Man kommt allerdings nicht umhin, die Prägung des Verfassers seitens luth. Neoorthodoxie zumindest anzumerken (s. nur das Lutherzitat, in: Eber 2006:222). 20 Strohm (2001:95) weist zu Recht darauf hin, dass Bucer eher in einem Zuge mit regional bedeutsamen Reformatoren wie Johannes Brenz oder Andreas Osiander genannt wird. Seine Schriften wurden daher auch nicht im 19. Jahrhundert mit in das Corpus Reformatorum aufgenommen. Ein Blick in die Dogmengeschichte R. Seebergs ([1920] 1954:556f) unterstreicht diese Beobachtungen: Nach seiner Auskunft ist der „Butzerianismus nur die Vorstufe für den Calvinismus geworden (...). Die Butzerische Vermittlungstheologie wie die übrigen theologischen Ansätze in der Schweiz und dem südwestlichen Deutschland sind fast überall aufgegangen in die calvinische Theologie. Dies hat nicht den Sinn einer Verdrängung, sondern es stellt den allmählichen Übergang einer niederen in eine höhere Form dar“ (:556). Erst eine neuere Dogmengeschichte wie bspw. W.-D. Hauschilds Lehrbuch (1999:61.130f.345f.379f.392-394.passim) widmet sich Bucers Entwurf nicht nur als „Vorstufe“, allerdings immer noch im Umfang eher den regionalen Größen der Reformation entsprechend. 21 Der Autor der jüngst in einer Neuauflage (2009) erschienenen dt. „Standard“-Bucer-Biografie hält ebenso fest: „Wenige Gestalten der Reformationszeit sind so vergessen wie dieser Theologe, Kirchenmann, Politiker und Christ des 16. Jahrhunderts“ (Greschat 1990:9, Vorwort). De Kroon (1991:16) formuliert: „500 Jahre nach seiner Geburt gibt es noch immer kein klares Bild seiner Theologie.“ 17 „Somit wurde sein theologisches Erbe nicht in der Weise für die Formierung und Stabilisierung eines frühmodernen Territorialstaates herangezogen und dienstbar gemacht wie zum Beispiel das eines Luther oder Melanchthon“ (Strohm 2001:96). Neben seiner Herkunft und dem Ort seiner Hauptwirksamkeit schuf auch seine letzte Lebensstation, als Emigrant in England, nicht den idealen Nährboden für ein unbeschadetes Weiterleben seiner Gedankenwelt. Verlässt man die eher profan- und sozialgeschichtliche Betrachtung seines Lebensumfeldes, so springt ein weiterer Tatbestand dem systematisch-theologisch Orientierten unmittelbar ins Auge: Bucer hinterließ keine Dogmatik oder eine ähnlich geartete Schrift in einer Form, die ohne weiteres lehr- oder lernbar war. Prägnante Formulierungen, zu denen er sehr wohl in der Lage war (s. 2.2.1.2 Marburger Religionsgespräch), sind nicht zu seinem Kennzeichen geworden. So ist es nicht verwunderlich, dass man sehr wohl von Calvinisten und Lutheranern, aber keineswegs von „Bucerianern“ spricht. Des Weiteren hat die Tatsache, dass der größte Teil seines Nachlasses handschriftlich 22 und schwer zugänglich in Archiven lag, sicher auch dazu beigetragen, dass sein Lebenswerk in Vergessenheit geriet.23 Den innersten Grund dafür, dass sein Werk nicht den Platz einnimmt, der ihm zusteht, sucht man wohl jedoch am besten in seiner Person, präziser in seinem theologischen Profil als Konsenstheologe und dessen praktischer Umsetzung. Aufgabe dieser Studie wird es sein, gerade von diesem innersten Motiv her der Frage nachzugehen, was der Elsässer als Reformator des Ausgleichs für die aktuelle Situation im evangelikalen Kontext „zu bieten“ hat. Sein grundsätzliches theologisches Denken wird dabei angeschnitten und, wo nötig, én detail untersucht. Implikationen für die kirchliche Praxis, die sich bei ihm reichhaltig finden man denke nur an die Erfindung der Konfirmation -, sollen ebenso zur Sprache kommen, soweit sie zur Sache beitragen. Nun, in aller Kürze, zu einigen biografischen Angaben, 24 die sich auf die Anfangsjahre, das Werden des jungen Reformators, beschränken: Martin Bucer wurde am 11. November 1491 als Sohn eines Handwerkers in der freien Reichsstadt Schlettstadt (Sélestat) im Elsass geboren. Nach dem sehr wahrscheinlichen Besuch einer berühmten (Jakob Wimpfeling), im Geiste des Humanismus geführten Lateinschule seiner Heimatstadt folgte - wahrscheinlich im 22 Seebaß (2002:39) weist am Rande darauf hin, dass die schwer entzifferbare Handschrift Bucers, insbesondere im Hinblick auf seine Korrespondenz, gelegentlich an ein Huhn erinnert, das „mit seinen in Tinte getauchten Füßen über das Papier gelaufen ist.“; vgl. die Abb. kurz zuvor (:38). Schirrmacher (2005:121) zufolge, „sind viele Schriften Martin Bucers selbst für Bucerforscher bis heute nur in wertvollen Originalausgaben des 16. Jahrhunderts zugänglich.“ Eine Beobachtung, die der Verfasser der vorliegenden Untersuchung nur bestätigen kann. 23 Ob sein Scheitern an „seinem eigenen Ideal, die Kirchen der Reformation zu einen“ (Baumann 2001:8), ihn letztlich in Vergessenheit geraten ließ oder nicht schon der bloße Versuch für das beginnende konfessionelle Zeitalter einem Hochverrat an den gerade erst neu erworbenen Standpunkten gleichkam, sei einmal dahingestellt. 24 Im Folgenden nach Greschat 1994:8-11; Strohm 2002a:117-119; Greschat 2009. 18 Sommer 1507 - im Alter von fünfzehn Jahren der Eintritt als Novize in das dortige renommierte Dominikanerkloster.25 Studienorte und -aufenthalte folgten, so in Mainz, wo er die Priesterweihe erhielt, und in Heidelberg (Immatrikulation 31.1.1517), wo er im Rahmen des Generalstudiums seines Ordens mit einer Promotion zum Doktor der Theologie abschließen sollte. Hierzu kam es jedoch nicht, da er Ende Januar 1521 das Kloster nahezu fluchtartig verließ. Dieses Ereignis war das Ergebnis einer intensiven Entwicklung, die den in der thomistischen Theologie geschulten und vom Humanismus eines Erasmus 26 geprägten jungen Mönch endgültig zum Anhänger Luthers und seiner reformatorischen Anschauungen werden ließ. Eine entscheidende Rolle spielte hierbei die Teilnahme an der Heidelberger Disputation am 26. April 1518, bei der BUCER den Wittenberger Reformator in natura erleben und im Anschluss ein ausführliches Gespräch mit ihm führen konnte. Man darf diese Begegnung nicht zu gering einschätzen: So wie bei anderen anwesenden humanistisch orientierten Studenten, die später die Reformation in Südwestdeutschland vorantrieben - etwa Martin Frecht, Theodor Billican, Johannes Brenz und u. U. Erhard Schnepf -, war der junge BUCER zutiefst von LUTHER beeindruckt.27 Seit diesem Zeitpunkt bewegte er sich nicht mehr nur im geistigen Spannungsfeld zwischen Thomas von Aquin28 und Erasmus von Rotterdam, sondern nun trat auch - quasi als dritter Pol - LUTHER hinzu. Deutlich konnte er sich sogar als „Martinianer“ bezeichnen (BCor I, 77, 5; vgl. auch I, 78, 26f), eine Chiffre, die ihn unweigerlich in einen Konfrontationskurs mit seinem Dominikanerorden brachte. Rechtzeitig bevor ein Ketzerprozess gegen ihn eröffnet worden wäre, erlangte BUCER dank einflussreicher Freunde am 29. April 1521 den päpstlichen Dispens von seinen Ordensgelübden. Nunmehr als 25 Greschat (1994:9) spricht von einem „tiefe[n] Dunkel“ über diesem ersten Lebensabschnitt des angehenden Reformators. Über seine Beweggründe und die seines Großvaters Claus Butzer, der ihn zum Klostereintritt drängte, wissen wir nicht viel. Eine Gewitter-Erfahrung á la Martin Luther und damit verbunden starke innere religiöse Motive (Gewissensnot) sind bei ihm sehr wahrscheinlich auszuschließen (vgl. Stupperich 1981:259, anders urteilt Moeller 1998:1810). Wie auch immer geartete religiöse, intellektuelle und soziale Gesichtspunkte haben vielmehr ineinandergegriffen, „bot innerhalb der festgefügten ständischen Gesellschaftsordnung jener Zeit doch praktisch allein die Kirche dem begabten Handwerkerkind die Möglichkeit des Aufstiegs. Bucer gehörte somit – wie übrigens ein großer Teil der Reformatoren, man denke nur an Luther, Zwingli oder Melanchthon! – zu den sozialen Aufsteigern; die entsprechende Mentalität mit dem Drängen auf Leistung und dem Willen zur Durchsetzung ist jedenfalls bei Bucer unübersehbar“ (Greschat 1994:9); vgl. zum Ganzen Greschat 2009:9-30. 26 Der Bücherbestand des jungen Bucer und der Eifer, mit dem jener an seiner Erweiterung arbeitete, legen ein beredtes Zeugnis hiervon ab (vgl. Greschat 1969:125f; 2009:34ff). 27 Ein begeisterter Bericht (vgl. BCor I, 61, 46ff) Bucers an Beatus Rhenanus, der ihm aus frühen Kontakten mit dem Schlettstädter Humanistenkreis gut bekannt war, zeugt von jener Begeisterung und vor allem der Tatsache, dass er Luthers Thesen ganz in seinem humanistischen Kontext wahrgenommen hat. Für Bucer vertreten Erasmus und Luther zu jenem Zeitpunkt dieselben Ansichten, nur tritt letzterer konsequenter für die praktische Verwirklichung der geforderten Reformen ein. Strohm (2002a:117) urteilt im Rückgriff auf Greschat ([1990] 2009:38-41): „Gerade die humanistischen Intentionen zuwiderlaufenden Pointen wie die Gegenüberstellung von Gesetz und Evangelium sowie die zugespitzte Problematisierung guter Werke als Gefährdung der Orientierung an der Glaubensgerechtigkeit gehen verloren. Anders als Luther betont Bucer in seinem Bericht neben der Glaubensgerechtigkeit auch das gute Handeln des Christen.“ 28 Vgl. zu den thomistischen Einflüssen die Zusammenfassung der Diss. von Leijssen 1979:266-296, bes. 288293. 19 Weltpriester, der an verschiedenen Orten tätig war, heiratete er im Sommer 1522 die ehemalige Nonne Elisabeth Silbereisen29.30 Eigentümlich an dem ganzen Geschehen und zeitlebens kennzeichnend für BUCERS Person und Wirken ist der Versuch, bis zuletzt von seiner Seite aus auf eine Verständigung hinzuarbeiten, auch wenn dies scheinbar völlig aussichtslos erschien. Die Ordensoberen, wohlgemerkt des gleichen Ordens, der die Verurteilung REUCHLINS anstrebte, obwohl jene Oberen selbst humanistische Bildung für sich beanspruchten, förderten BUCER bis zu jenem Punkt, an dem sie einsehen mussten, dass der junge Gelehrte weiter ging als sie und den Wittenberger Kurs eingeschlagen hatte. Trotz dieses unüberbrückbaren Gegensatzes hoffte BUCER tatsächlich, dass sich zumindest die Elite seines Ordens, bei allen Zögerlichkeiten und faktischen Unterschieden, über kurz oder lang ebenso der neuen Richtung anschließen würde. „Er war in einem Ausmaß, das an Selbstpreisgabe grenzte, zur Verständigung und zum Kompromiß bereit. Aber wo dieses Entgegenkommen nicht angenommen wurde, begann sein entschiedener Widerstand“ (Greschat 1994:10). Konkret bedeutete das die Abkehr vom Klosterleben und einer angesehenen Laufbahn im Orden. Aufgrund seiner evangelischen Verkündigung und der Heirat, welche schlussendlich zur Exkommunikation durch den Speyerer Bischof führte, verließ er - wieder einmal fluchtartig die Reichsstadt Weißenburg (Wissembourg),31 bevor er im Mai 1523 nach Straßburg kam, in die Stadt seines Vaters. Von dort aus entfaltete er seine reformatorische Wirksamkeit, anfänglich unter großer Zurückhaltung des Rates, der naturgemäß mit wenig Begeisterung einem exkommunizierten und verheirateten Priester entgegentrat. 32 Mehr als 25 Jahre lang, bis 29 Bucer weist im Rückblick darauf hin, dass sie als Kind von ihren Eltern früh ins Kloster Lobenfeld (Kraichgau) gebracht wurde (BDS 1, 173, 21ff), was keine Seltenheit war; zu ihrer Person - soweit rekonstruierbar - vgl. Selderhuis 1993a:173-184; 1994:139-146 u. neuerdings - nach Greschat (2009:288f, Anm. 36) „phantasievoll“ - Doris Ebert 2000. Elisabeth Silbereisen: Bürgertochter, Klosterfrau und Ehefrau des Reformators Martin Bucer – Familie und Lebensstationen. (Sonderveröffentlichung 4). Heimatverein Kraichgau. 30 Eine in jeder Hinsicht bewegte Phase seines Lebens endete schließlich mit seiner Hochzeit in Landstuhl. Zuvor kam es zu einer Verbindung mit politisch progressiven Kräften (vgl. Greschat 1994:10f; 2009:49-54): Bucer trat Gestalten wie Franz von Sickingen und Ulrich von Hutten nahe, die im Namen der Reformation der sozial, politisch und wirtschaftlich seit langem absteigenden Reichsritterschaft zu neuer Orientierung verhelfen wollten. Daneben stand der Weltpriester seit Mai 1521 für ein Jahr im Dienste des Pfalzgrafen Friedrich, der, allerdings nicht de facto, eine führende Stellung im Reichsregiment innehatte. Bucers Vorstellung so der reformatorischen Bewegung einen Dienst zu erweisen, stellte sich bald als Illusion heraus. Mit der Übernahme der Pfarre Landstuhl unterhalb einer der Burgen Sickingens, in diesem Fall der Feste Nanstein, war er zumindest versorgt und genoss - kurzfristig - Protektion. 31 Ein geplanter Studienaufenthalt in Wittenberg kam nicht zustande, stattdessen bat ihn der Weißenburger Pfarrer Heinrich Motherer, ihm beim Aufbau reformatorischer Verhältnisse in dieser Reichsstadt, einer der elsässischen Dekapolis, zu helfen. Der Reformationsversuch scheiterte vorerst. Bedrängt durch das kurpfälzische Heer und aus Angst vor Unruhen in der Stadt floh Bucer gemeinsam mit Motherer und ihren schwangeren Frauen am 13. Mai 1523 in der Nacht aus der Stadt (vgl. zur Predigt Bucers ad locum und den politischen Mengenverhältnissen Greschat 2009:55-60). 32 Zunächst stand er hinter dem „Pionier-Reformator“ in jener Stadt (Hauschild 1999:61), Matthäus Zell, und dem gebildeten Humanisten Wolfgang Capito zurück. Trotzdem gelang es Bucer nach und nach (die Messe wurde erst 1529 abgeschafft!), in der elsässischen Metropole Fuß zu fassen. Mit Hingabe und Geschick engagierte er sich auf der Seite der jungen reformatorischen Bewegung, immer bestrebt, es zu keiner Beeinträchtigung der politischen Verfügungsgewalt des Magistrates kommen zu lassen. Seine taktischen 20 zu dem durch das Augsburger Interim im Jahre 1549 erzwungenen Exil in England († 1551), war er hier und weit darüber hinaus (neben England in Frankreich, Böhmen, Ungarn u. a.) für sein Programm der Reformation als „Anwalt der protestantischen Einheit“ (M. Greschat) tätig. Von seinen umfangreichen Werken, sowohl populärer als auch wissenschaftlicher Natur (Gutachten, Kirchenordnungen, Bibelkommentare u. v. m.), ganz zu schweigen von seiner Korrespondenz, seien an dieser Stelle nur zur groben theologischen Orientierung sein Erstlingswerk und seine Spätschrift aus England erwähnt. Beide verbindet eine Linie, die Erwähnung verdient: Schon im Sommer 1523, sprich zu einer Zeit einer noch völlig ungewissen Zukunft in Straßburg, ließ BUCER eine kleine Abhandlung mit dem Titel „Das ym selbs niemant, sonder anderen leben soll“ (BDS 1, 29-67) drucken, in der sich sein späteres theologisches Programm in Grundzügen bereits vorfindet (Strohm 2002a:118 im Rückgriff auf Greschat 1994:11; s. a. 2009:70-72; van't Spijker 1991b:12). Neben den humanistischen Einflüssen tritt besonders das thomistische Element nicht nur als Strukturmerkmal in den Vordergrund. Die Schrift ist zweigeteilt im Anklang an die Systematik der „Summa theologiae“ des Aquinaten. Ein erster Teil behandelt die von Gott gesetzte Ordnung alles Lebens und Seins, der zweite die Frage „wie der Mensch dahyn kummen mög“ (Untertitel; vgl. auch BDS 1, 44, 18-24). Der erste Teil entspricht den beiden Teilen der „Summa“, in denen Gott als der Grund alles Seins und der Mensch als Gottes Ebenbild beschrieben wird. Der zweite Teil bei BUCER entspricht Pars drei der „Summa“, die Christus als denjenigen thematisiert, der das neue Sein ermöglicht. Reformatorisch ist die Bündelung der beiden ersten Teile der „Summa“ zu einem Abschnitt, um die Bedeutung des Heilswerkes Christi nicht zu nivellieren.33 Thomistisch ist die grundlegende Vorstellung einer göttlichen Seinsordnung, deren Grundgesetz die Liebe ist. Allerdings hat BUCER stärker die Bewegung als das Sein als solches im Blick, der Akzent liegt nicht auf der Ruhe, sondern auf der Ausrichtung auf Gott, und damit auch auf der Zuwendung zum anderen. 34 Nicht nur die menschliche Welt, sondern sogar die gesamte organische und anorganische Schöpfung ist für ihn durch die Hinwendung zum anderen gekennzeichnet.35 Diese Solidarität entnimmt er vor Fähigkeiten trugen Früchte, im März 1524 wählten ihn die Gärtner Straßburgs zu ihrem Pfarrer. Am 24. August wagte es der Rat, diesen Rechtsbruch geltender kirchlicher Bestimmungen offiziell zu billigen. Damit war ein Durchbruch erreicht, der Bucer die Möglichkeit gab, dem reformatorischen Anliegen in einer der angesehensten und größten, auch politisch bedeutungsvollen Städte des Deutschen Reiches Geltung zu verschaffen (vgl. Greschat 2009:61-80). 33 Zum „sola fide“ vgl. BDS 1, 61, 24; 1, 67, 2-4. 34 „Gott hat alle ding umb seint willen geschaffen. Darumb solten sye alle uff yn gericht und ym dienstlich sein“ (BDS 1, 45, 12f). 35 „Uß disem allem ist nun clar, das ym selbst niemant leben soll. seittenmal gott alle ding geschaffen hat, das sye nit ynen selb, sondern andern zu gut dyenen und instrument göttlicher gütigkeit, die in allen dingen außzuspreyten, sein sollen“ (BDS 1, 50, 32-35). Auf den Punkt bringt er diese Auffassung in einem Brief an seinen geistig behinderten Sohn Nathanael (18. April 1549): „Kein kreutlin ist so klein, es hatt seine würkung, 21 allem Gen 2,18: „Es ist nit gut, das der Mensch allein sey“, einem Vers, den er nicht nur auf die Zuneigung zwischen Mann und Frau als Paar bezieht (BDS 1, 48, 1-16). Zerstört wurde diese Ordnung durch die Sünde;36 die durch den Heiligen Geist erfolgende Aktualisierung des Heilswerkes Christi stellt diese ursprüngliche Ordnung allerdings wieder her. Als einzige Kreatur, die fähig ist, den Willen Gottes zu erkennen und ihn zu erfüllen, hat der Mensch sein ganzes Handeln darauf auszurichten, „nichts eygens, aber allein die wolfahrt seiner nechsten menschen und brüder (..) zu der eer gottes“ (BDS 1, 51, 3-5) zu suchen.37 Die hiermit entfalteten Grundsätze sind programmatisch. Sie prägen auch am Ende seines Lebens sein letztes großes Werk „De regno Christi“ (1550). Der Blickwinkel ist ein anderer, es geht um die Verfassung einer christlichen Gesellschaft, die davon bestimmt ist - hier taucht der altruistische Gedanke wieder auf -, „daß die Menschen nämlich nicht für sich geboren werden, sondern für Gott, die Kirche, das Vaterland und jeden Nächsten“ (BOL 15, 268; Übers. nach Greschat 1994:11). In 60 Kapiteln zieht BUCER die Summe aus seinen lebenslangen Erfahrungen und Anstrengungen im Hinblick auf die Umsetzung der Reformation, gerichtet an König Eduard VI., der 14 umfassend konzipierte und ausführlich erläuterte Gesetze erlassen soll, um ein wahrhaft christliches Staatswesen zu schaffen. 38 Die hierin geäußerte grundsätzliche - ontische - Ausrichtung des Menschen auf seinen Nächsten dient bei BUCER der Strukturierung der menschlichen Existenz als solcher: „Man könnte diese seine Überzeugung geradezu als das Grundgesetz alles menschlichen und gesellschaftlichen Zusammenlebens bezeichnen. Dementsprechend fand Bucer diese Wahrheit denn auch überall bezeugt, in der Literatur, in den alten kaiserlichen Rechten, im Leben, am klarsten und eindrücklichsten jedoch in der Bibel, im Alten ebenso wie im Neuen Testament. Hier war für Bucer der Wille Gottes als Schöpfungsordnung, als die Summe alles Guten in der Form unwandelbar gültiger Gesetze eindeutig geoffenbart. Mochte sich alles verändern, so verändert sich doch diese Seinsordnung Gottes nicht. ´Weil er Gott ist, wandelt er sich nicht wie der Mensch!`“ (Greschat 1994:11f).39 Betrachtet man die unmittelbare Wirkungsgeschichte von BUCERS theologischem Erbe, so wird die Rede vom vergessenen Reformator fragwürdig. Kittelson (1993b:705f) weist nach, dem menschen zu gut. Wie fil mehr solle dann der mensch, geschaffen zu der bildnüs Gottes, allwegen auch seine nutzliche würkung haben und üben, Gott zu ehren, und zu nutz des nächsten?“ (Typoskript Jean Rotts auf der Grundlage des Originals im Straßburger Stadtarchiv, AST 153 – Epistola Buceri III, Nr. 156 zit. nach Buckwalter 2009:378). 36 „Und wo die natur nit durch die sünd vergifft worden wer, wer solcher yngepflanzter liebe gegen einander in geistlichem und leiplichem on allen eigen gesuch kein mangel erschinnen, sonder gantz göttlichem gesatz gemäß on gesatz in freüntlichem dyenst gegeneinander gelebt worden“ (BDS 1, 48, 31-35). 37 Eine Analyse dieses frühen Zeugnisses reformatorischer Anschauungen bei Bucer bietet Arnold (2001:237248), allerdings nur im Hinblick auf sein Obrigkeitsverständnis im Vergleich mit Luthers „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ (WA 11, 245-281). 38 Vgl. zur „Auslegung“ dieser Schrift Greschat 2009:270-276. 39 BOL 15, 178; Greschat (1994:12-15) entwirft von dieser „ewigen Wahrheit“ her eine Bucer’sche Theologie in Grundzügen entlang gängiger Loci (Prolegomena, Soteriologie, Pneumatologie und Anthropologie, die beinahe ineinander fallen, und vor allem ethische Implikationen, insbesondere im sozial-politischen Bereich). 22 dass sein Andenken in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts unbeschadet fortbestand. 40 Allerdings drängt sich die Frage auf, in welcher Form man jenes wahrte. Der bekannte Streit zwischen Johannes Marbach und Hieronymus Zanchi (1561-1563) 41 ist nur ein Vorbote der nachfolgenden jahrhundertelangen Instrumentalisierung eines Martin Bucer für die jeweiligen Anliegen der entsprechenden Interessengruppen.42 Greschat (2009:282f) skizziert dies folgendermaßen: „[D]urchweg benutzte man dabei in erheblich veränderten Situationen nur einzelne Aussagen, Briefe oder auch Bücher Bucers zusammen mit seiner zunächst noch fraglos vorhandenen theologischen und kirchlichen Autorität für eigene Zwecke. Bucer wurde so zum Gewährsmann für Positionen, die keineswegs allein oder auch nur in erster Linie von ihm theologisch oder kirchenpolitisch bestimmt waren.“43 Einer Über- oder auch Unterschätzung44 von BUCERS Theologie und insbesondere ihrem äußerst selektiven Gebrauch kommt diese theologiegeschichtliche Entwicklung im konfessionellen Zeitalter gleich. Hiermit ist ein weiterer Grund genannt, der für das um sich greifende Bild von BUCER als wankelmütiger, allzu kompromissbereiter Formelschmied, ein „Chamäleon, dessen konfessionelle Färbung sich nicht verläßlich feststellen“ (Seebaß 1997:275) lässt, mitverantwortlich ist. Erst in neuerer Zeit kam es zu Rehabilitierungsversuchen, wie z. B. durch niemand 40 „If there is indeed a sense in which the man was ´forgotten`, it is this: he became an historical figure so quickly that it was just as necessary for people in the late 16th century to reconstruct him as it is for us to do so today” (Kittelson 1993b:706); vgl. zum Ganzen Seebaß 1997:299. 41 In aller Kürze: Der Streit entbrannte zunächst anhand der Prädestinationslehre, die ein ref. Professor an der Straßburger Akademie, Zanchi, vertrat. Von hier aus weitete er sich aus auf die Abendmahlslehre, konkret auf die alte Frage nach der Natur der Elemente (CA invariata vs. variata) und der im Hintergrund mitschwingenden Machtfrage, wem letztlich die letzte Autorität in Lehrfragen zusteht, eine für den eher luth. geprägten Leiter des Pastorenkollegiums in Straßburg (und ebenso Prof. an der Akademie), Johannes Marbach, überaus bedeutende Angelegenheit. Bemerkenswert ist: Entscheidend in der Argumentation beider Seiten wurde zunehmend das Leitmotiv, „who was being true to the theological legacy of Bucer, who could be (and was) cited on both sides of both issues” (Kittelson 1993b:707). Schlussendlich konnte Marbach die Kontroverse für sich entscheiden („Straßburger Konsensformel“) mit einer Position, die Eingang fand in die Konkordienformel (Art. 11). 42 Exemplarisch sei hier nur genannt: Neben der beißenden Polemik, die schon erwähnt wurde (s. o. S. 13, Anm. 13 u. 14), findet sich auch eine positive Bezugnahme, die allerdings ebenso tendenziöse Elemente enthält (vgl. Greschat 2009:282f). Die niederländischen Remonstranten waren der Ansicht, dass ihre streng calvinistischen Gegner die gleiche problematische Rolle spielten wie die Vertreter der luth. Position während des Marburger Religionsgespräches im Jahr 1529. So veröffentlichte ihr Führer, Johannes Wtenbogaert, eine niederländische Übersetzung der Widmungsrede Bucers zur zweiten Auflage des Evangelienkommentars von 1530. Hierin findet sich der Niederschlag von Bucers „antikonfessionalistischen Gedanken“ (Strohm 2001:107, Anm. 45), die er nach dem enttäuschenden Verlauf der Marburger Verhandlungen zu Papier gebracht hatte. 43 Mit einer gewissen Ironie nimmt man ein neuzeitliches Beispiel für ein solches Vorgehen wahr: Der EuropaAbgeordnete Dr. Johannes Blokland (niederländisches Bündnis „ChristenUnie/Stattkundig Gerefomeerde Partij“) verlas während einer Rede am 30. Mai 2001 im Europäischen Parlament ein „Gedicht“ von Martin Bucer, um seine Ausführungen über ökologische Fragen zu untermauern. Der Text (s. Buckwalter 2009:375f) entpuppte sich, nach einer Nachfrage bei der Bucer-Forschungsstelle in Heidelberg, als ein Abschnitt aus Bucers Römerbriefkommentar von 1536 zu Röm 8,19-22, dem bei aller Eindrücklichkeit in der Formulierung „völlig andere geistesgeschichtliche Voraussetzungen und Interessen als diejenigen heutiger Ökologiebewegungen“ zugrunde liegen (Buckwalter 2009:376f). 44 Van’t Spijker (1993a:470) kommt nach der Untersuchung der Abhängigkeiten zwischen Bucer und Calvin zu folgendem Urteil: „Vielleicht ist es gut daran zu erinnern, daß Bucer auch größer ist, warum sollen wir nicht sagen: zu groß, um ihn nur mit einer Tradition zu verbinden, und wäre es auch die reformierte. Beide, Bucer und Calvin, gehören der Reformation.“ 23 Geringeren als Karl Holl. Er schrieb am 17. November 1908 an Adolf Schlatter über seine Neuentdeckung BUCERS: „Ich habe bisher Butzer schweres Unrecht getan. Ich glaubte an das vulgäre Bild vom ‚Vermittler‘, geschmeidigen Diplomaten. Nun weiß ich, wie treu sich der Mann von seiner ersten Bekanntschaft mit dem Evangelium an geblieben ist, und ich bin voll Bewunderung für seine Besonnenheit, seine kühne Kraft, sein Organisationsgeschick und nicht zuletzt für seine Bescheidenheit“ (BDS 4, 7, Vorwort). Chance und Versuchung zugleich für die Wahrnehmung BUCERS im Hier und Jetzt ist das ökumenische Klima im ausgehenden 20. Jahrhundert. Seebaß (1997:300) weist darauf hin, dass die Stellung zur heute faktisch vorliegenden Gesprächsökumene und ihren Ergebnissen indirekt auch die Urteile über BUCER mitbestimmt: „Wer dem Versuch, die konfessionellen Grenzen abzubauen - ob von lutherischer Seite oder reformierter Seite - skeptisch gegenübersteht, wird sofern er Bucer nicht konfessionell zu vereinnahmen sucht, die alten Vorbehalte (…) erneuern; wer darin ein Stück theologischer Gegenwartsaufgabe sieht, findet in Bucer den Vorläufer, der entschieden für die Reform und die Reformation der Kirche - sich gleichwohl unermüdlich um ihre sichtbare Einheit mühte“ (:300). Entgegen der mangelnden Würdigung Martin Bucers in vergangenen Tagen lässt sich mit Bornkamm (1952:35) immer noch festhalten: „Bucer gehört zu den geschichtlichen Persönlichkeiten, deren Werk keine bleibende Gestalt gefunden hat, von denen aber Kräfte und Anregungen nach allen Seiten, z. T. fast unsichtbar, ausgeströmt sind. (…) Er hat keinen festen Kirchentypus geschaffen wie Luther, Zwingli, Calvin oder auch Wesley und Zinzendorf. Gewiß hat ihm dazu letztlich die Kraft oder auch innere Einheitlichkeit gefehlt. Aber er suchte auch bewußt das Ganze über dem Besonderen, die Einheit über den Gegensätzen. Darum ist seine Nachwirkung so schwer zu fassen. Und doch führen von den verschiedensten großen Gebieten der Reformationsgeschichte starke Linien zu ihm zurück. Die Einigung des innerdeutschen Protestantismus, Gottesdienst und Verfassung der reformierten Kirche, anglikanische Staats- und Kirchenidee, puritanische und pietistische Bewegung tragen in verschiedenem Maße seine Züge. Es liegt viel Tragik über seinem Wirken. Sein Werk in Straßburg, die Zucht einer christlichen Stadt, ist gescheitert, ebenso die Vereinigung von Luther und Zwingli und der Ausgleich, wie er ihn zwischen Reformation und katholischer Kirche erstrebte. Alles das mußte scheitern, denn er hatte jeweils den Bogen zu weit geschlagen. Dafür aber sind seine Anregungen in das Ganze der europäischen Reformationsgeschichte verströmt.“45 45 Bucers Schicksal weist auf einen neu hervorgehobenen und zunehmend diskutierten Sachverhalt in der reformationsgeschichtlichen Forschung hin, dem Ernstnehmen der Pluralität und Diversität der reformatorischen Bewegungen. Nicht der eine „große“ Reformator, sondern die geschichtliche Wirklichkeit rückt mehr und mehr bei diesem Ansatz ins Blickfeld; vgl. dazu Guggisberg & Krodel 1993; Hamm 1995 u. neuerdings Matheson 2007:7f. 24 2.2 Unionsbemühungen im Zeichen von reformatorischem Aufbruch und konfessioneller Identitätsbildung 2.2.1 Abendmahlsstreit Auf die Geschichte des Abendmahlsstreites kann und soll hier nicht in extenso eingegangen werden.46 Intendiert ist BUCERS Beitrag in angemessener Weise zu eruieren und vor allem die Frage nach seinen theologischen Leitmotiven zu untersuchen. Auf das hinlänglich Bekannte sei hiermit noch einmal verwiesen: Mit dem Jahr 1525 öffnete sich eine Kluft zwischen ZWINGLI und LUTHER, die sich in den nächsten Jahren noch vertiefen sollte. Auslöser war die Abendmahlslehre, ungeachtet der Tatsache, dass sich beide Reformatoren gegen die Messe als Wiederholung des Opfer Christi aussprachen. 47 Die Betrachtung des Abendmahls als Erinnerungsfeier im Sinne ZWINGLIS, der höchstens von einer symbolischen Präsenz Christi sprechen wollte, steht dabei LUTHERS realpräsentischer Auffassung entgegen, die eben mit Christi realer Gegenwart unter den Elementen rechnet. Konsequent und von Brisanz war daher für den Wittenberger die Folgerung, dass selbst Unwürdige und Gottlose den wahren Leib Christi empfingen. Kirchenpolitischer Hintergrund ist ohne Frage das Aufkommen täuferischer und spiritualistischer Bewegungen (KARLSTADT u. a.), die infolge der Reformation entstanden waren und die junge Bewegung als Ganzes nun mit ihren Standpunkten - z. B. Trennung von Wort und Geist - herausforderten. Daneben galt es den Einfluss ZWINGLIS in den oberdeutschen Städten im Auge zu behalten. Der Konflikt zwischen den beiden Köpfen der reformatorischen Bewegung zerriss die Einheit des evangelischen Lagers und gefährdete sein Überleben. BUCERS Rolle in dieser angespannten Lage wird nun klassisch mit Walther Köhler als die des Vermittlers angesehen, sozusagen als Kopula „und“ im Haupttitel „Zwingli und Luther“ (Kaufmann 1993a:240). Ob man damit der Position des Straßburgers im Geschehen, insbesondere dem Umbruchcharakter des Jahres 1528 für ihn (Ende des frühen Abendmahlsstreites) wirklich und ausschließlich gerecht wird, steht zur Diskussion.48 46 Immer noch grundlegend sind die beiden quellenreichen Werke von Köhler 1924 u. 1953; einen Überblick über die Literatur neueren Datums bietet das Literaturverzeichnis. 47 Bühler (1979:231) sieht in der kaum zu bewältigenden Aufgabe für die Reformatoren der ersten Stunde, eine klare Auffassung vom Abendmahlsgeschehen in Abgrenzung zur mittelalterlichen kath. Sakraments- und Messtheologie zu entwerfen, die Ursache für die Leidenschaftlichkeit mit der der Streit ausgetragen wurde: Es ging um nicht weniger als „die Frage, ob und wie das Prinzip des Wortes allein letztlich noch so etwas wie Sakramente und eine Sakramentslehre erlaube.“ Kaufmann (1992:7.269-281) kann sogar von einer „Grundlagenkrise der Reformation“ sprechen, geht aber m. E. zu weit, wenn er das neu entdeckte Schriftprinzip als solches im Streit in Frage gestellt sieht (:7; später relativiert er dies wieder, indem er festhält, dass nicht wirklich die norma normans in Frage stand, dafür aber deren Auslegung :270, Anm. 5); vgl. generell Grötzinger 1980 und neuerdings den kurzen Überblick der Abendmahlskontroversen seit der frühen Kirche bis zum Vorabend der Reformation bei Kim 2009:23-52. 48 Vgl. nur die Selbstaussage Bucers: „[I]ch habe die teueren Gaben Gottes bei ihnen allen nicht teuer genug vor Augen gehabt und den so grausamen Schaden, der aus diesem Streit der Kirche erwachsenen ist, nicht treulich genug bedacht und erwogen, bin als ein unbedachter Bub (..) mit meinem Urteil, Schreiben und Handeln zu schnell und zu frei gewesen.“ (Übers. nach de Kroon 1991:240; BDS 6/1, 311, 13-16). Kaufmanns These 25 Als Gliederungshilfe, um einen sinnvollen Zugang zu Verlauf und Ausmaß des ersten Abendmahlsstreites zu finden, bieten sich folgende Phasen an: Der frühe Abendmahlsstreit (1524-1528), das Marburger Religionsgespräch und die Zeit danach (1529-1530/31) und schließlich der vorläufige Abschluss durch die Entstehung der Wittenberger Konkordie (15321536). 2.2.1.1 Früher Abendmahlsstreit (1524-1528) Von zentraler Bedeutung ist zunächst die Beobachtung, dass BUCERS reformatorische Auffassung vom Abendmahlsgeschehen vor dem Streit in besonderem Maße von LUTHERS Schriften aus dem Jahre 1520 wie „Sermon vom Neuen Testament“ (WA 6, 353-378) und „De captivitate Babylonica“ (WA 6, 497-573) geprägt war. 49 Die Grundlage für seine spätere Position war damit gelegt: Einem sakramentalen Verständnis von Leib und Blut Christi kam in diesen Schriften kein theologisches Eigengewicht zu (vgl. WA 19, 482, 15 – 483, 19). Trotz der ohne Frage gegebenen Voraussetzung einer leiblichen Realpräsenz Christi lag alles Gewicht auf dem Verheißungswort. Die Funktion der Elemente lag in der sinnlichen Bekräftigung der als promissio verstandenen Testamentsworte Christi (vgl. zum Ganzen Althaus 1994:318-322 u. Diestelmann 1996:26f).50 BUCER gelangte zu dem Schluss (Kaufmann 1993a:241): „Einer theologischen Begründung, warum die Elemente Brot und Wein zugleich Leib und Blut Christi sein sollen, war dieses Konzept eher hinderlich, leuchtete doch - zumal im Licht eines Zweifels an der leiblichen Realpräsenz - nicht ein, warum die promissio nicht auch durch bloßes Brot und bloßen Wein bekräftig werden könne.“ Der Zeitpunkt, zu dem BUCER seine spezifische Haltung im Abendmahlsstreit bis 1528 einnahm, ist die Jahreswende 1524/25: KARLSTADTS persönliches und publizistisches Wirken löste die von Laien mit geprägte, überaus regsame Straßburger Abendmahlsdiskussion am Ende des Jahres 1524 aus.51 Die durch den Niederländer Hinne Rode bekannt gewordene entgegen dem bisherigen Forschungskonsens lautet kurzgefasst (1993a:248f): „Bucer gehört in die vorderste Frontlinie der antiwittenbergischen Abendmahlspartei als eine Art Drahtzieher hinein. Die geläufige Lozierung Bucers ´zwischen Zürich und Wittenberg`, die durch Köhler eine opinio communis der Forschung geworden ist, ist das Ergebnis einer Interpretation des frühen Abendmahlsstreites von der Wittenberger Konkordie her.“ Selbst Stupperich (1962:55) als Antipode zu Kaufmanns Position kann formulieren: „Bucer war aber kein ausschließlicher Kirchenpolitiker, er war Theologe und er hatte eine eigene Linie, die keineswegs nur ein Ausgleich zwischen Luther und Zwingli ist. (…) Im Grunde ist Bucer ein Typus wie Melanchthon. Stark und entscheidend von Luther beeindruckt, aufrichtig genug, dies auch auszusprechen, hat er sich doch nicht in allem an Luther gehalten.“ 49 Folgende Texte belegen dies: Das „Summary“ der Bucer’schen Predigt in Weißenburg (BDS 1, 116, 34 – 125, 7) und sein gegen Murner gerichteter Traktat „De coena dominica“ (BOL 1, 3-58); vgl. dazu Kaufmann 1992:76-95.168-171. 50 Wesentlich ist für Luther in diesem frühen Stadium für das Zustandekommen eines Sakraments die expressa promissio divina, und zwar der Sündenvergebung; er kann formulieren: „Vides ergo, quod Missa quam vocamus sit promissio remissionis peccatorum, a deo nobis facta“ (WA 6, 513, 34f). 51 Zur exakten Datierung des Gesprächs mit Rode auf den 21.11.1524 vgl. BCor I, 296, 229ff. 26 Abendmahlsdeutung seines Landsmannes HOEN (BCor II, 53, 72ff; vgl. Greschat 2009:88-90) brachte BUCER in gegenseitigem Austausch mit ZWINGLI52 zu der Überzeugung, dass die sakramentalen Elemente Brot und Wein den wahren Leib Christi und das wahre Blut Christi nur bezeichnen (BCor II, 54, 100-104). Gefährdet war diese neue Einsicht zunächst nach BUCERS Selbstzeugnis (BCor II, 54, 96ff; vgl. auch 51, 15f; 53, 77f) durch die Schrift LUTHERS - der immer noch unbestrittenen theologischen Autorität - „Von Anbeten des Sakraments“ (WA 11, 431-456). LUTHER zu widersprechen war ein Wagnis, das der Straßburger nur bereit war einzugehen, da er sich im Glauben befand, damit den Standpunkt der Heiligen Schrift zu vertreten. In seiner Programmschrift „Grund und ursach auß gotlicher schrifft“ (Hervorhebung von mir; BDS 1, 185-278) 53 im Januar 1525 äußerte er dann zum ersten Mal öffentlich die symbolische Auffassung der Elemente bei aller taktischen Distanzierung von KARLSTADT, dessen Gedankengut hier jedoch eindeutig aufleuchtete.54 Der Versuch, dabei die ganze Debatte im Gefolge von CAPITO und seiner Mitte Oktober 1524 bereits erschienen Schrift „Was man halten und antwurten soll von der spaltung zwischen Martin Luther und Andreas Carolstadt“ (vgl. Kaufmann 1992:207-217) zu bagatellisieren (BDS 1, 248, 31f; 248, 36 - 249, 12; 250, 19f; 253, 2-4), zeigt daneben Anfänge seiner irenischen Haltung im Streit, die aber nicht isoliert betrachtet werden darf.55 52 Verkürzt wäre die Auffassung, dass Bucer seine Einstellung in der Abendmahlslehre letztlich Zwingli zu verdanken hat. Vielmehr kann man soweit gehen und postulieren, dass es eine auf Grund der theologischen Übereinstimmungen gemeinsame straßburgisch-schweizerische Kampf- und Aktionsgemeinschaft im Abendmahlsstreit gegeben hat. „Dabei wirkten Bucer und Capito nicht nur als briefliche Berater der Schweizer und als Herausgeber ihrer Schriften, sondern auch als Unterhändler in Wittenberg und traten als subversive Publizisten für Zwingli und Oekolampad ein“ (Kaufmann 1993a:243; zu den Belegen vgl. Anm. 16). Ein wirkliches Bewusstsein dafür, in der zur Diskussion stehenden Sache anders zu urteilen als die Schweizer Gesinnungsfreunde, hatten Bucer und Capito bis 1528 nicht: Die beiden agierten nur eher im Hintergrund, am deutlichsten bei der Planung von Zwinglis „Amica Exegesis“, bei der ein Bucer’scher Entwurf als Vorlage diente (vgl. BCor II, Nr. 131). 53 Diese auf eine breite Basis in der Straßburger Predigerschaft fußende Schrift diente der reformatorischen Neuordnung in der elsässischen Metropole, was auch zunächst gelang. Bucer kann gegenüber Brenz im Dezember 1525 äußern: „Also haben wirs [sc. die Straßburger] nu ein jar in vnser kirchen gehalten vnd noch, vnd hat uns ruwig behalten“ (BCor II, 80, 45f). 54 Bucer formuliert expressis verbis, dass „die rechte heilsame gegenwertigkeit gottes und Christi durch den waren glauben“ geschieht und „unsichtbarlicher weyß“ ist (BDS 1, 228, 6f); vgl. auch zur Anwendung in spiritualistischer Art und Weise von Joh 6,63 - einem Text, der ihm ausgerechnet durch Luther vor Augen stand auf das Problem der Realpräsenz BDS 1, 228, 12ff o.a. 249, 22ff u. generell zu den divergierenden Auslegungen Hammann 1991:115-123. 55 Gegen Friedrich ([1990] 2002; Zusammenfassung in 1993a:257-268) wird dabei ins Feld geführt (vgl. Kaufmann 1993a:239, Anm. 1), dass er a) nicht oder zumindest nur unzureichend die Rolle Bucers als nur einer der Straßburger Reformatoren berücksichtigt, b) die Abendmahlskontroverse zwischen Luther und Zwingli hochstilisiert zu einem theologiegeschichtlichen Ereignis mit Leitfunktion, das ihm Forscher wie Kaufmann neuerdings auf Grund quantitativ-publizistischer Überlegungen absprechen, c) - damit wird der neuralgische Punkt getroffen -, ein Gesamtbild Bucers von der Wittenberger Konkordie her entwirft, das zu wenig die Dynamik und das Werden Bucers in der ganzen Kontroverse berücksichtigt und d), mit der Stupperichschule den Einfluss des erasmischen Humanismus auf die Positionierung im Abendmahlsstreit sehr optimistisch einschätzt. Am Rande eine Beobachtung, ohne mutmaßen zu wollen, dass sie in direktem ursächlichen Zusammenhang zu der vorgetragenen Forschungsdebatte steht: Greschat erwähnt mit keiner Silbe in seiner auf den neuesten Stand (2009:7, Vorwort) gebrachten Biografie, weder im Anmerkungsteil, noch in der Bibliografie die Diss. von Friedrich; bei Schirrmacher (vgl. 2002:55, Anm. 211) als Herausgeber der Reihe, die jene Diss. veröffentlicht hat, fehlt nunmehr jeglicher Hinweis auf Kaufmann und seine abweichende Interpretation von Bucers Rolle im 27 Exemplarisch für diese frühe Phase und zugleich symptomatisch für die Gefahr, in Einseitigkeiten zu verfallen (vgl. Gäumann 2001:443, Anm. 13), sind die Äußerungen im Zusammenhang mit der sog. Caselius-Mission (vgl. Friedrich 2002:27-29 u. Kaufmann 1992:318-333). Der sich ausbreitende Disput zwischen den Oberdeutschen und den Wittenbergern veranlasste die Straßburger Partei, eine persönliche Botschaft an LUTHER zu senden. Überbringer war der junge Lektor des Hebräischen, Gregor Casel, ein ehemaliger Wittenberger Student, der LUTHER und auch BUGENHAGEN kein Unbekannter war. Als er am 10. Oktober 1525 Straßburg verließ, befanden sich vier Schriftstücke in seinem Besitz: ein kurzes Beglaubigungsschreiben CAPITOS im Namen der Straßburger Prediger an LUTHER, zum persönlichen Gebrauch eine „Instructio“, deren Verfasser BUCER war, daneben ein Brief CAPITOS an BUGENHAGEN und ein Brief Wilhelm Farels an BUGENHAGEN. Letzterer ist von äußerst polemischer Art.56 Besondere Beachtung verdient die „Instructio“ BUCERS und die darin enthaltene Argumentation. Nach der gewiss nicht nur rhetorisch zu verstehenden Versicherung seiner Zuneigung für LUTHER - allerdings auch für ZWINGLI und OEKOLAMPAD, die LUTHER bekanntlich nicht teilen konnte57 - beklagt der Straßburger die gegenseitige Beschuldigung des Unglaubens und die daraus resultierende Verunsicherung des gewöhnlichen Volkes. Stattdessen sollten Versöhnungsbereitschaft und erst einmal Gesprächsbereitschaft kennzeichnend für beide Seiten sein.58 Als Basis für eine Verständigung bietet er die Rechtfertigungslehre als zentralen Inhalt der reformatorischen Überzeugungen an; das Wesen von Brot und Wein im Abendmahlsgeschehen ist für ihn eine sekundäre Frage, eine äußerliche Sache (res externa), die nicht das Heil der Menschen unmittelbar tangiert. 59 Allein der rechte Usus der Eucharistie ist dem Volk zu lehren, seine praktisch-theologische Ausrichtung tritt hervor.60 Ein weiterer Vorschlag lautet: Statt untereinander Kritik zu üben wegen Detailfragen solle jede Kirche ihre Abendmahlslehre- und praxis in bewährter Form beibehalten (BDS 3, 422, 33 – 423, 9). Taktisch geschickt kann er ergänzen: Weitaus größere Probleme als das frühen Abendmahlsstreit. 56 Farel kann die Lehre von der Realpräsenz als letztes Bollwerk des Antichrists denunzieren, die Wittenberger sollen dies endlich erkennen und korrigieren (vgl. Friedrich 2002:28 u. 247, Anm. 131). 57 Er formuliert zum gegebenen Zeitpunkt noch vorsichtig: „Errare possumus, quid si et vos erretis?“ (WABr III, 602, 14; vgl. auch III, 602, 8-10.12-14). 58 In seinen Worten: „Deinde exponsenobis bonam adhuc spem esse, gratiam inter illos posse sarciri, et nubeculam huiusce dissensionis nostra socordia merente attamen ad nostram probationem, non damnationem, immissam, posse commode depelli, quod et pij sint, qui dissentiunt et non cirga magna dissentiunt, …“ (BDS 3, 422, 25-29). 59 Eine „Lösung“, die für Luther bekanntlich nicht in Frage kam, da er die Wesensbestimmung der Elemente nicht als Adiaphoron auffassen konnte (vgl. WABr III, 604, 10 – 605, 41), überhaupt die mangelnde certitudio der Straßburger ihr Anliegen konterkariert, denn: „Spiritus enim non sic trepidat aut disputat“ (WABr III, 604, 36; vgl. BCor II, 57, 33f). 60 „…, sola nos Christi morte et nulla re externa saluari, Vsumque Eucharistie, circa quam dissidetur, qui est panem calicemque sumere et mortem domini annunciare, potissimum populo inculcandum“ (BDS 3, 422, 2932). 28 Herrenmahl stehen für alle Parteien an, wie das Auftreten der Wiedertäufer und die Reaktionen der „Papst-Kirche“ (BDS 3, 425, 10-15). BUCER appelliert am Schluss der „Instructio“ mithilfe der Heiligen Schrift an LUTHER, doch brüderliches Handeln walten zu lassen, oder anders formuliert, eine evangelische Solidarität zum Vorschein zu bringen (vgl. BDS 3, 429, 38 – 430, 3). Der Eindruck entsteht allerdings, dass es ihm um Einheit um jeden Preis auf Grund eines Minimalkonsens geht, wenn er Gregor Casel instruiert: „Höre daher nicht auf, Gregor, zu bitten und zu flehen, bis dass du Frieden erreichst mit jenen, auch wenn sie sich nicht einigen können über das Mahl, da wir nicht bezweifeln, dass einmal alle gottlosen Reliquien zerstört werden müssen; (und) wenigstens unterstützen sie nicht die Gegner weder durch ihren Glauben noch durch eine andere Ansicht“61 Missverstanden wären solche Äußerungen, wenn man sie nicht in Koexistenz zur Kritik an LUTHERS Autoritätsanspruch - alles zwischen den Zeilen (vgl. BDS 3, 426, 32 – 427, 2; 426, 1ff; 428, 6ff; 423, 30ff; 424, 21f; 424, 27ff) - und der von BUCER gebilligten Polemik vonseiten anderer Straßburger Prediger (s. nur den FAREL-BUGENHAGEN Brief) stellen würde. Diese Simultanität von ernstgemeintem Friedensengagement und polemischer Förderung des Streites, dieses „Zugleich von Friedensdiplomatie und Streittheologie macht“ - nach Kaufmann (1993a:248) - „den spezifischen Charakter des Straßburger Engagements und besonders Bucers im [frühen] Abendmahlsstreit aus.“62 Neben der besagten Caselius-Mission gilt die Korrespondenz der Straßburger Reformatoren mit den Herren von Gemmingen als zeichenhaft für die frühen Unionsbemühungen BUCERS. Im Unterschied zur Caselius-Mission wird hier allerdings der soeben skizzierte Friedensappell nicht mehr so deutlich vernehmbar. Umstritten ist zunächst, ob die Anregung für ein Religionsgespräch zwischen den beiden Seiten tatsächlich auf BUCER und CAPITO zurückgeht.63 Es hat den Anschein, dass der Impuls zu einem Gespräch auf der Burg Gemmingen offenbar von Wolff von Gemmingen stammt (BCor II, 82, 101-105; vgl. Kaufmann 1992:355-358), die Straßburger hingegen die Idee dann erst aufgriffen, mit dem Ziel, die Veranstaltung in ihrer Stadt zu platzieren, in der Hoffnung sie durch Teilnahme von Theologen ihrer Richtung zu dominieren (BCor II, 69, 392ff; 82, 105-111). Ganz unabhängig von diesen Fragen zur Entstehungsgeschichte war die vor allem gegenüber BRENZ im Vorfeld 61 Übersetzungsvorschlag von mir; „Ne desinas igitur, Gregori, orare et obsecrare, donec pacem ab illis impetres, hoc est, si nequeant de Eucharistia consentire quod non dubitaremus semel omnes impietatis reliquias subuersurum, saltem non habeant hos hostes ferant, hac eos vel fide, vel opinione esse“ (BDS 3, 426, 24-27). 62 Kaufmann fährt fort: „Der von seinen lutherischen Gegnern erhobene Vorwurf einer ´gut erheuchelten aber schlecht ausgeführten modestia` Bucers faßt trotz der polemischen Sprache den elementaren Sachverhalt einer tiefen, jedem Harmonisierungsversuch widerstrebenden Uneindeutigkeit Bucers im frühen Abendmahlsstreit in seinem sachlichen Kern zutreffend zusammen.“; vgl. dazu im Anhang bei Kaufmann 1993a:253, Brief 1, Z. 21f. 63 Köhler (1924:217) sah in jenen Vorgängen sogar die Urform des Marburger Religionsgespräches sich abzeichnen. 29 geäußerte Meinung, im Grunde herrsche ein Konsens zwischen den sich streitenden Parteien, nicht gerade förderlich für die Einigung, die durch ein theologisches Kolloquium erst erzielt werden sollte (BCor II, 94, 287ff). BUCERS Rolle in der frühen Phase des Abendmahlsstreites wird man nur gerecht, wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass zahlreiche Dokumente zur Abendmahlsfrage in Straßburg als „Gemeinschaftstexte“ der Prediger verfasst oder zumindest verantwortet wurden (eine Liste bietet Kaufmann 1993a:242, Anm. 14). Man muss ihn also im Kontext von CAPITO, ZELL und HEDIO, um nur einige Namen der Straßburger Predigerschaft zu nennen, sehen. Selbst eine Schrift wie die „Apologia Martini Buceri qua fidei suae atque doctrinae, circa Christi Caenam…“ von 1526, mit der er sich persönlich gegenüber BRENZ zum ersten Mal dezidiert in Form einer Monografie zur frühen Abendmahlskontroverse äußert, muss in diesem Zusammenhang betrachtet werden.64 In der besagten „Apologia“ finden sich einige erste grundsätzliche Überlegungen, denen hier Raum gegeben werden soll: Nach dem Prolog, der persönliche Gesichtspunkte und bereits geäußerte Gedanken, wie im Zuge der Caselius-Mission („Instructio“), enthält, folgt eine erste Darlegung von BUCERS Abendmahlslehre mit ausführlicher Schriftexegese. Er kann festhalten, dass Christus keine äußerlichen Dinge benötigt, auch keine Sakramente, um sich und das Heil zu vermitteln.65 Mit ERASMUS tritt die Bedeutung als Gedächtnismahl in den Vordergrund,66 und doch kann BUCER weiter gehen als ZWINGLI67 und der Rotterdamer Humanist und so den Wittenbergern entgegen, indem er konstatiert, der gläubige Christ isst wahrhaft Christi Fleisch, es ist aber ein „spiritualiter, non carnaliter manducare habereque 64 Vgl. nur den Fortgang des Titels: „quae tum ipse, tum alij Ecclesiastae Argentoracenses profitentur, rationem simpliciter reddit, … [Straßburg, J. Herwagen], 1526“ (Hervorhebung von mir). Eine Veröffentlichung in den BOL steht noch aus, ist aber bereits für einen der nächsten Bände - bisher vorhanden sind die Bde. 1-5 u. 15 - vorgesehen; zur für Bucer unerfreulichen Vorgeschichte - die literarische Form der Apologie ist ihm eigentlich zuwider - s. Hazlett 1975:133-138; Friedrich 2002:32. 65 „Proinde christianorum symbola, baptismus et caena Christi fidei protestationes quaedam sunt, proximorum gratia atque unitatis Ecclesia commodius conservandae institutae, plura nulla scripturae authoritate illis tribuemus” (Apologia fo B 4 vo; zit. nach Friedrich 2002:252, Anm. 27). 66 Erasmisches Gedankengut ist nicht zu leugnen: Betonung des Glaubens, Fleisch-Geist Schema, Abendmahl als Mysterium und vor allem die ethische Komponente. Bucer kann Erasmus in der „Apologia“ sogar als herausragenden Exegeten würdigen, der das ei)j th&n e)mh&n a)na/mnhsin von 1. Kor 11,25 vortrefflich mit „ad renovandam memoriae“ (Apologia fo D vo; zit. nach Friedrich 2002:33), im Sinn von „Wiedergedächtnis“ übersetzt hat. 67 Neuser (1998b:213f) sieht ihn in diesen Jahren (vgl. jedoch auch :216 zur Zeit nach der CT) noch als „reinen“ Zwinglianer, der eben wie Zwingli in den neuplatonischen Dualismen (Externum-internum; carnalespirituale; os-mens/animus usw.) stecken bleibt. Dagegen spricht sich allerdings Müller (1965:174, s. bes. Anm. 16) aus, der Bucer keinen echten stofflichen Dualismus attestiert, im Unterschied zu diversen Täufergruppen, denen er später begegnet; vgl. auch Hazlett 1975:80; Selderhuis 1991:242f u. Hammann 1991:125, der nachweist (vgl. BDS 1, 230, 1-11; 249, 22 - 250,7): „Nicht der leibliche Empfang wird durch einen geistlichen ersetzt, wie bei Zwingli, sondern das leibliche ‚Sehen und Anbeten‘ [der Hostie]. Hier liegt die leiblich-geistliche Antithese bei Bucer, zwischen sichtbar und unsichtbar, zwischen ‚substantive` und corporaliter‘, nicht zwischen Geist und Materie im neuplatonischen Sinne.“ o.a.: „Dieser Antithese bedient er sich auch hier [Johannes-Kommenar von 1528; BOL 2, 283] nicht zugunsten einer logischen, sondern einer polemischen Beweisführung: er streitet damit gegen die Werkgerechtigkeit des Meßopfers, nicht aber gegen die Einheit des Menschseins Christi“ (:129, vgl. hierzu Müller 1965:176-178). 30 praesentem“ (Apologia fo D ro; zit. nach Friedrich 2002:33) gemeint.68 Kulminationspunkt dieser Vermittlungsbemühungen und bezeichnend für den „Formelschmied“ ist eine Aussage wie folgt: „Et nos sane pacem caenae fidelibus praedicamus esse corpus Christ corporale, sed spriritualiter, sed beatificio modo. Vere enim fide manducant illud, dum verum corporale corpus pro se credunt immolatum” (Apologia f o D 3 ro; zit. nach Friedrich 2002:33). 69 Mit solch einer mehr oder weniger verhüllenden Formulierung, 70 die zu jenem Zeitpunkt weder LUTHER noch ZWINGLI ohne Beanstandung unterschrieben hätten, versucht er ernst gemeinte theologische Offenheit nach allen Seiten hin zu demonstrieren. Im Kern ist er zu jenem Zeitpunkt wohl der Überzeugung, dass „das Heil nicht von den ontologischen Modalitäten der Menschwerdung Christi“ abhängt (Hammann 1991:127f).71 Kennzeichnend für die Originalität und Eigenständigkeit des Straßburgers ist ein Sachverhalt, den er ganz bewusst gegen BRENZENS Lehre von der Realpräsenz ins Feld führt, und der bis dato weder LUTHER, ZWINGLI noch ERASMUS vor Augen stand: der Genuss des Leibes und Blutes Christi seitens der Ungläubigen. Mit diesem Lehrstück, zuallererst in der „Apologia“ so deutlich vorgetragen, berührt BUCER - sicher ohne dies zum gegebenen Zeitpunkt zu ahnen - den Dreh- und Angelpunkt der weiteren Kontroverse, die Frage, ob das Sakrament auch ohne Glauben wirksam ist. Für BUCER steht die geistliche Nießung Christi durch den Glauben so sehr im Mittelpunkt, dass sich die Frage nach der „manducatio impiorum“ zwangsläufig ergab. Der Gemeinschaftsaspekt des Mahles leuchtet auf, wenn er hier mit dem Wesen des Neuen Bundes argumentiert, dass dieses einer Vereinigung von piis 68 Es gibt für Bucer eine Realpräsenz Christi „im Glauben“; neben dem signikativen (nach Zwingli) besteht auch ein exhibitiver Charakter des Abendmahls. Allerdings bleibt die Modalität der Realpräsenz offen, lehrt die Schrift doch nirgendwo, diese zu bestimmen („Quid vero in pane hujus eucharistiae existat realiter, non vellent sollicite vestigare, postquam nullae scripturae hujus aliquid vel inquiriendum vel perpendendum doceat“; Apologia fo D r vo; zit. nach Friedrich 2002:252, Anm. 31). Der Schriftbefund nach Joh 6,63; 1. Kor 10,4f.16f u. 1. Kor 11,24f leitet ihn zur Überzeugung einer manducatio spritualis im Glauben, eine fleischliche Auffassung der Realpräsenz kann er sogar als schriftwidrig bezeichnen (vgl. Apologia f o D ro). 69 „Wir verkündigen den Gläubigen in der Tat, dass darüber Frieden herrscht beim Abendmahl: Der Leib Christi ist körperlich anwesend, aber in geistlicher Form und zwar in beglückender Art und Weise. Denn sie genießen wahrhaft durch den Glauben jenes, während sie glauben, dass der Leib wahrhaft körperlich für sie geopfert worden ist“ (Übersetzungsvorschlag von mir). 70 Eine weitere Erklärung bleibt aus, man muss wohl mit Köhler (1924:291; vgl. Neuser 1998b:214) festhalten: „… doch denkt er (sc. Bucer) sich offenbar die Sache so, daß der Glaube die sinnlich klingenden Formeln als geistigen Inhalt in sich befaßt, so daß sie tatsächlich nicht versinnlicht werden; denn er lehnt ja ausdrücklich die coexistentia carnis Christi realis mit dem Brote ab.“ Mit anderen Worten (Friedrich 2002:33): „Für den Gläubigen ist das Brot der fleischliche Leib Christi, der in geweihter Form, d.h. geistlich, nicht fleischlich, körperlich oder physisch anwesend ist. Da Bucer eine Koexistenz des realen Leibes Christi mit dem Brot ablehnt, kann der einzig wahre Empfang von Christus nur geistlich sein. (…) Die Intention des Mahles ist nicht auf die Elemente (so Zwingli), sondern auf den gläubigen Empfang und die ethische Konsequenz ausgerichtet. Wieder geht Bucer über Zwingli hinaus, der ‚res‘ und ‚res significata‘ streng voneinander trennte.“ 71 In Bucers Worten in einem Brief an Luther (BCor I, 290, 65-71): „(…) respondemus, panem et calicem res esse externas, et quantumlibet panis corpus Christi sit, et vinum sanguis ejus, nihil tamen nobis salutis afferre, cum caro nihil prorsus prosit. At meminisse mortis dominice id unum in hac re esse salutiferum, in quem ususm solum iste panis edendus est et calix bibendus, quare christiano magis expendendum esse, ad quid edat et bibat, quam illud sit, quod edit atque bibit.“ (Hervorhebung von mir; das wozu man isst und trinkt sei vielmehr zu beachten als das, was man isst und trinkt). 31 und impiis beim gemeinsamen „Zerbeißen“ des Leibes Christi im Sinne der Realpräsenz entgegensteht (Apologia fo [B 8] ro).72 Die gesamte Argumentation atmet das Bemühen um eine Einigung auf dogmatisch und das heißt für BUCER zunächst einmal auf exegetisch verantwortbarer Basis,73 fernab von vorschnellen Unionsbemühungen, die sich nicht die Mühe machen, zum Kern der Sache vorzudringen.74 Hierin gipfelt der immer wieder vorgebrachte Vorwurf gegenüber BUCER, mit seiner scheinbar allzu pragmatischen Art die eigentliche Sachlage zu vernebeln. Auch ohne Frage vorhandene empirische Überlegungen in der „Apologia“ können diese Behauptung nicht ohne Weiteres untermauern. BUCER war der Erste der Kontrahenten in der est-significat Debatte, der auf das nicht unwesentliche exegetische Detail hingewiesen hat, dass das Wort „est“ im aramäischen Urtext fehlt (Apologia fo [C 6] vo).75 Eine bis dahin nicht erfasste Tatsache, die zum einen BUCERS exegetische Fähigkeiten unter Beweis stellt und zum anderen illustriert, warum er bereits vor 1526 und auch in der Folgezeit immer wieder von einem „Streit um Worte“ sprechen konnte. Was geschehen wäre, wenn Bucer diese Entdeckung konsequent verfolgt und in die Auseinandersetzung weiterhin eingebracht hätte, bleibt Spekulation. In einem Epilog beschreibt jener nun die Chancen zur Beilegung des Streites, die er sehr nüchtern einschätzt. Fast resignierend klingt es, wenn er BRENZENS Ablehnung der tropischen Deutung der „verba testamenti“ als Ende der Hoffnung auf eine Konkordie bezeichnet. 76 Grundtenor der „Apologia“ - und damit tritt BUCERS Eigenschaft als Konsenstheologe deutlich hervor -, ist die Auffassung, dass das Abendmahl das Zeichen des Friedens und der Einheit 72 Als geistlicher Bund ist der neue Bund für die Ungläubigen im Abendmahlsgeschehen verschlossen, es gibt nichts, was ihnen zugute käme, sie können Fleisch und Blut Christi nicht wahrhaft empfangen, alles andere zu behaupten wäre Blasphemie („quod impiis possit esse commune, qui cibum potumque dederit, quo expiantur peccata et conditur testamentum novum, cujus nullam impii partem possunt habere“; Apologia f o [B 7] ro; zit. nach Friedrich 2002:252, Anm. 41; vgl. auch Anm. 43). 73 Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass Bucers theologischer Grundansatz wie Greschat (1978:90; vgl. Anm. 90 u. 91) feststellt im Hinblick auf seine kosmische Interpretation der Soteriologie (vgl. 2.1; S. 21f) „nicht primär aus der biblischen Exegese, sondern aus der systematischen Reflexion über die ihm begegnenden theologischen Entwürfe gewachsen ist“ (:90). 74 Charakteristisch hierfür ist auch die Bezugnahme auf Melanchthon, der in seinen „Annotationes zum Johannesevangelium Kap. 6“ von einer „manducatio im Glauben“ gesprochen hatte: „Verbo manducatur Christus ideoque fide, non carnali esu“, aber ergänzt „cujuscunque nunc sententiae sit“ (Apologia f o C 4 vo; zit. nach Friedrich 2002:34). Ebenso kommt er Brenz entgegen, wenn er eine Einigung auf der Basis vorschlägt, die jener selbst ins Spiel gebracht hat: „fideles cum pane corpus christi vere accipiunt, non … in pane“ (Hervorhebung von mir; Apologia fo C 3 vo; zit. nach Friedrich 2002:34). 75 Diese Einsicht hat Bucer bereits am 17. September 1525 in einem Brief an Jakob Otter in nuce ausgeführt (vgl. BDS III, 415, 13-24). In Anbetracht der theologischen Linien hinsichtlich der Wesensbestimmung des Mahles, die sich nicht nur hieraus für ihn ergaben - eine Betonung der Personalpräsenz und weniger der Realoder besser Res-Präsenz - kann Friedrich (2003:65; vgl. auch :125!) zu der Feststellung gelangen: „[D]amit bewegt sich Bucer bereits im Jahr 1530, seiner Zeit weit voraus (…) auf einer Erkenntnisebene, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, d. h. für moderne Exegese und Dogmatik, bei der Auslegung der Abendmahlsworte tragend wurde.“; vgl. dazu Jeremias 1976:198-195.210-229. 76 „Post haec omnia, spem nobis praescindit concordiae, quia verbo Domini videamur ipsis injuriam facere et aufferre donum, quod verbo affertur et a se admondum duriter propellit“ (Apologia f o E vo; zit. nach Friedrich 2002:252, Anm. 45). 32 unter den Christen sein soll, stattdessen aber in seiner Bedeutung durch den Streit nunmehr völlig konterkariert wird (vgl. Apologia fo [A 6] ro / vo; C vo).77 Ein Satz wie der folgende, der unpräzise formuliert (vgl. 2.2.3) - frühneuzeitliches Toleranzdenken einläutet, unterstreicht dies: „Wir lassen, was unsicher und dem Heil nicht förderlich ist, beiseite; es soll niemand verfolgt werden, der Christus in gleicher Weise bekennt, auch wenn er nicht in allen Punkten mit uns übereinstimmt“ (Apologia fo D 6 vo; Übers. nach Friedrich 2002:34). BUCER tritt mit seiner „Apologia“ nolens volens in die Öffentlichkeit und damit in den gewohnten Raum der anderen Reformatoren ein, bemüht, einen sachlichen Beitrag zur Beilegung des Streites zu liefern. Seine Schrift sollte - wenn es nach ihm ginge richtungsweisend werden für den gegenseitigen Umgang in einem kontroversen Diskussionspunkt, eine Kunst, die die reformatorische Bewegung erst noch zu erlernen hatte.78 In Ambivalenz dazu, um nicht in einer allzu euphemistischen Schilderung BUCERS zu enden, soll hier noch exemplarisch auf seine subversiven Tätigkeiten als Publizist von BUGENHAGENS Psalmenkommentar eingegangen werden (vgl. Kaufmann 1990:165-176 u. Friedrich 2002:35-38). Unter dem Pseudonym Conrad Ryss zu Ofen 79 reagierte Bucer unmittelbar auf eine sich großer Verbreitung erfreuende Epistel „contra novum errorem“ BUGENHAGENS, die ursprünglich Mitte Juli 1525 an den Breslauer Pfarrer Johannes Heß gerichtet war. Weitere Propagandaaktivitäten von wittenbergischer Seite wären zu ergänzen (vgl. Kaufmann 1993a:244). BUCER war nun keineswegs verlegen, diesen als Angriff empfundenen (vgl. BDS 3, 409-420; 431-441) literarischen Tätigkeiten zu begegnen, indem er seine eigene Abendmahlslehre in die von ihm angefertigte „Übersetzung“ von BUGENHAGENS lateinischem Psalmenkommentar anlässlich von Ps 111,4f eintrug (vgl. BDS 2, 177-222; BCor II, 267-274; BDS 2, 261-275). 80 Immerhin handelt es sich bei dieser Schrift um seinen aus Sicht eines Verlegers erfolgreichsten Beitrag zum Abendmahlsstreit: Sie 77 Ein schönes Beispiel für diese Auffassung bietet Bucer in „Grund und ursach“, das oberflächlich betrachtet an Lessings Ringparabel erinnert: „Gleich als so ein vatter ein guldin kopff [Topf, Becher] sein sünen z ůletz gelassen hette und befohlen, so offt sye drauß drincken, das sye sein solten gedenken und was er sye g ůts gelert hette, das sye eins durch einander und erbarlich lebten, und sye fingen ein zanck an ob dem kopff, von was materi er were oder wie kostlich, biß sye einander in die har fielen; weren dies net undanckbare und bo ese kinder, denen weger [besser] were, sye hetten den kopff nie empfangen?“ (BDS 1, 248, 33 - 249, 3; vgl. auch 248, 3ff; 248, 26-32; 249, 3ff; 252, 31 - 253, 4). 78 Friedrich (2002:34f) informiert über die Aufnahme der Schrift durch den Kreis der Rezipienten, von Skepsis (Capito) über Zustimmung (Zwingli) bis zu Polemik (Luther) ist alles vertreten. 79 Zur Vorgeschichte und der damit verbundenen nicht unumstrittenen These, dass Bucer im sog. Hoenbrief, den er ebenso ediert und mit „Zusätzen“ versehen haben soll, auf die baldige Herausgabe einer neuen brisanten Schrift hinweist vgl. Kaufmann 1993a:244-246; das genannte Pseudonym taucht zwar noch nicht auf, aber die Erwartung wird geweckt, dass sich wieder ein holländischer Schriftsteller wie bspw. Cornelis Hendricxz Hoen, der wahrscheinlich 1521 einen Brief an Luther - die Urform - geschrieben hatte, zu Wort meldet; anders urteilt Greschat (2009:290, Anm.46) mit Hinweis auf M. Lienhard. 80 Präzise handelt es sich um zwei umfangreichere Ergänzungen („Vom nachtmal des herren“ u. „Von der anbettung des brots“) nach Bugenhagens kurzer Erläuterung des Mahles im Anschluss an Ps 111,4f, die beinahe, aber eben nur beinahe zwinglisch klingende Formeln („sacramentum externum“ als „tantum signum“) enthielt. 33 erschien insgesamt viermal. Versuche, BUCER nun zu rehabilitieren oder zumindest zu erklären, können nicht überzeugen.81 Kaufmann (1993a:247, bes. Anm. 35) spricht von „bewusster Fälschung“, ohne damit implizieren zu wollen, dass der von lutherischer Seite erhobene „Verfälschungsvorwurf“ (Friedrich 2002:38) gegenüber BUCER uneingeschränkt berechtigt ist.82 Entsprechend juristischem Sprachgebrauch könnte so einfach auch nur der Intentionalität der BUCER’SCHEN Täuschungsabsicht Rechnung getragen werden. Die geläufige Rede von einer „reformierten Taktik im Namen der Einheit“ (ursprünglich von Wilhelm Walter) verwundert daher nicht und trifft u. U. genau den Kern der Sache, sieht man einmal von der polemischen Natur der Formulierung ab. Die skizzierten Vorgänge belegen schlichtweg, betrachtet man es rein analytisch, die taktischen Fähigkeiten eines Martin Bucer und seinen unbedingten Willen zur Einheit.83 Realpolitischer Hintergrund der Auseinandersetzungen, der neben der theologischen Dimension des Streites auch immer Erwähnung verdient, ist der Kampf um die öffentliche Meinung in einer Druckmetropole wie Straßburg. 84 Dies unterstreicht BUCERS Motivlage, die jenseits von romantischer Friedensdiplomatie, aber auch bloß beißender Polemik zu suchen ist. Man muss Köhler (1953:523) wohl zustimmen, wenn er festhält, „daß der Blick auf das politische Bündnis bei ihm (sc. Bucer) kein Seitenblick war, sondern der Zweck werden konnte, der das Mittel heiligte.“ Das Ringen um die religiöse Einheit hatte bei BUCER ohne Frage auch strategische Beweggründe. Jener war sich durchaus bewusst, dass nur eine geeinte protestantische Welt über den politischen Einfluss im Reich verfügen würde, um der Sache der Reformation längerfristig zum Durchbruch zu verhelfen. Hierin stimmte der Straßburger mit Philipp von Hessen überein, der im Grundsatz ähnliche Ziele verfolgte, dabei aber mehrheitlich eher aus politischen Motiven agierte (vgl. Gäumann 2001:445)85. 81 Die Interpretation der „Interpolation“ des Abschnittes im Psalmenkommentar durch Bucer als Ergebnis „ziemliche[r] Unklarheit“ (so Neuser in BDS 2, 180; vgl. auch Köhler 1924:365f) oder als Suche nach „Anknüpfungspunkte[n], die ihn – erstaunt und erfreut zugleich – glauben ließen, er befände sich (…) in der Abendmahlsfrage in Einklang mit den Wittenbergern“ (Friedrich 2002:37), stehen die Datierung der Ereignisse und die Reaktionen von luth. Seite (Nikolaus Gerbel), wenn auch mit Vorsicht zu genießen, entgegen (vgl. in aller Kürze Kaufmann 1993a:247, Anm. 34 & 39 u. ausführlich Kaufmann 1992:310-318). 82 Bucer kann seine Praktik selbst als „Sünde“ bezeichnen, die er aber als leicht verzeihlich ansieht, habe er doch damit eigentlich nur die veritas der Lehre Bugenhagens herausstellen, ihm quasi zu sich selbst verhelfen wollen (vgl. ZW 8, 652, 3-6; BCor II, 138, 17ff). 83 Eine Bemerkung Capitos in einem Schreiben an Zwingli vom 27. Dezember 1525 – in Straßburg herrschte helle Aufregung nach dem Druck - unterstreicht dies: „Wie Wittenberg den Eifer des Mannes (sc. Bucer) billigen wird, werden wir in Bälde erfahren. Ganz gewiß hat er einiges besser gemacht, und jetzt ist er dabei, Exquisiteres zu sammeln“ (ZW 8, 477, 9-11; Übers. nach Friedrich 2002:36). 84 Der größte Teil der Straßburger Bürgerschaft hing seit dem Jahr 1525 der Abendmahlsanschauung ihrer Prediger an, für Schriften mit einer nicht-symbolischen Auffassung der Elemente bestand keine große Nachfrage (vgl. Kaufmann 1993a:243, Anm. 19). 85 Und doch konnte jener formulieren: „Wir sollen nicht allein auf uns, sondern auch auf andere Christen sehen, daß es ihnen auch wohlgehe, und, ob sie vielleicht in einem Artikel irreten, sie darum nicht auf die Fleischbank gewiesen würden.“ (zit. nach Stupperich 1962:65). 34 2.2.1.2 Marburger Religionsgespräch (1529-1530/31) Gedrängt durch die Ereignisse auf dem zweiten Reichstag von Speyer im Frühjahr 1529, dem Verbot jeder reformatorischen Neuerung und der Forderung, die Autorität der katholischen Bischöfe wiederherzustellen, sah sich vor allem der junge Regent Philipp von Hessen genötigt, alle evangelischen Reichsstände in einem militärischen Bündnis zusammenzuführen.86 Voraussetzung hierfür war allerdings ein gemeinsames Bekenntnis, das mit dem gemeinsamen Protest vom 19. April 1529 der „Protestanten“ gegen die Speyerer Beschlüsse noch nicht gegeben war, loderte doch der Streit über das Verständnis des Abendmahls schon bald wieder auf. Ein bis dahin einzigartiges Gipfeltreffen der reformatorischen Parteien auf Philipps Geheiß hin auf seinem Schloss in Marburg sollte hier Abhilfe schaffen. Als Vorbereitung für ein solches Treffen benennt BUCER in einem bisher nicht beachteten Brief vom März/April 1529 die für ihn maßgebenden theologischen Kriterien für eine theologische Auseinandersetzung zwischen Wittenberg und Zürich. Da sich die Vorschläge äußerst „modern“ darstellen und sich für die Zielsetzung dieser Untersuchung als hilfreich erweisen, verdient der genannte Brief, möglicherweise an einen hessischen Diplomaten oder einen Frankfurter gerichtet, besondere Aufmerksamkeit.87 BUCER lässt zunächst keinen Zweifel daran aufkommen, dass ein Religionsgespräch in freundschaftlicher Atmosphäre die Beseitigung der Abendmahlskontroverse nur noch zu einer Frage der Zeit machen würde.88 Einheit in der Vielfalt der Meinungen muss möglich sein („sententiarum diuersitate nihil obstante societas“; zit. nach Friedrich 2002:277, Anm. 4), ein kontroverser Punkt (Abendmahlslehre) darf nicht zum Ausschlusskriterium werden, solange es sich nicht um eine heilsentscheidende Frage handelt. 89 Erkenntnistheoretische Einwände werden laut - BUCER spricht von unserer Beschränktheit („imbecillitatis nostrae“; :277, Anm. 4). Er stellt fest, dass eine noch unterentwickelte Erkenntnis des Einzelnen nicht dazu führen kann und darf, die Bruderschaft mit ihm zu kündigen. Die Bruderliebe steht bei BUCER über 86 Luther hatte nur wenig übrig für das „Bundmachen“ des Landgrafen, sah er doch hierin eher politisches Abenteurertum anstatt des gebotenen Vertrauens auf Gott. Ein Bündnis mit den zwinglianischen Städten wie Ulm und Straßburg hielt er für „das allerärgste“, das geschehen konnte (so in einem Brief an Kurfürst Johann vom 22. Mai 1529; WABr V, 77, 35); zur prekären politischen Situation der Reichsstadt Straßburg - der beunruhigenden Isolation der oberdeutschen Städte überhaupt -, die Bucers energischen Einsatz für ein Theologenkonvent naturgemäß mitbestimmte vgl. Friedrich 2002:58. 87 Zur Datierung und dem Adressaten, der sich momentan nicht genauer bestimmen lässt, vgl. Friedrich 2002:277, Anm. 2. 88 „Vt igitur tibi nihil gratius obuenturum, quam quo uera inter istos concordia restitueretur, persuasum habemus, ita scribere ad te de ratione, qua ad id perueniri posse putamus ausi fuimus. Ea uero uidetur nobis amico synceraeque fidei congressu, ac mutua et familiari sententiae, quam in ijs quae Christi sunt quisque sequitur expositione constare” (Hervorhebung von mir; SA, E II 446, f o328ro; Original in Zürich, zit. nach Friedrich 2002:277, Anm. 3). 89 „Cur enim minus amplecteremur eos, qui unum et alterum scripturae locum parum recte intelligunt, quando Paulus agnosci colique ut fratres uolit, qui de tam multis doceri ueritatem non sustinebant, ut putarent discrimen dierum et ciborum necessarium ad salutem?“ (SA, E II 446, fo328ro; zit. nach Friedrich 2002:277, Anm. 4). 35 der Liebe zur eigenen Erkenntnis.90 Ein Kolloquium, das von Offenheit und einem würdevollen Umgang miteinander geprägt ist, würde BUCER zufolge dem besseren Verständnis der anderen Seite dienen. Zumindest die Grundlage für eine spätere Konkordie könnte so gelegt werden (Friedrich 2002:277, Anm. 6). Ziel einer solchen Disputation ist die Wahrheitsfindung, nicht die Verschärfung des Konfliktes; die Anliegen beider Seiten können so sachgemäß - „non contentiosam“ - zutage gefördert werden.91 In Anlehnung an die gute Tradition der Alten Kirche, Konzilien abzuhalten, die ganz und gar geprägt waren durch den Geist Christi („Christi spiritu opulentius fuit donatus“), und dem Beispiel des Paulus folgend, soll auch das geforderte Religionsgespräch als Gespräch unter Brüdern geführt werden, um den Dissens wie ein übles Geschwür endlich zu heilen („mutuo colloquio dissensionis malo mederi“).92 Die Adressaten, insbesondere die Wittenberger Partei, werden deutlich und energisch aufgefordert, ihre massiven Vorbehalte gegen die Zusammenkunft fallen zu lassen. BUCERS Bedeutung für das Marburger Religionsgespräch, überhaupt das der Straßburger Delegation, was ihr Auftreten und ihren Einfluss betrifft, war nun eher marginal. 93 Auch BUCERS Intervention während der Debatte am letzten Tag, sein einziger öffentlicher Auftritt, blieb eine Randerscheinung.94 Vergessen werden darf allerdings nicht, dass der Elsässer in 90 „Quis filiorum Dei suae tam sit amans sententiae, qui non agnoscat fratrem quem uideat nihil habere prius“ (SA, E II 446, fo328ro; zit. nach Friedrich 2002:277, Anm. 5). 91 „Neque enim publicum congressum ostentationi magis et augendae dissensioni, quam discendae ueritati et sarciendae concordiae aptum, sed priuatum, sed familiarem remotis arbitris, nisi essent, ut utrique uiderentur ad restituendam concordiam idonei petimus. Non prouocamus ad contentiosam disputationem, sed inuitamus ad dignam fratribus membisque Christi commentationem” (SA, E II 446, f o328ro; zit. nach Friedrich 2002:277, Anm. 9). 92 SA, E II 446, fo328vo; zit. nach Friedrich 2002:278, Anm. 11. In der Begrüßung beim Auftakt zum Marburger Religionsgespräch durch den hessischen Kanzler Feige kommt derselbe Ton zum schwingen: „Niemand suche sein eigen Affekten, sondern ein jeglicher Gottes Ehre, gemeiner Christenheit Nutz und brüderliche Einigkeit“ (Köhler 1929:7). 93 Aus der Einladung von Philipp von Hessen an Jakob Sturm vom 1. Juli 1529 geht hervor, dass die Straßburger Fraktion vor allem als Zuhörer geladen wurden, dies wohl aus vornehmlich taktischen Gründen, war ihre Versöhnungsbereitschaft doch inzwischen mehr als bekannt (vgl. Friedrich 2002:59). 94 Aufgrund der Übersetzungsaffären um Bugenhagens und Luthers Schriften war sein Leumund alles andere als positiv. Luther begrüßte ihn am ersten Tag mit dem Finger drohend mit dem Zuruf: „Tu es nequam – Du bist ein Schlingel“ (BDS 4, 332, 8; zur Interpretation dieser Aussage vgl. Liebenberg 2003:32f, Anm. 13). Bucers Vorstoß, am letzten Verhandlungstag darzulegen, dass man in Straßburg „von der Trinität usw. auch recht predige“, also eine luth. Rechtfertigung der eigenen Position einzuholen, misslang daher gründlich (vgl. Köhler 1929:37-38.127-130; BDS 4, 350). Greschat (BDS 4, 328) sieht in diesem, wenn auch gescheiterten Versuch jedoch „eine der wesentlichen Wurzeln für Bucers Aktivität in der Abendmahlsfrage, die seine Tätigkeit in den folgenden Jahren kennzeichnet.“ Luthers Erwiderung ist an Schärfe kaum zu überbieten: „Traun Nein, ich bin Euer Herr noch Euer Richter nicht. Es kümmert mich nicht, wie Ihr in Straßburg lehret. So wollt Ihr mich noch meiner Lehre auch nicht, so kann ich Euch zu Jüngern auch nicht leiden. Wir haben (zu)vor wohl empfunden, daß Ihr begehrt, unter unserem Namen Eure Lehre auszubreiten, ich höre Euch wohl jetzo, weiß aber nicht, ob Ihr daheim auch also lehret oder nicht usw. Darum gib ich Euch kein Zeugnis, Ihr (be)dürts auch nicht, dann so Ihr überall rühmet, Ihr habts von uns nicht gelernt (…); wir wolten auch ungern solche Jünger haben. Ich will Euer Lehrer nicht sein, Ihr habt meine Schriften und mein Bekenntnis (…). Denn das kann nicht ainerley gayst sein, da man an einem Ort die Wort Christi ainfeltigklich glaubt unnd am anndern denselben glauben tadelt, widerfichtet, lügstraffet und mit allerley freveln lesterworten antasstet. Darumb wie ich vor gesagt hab, befehlen wir Euch dem urteyl gottes, leret, wir Irs vor got wölt verantwurten“ (Köhler 1929:38.129; leider ist die Schlussrede Bucers nicht im Wortlaut erhalten, eine nüchterne Interpretation bzgl. des Verhältnisses zwischen Luther und Bucer nach dem so eben in Auszügen zit. Bericht Osianders bietet Stupperich 1962:52f). Das Religionsgespräch endete bekanntermaßen mit der Prämisse, in Zukunft keine polemisch-literarischen 36 organisatorischer Hinsicht in Erscheinung trat: als Vermittler der Korrespondenz zwischen dem Landgrafen und ZWINGLI und „Wegbereiter“ im buchstäblichen Sinn der Schweizer und Straßburger.95 Diesen Aufgaben kam er mit größter Sorgfalt nach (vgl. Friedrich 2002:279, Anm. 29). Inhaltlich von Bedeutung sind jedoch eher seine Beiträge im Vorfeld, die er konsequent fortführte. Bereits im Jahr 1528 fand er in LUTHERS schroffer, gegen ZWINGLI gerichteter Schrift „Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis“ (WA 26, 241-509) den neuen Ausgangspunkt für seine Unionsbemühungen. Mit der Rede von der „unio sacramentalis“ (ursprünglich von J. Wyclif) war der Schlüsselbegriff für die Lösung des Abendmahlsstreites gefunden. „Es war eine Formel, die einerseits die wahre Gegenwart Christi im Abendmahl (Realpräsenz) festhielt, andererseits das Mysterium dieser Gegenwart wahrte und auch die Bedeutung des Glaubens unterstrich“ (Friedrich 1993:260). Mit jener Formulierung operierte BUCER nachfolgend in seinen Kommentaren und Briefen, insbesondere in seiner Schrift „Dialogus“ (BDS 2, 295-383; vgl. auch BCor III, Nr. 197). 96 Daneben entwickelte er, ein weiteres Indiz für BUCERS Originalität, im Psalmenkommentar von 1529 seine dreigeteilte Lehre der pii, indigni und impii, um LUTHER eine Brücke zu bauen in der Frage der geistlichen Nießung der Gottlosen (impii). Die Interpretation der unio sacramentalis blieb trotz allem eine andere auf beiden Seiten: LUTHER konnte von einem Miteinander des Leibes und Blutes Christi mit Brot und Wein sprechen, BUCER hingegen nur von einem Beieinander. Der Versuch eine Einigung zu erzielen, blieb, gelinde gesagt, schwierig bis unmöglich, was jedoch nicht zu einem Ende der Bemühungen BUCERS führte.97 Auseinandersetzungen mehr zu führen. Selbst Luther konnte eingestehen, sich zuweilen im Ton vergriffen zu haben. Die entgegengestreckte Bruderhand Zwinglis u. a. lehnte er jedoch ab - wieder nach Berichten von Osiander und Brenz (BDS 4, 356, 38 – 357, 4; 353, 15-23). Als eigentlichen Grund für das Scheitern sah Bucer indes die problematische Rolle Melanchthons an, denn: „Philippus bene vult Caesarj et Ferdinando“ (so in einem Brief vom 18. Okt. 1529 an Ambrosius Blaurer; BCor III, Nr. 257, 334, 68; vgl. Friedrich 2002:61). Hammann (1991:115) gelangt zu dem Urteil, dass „Bucers Eigenständigkeit (..) in Marburg noch nicht genügend reif [war], um eine Verständigung mit Luther herbeiführen zu können, denn hinter den ´Affekten` ging es in der Tat um wesentlich ´dialektische` Fragen, die Bucer verharmlosen wollte.“ 95 Die Reiseroute wurde aus Sicherheitsgründen geheim halten, soweit wie möglich; Zwingli erschien im schwarzen Waffenrock mit Degen, verlief die Route doch über lange Strecken durch habsburgisches Gebiet, den „tödtlichen feynds boden“ (ZW 10, 208, 16). 96 Der vollständige Titel lautet: „Vergleichung D. Luthers und seins gegentheyls vom Abentmal Christi. Dialogus. Das ist eyn freundtlich gesprech“; Bucer kann formulieren: „Dann hie auch eyn eynigkeyt auß zweyerley wesen ist worden, die wil ich nennen Sacramentliche eynigkeyt, darumb das Christus leib und brot uns alda zům Sacrament werden gegeben, dann ist nit eyn natürliche oder perso enliche eynigheyt wie in Gott und in Christo. So ists auch vielleicht eyn andere eynigheyt dann die taub mit dem heyligen geyst und die flamme mit dem Engel, dennoch ists ja auch eyn Sacramentlich eynigheyt“ (BDS 2, 312, 17-23); generell zu Aufbau und Inhalt des fingierten Dialoges vgl. Greschat 2009:92f. 97 Am Rande noch eine Beobachtung, der nicht in extenso nachgegangen werden kann: Man gewinnt den Eindruck, dass Bucer im Verlauf seiner Unionsbemühungen in puncto Abendmahlsstreit immer wieder versucht, auf sein Verständnis von Luthers Position, die jener in seiner in gewisser Hinsicht einzigartigen, frühen Schrift, dem „Abendmahlssermon“ von 1519 (WA 2, 742-758) vertritt, zu rekurrieren. Köhler (1924:367) urteilt daher: „Es war ein Versuch, ob es nicht vielleicht in Erinnerung an vergangene glückliche Zeiten, so wie Bucer sie verstand, die Wittenberger für den geistigen Genuß Christi im Abendmahl zu gewinnen gelingen möchte.“ Der Schwerpunkt lag in der besagten Luther-Schrift noch auf der communio sanctorum und nicht einer wie auch immer gearteten metaphysischen Verhältnisbestimmung der Elemente (vgl. Seeberg 1953:399, der sogar urteilen kann, dass „Luther kaum irgendwo dem genuinen Sinn des Abendmahls so nahe gekommen ist wie in dieser 37 Ein besonderes Augenmerk soll an dieser Stelle auf die Zeit nach dem Marburger Religionsgespräch gerichtet werden, um der Rede vom bloßen „Streit um Worte“ 98 auf den Grund zu gehen und ihrem Ort in BUCERS „ökumenischem“ Ansatz nachzuspüren. Die Zeit danach war für BUCER zunächst eine Zeit der großen Ernüchterung und doch, betrachtet man seine Korrespondenz in den Monaten nach Marburg, so kann „ein neues, jetzt umso intensiveres Nachdenken über die Möglichkeit eines gemeinschaftlichen Miteinanders festgestellt werden“ (Liebenberg 2003:33). Dieser nicht unbedingt zu erwartende Reflexionsprozess spiegelt sich vor allem in zwei Schriften wider, einem Brief vom 26. Januar 1530 an Ambrosius Blaurer (BCor IV, Nr. 273, 9-16) 99, der als eine Art „Zwischenbericht in der Abendmahlskontroverse“ (Friedrich 2003:54) - nach Liebenberg (2003:33) sogar als „zeitliche und theologische Mitte“ des Ganzen - aufgefasst werden kann, und daneben in der Vorrede zur zweiten Auflage des Evangelienkommentars bzw. dem Widmungsschreiben an die Marburger Akademie (BCor IV, Nr. 279, 37-67) - beide im März/April 1530100. Einige zentrale Aspekte dogmatischer Natur treten in jenem Zeitraum hervor in der Fragestellung, wie eine Einheit angesichts der gerade geschehenen Ereignisse in Marburg dennoch möglich sein kann:101 Zunächst zeigt sich eine anthropologische Einsicht: die Begrenztheit menschlicher Erkenntnis und in deren Gefolge das Auftreten von Irrtümern oder einfach unterschiedlichen Positionen in einer Sachfrage. Nach BUCER wird man nicht einmal ein einziges Paar Menschen finden, das in allem einer Meinung wäre, insbesondere in heiligen Dingen. 102 Die schon vor „Marburg“103 getroffene Feststellung, dass gerade bei dogmatischen Gefechten Schrift“; Althaus 1962:277f.320; Kittelson 1973:169-172.179f; Friedrich 1993:259f; aber auch Seeberg 1950:154f!). Ob und inwieweit sich Bucer hierin als treuer - sicher nicht naiver (mit Friedrich 2003:51f) Schüler Luthers erwiesen hat, wurde ihm spätestens mit dem Marburger Religionsgespräch zur Gewissheit. 98 So z. B. ausführlich in einem Brief im Anschluss an den Augsburger Reichstag an den dort anwesenden sächsischen Kanzler Gregor Brück vom 23./24. Juli 1530 (BCor IV, Nr. 320, 165-176; vgl. auch Nr. 326, 201207; Nr. 328, 212-219; WABr V, 569, 60-66; ZW 11, 87, 12-14 u.v.m.); vgl. Neuser 1998a:143f; Friedrich 2002:69-87; Friedrich 2003:58.60f. 99 Eine kurze Paraphrase und Analyse des Briefes bietet Friedrich 2002:64f; 2003:54-56. 100 Zu den beiden überlieferten Fassungen und deren Redaktionsgeschichte, insbesondere der These, dass es sich bei dem „Widmungsschreiben“ um die ältere und ursprünglichere Version handelt, vgl. Liebenberg 2003:33f, Anm. 17 & 18 u. Hamm 2003:88, Anm. 11. Den nachfolgenden Ausführungen liegt Letzteres zugrunde (vgl. auch BCor IV, Nr. 279, 37, Anm. 1), eine Übersetzung in Auszügen bietet de Kroon 1991:200209. 101 Die nachfolgenden Einsichten folgen in ihrem Duktus Liebenberg 2003:34-46. 102 „Nam ne unum equidem unquam par hominum uidi, quod per omnia eadem sentiret, etiam in sacris“ (BCor IV, Nr. 279, 40, 9-11). 103 Z. B. in der Berner Disputation von 1528 - Greschat (2009:90f) paraphrasiert: „Wenn alle (…) Theologen wie auch Laien, die Bibel selbst lesen und sich ein eigenes Urteil bilden müssen, werden unterschiedliche Deutungen die Folge sein. Begrenzte Einsicht und selbst offenkundige Irrtümer sind jedoch zu ertragen und sprengen die Einheit der Kirche nicht, solange sie ‚nur das kindliche Vertrauen auf Gott nicht umstoßen‘. ‚Unseren lieben Brüdern genügt es, wenn man in der Summa des Glaubens mit uns einig ist, nämlich, daß wir alle nichts sind und uns Gott durch Christus allein fromm und selig machen will‘.“ (BDS 4, 82, 20-23; 83, 7-9). 38 divergierende Ansichten nicht ausbleiben können, leuchtet im ersten Teil seiner Vorrede zum Evangelienkommentar erneut auf.104 Dem Geist Christi wohne bei allen Menschen immer auch der Geist des Fleisches bei, ja noch mehr, es seien oft gerade die Allerfrommsten, die Phantasiegebilde für ein Orakel Christi hielten und Gefallen daran fänden. 105 Selbst außerordentlich begabte Männer – so in einem Brief an ZWINGLI, der hier gemeint ist – begehen Fehler in der Schriftauslegung.106 BUCER kann ausführlich den Konflikt des Apostels Paulus mit den Galatern ins Feld führen und darauf verweisen, dass trotz der ernsten Lage die Gemeinde eben nicht verworfen wird, wenn auch das Anathema im Raum steht (vgl. BCor IV, Nr. 279, 40, 15 – 41, 35). Umso mehr verwundert es ihn, die Wittenberger Partei dabei zu beobachten, dass jene gleich eine Zerstörung des Glaubens und eine Gotteslästerung wahrnimmt („et fidem subuerti Deumque blasphemari“ / 41,9-10), wenn auch nur irgendein Wort nicht in ihrem Sinne aufgefasst wird („quodcunque eius uerbum non suo sensu accipiatur“ / 41,10-11). Ist man sich wie der Apostel Paulus der menschlichen Schwachheit „imbecillitatis“107 - und der Größe der Unwissenheit bewusst, die nun mal alle Sterblichen umklammert, sollte man nicht gleich diejenigen als Feinde einer Wahrheit ansehen, die von jenen noch nicht erkannt werden kann. Sogar dann nicht, wenn sie diese Wahrheit nicht nur verwerfen, sondern auch mit unkundigem Zorn bekämpfen. 108 Selbst Menschen, die aufgrund dummer und überflüssiger Streitfragen im Begriff sind, die Einheit der Kirche zu zerstören, sollen von einem Diener des Herrn nicht vorschnell aufgegeben, sondern mit Sanftmut und mit Freundlichkeit behandelt und in der Wahrheit unterrichtet werden. 109 Nachdem bisher vor allem apostolische Weisungen im Vordergrund standen, kann BUCER im zweiten Teil der 104 Im Hintergrund stehen die Ereignisse um die sog. „Schwabacher Artikel“ - von Melanchthon verfasst - auf dem Tag von Schmalkalden (29. November – 3. Dezember 1529); vgl. hierzu Liebenberg 2003:35f, Anm. 23, der auf von Schubert 1910:117-137 zurückgreift. 105 „(...) is probe semper cogitet tum sibi tum aliis omnibus praeter spiritum Christi et carnis spiritum adesse atque ab hoc saepe illum sic effingi, ut quique sanctissimi huius non raro figmenta pro oraculis Christi amplectantur“ (BCor IV, Nr. 279, 40, 13-15). 106 „Ego quottidie experior optimos et ingeniosos viros in apertissimis scripturae locis mirum in modum hallucinari“ (ZW 11, 443, 2 - 443, 4). 107 „Schwäche, Gebrechlichkeit, Ohnmacht“ (Georges 1959:60): ein Begriff, den Bucer des Öfteren verwendet, s. nur den bisher wenig beachteten Brief im Vorfeld des Marburger Religionsgespräches S. 35f oben (vgl. auch das Sachregister in BCor V, 437; VII, 549). 108 „Sed Paulus humanae conscius imbecillitatis [vgl. 1 Kor 9,22], quantum ignorantiae teneat mortales omnes [vgl. Eph 4,18], (…) haudquaquam illos ueritatis, quam nondum agnoscere poterant, hostes haberi uoluit, utcunque illam inscientes non reijcerent modo, sed etiam (…) imprudenti zelo impugnarent“ (BCor IV, Nr. 279, 41, 19-25). 109 „Diius Paulus ne haereticos quidem, hoc est factiosos unitatemque ecclesiae ob stultas et superuacaneas quaestiones scindentes, despondere ilico permittit, sed requirit a seruo Domini eam placiditatem et mansuetudinem, tum docendi promptitudinem, ut malos qouque tollerare sciat et erudire ueritati obsistentes, si quam det illis Deus poenitentiam ad agnoscendum ueritatem [II Tim 2, 24f]“ (BCor IV, Nr. 279, 49, 5-10). Noch kurz zuvor (49, 4) kann Bucer den Satan erwähnen, dem die schwächeren Brüder nicht einfach überlassen werden sollen. Der verschiedenartige Schwerpunkt in den Theologien Bucers und Luthers tritt an dieser Stelle besonders signifikant hervor: Ist der Satan für Luther doch der Widersacher des „eynerley, einfeltig, gewis und sicher“ machenden Wortes (WA 26, 265, 29-32), so versteht Bucer hier den Teufel als „concordiae uetus disturbator“ (BCor IV, Nr. 279, 39, 25f). 39 Vorrede noch auf den Kirchenvater Johannes Chrysostomos verweisen, der vor der „Pest der Kirche“ warnt, nämlich dem vorschnellen Ausschluss irrender Brüder.110 Der vorgetragene Sachverhalt führt den Straßburger Reformator zu einer weiteren Einsicht, präziser einer erkenntnistheoretischen Notwendigkeit, der „normativen Zentrierung“ (B. Hamm)111 auf das Wesentliche. Zu kurz gefasst wäre nun die Vorstellung, dass BUCER als „Mann des Ausgleichs“ in beinahe modern anmutendem Jargon hier vertrautes Toleranzdenken einläuten würde (vgl. 2.2.3). Und doch gibt es für ihn offensichtlich die Notwendigkeit zwischen Wahrheiten von untergeordneter Bedeutung und Wahrheiten, die allen, die der Kirche Jesu Christi angehören wollen, gelten, zu unterscheiden. Erstere sind für ihn das unvermeidliche Resultat von dogmatischen Auseinandersetzungen, dem „Streit um Worte“, die kollektiven Wahrheiten jedoch sind mehr als das, sie markieren die Grenze der Kirche Christi: Als würdiges Glied der heiligen Gemeinschaft ist derjenige zu betrachten, der bekennt, dass der Herr Jesus Christus im Fleisch gekommen sei, als wahrer Gott und wahrer Mensch, und dass er einzig unser Heil bewirkt habe. 112 In seinem Brief an Ambrosius Blaurer vom 26. Januar 1530, also kurze Zeit zuvor, drückt BUCER es folgendermaßen aus: Hinsichtlich dogmatischer Fragen kann er sich damit zufrieden geben, wenn man sich gemeinschaftlich - „in com[m]uni“ - dazu bekennt, dass unser Leben Gott gehört und dass es durch den Erlöser Jesus Christus erworben wurde; dies bedenken alle, die Christus gehören täglich, bewegt durch seinen Geist. 113 Wem es gegeben ist, dies anzuerkennen, zu empfinden und von ganzem Herzen zu suchen, der gehört zu Christus und ist mit dem ewigen Leben beschenkt, unabhängig davon - dies ist der springende Punkt -, was für Irrtümer und Laster ihm außerdem noch anhaften.114 BUCER wähnt sich mit dieser Konzeption im Einklang mit der neutestamentlichen Urgemeinde, wie er im sog. „Ratschlag A“ (für das spätere oberdeutsche Vierstädtebekenntnis, die „Confessio Tetrapolitana“ / BDS 3, 118-134) Anfang Mai 1530 110 „D[ivus] uero Chrysostomus quam ab eadem hac ecclesiarum peste, praepropera errantium fratrum reiectione, abhorruerit, nusquam sane non manifesto prae se tulit, in sermone tamen de anathemate id multis sane et grauissimis uerbis expressit:“ (BCor IV, Nr. 279, 55, 14-17). 111 Vgl. zu diesem Begriff, der eine heuristisch-interpretative Deutungskategorie zur reformatorischen Epoche bietet, die Literaturhinweise bei Liebenberg 2003:34, Anm. 20 u. :38, Anm. 36 (Definitionsvorschlag). Bucer beschritt damit - ebenso wie die anderen Reformatoren - einen Weg, der nicht nur auf die Religion im 15. und 16. Jahrhundert begrenzt war. Das „Syndrom normativer Zentrierung“ (Hamm 1992:242) lässt sich auch in der Politik, im Recht, in der Kultur und in der Kunst dieses Zeitraums nachweisen. 112 „(...) nullos prorsus nostro consortio et sacra communione indigno habebimus, qui Dominum Jesum Christum uenisse in carne, uerum Deum uerumque hominem et unum salutem nostram perfecisse confiteri ex animo uideri poterunt (…)“ (BCor IV, Nr. 279, 48, 34-37). 113 „Inde agnoscendum semel erat, quantum ad dogmata attinet, contentos nos esse oportere, cum datum fuerit conuenire in primis confiterique nos in comuni, vitam die apertam comparatamque esse nobis per seruatorem nostrum Jesum Christum, vt quicumque Christi sunt, eius acti spiritu illam meditentur cottidie (…)“ (BCor IV, Nr. 273, 13, 11-16). 114 „Profecto enim Christi est et aeterna vita donatus, cuicumque tantum agnoscere, sentire et ex animo quaerere datum fuerit, quicquid praetera errorum et vitiorum ei adhaereat“ (BCor IV, Nr. 273, 13, 20-22). Im Ansatz klingt hier die dreigliedrige orthodoxe Lehre vom Glauben (notitia, assensus u. fiducia) an (vgl. Pöhlmann 2002:89f). 40 ausführt: Wegen konsequenter Orientierung an den Hauptstücken der christlichen Lehre und den Geboten der Gottes- und Nächstenliebe sei es nicht zu Spaltungen gekommen (vgl. BDS 3, 323, 5 – 327, 12). Auch in der alten Kirche haben unterschiedliche Gebräuche (Bilderfragen, Messkleider usw.) die Glaubensgemeinschaft nie in Frage gestellt (330, 933).115 BUCERS Versuch reformatorische „Sola-Theologie“ (Hamm 1992:260), die sich in ihrer Fixierung auf zentrale dogmatische Topoi deutlich abhebt von der „plurale[n] Zusammengesetztheit des spätmittelalterlichen Normverständnisses“ (:261) mit seinem spezifischen Wahrheitsbegriff, der in gewisser Hinsicht der spätmittelalterlichen Tradition ihrer Pluralität und ihrem Gradualismus116 - wiederum nahe steht, zu verbinden, ist bemerkenswert. „Denn so konnte er die im Abendmahlsstreit anzutreffende Tendenz, für alle dogmatischen Topoi denselben normativen Wahrheitsanspruch zu erheben, unterlaufen“ (Liebenberg 2003:39). Das differenzierte Wahrheitsverständnis ermöglichte ihm, auch diejenigen als Brüder anzuerkennen, die im Rahmen der sich erst entfaltenden - in statu nascendi - reformatorischen Lehrbildung in Detailfragen anders dachten. Ein Vergleich mit LUTHERS Auffassung drängt sich auf: Wie auch immer geartete Abstufungen oder gar Mehrdeutigkeiten in Wahrheitsfragen konnten für ihn nur auf Kosten der Gewissheit des neu entdeckten Evangeliums gehen. In seiner - aus seiner Sicht - letzten Schrift zum Disput (WA 26, 265, 29f; vgl. auch WABr IV, 123, Nr. 1043) hält er pointiert fest: „Aber den text ym abendmal woellen wir eynerley, einfeltig, gewis und sicher haben ynn allen worten, syllaben und buchstaben.“117 Eine graduelle Abstufung von Wahrheit anzunehmen, die noch vorhandene Irrtümer und Unkenntnis im Namen der Liebe duldet, ist LUTHER fremd, da sie ihrem Wesen nach nicht in Einklang mit einer „eynerley, einfeltig, gewis“- Hermeneutik zu bringen ist. Nicht weniger als die Reinheit der Lehre ist gefährdet und dem Teufel, der Vater aller Uneinigkeit, nur ein Gefallen getan.118 Nach Hamm (1992:258f) folgte die 115 Vgl. hierzu auch die Beispiele bei Neuser 1998a:154f aus der Korrespondenz der Jahre 1530/31 u. generell Carr 1981:37-74; Friedrich 2002:66; Thompson 2005, insbesondere :279-281. 116 Vgl. hierzu Müller 1924:681-720; Hamm 1995:69-71; Hamm 1998:28-30. 117 Zu kurz greift m. E. der Hinweis Liebenbergs (2003:40, Anm. 44) auf Luthers persönliches „exklusivinspirierte[s] Wahrheitsbewusstsein“ als maßgebliche Quelle für diese Gewichtung in seiner Theologie (auch das Zitat von L. Febvre’s Psychogramm Martin Luthers - „ohne sonderlich kritischen Geist“ - kann dies nicht untermauern). Neben der sicher vorhandenen grundverschiedenen Charaktere des Straßburgers und Wittenbergers handelt es sich jedoch auch bei der unterschiedlichen Akzentuierung in der Wahrheitsfrage um eine reflektierte theologische Grundentscheidung. Luther schreibt expressis verbis an Bucer (22. Januar 1531): „(...) Und ich möchte, daß Du mir glaubst – wie ich Dir auch zu Koburg gesagt habe: es ist mein Wunsch, daß diese unsere Uneinigkeit beigelegt wird, wenn ich auch mein Leben dreimal daransetzen müßte. Denn ich habe gesehen, wie notwendig uns die Gemeinschaft mit Euch ist, wie großen Schaden (die Trennung) dem Evangelium gebracht hat und noch bringt (…). Aber was soll ich für eine Sache tun, die unmöglich geschehen kann? Schreibe es daher gerechterweise nicht meiner Hartnäckigkeit zu, sondern meiner wirklichen Gewissenhaftigkeit und der Gebundenheit durch meinen Glauben, daß ich die Eintracht ablehne.“ (Hervorhebung von mir; WABr VI, 25, 38-41.44-46 (Nr. 1776); Übers. nach LD 1991:224). 118 Die unterschiedliche Interpretation der Abendmahlsüberlieferung durch Karlstadt, Zwingli und Ökolampad führt Luther kurzum zu der Feststellung: „So schliesse ich frey, das der teuffel, aller uneinigkeit vater, sey yhr 41 Mehrheit der Reformatoren dem unduldsamen Wittenberger in der Wahrheitsfrage und verankerte die „Wahrheit allein in der Reinheit des Wortes und der Lehre (und nicht des Lebens)“119. Dass die luth. Fraktion der Speyerer Protestanten nach dem Marburger Religionsgespräch daranging, die reformatorische Bewegung zu einer „Kirche der rechtgläubigen Lehre“ (von Schubert 1910:130) umzuwandeln, erscheint daher nur konsequent. Unter Bezugnahme auf die im Sommer 1529 von Melanchthon verfassten „Schwabacher Artikel“ nahm man die Spaltung der protestantischen Reichsstände bewusst in Kauf.120 Neue Koalitionen bildeten sich, die zum Beitritt der elsässischen Metropole in das „Christliche Burgrecht“ der Schweizer Städte führte: ein Affront für die Lutheraner und eine Entwicklung, die BUCER mit Erleichterung aufnahm, wie er Zwingli am 12. Januar 1530 mitteilte (BCor IV, Nr. 270, 3, 2ff).121 Der Traum von der Einheit der reformatorischen Bewegung schien allerdings immer mehr zur Illusion zu werden. Liebenberg (2003:41) fragt zu Recht: „Woher nahm er [sc. Bucer] die Zuversicht, dass eine Einheit der nun auch politisch getrennte Wege gehenden Protestanten immer noch realisiert werden kann?“ Als ausgesprochen theozentrisch denkender Theologe konnte BUCER das bisherige Scheitern der Unionsbemühungen als Willen Gottes auffassen, sein Vorsehungsglaube muss hier geltend gemacht werden. „Gott habe es so gewollt“, kann BUCER zwei Wochen nach dem Marburger Gipfeltreffen an Ambrosius Blaurer schreiben. Gott wollte, dass der fromme hessische Landgraf nichts unversucht ließ, um einen Zustand der Einigkeit herzustellen, der dann allerdings so aussah, dass die Gegenseite ihn einträchtig zurückwies. 122 Man kann so weit gehen und postulieren: BUCERS Verständnis der gubernatio Dei erlaubt ihm hinter dem Scheitern von „Marburg“ und den politischen Weichenstellungen im Anschluss ein absichtsvolles Handeln des allmächtigen Lenkers der Geschichte wahrzunehmen. Leitmotiv ist dabei für den Theozentriker die Macht und Ehre Gottes, die in keinster Weise beschnitten werden darf.123 Hieraus folgen für BUCER weitere dogmatische Überlegungen in Bezug auf lerer“ (WA 26, 265, 31f; vgl. auch 266, 24f). 119 Ergänzt werden muss, dass der sachliche Kern der Debatte in der Wahrheitsfrage und deren erkenntnistheoretischen Voraussetzungen liegt und nicht in einem wie auch immer zu bewertenden Verhältnis von Lehre und Leben. 120 Zur Rolle Melanchthons, der neben seinen theologischen Expertisen zu einer überdeutlichen politischen Einschätzung der Zwinglianer als Aufrührer und letztlich politischen Gegner fand, vgl. Liebenberg 2003:41, Anm. 50. 121 Vgl. hierzu Neuser 1999:23-57. 122 „Pius ille Princeps nihil omisit, quo in concordiam redigeret nos, quorum erat alios co[n]cordes reddere. Sed visum Domino est, (…)“ (BCor III, Nr. 257, 332, 3f). 123 In seinem Anfang November 1529 verfassten Gutachten über die 17 „Schwabacher Artikel“ schärft er den Lesern ein, bei „got allain“ soll „glawb, gaist vnnd was gutt ist gesucht werden“ (BDS 3, 458, 7f). Hat er den Eindruck, dass die „macht gottes“ (BDS 3, 458, 22) in der Relation Gott-Mensch eingeschränkt und menschliches Handeln überqualifiziert wird, legt er sein Veto ein: Im Verweis des 7. Artikels z. B., dass es neben dem „predigt ambt oder muntlich wort“ (457, 12) keine „annder mittl noch weyß, weder wege noch stege“ gebe, „den glauben zubekumen“ (457, 16-17), sieht er eine Begrenzung der „macht gottes“, die das Amt und Wort letztlich ähnlich sakralisiert wie die Altgläubigen die „hailligen“ und „gemelt“ (458, 22f). Schon Loofs (1906:878) urteilt im Zusammenhang mit Calvins theologischer Eigenart: „Auch bei Martin Butzer (..) spielt der 42 sein Programm der Einheit der reformatorischen Bewegung: Keine Kreatur - so im ersten Teil der Vorrede zum Evangelienkommentar - hat es in der Hand, dass andere die Wahrheit annehmen. Beides, das Zurückhalten - „differente suam doctrinam Deo“ - sowie die Verbreitung seiner Wahrheit ist alleine Gott reserviert. 124 Der Geist Gottes entfernt den Schleier bei denen, deren Sinn gerade verdunkelt ist.125 Gott tritt bei BUCER deutlich als Subjekt der Erkenntnis der Wahrheit hervor, woraus er im Umkehrschluss in seinem Brief vom 26. Januar 1530 folgern kann, „non nostrum esse veritatem nobis mutuo persuadere“ (BCor IV, Nr. 273, 12, 25). Versucht man diesen Sachverhalt zu interpretieren, kann man den Standpunkt des Straßburger Reformators mit Liebenberg (2003:43) folgendermaßen wiedergeben: „Es kann nicht Aufgabe der in ihrer Erkenntnisfähigkeit beschränkten Menschen sein, sich gegenseitig in die Wahrheit zu überführen. (…) Gott ist es vorbehalten, seiner Wahrheit Geltung zu verschaffen, wo und wann er will. Alle Menschen sind, wenn es um die Frage der Wahrheit geht, daher nur passive Empfänger.“ Diese Einsichten schließen für BUCER nicht aus, dass man sich über die für wahr befundenen Lehrstücke austauschen und gegenseitig belehren soll (vgl. BCor IV, Nr. 279, 40, 34f). Vergessen werden darf dabei jedoch nicht, dass wir vielleicht selbst dort irren, wo wir annehmen, dass es die anderen tun (42, 2f). Da wohl niemand von sich behaupten kann, gegen Irrtümer immun zu sein - „ab errore immunis est“ - (42, 5f), bleibt die aktive Rolle der Christen darauf beschränkt, um Erlösung vom Irrtum durch den Geist Christi zu bitten (44, 11 – 13). Auch hier gilt: Die eigenen Irrtümer sind in die Bitte selbstredend mit einzuschließen. BUCERS Ablehnung gegenüber dogmatischen Übereiferern, die vorschnell das Ganze der Wahrheit gefährdet sehen und unmittelbar den status confessionis ausrufen, hat hier ihren theologischen Ort. Zugespitzt formuliert nehmen jene in ihrem Eifer um ein Dogma den Platz ein, der nach BUCER nicht ihnen, sondern alleine Gott gebührt. Greifbar wird diese Form menschlicher Anmaßung dann, „wenn die um die Reinheit der Lehre besorgten Dogmatiker, wie er im Brief an Blaurer weiter ausführt, die ‚dilectionis officia‘, die Pflichten der Liebe gegenüber denjenigen elendiglich vernachlässigen, die anderer Meinung sind oder nicht vollständig mit ihnen übereinstimmen“ (Liebenberg 2003:43).126 Gerade an dieser Begriff der Ehre Gottes eine größere Rolle als bei den anderen älteren Reformatoren.“ 124 „Vt igitur in nullius creaturae manu erat, hanc illis ueritatem, differente suam doctrinam Deo, persuadere, ita nihil potuit circa eos fieri salubris, quam quod praecepit Paulus, nempe quod nihilominus fratres agnoscerentur et contentiosis disputationibus minime exagitarentur. Nihil siquidem aliud, si eos, qui saniores erant, disputationibus ursissent, nondum docente Deo, a quo doceri uniuersos oportet [vgl. Jes 54,13], quam noxiam contentionem peperisset“ (BCor IV, Nr. 279, 41, 29-35). 125 „(...) quam Spiritus Dei, quod ipsorum modo mentes obtegit uelamen, submouerit (...)“ (BCor IV, Nr. 279, 42, 13f). 126 „Expertus quoque sum in multis certe minimere abijciendis fratibus, dum nonnihil detritj sunt in aliquo dogmate, sic illud adamavere, sic putavere veritatis perspicuae, vt non quaent non persaepe dilectionis officia misere praeterire erga eos qui illis dissentiunt, aut non plane assentiunt“ (BCor VI, Nr. 273, 12, 18-21). 43 „Krankheit“ leiden beide Seiten; keiner steht es zu, die eigene Überzeugung uneingeschränkt als absolute Wahrheitsnorm der Gegenseite zu unterbreiten (vgl. BCor IV, Nr. 273, 12, 21f). Die Folgen der gegenseitigen Verwerfung sind überdeutlich: verletzende Polemik, Glaubensschwund und Parteienspaltung (12, 31 – 13, 2). Weiter zugespitzt: Nicht weniger als die Macht und Ehre Gottes - als zentrales theologisches Anliegen BUCERS - werden verletzt, wenn durch falschen Umgang mit dogmatischen Überzeugungen die Pflichten der Liebe missachtet werden. Diese Sichtweise ist noch durch eine weitere und vorerst letzte Einsicht BUCERS in dem vorliegenden Zeitraum zu ergänzen, seiner Vorstellung von einer göttlichen Offenbarungspädagogik und ihrem ethischen Ertrag127. Neben dem skizzierten Aspekt der theozentrischen Fundierung seines Ansatzes, der auf die Macht und Ehre Gottes drängt, leuchtet in seinem Brief an den Konstanzer Freund A. Blaurer noch eine weitere Komponente auf: die Überzeugung, dass kein Bereich der Wirklichkeit von Gottes providentiellem Wirken in der Geschichte getrennt werden kann. Verbissene Versuche, andere von der Wahrheit zu überzeugen, sind nicht nur aufgrund von Gottes unbedingter Macht (und menschlicher Ohnmacht), sondern auch wegen seines pädagogischen Vorgehens unangebracht. Der himmlische Vater habe es doch bisher immer so gehalten, das Seine nicht allen in gleicher Weise zu enthüllen.128 BUCER entdeckt hier eine göttliche Absicht, die auf ein Lernfeld in der Nachfolge Christi zielt: Je mehr jemand mit der himmlischen Weisheit beschenkt worden ist, desto mehr ist derjenige herausgefordert, dem Beispiel Christi folgend, sich den Unverständigen und Unerfahrenen anzupassen.129 Die Schlussfolgerung ist erlaubt (Liebenberg 2003:45): „Dogmatische Differenzen sind für Bucer (…) das Resultat einer göttlichen Offenbarungspädagogik, die dem Ziel dient, dass sich diejenigen, denen Gott mehr von seiner Wahrheit offenbart hat, in Demut denen gleichmachen, die an diesem Offenbarungsgeschehen noch nicht teilhaben. Der dem göttlichen Wirken zu verdankende Zuwachs an Wahrheit beinhaltet nach Bucer bei den Adressaten der göttlicher [sic!] Zuwendung also zugleich eine ethische Haltung, die auf dogmatische Besserwisserei oder gar Zwang verzichtet und die tatsächliche Pluralität dogmatischer Positionen in der Kirche als Ausdruck des göttlichen Wirkens in der Geschichte akzeptiert.“130 Neben der Schrift- und Väterauslegung bildet seine offenbarungspädagogische Fassung der 127 Zur ethischen Dimension von Bucers Theologie vgl. Müller 1965:132-142.256-259; Greschat 1978:86-92; Greschat 2009:70-73; de Kroon 1991:125-169; Gäumann 2001:173-256. 128 „(...) non nostrum esse veritatem nobis mutuo persuadere, et solium semper fuisse Patrem coelestem non pariter omnibus sua reuelare (…)“ (BCor IV, Nr. 273, 12, 25f). 129 „(...) quo Christi exemplo quisquam insipientibus et rudibus sese accomodet (…), tantoque id studiosius, quanto vera et coelesti sapientia fuerit donatus ampliore“ (BCor IV, Nr. 273, 12, 26-29). 130 Ähnlich votiert auch schon Bender (1975:155.159.179ff) für einen früheren Zeitraum (1523-1528). Hinzugefügt werden muss, dass dieser offenbarungstheologische Ansatz naturgemäß auch seine Grenzen hat, die von Bucer z. B. im Dialog mit den Altgläubigen in der Zeit vor dem Augsburger Reichstag immer wieder zur Sprache gebracht wurden (vgl. 2.2.2). 44 gubernatio mundi eine wichtige Legitimationsbasis in seiner Argumentation nach dem Marburger Religionsgespräch.131 Die Betonung liegt dabei auf der Erfüllung der „officia dilectionis“, mit anderen Worten auf dem Vorrang der Erfüllung der Pflichten der Liebe vor dem Geltendmachen von dogmatischen Wahrheitsansprüchen. Neuser (1998a:144f; vgl. auch :151) ergänzt noch eine interessante Beobachtung, die den vorliegenden Zeitraum betrifft und BUCERS rhetorisches Vermögen im Rahmen seiner Irenik unter Beweis stellt: Seine „Methode des Argumentierens bleibt sich stets gleich. Er führt zuerst Vorwürfe an, die Zwingli einerseits und Luther andererseits erheben, die den Gegner aber nicht oder nicht mehr treffen. Extremaussagen werden so zuerst ausgeschieden und Fehlinterpretationen richtig gestellt; das Feld der kontroversen Aussagen wird auf diese Weise eingeengt und die Parteien werden einander angenähert. In einem zweiten Schritt sucht er dann, die verbleibende Kluft zwischen beiden Standpunkten auszufüllen.“132 Nicht nur inhaltlich beachtenswert, sicher mit seiner ihm eigentümlichen Dialektik 133, sondern auch methodisch wegweisend hinsichtlich seiner Kommunikationsformen134 arbeitete der Straßburger Reformator an dem Programm der Einheit der reformatorischen Bewegung. Diese Bemühungen sollten einen vorläufigen Abschluss finden mit dem Resultat der Wittenberger Konkordie von 1536. 2.2.1.3 Wittenberger Konkordie (1532-1536) Im Anschluss an die Unionsbemühungen im Rahmen der Vorstellung der „Confessio Tetrapolitana“ verliert BUCER mit ZWINGLI einen seiner langjährigen und bedeutendsten 131 Ohne Frage argumentiert Bucer an erster Stelle mit der Schrift, um dem in der Vorrede zum Evangelienkommentar angeführten Gegenargument zu seiner Konzeption, der Glaube dürfe eben nicht durch die Liebe beleidigt werden, zu begegnen (vgl. BCor IV, Nr. 279, 54, 7ff). Des Weiteren verweist er unermüdlich auf das Beispiel Christi im Umgang mit den Schwachen, das es anzusehen und dem zu folgen gelte (vgl. 54, 10-17; Nr. 273, 12, 26f u. passim). 132 Neuser (1998a:160) führt weiter - thetisch - aus: a) „Bucer zitiert die Gesprächsteilnehmer immer richtig und genau; die Angaben sind leicht zu verifizieren. Der Editor kann sich auf seine Angaben verlassen.“ b) „Bucer ist ein klarer Denker und scharfer Beobachter. Er registriert genau, wo die Vertreter beider Parteien ihre Position verändern und neue Formulierungen gebrauchen. Diese Formeln versucht er so zu interpretieren, daß sich eine Annäherung der unterschiedlichen Positionen ergibt. Die Verfasser der Formeln protestieren nie gegn (sic!) Bucers Deutung. Ihr Argument ist immer nur, daß die Annäherung nicht genügt (Luther), oder sie nicht tragfähig ist (Zwingli)“ (Hervorhebung von mir). c) „Seine Methode des Ausschließens der beiderseitigen Extrempositionen (…) ist sachlich gerechtfertigt. Damit baut er sozusagen die Brückenköpfe auf beiden Seiten des trennenden Stromes. Der beide Seiten verbindende Mittelteil der Brücke (…) ist umstritten und scheiterte.“ 133 „Einem wendigeren Debattierer – um nicht zu sagen, einem begabteren Sophisten – bin ich mein Lebtag nicht begegnet“, schreibt Bucers Widersacher Anton Engelbrecht in seinem Rückblick auf die synodalen Debatten im Juni 1533 in Straßburg (zit. nach de Kroon 1991:238). Diese Charakterisierung ist wohl weniger als Kompliment aufzufassen. 134 Bucer hat einen Dialog über den Dialog verfasst (BDS 6/2, 56-60), um „Spielregeln“ für eine fruchttragende Debatte aufzustellen (vgl. de Kroon 1991:237-240); zur frühneuzeitlichen Dialogkultur - meist unter propagandistischen Gesichtspunkten -, die in der Renaissance zu neuem Leben erweckt wurde, vgl. Könneker 1975:90-109.148-157 (s. zum „Gesprächbüchlin“ Ulrich v. Huttens, an dem Bucer mitwirkte :90-100; vgl. auch Walz 1988:85-93, bes. 89f); Cramer 2000:167-173; Dröse 2004:219-222 („Reformationsdialog“). 45 Weggefährten.135 Nach dieser sehr schmerzvollen Erfahrung kam es erst gegen Ende des Jahres 1531 wieder zu erneuten Anläufen in Richtung einer gemeinsamen Konkordie. ZWINGLI fürchtete wohl zunehmend, den Wittenbergern durch die BUCER’SCHE Begrifflichkeit letztendlich vollkommen nachgeben zu müssen. Die besagte Konkordie konnte daher nicht auf schweizerische Unterstützung hoffen, auch wenn BUCER dies bis zuletzt erhoffte.136 MELANCHTHON hingegen, zu dem es durch die Begegnungen auf und seit dem Augsburger Reichstag zu einer Annäherung gekommen war, zeigte sich nunmehr bereit, über eine theologische Verständigung der Parteien intensiver nachzudenken. 137 Die literarische - äußerst bewegte - Vorgeschichte im Detail nachzuzeichnen ist nicht Aufgabe dieser Studie (Anerkennung der CA durch Bucer in Schweinfurt, Stuttgarter Konkordie von 1534 usw.), 138 eine Betrachtung der politischen Großwetterlage - „Schmalkaldischer Bund“ - ebenso wenig139. Beachtung verdient jedoch die Entwicklung BUCERS in diesen Jahren.140 Die 135 Im Februar 1531 traten die Unterschiede in der Abendmahlsauffassung beider Reformatoren nun endgültig in den Vordergrund: Zwingli warf Bucer die Verschleierung der harten Fakten durch seine gebrauchten Formeln vor und damit verbundenen die Gefahr, das einfache Volk nun vollends zu verwirren (ZW 11, 341, 21 – 342, 21); ein altbekannter Vorwurf, der bis dato vornehmlich von luth. Seite kam. Besonders hart trifft Bucer die Tatsache, dass Zwingli so weit geht und ihm jede Redlichkeit, letztlich sogar den Glauben abspricht (ZW 11, 344, 3-10; vgl. Anrich 1914:56f; Köhler 1953:267f; Hazlett 1975:356f). Zukünftig will Bucer den Züricher nicht mehr wegen der Konkordie bemühen, warnt ihn aber zugleich vor der Verteidigung eines Irrtums (ZW 11, 345, 15-18). Friedrich (2002:84) weist darauf hin, dass im Frühjahr 1531 der Briefwechsel zwischen Bucer und Zwingli rapide abnimmt; von der umstrittenen Thematik ist in den vorhandenen Briefen plötzlich keine Rede mehr. 136 Köhler (1953:302) skizziert treffend, wenn auch unter den Bedingungen seiner Bucer-Interpretation: „Es gehörte ein schier unüberwindlicher Optimismus, ein heißes Verlangen nach Einheit unter allen Umständen, auch ein starkes Vertrauen auf die diplomatische Kunst des Formelschmiedens dazu, nach allen diesen Vorkommnissen noch auf die Schweizer zu rechnen. Bucer besaß den Mut dazu, trotz allem.“ 137 Kantzenbach (1957:100) formuliert: „Im April 1531 legte Melanchthon einen großen Schritt zur Realisierung evangelischer Kircheneinheit zurück. Er gab Bucer seine Hoffnung zu erkennen, daß eine wahre und dauerhafte Union zwischen ihnen zustande kommen könne. Hier ist der Einsatzpunkt für die Geschichte der Abendmahlskonkordienverhandlungen“. Ergänzt werden muss, dass Bucer schon seit 1525 Wesentliches für eine Konkordie geleistet hatte. Das Verhältnis zwischen Bucer und Melanchthon wurde zunehmend inniger (was der junge Wittenberger Professor lange vor Luther zu verbergen vermochte), so dass Krafft (1878:43) im Rückblick auf die Wittenberger Konkordie formulieren kann, „Butzer [habe] durch seine Kämpfe bereits eine große Eroberung für seine vermittelnde Richtung an Melanchthon gemacht, der auf seine Seite getreten war.“ 138 Vgl. hierzu in nuce Friedrich 1993:262f u. ausführlich Friedrich 2002:87-117. 139 Vgl. neuerdings Seebaß 2006:190ff. 140 An dieser Stelle soll nur auf die Entwicklung des Gedankens der „manducatio indignorum“ hingewiesen werden (zur Diskussion, ob diese ihren Anfang mit dem Zephaniakommentar von 1528 nahm, vgl. Köhler 1924:516-518.751f; Krüger 1970:209-222; Hazlett 1975:187-197.263; Friedrich 2003:52f; eine erste Differenzierung - „indigni“ sind noch mit unvollkommenen Glauben ausgestattet, aber von daher nicht unwillkommen an dem Tisch des Herrn - bietet Bucer in seiner „Defensio adversus axioma catholicum“ von 1534, H 7b – H 8b). Bucer konnte im Rahmen der Wittenberger Konkordie schlussendlich zugestehen – nach einem Vorschlag von Bugenhagen, dass die „indigni“ in Übereinstimmung mit dem Neuen Testament (1. Kor 11,29) tatsächlich Leib und Blut Christi genießen. Allerdings nicht die „impii“, worüber die Wittenberger Fraktion kein weiteres Aufsehen mehr machen wollte (vgl. BDS 6/1, 154, 1ff), ließ die Formel doch ihre Interpretation - indigni sind letztlich impii - zu (vgl. hierzu Sasse 1979:70f.73, der gut luth. etwas spitz Bucers Distinktionen anzukreiden weiß). Daneben war der wichtigste Neuansatz Bucers christologische Neuausrichtung: Christus „ipse“ ist im Abendmahl wahrhaft gegenwärtig durch den Heiligen Geist, „non tantum Deus, sed ut homo“ (Zephaniakommentar, f o 5 vo). Inwieweit hier Bucer zwischen Person- und Menschsein Christi gegenüber seinem Leib trennt, muss offen bleiben, da er nicht näher darauf eingeht. Entscheidend ist die Neuakzentuierung der geistlichen Realpräsenz in Form einer Personalisierung und die weitreichende Tatsache, dass Bucer hier erstmals und dabei deutlich Abstand nimmt von der Christologie Zwinglis (vgl. Friedrich 46 einschneidende Veränderung und Modifizierung seiner Abendmahlsposition, die ihm zum Vorwurf gemacht wurden, passten doch allzu gut in das stereotype Bild vom geschmeidigen Vermittler.141 Dem konnte jener nur entgegnen: „Quid inconstantiae sit, proficere in scientia salutis?“ (Bedeutet ein Fortschreiten in der Erkenntnis des Heils vielleicht ein Mangel an Standfestigkeit?), so in seiner Widmung der dritten Auflage des Evangelienkommentars von 1536 an Edward Fox, Bischof von Hereford (de Kroon 1991:240; Greschat 2009:292, Anm. 14). Eine Korrektur eigener Überzeugungen vorzunehmen, bedeute keine Schande als Christ, auch wenn er dies - wie er in seinen „Retractationes“ (in dt. Übersetzung von ihm selbst s. BDS 6/1, 300-388) eingesteht - erst mithilfe der nötigen Selbstkritik und unter Schuldgefühlen erlernen musste.142 BUCER „beichtet“ (311, 16f)143 viel zu spät den Austausch mit LUTHER gesucht zu haben; er habe zu wenig Zeit investiert, den Wittenberger und sein Anliegen wirklich zu verstehen. Gleiches gelte auch für seine Haltung gegenüber ZWINGLI und ÖKOLAMPAD (311, 1ff). Wäre er hier sorgfältiger vorgegangen und hätte auf die Weise die „so unaussprechlichen Ärgernisse“ vermieden, hätte er allein deshalb schon dem Herren nicht vergebens gelebt (311, 7ff), denn: Der Gerechte klagt sich selbst zuerst an, nicht andere (311, 17f). Die Wittenberger Konkordie144 (BDS 6/1, 120-134; vgl. auch Bizer 1962:117ff; KTGQ, 2002:55f). 141 Selbst vertraute Weggefährten, wie die Geschwister Blaurer aus Konstanz u. a., konnten diesen Wechsel nicht ohne weiteres nachvollziehen, eine ausgedehnte Korrespondenz voller Erklärungen und Rechtfertigungen folgte dem nach; vgl. Friedrich 2002:107ff. 142 Augustinus dient ihm hier als Vorbild, der in seinen „Retractationis“ dasselbe getan habe (vgl. „In sacra quatuor Evangelica Ennarrationis perpetuae“ von 1536, 7b – Widmung). 143 „Diß wille und solle ich frey beichten und bekennen“. Ein Bekenntnis der Straßburger (von Bucer wiedergegeben; vgl. BDS 6/1, 135f) in Form eines Widerrufes findet sich im Zusammenhang mit den Verhandlungen um den Abendmahlsartikel der Wittenberger Konkordie: „Bekennen darbey, das wir solche gegenwürthigkeit wol nit alwegen so völlig ausgetruckt, auch ihre wort, mit denen sie die gegenwürthigkeit im abendmal dargegeben, nicht recht verstanden hetten (…) Aber nun lengst hette er sampt seinen bru edern zu Straßburg die selbigen reden besser vernomen vnd sich dann beflissen zum ho echsten nun in das achtest jar, auch andere zu solchem verstand zu bringen.“ (BDS 6/1, 151, 3-13). 144 Zur Frage, ob und inwieweit es sich bei der Wittenberger Konkordie um ein Unionsdokument im strengen Wortsinn handelt oder nur um eine „Scheinkonkordie“ (Köhler 1953:449), vgl. Sasse 1979:68f u. Köhler 1953:453f: „Zunächst ist sie formell überhaupt keine ‚Konkordie‘, d. h. eine Übereinkunft, zu der beide Teile sich bekennen. Es handelt sich nicht, wie in Marburg um Artikel, in denen die Unterzeichner ‚sich verglichen‘ (…), vielmehr referiert die Urkunde wie der resumierende Präsident einer Sitzung mit ‚wir haben gehört‘ etc. nur über die Meinung der Oberländer. Sie erscheinen also als die zur feststehenden Meinung der Lutheraner Hinzutretenden. Daß sie damit Früheres widerrufen, ist nicht gesagt, auch nicht implicite, aber sie haben jetzt die rechte Einsicht gewonnen, die die Lutheraner bereits hatten. Die ‚beständige Konkordie‘, die ‚mit guter Hoffnung‘ am Schlusse der Urkunde erwartet wird, ist also Anschluß an, oder noch deutlicher: Unterwerfung unter die Lutheraner“; Dagegen sieht Bizer (1962:127) sie als „echte“ Konkordienformel (ebenso Greschat 2009:160) heutigen Typs: „Das Konkordienwerk von 1536 beruhte nicht auf einem gegenseitigen Mißverständnis. Dies anzunehmen hieße die vorausgegangene Arbeit allzu leicht nehmen und Luthers Gewissenhaftigkeit in dieser Sache gewaltig unterschätzen. Es handelt sich vielmehr um eine Einigung bei klar gesehenen Differenzen.“; Hauschild (1999:392) titelt die sog. Wittenberger Konkordie und bezeichnet sie dem Inhalt nach als Kompromiss und „in der Form keine Konkordie, d.h. keine gemeinsame Lehraussage.“; Nach Friedrich (2002:122f) handelt es sich - historisch präzise - um eine „vorläufige Konkordie“, da die endgültige Annahme durch die Obrigkeiten und Prediger, vor allem des süddeutschen (und schweizerischen) Raumes noch ausstand; Der Landgraf Philipp von Hessen sah sie zeitlebens als Konkordie an und wollte noch in seinem Testament 1556 seine Nachfolger auf diese Formel hingewiesen haben (Stupperich 1962:65); zur unmittelbaren 47 Bd. 3, Nr. 49)145 als historisches Dokument und Zielpunkt der mühsamen, jahrelangen Verhandlungen darf nicht zu gering eingeschätzt werden. Friedrich (1993:263) weist zu Recht darauf hin: „Welche Konsenspapiere hinsichtlich der Abendmahlsfrage man heute auch zur Hand nimmt (die Leuenberger Konkordie, das Herrenmahls-Dokument oder das Limapapier seien als Beispiele seit 1945 genannt), sie zeigen allesamt die formalen Grundstrukturen und Prinzipien, wie sie schon in Wittenberg 1536 zutage traten: Wichtig ist das kontinuierliche Gespräch zwischen den konfessionsverschiedenen Kirchen, die Bereitschaft zur Einheit zu kommen und grundlegende Formulierungen auszuarbeiten, welche die Möglichkeit für eine Einigung beinhalten.“146 Eine sachgemäße Interpretation der Wittenberger Konkordie muss unter Berücksichtigung der „Conciliationes“ aus BUCERS Kommentar zum Römerbrief von 1536 geschehen (de Kroon 1991:236), die für das Anliegen der vorliegenden Studie von Bedeutung sind. 147 Bemerkenswert ist: Wie schon im Psalmenkommentar von 1529 im Vorfeld des Marburger Religionsgespräches, so fehlt auch in diesem Werk vor den Konkordienverhandlungen von Wittenberg jegliche polemische Äußerung zum geplanten Treffen (so Friedrich 2002:117 im Rückgriff auf Bernard Roussel 1970. Martin Bucer: Lecteur de L’Epítre aux Romains. Dissertation Univ. Straßburg, 23-36).148 BUCERS Unionswille tritt einmal mehr zu Tage, der Aufbau des Kommentars unterstreicht diese Tatsache (vgl. de Kroon 1984:71). Die einzelnen „sectiones“ sind folgendermaßen - wenn man so will irenisch - gegliedert: metaphrasis, expositio, interpretatio, observatio, conciliatio und quaestio. In einer „Conciliatio“, die sich jeweils mit der Vereinigung o. a. Versöhnung (conciliare) von scheinbar unüberwindlichen Wirkungsgeschichte vgl. Friedrich 2002:140f; Die Beurteilung dieses Dokuments ist wohl zu allen Zeiten wesentlich abhängig vom konfessionellen Standpunkt des jeweiligen Theologen. 145 Ebenso in CR 3, 75-77 enthalten, da Melanchthon auf Wunsch von beiden Seiten die Endfassung besorgt hat; der Abendmahlsartikel - Solida Declaratio VII, 13-16 - hat Aufnahme gefunden in das Konkordienwerk (BSLK 1986:977f). 146 Friedrich (2002:124) führt weiter aus: „Die Wittenberger Konkordie wollte ja nicht ein unumstößliches Dogma für alle kommende Zeit sein, sondern die Grundlage für weitere Gespräche, Basis für weitere bessere Formulierungen. Die vorliegende Formel war zwar in sich zweideutig und konnte verschieden interpretiert werden, aber trotzdem darf der historische Wert der Wittenberger Konkordie ohne Zweifel festgehalten werden. (…) Selbstverständlich haben alle Konsensformulierungen ihre Schwäche und beinhalten Zweideutigkeiten, die zu kontroversen Diskussionen und Interpretationen führen. Aber entscheidend sind doch solche Versuche, in der bis heute strittigen Abendmahlsfrage zur Einigung zu kommen, auch wenn Formulierungen dabei umgestoßen, verbessert oder ergänzt werden müssen. Der Eckstein des innerprotestantischen und interkonfessionellen Abendmahlsdialogs wurde bereits in Wittenberg 1536 gelegt, es zieht sich ein roter Faden von Marburg 1529 über Wittenberg 1536, Arnoldshain 1957 bis Leuenberg 1973 (selbst bis in die Aussagen hinein) und die ökumenischen Kolloquien und Konsenspapiere unserer Tage.“ 147 Vgl. zu den politischen Vorbedingungen, den kirchenhistorischen (und anekdotenhaften) Ereignissen in Wittenberg, Luthers Zurückhaltung/Krankheit bei den Verhandlungen usw., und vor allem der entfalteten Abendmahlstheologie, der hier nicht weiter nachgegangen werden soll, Tschakert [1910] 1979:261-263; Bizer 1962:96-117; Sasse 1979:68-77; Friedrich 2002:118-127; Greschat 2009:153-161. 148 Backus (1990:173) sieht in diesem unpolemischen Verhalten die eigentliche Veränderung im Jahr 1536, nicht zwangsläufig in einer grundsätzlichen Modifizierung von Bucers Theologie, was sie exemplarisch anhand der Bucer-Exegese von Joh 6,52 ausführt. 48 Gegensätzen beschäftigt,149 steht die Rechtfertigungslehre, insbesondere die Kardinalfrage150 nach dem Verhältnis von rechtem Glauben und guten Werken zur Diskussion (vgl. hierzu die Einführung von de Kroon 1991:59-75) - dazu später mehr im Zusammenhang mit den Religionsgesprächen mit den Altgläubigen (unter 2.2.2.2). BUCERS Zielpunkt in seiner gesamten Argumentation ist kurzgefasst der Gedanke, dass die Rechtfertigung allein aus Glauben als Basis zur Wiedervereinigung der Kirchen dienen kann und soll (vgl. Friedrich 2002:117). Alle anderen kirchlichen Zeremonien und Riten sind dieser unterzuordnen, mit anderen Worten auch das Abendmahl, trotz seiner hohen Bedeutung. Wiederum verweist BUCER auf sein Verständnis des Abendmahlsstreites, der eher ein „Wettkampf“ um Worte als um die Sache selbst sei.151 Es komme einzig darauf an, den Sinn des Mahles richtig zu erfassen.152 Der Grundgedanke, die Einheit auf der Basis der Rechtfertigungslehre wiederherzustellen, erscheint dem Kirchenpolitiker dabei keineswegs als unrealistisch, 153 berücksichtigt man zudem noch die fragile Lage des deutschen Katholizismus zu jener Zeit, die eine „Wiedervereinigung“ politisch denkbar machte (vgl. Gäumann 2001:449). In Summe: Ungeachtet der Tatsache, dass alle Konsensformulierungen naturgemäß Schwachstellen aufweisen und zu Zweideutigkeiten einladen, darf doch der Versuch, eine Einigung bis in die dogmatische Sphäre hinein zu erzielen, nicht von vorneherein als Utopie verworfen werden. Mit der Wittenberger Konkordie, ihrer Geschichte und schlussendlich ihrer Gestalt, liegt ein Beispiel von bleibender Bedeutung für diesen Sachverhalt vor. De Kroon (1991:236) wagt sogar die Feststellung: „Die Konkordienbemühungen und das Wittenberger Ergebnis von 1536 veranschaulichen auf treffliche Weise den - wenn das Wortspiel erlaubt ist - ‚konziliaren Prozeß‘, der seine Theologie wie seine Persönlichkeit überhaupt durchdringt.“ Rouse und Neill (1963:64) formulieren zugespitzt: „Dieses Übereinkommen ist mehr eine diplomatische als eine theologische Leistung. Aber 149 „consonatiam quae illis est et consensum patefacere studui“ (so im Widmungsschreiben an Erzbischof Thomas Cranmer vom 25. März 1536, S. 4). 150 Bucer ist sich dessen bewusst, wenn er zur Rechtfertigung seiner doch etwas länger geratenen Ausführungen beschließt: „Aber diese Sache beschäftigt die ganze Welt und belastet sie so, daß sie nicht mit wenigen Worten abgetan werden kann.“ („M. Bucer, Metaphrases et enarrationes … Tomus primus. Continens metaphrasin et enarrationem in Epistolam ad Romanos“, 118b; Übers. nach de Kroon 1991:103). 151 „Cumque praeterea hodie praecipua sane religionis nostrae dogmata, ita vlciscente Deo neglectum verbi sui, perniciose controuertuntur et in quaestionis pertrahuntur, cum tamen plaerunque magis in verbis quam re ipsa certamen sit, ...“ (Widmungsschreiben an Cranmer, S. 4). 152 „Etiam condemnantibus vel absoluentibus, a veritate tam alienati non sumus, quin velimus nolimus assentiri illi oporteat, si sua modo veste, suo cultu conspicienda offeratur“ (Widmungsschreiben an Cranmer, S. 4). Zu den Sakramenten äußert sich Bucer in einem weit ausholenden Abschnitt unter dem Titel: „Quastio quae sit ratio, et quis usus ceremoniorum in Ecclesia Dei“ nur in sehr allgemeiner Form; dabei verbleibt er in den Bahnen früherer Darlegungen, beachtet man die nachhaltige Akzentverschiebung von Zwinglis zu Luthers Auffassungen (vgl. Friedrich 2002:117). 153 Zum Begriff der „epieikeia“ (lat.: „aequitas“), der für Bucer in diesem Zusammenhang eine große Rolle spielt, vgl. de Kroon 1984:70-78 (Es handelt sich um einen juristischen Fachausdruck, die sog. „Billigkeit“, mit dem „die Modifikation einer gegebenen Rechtsregel zum Zweck ihrer vernünftigen Anpassung an den konkreten Fall“, bezeichnet wird; Wingren 1980:642). 49 wer will sagen, daß das keine christliche Diplomatie ist, die nach einer Sprache der Übereinstimmung sucht, wo uns keine genaue Definition gelingt? (…) Luthers Wort ‚Wir wollen nicht streiten‘ zeigt, daß er den Geist Bucers erfaßt hatte.“ Auch, wenn er später diesen Geist wieder zurechtweisen musste, wegen aus seiner Sicht zu unklarer Aussagen im Zusammenhang mit dem „Kölner Reformationsversuch“ (vgl. 2.2.2.3). Trotz der nicht ausgeräumten theologischen Differenzen (Ubiquitätslehre, Prädestinationslehre u. a.) „war die Wittenberger Konkordie ein verheissungsvoller Kompromiss, der die Einheit des deutschen Protestantismus begründete und ein europaweites, evangelisches Einvernehmen hätte einleiten können“ (Gäumann 2001:446).154 Unerwähnt bleiben dürfen jedoch nicht die „Machenschaften“ BUCERS im Zusammenhang mit dem Versuch, eine Zustimmung der Schweizer Seite zur Wittenberger Konkordie im Nachhinein noch zu erzielen. Nachdem jener es schon im Vorfeld verstand, in den lateinischen Text der Abendmahlsartikel der „Confessio Helvetica prior“ vom Februar/März 1536 luth. Wendungen einzubringen (Friedrich 2002:115), griff der Straßburger nun zu ähnlichen Mitteln - die Erinnerung an die Übersetzungsaffären im frühen Abendmahlsstreit (vgl. 2.2.1.1) werden unweigerlich wachgerufen. LUTHER verlangte mit der Annahme der Konkordie einen Widerruf der bisherigen schweizerischen Anschauungen (Bizer 1962:99.145). Diese Bedingung verheimlichte BUCER schlichtweg und suggerierte stattdessen eine Übereinstimmung mit der „Confessio Helvetica prior“ (:149.172). Unter dieser falschen Voraussetzung kam es dann nach langen Verhandlungen am 14. November 1536 zu einem Antwortschreiben an LUTHER, mit dem die „Annahme der Konkordie nach Maßgabe der Schweizer Konfession und der bisherigen Lehre“ bekundet wurde (:172). Ein Schreiben vom 19. Januar 1537 der Straßburger an LUTHER erklärt: Man habe die Schweizer aus taktischen Gründen in dem Glauben gelassen, mit der Annahme der Konkordie in Kontinuität zu ihren bisherigen Bekenntnissen zu stehen (:180-185). Es verwundert kaum, dass mit dem Bekanntwerden des Briefes BUCER nicht länger als „ehrlicher Makler“ (:185) unter den Schweizern anerkannt wurde (:201). Die unmittelbare Wirkungsgeschichte der vorläufigen Konkordie, was die Schweizer Seite betraf, war demnach vorgezeichnet: Der endgültige Bruch zwischen Zwinglianismus und Luthertum war nicht länger aufzuhalten (vgl. Friedrich 2002:127-144; Greschat 2009:161-164). Die oberdeutschen Städte (bis auf Konstanz) nahmen sie jedoch an. BUCERS Blick weitete sich in dieser Zeit sogar noch aus, entgegen dem Partikularismus und Sektierertum mancher Zeitgenossen: „Spätestens in diesen Jahren entwickelte Bucer vollends ein europäisches Bewusstsein“ (Greschat 2009:163, vgl. auch : 101). 154 Hervorhebung von mir. 50 2.2.1.4 Zusammenfassung und Auswertung Die Frage nach Martin Bucers Position im Abendmahlsstreit und damit verbunden die Frage nach seinen Leitmotiven, insbesondere denjenigen dogmatischer Natur, sind nicht vorschnell zu beantworten. Auffällig ist zunächst, was die frühe Phase betrifft, das relativ geringe theologische Interesse BUCERS an den für die Gegner essentiellen Fragen im Abendmahlsstreit. Die Frage darf sogar gestellt werden, ob es von Seiten des Straßburgers jemals ein echtes Interesse an der genaueren Wesensbestimmung der Elemente gab (vgl. Kittelson 1973:175). Nun aber, um dies zu klären vor allem politisch-lokale Gründe (Köhler 1924:208-209) oder letztlich Unausgeglichenheit in der Sache in Tradition des ERASMUS (Lang [1900] 1972:248; Krüger 1970:224) anzunehmen, greift deutlich zu kurz. Man kann vielmehr von einer komplexen Entwicklung sprechen, die genuin theologische Überzeugungen mit einschließt: Zunächst tritt BUCERS Verständnis von LUTHERS Position in seiner frühen Schrift von 1519, dem „Abendmahlssermon“, hervor. Mit dem Schwerpunkt auf der „communio sanctorum“, mit anderen Worten der ekklesiologischen Funktion des Abendmahles und weniger der Frage nach den Modalitäten der Realpräsenz Christi, fand der Straßburger hier einen Ansatz, der für ihn bleibende Bedeutung haben sollte (Kittelson 1973:178f; Hammann 1989:37f.61). 155 Die davon abweichende Entwicklung LUTHERS, die schon seit 1523 immer deutlicher hervortrat, wurde von BUCER zu Beginn nicht wirklich wahrgenommen (:170f), oder anders formuliert, in seine Interpretation der Abendmahlsworte eingeordnet. Vergessen werden darf auch nicht, dass BUCER, wie viele andere, als Konvertit zur reformatorischen Bewegung stieß und nur den öffentlichen LUTHER kannte, sprich den LUTHER seiner Schriften und Werke, die publiziert und zugänglich waren (:179). Eine persönliche Begegnung samt Austausch fand erst im Verlauf des Streites statt. Unter Umständen wäre es äußerst reizvoll, eine Geschichte des Abendmahlsstreites zu skizzieren, in deren Mittelpunkt das spannungsvolle Mit- und Gegeneinander - Sach- und Beziehungsebene - des Straßburgers und Wittenbergers als zentrales Motiv stünde.156 Verkürzt wäre nun die Vorstellung, dass BUCER letztlich aus theologischer Unwissenheit gehandelt habe, vielmehr muss man ihm eine gewisse Eigenständigkeit neben (nicht nur zwischen) LUTHER und ZWINGLI attestieren, dazu im Folgenden mehr. Unabhängig davon sind religionspolitische Motive, insbesondere die Lage Straßburgs, geltend zu machen. Das 155 Bucer betont dementsprechend schon früh den Gemeinschaftsaspekt der Mahlfeier in seinem Traktat zur Sache: „De Caena Dominica“ von 1524 (vgl. BOL 1, 15-58). 156 Kaufmann (1993:251) urteilt: „Die Vorstellung, er (sc. Bucer) könne in einer anderen Kirche als Luther sein, eine Vorstellung, die sich zumal im Zuge von Luthers letzter maßgeblicher Äußerung zur Sache, seinem ‚Bekenntnis‘ von 1528, als ernstzunehmende Möglichkeit abzuzeichnen begann, war Bucer ganz unerträglich. Insofern litt Bucer unter der Differenz mit Luther, obschon er von dem sachlichen Recht seines Widerspruchs tief überzeugt war.“ 51 Wechselspiel zwischen CAPITO und BUCER, aus dem diplomatisches Agieren und eine gewisse Verschleierung der Fakten hervorgingen, zumindest was die frühe Phase betrifft, kann dabei nicht geleugnet werden.157 Obwohl Kaufmann (1993:250f), der darauf beharrlich insistiert, damit BUCERS Züge als nicht immer ehrlicher Mittler herausstellt, sieht auch jener ihn nicht nur als Diplomat, sondern auch als Theologen und in gewisser Hinsicht sogar als „Ökumeniker“ (vgl. 2.2.3). Als Exeget158 und Bibeltheologe arbeitete BUCER in seiner „Apologia“ von 1526 heraus, worin nach seiner Auffassung der tiefere Grund für die Behauptung, es handle sich nur um einen Wortstreit, besteht: Das „est“ fehlt im aramäischen Urtext, die Debatte könne sich also nur darum drehen, wie die Begriffe „Leib und Blut“ zu verstehen sind (er übersetzt konsequent: „Das mein Leib, das mein Blut“). Eine Vertiefung hat diese Erkenntnis nicht erfahren. Kurz skizzieren lässt sich seine Abendmahlsauffassung folgendermaßen (vgl. Hammann 1989:175-191; Friedrich 2002:125f; 2003:64f): Der Straßburger Reformator geht von einer wahrhaften Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi mit und unter (allerdings nicht in) den Elementen Brot und Wein aus (kein „Deus impanatus“). Die Verbindung bleibt aber im erasmischen Sinne „in mysterio et sacramento“. Die entscheidende Wie-Frage der realpräsentischen Auffassung wird ausgeklammert, um einer leiblich-materiellen Deutung dem möglichen Missverständnis einer „Res-Präsenz“ - zu entgehen. Zentral ist für sein Konzept, dass sich der „totus Christus“ im Abendmahl den Gläubigen gibt: In der realen Gabe von Leib und Blut schenkt sich Christus in seiner ganzen Identität seinen Jüngern und ist damit unter den Zeichen beim Abendmahlsempfang wirklich präsent. BUCER denkt also eher in den Kategorien einer „Personalpräsenz“. Eine Auffassung, die für moderne Exegese und Dogmatik im 20. Jahrhundert von Bedeutung wurde, insbesondere das ökumenische Gespräch bereicherte.159 Neben der Deutung der „verba testamenti“ richtete er sein Augenmerk vor 157 Greschat (2009:154) führt aus: „Dass Bucer sich dabei [sc. Verhandlungen um Wittenberger Konkordie] folgerichtig auf die Ebene vielfältiger Formeln und Deutungen begab, ist ihm schon damals häufig als Ausdruck innerer Unwahrhaftigkeit angekreidet worden. Bei diesem Urteil wurde und wird in der Regel übersehen, dass Bucer von Anfang an die Überzeugung hegte, man sei im Wesentlichen und Entscheidenden einig und rede lediglich in Randfragen aneinander vorbei.“ 158 Greschat (2009:100) skizziert: „Dem Exegeten Bucer ging es vor allem um die möglichst eindeutige Herausarbeitung dessen, was der jeweilige biblische Autor hatte sagen wollen. Die Voraussetzung dafür war das Verständnis des Urtextes. Bucer beherrschte nicht nur die griechische Sprache, sondern war auch ein vorzüglicher Hebraist.“ 159 Neuerdings hat Swarat (2005:131-148) als baptistischer Theologe auf die ökumenische Bedeutung des „Consensus Tigurinus“ von 1549 hingewiesen. Calvin als „Schüler“ Bucers (s. u. S. 86ff) und Bullinger erzielen hier eine Einigung, die Luther und Zwingli noch verwehrt war - bei den Vorverhandlungen in Zürich (28. April bis 3. Mai 1538) war Bucer samt Calvin persönlich zugegen (Bizer 1962:219-222). Luther kann sogar im Blick auf die lat. Übersetzung von Calvins kleinem Traktat zum Abendmahl, dessen theologiegeschichtlicher Hintergrund die Schweizer Konkordienverhandlungen sind, urteilen: „Er ist gewiss ein gelehrter vnnd frommer Mann/dem hette ich anfänglich wol dörffen die gantze Sache von diesem Streit heimstellen/Ich bekenne meinen theil/wenn das Gegentheil [sc. Zwingli, Oecolampad] dergleichen gethan hette/weren wir bald anfangs vertragen worden“ (so wiedergegeben von dem Bremer Philippisten Christoph Pezel; zit. nach Busch 2005:129, der in dieser Reaktion des alten Luthers einen Anstoß für Calvin entdeckt, die Verhandlungen bis zur „Zürcher Übereinkunft“ voranzutreiben; vgl. Bizer 1962:246). Im Anschluss an U. Kühn vertritt Swarat eine 52 allem auf die ethischen Konsequenzen, die mit dem Abendmahlsempfang für die Gläubigen verbunden sind. Die Kombination von Humanismus und Reformation und damit die gegenseitige Durchdringung von Lehre und Leben in BUCERS Anschauungswelt tritt damit sichtbar hervor. Die Betonung der Frage nach der „manducatio indignorum“ hat hier ihren Ort. Im Zentrum der BUCER’SCHEN Einigungsbemühungen im Abendmahlsstreit steht die Vermeidung von Extrempositionen: Die Zwinglianer lehrten für ihn mehr als dass nur Brot und Wein im Abendmahl gegenwärtig seien, die Lutheraner verstanden dagegen nach seiner Ansicht die Elemente nicht bloß stofflich-dinglich. Als logisch und konsequent von ihrer Warte aus betrachtete BUCER die beiden Postionen, da sie nur vor Irrwegen schützen wollten und im Kern keine Widersprüche darstellen würden.160 Ob der Versuch in dieser Weise LUTHERS Formel der „unio sacramentalis“ und ZWINGLIS „contemplatione fidei“ in Einklang bringen zu wollen, nicht zu kurz greift, darf gefragt werden. BUCER konnte in diesem Zusammenhang so weit gehen und - salopp formuliert - behaupten: Das „bisschen Uneinigkeit“ von Marburg wäre bei mehr Verhandlungsgeschick zu beheben gewesen (vgl. BCor IV, Nr. 317, 153, 27-155, 23).161 Die vorhandenen Unterschiede in der Christologie162 machten die unterschiedlichen Akzentuierungen in der Abendmahlsfrage für LUTHER und ZWINGLI letztlich zu mehr als einen „Streit um Worte“ 163. Dies verkannte BUCER, womit seine Methode der Ausscheidung von Extrempositionen und der gegenseitigen sachlichen Annäherung m. E. nicht ad absurdum geführt wird. realsymbolische Auffassung der Elemente (2005:146f), eine Position, die Gnaden- und Glaubensakt in eins setzt (:141f) und ein Extrem, wie das rein symbolische, anti-sakramentale Verständnis Zwinglis, ausschließt. 160 B. Moeller (BDS 3, 321) hält für den sog. „Ratschlag A“, der den wichtigen Zeitraum (Brief an A. Blaurer vom 26. Januar 1530 bis zum besagten „Ratschlag A“ Anfang Mai 1530) abschließt, fest: „ Angesichts der Notlage der unmittelbar drohenden Gefahr der Spaltung der Evangelischen und der Isolierung der Oberdeutschen verfaßt, ist diese Ratschlag A eines der eindrucksvollsten Dokumente für Bucers irenische, das Leben vor die Lehre, die prinzipielle Übereinstimmung vor die einzelne Entscheidung stellende Grundhaltung. Mit zum Teil geschickten und kräftigen Argumenten, nur gelegentlich in Weitschweifigkeit sich verlierend, sucht er, ohne seinen eigenen Standpunkt in der Abendmahlsfrage abzuschwächen, die Lutheraner zum Frieden und zur Toleranz zu bewegen.“ 161 Formal richtig ist, dass in „Marburg“ die Einheit in den zu verhandelnden Lehrfragen tatsächlich überwog: 13 Artikel demonstrieren Übereinstimmung und „nur“ in Artikel 14 kommt eine Differenz zum Vorschein. Daher konnte Johannes a Lasco in Ostfriesland das „Experiment“ (Weerda 1964:115f) starten, luth. und ref. Pfarrer in einer Kirche auf Grund der Marburger Artikel von 1529 zusammenzuhalten. Da die Übereinstimmung viel größer sei als die Differenz, könne man zusammen bleiben und habe in der Differenz die Aufgabe, gemeinsam an deren Überwindung zu arbeiten (vgl. generell Christoph Strohm (Hg.) 2005. Johannes a Lasco (1499-1560): Polnischer Baron, Humanist und europäischer Reformator. (SMHR 14). unveränd. Studienausgabe Tübingen: Mohr Siebeck). 162 Bucers doppeldeutige Formulierungen kamen hier an ihre Grenzen, konnte er doch damit weder den Schweizern wirklich gerecht werden, die „eine Aussage zur Realpräsenz aufgrund der Lehre der getrennten Naturen Christi am liebsten umgangen hätten“, noch den Wittenbergern, „für die aufgrund der Verbundenheit der Naturen Christi die Ubiquitätslehre und die Lehre der „communicatio idiomatum“ unumstößlich war, die letztlich auch von einer Respräsenz sprechen konnten“ (Friedrich 2003:64; zur Christologie Bucers, die jener nicht wirklich entfaltet hat, vgl. Friedrich 2002:142f). 163 Bis zuletzt - das Scheitern einer universellen Konkordie war abzusehen - hält Bucer daran fest, dass es sich um einen „Wortstreit“ handelt, so in einem Verteidigungsschreiben an den Senat von Bern vom 8. Juni 1537 (Friedrich 2002:134). 53 Die dogmatische Leistung BUCERS in der Zeit nach dem Marburger Religionsgespräch ist beachtlich: Geschlossen trägt er in der Korrespondenz dieses Zeitraumes seine anthropologischen Einsichten, die normative Zentrierung des Glaubens auf das Wesentliche und als Basis die theozentrische Ausrichtung seiner Theologie vor. Ziel- und Fluchtpunkt dieser Konzeption ist die Bewahrung der Einheit trotz unvermeidlicher dogmatischer Differenzen. Mit dem Verweis - im Rahmen seines Vorsehungsglaubens - auf die göttliche Offenbarungspädagogik konnte er die Konflikte, die der Einheit im Weg standen, in theologischer Hinsicht als notwendig auffassen, damit die Pflichten der Liebe („dilectionis officia“) von denjenigen ausgeübt werden, denen Gott mehr an Erkenntnis und Weisheit offenbart hat. Liebenberg (2003:46) hält pointiert fest: „Das war nicht nur eine intellektuelle Glanzleistung des Straßburger Reformators, der so das Auseinanderdriften des reformatorischen Lagers als Ausdruck der von Gott gewollten Einheit interpretieren konnte. Seine offenbarungspädagogische Auslegung der gubernatio Dei diente auch der Selbstvergewisserung, trotz aller Rückschläge auf dem richtigen, der Macht und Ehre Gottes dienenden Weg zu sein.“164 Problematisch ist aus heutiger Sicht sicher die subjektive Selbsteinschätzung BUCERS mit einem „Mehr“ an Wahrheit und Weisheit beschenkt zu sein als andere (vgl. Greschat 2009:91), woraus nicht zwangsläufig folgt, dass BUCERS bemerkenswerte offenbarungspädagogische Konzeption hinfällig wird oder zumindest keine Beachtung verdient.165 Mit der Wittenberger Konkordie gelang dem Straßburger ein vorläufiger Abschluss seiner Unionsbemühungen in der Abendmahlskontroverse, wenn auch seine ursprüngliche „globale“ Zielsetzung (samt Schweizer Partei) nicht erreicht wurde. Die Geschichte und das Ergebnis dieses Dokumentes veranschaulichen, wie mühsam und dabei doch nicht vollends vergeblich der „konziliare Weg“ zwischen bekenntnisverschiedenen Gruppierungen sein kann. Friedrich (2002:140) urteilt, dass „Bucers Teilerfolg durch den Abschluss der Wittenberger Konkordie bisher zu wenig gewürdigt worden“ ist. Die eigentliche Debatte verlor nun nicht wirklich an Brisanz mit dem Wittenberger Resultat, sondern köchelte weiter bis LUTHERS Tod und ging 164 Im Bewusstsein hiermit eine Außenseiterrolle wahrzunehmen beklagt er sich in seinem Brief vom 26. Januar an A. Blaurer, dass er bisher nur wenige gefunden habe, die seine Sichtweise teilen (BCor IV, Nr. 273, 12, 24f). Dem Ulmer Prediger Konrad Sam teilt er mit, in einem Brief vom 4. April 1530, dass ihr Schicksal derart sei: wenn sie die „Wahrheit“ sagen, werden sie von Ratsherren, die Christus nicht ganz angehören wollen, als Aufrührer, von gering Gebildeten aus dem Volk jedoch als Mitläufer bezeichnet (BCor IV, Nr. 282, 71, 4-6). Da Sam jedoch so wie er in jeder Hinsicht die Ehre Christi zum Ziel habe, schließt Bucer seine „tröstlichen“ Worte mit dem eschatologischen Ausblick ab, dass beide nicht hier, dafür aber in der zukünftigen Welt Leben, Güter, Ehre und Wonne zu erwarten haben („Nobis non hic, sed in futuro vita, opes, honos, delitiae expectandae sunt“; 71, 9f). 165 Liebenberg (2003:47) weist zu Recht darauf hin: „Nimmt er [sc. Bucer] seine Überlegungen zur Einheit in seiner Korrespondenz ernst, dann ist ein überhebliches oder gar feindliches Verhalten gegenüber anderen Theologen ausgeschlossen. Denn dann würde er die göttliche Offenbarungspädagogik durchkreuzen, deren Ziel es ist, sich dem Nächsten gleichzustellen, um ihm so auf derselben Augenhöhe dienen zu können.“ 54 dann beinahe nahtlos in den zweiten großen Abendmahlsstreit über, den BUCER gnädigerweise nicht mehr in seinem ganzen Ausmaß miterleben musste. Die Frage, inwiefern es sich bei BUCER im Spannungsfeld von zwinglianischen und lutherischen Anschauungen um einen eigenständigen Denker hinsichtlich seiner Abendmahlstheologie und darüber hinaus gehandelt hat, ist ein Forschungszweig für sich (vgl. 2.3).166 Eine relative Eigenständigkeit ist nicht zu leugnen (vgl. Friedrich 2002:66f.139; 2003:57; Greschat 2009:88.95). An dieser Stelle soll nur die Tatsache hervorgehoben werden, wie verwirrend seine theologische Beweglichkeit auf die Zeitgenossen gewirkt haben muss (Neuser 1998a:161). Hammann (1989:62) macht deutlich: „Die Flexibilität seiner Theologie und des Prinzips der zweifachen Realität - der materiellen und spirituellen - gab Bucer genügend Freiraum, bei seinen Bemühungen um die Einheit so weit wie möglich zu gehen, wenn er sich auch immer den Weg offen hielt, zu anderen, offensichtlich gegenläufigen Standpunkten zurückzukehren!“167 Vergessen werden darf ferner nicht der sozialgeschichtliche Hintergrund, der weitere Gründe für die Vehemenz liefert, mit der die Debatte geführt wurde (s. o. S. 25, Anm. 47). Es galt ein wichtiges praktisch-theologisches Problem zu lösen: „Alle an diesem Streit Beteiligten waren ehemalige Priester. Die Messe hatte also im Zentrum ihres kirchlichen Wirkens gestanden. Wie scharf und grundsätzlich sie sich dann auch von der römisch-katholischen Theologie lösten: Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass für sie alle dieses Thema in vielerlei Hinsicht, auch emotional, erheblich gewichtiger war als manches andere. Sodann: Alle, die jetzt Partei nahmen oder einen eigenen Standpunkt suchten, kannten sich oder waren sogar miteinander befreundet, zumal im 166 Hammann (1991:110) stellt die Grundsatzfrage sehr präzise: „Sieht man vom pragmatischen, rein institutionell-kirchlichen Interesse an Toleranz und Einheit ab, so bleibt doch die Frage, worin - theologisch gesehen - die ‚Eigenständigkeit seiner Abendmahlslehre‘ bestand. Mit welchen theologisch-philosophischen Grundbegriffen arbeitete eigentlich Bucer in seiner Abendmahlslehre, und auf welcher Seite stand er diesbezüglich? Hat er auf diesem Gebiet etwas Eigenständiges zu der reformatorischen Kontroverse der zwanziger Jahre beigetragen – oder nicht?“ Auf diese komplexe Frage folgt eine nicht weniger komplexe Antwort (:123-134), die als Ausgangspunkt den „vermutlichen“ Zwinglianismus und daneben Bucers theologisches Spezifikum hat (:119). 167 Müller (1965:36, Anm. 74) spricht in seiner Bucer-Hermeneutik von der „Uneigentlichkeit der theologischen Redeweise“ beim Straßburger. Das Abendmahl dient hier als hervorragendes Beispiel, kommt doch hier die ganze Eigenart der religiösen Sprache und ihrer Symbolik zum Ausdruck: Da, wo das Wort sichtbar gereicht wird, kann von den Elementen Brot und Wein dennoch nur gesagt werden, dass sie abbildhaft die Wirklichkeit widerspiegeln - platonisches Denken leuchtet auf. Selbst „der vom Glauben erfüllte Verstand und Vernunft (fide imbuta mens et ratio) vermag nicht zu fassen, was die Darstellung, Gegenwart und Genuß Christi beim Abendmahl an sich sind. (…) Das Geheimnis der Christusgemeinschaft, insbesondere seine Verwirklichung im Abendmahlsgeschehen, ist, soweit dies überhaupt möglich ist, immer nur aus seinen Wirkungen erkennbar: ‚Ista [die Formen der Christusgemeinschaft] tantum a posteriore id est, ab factis, utcunque cognoscuntur‘“ (:91; Bucer-Zitat s. Tomus Anglicanus, 702, These XV; Hervorhebung im Original). Ähnliches postuliert der Straßburger in Bezug auf die Rede vom Heiligen Geist in der Schrift: „Auch dort erklärt Bucer, daß alle diese Namen nicht die ‚substantia‘ des Heiligen Geistes bezeichneten, sondern lediglich seine Wirkung, die er auf uns ausübt“ (:91; mit Beleg in Anm. 86). Müller (:91f) resümiert: „Die religiöse Sprache dringt also nicht in das ‚an sich‘ der religiösen Wirklichkeit ein, sondern bezeichnet nur gleichsam die uns zugewandte und in unserem Erfahrungsbereiche greifbare Realität der geistlichen Welt. Auf dem Wege der Spekulation in diese Sphäre des Geistlichen eindringen zu wollen, ist ein vergebliches und unfrommes Bemühen. Das fromme Gemüt begnügt sich damit, etwa das Abendmahlmysterium in der vom Heilgen Geist gegebenen begrifflichen Ausprägung gläubig anzunehmen und sucht im übrigen die ‚effecta‘ dieses allerheiligsten Gemeinschaftsmahles im praktischen Leben des Glaubens und der Liebe zu bejahen [These XVI].“ 55 Südwesten Deutschlands, wussten also aufgrund gemeinsamer geistiger und menschlicher Überzeugungen und Vorbehalte in dem sich hier und da langsam formierenden anderen Lager Bescheid“ (Greschat 2009:87). In Summe: Im Hinblick auf die innerprotestantischen Einigungsbemühungen BUCERS liegt es nahe, von einem Motivbündel zu sprechen. Neben religionspolitischen und dezidiert biblisch-theologischen spielten auch ohne Frage emotionale Beweggründe - ohne diese überbewerten zu wollen - eine Rolle im ersten Abendmahlsstreit der jungen reformatorischen Bewegung. Diese Gemengelage zu ordnen erschien schon als schier unlösbare Aufgabe, BUCERS Bemühungen gingen jedoch noch darüber hinaus. Er richtete seinen Blick auch auf das Gespräch mit den Altgläubigen in der Hoffnung einer Einigung über die sich gerade im Aufbruch befindende protestantische Welt hinaus. 2.2.2 Religionsgespräche Nicht nur die innerprotestantischen Schwierigkeiten eine Einigung in Lehrfragen zu erzielen und somit einer neuen Ordnung der protestantischen Kirchen einen Weg zu ebnen, sondern ebenso der alles begründende Dissens zwischen Alt- und Neugläubigen war für BUCER ein unerträglicher Zustand. Im Hintergrund steht, wie gewohnt neben der politischen und militärischen Bündnisschwäche der Protestanten, die Beobachtung vonseiten BUCERS, wie unattraktiv und wenig überzeugend eine nicht geeinte protestantische Welt auf die Altgläubigen wirken musste. Zu dieser Überzeugung gelangte er wahrscheinlich schon relativ früh durch die Auseinandersetzung mit Konrad Treger im Rahmen der „Berner Disputation“ von 1528.168 Jener konnte zugespitzt formulieren, dass die mangelnde Einheit unter den führenden Köpfen der neuen Bewegung nicht weniger als das neugewonnene protestantische Schriftprinzip konterkariert, denn: „Es můß ye einer in disem val unrecht haben, das sy sich ye bed der geschrifft beruemen, deßglichen des geysts der gschrifft“ (BDS 4, 74, 19-21). Ebenso muss auf die zwei „Einheits“-Schriften (1532/33) des Erasmus von Rotterdam hingewiesen werden, insbesondere die zweite „De sarcienda ecclesiae concordia“, die von CAPITO umgehend übersetzt wurde und im Oktober 1533 in Straßburg erschien.169 168 Kaufmann (1992:401) kommt zu dem Schluss: „Wenn ich recht sehe, dann wurde Martin Bucer in dieser ersten gewichtigen Auseinandersetzung, die er mit einem altgläubigen Gegner seit 1524 führte, massiv mit der Notwendigkeit konfrontiert, daß der Protestantismus gegenüber der Papstkirche notwendigerweise als Einheit auftreten mußte. Zugleich dürften ihm die Defizite deutlich geworden sein, die seinem eigenen Versuch anhafteten, diese Einheit zu begründen.“; vgl. van’t Spijker 1991b:12-19. 169 Auf luth. Seite stieß das erasmische Modell auf blanken Widerspruch. Bucer, dessen erste Schrift zur Einheit der Kirche etwas früher erschien (ca. Ende August/Anfang September 1533), bietet in seinem Werk Parallelen zu Erasmus’ Konzeption. Allerdings besteht auch ein grundlegender Unterschied: Erasmus fordert, wenn auch nur indirekt, eine Rückführung der reformatorischen Bewegung unter die Leitung Roms bei gleichzeitiger Reform der altgläubigen Kirche. Leitend ist für ihn hierbei das Liebesprinzip des Neuen Testaments und die daraus resultierende bedingungslose Kompromissbereitschaft der Evangelischen. Bucer hingegen fordert ein vom Kaiser, nicht vom Papst, einzuberufendes Konzil und ist keineswegs zu einem 56 BUCERS Programm zielte nun auf eine „Vergleichung“ - ein damals geläufiger Begriff 170 zwischen alt- und neugläubiger Seite im Sinne einer Annäherung der unterschiedlichen, kontroversen Positionen. Bereits vor dem Augsburger Reichstag 1530 verwendete er den Begriff im Abendmahlsstreit, z. B. in dem hierfür charakteristischen Dialog „Vergleichung Martin Luthers und seines Gegenteils“ (BDS 2, 305-383). Im Zusammenhang der folgenden Religionsgespräche wird der Terminus dann inflationär eingesetzt und eine Definition gleich mitgeliefert: „Die vergleichung wöllen wir suchen, das die guthertzigen, so nach uff dem gegenteil sind, sollen erkennen, das wir die justification recht leren, und solicher lere auch bei ihnen stadt geben; item, das wir in kirchenbreuchen nichts wider glauben und liebe, sonder zur besserung geendret haben, und [daß sie] unß bei solicher endrung nach christlicher freiheit der kirchen bleiben lassen und sie die mißbreuch abstellen, die dem glauben und der liebe gantz offenbar entgegen sind (…) In ubrigen kunde man geduld mit einander haben. Diß were auch ein vergleichung“ (Lenz, Bd. 1, 95f, Nr. 28; vgl. auch 73, Nr. 24; 126, Nr. 43). Es wird ersichtlich: Diese Annäherung bedeutet für BUCER nicht, wie im bisherigen, juristischen Verständnis, die exakte Mitte als verbindlichen Ausgleich zwischen zwei Positionen zu finden. „Vergleichung“ hat für ihn eher die Konnotation, einen Ausgangspunkt zu schaffen für den Übertritt der Altgläubigen ins Lager der Reformation. Mit diesem Hinweis soll vorweg dem möglichen Missverständnis einer vermeintlichen BUCER’SCHEN Gleichmacherei begegnet werden. Schon in seiner ersten großen Programmschrift zum Thema von 1533, der „Furbereytung zum Concilio“ (BDS 5, 270-360), verfolgt er eben diesen Kurs (s. o. S. 56f, Anm. 169). Ortmann (2001:15-29; 2003:130f; vgl. auch Friedrich 2002:145-147) fasst den Inhalt in aller Kürze folgendermaßen zusammen - hier in Thesen wiedergegeben: Voraussetzung für den Dialog und eine Herstellung der Einheit ist der Glaube an Jesus Christus, gereinigt von Sonderlehren und obskuren Zeremonien, mit der Emphase, dass es sich um einen Glauben handelt, der in der Liebe tätig ist. 171 Dieser wahre Glaube findet sich „Rückzug“ bereit (Friedrich 2002:151). Zudem treten die Unterschiede in der Rechtfertigungslehre deutlich hervor; bei Erasmus fehlt das „sola“, hingegen wird den Werken eine soteriologische Bedeutung zugemessen (:147). Trotz allem äußerte Bucer sein Wohlgefallen an der Schrift des großen Humanisten, da sie der seinen in vielen Punkten ähnelte (so in einem Brief an A. Blaurer vom 8. Januar 1534; s. Schiess, Bd. 1, 460f, Nr. 390). 170 „Das Wort ‚vergleichen‘ wurde hier in einer spezifischen Bedeutung gebraucht und verwies auf eine von den Ständen seit alters gepflegte Form der Beratung. Es war eine Form des Umgangs, die mit dem Willen zur Zusammenarbeit zusammenhing, mit der Bereitschaft, divergierende Standpunkte nicht um jeden Preis, und zur Not mit Gewalt, durchzusetzen, sondern tunlichst einander anzunähern“ (Eugène Honée 1968. Der Libell des Hieronymus Vehus zum Augsburger Reichstag 1530: Untersuchungen und Texte zur katholischen ConcordiaPolitik. [RGST 125]. Münster, 52; zit. nach Ortmann 2003:129). 171 Die Schrift ist in Dialogform verfasst (wie schon zuvor im Abendmahlsstreit: „Vergleichung M. Luthers und seines Gegenteils“). Gothertz tritt als Vertreter der luth.-bucer’schen Auffassung auf, Gotprächt verkörpert die Sicht der römischen Kirche (zur Erläuterung der Namen s. BDS 5, 276, 9-15; R. Stupperich sieht in dem maßvollen, Gewalt verneinenden Gotprächt eine Ähnlichkeit mit Erasmus aufleuchten; :268). Gothertz: „Nun, sovil ich sehe, seind wir des glaubens halb nit weit voneinander, wo yr anders ewers teyls alle also halten, wie du es furgibtests, das ir nemlich die sa elikeyt allein dem glauben zůgeben, der durch die liebe und in allen gůten wercken thettig ist, und dabey doch auch zůlossen, das ein glaub sey, den man nach dem brauch der schrifft ein glauben nennen konde, der doch weder fromm noch selig mache, dieweil er on lieb und gůte werck ist, wo elt der 57 selbstverständlich auch innerhalb der römischen Kirche (vgl. BDS 5, 357, 21 - 31; 358, 1217). Überzeugt man jene, dass die evangelische Reformation nur dazu dient, die wahre Kirche Christi zu sammeln, ist eine Basis geschaffen, aufgrund der die Einigung in Lehrfragen nicht mehr weit ist. Der „inneren“, aus Glauben begründeten Einheit der Kirche korrespondiert dann sozusagen naturgemäß auch deren angemessene „äußere“ Gestalt in Gottesdienst und Lebensvollzug (BDS 5, 317, 4 - 324, 10; 324, 15),172 ohne hierbei in Uniformität zu verfallen. Zentral ist die neutestamentliche Aussage nach 1. Kor 9,22: Allen alles zu werden, um einige zu gewinnen.173 Konkret kann das bedeuten, dass Zugeständnisse an die römische Kirche, so z. B. im Bereich der Zeremonien, dazu dienen können, der Predigt des Evangeliums einen Raum zu eröffnen, um so noch zögernde Christen langsam gewinnen zu können. Die theologische Tradition hat hier ihre wesentliche Bedeutung, solange sie der Heiligen Schrift als norma normans nicht entgegensteht. Insbesondere die Alte Kirche hat dabei Vorrang, ohne alle Erkenntnisse der mittelalterlichen und scholastischen Theologen verwerfen zu wollen.174 Von vornherein als Gesprächspartner ausgeschlossen sind all diejenigen, die den Primat der Schrift nicht anerkennen, so wie der Papst, und sich der Reformation damit grundsätzlich widersetzen. Reformation und Kircheneinheit sind untrennbar miteinander verbunden.175 Um dieses Programm umzusetzen, war ein öffentliches Forum vonnöten (vgl. BDS 5, 358, 23-27; 359, 4-8). BUCER war zutiefst davon überzeugt, dass nur im direkten und persönlichen Gespräch „Missverständnisse“ oder Fehleinschätzungen, wie zu harte Urteile, entdeckt und ausgeräumt werden konnten (vgl. Lenz, Bd. 1, 97f, Nr. 28). Damit war der Straßburger Reformator auf protestantischer Seite der wohl exponierteste Befürworter eines vom Papst wort und namen halb, wie man dies bede glauben nennet, mit nieman streiten, yederman des orts frey lassen, so fer das man euch auch frey und recht reden lasse, wann ir mit der schrifft on zůsatz sagt ‚glauben‘ und damit den rechten, waren, thetigen glauben verstoht, doch das ir solichs dem eynfaltigen, gemeinen mann wol erkla eret, damit er nicht für den gantzen, lebendigen glauben Christi halte, das nur ein gestuckleter todter glaub ist. Wo es nur bey ewerem theyl also stoht, sehe ich da nicht ursach, das wir uns dises puncten halb miteinander zweyen solten“ (BDS 5, 287, 29 – 288, 5). 172 „Der Theologe war nämlich von der Selbstdurchsetzung der evangelischen Wahrheit überzeugt und erwartete davon automatisch weitere kirchliche Neuerungen. ‚Die wahrheit uberwindt alles‘“; Gäumann 2001:449 (Bucer-Zitat nach Lenz, Bd. 2, 410, Nr. 229). 173 Gothertz: „Doch woellen wir in sollichem allen, das die Christliche kirch je wol brauchet hatt, nicht allein nieman verdammen, sonder uns, so Gott gebe, in hauptstucken seiner religion ubereynkommen, also beweysen, das man sehen solte, das wir umb Christliches fridens willen gern wolten allen alles werden“ (BDS 5, 355, 2-6). 174 In einem Brief (1540) an den Landgrafen von Hessen formuliert Bucer treffend: „Wir werden freilich die leut nit bereden, dass alle christliche lere mit unß erst wider uff erden komen, und das die alten vetter davon so gar nicht gewußt haben solten“ (Lenz, Bd. 1, 245, Nr. 90; vgl. auch BDS 5, 355, 10 – 356, 15). 175 Bei aller Bereitschaft der Gegenseite entgegenzukommen, war für Bucer die „neue“ Lehre, wie sie in der CA samt Apologie zur Geltung kam, die Basis jeder „Vergleichung“: „In dem solle es, ob Gott will, kein not unserthalben nimer meer haben, das wenigst dupflin von unser confession zu weichen: dieselbige wöllen wir zuvor in allen iren articuln steiff und fest halten und wol vertedigen ...“ (Lenz, Bd. 1, 128, Nr. 43; vgl. 121, Nr. 42). 58 unabhängigen Nationalkonzils oder zumindest von Reichsreligionsgesprächen, auf denen die Stände einvernehmlich und ohne fremde Einflüsse die Religionsfrage regeln sollten (Gäumann 2001:449; Ortmann 2003:129; Seebaß 2006:195).176 Der Weg dorthin gestaltete sich mehr als schwierig.177 Die in aller Kürze skizzierte Position BUCERS soll nun anhand der folgenden Punkte vertieft und jeweils an ihrem theologiegeschichtlichen Ort untersucht werden. 2.2.2.1 Leipziger Gesprächstage und Hagenauer Verhandlungen (1539/40) Nach dem Frankfurter Anstand vom Jahr 1539 zwang der Türkenkrieg Kaiser Karl V. erneut, auf die evangelische Partei zuzugehen, um sich deren militärische Hilfe in Zukunft zu sichern (vgl. Friedrich 2002:177). Hiermit wurde die Zeit der Religionsgespräche eingeleitet. Im Vorfeld fand folgende Begegnung statt: Vom 2. bis 9. Januar 1539 kam es in Leipzig zu einem halböffentlichen Gespräch - ohne Mitwirkung einer kirchlichen Autorität - zwischen BUCER, MELANCHTHON und Georg Witzel, einem altgläubigen Reformtheologen178, sowie dem albertinisch-sächsischen Rat Ludwig Flachs, dem kursächsischen Kanzler Georg Brück und dem hessischen Kanzler Johannes Feige (jener eröffnete das Marburger Religionsgespräch). Der Empfehlung des herzoglich sächsischen Rates Georg von Carlowitz folgend, einigte man sich darauf die Alte Kirche als maßgeblich für die geplanten Reformen anzusehen. CARLOWITZ schwebte dabei eine behutsame Reform (z. B. Messe unter beiderlei Gestalt, Zulassung der Priesterehe) in der Hoffnung vor, so eine Einführung der Reformation letztlich verhindern zu können. BUCER war zunächst bei einem Sondierungsgespräch im Vorfeld nur auf Drängen Philipps von Hessen zugegen; Jakob Sturm als weiterer Straßburger entschuldigte sich mit allerlei Vorwänden (vgl. Pollet, Bd. 2, 532f). Kontrovers und daher ergebnislos endete das Gespräch, da man sich nicht auf eine zeitliche Eingrenzung der vorher bestimmten Norm 176 Melanchthon muss an dieser Stelle sicher auch erwähnt werden, der wohl von Bucer 1540 in Schmalkalden schlussendlich von der Notwendigkeit eines solchen Vorgehens überzeugt worden war. Er habe sich darauf eingelassen, „... ‚alles, auch darin wir, ob Gott will, allein nit ein har breit weichen wöllen, genugsam zu erkleren‘“ (Lenz, Bd. 1, 141, Nr. 51; vgl. zu weiteren Belegen Ortmann 2003:131, Anm. 15). 177 Vgl. zur kaiserlichen Anstandspolitik und den gescheiterten Versuchen ein Generalkonzil einzuberufen (will man das Trienter Konzil nicht als solches bezeichnen) Gäumann 2001:460-466; Seebaß 2006:193-195, sowie zu den ebenso letztlich gescheiterten „Annäherungsversuchen“ des französischen Königs Franz I. Gäumann 2001:457f, Anm. 66; Friedrich 2002:148-159 (In der Hoffnung auf ein politisches Bündnis mit der reformatorischen Bewegung in Deutschland beauftragte Franz I. seinen Legaten Wilhelm von Bellay, Gutachten bei Melanchthon und Bucer für eine mögliche Wiedervereinigung der Kirche einzuholen. Um den Fortgang der Ausbreitung des Evangeliums in Frankreich zu sichern, gaben beide Theologen [samt Hedio] bereitwillig schriftliche Gutachten ab. Die Situation eskalierte, als die geheimen „Consilia“ öffentlich bekannt wurden; die Altgläubigen brachten verfälschte Auszüge davon im Umlauf. Der Eindruck entstand, als ob Melanchthon und Bucer eine Rückkehr der Protestanten unter die Obhut Roms guthießen. Eine missliche Lage, die, auch wenn sie nicht den Tatsachen entsprach, die weiteren Bemühungen um Religionsgespräche nicht gerade erleichterte. Am Rande: Bucers Freundschaft mit den Geschwistern Blaurer in Konstanz litt zeitlebens darunter.). 178 Jedin (1966b:363) tituliert ihn als „Konvertit“ und bemerkt, dass jener sich erst nach zwei Jahrzehnten von den Positionen, an denen Bucer den Löwenanteil habe, ausdrücklich distanziert hat. 59 einigen konnte: Der „consensus antiquitatis“ führte zu keinem Konsens zwischen den Kontrahenten, da die altgläubige Seite die Grenze erst im 8. oder 9. Jahrhundert ziehen wollte, BUCER und MELANCHTHON hingegen für eine strikte Begrenzung auf die ersten vier Jahrhunderte plädierten (vgl. Bucers Bericht in: Lenz, Bd. 1, 63-68).179 Das Ergebnis dieser Verhandlungen wurde im „Leipziger Reformationsentwurf“ o. a. „Reunionsentwurf“ protokolliert (BDS 9/1, 23-51), dem trotz weiter Verbreitung keine große Wirkungsgeschichte beschieden war. Schon beim Hagenauer Religionsgespräch im Frühjahr 1540 - in Speyer wütete die Pest - waren die Artikel von den politischen Entwicklungen bereits überholt worden.180 Das besagte Religionsgespräch 181 im Elsass (23. Mai bis 28. Juni 1540), das als das erste, wenn auch mit vorläufigem Charakter gelten darf, blieb in Verfahrensfragen stecken. Die Debatte entbrannte in einer gereizten, unfreundlichen Stimmung um die Gesprächsgrundlage: Während die Protestanten als ihre Basis die CA samt Apologie selbstverständlich vortrugen, wollten die Altgläubigen an den 1530 von den Evangelischen gemachten Zugeständnissen anknüpfen und nur noch - aus ihrer Sicht - einige wenige ausstehende Probleme (z. B. Priesterehe, Laienkelch, Privatmessen, Messkanon) diskutieren. Der inzwischen tief greifende Dissens offenbarte sich nunmehr: Die Romtreuen verlangten von der Gegenseite eine Rechtfertigung für ihre Abweichung von der „wahren Lehre“. „Dagegen war die Augsburger Konfession für die Protestanten zu einer stolzen evangelischen regula fidei geworden“ (Gäumann 2001:466f).182 BUCER, als theologischer Berater der evangelischen Stände zugegen, ließ sich jedoch nicht die Gelegenheit entgehen, vielfältige Kontakte zu Delegierten der altgläubigen Stände zu knüpfen. So traf er sich u. a. mit Gesandten aus Trier, dem Bischof von Augsburg sowie mit dem Kurfürsten und Erzbischof von Köln Hermann von Wied (vgl. Lenz, Bd. 1, 189, Nr. 73). Am intensivsten und für die weitere Entwicklung der Religionsgespräche von weit reichender Bedeutung waren die Begegnungen mit dem kurkölnischen Rat Johannes Gropper. In den stattgefunden Gesprächen kamen verschiedene kontroverstheologische Themen zur Sprache, allen voran die Rechtfertigungslehre, aber auch die Ekklesiologie, die 179 Nur in den Nachgesprächen zwischen Bucer und Witzel – die übrigen Protestanten reisten angesichts der Sinnlosigkeit der Verhandlungen vorzeitig ab – konnte ein Ausgleich in diversen Punkten gefunden werden, allerdings nicht in den wichtigen Differenzen (Opfercharakter der Messe oder Transsubstantiation; vgl. BDS 9/1, 30-36); zu Bucers Konzeption einer „idealen“ Kirche im patristischen Zeitalter vgl. Carr 1981:37-74. 180 Gäumann (2001:460) urteilt zumindest: „Immerhin erreichte der Leipziger Reformationsentwurf, dass die Idee einer Übereinkunft durch theologische Verhandlungen eine grössere Verbreitung fand.“ 181 Jedin (1966b:361) liefert eine hilfreiche Differenzierung zur Terminologie: Ein „Religionsgespräch“ ist von einer „Disputation“ zu unterscheiden, da bei der letzteren nur Theologen zugegen waren, um in akademischer Form ein spezifisches Problem zu lösen, beim „Religionsgespräch“ hingegen, eine bereits konsolidierte Kirchengemeinschaft auf beiden Seiten bestand, die ein bestimmtes Bekenntnis voraussetzt. Die kath. Seite befand sich hierbei in gewisser Hinsicht zunächst im Nachteil, da sie sich noch nicht auf die Definitionen des Konzils von Trient stützen konnte. 182 Hervorhebung im Original. 60 Sakramentenlehre und der Kirchendienst. Ortmann (2003:133) urteilt: „Dabei müssen beide ein großes Maß an Übereinstimmung wahrgenommen haben, so daß sie einander ihre Werke, das Enchiridion und den Römerbriefkommentar, schenkten.“ 183 BUCERS Versuch bilateral eine „Vergleichung“ zu erreichen, war demnach nicht gänzlich gescheitert, wenn auch das Hagenauer Religionsgespräch nicht mehr hervorbrachte als den Hagenauer Abschied, der immerhin die Augsburgische Konfession als Grundlage für die weiteren Gespräche bestimmte.184 2.2.2.2 Wormser Religionsgespräch und Regensburger Reichstag (1540-1541) Sukzessive arbeitete man weiter, Station für Station, an einer möglichen Einigung in der Religionsfrage. Als nächstes stand das Wormser Religionsgespräch (28. Oktober 1540 bis 19. Januar 1541) auf dem Plan, eigentlich eine Ausschusstagung der beiden Parteien, um den bevorstehenden Regensburger Reichstag vorzubereiten. Nicht unwesentlich ist dabei die Tatsache, dass Landgraf Philipp von Hessen durch seine Doppelehe und den daraus erwachsenden kaiserlichen Auflagen den Schmalkaldischen Bund in seiner Stellung gegenüber den Altgläubigen entscheidend schwächte.185 Dies kam der Politik des Kaisers nur entgegen, wie die folgenden Jahre zeigen sollten. Die Verhandlungen in Worms wurden nunmehr offen, keineswegs haarspalterisch geführt (Lenz, Bd. 1, 222, Nr. 86). BUCER hoffte, dass den altgläubigen Fürsten nahegebracht würde, „das wir ein ware und doch etwas leidliche reformation der kirchen (…) suchen. Und das ander, das unser furgenomen reformation nit allein der schrifft, sonder auch haltung der alten war apostolischen kirchen gemeß seie“ (Lenz, Bd. 1, 218, Nr. 85). Darüber hinaus sollten die Fragen nach den 183 Bucer hat sich auch später noch durchaus positiv über Groppers Schrift geäußert (so sogar in seiner Gegenreaktion - „Von den einigen rechten wegen, deutsche Nation in christlicher Religion zu vergleichen“ von 1545 - auf Groppers „Richtigstellungen“ im Rahmen der sog. „Kölner Reformation“: „Aber ich wolt nochmals Gott betten, das ja er selb, der dies vermeinte Reformation beschriben, und sein gantzer pa epstlicher hauff so weit weren kommen, das sie sich nach diser Gropperischen Reformation tha etlich hetten gereformieret“ (BDS 11/2, 302, 13-16). 184 Darüber hinaus wurde noch vereinbart, dass beide Parteien je elf Stimmen erhalten sollten; damit wurde quasi ein paritätischer Sonderausschuss des Reichstages für Religionsfragen gebildet. Bucers Meinung zu dem Ganzen war zunächst noch wenig kritisch, fiel dann aber aus der Distanz immer negativer aus. Im Grunde genommen war man nach seiner Meinung keinen Schritt weitergekommen und müsste die eigentlichen Verhandlungen zur Sache erst noch führen. Die Schuldigen waren schnell ausgemacht, haben doch die Altgläubigen keine freie Unterredung nach den Bedingungen des Frankfurter Anstandes zugelassen (vgl. BDS 9/1, 173, 8-21; 164, 1-12). In Bucers Worten war „die gantze handlung zu Haganaw [sic!] durch Bayern und Braunschweig (…) nach demselbigen bapstlichen ratschlag gantzlich gefuret und verhandelt worden …“ (Lenz, Bd. 1, 530); zur nicht unwesentlichen Frage nach der Verwendung der Kirchengüter, die Bucer in seiner Reaktion „Vom tag zu Hagenaw“ (BDS 9/1, 304-317) auf einen altgläubigen Angriff tangiert, vgl. Seebaß 2002:177. 185 Geleitet von privaten Interessen, forderte der Landgraf die Rückendeckung des Schmalkaldischen Bundes, andernfalls drohte er, zum Kaiser überzulaufen. In der Instruktion für seine Gesandtschaft vom 19. Oktober 1540 ermahnt er die Evangelischen daher zum Nachgeben in wichtigen Lehrpunkten. Die Instruktion für die kursächsische Gesandtschaft vom 17. Oktober 1540 hingegen enthielt die Forderung nach einer standhaften Verteidigung der evangelischen Lehre (vgl. Neuser 1974:44). 61 Kirchengütern - BUCER betonte vermehrt, dass es den Protestanten um die „wahre Religion“ gehe und nicht um Besitzansprüche - und der Kirchenzucht auf der Tagesordnung stehen. Dies alles solle in sachlicher und geduldiger Art und Weise geschehen, „das wir die handlung uffs allerdemietigst und aber mit gantz guter, einfeltiger, heller und bestendiger erklerung furnemen“ (Lenz, Bd. 1, 244, Nr. 90). BUCER hielt sich dabei zunächst zurück, erneut als Vertreter Philipps von Hessen anwesend. 186 Problematisch war nun der Umstand, dass unter den elf katholischen Parteien ein Mehrheitsgutachten nicht zu erzielen war (ausführlich bei zur Mühlen 1993:661f; Friedrich 2002:173ff). Eine mögliche „ökumenische“ Verständigung scheiterte also schon im Anfangsstadium aufgrund der Polarität innerhalb der beiden Parteiungen. So wie auf evangelischer Seite gab es auch bei den Altgläubigen zwei Gruppen: „die Anhänger einer kompromisslosen kurialen Haltung - gemäß Bucer unter der Leitung einer Delegation aus Bayern und Mainz - und die Vertreter einer konzilianteren Vermittlerpartei“ (Gäumann 2001:469). Ein neuer Weg musste gefunden werden, um den Dialog zu starten. Auf Anraten des Reichskanzlers Nicolas Granvelle arrangierte man daher Geheimverhandlungen.187 Jener war nach dem sich abzeichnenden Scheitern unter Druck, auf dem Regensburger Reichstag ein brauchbares Ergebnis präsentieren zu können. 188 Ein kleiner Kreis irenisch gesinnter Theologen sollte, befreit von Verfahrensfragen und ungehindert durch die Öffentlichkeit, in Worms eine neue, unbelastete Gesprächsgrundlage erarbeiten: das sog. „Wormser Buch“. Von protestantischer Seite wurden BUCER und CAPITO, allerdings nicht MELANCHTHON als unnachgiebiger Wortführer, hierfür auserkoren.189 Im Bewusstsein der 186 Zur Mühlen (1993:661) weist darauf hin: „Wie die Liste der elf protestantischen Gesprächspartner zeigt, wird Bucer merkwürdigerweise nicht unter die Vertreter der Stadt Straßburg eingeordnet, sondern der Gruppe der Vertreter des Landgrafen Philipps von Hessen zugeordnet“ (vgl. dazu Gäumann 2001:468, Anm. 112). Ferner waren alle protestantischen Theologen von Rang und Namen bei den Vorgesprächen anwesend, auch Calvin, nur Luther fehlte auf Grund der verhängten Reichsacht (Neuser 1974:52-56). 187 Schon zu Beginn seiner reformatorischen Wirksamkeit als Kaplan Franz von Sickingens, sollte Bucer 1521 Geheimverhandlungen zwischen Luther und dem Beichtvater Kaiser Karl V., Jean Glapion, moderieren, was zu langen Unterredungen mit Glapion führte (Brecht 1990:428f). 188 Zu den politischen Ränkespielen im Hintergrund vgl. Ortmann 2001:157-160; Ortmann 2003:134. 189 „Man setzte damit auf vermittlungstheologisch denkende Theologen wie Gropper und Bucer, die bereit waren, auf dem Hintergrund einer humanistischen Reformtheologie Abstand zu nehmen von festen vorgegebenen Denkformen“ (zur Mühlen 1993:665). Bucer berichtet: „Den herren von Granvella belangen hat sichs alßo zutragen, das er durch ein colnischen gelerten und rath, doctor Johann Gropper (…), und dann auch durch k. mt. Secretari, den er bei sich hat, (…) hatt dinstag jungst vergangen [Dez. 14] an mich mit höchstem ernst gesinnen lassen, das ich sampt D. Capito mich solte in ein vertrawt gesprech von streitigen articuln unser h. Religion, wie si zu gleichem verstandt beracht [so] werden mochten, mit jetz gemeldtem colnischen doctor und k. mt. Secretari in höchster geheim einzulassen und weg der vergleichung suchen zu helffen ...“ (Lenz, Bd. 1, 274, Nr. 101; vgl. auch 269, Nr. 98). Vor dem Beginn der geheimen Gespräche hatte Bucer die Gelegenheit, etwa eine Stunde mit Granvelle zu sprechen (Lenz, Bd. 1, 275, Nr. 101). Seine Erwiderung auf das Anwerben des kaiserlichen Orators enthielt im Kern die Feststellung, dass die Protestanten „... an hauptstucken der religion nichts wusten zu begeben …“, aber „...dieselbigen wesentlichen stucken … verkleren ...“ wollten, so dass die Übereinstimmung der evangelischen Lehre mit der Bibel und den Lehren der Kirchenväter deutlich würde. In den Stücken, die „... zur christlichen religion nicht wesentlich gehören ...“ und bei den Kirchengütern sei man zum Entgegenkommen bereit (Lenz, Bd. 1, 275f, Nr. 101). Ortmann (2003:135) fasst zusammen: „Aus dieser kurzen Gesprächsnotiz Bucers geht trotz aller vagen Angaben hervor, daß er gegenüber Granvella im Grundsatz 62 drohenden Kriegsgefahr, einer Zerklüftung der Protestanten, getrieben von der Vision dem „regnum Christi“ in ganz Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen, ließ sich BUCER auf dieses gefährliche Unternehmen ein.190 Innerhalb von nur zwei Wochen entstand das „Wormser Buch“ (BDS 9/1, 339-483), an dem an erster Stelle Johannes Gropper, daneben auch CAPITO und der Kanzlersekretär Gerhard Veltwijck beteiligt waren (vgl. Lenz, Bd. 1, 287-292). 23 Artikel dokumentieren die erreichte „Vergleichung“; der Einfluss GROPPERS ist unübersehbar, lassen sich doch viele Aussagen mehr oder weniger direkt auf sein Enchiridion zurückführen.191 In gleichem Maße lässt sich BUCERS Anteil an den protestantischen Ausführungen im „Wormser Buch“ feststellen (eine genaue Analyse bietet Ortmann 2001:191-225). Drei Beobachtungen zum Inhalt soll nun an dieser Stelle nachgegangen werden: a) Trotz der erzielten „Übereinkunft“ war es nicht ohne Weiteres möglich, in den Fragen der praktischen Ekklesiologie (u. a. Stille Messen, Heiligenverehrung und jährliche Beichtpflicht) einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die unterschiedlichen Positionen blieben in ihrer Unvereinbarkeit zunächst stehen, in der Hoffnung bei anderer Gelegenheit eine Annäherung zu erreichen. Ortmann (2003:137) urteilt: „In diesen Fragen ließ sich der Konflikt nicht so einfach wie in den Lehraussagen durch geschickte Formulierungen überdecken. Als Kompromiß konnte nur pragmatisch der jeweilige Status quo sanktioniert werden.“ Mit anderen Worten: Die ekklesiologische Praxis offenbarte unbestreitbare Differenzen, die nicht mithilfe formelhafter Wendungen retuschiert oder zumindest relativiert werden konnten.192 b) Zentral ist BUCERS Anliegen, eine „Vergleichung“ zu erreichen, d. h. der altgläubigen Seite die protestantische Lehre so darzulegen, dass sie verstanden und angenommen werden die Position vertrat, auf die sich die protestantischen Stände in Schmalkalden geeinigt hatten [vgl. zu der Unterteilung in unaufgebbare und verhandelbare Stücke WABr IX, 19-35, Nr. 3436].“ Die Bereitschaft, die unaufgebbaren Artikel „verkleren“ zu wollen, entsprach zwar nicht den Schmalkaldischen Beschlüssen, konnte aber auf Zustimmung durch Melanchthon bauen (vgl. Lenz, Bd. 1, 141, Nr. 51). 190 Dem Straßburger Pfarrer war sehr wohl bewusst, worauf er sich einließ, weshalb er die Angelegenheit zunächst mit seinem Stettmeister Jakob Sturm und dem hessischen Landgraf besprach (Lenz, Bd. 1, 274, Nr. 101; vgl. zur Einschätzung der Lage durch Sturm Lenz, Bd. 1, 517f). Gewissensbisse stellten sich während den laufenden Verhandlungen ein, „das wir mit disem gesprech nit dem teuffel dieneten, da wir meinten Christo zu dienen“ (Lenz, Bd. 1, 278, Nr. 101) und die Beurteilung von Granvelles Rolle in dem Ganzen ließ nicht an Nüchternheit fehlen: „So fil ich hab vermercken mogen, so deuchte mich dieser mann, ob er wol nach unser religion nit ist, das er doch auch kein päpstler oder verteidiger der missbreuchen seie, sonder gern zu einer reformation helfen wolte, auch sehe, wie nutzlich und eerlich diß dem keiser sein wurde (…) doch mochte sein, er sehe in dem meer uff seins herren dann Christi reich“ (Lenz, Bd. 1, 291, Nr. 106; Hervorhebung von mir). 191 Die Frage inwiefern eine schriftliche Vorlage vorhanden war - zumeist wird auf die „Artikell“ Groppers verwiesen - wird kontrovers diskutiert; vgl. nur zur Mühlen 1993:665 u. Ortmann 2001:186-190 (freie Verhandlung). 192 So erscheint eine Aussage, wie: „... Der lere halben, sacramenten und christlicher freiheit, wirdt man unß in alleweg so bleiben lassen, das wir nichts zu klagen hetten“ (Lenz, Bd. 1, 288, Nr. 106; vgl. auch Lenz, Bd.1, 290) doch reichlich optimistisch von Bucers Seite aus. Allerdings wusste er auch um die Schwachstellen des „Wormser Buches“, wie aus seinen Randbemerkungen zu dem dt. Exemplar hervorgeht, das Philipp von Hessen zur Lektüre erhielt (BDS 9/1, 326.331f; vgl. auch Lenz, Bd. 1, 288-291; 535f). 63 kann, um der Reformation damit den Weg zu ebnen. Die CA sollte nun nicht durch das Wormser Projekt ersetzt werden, und doch galt es zunächst die Gemeinsamkeiten festzuhalten, um von dieser Verhandlungsbasis aus gemeinsam die Reformation der einen Kirche aufgrund von Schrift und Väterlehre umzusetzen: „Sust [So; Götze 1967:213] erkennen sie wol, das schrifft und vetter dies reformation fordren; erbieten sich auch, diß getrewlich zu leren, damit dann mit der zeit die wirklich reformation auch konde erlanget werden“ (Lenz, Bd. 1, 288, Nr. 106).193 Im Hintergrund von BUCERS Vorstellungen stehen neben realpolitischen und theologischen auch seelsorgerische Ambitionen: Der Straßburger war bereit, der Gegenseite fast bis zur Selbstaufgabe entgegenzukommen, immer nach dem Leitmotto aus 1. Kor 9, 22 allen alles zu werden, um nur einige zu gewinnen. 194 Man könnte u. U. von einem niedrigschwelligen Ansatz aus seelsorgerischen Motiven heraus sprechen, betrachtet man die Vorgehensweise BUCERS. Ausgenommen der letzten Artikel, die kontroverse Punkte festhielten, erklärte sich BUCER mit allen anderen Ausführungen über Bibel, Tradition und kirchliches Amt, Erbsünde, Rechtfertigung und fromme Werke, Kirche, Sakramente und Zeremonien einverstanden. „[O]bwohl diese Darlegungen, zumindest in ihrer sprachlichen Form, den Altgläubigen weit entgegenkamen“ (Greschat 2009:202). c) Besonders greifbar wird dies im Hinblick auf die Verständigung über die Rechtfertigungslehre, die für BUCER im Wormser Geheimgespräch mit GROPPER und darüber hinaus eine exponierte Stellung einnahm: „... Ist vilberturter schrifft in worten dermaßen temperiret und gemeßiget worden, das den guthertzigen auf jenem teil im artikel der justification, an dem alles gelegen, und andern haubtartikeln desto weniger anstoß entgegen geworfen würde...“ (an den Kurfürst Joachim II. von Brandenburg; Lenz, Bd. 1, Beilage IV, 534).195 Verwunderlich ist dabei das Urteil LUTHERS - „... Darin sie recht vnd wir auch recht haben“ (WABr IX, 407, 15f, Nr. 3616) - über den doch ambivalent verfassten Artikel (Nr. 5) zur Rechtfertigungslehre (nachfolgend nach Ortmann 2003:139): Grundsätzlich wird das Rechtfertigungsgeschehen ganz auf Gott hin bezogen und von dessen Gnade her aufgefasst. Die Betonung des „sola gratia“ und weniger eines strengen „sola fide“ ermöglicht jedoch die Lehre der doppelten Rechtfertigung, die neben dem Glauben an sich, auch die aus ihm 193 „Wir haben uach [sic!] hofnung, so durch diß rauhwerck und gemeines entwerfen nur so vil erlanget würde, das kai. mt. sampt den stenden des reichs soliche streitige artikel wolten lassen durch hiezu taugliche, von allen stenden geordnete gelerten und frommen leuten erörteret werden, da jeder teil seine gründ mit christlicher bescheidenheit darthun möchte (…), das dise artikel dermaßen gemeßigt würden und getempereriret [sic!], das si keinem waren christen anzunemen beschwerlich sein möchten“ (Lenz, Bd. 1, Beilage IV, 532). 194 Vgl. hierzu vor allem eine seiner bekanntesten Schriften „Von der wahren Seelsorge“ ( 1538): „... und sůche sye mit solichem ernst und fleiß, das man bereit sey, alles allen zů werden, wie der liebe Paulus gethon [1 Cor 9,22] ...“ (BDS 7, 146, 2-4); vgl. auch BDS 5, 83, 18; Lenz, Bd. 1, 103, Nr. 29 u. 108, Nr. 31. 195 Greschat (2009:192) hält fest, dass für Bucer eine „echte Reform der Kirche, die diesen Namen verdiente, nur möglich sei auf dem Boden der Bibel und der von ihr bezeugten Lehre der Rechtfertigung des Sünders allein aufgrund des Glaubens an Jesus Christus. Diese Voraussetzungen verliehen Bucer – wie wir bereits mehrfach beobachten konnten – die Freiheit, seinen theologischen Gegnern sehr weit entgegenzukommen.“ 64 folgenden Werke gnadenhaft als von Gott gewirkt ansieht. Hiermit wird den altgläubigen Vorstellungen, die sich auf der Basis einer katholischen Reformtheologie bewegen, indem sie sich neu an der Bibel und AUGUSTINUS orientieren, ohne Frage weit entgegengekommen.196 Auf der anderen Seite werden die Werke doch auch dem Glauben untergeordnet im protestantischen Sinne. Die gesamte Argumentation bewegt sich im Rahmen der durch die Bibel vorgezeichneten Problemstellung. Ohne ein Bekenntnis zu formulieren, werden lehrhaft theologische Sachverhalte entfaltet, mit dem Bemühen Interpretationsspielräume bewusst offen zu halten.197 In Summe: „Der Rechtfertigungsartikel im Wormser Buch bietet somit nicht nur die Lehre von der doppelten Rechtfertigung, sondern auch gleich eine doppelte Rechtfertigungslehre“ (Ortmann 2003:140). Durch diese Offenheit und damit gegebene gegenseitige Anerkennung war für BUCER ein wichtiger Aspekt der „Vergleichung“ erreicht. Zunächst einmal zufriedenstellend erschien ihm die strenge Rückbindung des Rechtfertigungsgeschehens an Gott im Rahmen seiner Vorstellung von der „Allwirksamkeit 196 Gropper lehrt zwar im „Enchiridion“ von 1538 noch keine doppelte Gerechtigkeit, „wohl aber einen doppelten Aspekt der einen, auf die Gerechtmachung zielenden Rechtfertigung. (…) Die erste Rechtfertigung bedeutet Vergebung der Sünden und Eingießung der inneren Gerechtigkeit, die zweite Rechtfertigung zielt dagegen auf die Bewährung der inneren Gnadenerneuerung in der Gerechtigkeit der Werke“ (zur Mühlen 1993:666; vgl. auch McGrath 1998:244-248, der auf das Stupperiche’ Missverständnis hinweist, Gropper stricto sensu eine Lehre von der doppelten Gerechtigkeit im Sinne einer - formal - doppelten Ursache für das Rechtfertigungsgeschehen zu unterstellen. Eine saubere Differenzierung der scholastischen Terminologie, auf die Gropper zurückgreift – iustitia inhaerens ver. iustitia acquisita – schafft hier Abhilfe; :245). Vergleichbares zu Groppers Ausführungen bietet Bucer schon im Vorfeld zu den Wormser Verhandlungen: Im Codex Musculus, der in Form eines Ergebnis-, nicht eines Verlaufsprotokolls, die Diskussion über den Text Mt 19,17 - die Frage des reichen Jünglings nach dem, was er zu seiner Seligkeit tun müsse – festhält, wird verlautbart: „Bucer berührte aber wahrhaft den Skopus der Stelle, eine Tatsache, der auch von den übrigen [s. o. S. 62, Anm. 186] zugestimmt wurde, nämlich daß in dieser Aussage Christi darauf zu achten sei, zu welcher Gelegenheit und zu wem sie gesagt sei. Etwas anderes antworte Christus Nikodemus und etwas anderes den Leuten von Kapernaum Joh 6[,16ff] als diesem Jüngling, der meinte, er habe schon alle Gebote bewahrt.“ Weitere Stellen wurden von Bucer angefügt, wie Phil 2,12: „Schaffet, daß ihr selig werdet mit Furcht und Zittern“, oder auch der Zusammenhang von Gen 22,16ff, in dem Gott Abraham zusagt: „Weil du mich geehrt hast, deshalb segne ich dich. So, sagt er, scheint die Schrift die Werke des neuen Lebens in irgendeiner Weise zur Ursache des Heils zu machen. Deshalb sei zuzugestehen, daß Gott uns als Mitarbeiter gebraucht, um jenes neue Leben und unser Heil zu vollenden“ (vgl. Neuser 1974:135, 3-12; Übers. nach zur Mühlen 1993:663). Zur Mühlen (1993:663) urteilt hierauf: „Bucer versteht also die Werke als lebendigen Ausdruck des in der Rechtfertigung dem Christen neu geschenkten Leben. Doch ist nicht deutlich, jedenfalls in dieser von Musculus berichteten Aussage, ob Bucer die Werke nur als eine Folge dieses Lebens versteht, oder – wie er sagt – in irgendeiner Weise als Mitursache des Heils.“ 197 Vgl. zur Diskussion, ob und inwiefern durch die reichlich verwandte scholastische Terminologie und Vorstellungswelt das protestantische „sola fide“ letztlich relativiert wird, Lexutt 1996:192-215 (Der Autorin zufolge wird der Artikel „weder der einen noch der anderen Seite in ihrem ursprünglichen Anliegen gerecht ...“, insbesondere die Darstellung der secunda iustificatio ex operibus sei „... eo ipso nicht mit der reformatorischen Position zu vereinbaren“ (:215)) u. Ortmann 2001:205-209. Zur Mühlen (1993:667; vgl. auch McGrath 1998:221f) stellt nach seiner Skizzierung der Rechtfertigungslehre im „Wormser Buch“ („deutlich im Zeichen der effektiven Gerechtmachung“; [w]ie im Enchiridion …, so ergänzt auch hier das Verdienst Christi imputativ das, was den Werken der effektiven Gerechtigkeit an Vollkommenheit fehlt“) die entscheidende Frage, ob für Bucer „die Heiligung als ein lebendiger Ausdruck der Rechtfertigung oder – mit dem „Wormser Buch“ – als ‚iustificatio secunda‘, als eine die Rechtfertigung ergänzende Größe zu verstehen sei.“ Er urteilt in aller Kürze: „Doch dürfte zwischen Bucer und Gropper diese Frage durch das Wormser Buch noch nicht entschieden worden sein und Bucer eher geneigt gewesen sein, die reformatorische Position einer aus der Rechtfertigung folgenden Heiligung zu vertreten.“; McGrath (1998:222) ergänzt: „The most adequate answer to this question appaers to be that Bucer did not intend his doctrine of justification to be an eirenicon, as did Gropper and Phigius (…), but rather intended to forge a secure theological link between the totally gratuitous justification of the sinner and the moral obligations which this subsequently placed upon him.“ 65 Gottes“ (vgl. Lang 1972:94-132; 290-292; 338).198 Gottes Souveränität war damit gewahrt, und im Verlauf der weiteren Gespräche wäre es nun darum gegangen, die protestantische Position weiter herauszustellen, insbesondere im Hinblick auf die praktischen Herausforderungen in puncto Messe. Ein zu vorschnelles Handeln barg die Gefahr „[d]as empfindliche Gleichgewicht des Artikels … durch die Änderung einzelner Sätze und Abschnitte nachhaltig“ zu stören (Ortmann 2003:140, Anm. 46).199 Im Blick auf die Wirkungsgeschichte ist festzuhalten: Als Gemeinschafts- und Kompromisswerk konnte das „Wormser Buch“ zu den gegebenen Zeiten nur wenig überzeugen. Von der Vergangenheit unbelastet, bot es theoretisch die Chance für einen Neuanfang, praktisch erregte es großen Widerwillen sowohl bei den Alt- wie bei den Neugläubigen.200 Die Voraussetzungen für das Religionsgespräch auf dem Reichstag in Regensburg standen im Frühjahr 1541 daher nicht gerade günstig. BUCER sah es schlichtweg als Gesprächsgrundlage an, die naturgemäß verbesserungswürdig sei, jedoch auch gegebenenfalls ohne Verbesserungen für die Evangelischen akzeptabel war (Augustijn 1980:46f). Überaus deutlich tritt mit dem ganzen Unternehmen BUCERS politischer Gestaltungswille hervor,201 gepaart mit seinem diplomatischen Geschick in theologischen Fragen202. Die hypothetische Chance eine so mächtige Obrigkeit wie den Kaiser bzw. GRANVELLE203 für die reformatorischen Anliegen gewinnen zu können, schien ihm in jeder Hinsicht als förderlich für die „neue Sache“ und durfte daher nicht vertan werden. Ortmann 198 Friedrich (2002:183) fragt zu Recht: „Warum konnte Bucer diese Vergleichsartikel unterzeichnen?“ Neben dem schon erwähnten, zumindest implizit vorhanden „sola fide“ und dem Rekurs auf Gottes Souveränität, war es vor allem noch die Ausschließung einer einseitigen Heilssicherung, wurde doch auf die Umsetzung der von Gott zu Teil gewordenen Gnade ins tägliche Leben großen Wert gelegt (Friedrich sieht hier den theologischen Grundsatz Bucers aufleuchten, die Kombination von erasmischen Humanismus und reformatorischen Gedankengut). Schließlich zeigten sich schon Ansätze, die „iustitia imputata“ der „iustitia inhaerens“ vorzuordnen, wodurch nicht länger die „iustitia Christi“ nur eine ergänzende Funktion im Blick auf die Unvollkommenheit der menschlichen Werkgerechtigkeit einnahm (:183). 199 Allein der bloße Umfang stand dem schon entgegen: 36 Seiten im Manuskript, im Druck in BDS 9/1 ca. 20 Seiten. 200 Den Protestanten war das Werk wegen seiner Berufung auf altkirchliche Traditionen und der vermeintlichen Aufweichung des „sola scriptura“-Prinzipes suspekt. Außerdem stärkte die Geheimhaltung der Autorenschaft und die Möglichkeit, dass katholische Theologen vorab Korrekturen vornehmen konnten, nicht gerade das Vertrauen in das Projekt. Auf eine Zustimmung Luthers und generell der Wittenberger Seite war nicht zu hoffen: „Die Evangelischen trauten dem Buch genausowenig wie seinem Mitverfasser und alleinigen Verteidiger Bucer“ (Augustijn 1993:678). Der Reichskanzler Granvelle war mit dem Ergebnis der Besprechungen hingegen sehr zufrieden und wollte die Schrift daher als kaiserlichen Vorschlag auf dem Reichstag vorlegen; zu seinem taktisch geschickt eingefädelten Plan, um dies tatsächlich zu erreichen, vgl. Gäumann 2001:471f; Greschat 2009:203. 201 „Das Geheimgespräch von Worms zeigt in ausgezeichneter Weise, wie Bucer sich als Theologe in den Dienst der Politik zu stellen bereit war und die Politik als wichtigen Faktor der theologisch-kirchlichen Auseinandersetzung wahrnahm und zu nutzen versuchte“ (Ortmann 2003:136). 202 Der kursächsische Kanzler Gregor Brück konnte formulieren, Bucer sei „... unter allen Theologen, die jetzund leben, in theologischen Sachen nach der Welt Weise zu handeln, ein vortrefflicher Mensch ...“ (CR 3, 795, Nr. 1864). 203 Anzumerken bleibt, dass sich Bucer von Anfang an im Klaren darüber gewesen sein müsste, dass Granvelles Hauptsorge der Politik und nicht religiösen Fragen galt, wich er doch jeder Stellungnahme in theologischen Fragen aus (vgl. Lenz, Bd. 1, 276, Nr. 101: „Aber mit keinem wort wolt er [sc. Granvelle] sich in einigen articel einlassen, wie fil anlaß ich im gab und ernste vermanung thette ...“). 66 (2003:136) urteilt zu Recht: „[G]erade Bucers naiv anmutender Versuch, Granvella auf die Seite der Protestanten zu ziehen, unterstreicht, wie sehr ihm die religiöse Einigung am Herzen lag.“ Auf dem Regensburger Reichstag (4. April bis 29. Juli 1541) wurde dann vom 27. April bis zum 22. Mai über die überraschende Vorlage - das „Wormser Buch“ - diskutiert. 204 Der darin enthaltene 5. Artikel - „de iustificatione hominis“ - musste neu formuliert werden, „weil ihm beide Seiten in dieser Form nicht zustimmen konnten, aber auch keine Möglichkeit zu einer sinnvollen Verbesserung sahen“ (Ortmann 2003:140, Anm. 46). Am 2. Mai kam es dann zu einer Einigung - grob skizziert - mit einer Formel der doppelten Gerechtigkeit: Grundlegend für das Rechtfertigungsgeschehen ist die Gerechtigkeit Christi, die im Glauben imputativ zugesprochen wird (vgl. zur Mühlen 1979:341f). Realisiert wird diese Gerechtigkeit material in einer inhärierenden Gerechtigkeit, ohne durch Grenzerfahrungen zu einem Mangel an Gerechtigkeit oder zur Einschränkung an Heilsgewissheit zu führen. MELANCHTHON und BUCER sahen in der materialen Realisierung der Gerechtigkeit Christi zum einen die Realität des Glaubens, zum anderen die Früchte des Glaubens, der durch die Liebe wirksam ist. 205 Hingegen wurde die Formel von der katholischen Seite so aufgefasst, dass nach wie vor die „iustitia inhaerens“, die materiale Realisation der Rechtfertigung in den Werken, maßgeblich für das Rechtfertigungsgeschehen sei.206 Die These von der doppelten Gerechtigkeit wurde 204 Zur großen Überraschung, insbesondere Melanchthons, präsentierte Granvelle beim Auftakt der Religionsverhandlungen nicht die CA, sondern das überarbeitete „Wormser Buch“ – zunächst versiegelt und ohne Titel -, das eben zuvor noch dem päpstlichen Gesandten Gasparo Contarini zur Ansicht gegeben und von jenem mit einigen Anmerkungen und Korrekturen versehen worden war (vgl. Mehlhausen 1969:190; Ortmann 2003:140f; Greschat 2009:204); zur Person Contarinis, der „vermöge seiner eigenen religiösen Entwicklung die religiösen Antriebe Luthers besser versteht als irgendein Theologe aus dem Bereich der romanischen Völker“, vgl. Jedin 1966b:364f (zit. nach :364); die Zusammensetzung des eigentlichen Kolloquiums als Arbeitsgremium – neben den unvermeidlichen Theologen wie Eck und Melanchthon, wurden Julius Pflug, Johannes Gropper, Johannes Pistorius und Bucer berufen -, zeigt, dass Karl V. tatsächlich den Ausgleich und die Verständigung suchte (vgl. Gäumann 2001:472). 205 McGrath (1998:221) charakterisiert die Wurzeln von Bucers Rechtfertigungslehre in aller Kürze als „the still-inchoate moralism of Zwingli being developed into a strongly Erasmian doctrine of justification.“ Er attestiert dem Straßburger dabei die Entwicklung einer doppelten Rechtfertigungslehre – forensisch und effektiv -, oder in Bucers eigenem Jargon: „the iustificatio impii, expounded by Bucer on the basis of St Paul, is followed by the iustificatio pii, expounded on the basis of St James“ (:221; Hervorhebung im Original; vgl. auch Müller 1965:122, Anm. 184, der Bucers Bemühungen um den Ausgleich biblischer Antithesen skizziert und darauf hinweist, dass jener in seinem Römerbriefkommentar auch von einer „triplex iustificatio“ sprechen kann – die zukünftige Verherrlichung der Gläubigen kommt noch als drittes Element hinzu). Einen „ordo salutis“ nach Bucer könnte man folgendermaßen darstellen: praedestinatio – electio – vocatio – duplex iustificatio (die sanctificatio, die Calvin an dieser Stelle einfügen würde, fehlt bei Bucer; vgl. McGrath 1998:224f) – glorificatio Die Frage, ob es sich hierbei um eine logische oder chronologische Sequenz handelt, beantwortet Müller (1965:24, Anm. 38) mit dem Hinweis, dass ein Nacheinander vorliegt, „das für seine [sc. Bucers] Art theologischen Denkens bezeichnend ist.“ Verkürzt, wenn auch in gewisser Hinsicht zutreffend, ist die Vorstellung, die „zweite Rechtfertigung“ bei Bucer entspricht dem, was bei Calvin u. a. später als „Heiligung“ bezeichnet wird, denn „it is still conceived in primarily moralist terms“ (McGrath 1998:221). Der springende Punkt liegt darin, „that Bucer implicates human moral action under the aegis of justification, whereas others (such as Melanchthon) implicated them under the aegis of regeneration or sanctification, which was understood to be a quite distinct element in the ordo salutis“ (:222; Hervorhebung im Original). 206 Friedrich (2002:183-185) bietet einen Überblick über die Änderungen und Umdeutungen in Bezug auf Art. 67 schlussendlich aufgrund ihrer Doppeldeutigkeit von beiden Parteien, LUTHER und der Kurie, im Nachhinein abgelehnt (zur Mühlen 1979:352-355; vgl. auch Gäumann 2001:474; Friedrich 2002:186.190). Trotz der Annäherung in der Rechtfertigungslehre als Basis des Entgegenkommens konnte vor allem in der Frage der Irrtumslosigkeit von Konzilien (Art. 9) und der Lehrautorität des Papstes (Art. 19) kein Konsens erzielt werden. Auch bezüglich des Messverständnisses (Art. 14), für das der päpstliche Legat CONTARINI explizit den auf dem IV. Laterankonzil 1215 festgelegten Terminus „Transsubstantiation“ festhielt (BDS 9/1, 437, Anm. v), galt dies (vgl. Mehlhausen 1969:191f). Dabei stand weniger das Verständnis der Realpräsenz zur Debatte, sondern die Bedeutung der Lehrentscheidungen der Kirche auf den Konzilien des Mittelalters, sprich die grundlegende Frage nach der Verbindlichkeit der katholischen - „allgemeinen“ Tradition, wie Hubert Jedin (1966b:365f) nachweist. Hinter dieser Speziallehre stand die ganze Frage der kirchlichen Autorität. Es wird deutlich: Nicht etwa die Rechtfertigungslehre, sondern grundlegende ekklesiologische Fragen waren das Kernproblem der Verhandlungen.207 Gerade anhand des Lehrstückes über das Messverständnis zeigt sich zum wiederholten Male BUCERS Bereitschaft, bis zum Äußersten zu gehen im Sinne seiner Auffassung von „Vergleichung“. Zwar herrschte Einigkeit unter den Protestanten, insbesondere gegenüber Johannes Eck, das Wort „Transsubstantiation“ nicht im besagten Artikel stehen zu lassen, und doch ist BUCERS Votum bei aller Zustimmung anders geartet, verweist er doch erneut auf diejenigen unter den Altgläubigen, die zur Wahrheit hinneigten. Es gelte um ihretwillen, die Chance des Reichstags zu nutzen und die eigene Lehre im Gespräch zu erklären, um die Irrenden zu gewinnen.208 Wiederum seelsorgerisch motiviert, vollzog er eine beachtliche 5 des „Wormser Buches“, das so zum „Regensburger Buch“ wurde (die Begrifflichkeiten werden in der Literatur nicht immer sauber getrennt). 207 „Am Verständnis der Kirche und des kirchlichen Lehramtes scheiterten also die hochgespannten Erwartungen und ernsten Bemühungen in beiden Lagern, die Christenheit in Deutschland zusammenzuführen und zu erneuern. Allzu einfach hatte sich Bucer die theologische und politische Ausschaltung des Papstes und seiner Anhänger gedacht. Stattdessen begannen diese, verlorenes Gelände zurückzugewinnen“ (Greschat 2009:205). Augustijn (1980:50-53) weist auf die neuzeitliche Fehlinterpretation hin, die sekundäre Einigung im Rechtfertigungsartikel überzubewerten und die entscheidenden Differenzen in der Sakramentenlehre und in der Ekklesiologie zu vernachlässigen. Weiterhin betont er, dass den Gegensätzen in der kirchlichen Praxis (bspw. Mönchsgelübde, Priesterzölibat, Anrufung der Heiligen, Kommunion „sub utraque“, Firmung, Weihe, Beichte, letzte Ölung, Exkommunikation, Fegefeuer) in der Forschung bisher zu wenig Bedeutung zugemessen wurde. Häufig hielt man jene handgreiflichen Unterschiede für peripher, obwohl es sich doch im 16. Jahrhundert um zentrale Probleme gehandelt hat. Nach Mehlhausens’ (1969:195f.210) detaillierter Schilderung sind die Teilnehmer des „Regensburger Abendmahlsgesprächs“ gar nicht erst dazu gekommen, die wesentlichen Differenzen der kath. und reformatorischen Abendmahlsauffassung aufzudecken und einander gegenüberzustellen: „Ähnlich wie offensichtlich noch 1551 in Trient wurde auch 1541 in Regensburg der Begriff transsubstantiatio primär auf Grund seiner durch das Laterankonzil von 1215 gesicherten lehramtlichen Autorität zur ‚Parteifahne des rechten Glaubens‘ [E. Schillebeeckx] erhoben, nicht aber infolge theologisch begründeter Einsicht in seine unaustauschbare Prägnanz zur Verdeutlichung der katholischen Abendmahlsauffassung“ (:195). Der Verdacht liegt sogar nahe, dass sich die Kolloquenten auf den von Contarini noch nicht redigierten Text von Art. 14 des „Wormser Buches“ hätten einigen können (:196; vgl. CR 4, 275-278). 208 Nach einer lat. Mitschrift von Wolfgang Musculus: „Duplex esse genus eorum quibus nobis esse negotium:/1. Eorum qui veritati pertinaciter adversantur/2. Eorum qui veritati faveant. (…) Deinde Caesarem, id 68 Gratwanderung, indem er einerseits ablehnte, Transsubstantiation, Aufbewahrung und Verehrung der Hostie auf evangelischer Seite wiedereinzuführen, andererseits aber dazu bereit war, sie auf der Gegenseite zu tolerieren (wenn auch nur auf Zeit). 209 Dulden konnte BUCER dies nur, da er im Gegenzug Offenheit für die reformatorische Predigt und als ersten praktischen Schritt die Abstellung offensichtlicher Missbräuche erwartete. Er blieb damit seinem Programm treu, insbesondere in den „äußeren Dingen“ der Zeremonien usw. der römischen Kirche entgegenzukommen, um so der protestantischen Lehre die Tür zu öffnen. „Allerdings konnten die Gegensätze in der Lehre damit nicht wirklich beseitigt werden, und die ‚Reformation‘ kam über eine ‚Reform‘ der Mißbräuche nicht hinaus“ (Ortmann 2003:142).210 Zudem fassten die päpstlichen Legaten die Ankündigung BUCERS ganz in ihrem Horizont auf: Er sei willens, die Transsubstantiation zu predigen! 211 Die Gefahr missverstanden zu werden, nahm er offensichtlich in Kauf. Dabei war ihm jedoch bewusst, dass weitere Konzessionen gegenüber der altgläubigen Seite die innerprotestantische Einheit vollends gefährden würde.212 Etwas verständlicher wird seine Bereitschaft, bis an die Schmerzgrenze zu gehen - man muss annehmen, dass ihn seine Haltung in Regensburg wirklich Überwindung gekostet hat -,213 beachtet man, dass für den Straßburger Pfarrer doch gerade im Abendmahl die Einheit der Kirche als des einen Leibes Christi aufleuchtet. 214 Die quod hactenus non fecerit, tandem causam nostram explicemus et adversarios instruamus. Germaniam quoque propendere ad Evangelium, atque ideo impelli se Zelo quodam lucrandi errantes, licet sciat non esse facendum malum ut eveniat bonum“ (zit. nach Ortmann 2003:142, Anm 54, der auf Pierre Fraenkel 1968. Les protestants et le problème de la transsubstantiation au Colloque de Ratisbonne: Documents et arguments, du 5 au 10 mai 1541, in: Oec. 3, 99-115, 102 zurückgreift; zur Qualität weiterer Überlieferungen vgl. Ortmann 2003:141, Anm. 52). 209 „Confiteri quidem nos magnam aliquam muttationem panis in caena … verum non posse fieri solidam concordiam nisi adversarii transsubstantiationis vocabulam abiiciant“ (zit. nach Ortmann 2003:142, Anm. 55 – Fraenkel 1968:103). Der Begriff der „Transsubstantiation“ müsse zwar aufgegeben werden, auch wenn man zunächst noch der Sache nach daran festhielte: „Adhaec cognitandum ese, an non sint ferendi aversarii in ista phantasia ita ut non impugnemur in illa si alioque iustam reformationem admitterent, et nos contrarium sentientes non condemnarent.“ (zit. nach Ortmann 2003:142, Anm. 56 – :104). 210 Musculus bemerkt: „Hic dicturi essent Papistae, nos recte sentimus, at lutheranos pacis gratia ferimus, idem contra dicturi essent et lutherani. Nos recte sentimus et toleramus Papistas“ (zit. nach Ortmann 2003:142, Anm. 57 – :106). 211 Im Nachhinein äußerte vor allem Granvelle seine Enttäuschung über Bucer, der doch für die römische Kirche zurückgewonnen sei und bei den Protestanten in diesem Sinne wirke (vgl. den Auszug aus dem Nuntiaturbericht bei Ortmann 2003:144, Anm. 63)! Diese Fehleinschätzung zeigt, wie weit Bucer letztlich gegangen war. Im „Leipziger Reformationsentwurf“ (s. o. S. 60) konnte Bucer sogar im Zusammenhang mit Art. 2 so weit gehen und den von ihm ansonsten im Einklang mit Luther u. a. - seit der erasmischen Schrift „De libero arbitrio“ - postulierten unfreien Willen leugnen (vgl. Friedrich 2002:164). 212 So konnte er sich auch entschuldigen, „dieweil er vernommen, daß die anderen [protestantischen] Theologen keinen Gefallen an seiner Handlung gehabt ...“ (CR 4, 438, Nr. 2294; vgl. auch CR 39, 249, Nr. 332; CR 4, 394, Nr. 2265). Im Kern blieb er aber seiner für das protestantische Lager zu gewagten Konkordienpolitik in Regensburg treu, wie ein Schreiben an den Landgraf von Hessen (vom 14. Juli 1541) beweist: „Und hett ich nach so fil unlust auff mich geladen, so rewet mich nit, das ich die sachen auff milterung gezogen, und wille doch mit der hilff des lieben Gottes von der reine seines worts nymer weichen; und will, so ferr mir der herr das leben gibt, das vor aller welt so bald bekennen mit einer außlage des buchs [sc. ‚Alle Handlungen und Schriften‘; s. u. Anm. 214]“ (Lenz, Bd. 2, 27, Nr. 124). 213 Vgl. zur Diskussion über die „Wende“ Bucers in Regensburg Ortmann 2003:145, Anm. 67. 214 In seiner nach dem Reichstag herausgegebenen kommentierten Aktenedition („Alle Handlungen und Schrifften"; 1541) heißt es zum entsprechenden Artikel: „So wir aber nůn des eins seindt, das wir im h. nachtmal, wenn wir das nach der einsetzung des herren halten, seinen ware leib und blůt empfahen und zůgegen haben, 69 vorhergegangenen Auseinandersetzungen im Abendmahlsstreit unterstreichen diese Position (s. o. S. 26f). Sein „Toleranzprojekt“ (Ortmann 2003:143) überzeugte immerhin GRANVELLE und Karl V., nur CONTARINI bestand auf der kanonisierten Formulierung des Artikels. Schlussendlich sah sich auch BUCER genötigt, mit den anderen protestantischen Theologen eine Erklärung über das Abendmahl zu formulieren, in der neben der CA der Abendmahlsartikel des „Wormser Buches“ ausdrücklich bestätigt wurde. Ordnet man das Ergebnis der protestantischen Partei bei den Verhandlungen in Regensburg bzgl. Art. 14 in einen größeren Gesamtzusammenhang ein, liegt der erkenntnistheoretische Schluss nahe: Man fand zwar zu einer Einheit in der Negation - strikte Ablehnung der Transsubstantiationslehre -, aber nicht in der Position - innerprotestantische Vielfalt hinsichtlich der Abendmahlslehre. Eine extreme Sicht der Dinge wurde zwar kollektiv ausgeschlossen, eine Übereinstimmung im Kern der Sache konnte jedoch nicht gefunden werden.215 Der Reichstagsabschied vom 29. Juli 1541 bestand schließlich in einer Nebeneinanderstellung der „verglichenen“ (16 von 23) und „unverglichenen“ Artikel (CR 4, 349-376; s. a. KTGQ, Bd. 3, Nr. 55 ), immerhin verbunden mit der Ermahnung an die einzelnen Territorien, im Sinne der verglichenen Artikel mit einer Reform fortzufahren, allerdings im Rahmen der römischen Kirche. Namentlich BUCER (und MELANCHTHON) griffen diese Maßgabe auf, auch wenn das protestantische Lager generell über das Ergebnis der Verhandlungen in Regensburg mehr als unzufrieden war. 216 Im Juli verfasste BUCER eine was solle und hoch anfechten was dem brot geschehe, weil doch auch der name vnd wesen der Transsubstantiation bei allen alten h. vaettern unerhoert und unbekant gewesen ist...“ (BDS 9/2, 296, 4-8). 215 Bucers Vorstellungen gingen hierbei bekanntlich in eine ganz andere Richtung, stand er doch bei der Verfassung des Abendmahlsartikels für das ursprüngliche „Wormser Buch“ in Analogie zur Wittenberger Konkordie (Kretschmar 1984:222f): „Damals war auf dem Wege der Konvergenz-Theologie die Position der einen Seite, der Oberdeutschen, von der anderen, den Wittenbergern, anerkannt worden. Jetzt wollte man sogar eine Konsensformel aufstellen, die aber doch Raum für die klaren Überzeugungen beider Seiten lassen mußte, wozu von Bucer und Capito her natürlich die Wittenberger Konkordie gehörte. (…) Zugespitzt wird man also sagen können, Artikel 14 von Worms war der Versuch, nicht primär von der Confessio Augustana, sondern von der Wittenberger Konkordie aus einen tragfähigen Ausgleich zwischen den ‚Altgläubigen‘ und ‚Protestanten‘ zu finden.“ 216 Ebenso wie im ersten Abendmahlsstreit in Form der Wittenberger Konkordie war hinsichtlich der Religionsgespräche mit den Regensburger Verhandlungen nun auf offizieller Ebene ein weiterer Endpunkt erreicht: Das Ergebnis des Reichstags war nichts anderes als eine tiefe Enttäuschung für Bucer, der sein Hauptziel einer Konkordie und Reformation der Kirche oder zumindest den Anfang hiervon, nicht erreicht hatte. Im Gegenteil, die Spaltung Deutschlands war noch stärker zu vernehmen, und seine Konkordienpolitik hatte sogar die Einheit der Protestanten eher gefährdet als gefördert. Trotz all dem kam es nicht zu einer Änderung seiner Zielsetzungen und Strategie. Eindrücklich konnte Bucer sodann vor allem Philipp von Hessen mahnen, alles daranzusetzen, dass die Religionsgespräche keine Episode bleiben, sondern sich als weiterhin politisch maßgebend für das Deutsche Reich erweisen: „Weil uns aber der liebe Gott so viel Gnade zugewandt hat, daß wir seine Protestierenden genannt werden, so haben unsere Obrigkeiten und wir alle das Recht und die Pflicht, daß wir uns in dieser Angelegenheit wie eine Mauer vor das Haus Gottes stellen und nicht nachlassen, bis den Kirchen geholfen wird: was wir auf dem künftigen Reichstag, wenn wir nur recht christlich darauf dringen wollten, wohl erreichen könnten. Denn gegen die Türken werden wir nichts ausrichten und unter uns selbst keine echten Frieden haben, solange wir in den Mißverständnissen über die Religion und dadurch unter dem schwersten Zorn Gottes bleiben“ (Lenz, Bd. 2, 37, Nr. 129; zit. nach Greschat 2009:206). 70 Denkschrift für Karl V. mit Vorschlägen zur Bewältigung des kirchlichen Verfalles bzw. zu einer weiterführenden kirchlichen Reform.217 Drei Propagandaschriften folgten im Jahr 1545, die an Schärfe im Ton zunahmen, stand doch das herannahende Trienter Konzil immer mehr vor Augen (vgl. Gäumann 2001:480, Anm. 166). Was BUCER nun konkret unter einer - wie Karl V. vorgeschlagenen - „Reform“ verstand und mit welchen Widerständen er dabei zu kämpfen hatte, lässt sich anschaulich durch seine Teilnahme an der sog. „Kölner Reformation“ zeigen. 2.2.2.3 Kölner Reformationsversuch (1543-1546) Unter der Regie des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied 218 hatte es bereits 1536-1538 einen Reformversuch mithilfe seines Beraters Johannes Gropper gegeben, der allerdings wegen des Widerstandes des Herzogs von Jülich-Kleve-Berg gescheitert war. Nach dem Regensburger Reichstag unternahm er einen zweiten Anlauf, indem er BUCER - dieser war ihm durch das Hagenauer Religionsgespräch kein Unbekannter219 - im Februar 1542 auf sein Jagdschloss Buschoven bei Bonn einlud (ausführlich bei Strohm 2002b:126, Anm. 12), um dort einen Plan für die kirchlichen Reformen in seinem eigenen Territorium zu entwickeln. 217 Diese kurze, prägnante Schrift trug den Titel „Abusuum ecclesiasticorum (…) indicatio“ (BDS 9/2, 31-56) und wurde stark beachtet, so erlebte sie immerhin im Sommer 1541 drei Nachdrucke. In Form einer kurzen, nüchternen Aufzählung werden im Rückgriff auf die wichtigsten altkirchlichen Konzilsbeschlüsse zentrale Themen, wie die Priesterwahl, die Position des Bischofs usw. behandelt (vgl. Augustijn 1993:678f; Gäumann 2001:475, Anm. 138 u. Strohm 2002b:124, der als Charakteristikum nachweist – alle Schriften zur sog. „Kölner Reformation“ betreffend -, dass „Bucer sich nicht nur eingehend mit kanonischem Recht auseinandersetzt, sondern auch in neuer Weise das Reichsrecht der jüngsten Zeit zur Verteidigung der eigenen Positionen heranzieht.“ Eine Entwicklung, die für die Entstehung der Disziplin des öffentlichen Rechts am Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts insgesamt von Bedeutung ist; :124). 218 Zu Hermann von Wied, der „nicht besonders gebildet, aber … lauter, fromm und .. auch fest entschlossen [war], seiner Verantwortung vor Gott für die Besserung der kirchlichen Zustände gerecht zu werden“ (Greschat 2009:210), sei hier nur vermerkt, wie unterschiedlich die Beurteilung seiner Person im Zusammenhang mit dem Reformationsversuch ausfiel: Bucer sah in ihm den Kurfürsten, der erst zum Bischof im eigentlichen Sinne wurde (vgl. Lenz, Bd. 2, 135 u. vor allem den hochinteressanten Brief aus Bucers Perspektive über den „langen Weg“ dieses Erzbischofs, in: Pollet, Bd. 4, 85-94, Nr. 25). Ganz anders beurteilt Johannes Gropper den Entwicklungsprozess seines Bischofs bis zur Berufung Bucers nach Köln. Ein bewegtes Schreiben an den mächtigen Fürsprecher der Kölner am kaiserlichen Hof, Jodocus Hoetfilder, zeugt hiervon (Pollet, Bd. 4, 111118, Nr. 29), das zugleich eine Apologie des kath. Reformtheologen gegenüber dem Vorwurf ist, er habe Bucer nach Köln geholt (vgl. de Kroon 1993:500). Jedin (1966a:355) als neuzeitlicher Interpret urteilt etwas lakonisch: „Gibt es ein stärkeres Indiz für die theologische Ahnungslosigkeit Hermanns als diese Doppelberufung [sc. Bucers und Groppers], die doch nur auf der Hoffnung beruhen konnte, diese beiden gemeinsam vor den Wagen der geplanten Reform spannen zu können?“; vgl. generell August Franzen 1971. Bischof und Reformation: Erzbischof Hermann von Wied in Köln vor der Entscheidung zwischen Reform und Reformation. (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 31). 2. Aufl. Münster: Aschendorff u. immer noch Conrad Varrentrapp 1878. Hermann von Wied und sein Reformationsversuch in Köln: Ein Beitrag zur deutschen Reformationsgeschichte. Leipzig: Duncker & Humblot. 219 De Kroon (1993:501) kommt zu dem Schluss: „Nicht eine zufällige Koinzidenz historischer Umstände, so meinen wir, veranlaßte den Bischof von Köln, für seinen Reformationsversuch an den Straßburger Reformator zu appellieren. Hier gab es tiefere Gründe.“ Gemeint sind das „maßvolle Wesen“ (so sogar Gropper in einem Verteidigungsschreiben!) und der Ansatz nur - gemäß der verglichenen Artikel des „Regensburger Buches“ - eine Reformation, die die „substantia religionis nostrae et ecclesiasticae administrationis“ (Pollet, Bd. 3, 143) betrifft, anzugehen (:501). 71 Dem Straßburger war durchaus bewusst, welche Bedeutung dieses, wenn auch auf den ersten Blick bescheidene Bistum für die Reformation in ganz Deutschland haben könnte. 220 „Das kleine Erzstift am Niederrhein spielte in religiös-politischer Hinsicht tatsächlich eine Schlüsselrolle“ (de Kroon 1993:494).221 Allerdings waren die Möglichkeiten des Erzbischofs, diese Rolle wahrzunehmen, erheblich eingeschränkt. Außenpolitisch wie auch innenpolitisch eingeengt,222 waren die vehementen Auseinandersetzungen mit den Gegnern des Reformationsversuches vorprogrammiert. Exemplarisch sei nur auf die Äußerungen des Kölner Sekretärs, der im Auftrag des Klerus und der Universität dieser Stadt ein ausführliches und emotional aufgeladenes Gutachten für den kaiserlichen Rat Antoine Granvelle (sein Vater Nicolas vermittelte bei den Wormser und Regensburger Verhandlungen, an denen der Sohn auch teilnahm) erstellte, hingewiesen. Der Bericht von Anfang Dezember 1544 endet mit folgender eindringlichen Beschwörung: „Ich flehe Sie an, für diese Angelegenheit, die nicht nur uns persönlich betrifft, sondern die ganze Kirche, nach wie vor zusammen mit uns beim Kaiser klug und umsichtig zu kämpfen. Seien sie festens davon überzeugt, daß der Rest von Deutschland (residua Germaniae) nicht in dem Glauben und der Religion bewahrt und erhalten werden kann, wenn unserem Erzbischof zugestanden wird, mit seinen Wahnsinnsplänen weiterzumachen“ (Pollet, Bd. 4, 108, 286-292, Nr. 28).223 220 Bucer schrieb an den Landgraf Philipp von Hessen (ca. 10. Juni 1543) - paraphrasiert: „Sie können wohl ermessen, wieviel der ganzen deutschen Nation an einer guten Reformation in diesem Kurfürstentum gelegen kann sein“ (Lenz, Bd. 2, 151, Nr. 168). In einer etwas allzu optimistischen Aufzählung – angesichts des kaiserlichen Vorgehens gegen den Herzog von Kleve kurz zuvor - des geballten religiös-politischen Potentials der protestierenden Stände, schließt der Straßburger: „Sachsen, Brandenburg, Braunschweig, Bayern stehen auf unserer Seite. Dazu kommt, daß man in den beiden Linien der Pfalzgrafen die Predigt und Sakramentsbedienung wie auch die Priesterehe zuläßt. So gehören nun auch Köln und Münster, was die Majorität betrifft, ganz zu uns. (…) So fiel die stimmen belanget“ (Lenz, Bd. 2, 171, Nr. 174). 221 Bucer und seinen Kölner Gegnern stand vor Augen: Gelingt der Durchbruch der Reformation im Erzstift, ist eine Änderung der religiös-politischen Verhältnisse in ganz Deutschland nicht mehr weit (nachfolgend nach Greschat 2009:208). Zwar bestand der weltliche Besitz des Kölner Kurfürsten nur aus einem schmalen Streifen am linken Rheinufer (70 km in der Länge, ca. 10 km in der Breite) - von allen Seiten wurde er durch das Gebiet des politisch viel mächtigeren Herzogs von Kleve umklammert -, das Bistum selbst war allerdings sehr umfangreich. Der Kölner Bischof war sogar Administrator von Paderborn. Seine Diözese umfasste die Archidiakonate Bonn, Köln, Xanten und Soest. Die Bistümer Lüttich, Utrecht, Münster, Osnabrück und Minden waren sog. - „untergeordnete“ - Suffraganbistümer. Dabei war Franz von Waldeck, der Bischof von Münster (und zugleich Administrator von Osnabrück und Minden), im Begriff, die luth. Reformation in seinen Territorien einzuführen. Der Einfluss des Kölner Erzbischofs reichte darüber hinaus bis zum Bischof von Würzburg, der beschuldigt wurde, mit dem Kölner gemeinsame Sache zu machen. Er erstreckte sich ebenso bis zum Straßburger Bischof, Erasmus von Limburg, den Hermann von Wied ebenfalls drängte, die Reformation in seinem Territorium durchzuführen. De Kroon (1993:495; im Rückgriff auf L. von Ranke’s „Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation“) stellt in den Raum: „Wenn wir dem Gesandten aus Florenz am kaiserlichen Hof glauben dürfen, blickten sogar Aachen und Löwen – nicht die Universität! Diese hat immer mit der Kölner Hochschule den alten Glauben kräftig in Schutz genommen – in Richtung Köln, gespannt, wie Hermanns Reformationsversuch ausgehen würde. Die Lage des Kölner Erzstiftes war für Karl V. von eminent strategischer Bedeutung in Hinblick auf die Habsburger Niederlande.“ 222 Für jede wichtige Entscheidung musste jener die Zustimmung des Landtags einholen, in dem das Kölner Domkapitel, das unter anderem mit acht Professoren der strikt altgläubigen Kölner Universität besetzt war, großen Einfluss besaß. Die übliche Rivalität zwischen Domkapitel und Bischof, die auch anderswo anzutreffen war, hatte in Köln durch die enge Verknüpfung des Domkapitels mit der Universität und dem Rat der Stadt noch eine andere Qualität (eine äußerst aufschlussreiche, protokollarische Auflistung dieses Kölner „Klüngels“ anhand der Register der Theologischen Fakultät aus den Jahren 1541-1543 bietet de Kroon 1993:496-498). 223 Einige Monate (23. April 1545) später kann der Adressat, Antoine Granvelle, beinahe beiläufig erwähnen: 72 BUCER lebte nun von Dezember 1542 bis August 1543 in Bonn - dem neuen Zentrum nach der Umsiedlung der Kanzlei aus Brühl - und versuchte zunächst durch seine Predigttätigkeit die „Wahnsinnspläne“ des Erzbischofs voranzutreiben (vgl. Greschat 2009:212). Nachdem Anfang Mai 1543 auf seine Bitte auch MELANCHTHON für drei Monate nach Bonn kam und Ende Juni auch HEDIO, verfasste der Straßburger Reformator, am Schluss von beiden unterstützt, im Frühjahr und Sommer 1543 ein Gutachten namens „Einfaltigen Bedencken“ (BDS 11/1, 147-432)224. Diese umfassende225 Reform- und Kirchenordnung für das Erzbistum Köln griff auf die Reformvorstellungen Hermann von Wieds zurück, der eine „recht einfaltige, ware, ongeferbte reformation“ (so BUCER an Philipp von Hessen; Lenz, Bd. 2, 115, Nr. 151) suchte. Dabei verfolgte er vor allem drei Ziele: 1. ein Rückgriff auf das Wesentliche, wie es durch das Zeugnis der Heiligen Schrift zum Ausdruck kommt, 2. eine gründliche Reinigung des Zeremonialwesens und der Lebensführung der Geistlichen - Hermann sah den Dienst an Gott als „verdreckt“ an (defaecatus cultus; vgl. Pollet, Bd. 1, 104), 3. wollte der Erzbischof eine konservative Reformation, schrittweise mit Beibehaltung kirchlicher Strukturen und Institutionen so weit wie möglich, ganz nach der kaiserlichen Weisung, in der eigens für die Protestanten hinzugefügten „Declaratio“ vom 28. Juli 1541 (vgl. CR 4, 624, Nr. 2352). Hiermit ist der zentrale Punkt zum Verständnis der „Kölner Reformation“ angeschnitten, Hermanns Überzeugung nichts anderes zu tun, als dem Regensburger Abschied Folge zu leisten.226 „Aufgrund der Regensburger articuli conciliati hat er in seiner Kirchenordnung, dem ‚Einfaltigen Bedencken‘, die articuli non-conciliati im Sinne der Hl. Schrift und der alten Kanones, wie er meinte, ausgelegt“ (de Kroon 1993:502; Hervorhebung im Original). Die unverglichenen Artikel - „articuli non-conciliati“ - in Regensburg betrafen vor allem Fragen der kirchlichen Glaubenspraxis und der kirchlichen Strukturen, sprich das „Ihr sollt wissen, daß wir viel mehr unternehmen, als wir euch schreiben können“ (Pollet, Bd. 4, 123, 14f, Nr. 32). De Kroon (1993:495) sieht in dieser Notiz auf der Grundlage von Jacques Pollets Recherchen den Hinweis, dass „die kaiserliche Diplomatie während Hermanns Reformationsversuch, parallel zu den offiziellen Verhandlungen und Statements, eine rege, geheime Aktivität entfaltet hat“ (:495). 224 Vgl. auch Hermann von Wied [1972]. Einfältiges Bedenken: Reformationsentwurf für das Erzstift Köln von 1543. Übers. u. hg. von Helmut Gerhards und Wilfrid Borth. (SVRKG 43). Düsseldorf: Presseverband der evangelischen Kirche im Rheinland. 225 Greschat (2009:217) skizziert den keineswegs knappen und präzisen Entwurf: „Auf mehr als 300 Seiten bieten die beiden Autoren dem Leser in 60 Kapiteln eine eigenartige Mischung aus theologischen Grundsätzen und erbaulichen Besinnungen, kirchenrechtlichen Bestimmungen und agendarischen Anleitungen. Einmal mehr belegt dieses Werk, dass es Bucer nicht einfach um die Darlegung und Entfaltung der richtigen dogmatischen Grundsätze zu tun war [s. o. S. 13, Anm. 11] (…). Weil Bucer von der Teilhabe der Gemeinde wie auch des einzelnen an Christus ausging und dem Reichtum des neuen Lebens und Denkens daraus, wehrte er sich gegen eine Einschnürung der Lehre in eine enge Norm.“ 226 „Dazu haben wir … allen geistlichen Prälaten aufgelegt und befohlen … unter ihnen und den Jhren, so ihnen unterworfen seynd, eine christliche Ordnung und Reformation vorzunehmen und aufzurichten“ („Declaratio“; CR 4, 628, Nr. 2353). 73 Zeremonien- und äußere Kirchenwesen.227 Gerade diese Bereiche erfahren im „Einfaltigen Bedencken“ eine ausführliche Behandlung, ist die Reformschrift doch gegliedert in die drei Abschnitte Lehre, Zeremonien und Reform des äußeren Kirchenwesens (vgl. Köhn 1966:72). BUCER kommt nun seiner Aufgabe als praktischer Theologe nach, tragen doch der zweite und der dritte Teil des Buches deutlich seine Handschrift, während MELANCHTHON als Verfasser des ersten Teiles (die Lehre) in Erscheinung tritt - ohne eine exakte Zuordnung en détail behaupten zu wollen (:67-69).228 Einer Klärung bedürftig ist bis heute die wechselvolle Beziehung BUCERS zu Johannes Gropper, seinem freundlichen Gegenüber bei den Wormser Geheimverhandlungen, der im Rahmen der Kölner Ereignisse zu einem erbitterten Gegner wurde (vgl. die Skizze beider Hauptkontrahenten in: Pollet, Bd. 3, 161-177; s. auch Greschat 2009:211).229 Überhaupt wurde der Reformationsversuch von scharfen Auseinandersetzungen, insbesondere publizistischer Art, überschattet.230 Zum ersten Mal kamen in den Kämpfen um die Kölner Reformation die neuen Waffen, die dem Buchdruck zu verdanken waren - man hat ca. 140 Schriften, wie Flugschriften, Bücher und andere Texte im betreffenden Zeitraum gezählt -, auf beiden Seiten zur Anwendung. Auf altgläubiger Seite nutzte man zum ersten Mal die von LUTHER und anderen Reformatoren schon seit längerem umfassend eingesetzten neuen 227 Die beiden letzten Artikel des „Regensburger Buches“ (disciplina cleri et populi) sind vor Ort kaum noch diskutiert worden (Augustijn 1967:96). 228 Den theologischen Grundzügen des „Bedenckens“ soll an dieser Stelle nicht nachgegangen werden, der vorliegende Abschnitt (2.2.2.3) dient eher der Illustration eines Reformations- und Verständigungsversuches auf dem Weg von der Theorie zur Praxis. Melanchthon, so viel soll hier angemerkt werden, legte Luther nach seiner Rückkehr aus Bonn einen mündlichen Bericht vor, den jener zunächst positiv auffasste (vgl. WABr X, 316-318, Nr. 3876). Noch bis Juni 1544 hatte der Wittenberger Reformator jedoch den Text des „Einfaltigen Bedencken“ nicht gelesen und der mündlichen Fassung Melanchthons vertraut (WABr X, 600, Nr. 4007); vgl. Diestelmann 1996:87-97, bes. 92f u. generell Scheible 1993. 229 Stupperich (1950:115) charakterisiert Gropper folgendermaßen: „Meinte er zuweilen selbst, er sei ‚keyn theologus und der sachen nicht genug verständig‘, so entfaltete er andererseits, wie es bei Autodidakten häufig ist, ein nicht geringes Selbstbewußtsein und bereitete damit seinen Partnern recht große Schwierigkeiten.“; vgl. : 122-128 u. Walter Lipgens 1951. Kardinal Johannes Gropper 1503-1559 und die Anfänge der Katholischen Reform in Deutschland. (RST 75). Münster: Aschendorff, bes. 132-136. 230 Strohm (2002b:127) führt aus: Ein erstes greifbares Beispiel hierfür ist ein verschollenes Libell (Klageoder Schmähschrift), das in Köln öffentlich angeschlagen wurde und den Erzbischof sowie Bucer gottloser Neuerungen beschuldigte. Anfang Februar 1543 folgte eine Schrift des Kölner Domkapitels mit dem Titel „Sentenia delectorum per venerabile Capitulum ecclesiae Coloniensis, de vocatine Martini Buceri“ (BDS 11/1, 437-446). Bucers Berufung wird darin als unrechtmäßig, sein Lebenswandel als unmoralisch und seine Lehre als häretisch verurteilt. Bucers Erwiderungen ließen nicht lange auf sich warten, eine erste, „Was im Namen des heiligen Evangeli“ (BDS 11/1, 29-131), folgte im Frühjahr 1543, eine zweite im Sommer mit dem Titel „Die ander verteydigung vnd erklerung der Christlichen Lehr in etlichen fürnemen haupstucken (…), Bonn 1543“ als Reaktion auf eine weitere scharf polemische Schrift, die inzwischen erschienen war. Der Provinzial der Niederdeutschen Ordensprovinz der Karmeliten, Eberhard Billick verfasste das „Iudicium“ (immerhin 5 Aufl.), das allerdings so polemisch und undifferenziert daherkam, dass sich sogar das Kölner Domkapitel davon distanzierte. De Kroon (1993:502-504) hat nachgewiesen, dass sich dieser altgläubige, publizistische Angriff vor allem auf zwei Schriften Bucers bezieht, die im Vorfeld (Juli 1541) des Reformationsversuches entstanden sind und als praktisch-theologische „Brücke zwischen Regensburg und Köln“ (:501) bezeichnet werden können: „Abusuum Ecclesiasticorum“ (s. o. S. 71, Anm. 217) und „Responsum Protestantium de reformandis Abusibus Ecclesiasticis“. Die Schärfe der Argumentation der altgläubigen Partei hat hier ihre Wurzeln, so „lesen die Delecti des Kapitels in Bucers ‚Abusuum‘, der Straßburger wolle die Immunität ihres Standes brechen, geistlich und finanziell“ (:504). 74 Medien konsequent (vgl. Strohm 2002b:128). Taktisch äußerst geschickt war das Redeverbot, das man BUCER für die gesamte Zeitspanne erteilte, ließen sich doch weder das Domkapitel noch die Theologische Fakultät auf eine öffentliche Disputation mit ihm ein. Seine „hervorragende Fähigkeit schnell zu formulieren und dialektisch gewandt zu argumentieren, war dadurch außer Kraft gesetzt“ (Greschat 2009:214). Schirrmacher (2005:122) resümiert: „Wenn es auch für uns Heutige ungewohnt ist, dass Theologie und Kirchenpolitik in polemischen und ad personam gerichteten Büchern entwickelt wurde, die in schneller Folge gegeneinander geschrieben wurden, so zeigen doch schon die Titel der Werke, dass Bucer bei aller Verteidigung seiner theologischen Position, seiner rechtlichen Position und seiner Person, und bei aller Gereiztheit, doch letztlich – die einen sagen weltfremd, die anderen wegweisend – bis zuletzt an die Möglichkeit glaubte, jenseits des Gegensatzes der Altgläubigen und der Protestanten eine Reformation einer katholischen Diözese durchführen zu können, ohne dass diese dazu offiziell evangelisch werden müsste.“ Es waren dann nicht innere oder äußere Schwierigkeiten, die das Ende brachten (vgl. Gäumann 2001:497-500; Greschat 2009:218): Einen Abbruch fand das Kölner Reformprojekt durch den Geldener Erbfolgekrieg von 1543.231 Karl V. hatte zuvor Philipp von Hessen wegen seiner Doppelehe und auch Joachim von Brandenburg zum Stillhalten in dieser militärischen Auseinandersetzung verpflichtet. Mit den hiermit einsetzenden militärischen Aktionen begann der Umschlag von einer dem Protestantismus nahestehenden Reform zu ersten gewaltsamen Akzenten der katholischen Gegenreformation, die dann ihren ersten Höhepunkt im Schmalkaldener Krieg 1546/47 fand. BUCERS Bemühungen um eine Vergleichung in der Religionsfrage mit den katholischen Gesprächspartnern traten mit dem Wechsel der Religionspolitik nunmehr in den Hintergrund.232 In Summe: Die „Kölner Reformation“ liefert ein anschauliches Exempel für die unbezwingbare Komplexität eines Reformationsversuches, der im Ansatz zum Scheitern verurteilt war, und darüber hinaus für das Faktum, dass die politische Realität einmal mehr 231 Am Rande: Der Protestantismus hat im Bonner Raum allerdings noch lange in einzelnen Gemeinden und im Untergrund weiterbestanden (vgl. Becker 1989:31-60). 232 Bucer beurteilte generell die Lage der Evangelischen im Reich als äußerst düster. So geht es aus einem ausführlichen Brief an Bullinger vom 28. Dezember 1543 hervor: Nach einer kurzen Schilderung der Lage im Kurfürstentum Köln folgt eine Klage über Luthers neue grobe Ausfälle gegen die Schweizer in der Abendmahlsfrage. Nichtsdestotrotz handle es sich bei Luther um ein „bewunderungswürdiges Werkzeug Gottes zum Heil des Volkes Gottes.“ Doch: statt Anklage und Übereifer – so zum wiederholten Male aus Bucers Mund – sollen Liebe und Geduld Kennzeichen der Christen sein, ansonsten vermöchte man nichts zu bewegen in der Religionsfrage. Das gelte in gleichem Maße für die Politik. Ein kurzes Portrait Karl V. schließt sich an, das treffend und nüchtern den schroffen Mann charakterisiert, der „seine Ziele hartnäckig verfolgt, wenn auch oft heimlich und undurchsichtig.“ Aus Bucers Perspektive hätte der Kaiser einen ganz anderen Einfluss, „wenn er nur Kaiser von Deutschland und Christi Knecht sein wollte“. Im eigenen Lager sieht Bucer nur Zank, Streit und Eigensucht: „Das sind also unsere Säulen“, beschließt er seinen Rundgang. Außenpolitisch gibt es auch nichts Besseres zu berichten; der französische König hat allen Kredit durch sein Bündnis mit den Türken verspielt. Der englische Herrscher sieht tatenlos zu. Der Däne zieht sich zurück: „Du siehst also die Ruinen Europas.“ Bucer schließt: „So sehe ich bei Menschen überhaupt keinen Rat mehr, um Deutschland vor dem Untergang zu retten. Der Herr Jesus gebe, dass wir uns ihm von ganzen Herzen weihen. Das ist der einzige Weg, um Gottes Zorn, der schon gegen uns entbrannt ist, zu entgehen. Es sind jetzt die Zeiten der Propheten. Gebe der Herr, daß wir mit gleichem Geist zur Buße rufe“ (Lenz, Bd. 2, 225-231; Übers. nach Grechat 2009:220f). 75 über das Gewissen des Einzelnen zu siegen vermag (vgl. de Kroon 1993:504-506). Allerdings hat der Versuch als Vorlage gedient für den Aufbau der anglikanischen Kirche und damit auf eine ganz andere Art und Weise historische Bedeutung erlangt. 2.2.2.4 Zusammenfassung und Auswertung Als Ziel- und Fluchtpunkt von BUCERS Einigungsbemühungen zwischen Alt- und Neugläubigen und zugleich Voraussetzung für ein fruchtbares Ergebnis bietet sich sein Verständnis von „reformatio“ an. Mithilfe seiner Vorstellung von einer „Minimalreformation“ zur Wiederherstellung der kirchlichen Einheit soll nun eine kompakte Zusammenfassung gewagt werden: Der BUCER’SCHE Reformationsbegriff ist prinzipiell nicht konfessionell festgelegt, eine Feststellung, die für das 16. Jahrhundert generell gilt. Das Wort wurde im weltlichen wie im kirchlichen Bereich verwandt, bei Protestanten wie Katholiken (vgl. Neuser 1980:233).233 Abgesehen vom Papst konnte sich jeder nach BUCERS Vorstellung an dieser „Art und Weise“ der Nachfolge Christi beteiligen (vgl. „Christliche Erinnerung“ von 1545, S. 6). Gäumann (2001:449f, Anm. 29) formuliert: „Reformation ist für den Theologen die Wiederherstellung eines christlichen Lebens in der Form, wie es in den ersten vier Jahrhunderten praktiziert wurde. ‚Reformatio alicuis rei, est eius ad pristinam suam formam et rationem restitutio‘“ („Scripta Anglicana“, S. 192)234. Schon die ersten reformatorischen Maßnahmen des Straßburger Magistrats konnte BUCER gegenüber ERASMUS als Erneuerung der alten Gesetze verteidigen (vgl. BOL 1, 159, 6).235 233 Im Bericht von Bucers „Leipziger Reformationsentwurf“ ist des Öfteren von der „reformatio“ der Kirche die Rede (vgl. Friedrich 2002:165): Die „gute, leidliche Reformation“ besteht nicht in einer Reform nach luth. oder oberdeutschen Vorbild, sondern in einer anfänglichen Erneuerung der noch altgläubigen Gebiete. Dort sollten sich die Protestanten Anerkennung verschaffen und den Altgläubigen dann bei ihren Reformen Hilfestellungen geben. Bucer unterscheidet dabei zwischen Lehrkonsens und Reformation, die Beteiligten müssen in der „religion und reformation eins werden“ (Lenz, Bd. 1, 190, Nr. 73). Um dieses Ziel zu erreichen, genügt die Übereinstimmung in der Lehre nicht, diese ist lediglich Voraussetzung der „reformatio“, sprich der Umgestaltung der kirchlichen Praxis (Lenz, Bd. 1, Beilage IV, 532). Bucers praktisch-theologische Ausrichtung und die Einheit von Lehre und Leben in seiner Konzeption leuchten wiederum auf. 234 Die Sammlung, der aus der engl. Exilszeit stammenden Schriften Bucers wurde postum 1577 von C. Hubert in Basel veröffentlicht. 235 Der Frage nach der Bedeutung der Alten Kirche für eine Reformation der „neuen“ Kirche, die in Leipzig 1539 ausführlich diskutiert wurde, kann an dieser Stelle nicht umfassend nachgegangen werden. Bucers (und Melanchthons) Einschränkung auf die ersten vier Jahrhunderte - Bucer und Witzel präferieren vor allem die Zeit Augustins -, steht entgegen, dass selbst in dieser Periode keine einheitlichen Lehren und Gebräuche in der einen Kirche vorhanden waren (vgl. Friedrich 2002:164f.192). Hinter Bucers Hochschätzung dieser Zeit steckt ohne Frage ein „christlicher“ Humanismus mit dem Ideal eines glorreichen „christlichen“ Altertums. Jedin (1966b:364) formuliert zugespitzt, beide Verhandlungsseiten betreffend: „Aber wir erkennen heute auf den ersten Blick, was damals erst nach vielen bitteren Enttäuschungen erkannt wurde, daß auf diesem Wege die Ambivalenz des Begriffes Reformation nicht zu beseitigen war. Die ‚Rückkehr zur ursprünglichen Form des Christentums‘ darf kein einfaches Zurückschneiden des Baumes auf seine Wurzeln sein. Wer sich diesen Begriff der Reform zu eigen machte, gab implicite zu, was Luther, die historische Verfallstheorie ins Theologische wendend, behauptet hatte: Durch Schuld des Papsttums hat die Kirche ein halbes Jahrtausend hindurch eine Fehlentwicklung genommen.“ 76 Um dieser Form von „Reformation“, oder in BUCERS beliebter Kategorie, dem „regnum Christi“ (vgl. nur Lenz, Bd. 1, 223), in ganz Deutschland und darüber hinaus zum Durchbruch zu verhelfen, verfolgte der Straßburger ein Etappenziel: die Einführung einer „guten, leidlichen (erträglichen) Reformation“ (vgl. Lenz, Bd. 1, 297; auch „reformatio tolerabilis“, in: Schiess, Bd. 2, 71, Nr. 899), ein „erster Schritt“ (Friedrich 2002:194) auf dem Weg zur Einheit. Konkret bedeutete dies für ihn, den reformbereiten, gutwilligen Katholiken die kirchliche Erneuerung leichter zu machen, durch zahlreiche Zugeständnisse, namentlich in den äußeren Dingen - „res externa“ -, ohne damit den eigenen reformatorischen Standpunkt in Frage stellen zu wollen.236 Eine solche Reformation sollte sich für die geneigten Altgläubigen nur auf die sog. „necessaria“ als Kern- und unverrückbare Standpunkte beziehen (ausführlich unter 2.2.3) und in der Beseitigung der schlimmsten Missbräuche Gestalt gewinnen. Durch die Besinnung auf ihre „Kernkompetenzen“, nämlich auf die Gottesdienste, die wahre Lehre und die Zucht, komme die Kirche dieser Aufgabe nach. 237 BUCER ist dabei völlig von der Selbstdurchsetzungskraft der evangelischen Botschaft - „Die wahrheit uberwindt alles“ (Lenz, Bd. 2, 140) - überzeugt, dogmatisch gesprochen von der „auctoritas causativa“ der Hl. Schrift (so auch schon Bornkamm 1952:27).238 Öffnet man dieser nur einen Türspalt in den 236 Bei aller Konzilianz war sich der Straßburger doch bewusst, in der Gefahr zu stehen, dem Irrtum der Gegenseite Tür und Tor zu öffnen und so den Kern der reformatorischen Anschauungen zu verfälschen (vgl. Lenz, Bd. 1, 95). Daher hatte das taktische Entgegenkommen auch seine Grenzen: mit den „necessaria“ (vgl. 2.2.3), konkret z. B. in der Forderung nach dem evangelischen Gottesdienst bzw. in der Ablehnung der kath. Messe, wurden diese deutlich markiert. Einer möglichen Einigung müsste die Reformation folgen, denn ein äußerer Friede allein (o. a.: „ein Friede außerhalb von Christus“ - so Bucer wörtlich), würde der Kirche Christi nichts nützen (CR 39, 250, Nr. 333; vgl. auch 238, Nr. 323). Bucer daher eine leichtfertige Kompromissbereitschaft zu unterstellen, wie dies von Wittenberger Seite manches Mal geschah, übersieht diese zugegebenermaßen nicht unmittelbar einsichtige – Geradlinigkeit des Reformators (Friedrich [1990] 2002:197; Gäumann 2001:454). 237 „Verum in hoc uno, ut Christi regnum simpliciter restituatur, pura tum doctrina, tum Sacramentorum et disciplinae Ecclesiasticae administratione admissa“ („Concilium“, m2a; vgl. den Abs. 14b-m2a): Die Kirchengüter sind wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zuzuführen. Alle anderen Themen, insbesondere die Verwaltungsangelegenheiten, sind nach Bucers Auffassung keine genuinen Aufgaben der Kirche und daher der weltlichen Administration zu übergeben. Zur Not könne der Theologe auch die bestehenden bischöflichen Strukturen, sogar die enge Bindung an Rom (!) und die geistlichen Territorien akzeptieren. Derart handle es sich dann zunächst um eine „erträgliche“ Reformation, die angeblich auf beiden Seiten niemanden über die Maßen belastet – von den Altgläubigen jedoch die größeren Opfer abverlangt hätte (vgl. Neuser 1980:236f; Gäumann 2001:455). 238 Greschat (2009:198) hält hinsichtlich des Briefwechsels Bucers mit Philipp von Hessen im Zeitraum der Religionsgespräche fest, dass Bucer zufolge „die Situation im Deutschen Reich noch nie so günstig gewesen sei, wie jetzt, um ein freies nationales Konzil ohne den Papst durchzusetzen. Die Mehrheit der Städte und Fürsten neige längst zum Schmalkaldischen Bund; Unentschiedene könnten leicht gewonnen werden, weil man eindeutig über die besseren theologischen und historischen Argumente verfüge. Man müsse nur mit der Erörterung der strittigen Lehrfragen anfangen, ‚dann wird die Kraft des Herrn durch sein heiliges Wort ganz gewiß so viel bewirken und ausrichten, dass wir alle dem Herrn hoch zu danken haben‘ (Lenz, Bd. 1, 95, Nr. 28).“ Ein Brief an den Landgraf vom 30. November 1541 legt in eindrücklicher Weise die Verhandlungsstrategie und den Optimismus Bucers in den Religionsgesprächen offen. Das Schreiben endet mit der sehr konkreten Zielangabe, da doch „alle notwendige stück christlicher reformation in den verglichnen articuln dennoch so reichlich, clar und gewiß begriffen und dargeben, das die gutherzigen oberkeiten und prediger, deren ein gar merklich anzal ist, den sachen durch mittel diser in iren kirchen in einem jare gentzlich helfen möchten“ (Lenz, Bd. 2, 36, Nr. 139). 77 altgläubigen Gebieten, ist eine Reformation im Sinne einer schrittweisen Umgestaltung der kirchlichen Praxis nicht mehr weit entfernt (vgl. van't Spijker 1991b:38). „Diese Gewissheit verlieh dem Superintendenten die Freiheit, seinen Gegnern in den Religionsgesprächen sehr weit entgegenzukommen, ohne sich selbst untreu zu werden“ (Gäumann 2001:457). Zu den „necessaria“ zählte vor allem die Rechtfertigungslehre, der in den Wormser Geheimverhandlungen und dem darauf aufbauenden Regensburger Gespräch eine eminente Stellung zukommt.239 Zu diesem Topos bei BUCER seien hier nur zwei Sachverhalte angemerkt (als Ergänzung zu Anm. 205), zum einen, dass sich ein thomistischer Einfluss aufgrund der eudämonistischen Züge seiner Rechtfertigungslehre nicht leugnen lässt (Müller 1965:20; Leijssen 1979:275)240, zum anderen, wie eng die Verbindung zwischen „pietas“ und Rechtfertigung für ihn geknüpft ist (de Kroon 1991:233ff)241. Eine „Vergleichung“ in der Abendmahlsfrage zu erzielen, ist für BUCER zwar ebenso von Bedeutung, im Vordergrund steht jedoch ein biblisch-theologisch begründeter Minimalkonsens in der Messfrage (Mehlhausen 1969:210242), der der Transsubstantiationslehre als extreme Gestalt der Lehrabweichung eine Absage erteilt.243 239 Zur Mühlen (1993:663) resümiert im Hinblick auf die Debatten im Umfeld des „Wormser Buches“: „Im Zusammenhang der übrigen Anschauungen Bucers über die Rechtfertigung versteht er den Zusammenhang von Rechtfertigung und Werken nicht so, daß er die Werke als causa efficiens der Rechtfertigung in Anspruch nimmt, wohl aber als causa materialis, d.h. als den Ort, an dem sich die Rechtfertigung aus Glauben material auswirkt. 240 Zur Fragestellung, ob es sich hierbei nur um eine verbale Ähnlichkeit handelt (W. P. Stephens u. W. van’t Spijker) oder einen echten Thomismus, vgl. Leijsen 1979:275, Anm. 33 u. :276-296. 241 Die „pietas“ - de Kroon (1991:235) lässt den Begriff bewusst unübersetzt – nimmt in Bucers Theologie auch in der Rechtfertigungslehre eine kritische Funktion wahr, ganz besonders, wenn es um die Herstellung der kirchlichen Einheit geht. So kann Bucer in seiner Schrift „Wie leicht und fueglich“ (1545) ausführen: „Denn in den nicht wesentlichen Punkten der Religion haben die Kirchen von Christus niemals, auch nicht in ihrer Blütezeit, miteinander übereingestimmt, immer jedoch in der Einheit von Glaube und Liebe. Bei den nebensächlichen Fragen haben die Kirchen einander freie Hand gelassen“ (Übers. nach :234; Hervorhebung von mir). Mit der zunehmenden Konfessionalisierung in den 1540er Jahren findet sich auch bei Bucer ein stärker werdender Nachdruck auf der Festlegung des kirchlichen Dogmas; die Rechtfertigungslehre wird neben anderen Artikeln zum Kriterium für die „reine Lehre“. De Kroon (:234) folgert: „Bei der Rechtfertigung durch Glauben allein liegt der Nachdruck auf dem Lehrmäßigen, der Lehre, bei der ‚pietas‘ dagegen auf dem vordogmatischen Bekennen in Glaube und Liebe, das den Lebensvollzug des Christen, das Ethos des einzelnen Gläubigen wie der gesamten Gemeinde bestimmen soll. Wir sehen in dieser Deutung der ‚pietas‘ durch Martin Bucer eine Art Fortführung des spätmittelalterlichen Frömmigkeitsideals, das mit dem Namen der ‚devotio moderna‘ verbunden ist.“ 242 „Butzer, dessen zwischen Zuversicht und Verzagen schwankende Stimmung verständlich wird [vgl. Lenz, Bd. 1, 286], wenn man die Entstehungsgeschichte des Vergleichsartikels verfolgt, hat in Worms gegenüber seinen katholischen Gesprächspartnern geradlinig und, soweit es die schwierigen Umstände zuließen, auch erfolgreich darauf bestanden, daß in einem Abendmahlsartikel von den biblischen Einsetzungsworten und der Gabe der remissio peccatorum die Rede sein muß, und dies unabhängig davon, wie die gerade aktuellen Spezialfragen lauten. Wie wenig selbstverständlich schon in der damaligen Situation solche Erkenntnis war, zeigt der von den protestantischen Kollokutoren dem Kaiser bei Abschluß der Gespräche übergebene Abendmahlsartikel, durch dessen umständliche Formulierungen zwar alle innerreformatorischen Abendmahlszwiste hindurchschimmern, in dem aber vom verbum sacramenti und von der Sündenvergebung nicht mehr die Rede ist [vgl. CR 4, 352ff].“ 243 Greschat (2009:193f) weist darauf hin, dass Bucers Schweigen an zentralen kontroverstheologischen Punkten, wie in der Tauf- oder Messfrage - hier im Zusammenhang mit der Leipziger Disputation – immer wieder angegriffen und verurteilt worden ist. „Was demgegenüber kaum in den Blick kam, war seine Einsicht, dass es gelingen könnte, durch die Hervorhebung des noch immer lebendigen gemeinsamen kirchlichen Brauchtums, durch die Anknüpfung an die Liturgie und die traditionellen Zeremonien einerseits sowie andererseits das allseits vorhandene Drängen auf mehr persönliche Frömmigkeit und Sittlichkeit eine 78 Eine große Rolle spielt für den Straßburger seine mehrdimensionale, „ökumenisch“ (vgl. 2.2.3) oder besser praktisch ausgerichtete Ekklesiologie, die im Hintergrund der theologischen Disputationen und kirchenpolitischen Bemühungen stets mitschwingt. Mehrdimensional, da sie scheinbar unterschiedliche Ekklesiologien „unter einem Dach“ vereint, „ökumenisch“, da sie von einer prinzipiellen Offenheit für praktische Fragen in der Kirche geprägt ist, die den sich konsolidierenden konfessionellen Zwiespalt im 16. Jahrhundert deutlich ins Auge fasst (vgl. van't Spijker 1991b:11f). Augustijn (1994:118) weist darauf hin, dass eine Realisierung der von BUCER im „Concilium“ vorgetragenen Pläne faktisch eine Änderung von bereits erfolgten Reformen in evangelischen Territorien und Städten bedeutet hätte. Zugespitzt formuliert stellt die Auseinandersetzung mit dem Programm einer „guten, leidlichen Reformation“ die Frage, ob man nicht von zwei Ekklesiologien BUCERS sprechen muss (vgl. : 119-121): Die protestantischen Kirchen verkörpern dabei nur eine temporäre Ekklesiologie und sind eine Art Provisorium, das sich noch im Experimentierstadium befindet. Hingegen seien die Maßnahmen Forschungsdebatte einer hierüber „guten, offenbart leidlichen die Reformation“ Mehrdimensionalität definitiv. 244 des Die BUCER’SCHEN Reformations- und Kirchenbegriffs im Dienste seiner Bemühungen um die Einheit der Kirche. Das Fernziel von BUCERS „guter, leidlicher Reformation“ war eine „gantze christliche reformation“ (Lenz, Bd. 2, 36; vgl. auch Lenz Bd. 2, 21f, Anm. 4; Schiess, Bd. 2, 80, Nr. 910) im ganzen Reich (vgl. Neuser 1980:237). Um dieses hehre Ziel zu erreichen, war er der Überzeugung, die Politik an ihre Pflichten erinnern zu müssen; die Korrespondenz mit Philipp von Hessen in den Jahren 1539/40, dem Fürsten, auf den BUCER theologisch, kirchenpolitisch und nicht zuletzt menschlich den größten Einfluss hatte, zeugt hiervon (vgl. Greschat 2009:198)245. Allerdings muss man auch von einer zunehmenden Weltfremdheit BUCERS pragmatische Basis für eine dynamische fortwirkende Reformbewegung innerhalb der Kirche zu schaffen“ (:194). 244 Gäumann (2001:451, Anm. 34) argumentiert dagegen: 1. Hammann (1989:334-338) zufolge können die ekklesiologischen Ambivalenzen zufriedenstellend auf die Person und die Theologie Bucers zurückgeführt werden. 2. Wie bereits Augustijn (1994:121) selbst nachweist, „sind alle Elemente einer guten, leidlichen reformation bis auf die Forderung nach Beibehaltung der Kirchenhierarchie in Bucers ‚durchschnittlicher‘ Ekklesiologie auch zu finden“ (Gäumann 2001:451, Anm. 34; Hervorhebung im Original). Seine Flexibilität, was die „externa“ anbelangt – wozu auch bischöfliche Strukturen gezählt werden können -, deutet nicht zwangsläufig auf zwei Ekklesiologien hin. 3. Die Zurückhaltung in Bucers Programm einer „guten, leidlichen Reformation“ sollte den Altgläubigen den Einstieg in sein Erneuerungskonzept erleichtern. „Insgesamt kann nur von einer Ekklesiologie mit zahlreichen situativ bedingten Ausprägungen gesprochen werden“ (:451, Anm. 34). Gegen Augustijn ist festzuhalten, dass gerade die „gute, leidliche Reformation“ eine temporäre Lösung darstellt und nur als Zwischenhalt auf dem Weg zu einer „gantzen Reformation“ betrachtet werden muss. 245 Bucer drängte darauf, dass die Fürsten die Religionsfrage ernst nahmen und dass sie nicht in erster Linie danach strebten, ihr Gebiet und ihre Macht zu vergrößern, sondern „das reich Christi zu erweitern“ ( Lenz, Bd. 1, 93, Nr. 27). Philipp sollte sich auf der politischen Ebene bei den Reichsständen so einsetzen, wie es Bucer im Rahmen seiner Möglichkeiten publizistisch getan hatte, mit dem Ziel, den Kaiser und seinen Anhang zu dem versprochenen Reichsreligionsgespräch tatsächlich zu bewegen, „wodurch auch ein ganz herrlicher Anfang einer wahren Reformation der Kirche gemacht werden möchte“ (Lenz, Bd. 1, 96, Nr. 28). Mit seiner Schrift „Per Quos Steterit“ (sinngemäß: Wer ist verantwortlich?) fragt Bucer offensiv nach der Verantwortung der Herrscher 79 angesichts dieser Pläne sprechen, zumindest als sich das Scheitern im Bemühen um ein freies Konzil mehr als deutlich abzeichnete (vgl. Gäumann 2001:480f). Nichtsdestotrotz beziehen sich moderne ökumenische Dokumente immer noch auf „Worms“ und „Regensburg“, präziser: „Die Konflikte von Regensburg kehren in den Dialogen unserer Generation wieder“ (Kretschmar 1984:210). Der Schluss liegt sogar nahe in puncto Herrenmahl, dass ein substantieller Fortschritt in dieser Frage seit 1540/41 noch nicht zu verzeichnen ist (:237f). Davon wird noch zu verhandeln sein (unter 3.1.3). 2.2.3 Ökumene im 16. Jahrhundert!? In populärwissenschaftlichen Darstellungen zur Person und Theologie BUCERS wird aus heutiger Sicht ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass es sich bei dem Phänomen BUCER um ein ökumenisches handelt. Die Titulierung als „Ökumeniker“ der Reformationszeit wird indes aber nicht durch Anführungszeichen als problematisch gekennzeichnet (wie in der hier vorliegenden Untersuchung bisher geschehen). Symptomatisch hierfür ist ein FAZArtikel anlässlich des 500. Geburtstages (Schmoll 1991:passim; vgl. auch die Adventspredigt von Brooks 1992:233; Hanko 1993/94),246 dem anachronistische Tendenzen nicht abzusprechen sind.247 Unproblematischer wäre die Bezeichnung des Straßburger Reformators als Ireniker,248 der unter den Bedingungen seiner Zeit, wie in der theologie- und (zunächst einmal des Herrschers) für die Religionsfrage, konkret für das seit 1539 in Frankfurt in Aussicht gestellte Konzil (vgl. Augustijn 1994:113); vgl. generell zum „ius reformandi“ Wolgast 1993:145-159, bes. 148151. 246 Friedrich, der die „ökumenische“ Seite Bucers deutlich hervorkehrt, gebraucht den Begriff jedoch auch nur in Anführungszeichen (vgl. 2002:195), wohingegen er von dem Attribut irenisch unapostrophiert Gebrauch macht (vgl. :198). 247 Zu Recht weist Gäumann (2001:443f, Anm. 14; s.a. :455) darauf hin, welche falschen Assoziationen der Begriff „Ökumene“ als Vokabel des 20. Jahrhunderts mit sich führt: 1. Bucers Unionsbemühungen waren ohne Frage auch politisch motiviert und in keiner Weise rein kirchlicher Natur, wie es die Rede von Ökumene nahelegt. Ziel der Abendmahlskonkordie war es, die Protestanten zu einen, um ihnen damit auch neue Stärke im Reich zu verleihen. Bei den Religionsgesprächen handelte es sich um Reichstage, sprich politische Anlässe. 2. Kann die heutige Ökumene die teilweise gravierenden Lehrunterschiede anerkennen, obwohl sie bestrebt ist, diese im Dialog zu überwinden, so kannte Bucer diese Weitherzigkeit nicht. Nur, wenn es sich nicht um „necessaria“ handelte, also um für ihn sekundäre Fragen, ist er bereit, sich seinem Gegenüber anzunähern. 3. Die Sicht Bucers als scheinbarer „Frühökumeniker“ vergisst die intolerante, bis ins polemische gehende Haltung, die jener gegenüber den Altgläubigen in puncto Messe oder auch gegenüber dem Separatismus der Dissidenten in Straßburg zum Vorschein bringen konnte. Eine Ökumene der Gegenwart, die - Gäumann formuliert (:443, Anm. 14) - „von der russischen Orthodoxie bis zu den afrikanischen Kimbanguisten“ ein weites Spektrum unterschiedlichster theologischer Standpunkte abdeckt und nicht häretisiert, war für Bucer so nicht vorstellbar. Seine nach kurzem Zögern folgende Ablehnung des Interims nach 1547, die schlussendlich zum Exil in England führte, unterstreicht diesen Sachverhalt. 4. Aus der bisherigen Untersuchung geht hervor, dass der Elsässer nicht mehr und nicht weniger als eine evangelische Einheit suchte. Nur mithilfe einer schriftgemäßen Ekklesiologie (vgl. nur BDS 7, 100, 32f o. a. den Untertitel von „De vera cura animarum“; 7, 90, 4-7) kann dieses Ziel für ihn erreicht werden. 248 Vgl. neuerdings zur Begriffsbestimmung und dem damit verbundenen Problemhorizont Müller 2004:15-21; In Bezug auf die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts hält jener pointiert fest: „Theologische Wahrheit wurde ‚polemisch‘ gefunden und verteidigt. Die ‚Irenik‘ stellte diese Art und Weise der Wahrheitsverwaltung offensiv in Frage und stand deshalb selbst im Zentrum der Angriffe“ (:15). Matheson (1998:7) benennt Bucer zwar zu Recht als Reformator, der diesem gängigen Konzept von Wahrheitsfindung- und etablierung kritisch 80 kirchengeschichtlichen Analyse bisher hoffentlich ersichtlich wurde, versucht hat, das Programm „Einheit der Christenheit“ voranzutreiben. Dass er damit hervortritt in seiner Zeit249 und sich daher den Titel „Ökumeniker“ aus neuzeitlicher Perspektive verdient hat, ist bei unscharfer Betrachtung sicher kein Vergehen. Auf die diachrone Art der Darstellung folgt nun der Versuch einer kurzen, zusammenfassenden - synchronen - Reflexion der grundlegenden Vorstellungen Martin Bucers als Ireniker. Nach de Kroon (1984:72, Anm. 7) bringt BUCER nirgendwo seine erkenntnistheoretischen Leitsätze klarer zum Ausdruck als in den Praefata zum Römerbriefkommentar von 1536 (Müller 1965:241 o. a. :122.239): Da die Wahrheit für ihn unteilbar ist und philosophisch gesprochen an und für sich eine ist, kann sie nur, orientiert man sich an ihr, zur Einheit führen. 250 Die für BUCER im Einklang mit den anderen Reformatoren zentrale Rechtfertigung „sola fide“ ist demnach aus sich heraus einheitsfördernd, da sie wahr ist. Es verwundert kaum, dass der Straßburger in einem gesonderten praefatum (XI) sogar fragen kann, ob paulinische Lehre und philosophischer Grundsatz nicht übereinstimmen.251 Die Antwort muss positiv ausfallen und der Römerbriefkommentar mit seinem zentralen Thema Rechtfertigung wird damit zur Unionsschrift. De Kroon (1984:73; vgl. auch 1991:236f) resümiert: „Zugleich findet sein ruheloser Einsatz für die Wiedervereinigung der Kirchen in (..) [dem aristotelischen] Adagium ‚Im Grunde ist alles Wahre mit dem Wahren in Übereinstimmung‘ seine erkenntnistheoretische Begründung. Es bildet den fruchtbaren Nährboden für den aktiven Einsatz zum Einigen und Wiedervereinigen. Für Bucer ist die Wahrheit selbst einigend.“ Zu diesen propädeutischen Ausführungen gesellen sich einige hermeneutische Überlegungen, die BUCER in seiner „Praefatio“ zum vierten Band der Kirchenpostille LUTHERS zum ersten Mal ausführlich benennt. Mit dem Bekenntnis zur claritas scripturae (vgl. BDS 11/2, 357, 10-20; Lenz, Bd. 2, 122)252 kann er folgern: Auf der Grundlage der Schrift sollte gegenüberstand, muss aber auch der Tatsache ins Auge sehen, dass Bucer bei allen frühirenischen Tendenzen nicht ohne Polemik auskommt. 249 Eine Zeit für welche die religiöse Frage die alles entscheidende war. Jakob Sturm brachte im Jahr 1534 angesichts der drohenden Zersplitterung der Straßburger Bevölkerung in sich bekämpfende religiöse Parteien die Problematik auf den Punkt, wenn er schreibt: „(...) ir wissen us erfarnüs, das bei unsern zeiten kum ein sach ist, die do die gemüter der menschen meer zusammen oder von einander tribe, dan gliche oder unglichheit der religion“ (zit. nach Hamm 2001:94). 250 In seiner Epistomologie denkt Bucer offensichtlich thomistisch. Für den Aquinaten ist Wahrheit die „adaequatio rei et intellectus“ (S. th. 1, q. 21, a. 2. in corp.): In der Sache, also in re, gibt es nur eine Wahrheit. Daraus folgt, dass das Wahre an und für sich einheitsstiftend ist. Suche nach Wahrheit ist nichts anderes als Streben nach Einheit (vgl. generell S. th. 1, q. 16, a. 6). Hiermit wird eine Grundlinie in Bucers Denken berührt, die sich sowohl in seiner Erstlingsschrift „Das ym selbs“ (1523), als auch in seinem letzten großen Werk „De regno Christi“ (1550) findet (zu Quellenangaben und weiterführender Lit. s. de Kroon 1984:72, Anm. 7f.). 251 Bucer spricht in seinem Widmungsschreiben an Erzbischof Thomas Cranmer (S. 4a) daher konsequent von einer „philosophia paulina“. 252 Expressis verbis: „Nam ita clara, ita lucida, ita explicata scriptura est, in praeceptis quae ad salutem necessaria sunt, ut nemo quamvis cetera rudis haec non facile percipere possit“ („Scripta … Latomi“, S. 141). 81 eine Einigkeit „in summis“ möglich sein - Lutheraner und Zwinglianer sind für ihn demnach grundsätzlich eins -, auch wenn „in externis“ unterschiedliche Meinungen bestehen bleiben (Praefatio f0[A7]r0; BCor II, 152, 165-167, Nr. 135; vgl. auch BDS 1, 261, 2).253 Im Anschluss an einige Ausführungen zur Abendmahlskontroverse (Abschnitt XII) kommt BUCER zu dem Schluss, dass es Menschen gibt, die härter streiten, als es erlaubt ist (niemand anders als LUTHER ist gemeint). Mit scharfer Polemik sind kontroverstheologische Fragestellungen nicht zu lösen; BUCER kann LUTHER trotzdem voll und ganz als Bruder akzeptieren (Praef. f0[B6]r0/v0). Im Widerspruch gegen den Wittenberger formuliert der Straßburger jedoch nach 1. Kor 14 die These, dass eine Duldung unterschiedlicher Meinungen bei sekundären Fragen möglich ist.254 Im Gegenteil: Der im Glauben Schwache ist nicht zu verwerfen, ihm soll stattdessen mit Güte begegnet werden. Ermutigung statt Streit ist hier angebracht (Praef. f0B5v0/[B6]r0). Das Rechnen mit der Irrtumsfähigkeit des Menschen (auch der LUTHERS; s. o. S. 38f) und daneben pastoral-theologische Aspekte255 stehen hier im Hintergrund. Alternativ zu dem Vorgehen LUTHERS und seiner Anhänger fordert BUCER einen freien Vergleich von Lehrmeinungen bei sekundären Fragen vor einer mündigen Gemeinde, wobei der Schriftskopus letzte Instanz sein sollte (ZWINGLI und OEKOLAMPAD dienen hier als „leuchtende“ Vorbilder; Praef. f0[B6]v0). Nur durch gemeinsames Hören auf die Schrift kann es zu einer Einigung kommen. Bei anhaltenden abweichenden Meinungen soll das Prinzip „Einheit in der Vielfalt“ Anwendung finden.256 Die Frage, die sich nun förmlich aufdrängt, lautet: Worin bestehen für BUCER sekundäre Fragen Theologie und Kirche betreffend? Was zählt für ihn hingegen zu den notwendigen Glaubensinhalten? Unter „necessaria“ versteht BUCER biblisch begründbare Fundamentalartikel, welche „die wesentlichen Anliegen der evangelischen Bewegung verkörpern und auf dem Glauben an Christus, dem ‚Notwendigen‘ schlechthin, ruhen“ (Gäumann 2001:452; vgl. Anm. 35 zu zahlreichen Belegen).257 BUCER unterlässt dabei eine 253 Streitigkeiten hat es in der Kirche zu allen Zeiten gegeben. Sie sind nach Bucer als Prüfungen Gottes aufzufassen (s. o. S. 42f) und führen zur Schrift als entscheidenden Maßstab zurück, auf deren Grundlage eine Einigkeit „in summa“ des christlichen Glaubens sehr wohl möglich ist und daher auch als höchstes Ziel nicht aus den Augen verloren gehen darf (Praefatio f0[A6]v0 – [A7]v0; BCor II, 151, 142 – 152, 187, Nr. 135). 254 Dass es für Luther im Abendmahlsstreit um weit mehr ging als eine „res tantula“, erkannte Bucer erst im Verlauf desselben, wie schon dargelegt wurde (vgl. Friedrich 2002:41). 255 In einem Schreiben vom 10. April 1548 an die Kurfürsten Friedrich II. von der Pfalz und Joachim II. von Brandenburg formuliert Bucer persönlich betroffen: „Das Gewissen der Menschen ist eine delikate Angelegenheit. Sehr schnell fühlt man sich in seinem Gewissen verletzt, und gerade ich, obwohl ich dies zu vermeiden suche, falle mehr als andere in die Ungnade eines verletzten Gewissens“ (BDS 17, 421, 17-19; Übers. nach de Kroon 1991:241). 256 Vgl. zum Ganzen Hazlett 1975:154-164 u. Friedrich 2002:38f (Bucers „Responsio“ auf den offenen, polemischen Brief Luthers an Herwagen - den Drucker in Straßburg -, der als Reaktion auf die Übersetzungsarbeit Bucers in Umlauf gebracht wurde, unterstreicht die Argumentation des Straßburgers nunmehr; :40f, bes. Anm. 109-114). 257 Im Gegensatz zu Melanchthon, der bei „necessaria“ nicht so sehr an dogmatische Inhalte denkt, sondern an die mit der Tradition verknüpften Riten, Zeremonien und Institutionen (vgl. Kantzenbach 1957:132). 82 präzise, geschlossene Bestimmung (Kantzenbach 1957:131f) 258, notwendig erscheinen ihm Dinge wie die Rechtfertigungslehre, der rechte „Gebrauch“ der Sakramente, die christliche Freiheit in den Zeremonien, der rechte Gebrauch der Kirchengüter, die Tauglichkeit der Kirchendiener, die Möglichkeit der Priesterehe und die Kirchenzucht (vgl. z. B. Lenz, Bd. 1, 73; Lenz, Bd. 2, 182f; Schiess, Bd. 2, 80, Nr. 910; „Scripta … Latomi“, S. 141).259 Alle wahrhaft christlichen Kirchen sind aufgerufen, diese heilsnotwendigen Dinge - es handelt sich, wie angedeutet, nicht um eine geschlossene Liste - zu akzeptieren und durchzusetzen. In reformatorischer Gesinnung steht für BUCER fest: „In den ‚necessaria‘ darf kein Dissens unter den wahrhaft Christusgläubigen bestehen, und eine in Synoden oder anderen Gesprächen gefundene Übereinkunft ist die entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche kirchliche Erneuerung“ (Gäumann 2001:452).260 Auf dieser Grundlage können Differenzen in den nichtheilsnotwendigen Dingen (z. B. in Fragen nach Zeit, Ort und Art von Riten oder auch administrativen Angelegenheiten wie Wahlen, Prüfungen usw.; vgl. „Scripta … Latomi, S. 141-150) BUCER zufolge getrost geduldet werden. BUCER war demnach kein Bilderstürmer. Altgläubige Traditionen, solange sie dem Gemeindeaufbau dienen und nicht dem wahren Glauben widersprechen, können weiter bestehen, denn: „nit in ceremonien und eüsseren gespreüchen, sonder im waren glauben, in gehorsame des reinen Evangeli, in rechtem brauch der h. Sacramenten (…) staht die gemeinschafft der christlichen Kirchen“ (BDS 7, 95, 15-18). Es wird deutlich, wie BUCER als Vermittlungstheologe die überlieferten Traditionen ad bonam partem deuten und so auch teilweise aus altgläubiger Sicht retten kann. Das „ökumenische“ Modell eines „consensus quinque-saecularis“ (Georg Calixt; ursprünglich von Johann G. Dorsche) deutet sich hier zumindest an (vgl. Kantzenbach 1957:138f und s. o. S. 59f). 258 Dies verwunderte kaum, befindet sich die dogmatische Reflexion aus protestantischer Perspektive doch noch in ihrem Anfangsstadium und kann noch nicht auf eine lange „scholastische“ (im Wortsinn) Tradition wie auf altgläubiger Seite zurückschauen. Hinzu kommt die Bucer’sche Tendenz zur Entdogmatisierung (Hamm 2003:101) und dafür stärkeren Ethisierung des Glaubens (Greschat 1978:92; 2009:168). Bucers Umgang mit dieser Fragestellung ist äußerst „unkompliziert“ (van’t Spijker 1991b:42), ohne an eine völlige Reduktion der Lehrfragen auf Kosten der praktisch-theologischen Aufgaben denken zu wollen. Die Konzentration auf das Wesen des Christentums - substantia christianismi – ist sein Ziel. 259 Laut Epheserkommentar (zu Eph 4,4-6) wird die Einheit der Kirche nach Bucer „durch die Gleichheit in der (evangelischen) Lehre, in der Sakramentsverwaltung und im Gehorsam gegenüber den würdigen Dienern des Evangeliums“ bestimmt (Gäumann 2001:441) - zwar eine dreifache Bestimmung, aber nicht im strengen Sinne dreier notae ecclesiae. 260 Konkret gedacht ist an Grundlagengespräche auf der Basis der Heiligen Schrift sowie ergänzender Kirchenväterlektüre, die von der Bereitschaft zur Einheit (synkatabasis) und zur Billigkeit (epieikeia) geprägt sind. Beide Begriffe erinnern an humanistische Traditionen (s. o. S. 49, Anm. 153) sowie das Bucer’sche Konzept der „Minimalreformation“. Die Hochschätzung der Patristiker, die ihm immer wieder zum Vorwurf gemacht wurde (vgl. nur BDS 17, 420, 30-33), begründet jener wie folgt: „Auch sie [sc. die Kirchenväter] waren Christen, jedoch viel brennender als wir. In vielen Punkten haben sie Fehler gemacht, aber laßt uns hoffen, daß wir am Ende nicht noch viel ärger dastehen. Sind wir vielleicht bessere Christen, weil wir dank unserer Sprachkenntnis und der Lehre, die uns durch so viele Mißbräuche erteilt worden ist, die meisten Schriftstellen besser verstehen als sie [sc. Die Kirchenväter]? Das anstoßerregend sittliche Niveau unserer Kirchen ist bestürzend. Es beweist wohl zu Genüge, daß wir von Christus viel weniger gelernt haben als diese heiligen Männer“ (Schiess, Bd. 1, 648, Nr. 529; vgl. auch :529). 83 Der eigentliche Kristallisationspunkt im Unterschied zu den Anschauungen LUTHERS und seiner Anhänger in Bezug auf die „ökumenische“ Frage ist die Neubewertung von Häresie aus BUCERS Perspektive (Hamm 2003:93f)261: Entgegen den gängigen Koordinaten der verschiedenen Traditionen (altkirchliche, mittelalterliche, lutherische usw.) liegt nach BUCER Häresie und damit der Ausschluss aus der christlichen Gemeinschaft, die Grenze der Kirche, nicht ausschließlich im willentlichen Beharren in einem Lehrirrtum vor, sondern vielmehr in der Preisgabe der Liebe.262 In BUCERS eigenen Worten: „Aufgrund dieses Schriftwortes [sc. Tit 3,10: „Einen ketzerischen Menschen meide!“] ist nicht sonderlich schwer einzusehen, daß Paulus unter einem ‚ketzerischen Menschen’ einen Querulanten versteht, jemanden also, der sich auf Kosten wahrer Liebe wahnsinnig in eitle Streitfragen verliebt hat, der in einem krankhaften Trieb zum Herumdogmatisieren an Dingen, die mit der pietas nichts zu tun haben, Gruppenbildung und -interessen provoziert. Ja, bei einem solchen kann ein Gedankenaustausch auf der Grundlage unserer heiligen Lehre, kein Gewinn für die pietas entstehen“ (zit. nach de Kroon 1991:203; vgl. BCor IV, 279, 45, 3-7).263 Aus materialdogmatischer Sicht spielen hier BUCERS Soteriologie (s. o. S. 67, Anm. 205) und vor allem das vermeintliche Herzstück seiner Theologie, die Pneumatologie, eine entscheidende Rolle; auf beides kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Die kurze Analyse zeigt, wie BUCER nur bei oberflächlicher Betrachtung als Ökumeniker (ohne Anführungszeichen) der frühen Neuzeit, sehr wohl aber als modellhaft für spätere Ireniker bezeichnet werden kann. Modernes ökumenisches Denken findet hier zwar einen Vorläufer, allerdings in einem frühen 261 embryonenhaften Stadium264 mit allen In seinem programmatischen Aufsatz entfaltet Hamm (2003) diese in der Forschung bisher wenig beachtete Einsicht vor allem anhand des schon erwähnten Widmungsschreibens zur zweiten Ausgabe von Bucers Evangelienkommentar (BCor IV, 279, 37-67; s. o. S. 38, Anm. 100), einem „traktatartigen Lehrbrief“ (Hamm 2003:88), der die Grundfragen nach Grenzen und Inhalt christlicher Bruderschaft und dem Wesen von Häresie ausführlich behandelt. 262 Hamm (2003:94) fasst zusammen: „Solange ein Irrender noch an der Liebe zu den Andersglaubenden festhält, um Frieden, Verständigung und Einheit der Kirche ringt und sich weder selbst von der Gemeinschaft trennt noch andere aus ihr verbannen möchte, solange kann er nicht als Häretiker oder Ketzer gelten. Wer andere nicht verketzern will, zeigt damit, daß er selbst kein Ketzer, kein ‚homo haereticus‘ ist (…) [das Bsp. Cyprians folgt]. Trotz seines Irrtums wirkte der Hl. Geist, der Früchte in Gestalt der Nächstenliebe, Friedfertigkeit, Duldsamkeit und Sanftmut hervorbringt.“ 263 O. a.: „Diese Fragen [Marginalie: Welche Lehre genügt, um ein Christ zu sein] werden, wiederum durch Paulus, in schöner Weise aufgeklärt. Denn in 1 Tim 1[,3ff], wo Timotheus den Auftrag erhält , bestimmte Leute zu ermahnen, sich nicht einer fremden Lehre, die in keiner Weise erbauend sei, anzuschließen, fügt er sofort an: ´Das Ziel des Gebotes ist die Liebe, die einem reinen Herzen, aus einem guten Gewissen und aus ungefärbtem Glauben entspringt.` Damit bringt er klar zum Ausdruck, worin die gesunde und wahre Lehre unserer Religion gelegen und zu suchen sei, nämlich in der aufrichtigen Liebe eines Gewissens, das jeder Form der Unehrlichkeit und jeglichem Glaubensimitat abhold ist. Für diejenigen, die des Geistes Christi ermangeln, ist es völlig unmöglich, eine solche Liebe in die Praxis umzusetzen. Wer dagegen diese Haltung wohl zum Ausdruck bringt, so daß sein Leben nicht das Gegenteil beweist, soll ohne Einschränkung als ein Glied Christi gelten, ungeachtet der Irrtümer, mit denen er möglicherweise behaftet ist“ (zit. nach de Kroon 1991:207; vgl. BCor IV, 279, 47, 1424). 264 Die Forschungsdebatte kreist - grob skizziert - um die Frage, ob von einem „frühen Ökumenismus“ im Geiste brüderlicher Liebe mit dezidiert theologischen Sachpositionen (vgl. Hamm 2001:103f; 2003:86, Anm. 2 u. 105f; Liebenberg 2003:38, Anm. 34 u. generell Friedrich 2002) oder doch eher von einer kirchenpolitischen Taktik im Dienste der „Reformation“ die Rede sein muss (so z. B. Gäumann 2001:443, bes. Anm. 14 o.a. :455 84 Entwicklungsschüben und Geburtswehen, die naturgemäß noch ausstehen. 2.3 Motive und Grenzen der BUCER’SCHEN Vermittlungstätigkeit Leben und Werk Martin Bucers werfen viele Fragen auf hinsichtlich der Bezeichnung BUCERS als „Apostel der Eintracht“ (Hubert Jedin). Eine kurze Zusammenfassung und - wo nötig weiterführende Reflexion der bisherigen Ergebnisse, mit besonderer Konzentration auf die Motive und Grenzen der BUCER’SCHEN Vermittlungstätigkeit, bilden den Übergang zu der nächsten Fragestellung rund um den Themenkomplex „Evangelikale und Ökumene“ (Kap. 3). Mit den nun folgenden abschließenden Einsichten zu Person und Werk Martin Bucers soll aber vor allem eine nachvollziehbare Grundlage für die kritische Vergegenwärtigung des „dogmatischen Erbes“ des Straßburger Reformators in Kap. 4 geschaffen werden. Der Frage nach der Bedeutung BUCERS, seiner Wirkungsgeschichte im allgemeinen (die unter 2.1 angerissen wurde), soll des Weiteren an dieser Stelle etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Nach bisherigem Forschungsstand zur theologischen Gewichtung der einzelnen Topoi bei BUCER lässt sich Folgendes in groben Zügen festhalten: Aussagen zur Christologie finden sich kaum, die Soteriologie wird dagegen entfaltet (vgl. vor allem 2.2.2.2) 265 und die Ekklesiologie nimmt weiten Raum ein (vgl. 2.2.1). In dieser Hinsicht ist die Bezeichnung als „moderner“ Theologe, da er die Ekklesiologie als das Thema des 20. Jahrhunderts bereits im 16. Jahrhundert ins Zentrum gerückt hat (so laut Marc Lienhard, in: Hammann 1989:12), nicht von der Hand zu weisen.266 BUCERS praktisch-theologische Ausrichtung, präziser die Herausforderung, mit den praktischen Fragen seiner Zeit umzugehen, nicht nur Kirche und Theologie betreffend, ist hier stets mit zu erwägen. Neben diesen standen ihm auch die sozialpolitischen Anfragen der „gemeinen“ Bevölkerung vor Augen (Matheson 2007:8f). Verkürzt wäre nun die Vorstellung, bei BUCER käme die systematische Reflexion als Theologe zu kurz, wenn auch immer wieder die streng dogmatische Verfassung seiner im Rückgriff auf Kaufmann 1992; vgl. auch Greschat 2005:107, Anm. 12). 265 Die von Bucer vorgetragene „doppelte“ Rechtfertigung des Menschen (präziser unter 2.2.2.2) rief damals wie heute Widerspruch hervor. Protestantische Theologen des 20. Jahrhunderts können sie als „begriffliche[s] Zwittergebilde“ (Ritschl 1926:151) oder ein „schwaches Fündlein“ bezeichnen (Holl 1948:122). Eine weitergehende Auseinandersetzung mit dieser Thematik von hohem ökumenischen Potential erfolgt in Kapitel 4.3. 266 Bezeichnungen wie „Theologe der Kirche“ (Kantzenbach 1957:122) unterstreichen diesen Sachverhalt. Ein Vorrang der ekklesialen Gemeinschaft für Bucer gegenüber soteriologischen oder auch anderweitigen Lehrfragen ist dabei nicht zu leugnen (Hammann 1989:62). Van’t Spijker (1991b:25) kann sich sogar zu der These durchringen, dass sich die gesamte Ekklesiologie Bucers in nuce in seiner Abendmahlslehre vorfinden lässt. Mit der Formel der „unio sacramentalis“ gelingt ihm dabei in konzentrierter Form sein ekklesiologisches Anliegen vorzutragen: Die sakramentale Einigkeit „ist nicht nur eschatologische Vorwegnahme unseres zukünftigen Menschseins in Christus, sie hat auch eine ekklesiologische Wirkung: sie schafft wahre kirchliche Gemeinschaft“ (Hammann 1991:132). 85 theologischen Ansätze (die teilweise durch CALVIN eine Fortführung erfuhren) nicht vorliegt.267 Außer Frage steht, dass er der dogmatischen Grundierung seiner kirchenpolitischen und theologischen Arbeit bis zuletzt treu blieb (s. o. S. 21f; Greschat 1981:11; de Kroon 1991:237; Greschat 2005). Mit der Wittenberger Konkordie von 1536 kam seine Theologie dabei zu einem Abschluss (vgl. Kap 2.2.1.3; van’t Spijker 1991b:37 im Rückgriff auf G. Anrich). Es erscheint nicht vermessen, die innerprotestantisch-irenischen Bemühungen im Abendmahlsstreit parallel zu seinen „ökumenischen“ Bemühungen gegenüber den Altgläubigen zu sehen: In beiden Fällen geht der Straßburger mit derselben Taktik und denselben Vorstellungen die Verhandlungen ein; beide Male rechnet er auch tatsächlich mit einer Verständigung (Seebaß 1991:291 im Rückgriff auf C. Augustijn). Die theologiegeschichtlich brisante Frage, worin der „eigenständige“ Typus reformatorischer Theologie (de Kroon 1991:256f268; Friedrich 2002:126) bei BUCER besteht, von welcher Beschaffenheit also sein „System“ zwischen LUTHER und ZWINGLI (die gängige Annahme seit Ludwig Grote) im Einzelnen ist, stellt weiterhin eine Forschungsaufgabe dar. 269 Als „Pneumatologe“270 bei allen wertvollen Erkenntnissen im Bereich der Ekklesiologie und darüber hinaus muss sich BUCER allerdings die Frage gefallen lassen, inwieweit eine „theologia crucis“ zu seinem Repertoire gehört. Das Ergebnis ist ein nicht zu leugnender ethischer und ekklesiologischer Perfektionismus (nicht nur moraline Predigten aus seiner letzten Phase zeugen hiervon), der alles andere als unproblematisch ist. Eine notwendige, weitere Erörterung dieser Frage soll in Kap. 4.5 geschehen. Exkurs 1 - Die Beziehung zu CALVIN: An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, einen Augenblick bei der nicht nur theologischen Beziehung BUCERS zu seinem wohl bekanntesten 267 Ohne in Hagiographie zu verfallen, kann man Bucer als einen der bestausgebildeten Theologen seiner Zeit ansehen (van’t Spijker 1991b:37). Überhaupt ist die Frage nach systematischer Beschaffenheit des Stoffes immer noch mit Holl’s (1948:117, Anm. 2) Diktum bzgl. Luther zu beantworten: „Die jetzt sprichwörtlich gewordene Redensart ‚Luther war kein Systematiker’ deckt zumeist nur die Bequemlichkeit, es ernsthaft mit dem Nachdenken über Luthers verschieden klingende Aussagen zu versuchen. Aber was Augustin oder Goethe recht ist, sollte auch Luther gegenüber billig sein. Wenn man unter einem Systematiker einen Mann versteht, der imstande ist, große Gedankenzusammenhänge zu erschauen, dann war Luther in weit höherem Maß Systematiker als Calvin, um von Melanchthon gar nicht zu reden. Schulmeisterliche Art des Vortrages ist doch nicht das Kennzeichen des Systematikers.“ 268 De Kroon (1991:256f) versucht hierauf eine kurze Antwort in Form von acht Thesen zu geben, deren Inhalte bisher noch keine umfassende Aufnahme in der dogmatischen Reflexion gefunden haben. Nach Strohm (2001:98-107; 2002a:119-123) lässt sich der vermittlungstheologische Ansatz Bucers vor allem durch drei Schwerpunkte kennzeichnen: 1. Pragmatisch-undogmatische Grundorientierung; 2. Geisttheologische Grundlegung und spiritualistische Tendenzen; 3. Ethische Ausrichtung. 269 Selderhuis (2002:21f) ist zuzustimmen, wenn er anhand der „Loci Communes“ des Wolfgang Musculus, der maßgeblich von Bucer beeinflusst wurde, auf den Drang seiner Disziplin – der Kirchen- und Dogmengeschichte – hinweist, Personen und ihre „Systeme“ einzuordnen. Die Gefahr, die eine solche, zuweilen vorschnelle Platzierung mit sich bringt, liegt auf der Hand: Die Eigenständigkeit weniger bekannter Personen und ihrer Werke (!) wird oft in Abrede gestellt. In Bezug auf Bucer bedeutet dies, verwirft man ihn nicht als reinen Eklektiker, dass eine wirkliche Synthese der Einzelzüge seiner Theologie im Moment noch nicht möglich ist (so Neuser 1991:79f). 270 Die Betonung dieses Locus’ darf nicht zu der unkritischen Annahme führen (vgl. Lang 1972:94f.127-129), Bucer in der Nähe von Schwärmertum und mystischem Spiritualismus zu sehen, auch wenn der äußere Befund dies zuweilen nahelegt (Müller 1965:176, Anm 26; vgl. auch :189-194.138-142). 86 Schüler, Johannes Calvin, zu verweilen.271 Die „ökumenischen“ Linien, die von BUCER ausgehen und durch CALVIN eine Fortsetzung erfahren haben, sind für die theologiegeschichtliche Analyse höchst beachtenswert. 272 CALVIN gehörte zu den wenigen Theologen der Reformationszeit, die mit BUCER sowohl letzte Verständigungsmöglichkeiten mit katholischen Theologen, als auch die Einigung der evangelischen Kirche suchten. BUCER prägte hierfür anscheinend den Begriff „Synkretismus“, der später eine andere Bedeutung erfuhr (Weber 1960:130). Selderhuis (2003:205-207) hat anhand des Psalmenkommentars CALVINS herausgearbeitet, dass eines der tragenden Motive für den Genfer Reformator ebenso das Streben nach Einheit war. 273 Dogmatisch trafen sich beide in dem Herzstück ihrer jeweiligen Theologie: „Es ist die praesentia realis, die Gemeinschaft mit Christus, die Einwohnung Christi in unseren Herzen, die durch den Geist zustande kommt. ‚Ergo spiritum eius vinculum esse nostrae cum ipso participationis agnoscimus‘ [CO 9, 712]“ (van’t Spijker 1993:468). Man könnte eine von der Pneumatologie bestimmte Ekklesiologie als gemeinsamen Motor der Einigungsbemühungen beider Reformatoren bezeichnen. 274 Konkret äußerte sich dies bei CALVIN z. B. durch den von ihm mitveranlassten „Consenus Tigurinus“ von 1549, der bekanntlich von mehr Erfolg gekrönt war als die Unionsbemühungen des Straßburger Lehrers und Freundes. CALVINS Weiterführung der BUCER’SCHEN Anliegen in Form von Religionsgesprächen muss man als historisch einzigartige Versuche deklarieren. „Dass dieser Versuch [im Falle Bucers] im Rahmen der damaligen historischen Situation zum Scheitern verurteilt war - wie wir heute rückblickend feststellen können - ändert nichts an seiner historischen Bedeutung. Bucer selbst war sich vielleicht bewusster als die meisten anderen, wie stark hier Glaube und Politik vermengt waren und scheiterte am Ende ja weniger theologisch als politisch, ja eigentlich militärisch“ (Schirrmacher 2005:122).275 Hier von Utopismus zu sprechen, was im Hinblick auf BUCERS letzten Entwurf für die 271 Auf den berühmt-berüchtigten Brief des jungen Calvins an Bucer vom 12. Januar 1538 (CO 10, 137-144) kann hier nicht ausführlich eingegangen werden. In aller Kürze: Trotz des markanten Unterschiedes im Lebensalter geht Calvin mit Bucer deutlich ins Gericht (umgekehrt ist dies nur schlecht vorstellbar; Ella 2004:7). Der Grund ist die ganz und gar unterschiedliche Beurteilung der bleibenden Rolle der altgläubigen Kirche (Greschat 2009:171) und das – aus Calvins hochnäsig vorgetragenen Sicht – nur wenig vorbildhafte Verhalten Bucers in den bisherigen Bemühungen um eine Einigung. Man muss den Eindruck gewinnen, so der bis dahin noch „französische Grünschnabel der Theologie“ (Selderhuis 2009:105), dass Bucer mit seiner schmeichelhaften und ausführlichen Art einen Christus will, der allen gefällt. Die Gefahr liegt auf der Hand, dass das neu entdeckte Evangelium daran Schaden nimmt (zur weiteren Analyse s. van’t Spijker 1993:464; Busch 2005:117-120.125). 272 „Wenn man mit Recht von einem Calvinus oecumenicus spricht, so hat Bucer diese Gabe bei seinem Freunde entdeckt und ihn zum Handeln angestachelt“ (van’t Spijker 1993:462; vgl. neuerdings zur „Ökumenizität“ Calvins H. J. Selderhuis. Reise zur Einheit: Der ökumenische Calvin, in: Frank & Käuflein 2010:183-201). 273 Calvin schreibt z. B. zu Ps 133,2: „Lasst uns dann, soviel wir nur können, uns einsetzen, um Raum für brüderliche Einstimmigkeit (‚fraterna concordia‘) zu schaffen, so dass Gottes Segen auch unter uns bleiben kann. Lasst uns jene mit ausgestreckten Armen zu empfangen begehren, die mit uns Meinungsverschiedenheiten haben, es sei denn, sie weigern sich, in die Einheit des Glaubens zurückzukehren, denn wenn sie das nicht wollen, müssen wir ihnen Lebewohl sagen“ (CO 32, 355; Übers. nach Selderhuis 2003:206). 274 Aus den vielen Berührungs- und Anknüpfungspunkten der Theologie Calvins und Bucers seien hier nur zwei kurz erwähnt, die für diese Untersuchung von Bedeutung sind: Das Miteinbeziehen der Laien und ihrer Basisgemeinden für die theologische Urteilsbildung (so immer wieder namentlich im Abendmahlsstreit; vgl. Busch 2005:121; zum Priestertum aller Gläubigen vgl. BDS 1, 83, 12) und die feste Überzeugung, dass es Fundamentalartikel, aber ebenso Meinungsverschiedenheiten in Lehrfragen gibt, welche „die Einheit im Glauben nicht zerreißen“ können (Inst. IV, 1, 12; vgl. IV, 2, 1-2). 275 Schirrmacher fährt fort im Hinblick auf das Charakterbild Bucers: „Dass das Scheitern schon in der bitteren Polemik und den tiefen Zerwürfnissen ehemaliger Freunde bereits zum Greifen ist, dass die Politik persönliche Beziehungen längst eingeholt hatte, hat Bucer selbst wohl nie ganz wahrhaben wollen. Um so tiefer zeichnen die Schriften denn auch ein Bild der Persönlichkeit Bucers, der einerseits die ‚vergleichung‘ wünscht, andererseits auf die tiefgreifenden persönlichen Beschuldigungen reagieren muss, etwa den Vorwurf, dass er gegen das kanonische Recht nicht Witwer geblieben sei, worauf Bucer umfassend mit biblischen, theologischen, kanonischen und reichsrechtlichen Argumenten antwortet und sich dabei als einer der besten Kenner des kanonischen Rechts und des Reichsrechts zu seiner Zeit erweist.“ 87 englische Staatskirche „De regno Christi“ hingegen nicht verfehlt sein dürfte, greift nicht. „Die Männer [sic!] die diese Einigungspläne ausdachten, Männer wie Erasmus, Cassander, Bucer, Cranmer, Calvin (…) darf man sich nicht als utopische Idealisten mit leuchtenden Augen vorstellen. Auf anderen Gebieten ihrer Arbeit bewiesen sie alle die Fähigkeit zu praktischer Leistung“ (Rouse und Neill 1963:97; vgl. auch Anrich 1914:85). Zurück zur Motivlage BUCERS und ihren Grenzen: Auffällig an BUCERS Arbeitsweise, insbesondere in der frühen Phase, ist die Tatsache, dass es sich bei vielen „seiner“ Werke um Gemeinschaftstexte der Straßburger Pastorenschaft handelt (vgl. Kap. 2.2.1.1). Ob dies schlicht ein historisches Faktum darstellt oder Ausdruck seiner Hochschätzung der ekklesialen Wirklichkeit ist, wäre zu untersuchen. In hermeneutischer Hinsicht kann BUCER sicher als früher Zeuge dafür dienen, die Kirche als „Interpretationsgemeinschaft“ (Ulrich Luz) aufzufassen, Exegese also nicht ausschließlich als Werk eines einzelnen Geistbegabten zu verstehen (vgl. BDS 4, 82, 20-29; 83, 6-12; BCor II, 160, 471ff, Nr. 135). Die Bedeutung der Schriftexegese für BUCER als Schrifttheologen steht außer Frage, jedoch nicht um den Preis der gegenseitigen Verdammung aufgrund von unterschiedlichen Ergebnissen, die eben im Raum der Kirche zur Diskussion gestellt werden müssen und dürfen (vgl. van’t Spijker 1991b:14f; Friedrich 2002:55). Mit dem Hinweis auf BUCERS Verständnis von Schriftauslegung soll nun das Augenmerk auf den Einfluss seiner humanistischen Bildung für diese Fragestellung gelenkt werden. Als Proprium jener Bewegung, die sich ganz neu der Texterfassung und -auslegung verschrieben hat, liegt dieser Seitenblick nahe. Exkurs 2 - Humanistische Einflüsse bei BUCER: Zum Verhältnis zwischen humanistischer Tradition und reformatorischer Gesinnung bei BUCER liegen naturgemäß verschiedene Standpunkte vor. Nicht zu leugnen ist die Begeisterung, mit welcher der junge, durch den Schlettstädter Humanismus vorgeprägte BUCER, sich Erasmus von Rotterdam und seine Werke zu eigen machte (s. o. Kap. 2.1).276 Die seit Stupperich (1936:22) aufgestellte These, es handele sich bei dieser erasmischen Beeinflussung der Theologie BUCERS nicht nur um ein anfängliches Phänomen, wird kaum mehr widersprochen (vgl. Krüger 1970:3-37; Krüger 1993:584). Die Frage ist nur, von welcher Intensität und in welchem Bereich diese Beeinflussung in BUCERS theologischem Portfolio greift und sich auswirkt. Unbestritten stammen die Hochschätzung der Kirchenväter als Ausleger der Hl. Schrift, das antike Ideal einer vorbildhaften Epoche der alten Kirche (s. o. S. 59f) und vor allem die Überzeugung, man komme der Einheit der Kirche in dem Maße näher, wie alle Parteien sich wirklich 276 Man gewinnt den Eindruck, dass in diesem Stadium für Bucer (so in einem Brief an Beatus Rhenanus vom 1. Mai 1518; WA 9, 162, 1-13) noch kein substanzieller Unterschied zwischen Luthers Position und derjenigen des Erasmus bestand. „Bucers Ansicht nach ist Luther in allem mit Erasmus einverstanden, und Luther hat seine Absicht erreicht, daß alle in Wittenberg jetzt die griechische Sprache studieren und Hieronymus, Herodot, Augustin und Paulus lesen“ (Balt 1993:597). Der aufkeimende Konflikt um die Vorstellung von „Reformation“ (totale Umwälzung oder schrittweise Erneuerung) zerstörte aber sehr schnell diese harmonische Auffassung, und führte zu einer wechselvollen Beziehung zwischen Bucer und Erasmus - ganz zu schweigen von Luther (vgl. hierzu immer noch Oelrich 1961:30-32; 52, Anm. 13; 75, Anm. 136; 119f). Die grundlegende Akzentverschiebung durch die Teilnahme an der Heidelberger Disputation für den jungen Bucer (s. o. S. 19), sei hiermit nur kurz angedeutet: „Im eigentlich theologischen Bereich ist Erasmus an die zweite Stelle gerückt. Das Neue, das Luther gebracht hat, ordnet sich mehr alle früheren Einflüsse unter“ (Greschat 1969:129; vgl. auch Brecht 1991:227 u. zu der bekannten Erasmusglorifizierung durch Bucer in BDS 2, 332-333.379 Kittelson 1973:181, Anm. 43). 88 Christus als ihrem Herrn unterwerfen, aus dieser Richtung. Bei genauer Betrachtung fallen jedoch auch die Unterschiede zu ERASMUS auf: Konnte jener unter Betonung des „Wesens des Christentums“ (man wird an E. Troeltsch erinnert) theologische Differenzen relativieren und den Konfliktparteien schlichtweg empfehlen, die bestehenden Unterschiede „einfach“ in Liebe zu ertragen,277 so war das in dieser Form für BUCER nicht möglich.278 Seine biblischtheologische Zielsetzung, die Durchsetzung des Willens Gottes, die Ausbreitung des regnum christi „quam latissime“ (Anrich 1914:141), verbot ihm eine nicht-protestantische Lösung des Konfliktes. Nach Seeberg (1954:559) ist CALVIN dem Vorbild BUCERS treu geblieben: „Nie verliert bei Calvin der evangelische Geist die Zügel dem Humanismus gegenüber aus der Hand, er allein leitet letztlich seine Weltanschauung.“ Die aus luth. Sicht allerdings zu bemängelnde, nicht vorhandene Unterscheidung von Gesetz und Evangelium (vgl. Anrich 1914:122; Kantzenbach 1957:119), in der BUCER dem Rotterdamer Humanist nachfolgte, stellt eine Thematik ganz eigener Art vor. Ein Resümee im Sinne einer treffenden Charakterisierung BUCERS bleibt nach dem bisher Dargelegten schwierig: Seine komplexe Persönlichkeit hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck (hierüber liegen wie gewohnt Forschungsdebatten vor, z. B. zwischen W. Köhler, G. Seebaß u. M. de Kroon; Greschat 1993 beginnt seine Charakterstudie ausgehend von BUCERS Physiognomie). Ziel der vorliegenden Untersuchung war bisher nicht nur Theologie und Wirken aus den innersten Motiven heraus, sondern auch den „Menschen“ Martin Bucer zumindest am Rande immer wieder zum Vorschein kommen zu lassen. Die Grenzen hierbei sind schnell ersichtlich, zum einen ist eine beinahe psychologische Beurteilung einer Gestalt des 16. Jahrhunderts aus der Sicht des 21. Jahrhunderts immer ein wenig problematisch (vgl. nur die bekannte Studie Erik H. Eriksons im Falle LUTHERS279), zum anderen kommt man naturgemäß, je nachdem von welcher Seite man sich nähert (Lebensphase, dogmatische oder exegetische Texte usw.), zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Verblüffend ist sicher die Einsicht, dass man in Martin Bucer nicht einen geschmeidigen Diplomaten vor sich hat, sondern eher den „Bauern“ - ähnlich wie ZWINGLI - unter den Reformatoren (Greschat 2009:91; auch eine Anspielung auf die Zunft, der er sich anschloss). Ebenso selbstbewusst mit Sendungsbewusstsein ausgestattet wie LUTHER (BUCERS Lieblingsstelle war zu einer gewissen Zeit Dtn 13, 1ff; vgl. Greschat 1978:90f), wusste er, wie dargelegt, für seine Überzeugungen sowohl taktierend (s. o. 2.2.1.1)280 als auch vehement einzutreten. Die Ablehnung des 277 Erasmische Begriffe wie „Synkatabasis“ leuchten hier auf: Bei Meinungsverschiedenheiten soll einer den anderen ertragen, Frieden halten und eine Anpassung des einen an den anderen Teil anstreben, ohne die eigenen Artikel „stantis et cadentis ecclesiae“ aufzugeben (vgl. Friedrich 2002:145). Auf den erasmischen Toleranzbegriff kann hier nicht näher eingegangen werden. 278 Ausdrücklich sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Erasmus hiermit keine Denkfaulheit in dieser Angelegenheit unterstellt werden soll. Der Konzentration auf das „Wesentliche im Glauben“ unterliegen für Erasmus selbstverständlich weitrangige philosophisch-theologische Einsichten (so zu Recht Krüger 1993:586), die in ihrer „Einfachheit“ im Sinne von Klarheit anziehend auf den jungen scholastisch gebildeten Bucer gewirkt haben müssen. 279 Neuerdings hat sich Thorsten Dietz 2009. Der Begriff der Furcht bei Luther. (BHTh 147). Tübingen: Mohr Siebeck dazu geäußert. 280 Verstörend bleiben Äußerungen von Bucer im Rahmen der Konkordienbemühungen, es sei zuweilen notwendig um der luth. Brüder willen, die schwach im Glauben seien, Worte zu finden, die beide Seiten verwenden oder sich sogar zu verstellen - „dissumulare“ (so in einem Brief an Berchtold Haller vom 5. Januar 89 Augsburger Interims dient hier als offenkundige Demonstration einer Unionsbereitschaft, die auch ihre Grenzen kennt und setzt. Sucht man nach einer Art Chamäleon oder wenigstens einen sehr vorsichtig hantierenden Amtsträger unter den Straßburger Theologen, so stößt man auf Kaspar Hedio, der sich nicht vor dem Herbst 1527 öffentlich zu der Abendmahlsauffassung seiner Straßburger Kollegen bekannte (Kaufmann 1992:275f). Eine nüchterne Charakterisierung des Straßburger Pfarrers, der weitaus früher aus seinen Überzeugungen kein Hehl machte, bietet Wolgast (1993:146); als „lehrender Ratgeber“ erstreckte sich seine Korrespondenz über das ganze damalige Deutsche Reich und darüber hinaus. Ihn als einen „großen Theologen des Dialogs“ (Greschat 2009:284) zu bezeichnen, trifft sein Selbstverständnis, immer unter der Maßgabe seine Dialogbereitschaft unter den Bedingungen seiner Zeit zu verstehen. In seinem „Dialog“ über den Dialog kann BUCER aus Erfahrung folgern: „Das erfahren wir zwar taeglich in allen disputationen und ernstlichen gespra echen, da die leüt nit gleiche mainungen haben. Wie kümmerlich lasset nur ainer den anderen außreden, ich geschweig, das yeder des andren red also deütete und richtete, wie er wolte, das im seine red gedeütet und gerichtet wurde. Und wa schon sovil beschaidenhait ist, das ainer den andren laßt ausreden, so gedenckt doch yeder, dieweil der ander redt, meer, wie er antwort gebe und dem andren seine rede widerlege, dann was der ander rede und ob solche rede auch bestehn moege. Niemand will lernen, alle lehren.“ (BDS 6/2, 58, 20-26; Hervorhebung von mir) Exkurs 3 – BUCERS bleibende Bedeutung: In einem letzten Exkurs soll der unter 2.1 angeschnittenen Thematik, der Frage nach dem Einfluss Martin Bucers über seinen damaligen Wirkungskreis hinaus, weiter nachgegangen werden.281 Dass er als - wenn man so will - der große in Vergessenheit geratene Anreger Impulse weitergegeben hat von europäischem Ausmaß für die Reformation und ihre Geschichte, wurde schon dargelegt. 282 In CALVIN fand er einen Schüler, der über sein eigenes Werk hinausgewachsen ist, oder besser, seine Ideen äußerst erfolgreich systematisierte und kolportierte. Zu der Bezeichnung „der Pietist unter den Reformatoren“ muss allerdings angemerkt werden, dass es keine direkten historischen Verbindungslinien zu einer Person wie z. B. Philipp Jakob Spener gibt, auch wenn dies immer wieder behauptet wird (dazu ausführlich Wallmann 1993). Theologiegeschichtliche Linien in diese Richtung sind dagegen vorhanden, aber eher indirekter Natur (bspw. „collegia pietatis“; Einführung der Konfirmation), außer man macht den durch BUCER geschaffenen Typus von 1531; Neuser 1999:38; vgl. auch Neuser 1998b:217 u. Friedrich 2002:197). 281 Die Fragestellung kann nur angerissen werden. Aufgabe der vorliegenden Untersuchung kann es nicht sein, die gesamte Wirkungsgeschichte samt aktuellen Eingaben durch Bucers Werk darzustellen. Einschlägige Studien unterschiedlicher Provenienz bieten hierzu ganze „Auflistungen“ mit Impulsen, die von Bucer bis heute ausgehen oder ausgehen sollten (vgl. nur Britton 1989:34-36; Hammann 1989:338-344[Gang 1991:80-83 bietet eine populärwissenschaftliche Zusammenfassung von Hammanns Ausführungen]; Schirrmacher 2002:73-74; Greschat 2009:286). 282 Bucers letztes Wirken im englischen Exil und der damit verbundene bleibende Einfluss (z. B. die Hochschätzung des AT durch ref. Puritaner, „Censura“ des Book of common prayer usw.), würde ein umfassendes Kapitel zur Wirkungsgeschichte füllen. Nur am Rande: Ganz und gar nicht in Bucers Sinne starteten die Reformationsversuche auf der Insel mit Adiaphora, anstatt mit Hauptfragen. Wichtiger als über die amtliche Kleiderordnung zu streiten, sei es sich um die Ausbildung der Pfarrer und das geistliche Niveau der Gemeinden zu kümmern (so Bucer an Cranmer; vgl. Joisten 1991:158). Noch ein Jahrhundert später konnte ihn John Milton als „this apostolic man“ o. a. „the pastor of nations“ rühmen (Wolgast 1993:159), ein Ruhm, der ihm nicht lange beschieden blieb. 90 ref. Theologie grundsätzlich für das geistige Klima des späteren Pietismus verantwortlich (vgl. Neuser 1991:78f). Wie dem auch sei, die von BUCER vorgetragene „offene Ekklesiologie“ (so vermehrt Hammann) ist mehr und mehr zu einem Kennzeichen moderner Kirchenauffassung und Gemeindelehre, sowohl im landes- wie auch freikirchlichen Kontext geworden. Die Differenz zwischen Lehrdokumenten und Gemeindepraxis und -frömmigkeit ist hier selbstredend mitzubedenken. Es erscheint daher auch nicht vermessen, in Dietrich Bonhoeffers „Communio Sanctorum“ wiederholt Anregungen aus der Ideenwelt des Straßburger Reformators finden zu wollen - ohne jedoch ein Zitat explicite nachweisen zu können. Über den formellen theologischen Rahmen hinaus kann noch von einer weiteren bleibenden Bedeutung BUCERS gesprochen werden: Die frühe Betonung dessen, was heute „Sozialbereich“ genannt wird, könnte man vielleicht strukturell als BUCERS ganz persönliche Eigenart titulieren (Baumann 2001:9).283 Mit anderen Worten, etwas hinterhältig formuliert: Im Vergleich zu den anderen Reformatoren, bei aller menschlichen Schwäche, liegt mit Martin Bucer einer der sozial-kompatibelsten Vertreter der protestantischen Bewegung vor. Offen bleiben müssen viele grundlegende Fragen, die nicht ins Zentrum dieser MTh-Diss. gehören und daher nur am Rande eine Behandlung erfahren haben (das Verhältnis von Obrigkeit zum Reich Christi, die bleibende Bedeutung des altestamentarischen Gesetzes und das Verhältnis zu kanonischem Recht und Reichsrecht, der ganze Bereich der Ethik [vgl. Koch 1962], die bemerkenswerte anthropologische Fragestellung nach dem Einfluss der Affekte auf eine theologische Debatte, s. nur das „Osiander-Zitat“, in: Hammann 1991:114, Anm. 22 usw.). BUCER ist offensichtlich sehr viel gereist: Vielleicht könnte man die Frage nach dem Einfluss des Reisens und den damit verbundenen Austausch auf die Theologie der Reformatoren als ein Desiderat in der Forschung benennen? Bekannt und vielleicht lakonisch formuliert - als eine Ironie des Schicksals aufzufassen ist die Tatsache, dass BUCER mehr Erfolg in seiner „Vermittlungstätigkeit“ in Sachen Eheschließungen hatte, als in den übrigen Handlungsfeldern (vgl. Selderhuis 1993:175; Selderhuis 1994:152ff). Im Sinne Bornkamms (1952:36) - „Bucer hat keiner Kirche allein angehört, sondern der Ökumene“ - richtet sich das Augenmerk nun auf die ökumenische Bewegung, die BUCER folgen sollte, und deren Verhältnis zur evangelikalen Welt. 3. Evangelikale und die Ökumene 3.1 Ökumenismus als neuzeitliches Phänomen Nach der Darstellung einer profilierten theologiegeschichtlichen Position und ihres historischen Kontextes folgt hiermit ein Kapitel neuzeitlicher Kirchen- und Theologiegeschichte, das noch nicht abgeschlossen ist. Bevor der Blick auf den wie auch immer gearteten Ökumenismus innerhalb der evangelikalen Bewegung, insbesondere 283 Daneben tritt eine außergewöhnliche „Beweglichkeit“ im Denken (van Campen 1991:85), die ihm allerdings immer wieder zum Vorwurf gemacht wurde. 91 Lausanner Prägung, geworfen wird, soll zunächst ein kurzer Überblick dabei helfen, die von BUCER u. a. ausgehenden Linien bis hin zum heute vorliegenden Ökumenismus nachvollziehen zu können. Mithilfe des Dreiklangs „Historische Streiflichter“, „Theologische Schwerpunkte“ und „Aktuelle Perspektiven“ soll dies geschehen. „Man kann in der ökumenischen Bewegung (..) die wichtigste kirchliche Reformbewegung der jüngeren Kirchengeschichte sehen“ (Huber 2008:166). Es folgt eine kurze historische Skizze, wie es dazu kommen konnte. 3.1.1 Historische Streiflichter Ohne Frage ist der „ökumenische“ Gedanke (an dieser Stelle wieder bewusst in Anführungszeichen) älter als die Gestalt Martin Bucers. Wie in den vorhergehenden Kapiteln ausgeführt wurde, war er auch keineswegs der einzige im Zeitalter der Reformation, der an einer Wiedervereinigung der Konfessionen interessiert war (neben ERASMUS, MELANCHTHON, später CALVIN u. a. wären noch weniger bekannte Namen zu ergänzen). Nun die wechselvolle Geschichte bis zur Entstehung des ÖRK im 20. Jahrhundert en détail nachzuzeichnen, immer unter Berücksichtigung der unterschiedlichen „Territorien“, kann nicht Aufgabe der vorliegenden Studie sein. Schlagwortartig sei auf Folgendes verwiesen: Noch im 16. Jahrhundert, in den Jahren 1573-1581, ließ die württembergische Kirche Tübinger Theologen, entsenden, um mit dem Patriarchen Jeremias den II. von Konstantinopel über den neugewonnenen evangelischen Glauben nach der CA zu verhandeln, allerdings ohne Resultat.284 Sowohl die Spätreformation wie auch das konfessionelle Zeitalter kennen Einigungsversuche aufgrund von „ökumenischen“ Gesprächen über die Konfessionsgrenzen hinweg (vgl. Rouse und Neill 1963:36-230).285 Neben den aufgeklärten Theologen286 hatten bekannterweise auch Vertreter des Pietismus wie ZINZENDORF oder FRANCKE intensive „ökumenische“ Kontakte mit dem Ziel, die Gemeinschaft der wahren Kinder Gottes zu fördern.287 284 Vgl. hierzu Dorothea Wendebourg 1986. Reformation und Orthodoxie: Der ökumenische Briefwechsel zwischen der Leitung der württembergischen Kirche und Patriarch Jeremias II. von Konstantinopel in den Jahren 1573-1581. (FKDG 37). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 285 Exemplarisch für das sog. konfessionelle Zeitalter sei hier nur auf Georg Calixt hingewiesen, der als prominenter Vertreter des „ökumenischen“ Gedankens auf luth. Seite bezeichnet werden kann und ebenso wie Bucer in äußerst polemische Auseinandersetzungen geriet (vgl. immer noch Paul Tschackert [Ernst Ludwig Theodor Henke] 1897. Calixtus, Georg. RE3, 643-647 u. Kantzenbach 1957:230-244); für das ref. Spektrum vgl. neuerdings Tobias Sarx 2007. Franciscus Junius d.Ä.: Ein reformierter Theologe im Spannungsfeld zwischen späthumanistischer Irenik und reformierter Konfessionalisierung. (RHT 3). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 286 Vgl. Christopher Spehr 2005. Aufklärung und Ökumene: Reunionsversuche zwischen Katholiken und Protestanten im deutschsprachigen Raum des späteren 18. Jahrhunderts. (BHT 132). Tübingen: Mohr Siebeck. 287 Sigurd Nielsen 1951-60. Der Toleranzgedanke bei Zinzendorf: Intoleranz und Toleranz bei Zinzendorf. Bde. 1-3. Hamburg: Appel (Zinzendorf führte die Begriffe „ökumenisch“ o. a. „Ökumene“ beinahe inflationär in die kirchenpolitischen Debatten seiner Zeit ein, zumeist antithetisch gegenüber der römischen Kirche oder 92 Die Geschichte der neueren ökumenischen Bewegung erreichte dann ihren vorläufigen Höhepunkt mit der Gründung des ÖRK am 23. August 1948 in Amsterdam (WCC – „World Council of Churches“).288 Der Weg dorthin ist untrennbar verbunden mit der internationalen Erweckungsbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts und den Ökumenikern, die aus ihr hervorgingen (z. B. John R. Mott). Institutionen, die in diesem Dunstkreis entstanden sind, wie die „Evangelische Allianz“ (1846), der „Weltbund der Christlichen Vereine Junger Männer“ (CVJM / 1855) und der „Christliche Studentenweltbund“ (1895) sind hier als Wegbereiter der Ökumene zu nennen. Sie gehören zu einer von drei Gruppen (nach Slenzcka 1998:428), in denen man die unmittelbaren Anfänge der ökumenischen Bewegung vor sich hat: a) Mit dem christlichen Vereinswesen liegen interkonfessionelle Vereinigungen auf persönlicher Basis vor, ohne die unterschiedliche Bekenntnislage zu problematisieren („Bruderbund statt Kirchenbund“). b) Die konfessionellen Weltbünde stellen dagegen Zusammenschlüsse von Kirchen eines Bekenntnisses dar, allerdings verschiedener Nationalität und Kultur. c) Kennzeichen der Weltmissionskonferenzen ist schließlich der Versuch einer praktischen Zusammenarbeit von verschiedenen Kirchen, insbesondere deren Missionsgesellschaften (der gemeinsame Dienst hat Vorrang vor dem Dogma). Einige Hintergründe zu diesen drei Formen ökumenischen Lebens und Arbeitens: Die „Freien Christlichen Vereinigungen“ (voluntary movements), als Teile der Gemeinschafts- und Erweckungsbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts vor allem in Europa und den USA, zeichnen sich durch ihre undogmatische Haltung aus. Im Mittelpunkt steht die persönliche Glaubensentscheidung und der Ruf zu gehorsamer Nachfolge in Abgrenzung gegen ein Gewohnheitschristentum und generell volks- und staatskirchliche Strukturen. Der Zusammenhang von Lehre und Leben - oberflächlich betrachtet im BUCER’SCHEN Sinne - wird betont. Mission als entscheidende Zielvorstellung prägt insbesondere den „Christlichen Studentenweltbund“, ohne dessen Initiative, der Vernetzung von christlichen Persönlichkeiten - oft Laien -, „die weitere Geschichte der ökumenischen Bewegung überhaupt nicht vorstellbar“ ist (Slenzcka 1998:430289; vgl. generell Rouse und Neill 1963:422-482; 1973:258275). Weitere Hinweise zur Geschichte der DEA (und damit auch zur „Weltweiten Evangelischen Allianz“) und später des LKWE folgen unter 3.2.2. Kirchengeschichtlich betrachtet, stehen die Weltbünde (World Confessional Bodies) als weitere ökumenische Lebensformen nicht alleine da: Frühere universale Kirchenvereinigungen wie bspw. die Gemeinschaft orthodoxer Landeskirchen unter dem generell jeder „etablierten“ Kirche; vgl. Sauerzapf 1975:15); Erich Beyreuther 1957. August Hermann Francke und die Anfänge der ökumenischen Bewegung. Leipzig: Koehler & Amelang. 288 Zur Bedeutung und Genese des Generalsekretariates in Genf vgl. Rouse und Neill 1973:385-423, bes. 403f. 289 Die von G. Gloede herausgegebene Reihe „Ökumenische Profile“ legt hiervon ein beredtes Zeugnis ab. 93 Ehrenprimat des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel oder die römisch-katholische Kirche unter dem Universalprimat des Bischofs von Rom, dienen hier als historische Vorbilder. Durch Emigration oder Mission entstanden, kam es zu weltweiten Zusammenschlüssen reformatorischer Landes- und Freikirchen in der zweiten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts.290 Eine interne Herausforderung stellt bis heute weniger die dogmatische, jedoch aber jurisdiktive oder schlichtweg politische Fragestellung für diese dar. Nicht vergessen werden darf, dass ebenso bis heute wichtige Beiträge zur theologischen Konsolidierung ökumenischer Vorstellungen von diesen Weltbünden ausgehen. Ohne ihre konkrete „konfessionelle“ Gestalt wäre eine offizielle Begegnung mit den Großkirchen orthodoxer oder römisch-katholischer Provenienz nur schlecht vorstellbar (vgl. generell Rouse und Neill 1963:359-421; 1973:276-286). Die Geschichte der Weltmissionskonferenzen geht - greift man weit zurück – auf den Baptistenmissionar William Carey zurück, der schon 1810 eine „Internationale Missionskonferenz“ nach Kapstadt einberief, allerdings als Illusionist zurück blieb. Unter Gustav Warneck gelang dann die Verwirklichung des Traumes in London 1888 im Rahmen der „Hundertjahrfeier der protestantischen Mission“. Auf die „Ecumenical Missionary Conference“ in New York 1900 folgte dann die „Weltmissionskonferenz von Edinburgh“ im Jahre 1910, das damit zugleich als Gründungsdatum der ökumenischen Bewegung (nicht des ÖRK) neuerer Zeitrechnung aufgefasst wird. Vertreter der „freien Vereinigungen“ (vor allem des „Christlichen Studentenweltbundes“) waren hier maßgeblich beteiligt, womit sich der Kreis wieder schließt, und übernahmen daher folgerichtig die weitere Gestaltung der weltweiten ökumenischen Bewegung. Das epochemachende Motto von John R. Mott - „The Evangelisation of the World in this Generation“ - ist essentiell für die Programme dieser Konferenzen. Wichtige Voraussetzungen für spätere Formen der Zusammenarbeit wurden hier gelegt. Der 1920 gegründete „Internationale Missionsrat“ trat die Nachfolge der insgesamt drei Weltmissionskonferenzen an und ging 1961 in den ÖRK über (vgl. hierzu Rouse und Neill 1963:583-556; 1973:1-51). Ganz im Einklang mit dem Selbstverständnis des ÖRK war mit diesen soeben skizzierten Gruppierungen jedoch nicht die gesamte Weltchristenheit (der ganze „Erdkreis“ im ursprünglichen Wortsinn)291 vertreten (sondern nur ca. 28% mit heute 349 Mitgliedskirchen). 290 Zu nennen sind: Lambeth-Konferenzen der Anglikanischen Gemeinschaft, 1867; General Conference of the World Presbyterian Alliance/Reformierter Weltbund, 1877; Methodist Ecumenical Conferences, 1881 [seit 1951 World Methodist Council]; Internationale Altkatholische Bischofskonferenz, 1889; International Congregational Council, 1891; Baptist World Alliance, 1905; World Convention of the Churches of Christ [Disciples], 1930; Lutherischer Weltbund, 1947 u. a.. 291 Zur Etymologie des Begriffes oi)koume/nh und zum Bedeutungswandel vgl. Michel 1954:159-161, den Exkurs von Willem A. Visser’t Hooft, in: Rouse und Neill 1973:434-441; Sauerzapf 1975:209-213 (der nach m. E. die semantische Ebene des Begriffes im NT theologisch überfrachtet) u. Slenczka 1998:441-447. 94 Außerhalb von ihm bestanden und bestehen seit seiner Gründung andere Formen kirchlicher Einheit mit anderen Vorstellungen bzgl. christlicher Einheit: Neben der römisch-katholischen Kirche, die ca. die Hälfte der Weltchristenheit umfasst, existiert z. B. - ebenfalls 1948 in Amsterdam gegründet - der von konservativen Kirchen ins Leben gerufene „Internationale Rat Christlicher Kirchen“ (ICCC - „International Council of Christian Churches“). Weitere ökumenische Initiativen einzelner Kirchen (lokal und darüber hinaus) sowie internationale und interkonfessionelle Zusammenschlüsse von Christen und christlichen Gemeinschaften und Organisationen (die Lausanner Bewegung wird noch eingehend untersucht, s. u. Kap. 3.2.2.1) müssen ebenso als Teil der ökumenischen Bewegung betrachtet werden. Es ist ersichtlich, dass „der ‚Ökumenische Rat‘ ein Instrument der Einheit ist, nicht aber in sich die Verwirklichung der Einheit, [dies] gehört zu den wesentlichen Voraussetzungen für die Betrachtung der Geschichte ökumenischer Bewegung“ (Slenczka 1998:428). Am Rande: Die ref. Kirchen verstehen sich seit der Gründungsversammlung des ÖRK in der Nieuwe Kerk in Amsterdam ganz in der Tradition CALVINS (und damit auch BUCERS) als Vermittler zwischen den verschiedenen Flügeln der weltweiten Christenheit.292 3.1.2 Theologische Schwerpunkte Ebenso abbreviaturhaft wie im vorangehenden Kapitel können hier nur einige theologiegeschichtliche Schlaglichter zur Theologie der Ökumene - präziser müsste man seit der Einrichtung des ÖRK von der Theologie „der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung“ sprechen - genannt werden. Ein Blick zurück auf die großen theologischen Entwicklungslinien oder einzelne Modelle (man denke nur an ZINZENDORFS Tropenlehre) wäre reizvoll, kann hier aber nicht geschehen. Im Mittelpunkt sollen die Erörterungen und dogmatischen Grundentscheidungen ab der Mitte des 19. Jahrhundert bis zur Blütezeit im 20. Jahrhundert stehen, die bei aller angedeuteten Bescheidenheit des ÖRK untrennbar mit seiner Entstehungsgeschichte verbunden sind. Vorweg: Als besonderes Phänomen, ja regelrechtes Novum ökumenischer Theologie, muss 292 Nijenhuis (1960:69) spricht von einer historisch bedingten „bemerkenswerte[n] Mittelposition“ und unterstreicht die Aktualität derselben mithilfe eines Auszugs aus einer Ansprache Karl Barths auf der Vollversammlung 1948: „Rechts befinden sich Orthodoxen, die, wie er sich ausdrückte, ‚so weit von uns entfernt sind, daß sie uns oft im Nebel zu verschwinden scheinen; ihnen gegenüber fragen wir uns: Können wir uns verstehen, sind wir wirklich zusammen?‘ Weiterhin gibt es rechts die Anglikaner, die Altkatholiken und die Lutheraner. Auf dem linken Flügel befinden sich zuerst, am nächsten bei den Reformierten, die Kongregationalisten und weiter weg die Methodisten, die Baptisten, die ‚Disciples of Christ‘. ‚Und dann betritt man aufs neue eine Zone des Nebels, in der sich die Mennoniten, die Quäker und die Heilsarmee befinden. Und man fragt sich: Kann man wirklich in diesem Nebel zur Linken das Wort ‚Kirche‘ aussprechen, obgleich man sich hier weigert, von Taufe und Abendmahl zu sprechen?‘ (…). ‚Wir haben einen Platz in der Mitte, den wir auf keinen Fall zurückweisen können; und es kommt darauf an, ihn recht zu halten‘“ (:69; vgl. auch :71.81f – CO 9, 49f). 95 ihr Charakter und ihre Eigenart als ausgesprochene Konferenztheologie bedacht werden (dies gilt auch für das LKWE). Kontinuität und Diskontinuität zu den Konzilien der Alten Kirche und den Synoden der Reformationszeit bilden dabei eine eigene Fragestellung (vgl. Slenczka 1998:438-441). Mit der Bewegung für Praktisches Christentum (Life and Work) und der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order) sind die zwei entscheidenden Motoren der ökumenischen Arbeit zwischen 1910 und 1937 benannt. Im Hintergrund von „Life and Work“ steht eine im Ansatz reformatorische Ekklesiologie, im Falle von „Faith and Order“ handelt es sich eher um einen anglikanischen Ansatz in dieser Hinsicht. Beide, auch die vermeintlich rein sozialethische Bewegung „Life and Work“, beruhen auf dogmatischen Grundentscheidungen, die der Traditionsbewältigung und Zukunftsgestaltung der „einen“ Kirche dienen sollen (Slenczka 1998:447). Sucht man nach dem grundlegenden theologischen Unterschied beider Bewegungen, so kann dieser nur in der Antwort auf die Frage, ob und inwieweit eine sichtbare Einheit der Kirche überhaupt möglich und nötig ist, liegen. 293 Die hiermit kurz skizzierte streng dogmatische Grenzziehung ist aber de facto nicht vorhanden. Dies zeigen die Erfahrungen in der Zusammenarbeit der verschiedenen Konfessionen und Kirchen in beiden Bewegungen. Eine Auflistung der theologischen und praktischen Probleme, mit denen sich der ÖRK bis heute auseinandersetzt - der seiner Organisationsform nach nichts anderes ist als der letztendliche Zusammenschluss beider Bewegungen -, unterstreicht diesen Sachverhalt. Ein kurzer Blick auf die theologische Akzentuierung dieser zunächst getrennt arbeitenden ökumenischen „Schulen“ soll helfen, das spätere Selbstverständnis und Proprium des ÖRK besser einordnen zu können: a) Geschichtlich und theologisch ist die Bewegung für Praktisches Christentum von der sog. „sozialen Frage“ bestimmt, die seit dem 19. Jahrhundert den theologischen Diskurs zunehmend beeinflusst. Kennzeichnend ist das vielzitierte Diktum aus den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts: „Die Lehre trennt, aber das Dienen verbindet“ (so Hermann Kapler im Rückgriff auf ein Votum von A. v. Harnack).294 Neben der „Inneren Mission“295 gehören die verschiedenen Organisationen der christlich-sozialen Bewegung296 zur unmittelbaren 293 Konkret (mit Slenczka 1998:447): „Beruht die Sichtbarkeit der Einheit in der Kontinuität des bischöflichen Amtes oder in den Früchten des seinem Wesen nach unsichtbaren Glaubens?“ 294 Vgl. zur kirchen- und theologiegeschichtlichen Einordnung dieses Mottos Slenczka 1998:448, Anm. 1. 295 Schon 1857 (auf dem Stuttgarter Kirchentag) konnte Johann Hinrich Wichern innerhalb der „Zwölf Thesen über die innere Mission“ von evangelischer Katholizität sprechen, ein Ausdruck um die Einheit im Dienst als Zeugnis vor der Welt zu formulieren (vgl. neuerdings Karl-Dietrich Pfisterer 2007. Ökumenische Ansätze in den Redebeiträgen Wicherns auf dem Wittenberger Kirchentag 1848, in: Volker Hermann, Jürgen Gohde u.a. (Hg.). Erbe und Auftrag: Stand und Perspektiven der Forschung. [Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen Instituts an der Universität Heidelberg 30]. Heidelberg: Winter, 117-128.) 296 Unter „sozial“ kann sowohl die christliche Alternative zum Sozialismus der damaligen Zeit, wie auch die Affinität zu jenem, verstanden werden. Beteiligung an der Parteipolitik o. a. Gewerkschaftsarbeit ist demnach vielerorts die Konsequenz für kirchennahe Personen und Kreise (s. zur Vielzahl an Bsp. und der entsprechenden 96 Vorgeschichte dieser Neuausrichtung auf ein Christentum der Tat (vgl. weiterhin zur Friedensbewegung und internationalen Freundschaftsarbeit Rouse und Neill 1973:133-180). 297 Skeptisch gegenüber der überkommenen Dogmatik, getrieben von den ohne Frage gewaltigen Herausforderungen im Bereich der Sozialethik für die christliche Theologie, legt die Bewegung für Praktisches Christentum - nomen est omen - ihren Schwerpunkt auf die Praxis, theologisch gesprochen auf die Früchte, d. h. die sozialen und ethischen Wirkungen des christlichen Glaubens, also seine sichtbare Seite (als Ausdruck der iustitia passiva). 298 Im Hintergrund steht aus dogmatischer Sicht vor allem ein Verständnis des Reiches Gottes als sozialethisches Leitbild (im Ritschl’schen Sinne) 299, die Darstellung von Schuld und Sünde im sozialen Kontext o. a. Neuüberlegungen zum Verhältnis von Schöpfung und Erlösung (allesamt Fragestellungen, die von den sog. „radikalen Evangelikalen“ aufgegriffen wurden). Der Theologie, die im Grunde genommen damit generell zur Praktischen Theologie wird (!), kommt dabei grundsätzlich die Aufgabe zu, Handlungsziele zu entwerfen und ihre Umsetzung voranzutreiben. b) Die Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung300 steht unter ganz anderen Vorzeichen: Sind die Anhänger von „Life and Work“ doch fest davon überzeugt, dass der ganze Bereich des Dogmatischen („faith“) und Kanonischen („order“) sich nicht für Einigungsverhandlungen eignet, im Gegenteil nur das Aufkeimen neuer Auseinandersetzungen heraufbeschwört,301 so versuchte die Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung genau diesen Weg einzuschlagen. Anders als die reformatorischen Kirchen in Europa mit ihrem Territorialprinzip hat diese Bewegung ihre Wurzeln in den Vereinigten Staaten von Amerika. Ihr Gegenüber ist der Pluralismus von christlichen Gemeinschaften auf der Basis des Freiwilligkeitsprinzips. Das in der Formel „Faith and Order“ enthaltene ekklesiologische Konzept geht auf die Frühzeit jener Bewegung zurück, insbesondere die Literatur Slenczka 1998:448f, Anm. 4). 297 Zum „Nicäa der Ethik“, der ersten Weltkonferenz für Praktisches Christentum in Stockholm 1925 und der Rolle Nathan Söderbloms, sowie zur weiteren Wirkungsgeschichte vgl. Rouse und Neill 1973:181-256. 298 Deutliche Einflüsse der Ritschl-Schule sowie die Untersuchungen z. B. von M. Weber und E. Troeltsch zur christlichen Soziallehre und ihren dogmatischen Voraussetzungen müssen hier geltend gemacht werden. In den USA ist es die Bewegung des „Social Gospel“, deren Theologie z. T. unter einem direkten Einfluss der Ritschl’schen Vorstellungen steht. W. Rauschenbusch (1917:158) kann der europäischen Theologenschaft sogar vorwerfen, sie gehöre ausnahmslos zur Bourgeoise und sei von daher nicht in der Lage, den revolutionären Einsichten des Evangeliums zu folgen; im Gegenteil, sie überbetone die asketischen und eschatologischen Elemente in den Lehren Jesu. 299 Zur Auseinandersetzung mit dem Kant-Ritschl’schen Verständnis des Reiches Gottes vgl. den Exkurs von Slenczka 1998:450f u. Gottfried Hornig 1998. Der ethisierte Reich-Gottes-Gedanke und die antimetaphysischchristozentrische Theologie Ritschls. HDThG, Bd. 3, 204-208. 300 Die Übersetzung der Begriffe „faith and order“ bereitete zunächst Schwierigkeiten und Missverständnisse, je nach kontinentaler oder nationaler Nuance (faith: i. S. von Glaubensbekenntnis oder Glaubensvollzug [fiducia]; order: i. S. von Kirchenrecht, Kirchenverfassung o. a. schlichtweg kirchliche Ordnung im weitläufigen Sinne; vgl. Slenczka 1998:469f). 301 Vgl. nur die höchst aufschlussreichen Ausführungen der damaligen dt. Theologieprofessoren-Elite (A. Schlatter, A. Deißmann, A. Jülicher, A. v. Harnack, F. Loofs u. a.) anlässlich einer FS für Nathan Söderblom aus dem Jahre 1925 (Die Eiche 13/1925). 97 Anstrengungen der „Protestant Episcopal Church“ (dem amerikanischen Zweig der anglikanischen Kirche). Mit dem Bemühen um die Bildung einer amerikanischen Nationalkirche katholischer Prägung geht das zuerst von William R. Huntington aufgestellte Vierpunkteprogramm („Quadrilateral“)302 einher, welches durch den Generalkonvent von Chicago 1886 zur Grundlage weiterer Einigungsversuche erhoben wurde. Der Gedanke einer „Katholizität“ im Sinne einer organischen Einheit in Verschiedenheit (organic unity in diversity)303 leuchtet hier auf, ein Konzept, das sich zwischen der Uniformität der römischen Kirche und dem Pluralismus der protestantischen Kirchen positioniert. In Folge der 3. Lambeth-Konferenz 1888 (s. o. S. 94, Anm. 290) wurde die hiermit getroffene Formulierung von der gesamten anglikanischen Gemeinschaft anerkannt - ohne jedoch überall zu konkreten, kurzfristigen Ergebnissen zu führen. Modifikationen und Nuancen (z. B. durch die Aufnahme des Kernsatzes der Pariser Basis des Weltbundes des CVJM von 1855) 304 führten zur Weiterentwicklung der Gedanken im Rahmen der nachfolgenden Konferenzen und Generalkonvente einzelner Kirchen in den USA unter der Leitung von Bischof Charles H. Brent, Peter Ainslie III. und vor allem Robert H. Gardiner, der als Sekretär der Vorbereitungskommission der ersten Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung in Lausanne 1927305 hervortrat.306 Hinsichtlich der theologischen Schwerpunkte bereitete schon 302 „Die christliche Einheit (…) kann nur wiederhergestellt werden durch die Rückkehr der christlichen Gemeinschaften zu den Prinzipien der Einheit, wie sie dargestellt sind durch die ungeteilte katholische Kirche während der ersten Jahrhunderte ihres Bestehens; diese Prinzipien halten wir für die wesentliche Grundlage (substantial deposit) von Christian Faith and Order, von Christus und seinen Aposteln der Kirche übergeben bis zum Ende der Welt. Daher darf es hier weder Kompromiß noch Verzicht geben für diejenigen, die dafür ordiniert wurden, seine Diener und Hüter zum allgemeinen und gleichen Nutzen aller Menschen zu sein: 1. Die heiligen Schriften des Alten und Neuen Testaments als das offenbarte Wort Gottes. 2. Das nicänische Glaubensbekenntnis als ausreichende Erklärung des christlichen Glaubens. 3. Die zwei Sakramente – Taufe und Herrenmahl – verwaltet mit dem unfehlbaren Gebrauch der Einsetzungsworte Christi und der von ihm bestimmten Elemente. 4. Der historische Episcopat, örtlich in den Weisen seiner Verwaltung, den jeweiligen Bedürfnissen der Nation und Völker angepaßt, die von Gott in die Einheit seiner Kirche gerufen ist“ (Hervorhebung im Original; zit. nach Karl-Christoph Epting 1972. Ein Gespräch beginnt: Die Anfänge der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung in den Jahren 1910 bis 1920. (BSHST 16). Zürich: Theologischer Verlag, 16, in: Slenczka 1998:470f). 303 Es kann auch von einer „evangelischen Katholizität“ die Rede sein, allerdings unter ganz anderen Vorzeichen als bei Johann H. Wichern (s. o. S. 96, Anm. 295). 304 „(...) und daß alle christlichen Kirchengemeinschaften der Welt, die unseren Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland bekennen, angefragt werden sollen, sich mit uns für die Vorbereitung und Durchführung einer solchen Konferenz zu vereinigen (...)“ (Hervorhebung im Original; zit. nach Epting 1972:33 [s. o. Anm. 302], in: Slenczka 1998:471f); Zwei Momente werden hier ergänzt: Die Notwendigkeit einer persönlichen Glaubensentscheidung und die Absage an einen theologischen Liberalismus bzgl. der Christologie. 305 Mit dieser ersten Konferenz für Glauben und Kirchenverfassung liegt ein kirchenhistorisches Ereignis vor, „für das es damals noch kein Vorbild gab.“ Dogmatische Themen durch Vertreter einer größeren Zahl voneinander getrennter Kirchengemeinschaften erörtern zu lassen, „war etwas völlig Neues“ (Slenczka 1998:480). Über die bloßen Ergebnisse der Konferenz hinaus muss neben der gemeinsamen theologischen Arbeit auch die erfahrene christliche Gemeinschaft ansonsten getrennt lebender Kirchen als ein Stück praktizierter wenn man so will proleptischer - Kirchengemeinschaft betrachtet werden. 306 Vgl. zu Verlauf, Ergebnissen und der anschließenden 2. Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung in Edinburgh 1937 Rouse und Neill 1973:1-51 u. generell Günther Gaßmann 1979. Konzeptionen der Einheit in der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung in den Jahren 1910-1937. (FSÖTh 39). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 98 seit der Vorbereitungsphase dieser epochalen Konferenz nicht nur die unterschiedliche ekklesiologische Grundierung Schwierigkeiten, sondern auch die Anfrage vor allem von anglikanischer Seite an den kontinentalen Liberalismus („Apostolikumsstreit“), wie zuverlässig eigentlich das Bekenntnis zu „unserem Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland“ für einzelne Mitglieder der Bewegung sei307 Im Anschluss an diese dogmatischen Weichenstellungen oder bleibenden Spannungen aus der Frühzeit der neueren ökumenischen Bewegung folgt nun der Versuch, die mit den Vollversammlungen des ÖRK gegebenen Themenstellungen seit 1948 (bis 1968) in aller Kürze zu skizzieren. Dies soll bis zum einsetzenden Kirchenkampf zwischen „Genf“ und der sich formierenden evangelikalen Welt geschehen (weiter dann unter 3.2.1). Der Blick in die Vorgeschichte demonstriert, wie bereits in den Anfängen nicht nur die kirchlichen Differenzen, sondern auch die theologischen Schultraditionen schon immer die spannungsreiche Aufgabe ökumenischer Arbeit waren.308 Nun zu den theologischen Spitzen des obersten legislativen Organs des ÖRK - den Vollversammlungen (assemblies): „Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan“ (Amsterdam 1948): Schon mit dem ersten Hauptthema einer Vollversammlung wird die Frage - im Rahmen der Vorsehungslehre nach der Aufgabe der Kirche angesichts des Weltgeschehens gestellt (die Unterteilung in verschiedene Sektionen, die nach der Verkündigung, dem Dienst und der gesellschaftlichen und politischen Relevanz der Kirche fragen, bleibt nachfolgend weitgehend dieselbe). Der zeitgeschichtliche Bezug und die sich daraus ergebenden Implikationen für die 307 Auf den Punkt bringt dies Bischof Charles Gore bei der Behandlung des Berichts der vierten Sektion über „das gemeinsame Glaubensbekenntnis der Kirche“ in der Gegenüberstellung einer „Religion der Autorität“ und einer modernistischen „Religion des Geistes“. Ihm zufolge habe die moderne Welt „eine völlig andere Idee des Geistes Gottes entwickelt, den Gedanken nämlich, daß der Geist Gottes nur das ganz allgemeine, in stetem Fortschritt begriffene geistige Prinzip der Menschheit sei, an dem jeder Mensch durch seine Geburt Anteil hat. Auch verwirft sie vollständig die Idee einer einmal gegebenen autoritativen Botschaft. Sie stellt die ‚Religion der Autorität‘, die sie ablehnt, in Gegensatz zu der ‚Religion des Geistes‘, die keine Schranken hat und keine absolute Vollendung kennt und die sich nicht an ein einmal gesprochenes Wort gebunden weiß, sondern nur an die im Laufe der Entwicklung sich vollendende Wahrheit. Dies ist eine wirklich ernste Frage. Hier ist der Boden, auf dem wir mit den Kritikern zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen müssen“ (zit. nach Helmut Sasse [Hg.] 1929. Die Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung: Deutscher amtlicher Bericht über die Weltkirchenkonferenz zu Lausanne 3.-21.8.1927. Berlin: Furche-Verlag, 233, in: Slenczka 1998:485). 308 Naturgemäß gab es nicht nur von Anbeginn „interne“ Konflikte, sondern schon in der Gründung des ÖRK mitinbegriffen Bedenken o. a. Ablehnung vonseiten der römisch-katholischen Kirche (die allerdings durch die Erfahrungen im 2. Weltkrieg auch indirekt ökumenische Offenheit demonstrieren konnte), der Gemeinschaft orthodoxer Kirchen und „fundamentalistischer“ (so Slenczka 1998:514) Kreise (dem schon erwähnten ICCC). „Diese Vorgänge sind symptomatisch; denn in ihnen zeichnen sich bereits die Punkte ab, auf die sich in der weiteren Geschichte nicht nur die Auseinandersetzungen mit dem Ökumenischen Rat, sondern auch die Konflikte in ihm konzentrieren: das ekklesiologische Thema im Blick auf die ekklesialen Strukturen des Rates, das sozial-politische Thema im Blick auf seine Tätigkeit sowie die kritische Frage nach der Bindung seiner Organisation und Aktivität an Schrift, Bekenntnis und Dogma“ (:514). Die Suche nach einer geeigneten Basis, einem „Fundamentalsatz“ trägt dem Rechnung. Seit Neu-Delhi 1961 lautet er in der rev. Fassung: „Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen (engl.: „confess“) und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (vgl. zur Entstehung und Interpretation :515-517). 99 Themenstellung müssen hier nicht erläutert werden. Theologiegeschichtlich betrachtet, entbrannte auf der Gründungsversammlung nicht weniger als der klassische Konflikt zwischen LUTHER und ERASMUS (o. a. AUGUSTIN und den Pelagianern) in einem neuem Gewand.309 „Christus, die Hoffnung für die Welt“ (Evanston 1954): Trotz der weltpolitisch fortgeschrittenen Lage - neben den eisernen Vorhang trat die Gründung der Volksrepublik China 1949 - handelte es sich in Evanston um eine ausgesprochen theologisch ausgerichtete Tagung, die weder ein soziales noch politisches Thema konkret problematisierte (außer einer Stellungnahme zum Thema Israel). Die Vollversammlung in der Nähe von Chicago war die letzte ihrer Art, bei der die Vorbereitung und Durchführung vor allem in den Händen der europäischen Theologen und ihrer einflussreichen Vertreter lag, die nicht zuletzt durch ihre Erfahrungen im Kirchenkampf ein hohes Ansehen genossen. Die in Amsterdam begonnene Kontroverse zwischen K. Barth und R. Niebuhr erfuhr allerdings eher eine Verschärfung und Fortsetzung.310 In der „Botschaft an die Kirchen“ wird die aufgeworfene Fragestellung nach 309 Niemand anders als Karl Barth warf die fundamental-theologische Frage auf, inwieweit die „Unordnung der Welt“ als Thema auf die Tagesordnung einer ökumenischen Konferenz gehöre (s. Amsterdam 1948:140f). Der schon skizzierte Gegensatz zwischen kontinentaler und angelsächsischer Theologie brach damit erneut auf. Als Hauptkontrahent trat Reinhold Niebuhr auf, der mit dem nötigen Selbstbewusstsein ausgestattet seinen „Anglo-Saxon approach to theology“ vortrug - die Berechtigung der kontinentalen Theologie mit ihrer „realisierten Eschatologie“ wollte er nicht bestreiten, wohl aber die daraus abgeleiteten Konsequenzen (vgl. Slenczka 1998:529 u. generell Karl Barth, Jean Daniélou, Reinhold Niebuhr 1949. Amsterdamer Fragen und Antworten. TEH NF 15). Die Versammlung konnte schlussendlich festhalten, im Unterschied zu späteren Äußerungen: „Es steht nicht in menschlicher Macht, Sünde und Tod von der Erde zu verbannen, die Einheit der Einen Heiligen Kirche zu schaffen, die Mächte des Satans zu überwinden; aber Gott kann es tun“ (Hervorhebung von mir; Amsterdam 1948:11). 310 Bischof Hans Lilje bringt dies in seiner „Erklärung zu dem Bericht der Beratenden Kommission für das Hauptthema“ klar zum Ausdruck: „Als wir den Bericht unter uns diskutierten, kamen scharfe Gegensätze theologischer Auffassungen zum Ausdruck (…). Unsere Hauptkritik (…) bezieht sich nicht so sehr auf seinen Gehalt wie auf seine Ausdrucksweise; nicht auf das, was gesagt, sondern auf das, was nicht gesagt wurde. Wir finden, daß der Ton einer freudigen Gewißheit und strahlenden Erwartung, der eine Erklärung der christlichen Hoffnung auszeichnen sollte, nicht hinreichend aus dem Bericht herausklingt. Wir sehen bestimmte wesentliche Auslassungen: das gegenwärtige Werk des Heiligen Geistes in Kirche und Welt; der ausdrückliche Hinweis auf die ‚Anzeichen‘ der Hoffnung; die angemessene Behandlung des Themas Schöpfung und der kosmischen Erlösung. (…) Wir sind uns über die Beziehung zwischen der Hoffnung des Christen hier und jetzt und seiner letzten Hoffnung nicht einig“ (Evanston 1954:13; vgl. :36-55). Zugespitzt kam dieser Dissens in den beiden Referaten, die zum Hauptthema gehalten wurden, zum Vorschein. Gegenüber Edmund Schlink, der zwischen einer „ersten und zweiten Tat“ der Hoffnung unterschied – zunächst die Verkündigung des Evangeliums, dann der Einsatz für die gerechte Hoffnung dieser Welt (:135-144) – trat mit Robert R. L. Calhoun ein amerikanischer Kongregationalist auf, der den „Anglo-Saxon Approach“ in Bezugnahme auf die Lebensverhältnisse in den USA und ihrer geschichtlichen Genese entfaltete. Der dieser Position vorgeworfene „soziale und moralische Zug“ sei aus dem Erbe ref. Theologie zu erklären: „Für eine solche Theologie hat das Reich Gottes, die Herrschaft Jesu Christi [man wird unweigerlich an das ‚regnum christi‘ bei Bucer erinnert] und die Macht des Heiligen Geistes eine sehr konkrete, gegenwärtige und verpflichtende Bedeutung. Oftmals sicherlich zu einfach, aber in aller Aufrichtigkeit hat unsere Theologie das Evangelium wiedergegeben: ‚Das Reich Gottes ist mitten unter euch‘ und hat die Antwort, die Johannes dem Täufer zuteil wurde, und die Aufforderung, die ‚Hungrigen zu sättigen und die Gefangenen zu befreien‘, sehr ernst genommen. Hier fand man Anzeichen für den Einbruch des Reiches Gottes in fortschreitender Beseitigung von Krankheiten und Hunger, in der Abschaffung von Sklaverei und in der Verbreitung christlicher Gewissensverantwortung in dem ganzen Bereich privater und öffentlicher Angelegenheiten. Ihre Hoffnung war konzentriert auf die manifestierte Macht Gottes, das Böse mit Gutem hier und jetzt zu überwinden und für alle irdische Zukunft der Menschen. Hier wurde nicht das letzte Gericht noch das ewige Leben vergessen, aber das eigentliche Vertrauen lag auf Gottes Gnade von Tag zu Tag und der Hauptton auf der Verpflichtung jedes Christen, als ein frommer Jünger und Diener Jesu Christi, des lebendigen 100 dem Kern christlicher Hoffnung beantwortet, indem zwischen Enderwartung und Weltverantwortung, also Tat Christi und Taten der Christen, klar unterschieden wird.311 „Jesus Christus – das Licht der Welt“ (Neu-Delhi 1961): Die zunehmenden theologischen Differenzen, die schon in der letzten Vollversammlung schlagartig in einem anderen Licht standen, als es plötzlich nicht mehr nur um „abstrakte“ theoretisch zu erörternde Fragen der Theologie, sondern um konkrete Programme und Aktionen ging, gewinnen in Neu-Delhi eine neue Dimension.312 Theologisch vorbereitet und durch die gänzlich neuen welt- und kirchenpolitischen Ereignisse313 inauguriert, findet eine Art Verselbstständigung des ÖRK statt, und zwar besonders im Hinblick auf das zukünftige Generalthema: die christliche Weltverantwortung.314 Dogmatisch untermauert - in groben Zügen - durch einen ganzheitlichen geschichtstheologischen Ansatz,315 der schlussendlich zu einer Konvergenz oder sogar Koinzidenz von Welt- und Heilsgeschichte führt, 316 erreicht die hierfür eingesetzte Studienabteilung ihr Ziel: eine Neubestimmung des Verhältnisses zu dieser Welt und ihren Herrn, in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes zu leben“ (Evanston 1954:151f). 311 „Wir wissen nicht, was kommt. Aber wir wissen, wer kommt: Es ist der, der uns jeden Tag entgegenkommt und am Ende vor uns stehen wird – Jesus Christus, unser Herr. Darum rufen wir Euch zu: Seid fröhlich in Hoffnung!“ (Evanston 1954:10). 312 Nicht vergessen werden darf, dass sich die äußeren Rahmenbedingungen des ÖRK gravierend geändert hatten: In den Leitungspositionen vollzog sich ein Generationswechsel „von den ‚Bauleuten‘ zu den ‚Verwaltern‘; an die Stelle der Gründerpersönlichkeiten treten nun diejenigen, die in dem vorgegebenen Rahmen mit seiner unvermeidlichen Eigengesetzlichkeit weiterzuarbeiten haben“ (Slenczka 1998:533). Daneben kommt es zu dem formellen Zusammenschluss mit dem „Internationalen Missionsrat“. Insgesamt 23 Neuaufnahmen, darunter zwei chilenische Pfingstkirchen, elf Kirchen des afrikanischen Kontinents und einige orthodoxe Kirchen aus den Ostblockstaaten, sorgen für eine neue Zusammensetzung und Gewichtung des Rates mit ihrer ganz eigenen Dynamik (die zu verarbeitende politische Spannung zwischen Ost und West ist hier bspw. zu nennen). 313 Kurz skizziert: Die „Rassenfrage“ führte zum Zerwürfnis und letztlich Austritt (nicht Ausschluss) zweier reformierter Burenkirchen; die Ankündigung des II. Vatikanums durch die Enzyklika „Ad Petri cathedram“ führte schon in Neu-Delhi zu einem historischen Moment, der Teilnahme von fünf offiziellen Beobachtern der röm.-kath. Kirche. Der Veranstaltungsort wies auf die sich anbahnenden neuen Mengenverhältnisse der weltweiten Christenheit hin - der Tatsache, dass die sog. „Jungen Kirchen“ langsam aber sicher erwachsen wurden (der in den darauffolgenden Jahren sich entfaltende „Dialog mit den Religionen“ hat seinen Sitz im Leben in der jungen indischen Kirche und deren Auseinandersetzung mit dem hinduistischen Synkretismus; vgl. den Überblick von Lesslie Newbigin, in: Fey 1974:230-265). 314 Neben dem Wort an die Kirchen wird zum ersten Mal ein offizieller „Appell an die Regierungen und Völker“ gerichtet (s. Neu-Delhi 1961:302-304). 315 Mit Namen: „The finality of Jesus Christ in the Age of Universal History“ (Neu-Delhi 1961:184-187). 316 Der von dem amerikanischen Theologen Joseph Sittler vorgetragene Versuch, im Anschluss an Kol 1,15-20 von einer kosmischen Christologie auf eine Art kosmische Erlösung zu schließen, ist hierfür symptomatisch. Seine Kernthese lautet: „Eine Lehre von der Erlösung ist nur dann sinnvoll, wenn sie sich im weiteren Bereich einer Lehre von der Schöpfung bewegt (…). Wenn der Bezug und die Macht des Erlösungsaktes nicht das Ganze der menschlichen Erfahrung und der menschlichen Umgebung bis zum äußersten Horizont hin einschließt, ist die Erlösung unvollständig“ (Neu-Delhi 1961:513f). Mit dieser Neubestimmung, oder besser dem Ende der falschen Trennung von Natur und Gnade (vgl. :516), gelang es Sittler nicht nur, aber vor allem orthodoxe Theologen zu faszinieren. In der weiteren Studienarbeit und den Aktionsprogrammen des ÖRK wird greifbar, wie sich dieser Ansatz als Stimulanz für die praktische Bewältigung christlicher Weltverantwortung ausgewirkt hat. Aus kontinentaler, luth. geprägter Sicht bleibt allerdings anzumerken (Slenczka 1998:536): „Den wenigsten jedoch wird deutlich geworden sein, wie hier in vollem Umfang Ansatz und Anliegen der Theologie des ‚Social Gospel‘ (s. o. S. 97, Anm. 298) zurückgekehrt waren, damit aber auch die alten theologischen Probleme und Kontroverspunkte, zumal gegenüber der reformatorischen Theologie. Wie es bei diesem Konzept mit der Verborgenheit des Glaubens, dem Ärgernis des Christusgeschehens und der Theologie des Kreuzes bestellt sei, wurde schon bald mit gutem Grund gefragt.“ 101 Problemen, die nicht ohne Konsequenzen für das Wesen der Gemeinschaft der Kirchen bleiben sollte. „Siehe, ich mache alles neu“ – (Uppsala 1968): In konsequenter Fortsetzung des eingeschlagenen Kurses ließ sich die 4. Vollversammlung des ÖRK in Uppsala die Themenpunkte der Tagesordnung schlussendlich von der „Welt“ diktieren317 - sicher auch unter medialem Druck bis hin zu Demonstrationen. Das Jahr 1968, das inzwischen als epochemachend bezeichnet werden kann, darf dabei in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden.318 In sechs Sektionen bemühte man sich, allen Anforderungen durch die Tagesordnung des Weltgeschehens gerecht zu werden; erklärtes Ziel war es die Betroffenheit, Solidarität und die Handlungsbereitschaft der Kirchen öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Kurzgefasst: Man traf sich vor allem, „um zu hören“ (Uppsala 1968:1). Theologiegeschichtlich brisant ist, dass in Uppsala die Rede von ethischer Häresie laut wird, bezeichnenderweise im Bericht der Sektion III: „Wirtschaftliche und soziale Weltentwicklung“.319 D. Bonhoeffer hatte schon in den dreißiger Jahren auf die Thematik „Ökumene und Häresie“ hingewiesen, um damit die ekklesiologische Frage anzutreiben, inwieweit man von einem Kirchesein der ökumenischen Bewegung sprechen könne (vgl. Slenczka 1998:519-524). Die nun getroffene Formulierung stand allerdings unter ganz anderen Vorzeichen (die inzwischen „kanonisierte“ finality-Studie muss hier geltend gemacht werden, s. o. S. 101, Anm. 315 u. 316) 320 und sollte nicht ohne Folgen bleiben für die 317 „Es wurde nicht nur häufig eingesehen, daß die Welt der Konferenz die Tagesordnung vorschreibe, sondern das Recht der Welt, das zu tun, wurde auch weithin anerkannt. Die Vollversammlung versuchte, diese Tagesordnung zu lesen, zu verstehen und auf sie zu antworten“ (Uppsala 1968:XVII). 318 Etwas kryptisch einige Schlagworte aus diesem Zeitraum: „Weltraumfahrt“, „Studentenrevolte“, „chinesische Kulturrevolution“, „politische Morde“ (neben den Kennedys, wurde am 4.4. Martin Luther King, der in Uppsala reden sollte, ermordet), „Vietnam“, „das Ende des sog. Prager Frühlings“ (ca. ein Monat nach dem Ende der Konferenz) u. a.; vgl. den Bericht des damaligen Generalsekretärs Eugene C. Blake, in: Fey 1974:537-583). 319 Die entscheidende Formulierung, die Eingang gefunden hat in amtliche Verlautbarungen und sogar Bekenntnissätze, lautet: „Die Kirche hat heute die Aufgabe, für eine weltweite verantwortliche Gesellschaft zu arbeiten und Menschen und Nationen zur Buße aufzurufen. Angesichts der Nöte der Welt selbstzufrieden zu sein bedeutet, der Häresie schuldig zu werden. Bei dem Bemühen, dieser Herausforderung gerecht zu werden, erkennen wir, wie wichtig es ist, auf allen Ebenen mit der römisch-katholischen Kirche, mit anderen NichtMitgliedskirchen, mit nicht-kirchlichen Organisationen, mit Angehörigen anderer Religionen, mit Menschen ohne Religion, kurz mit allen Menschen guten Willens zusammenzuarbeiten“ (Hervorhebung von mir; Uppsala 1968:52f). 320 Die theologischen Implikationen einer ethischen Häresie neben oder auch als Ergänzung zur dogmatischen Häresie sind überdeutlich: Ging es im Kirchenkampf für Bonhoeffer u. a. noch um konkrete Entscheidungen, die den Gegensatz zwischen Gott und einer Vergottung von Dingen wie Volk, Rasse, Staat usw. im Blick hatten, so liegt in Uppsala etwas völlig Neues vor - die „Formulierung eines Entscheidungsprinzips im innergeschichtlichen Geltungsbereich von Gut und Böse und im Zusammenhang der sozialen und politischen Verantwortung für menschliches Wohlergehen“ (Slenczka 1998:539). Der Grund, warum die klassischen Bestimmungen der Häresie (s. o. S. 84; wenn Bucer in seiner Neubestimmung von der „Preisgabe der Liebe“ spricht, hat er die Glaubensgenossen, nicht die ganze Welt vor Augen) scheinbar nicht mehr verstanden werden, muss offen bleiben. Mit der bisherigen Konzentration auf das Dogmatische sollte das Zentrum des Glaubens gewahrt bleiben: der Glaube an Christus und nicht die Werke der Gläubigen. Der Begriff ethische Häresie umspannt aber den Bereich der Werke; in diesem gilt der Ruf zur Umkehr unter dem Maßstab der göttlichen Gebote zum Empfang der Vergebung – von einer Weltverantwortung, die dann heilsentscheidend (!) wird, kann hier nicht die Rede sein (Luther betont ausdrücklich, dass niemand auf Grund seiner bösen Werke als haereticus 102 ökumenische Bewegung und ihre Einheit. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die zunehmende „Politisierung“ der Genfer Ökumene war ihr im Grunde genommen in die Wiege gelegt. Mit dem Zusammenschluss der beiden Bewegungen für Praktisches Christentum und Glauben und Kirchenverfassung war diese Entwicklung sowohl inhaltlich wie auch in organisatorischer Hinsicht vorprogrammiert; d.h. nicht, dass nicht auch andere Weichenstellungen möglich gewesen wären. A. C. Headlam, Bischof von Gloucester, wies schon 1937 auf der zweiten Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung auf die möglichen Konsequenzen einer Fusion hin: „Wenn ein solcher Rat [sc. die Verbindung beider Bewegungen in Form des ÖRK] bestände und gar zu öffentlichen Angelegenheiten Entschließungen faßte, könnte er sehr betrüblichen Schaden anrichten. Entschließungen der Kirchen über politische Fragen usw. in der Vergangenheit haben oft voreilig und nicht genügend durchdacht gewirkt und bringen wahrscheinlich ebenso viel Schaden wie Nutzen“ (Report, No. 5. Next Steps on the Road to a United Church. F&O 85, S. 203; zit. nach Slenczka 1998:508).321 3.1.3 Aktuelle Perspektiven Der Abriss der Geschichte und Theologie der ökumenischen Bewegung (bis 1968!) macht eines deutlich: das Anliegen BUCERS u. a. hat über die Jahrhunderte nichts an Schärfe und Dringlichkeit verloren und erschuf wiederum neue Polarisierungen im Rahmen der Lehrentwicklung. Wirft man jedoch einen Blick auf die aktuelle Situation im 21. Jahrhundert, kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass eine gewisse Ernüchterung, manche nennen es „Eiszeit“, eingetreten ist (so bspw. in der FAZ vom 12. Mai 2010, S. 4 anlässlich des Zweiten Ökumenischen Kirchentages in München).322 Salopp formuliert: Wie bei einem alt gewordenen Ehepaar, hat man sich scheinbar schon alles gesagt; was noch bleibt, sind Sticheleien.323 Der Weg dorthin war ambivalent. Auf eine Vielzahl von multiliteralen Dialogen,324 auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, folgten in der vergangenen zu bezeichnen sei – WA 30 II, 422, 13; vgl. zum Ganzen Slenczka 1973). 321 In dogmatischer Hinsicht muss ergänzt werden: „Die im Ökumenischen Rat [immer wiederkehrenden] Gegensätze unterscheiden sich allerdings nicht von den Positionen innerhalb der einzelnen Mitgliedskirchen. Sie entzünden sich regelmäßig an der ‚sozial-politischen Variante des Theodizeeproblems‘, und die Auseinandersetzung kreist dann stets um den damit verbundenen Dualismus von Gut und Böse“ (Slenczka 1998:545). 322 Weinrich (2002:5) vergleicht die Situation in seiner Einleitung treffend mit einem „Dampfer, der an Fahrt verloren hat“. Aus diesem Grund regte der scheidende Generalsekretär des ÖRK, Konrad Raiser, im Jahr 2003 einen „Prozess der Rekonfiguration“ an, einer Neubesinnung auf die Rahmenbedingungen der Ökumenischen Bewegung (vgl. Nüssel und Sattler 2008:27). 323 Anspruchsvoller formuliert (mit Ritschl 1994:95): „Auch kann ihr [sc. der ökumenischen Theologie] eine düstere Zukunft vorausgesagt werden, wenn sie als ein intelligentes Zusammensetzspiel von Traditionselementen verschiedener Herkunft mit dem Gewinnziel einer hochtheologischen Kombinatorik betrieben wird, bei dem keiner der Spieler eine wirkliche Veränderung der eigenen Position hinnehmen möchte.“ 324 József Fuisz unternimmt in seiner Heidelberger Diss. (2001. Konsens, Kompromiss, Konvergenz in der ökumenischen Diskussion. [Studien zur Systematischen Theologie und Ethik 29]. Münster: Lit) den Versuch eine Schneise in das Dickicht bi- und multilateraler Dialoge zu schlagen, indem er nach gemeinsamen Strukturmerkmalen fragt, die eine Art „Logik“ ökumenischer Entscheidungsfindungsprozesse offenbart. 103 Dekade einschneidende Ereignisse für die ökumenische Großwetterlage: Je nach Perspektive zeichnete sich Stillstand („Dominus Jesus“, Sept. 2000) oder aber auch Fortschritt ab („GER“, Okt. 1999)325 - ohne an dieser Stelle dogmatische Urteile fällen zu wollen. Aus Sicht der Basis ist „die“ Ökumene, die es in dieser singulären Form - wie aufgezeigt - nie gegeben hat, vor allem eines, nämlich oft abstrakt.326 Bilaterale Gespräche mit der römisch-kath. Kirche, die bisher in dieser Studie keine Beachtung gefunden haben (vgl. zu den Anfängen im 20. Jhdt. Rouse und Neill 1973:359384; 1974:406-459), zeigen vor allem, dass neben der „geglückten“ evangelischevangelischen Ökumene weiterhin ein weites Feld unbestellt bleibt. Sieht man mit dem Konfessionskundler und Kirchenhistoriker Haustein (2001:262f) in der Erklärung der päpstlichen Glaubenskongregation „Dominus Jesus“ keinen Bruch zu den bisherigen ökumenischen Ereignissen,327 so bleibt doch in dogmatischer Hinsicht - und daran lässt auch Haustein (:263f) keinen Zweifel - die römisch-kath. „Rückkehr“-Ökumene nach wie vor bestehen (vgl. auch Weinrich 2006b). Dass der tiefe ekklesiologische Zwiespalt zwischen der 325 Eine Stellungnahme zu dieser Erklärung, z. B. im negativen Sinne E. Jüngels, sie sei „Gegenstand für ein dogmatisches Proseminar, weil aus ihr keinerlei praktische Konsequenzen für die Ökumene“ folgen, soll hier nicht erfolgen. Interessant wäre hingegen, aus Sicht der vorliegenden Untersuchung nach dem Beitrag von Bucers Soteriologie für die genannte Erklärung zu fragen. Weinrich (2006a) erwähnt Bucer explizit als Bsp. für die Nuancierung ref. Theologie in der Rechtfertigungslehre von Anbeginn an nur am Rande (:126f, Anm. 5) und rekurriert dann auf Calvins Verständnis (und Karl Barths u. a.), um die ref. Sicht der GER zu untermauern. Die Ausführungen zum untrennbaren Zusammenhang von Dogmatik und Ethik als bleibende ökumenische Herausforderung (:143f): „Geglaubte Rechtfertigung ist bereits Heiligung“, könnten zumindest traditionsgeschichtlich als Teil der Gedankenwelt Bucers aufgefasst werden. Ein differenziertes Urteil - oder besser einen Fragekatalog - zur Möglichkeit eines evangelisch-katholischen ordo salutis aus der Sicht von Bucers Thomas-Rezeption bietet Leijssen (1979:295f), freilich noch nicht im Blick auf eine etwaige gemeinsame Erklärung. Historisch betrachtet knüpft die GER an den offen gebliebenen Fragestellungen zu Art. 5 des Regensburger Buches an – die Rolle Bucers hierbei wurde geschildert (s. o. S. 67f; vgl. auch die Auseinandersetzung im 20. Jahrhundert mit den kath. Reformtheologen Küng u. Pesch und damit auch den Anfängen einer Verständigung in Sachen Rechtfertigungslehre durch zur Mühlen 1979:357f, Anm. 91). Eine ausführliche Dokumentation zur GER hat vor kurzem Friedrich Hauschildt (Hg.) 2009. Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre: Dokumente des Entstehungs- und Rezeptionsprozesses. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht vorgelegt (eine kurze Zusammenfassung bietet: Birgitta Kleinschwärzer-Meister. Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre – intrakonfessionelle Rezeption und interkonfessionelle Bedeutung, in: Frank und Käuflein 2010:277-311). 326 Abseits der ökumenischen Massenveranstaltungen, über deren bleibende Wirkung hier keine Annahmen angestellt werden sollen: Gelebte ökumenische Initiativen, Gruppen und vor allem Begegnungen vor Ort widersprechen dieser Feststellung zu Recht. Der ursprüngliche Plan, einige dieser Modelle im Rahmen der MThDiss. vorzustellen, konnte nicht aufrecht erhalten werden. Eine umfassende empirische Studie zur Situation in Deutschland bspw., im Fachbereich PT o. ä., die dem Autor nicht bekannt ist, könnte diese Lücke schließen. 327 So in einem Vortrag, der vor der Landessynode 2001 der Evang.-Kirche im Rheinland gehalten wurde und ein lebhaftes Echo gefunden hat. Nach Haustein (2001:262f) gibt es eine ökumenische Linie, die über das II. Vatikanum bis zur GER und zu „Dominus Jesus“ führt – auch, wenn man die GER eher als regionales Phänomen aus Sicht der Glaubenskongregation betrachten muss. Die Äußerungen beider Dokumente um die Jahrhundertwende stehen nicht im Widerspruch (die GER enthält die berüchtigte Fußnote 9, die dem Missverständnis vorbeugen will, dass mit dem Begriff „Kirchen“ in dem Dokument keinesfalls eine Anerkennung verbunden ist). Der springende Punkt ist nun der folgende: Mit der Rede von „kirchlichen Gemeinschaften“ (gegenüber der prot. Ökumene) und der lehramtlichen Zementierung einer exklusiven Ekklesiologie der römischen Kirche innerhalb von „Dominus Jesus“ soll den innerkatholischen ökumenischen Bestrebungen einer Öffnung dieses Kirchenbegriffs vonseiten einiger kath. Theologen und der Basis entgegengetreten werden. Die Erfolgschancen hierfür beurteilt J. Haustein als gering, allerdings saß der Präfekt der Glaubenskongregation und Unterzeichner des Dokumentes, Joseph Kardinal Ratzinger, zum gegebenen Zeitpunkt noch nicht auf dem sedes Petri. 104 CA Art. VII und den römischen Anschauungen (Primat des Papstes usw.) daran schuld ist, bedarf keiner ausführlichen Lektion.328 In puncto Herrenmahl drängt sich sogar die Frage auf, worin eigentlich der substantielle Fortschritt gegenüber der Situation von 1540/41 besteht: „[U]nser theologisches Arsenal ist breiter geworden; es gibt die Möglichkeit, den Konsens viel umfassender zu entfalten, als dies im Wormser Buch geschehen ist“, so aus kath. Perspektive (Kretschmar 1984:238), jedoch bleibt die entscheidende Fragestellung im Raum stehen: Inwieweit wirkt das Wort beim Mahl und in welcher Form? 329 Sich daraus ergebende Konflikte für ein „gemeinsames Abendmahl“ sind vorprogrammiert und sorgen weiterhin für ganz unterschiedliche Vorgehensweisen (vgl. Haustein 2001:271 für eine protestantische Variante). Die langjährigen Begegnungen (vgl. Rouse und Neill 1963:231-296; 1973:317-358) und bleibenden Auseinandersetzungen mit den orthodoxen Kirchen, besonders in ethischen Fragestellungen und bspw. der Frage nach der Frauenordination, sind inzwischen zur Dauerspannung geworden, die von manchen als existenzgefährdend für den ÖRK wahrgenommen wird (so z. B. Haustein 2001:259).330 Quantitativ betrachtet stellt die größte Herausforderung für die weltweite ökumenische Bewegung im Moment jedoch die Expansion charismatisch geprägter Frömmigkeit und Theologie in und neben den traditionellen Landes- und Freikirchen dar. Dieser Sachverhalt ist nicht neu (Schäfer und Werner 1993:300): „Wahrscheinlich werden weitaus weniger die klassischen Kontroversen zwischen den historischen Konfessionskirchen die vordringlichen ökumenischen Aufgaben des interkonfessionellen Dialogs im 21. Jahrhundert sein, als vielmehr die Probleme des Verhältnisses der etablierten Kirchen zur charismatischen Bewegung (…).“331 Dass ein nicht zu unterschätzender Teil dieser Bewegung, ob nun offiziell in Form von 328 Nach Weinrichs (2005:205-210) Auffassung ist Art. VII der CA weniger als Fixierung eines konfessionellen Standpunktes zu würdigen, als viel mehr eine ekklesiologische Ortsbestimmung mit ökumenischer Dimension, quasi eine Einladung zum Gespräch. Der Bochumer Ökumene-Experte vertritt die These, dass es allein ökumenische Gründe sein konnten, die dazu berechtigten, die Kirchenspaltung im 16. Jahrhundert hinzunehmen (vgl. Weinrich 1989:187 u. generell E. Lohse. Zur ökumenischen Bedeutung des Augsburgischen Bekenntnisses, in: Raiser und Sattler 2000:159-171). 329 Der Hinweis, dass in einer Zeit, die nur noch wenig mit den aristotelischen Deutungskategorien wie Substanz und Akzidenz anfangen kann, die eigentliche Frage in dem Dogmatischen dahinter steckt, ist richtig. Ob man jedoch mit der Analogie zwischen Inkarnation und Eucharistie (verkürzt: Menschwerdung – Brotwerdung) den Sachverhalt lösen kann (vgl. Kretschmar 1984:238), eröffnet wiederum den Raum der dogmatischen Erörterung. 330 Neben den grundlegenden ethischen Fragestellungen u. a., die zu Spannungen führen, darf man nicht davon absehen, dass ein grundsätzlich anders geartetes Ökumene-Verständnis auf orthodoxer Seite vorliegt, fernab von dem protestantischen „Einheit in der Vielfalt“ Konzept (Ivanov 2003; vgl. generell die drei Artikel von Raiser, Papandreou u. Ionita, in: Raiser und Sattler 2000:357-409). 331 Die Beziehung zwischen charismatischer Bewegung und ÖRK hat naturgemäß eine Vorgeschichte, die offiziell einsetzt mit der Einrichtung einer Unterabteilung „Erneuerung und Gemeindeleben“ nach der fünften Vollversammlung des ÖRK in Nairobi 1975 (vgl. Zimmerling 2001:23f u. die frühe freundliche Beurteilung, in: Fey 1974:495f unter Bezugnahme auf Walter Hollenweger 1966. The Pentecostal Movement and the World Council of Churches. The Ecumenical Review 19, 310-320). 105 Mitgliedschaft oder typologisch betrachtet, aufgrund seiner theologischen Signatur als „evangelikal“ bezeichnet werden muss, leitet über zu der Fragestellung nach dem Verhältnis von Ökumene und Evangelikalismus. 3.2 Ökumenismus innerhalb der evangelikalen Bewegung 3.2.1 Problemanzeige Von Ökumenismus innerhalb der modernen evangelikalen Bewegung zu sprechen, kommt zunächst einem Paradoxon gleich, ist doch die Rede von jener Bewegung, die bewusst einen eigenen Weg neben „Genf“ innerhalb der weltweiten Christenheit eingeschlagen hat. Auf der anderen Seite weiß sich die evangelikale Bewegung, wie der historische Rückblick (3.1.1) und auch die theologische Einordnung (3.1.2) gezeigt haben, von Anbeginn an der ökumenischen Sache verpflichtet. Kennzeichnend ist und bleibt vorerst, dass es sich um eine Basisbewegung handelt, die jedoch oft von großen Persönlichkeiten, spitz formuliert „kleinen Päpsten“ lebt und ihre Impulse erhält.332 Dies macht ohne Frage die besondere Würze für den inner- und außerevangelikalen ökumenischen Dialog aus. „Bi- und multilaterale“ Gespräche werden vorrangig nicht zwischen Gremien und Ausschüssen, sondern von Einzelpersonen geführt (man denke nur an die „table-groups“ während der Lausanner Kongresse). Gremienarbeit geschieht darüber hinaus natürlich ebenso, worüber noch zu berichten sein wird. Neben dieses Spezifikum tritt als weitere Eigenart das Fehlen „lehramtlicher“ Äußerungen, was die dogmatische Erörterung nicht gerade vereinfacht (s. o. S. 14f). Da die zu untersuchende Thematik noch keinesfalls abgeschlossen ist, ist einer historisierend„neutralen“ Betrachtungsweise der Weg per se versperrt. Trotzdem soll der Versuch unternommen werden, möglichst auf Abstand zu gehen, um einer sachlichen Darstellung Raum geben zu können. Bevor der Blick auf das Ökumeneverständnis und die damit verbundenen theologischen Grundmerkmale des LKWE und der DEA (3.2.2) fällt, soll der theologiegeschichtliche Faden (der unter 3.1.2 unterbrochen wurde) noch einmal aufgegriffen werden. Wie kam es zum Bruch innerhalb der ökumenischen Bewegung, der schlussendlich zur Schaffung einer Parallelstruktur neben dem ÖRK führte? 332 An dieser Stelle müssen im Hinblick auf die Gründung und Gestaltung des LKWE die Namen Billy Graham - der Evangelist - und John Stott - der theologische Lehrer - fallen. Eine bemerkenswerte missionsgeschichtliche Parallele bieten John R. Mott und Joseph H. Oldham im Blick auf die erste Weltmissionskonferenz von 1910 (vgl. Herbst 2011:64, Anm. 6). 106 3.2.1.1 Die Auseinandersetzung mit dem Säkularökumenismus Vorbereitet durch die theologische Entwicklung des ÖRK in Richtung eines Säkularökumenismus (vgl. zum Begriff Sauerzapf 1975:203-208; Müller 1977:131-136; Slenczka 1998:567-573), erreichten die Debatten im Umfeld der fünften Vollversammlung des ÖRK in Nairobi 1975 ihren vorläufigen Höhe- und Schlusspunkt. 333 Dies kommt deutlich zum Ausdruck in den gehaltenen Vorträgen334, der mehrheitlich ratifizierten Verfassungsänderung335 und einigen Geschehnissen336, die man als Randnotizen von Bedeutung auffassen darf. Die evangelikale Kritik sammelte sich angesichts der Formierung des ÖRK als eine Art Weltgewissen im Vorfeld auf dem „Internationalen Kongress für Weltevangelisation“ in Lausanne (16.-25. Juli 1974). Mit der „Lausanner Verpflichtung“ äußerte sie sich zum ersten Mal global im Sinne der Abgrenzung und Identitätsfindung gegenüber einer universalen Sozialutopie, deren Diktat durch „Genf“ man nicht länger akzeptieren wollte. Theologiegeschichtlich gesprochen erteilte man einem „Politischen Pelagianismus“ (Bouman 1984:48) eine deutliche Absage. Das von evangelikaler Seite wahrgenommene zu einseitige Optieren für sozial-revolutionäre Auffassungen und die damit einhergehende Preisgabe der Mission in einem biblisch-heilsgeschichtlichen Sinne 337 rief die 333 Zur theologischen Analyse der sechsten und siebten Vollversammlung in Vancouver und Canberra (1983/1991) vgl. Slenczka 1998:543-546. 334 Der amerikanische Theologe Robert McAfee Brown ergänzte das Hauptthema der Konferenz „Jesus Christus befreit und eint“ um den Zusatz: „und er trennt“. Er konnte für den Verlauf der Verhandlungen prognostizieren: „Wir werden gegensätzlicher Ansicht sein, wenn es hier in Nairobi um die Frage geht, wie wir Jesu Botschaft auf Gebieten wie dem Rassismus, der Verkündigung, dem Ökumenismus oder Sexismus verstehen und anwenden sollen. Diejenigen, die an ein persönliches Heil glauben, wollen das Heil nicht politisiert sehen; diejenigen, die an ein gesellschaftlich soziales Heil glauben, wollen das Heil nicht privatisiert sehen“ (Krüger 1976:20). 335 Innerhalb der Verfassung werden vor allem die „Aufgaben und Ziele“ des Rates geändert, hin zu einer „Spiritualität des Kampfes“ (s. Nairobi 1975:249-256) in politischer Hinsicht; ein Zugeständnis an die nunmehr vorherrschende Befreiungs- und Revolutionstheologie (zu ihrer Hermeneutik vgl. Hamel 1993:114-136.245f). Zahlreiche Erklärungen und Resolutionen zeugen hiervon, überhaupt durchzieht alle Berichte der fünf Sektionen – deutlicher als noch in Uppsala – die Solidarität der Kirchen mit den unterschiedlichen Krisenherden und Notsituationen der Welt als maßgebliche Maxime (vgl. Slenczka 1998:517f.542f). 336 Die umfangreichste Verfassungsänderung bestand darin, alle maskulinen Artikel, Pronomina und Amtsbezeichnungen mit den entsprechenden femininen zu versehen; hierin sah man einen Schritt zur Beseitigung des Sexismus. 337 Sautter (1984:223-250) schildert die Entwicklung der evangelikalen Kritik in dieser Hinsicht seit 1961 (bis 1975) in seiner Tübinger Diss. als Beyerhaus-Schüler (vgl. auch Bockmühl [1974] 2000:51-131). Weitere Veröffentlichungen (in Auswahl) sind hier zu nennen, die vor allem die „Auswüchse“ der Genfer Ökumene durch das neue Missionsverständnis, besonders in punkto „Einheit der Weltreligionen“, im Blick haben (damit verbundene Zeichenhandlungen sorgten sicher für die zunehmende Beunruhigung innerhalb der Basis). Quellen: Philip A. Potter (Hg.) 1973. Das Heil der Welt heute: Ende oder Beginn der Weltmission? Dokumente der Weltmissionskonferenz Bangkok 1973. Dt. Ausgabe besorgt von Thomas Wieser. Stuttgart u. a.: Kreuz-Verlag. Evangelikale Reaktionen: Peter Beyerhaus 1973. Bangkok '73 – Anfang oder Ende der Weltmission?. Bad Liebenzell: Verlag der Liebenzeller Mission; Peter Beyerhaus & Walter Künneth 1975. Reich Gottes oder Weltgemeinschaft? Die Berliner Ökumene-Erklärung zur utopischen Vision des Weltkirchenrates. (TelosDokumentation 900). Bad Liebenzell: Verlag der Liebenzeller Mission; Peter Beyerhaus & Ulrich Betz (Hg.) 1976. Ökumene im Spiegel von Nairobi '75: Durch die Wüste zur Welteinheit. Bad Liebenzell: Verlag der Liebenzeller Mission; Peter Beyerhaus 1987. Krise und Neuaufbruch der Weltmission: Vorträge, Aufsätze und Dokumente. Bad Liebenzell: Verlag der Liebenzeller Mission; Rolf Scheffbuch 1974. Ökumene kontra Mission?. Neuhausen-Stuttgart: Hänssler; Rolf Scheffbuch 1974. Frag-würdige Ökumene. Neuhausen-Stuttgart: Hänssler; vgl. auch Hamel 1993:63-77. 107 Kritiker auf den Plan. Stellungnahmen wie die „Frankfurter Erklärung zur Grundlagenkrise der Mission“ (1970) und die „Berliner Ökumene-Erklärung“ (1974) sind hier für den deutschsprachigen Raum exemplarisch zu nennen (vgl. zur Wheaton-Erklärung von 1966 Sautter 1984:225-228).338 Mit diesen Veröffentlichungen, die in der internationalen LV ihre Konzentration (und zugleich den Anfang einer Bekenntnisbildung) fanden, prägte man den „Kirchenmitgliedern ein, dass Evangelikale in einer ‚unbiblisch‘ geprägten ökumenischen Bewegung nicht mehr mitarbeiten“ (Eber 2006:215) können. Vergessen werden darf ferner nicht: Weitere Stimmen, die die Entwicklung und Ausrichtung der Aktivitäten des ÖRK kritisierten, reihten sich in diese Gegenfront theologisch ein,339 ohne allerdings zwangsläufig die gemeinsame Organisationsstruktur zu verlassen - was durchaus kontrovers diskutiert wurde. Die Auseinandersetzung mit der politisierend-“prophetischen“ Rolle (s. Nairobi 1975:245-258; vgl. Hamel 1993:61f), die der Ökumenische Rat der Kirchen gegenüber den Kirchen der Welt mehr und mehr einnahm, ist allerdings mit den gängigen Koordinaten evangelikal versus liberal o. Ä. nur unzureichend beschrieben. Slenczka (1998:541; vgl. auch Bockmühl [1974] 2000:157; 1977:350.356) verweist zu Recht auf die unter der Oberfläche liegenden Gründe: „Der Gegensatz von Heil und Wohl, von konservativ und progressiv oder evangelikal und sozial nimmt jedoch nur die gängigen gegenseitigen Vorwürfe auf, wo man Entweltlichung auf der einen und Verweltlichung auf der anderen Seite sieht. Der theologische Kern der Problematik wird damit jedoch nicht getroffen, ja selbst die Bezeichnung der Gegensätze ist bei genauerem Zusehen unzutreffend und dient lediglich in vereinfachender Polarisierung der Polemik. Die oft verletzende Schärfe der Polemik aber läßt erkennen, daß es um echte dogmatische Konflikte geht, bei denen eben das berührt wird, womit ein Mensch in seinen Glaubensüberzeugungen steht und fällt.“ Als Kristallisationspunkt, der den tiefer liegenden Konflikt sachgemäß theologisch beschreibt, bietet sich das Verständnis von Schrift und Tradition als hermeneutische Grundlage der theologischen Weichenstellungen der Genfer Ökumene an. Manche Evangelikale sehen an dieser Stelle nichts anderes als das Haupthindernis für eine Zusammenarbeit innerhalb des ÖRK (vgl. Beyerhaus 1996:165-169). Konnte man noch mit den vor allem durch die dialektische Theologie geprägten 338 Eine Sammlung von derartigen Erklärungen aus dem Bereich der „Bekenntnis“-Evangelikalen bietet: Rudolf Bäumer (Hg.) 1981. Weg und Zeugnis: Bekennende Gemeinschaften im gegenwärtigen Kirchenkampf 1965-1980. 2. Aufl. Bad Liebenzell: Verlag der Liebenzeller Mission. 339 Zu nennen sind hier die Äußerungen verschiedener orthodoxer Kirchen (s. Hanfried Krüger [Hg.] 1975. Ökumenische Bewegung 1973-1975. [ÖR Bh 29]. Korntal: Evangel. Missionsverlag, 39-67), eine umfangreiche Studienarbeit der norwegischen Bischofskonferenz (Den norske kirkes økumeniske engasjement: Utredning fra et utvalg oppnevnt av Bispemøtet 1974. Oslo/Gjøvik 1977 – dt. Zusammenfassung durch K. Schmidt, in: ÖR 27, 519-525) o. a. der Beschluss der Betheler EKD-Synode von 1978 über „Theologische Grundsatzfragen für Gespräche mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen“ (Bethel 1978: Bericht über die siebte Tagung der fünften Synode der EKD vom 5.-10.11.1978. Hannover 1979, 514-516). 108 „Richtlinien für die Auslegung der Heiligen Schrift“ von 1949, 340 wenn auch nicht konform, so zumindest tolerant umgehen, so schien diese Möglichkeit ihrem Ende entgegenzugehen mit der Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung 1963 in Montreal. Mit dem Bericht der betreffenden Sektion unter dem Titel „Schrift, Tradition und Traditionen“ gelang ein Durchbruch (aus evangelikaler Sicht eher ein Dammbruch) hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von Schrift und Tradition innerhalb der Genfer Ökumene. In aller Kürze skizziert: Entscheidendes Merkmal der Studie ist die terminologische Neubestimmung einzelner Begriffe (im deutschsprachigen vor allem durch die Großschreibung von TRADITION341), um eine Klärung der klassischen theologischen Konflikte an dieser Stelle voranzutreiben. „Mit der TRADITION ist das Evangelium selbst gemeint, wie es von Generation zu Generation in und von der Kirche übermittelt wurde: der im Leben der Kirche gegenwärtige Christus selbst“ (Montreal 1963:42). Daneben tritt der Begriff der Tradition, um den „Traditionsvorgang“ (:42), also den Prozess der Überlieferung und Auslegung zu beschreiben und die Rede von den Traditionen, die die „Verschiedenheit der Ausdrucksformen“ als auch die jeweilige „konfessionelle Tradition“ (:42) meinen. Für das Schriftverständnis bedeutet dies, dass „das geschriebene, prophetische und apostolische Zeugnis von Gottes Tat in Christus“ (:42) selbst als eine Traditionsform der TRADITION aufgefasst wird - ein klares Zugeständnis an die Kerygmatheologie. Damit erreichte aus Sicht der evangelikalen Kritik die fundamentaltheologische Debatte ihren Höhepunkt (vgl. zur detaillierten Auseinandersetzung Hamel 1993:11-19) durch die Übernahme wesentlicher Einsichten der historisch-kritischen Forschung in die Überlieferungsgeschichte der biblischen 340 Schon auf den Konferenzen für Glauben und Kirchenverfassung von Lausanne 1927 und Edinburgh 1937 kam zum Vorschein, dass es vor allem zwischen den orthodoxen und protestantischen Kirchen unterschiedliche Ansichten über das Verhältnis von Schrift und Tradition gibt (vgl. Haudel 1993:109-127) - keine wirkliche Neuheit aus dogmengeschichtlicher Perspektive. Und doch konnte die Ausrichtung der Kirchen auf die Autorität der Bibel bis dahin „als ein basaler Minimalkonsens der ökumenischen Verständigung“ (Lauster 2004:347) aufgefasst werden. Die alte Frage nach der Beziehung von Schrift und Tradition, auf deren Hintergrund das protestantische Schriftprinzip erst entstehen konnte, stand in einem neuen Gewand folgerichtig vor der ökumenischen Gemeinschaft. Mit der Antwort der „Richtlinien“ (innerhalb des Sammelbandes „Die Autorität der Bibel heute“) blieb man in der bisherigen Tradition eines „bibelorientierte[n] Aufbruch[s]“ (Haudel 1993:128) zunächst stehen – man denke nur an die Bibelfrömmigkeit der Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts, deren Einfluss auf die frühe ökumenische Bewegung angedeutet wurde (s. o. S. 93f). Deutlich kommt nun in den „Richtlinien“ die Wort-Gottes-Theologie zum Zuge mit christozentrischer Emphase, um die Frage nach dem historischen Abstand zu beantworten. Die Anerkennung der historischen Kritik erfolgt ebenso – auch wenn viele hiermit verbundene Fragen noch offen bleiben -, allerdings steht diese dialektisch gesprochen unter dem „Selbstbeglaubigungsvermögen des Wortes Gottes“ (vgl. Haudel 1993:145-148; Hamel 1993:7-10). 341 Dahinter steht die englische Unterscheidung von „Tradition“ und „tradition“, die man angemessen ins Dt. übertragen wollte (vgl. Haudel 1993:193f zur Entstehung der Begrifflichkeiten). Jürgen Moltmann, der an der Erklärung mitwirkte, konnte anmerken, dass es für protestantische Ohren „etwas gewaltsam“ klinge, die Selbstoffenbarung Gottes als „TRADITION“ zu bezeichnen (vgl. Lauster 2004:352). Mit der ernsthaften Überlegung die Formel „sola TRADITIONE“ einzuführen erreicht diese „Gewalt“ ihren Höhepunkt. Sicher wurde zum einen der Versuch unternommen - in ökumenischer Absicht - das Schriftprinzip in den weiteren Horizont der Überlieferung des Evangeliums einzuordnen (:353), auf der anderen Seite spiegelt sich hier allerdings auch nach m. E. etwas Verzweiflung wieder, im multilateralen Dialog allen Parteien gerecht zu werden und die Erkenntnisse der mod. Bibelwissenschaft gegenüber der jeweiligen Kirchenpolitik ins Feld führen zu wollen. 109 Schriften aus ökumenischer Perspektive.342 Der zweite Teil des Berichtes von Montreal widmete sich der in jeder Hinsicht brisanten Frage, wie sich die Vielfalt der Traditionen zur Einheit der TRADITION verhält. Anders als noch in den „Richtlinien“ von 1949 ist nicht mehr von der biblischen Botschaft die Rede (Montreal 1963:46f), die Emphase liegt auf dem konstitutiven Bezug der vielen Traditionen auf die eine TRADITION - ohne hier wirklich weiter in die Tiefe zu gehen. Im Hintergrund stehen die Bemühungen von E. Käsemann, der ökumenischen Bewegung dieses Thema ins Bewusstsein zu rufen. In seinem in Montreal gehaltenen Vortrag „Einheit und Vielfalt in der neutestamentlichen Lehre von der Kirche“ führt er den schon ein Jahrzehnt früher erbrachten Nachweis vor, dass im Neuen Testament keine „ecclesiologia perennis“ zu finden sei, sondern stattdessen mehrere „ekklesiologische Grundtypen“, m. a. W.: Der neutestamentliche Kanon begründe nicht die Einheit der Kirche, sondern die Vielfalt der Konfessionen. Naturgemäß konnte dieses nunmehr bekannte Diktum nicht unwidersprochen bleiben. Eine kontroverse Diskussion schloss sich an (vgl. Haudel 1993:225-227); daneben muss auch auf die Tatsache hingewiesen werden, wie desillusionierend die Thesen E. Käsemanns auf die ökumenische Bewegung als Ganze gewirkt haben müssen. „Mit historischer Nüchternheit destruierte er das romantische Ideal von der brüderlichen Einheit der Urchristenheit als Leitbild der Ökumene. Zugleich fiel damit auch die Illusion eines naiven ökumenischen Biblizismus dahin“ (Lauster 2004:354). Neuere ökumenische Modelle wie „Einheit in der Vielfalt“ o. a. „Versöhnte Verschiedenheit“ haben hier ihren hermeneutischen Ursprungsort, wenn auch zunächst nur in nuce.343 Die nicht ausbleibenden (nicht immer qualifiziert theologischen) Reaktionen innerhalb der evangelikalen Bewegung auf die damit gesetzten neuen Voraussetzungen sind im Grunde genommen schnell skizziert und haben mit dem soeben geschilderten Sachverhalt ihre 342 Der Bericht fährt fort: Ein Vorrang der TRADITION gegenüber der Schrift ändere jedoch nichts an der „Bedeutung der Heiligen Schrift als Hort des Wortes Gottes“ (:43). Eine Wechselwirkung in dem Verhältnis von Schrift und Tradition soll ausgesagt werden: die Schrift als Produkt der TRADITION, die TRADITION wiederum als Konzentrat der Schrift. Der wahrscheinlich am häufigsten zitierte Satz aller Dokumente des ÖRK zum Schriftverständnis folgt: „So können wir sagen, daß wir als Christen durch die TRADITION des Evangeliums (die Paradosis des Kerygmas) existieren, wie sie in der Schrift bezeugt und in und durch die Kirche kraft des Heiligen Geistes übermittelt worden ist“ (:43; Hervorhebung im Original). 343 Darauffolgende Verlautbarungen griffen den eingeschlagenen Kurs auf (Bristol 1967, Löwen 1971 u. a.) mit dem Versuch der neuentdeckten Vielfalt des biblischen Offenbarungszeugnisses, eine neue Perspektive für die konfessionelle Vielfalt zu entnehmen. Praktisch wurde damit in weniger als 20 Jahren innerhalb der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung die Notwendigkeit der historisch-kritischen Schriftauslegung vollständig anerkannt (seit Bristol explizit). Aufgrund der hiermit aufgeworfenen neuen Fragestellungen – und unmittelbar folgenden Auseinandersetzung – suchte man in Löwen 1971 einen Mittelweg zwischen biblizistischen und historistischen Engführungen zu finden, um zu einem adäquaten Verständnis von Autorität und Inspiration der Hl. Schrift zu gelangen. Inwiefern dies gelungen ist, bedarf aus Sicht der evangelikalen Kritiker keiner weiteren Erklärung (vgl. zur Analyse der Dokumente im Einzelnen Hamel 1993:20-33 u. als Kontrapunkt Haudel 1993:274-286.311-315; vgl. zur jüngsten Studie der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung hinsichtlich einer ökumenischen Hermeneutik „A Treasure in Earthern Vessels“ Lauster 2004:360-362). 110 theologische Mitte, zugespitzt den Kausalnexus der Auseinandersetzung, gefunden. Bis dato wird man vehemente Kritiker der „Ökumene“ finden, die auf genau die genannten Punkte nach wie vor rekurrieren.344 Verblüffend ist und bleibt, wie schnell die Stellungnahmen (zuweilen sicher auch verkürzt) - wie José Ortega y Gasset einmal formuliert hat - ihren Weg von den Lehrstühlen auf die Gassen zu jedem kleinen dummen Jungen gefunden haben. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Eine grundsätzlich anti-ökumenische Gesinnung führt oft auch eine grundsätzlich anti-intellektualistische Haltung mit sich (vgl. Wellings 1994:46). Institutionalisiert fand das breite Spektrum an evangelikaler Kritik Ausdruck in alternativen Vereinigungen, Zusammenschlüssen und Arbeitsgremien im Bereich Mission, theologische Ausbildung, der Medien- und Verlagsarbeit u. a.. 345 Einige der hier zu nennenden Einrichtungen bestanden schon vor dem Jahr 1974, erfuhren aber durch die Gründung des LKWE (dies geschah erst 1975 in Mexiko City) eine Bündelung und damit auch Fixierung ihrer Anliegen. 3.2.1.2 Die zunehmende Entspannung zu Beginn des 21. Jahrhunderts Kurzgefasst: Ohne die nach wie vor bestehenden Unterschiede nivellieren zu wollen (vgl. nur 344 Zahlreiche, oft populärwissenschaftliche Titel – hier nur für den dt. Sprachraum – sind zu nennen (in Auswahl): Lothar Vogel 1969. Ökumene: Woher – wohin? Die antichristliche Einheitskirche. Zürich: Patmos; Theophil Rhese 1972. Ökumene auf dem Weg zur Weltkirche?. 4. Aufl. Wetzlar: Hermann Schulte; Albert Lüscher 1974. Das wahre Gesicht der Ökumene. 3. Aufl. Langenthal: Pflugverlag; Gertrud Wasserzug-Traeder 1981. Die Ökumene am Scheideweg. Pfäffikon: Mitternachtsruf; Horst Stricker 1991. Ökumene – Einheit um jeden Preis?. Lüdenscheid: Bernard; Stellungnahme der Pilgermission St. Chrischona zur Frage der Zusammenarbeit mit der Ökumenischen Bewegung und der röm.-katholischen Kirche, 1993. Bettingen-St. Chrischona; Rainer Wagner 2000. Alle in einem Boot: Ökumene – und der Preis der Einheit. Dillenburg: CLV; Rainer Wagner 2002. Gemeinde Jesu zwischen Spaltungen und Ökumene: 2000 Jahre Kirchengeschichte aus bibeltreuer Sicht. Wuppertal: Verlag für reformatorische Erneuerung; Lothar Gassmann, Erich Brüning & HansWerner Deppe 2004. Projekt Einheit: Rom, Ökumene und die Evangelikalen. Oerlinghausen: Betanien (vgl. auch Erich Brüning 2004. Freimaurerei, Vatikan und die Evangelikalen. Wuppertal: Verlag für reformatorische Erneuerung); Urban, Michael 2004. Ökumene – Zeichen der Endzeit? Eine Bestandsaufnahme unter Bezug auf das prophetische Wort. Pfäffikon: Mitternachtsruf; Lothar Gassmann 2005. Was ist Kirche? Papstkirche, Staatskirche oder Gemeinschaft der Glaubenden? Grundlinien biblischer Ekklesiologie. Wuppertal: Verlag für reformatorische Erneuerung; Fast allen Veröffentlichungen ist gemeinsam – grob schematisierend –, ganz abgesehen vom Hang zum Biblizismus und wagemutigen Exegesen, dass sie zum einen aus Sicht des Historikers ein Dekadenz- o. a. Verfallsmodell für die Welt- und Kirchengeschichte unkritisch postulieren und zum anderen aus theologischer Perspektive Freude an spekulativen apokalyptischen Deutungen haben. Dies mündet oft in einer darbystisch geprägten Absonderungslehre, die je nach Schärfe des Urteils (über die ökumenische Bewegung) mehr oder weniger emphatisch vorgetragen wird. Eine Auseinandersetzung mit der Argumentation im Einzelnen soll hier nicht geschehen (der Schwerpunkt liegt auf dem LKWE und der DEA); ggf. werden einzelne Argumente, wenn es sinnvoll erscheint, unter 3.2.2 diskutiert. 345 Für den dt. Sektor sei hier nur stichwortartig auf folgende Einrichtungen u. Initiativen verwiesen: Evangeliums-Rundfunk (ERF), Schüler- und Studentenmission (SMD), Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen (AEM), „Konferenz bekennender Gemeinschaften in den Evangelischen Kirchen Deutschlands“, Informationsdienst der Deutschen Evangelischen Allianz (idea), Konferenz evangelikaler Publizisten (KeP), Theologische Verlagsgemeinschaft des R. Brockhaus u. Brunnen Verlages (TVG), Arbeitskreis für evangelikale Theologie (AfeT), Konferenz bibeltreuer Ausbildungsstätten (KBA; daneben KMA), ProChrist (JesusHouse) u. a. (die Lausanner Bewegung in Dt. firmiert momentan unter dem Titel: „Koalition für Evangelisation“). 111 Beyerhaus 1996:11f; H. Egelkraut, in: Bockmühl 2000:222), kann und muss doch von einer Entspannung im 21. Jahrhundert die Rede sein. Inwieweit diese die „Basis“ erreicht hat, stellt eine eigene Fragestellung dar.346 Im Blick auf die großen Fragestellungen, die den „zweiten Kirchenkampf“ im 20. Jahrhundert überhaupt ausgelöst haben, könnte man formulieren: Einzelne Konfliktpunkte bestehen nach wie vor, die Konfliktkultur hat sich jedoch nachhaltig verändert. Sicher hängt dies neben der inhaltlichen Neubestimmung mancher Kontroverspunkte schlichtweg mit der Tatsache zusammen, dass eine neue Generation von Theologen und Kirchenfunktionären auf beiden Seiten sich dem alten Streit im neuen Jahrhundert annimmt.347 Frappierend findet dies Ausdruck in einem „historischen Moment“ für das LKWE, der Begrüßung der Versammlung in Cape Town 2010 durch den amtierenden Generalsekretär des ÖRK, Olav Fykse Tveit. In seiner Rede vor den Delegierten der evangelikalen Welt hob jener hervor, dass die „Distanz zwischen Lausanne und Genf nicht wirklich groß ist“ im gemeinsamen Dienst der Versöhnung (2. Kor 5,18). Die Bedürfnisse der modernen Welt hinsichtlich der Versöhnung mit Gott, dem Nächsten und der Schöpfung (i. O.: „nature“) „sind zu groß für eine geteilte Kirche.“ 348 Innerhalb einer neuen Initiative des ÖRK, dem „Global Christian Forum“ (GCF) entdeckt man ebenso die evangelikale Bewegung als ökumenischen Partner, der nicht übergangen werden kann. Der Ansatz erinnert an das ursprüngliche Anliegen der „Evangelischen Allianz“ seit 1846: Auf der Basis der persönlichen Frömmigkeit und individueller Heilserfahrungen, die in einem biografischen Stil mitgeteilt werden, sucht man hier Vertrauen zu schaffen zwischen den Anwesenden der jeweiligen Konfessionen (s. den Bericht von R. Hille als Teilnehmer, in: ETM 15/1 2009:4). Die zunehmende Entschärfung des Klimas, die nicht überall mit Begeisterung aufgenommen wird, hat ihre Vorgeschichte. Schon Ende der achtziger Jahre begannen zunächst außereuropäische Evangelikale sich wieder verstärkt in der ökumenischen Bewegung zu engagieren, indem sie ihre Positionen kritisch und konstruktiv in den Dialog einbrachten (vgl. Eber 2006:215). Hintergrund hierfür ist ohne Frage die Tatsache, dass mit dem Niedergang des real existierenden Sozialismus in Osteuropa und in weiten Teilen der Welt eine Neubesinnung der ökumenischen Aufgabe vonnöten war. Gesellschaftspolitisches Engagement wurde vonseiten „Genfs“ zwar nicht restlos obsolet, jedoch gerieten 346 Eine empirische Untersuchung - wie schon angedeutet (s. o. S. 104, Anm 326) -, die nach der ökumenischen Gesinnung (o. a. Verweigerung) fragt, je nach Denomination und bspw. Alter, Geschlecht usw., wäre an dieser Stelle höchst aufschlussreich. 347 R. Hille (ETM 16/2 2010:5) weist zu Recht darauf hin, dass für die neue Generation junger Evangelikaler die identitätsbildenden Kontroverspunkte der siebziger Jahre nur noch aus kirchengeschichtlichen Darstellungen bekannt sind, wenn überhaupt. 348 Übersetzung von mir; Rede online im Internet: www.oikoumene.org/en/resources/documents/generalsecretary/speeches/greetings-to-the-3rd-lausanne-congress-for-world-evangelization.html [Stand: 05.09.2011]; vgl. auch idea-Spektrum 43/2010:23 u. idea-Spektrum 11/2010:11 zum Gipfeltreffen zwischen ÖRK und WEA im Ökumenischen Zentrum in Genf zu Beginn des Jahres 2010. 112 missionarische und generell spirituelle Themenfelder wieder mehr ins Blickfeld des ÖRK. Der besondere Einfluss amerikanischer (R. Sider u. a.) und lateinamerikanischer (bspw. R. Padilla u. S. Escobar) Evangelikaler, neben Vertretern aus der Zwei-Drittel-Welt, ist hier geltend zu machen.349 Nicht zu vergessen ist ferner die Bedeutung der orthodoxen Ostkirchen, die, euphemistisch formuliert, keine Affinität zu evangelikalen Missionsaktivitäten haben, allerdings „konservative“ theologische Positionen immer mehr einfordern und „liberale“ dafür in Frage stellen (um die gängigen Koordinaten zu gebrauchen).350 Im Blick auf die Situation der DEA zeichnet sich die kurz skizzierte Entwicklung innerhalb des weltweiten Evangelikalismus ebenso ab; ob dies für alle Teile der „Basis“ gilt, ist, wie angedeutet, nicht pauschal zu beantworten. Ökumenische Anliegen der EKD werden nicht mehr unter einen Generalverdacht gestellt, sondern es herrscht eine relative Offenheit für diese Fragestellungen.351 Das röm.-kath. Gegenüber (nicht nur personell, sondern auch teilweise institutionell) erkennt man ebenso zunehmend als Kooperationspartner an, vor allem in Sachen Mission und damit verbundenen Aufgabenfeldern. 352 Nach wie vor existiert jedoch auch ein evangelikaler „Separatismus“, der in keinster Weise bereit ist, die Schärfe des alten Konfliktes zu mildern.353 In wenigen Worten: Die evangelikale Bewegung insbesondere Lausanner Prägung stellt sich heute als diffuse und komplexe Bewegung im Hinblick auf ihre ökumenische Initiative dar (s. R. Hille, in: ETM 16/1 2010:2). 349 Es ist ein Kapitel moderner Man könnte hier von einem „positiven“ (je nach Betrachtungswinkel) Rückfluss durch die sog. „radikalen Evangelikalen“ für das ökumenische Interesse innerhalb der evangelikalen Gemeinschaft sprechen (vgl. hierzu neuerdings die UNISA-Thesis von R. Hardmeier, der sich des genannten Phänomens passim annimmt; 2008:32f.38f.40.65-67.171.229.237.279.281). Die mit den Anliegen der radikalen Evangelikalen verbundene, bedeutende Fragestellung nach dem rechten Verhältnis von ewigem Heil und zeitlicher Wohltat (vgl. LV Art. 5), die erst zur Gründung des LKWE geführt hat, wird immer noch kontrovers diskutiert und bildet einen ganz eigenen Themenschwerpunkt (vgl. Berneburg 1997 u. Hardmeier 2008; vgl. auch die Stellungnahme aus evangelikal-kontinentaler Sicht von L. von Padberg zum Thema „Glaube und Weltverantwortung“, in: Wüst 1994:132-141). Die (in einer dt. Fassung von H. Sautter und M. Volf kommentierte) „Oxford-Erklärung zur Frage von Glaube und Wirtschaft“ (1992. Gerechtigkeit, Geist und Schöpfung. Wuppertal, Zürich: R. Brockhaus) zeugt von dem neuen Bewusstsein für sozialethische Fragestellungen innerhalb der weltweiten evangelikalen Bewegung. 350 Die Berichtsbände der Vollversammlungen und Weltmissionskonferenzen des ÖRK (alle im LembeckVerlag erschienen) von 1989 (San Antonio), 1991 (Canberra), 1996 (Salvador da Bahia), 1998 (Harare), 2005 (Athen) u. 2006 (Porto Alegre) zeugen hiervon. 351 Nach wie vor gibt es sicher unterschiedliche Bewertungen hinsichtlich des sog. konziliaren Prozesses, und doch werden Themen wie „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ insgesamt freundlicher aufgefasst innerhalb der DEA (man denke nur an die Ziele der „Micha-Initiative“, die sich den Millenniumszielen der UNO verpflichtet weiß; zur Rolle der WEA in dieser Hinsicht s. Hardmeier 2008:78-80); die Zeit als die ökumenische Bewegung für diese Anliegen „[h]eftig unter Beschuß“ (so E. Geldbach, in: Wüst 1994:13) stand, ist jedoch scheinbar vorbei. 352 Vgl. hierzu nur das Editorial von B. Meuser, Leiter des kath. Pattloch-Verlages, in: idea-Spektrum 2930/2009:3 (ungekürzt in: Aufatmen 4/2009:76-78), der für ein Netzwerk missionarisch gesinnter Christen plädiert und hierin die „wahre Ökumene“ von morgen erblickt (der „Allianz“-Gedanke ist überdeutlich; zu den hierauf obligatorisch folgenden Leserbriefen von denen keiner die kath.-evangelikale „Übereinstimmung“ kritisiert – L. Käsers Kritik zielt in eine andere Richtung - s. idea-Spektrum 31-32/2009:5). Der Pattloch-Verlag vertreibt gemeinsam mit dem neuen evangelikalen Konsortium SCM R.Brockhaus die Volxbibel. 353 Tidball (1999:60f) sieht hierin ein spezifisch fundamentalistisches Moment, das sich zuweilen mit evangelikalen Strömungen verbindet, aber nicht repräsentativ für den Evangelikalismus als solches ist. 113 Kirchengeschichtsschreibung, das noch nicht abgeschlossen ist. Ob die „alte“ Einteilung nach P. Beyerhaus in ursprünglich sechs Strömungen innerhalb der evangelikalen Welt, wovon zwei ausgesprochen ökumenisch gesinnt sind (vgl. Berneburg 1997:21)354, noch unbeschadet gilt, beschreibt ein Element der Verschiebung der Grenzziehungen von gestern, die sich auf ihre bleibende Gültigkeit hin befragen lassen müssen. 3.2.2 Globale und nationale evangelikale Alternativen zum ÖRK Sieht man in dem Begriffspaar evangelikal - ökumenisch nicht grundlegend eine Antinomie (vgl. Geldbach 1984:53), so darf und muss die Frage gestellt werden, wie es um das Verhältnis beider Adjektive bestellt ist. Einzelne Personen würden sich sicherlich als evangelikale Ökumeniker o. a. ökumenische Evangelikale einstufen lassen (vgl. Fackre 1993:vii-ix), die dogmatische Aufgabe, nach dem Grund und der Vereinbarkeit solcher Terminologien zu fragen, ist damit aber noch nicht gelöst. Inwieweit kann innerhalb der modernen evangelikalen Bewegung von Ökumenismus die Rede sein und wie gestaltet sich dieser? Ziel der nachfolgenden Analyse ist der Versuch, dem Ökumenebegriff oder besser dem Ökumeneverständnis innerhalb des LKWE und der DEA auf die Spur zu kommen mithilfe der Untersuchung mehr oder weniger offizieller Dokumente. 3.2.2.1 Lausanner Komitee für Weltevangelisation Grundlegend ist: Mit der Schaffung des LKWE (im engl.: Lausanne Commitee for World Evangelisation; LCWE) - zunächst als Fortsetzungskomitee nach den Erfahrungen in Lausanne 1974 - spiegelt sich sowohl die Überzeugung der notwendigen Abgrenzung in einer nicht als marginal empfunden theologischen Fragestellung wider, als auch die Überzeugung, nur in „ökumenischer“ Kooperation den weltweiten Aufgaben in Sachen Mission und Gemeindebau gewachsen zu sein. Dass dies zunächst gelungen ist, trotz der verschiedenartigen Richtungen, die hier zusammenfanden, stellt historisch betrachtet keine Selbstverständlichkeit dar und darf auch nicht „einfach“ als bleibende Einrichtung ohne Widerspruch betrachtet werden (vgl. Jung 1992:68). Unmittelbar verbunden mit dem LKWE ist der zweite große evangelikale Dachverband, die „Weltweite Evangelische Allianz“ (World 354 Sechs Gruppen werden hier immer wieder genannt (K. Heimbucher konnte noch vereinfachend von dreien sprechen): 1. die „Neo-Evangelikalen“ unter der Leitung Billy Grahams, 2. der separatistische Fundamentalismus unter der Führung Carl McIntire’s (ICCC), 3. die bekennenden Evangelikalen mit einer mehr konfessionell geprägten Ausrichtung (P. Beyerhaus u. a.), 4. die charismatisch-evangelikale Bewegung (hier geschieht des öfteren eine vorschnelle Vereinnahmung der klass. Pfingstbewegung unter diese Gruppe), 5. die ökumenisch gesinnten radikalen Evangelikalen mit ihrem sozialpolitischen Engagement, 6. die ökumenischen Evangelikalen, die bei aller Einzelkritik am ÖRK bewusst darin weiter mitarbeiten; vgl. zu weiteren Klassifizierungsversuchen Geldbach 1984 (aus eher religionssoziologischer Perspektive) u. Wellings 1994:47f. 114 Evangelical Alliance; WEA, vormals WEF), deren Behandlung eine Thematik für sich darstellt. Vorhandene Berührungspunkte sollen im Blick behalten werden; sie bestehen z. B. in personellen Überschneidungen, die in Gremienarbeit und anderen Initiativen Ausdruck finden (vgl. Berneburg 1997:22, bes. Anm. 24 zu vorhandenen Spannungen). Inwieweit hier eine bessere Bündelung und Konzentration auf Weltebene (in Dt. seit 1985) dem gemeinsamen Anliegen Vorschub leisten würde, steht als offene Fragestellung im Raum (vgl. Jung 1992:71; R. Hille, in: ETM 16/2, 2010:6). Betrachtet man die Arbeitsweise des LKWE, so stechen zumindest zwei Schnittmengen mit dem ÖRK in formaler Hinsicht ins Auge: Zum einen geschieht die konkrete theologische Arbeit neben der Bündelung durch die jeweiligen „Verpflichtungen“ (LV, MM, CTC) mithilfe von Dokumenten (vor allem: „Lausanne Ocassional Papers“), zum anderen - hier befindet sich der Sitz im Leben jener Dokumente - handelt es sich bei der Lausanner Theologie um eine ausgesprochene Konferenztheologie. Beides verdient nähere Betrachtung: a) Mit der Verwendung von „papers“ als Vorlagen und schließlich Ergebnissen von gemeinsamen Erörterungsprozessen stellt sich unweigerlich die Frage nach der bindenden Kraft solcher Schriftstücke, ganz zu schweigen von der nur schwer nachzuzeichnenden kirchlichen Rezeption dieser Verlautbarungen. Laut Selbstaussage betont das LKWE jeweils zu Beginn der entsprechenden LOPs, dass nicht alle geäußerten Gesichtspunkte zwangsläufig im Einklang mit der Lausanner Bewegung stehen. Zur Sache: Ein kurzer Blick in die Dokumente verrät, dass der Begriff „Ökumene“ nur als Randerscheinung auftritt, jedoch eher Begrifflichkeiten wie „Zusammenarbeit“ o. a. „Kooperation“ im Vordergrund stehen. Der funktionale Aspekt einer noch genauer zu bestimmenden christlichen Einheit, die sich mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert sieht, steht ohne Frage im Vordergrund. b) Die ausgesprochene Konferenztheologie stellt ganz eigene Fragestellungen vor, denen Slenczka (1998:438f) im Hinblick auf die ökumenische Bewegung Genfer Art nachgeht. 355 Hinsichtlich der Lausanner Bewegung ist festzuhalten: Diese lebt von ihren Massenveranstaltungen356 und den dort gehaltenen Referaten, die, betrachtet man die Rezeptionsgeschichte, als richtungsweisend bezeichnet werden müssen (man denke z. B. nur an das von John Stott vorgetragene inkarnatorische Missionsverständnis nach Joh 20,21, dessen Widerlegung durch A. Köstenberger noch auf eine kritische Aufnahme vonseiten der 355 Slenczka (1998:438) weist zu Recht auf die Gefahr hin, „daß man bei dem Versuch einer Auswertung einfach nach der Konkordanzmethode eine Wirkungsgeschichte zu einzelnen Themen konstruiert und auf diese Weise den Konferenzen nachträglich eine normative Funktion beilegt, die sie gar nicht haben.“ Der ehemalige Erlanger Systematiker untersucht demnach die Träger der Konferenztheologie, die Bezeichnung der Zusammenkünfte, die Zusammensetzung, das Verfahren – von Anfang an dem anglo-amerikanischen Parlamentarismus nachempfunden – und die Autorität der modernen „Konzilien“. 356 David L. Edwards kann ihre Frühformen unter Billy Graham noch mit den damaligen Kirchentagen vergleichen, die allerdings stärker strittige „praktisch“-ethische Themen bearbeiteten, nach seinem Empfinden (Fey 1974:514). 115 Basis wartet; vgl. Walldorf 2002:210f). Diskussionen während der jeweiligen Konferenzen und daraus abgeleitete Stellungnahmen zu den Hauptreferaten finden zwar ihren Niederschlag in schriftlicher Form, allerdings nur in begrenztem Umfang. Einer nachträglichen Analyse aller Beiträge, generell des stattgefundenen theologischen Prozesses, z. B. in Form einer dogmatisch-kritischen Bewertung, ist damit per se der Weg versperrt; hierin liegt das eigentliche Spezifikum einer Konferenztheologie. Im Unterschied zur WEA, die hier stärker kontinuierlich theologisch arbeitet mit ihren verschiedenen Kommissionen, bietet die Lausanner Bewegung eher inspirative Treffen evangelikaler Art, um entsprechend ihrem Selbstverständnis als Motor für Weltevangelisation zu fungieren. Dabei unterliegt ihr, ob nun ausgesprochen oder nicht, neben anderen dogmatischen Grundentscheidungen auch eine spezifische Konzeption von Ökumene. Ein chronologischer Gang durch die Verlautbarungen des LKWE und den hierzu vorliegenden Äußerungen und Interpretationen soll nun helfen, der Entwicklung - insofern davon die Rede sein kann - des evangelikalen Ökumeneverständnisses Lausanner Prägung auf die Spur zu kommen. 3.2.2.1.1 Lausanner Verpflichtung Angefangen mit der LV wird zuallererst deutlich: Die „Gründungsurkunde“ enthält keine explizite Form der Abgrenzung gegen den ÖRK oder Verwerfungen wie im Falle der Barmer Theologischen Erklärung, muss aber sachlich doch wohl als ein Entwurf für eine Art „GegenÖkumene“, oder besser Alternative (s. Überschrift 3.2.2) zum ÖRK verstanden werden. Das Ausbleiben deutlicher Worte in Richtung des ÖRK, wie bspw. im Falle der „Frankfurter Erklärung zur Grundlagenkrise der Mission“ wurde der LV schon früh zum Vorwurf gemacht, besonders aus den Reihen der „Bekenntnis“-Evangelikalen (vgl. Sautter 1984:246f u. zur positiven Bewertung dieser Eigenschaft Bockmühl [1974] 2000:140.154f; D. Sackmann, in: Tidball 1999:28). Die Lausanner Verpflichtung ist ihrem Namen nach „keine Bekenntnisschrift, keine [stolze] ‚regula fidei‘(...)“, sondern sie „will eine Verpflichtung sein zur Erfüllung des Gehorsams, zu dem uns Christus ruft“ (Jasper 1976:48f). Sie verlangt nicht wie bei einer „Formel“ nach einer Unterschrift der einzelnen Paragraphen, versteht sich aber als Bekräftigung eines Bundes („convenant“), der erneuert werden soll. Trotzdem enthält sie in Übereinstimmung mit anderen modernen „Bekenntnissen“ sehr wohl bekenntnishafte Abschnitte und Formulierungen (vgl. nur LV Art. 2 u. 15). Zur Fragestellung der vorliegenden Arbeit nimmt Art. 7 Stellung: „Wir bekräftigen, daß die sichtbare Einheit der Gemeinde in Wahrheit Gottes Ziel ist [im Anschluss an die loci classici Eph 4,3f; Joh 17,21.23; Joh 13,35]. Evangelisation ruft uns auch zur Einheit auf, weil 116 unsere Uneinigkeit das Evangelium der Versöhnung untergräbt“ (dt. Übers., in: Marquardt und Parzany 1990:323). Die konkrete Form der erwünschten Einheit wird am Ende des Artikels präzisiert, wenn es heißt: „Wir drängen auf die Entwicklung regionaler und funktionaler Zusammenarbeit, um die Sendung der Gemeinde, die strategische Planung, die gegenseitige Ermutigung, die gemeinsame Nutzung der Mittel und Erfahrungen voranzutreiben“ (:323; Hervorhebung von mir). In dogmatischer Hinsicht legt der Mittelteil des Artikels seinen Schwerpunkt auf eine Abwehr individualistischer und partikularistischer Verkürzungen im Bereich der Ekklesiologie, die der evangelikalen Strömung bis dato nicht fremd sind. Stattdessen sind alle, „die .. den gleichen biblischen Glauben haben“, aufgerufen, sich „eng in Gemeinschaft, Dienst und Zeugnis [zu] vereinen“ (:323). Auf der Grundlage von biblisch-theologischen Grundaussagen, die mit der LV in konzentrierter Form dargelegt werden, ist eine Basis für das Voranschreiten in „Gemeinschaft, Dienst und Zeugnis“ (:323) geschaffen. Der „Allianz“-Gedanke leuchtet auf. Das Ziel eine umfassende lehrmäßige Übereinstimmung ins Visier zu nehmen und damit verbunden die konfessionelle Fragestellung anzugehen, wird damit ausgeklammert. Der Schwerpunkt liegt auf der Frucht der christlichen Einheit, einer regionalen und funktionalen Zusammenarbeit im Dienste der Evangelisation (vgl. den nachfolgenden Art. 8: „Gemeinden in evangelistischer Partnerschaft“) und weniger auf den theologischen Grundlagen und Voraussetzungen hierfür. John Stott als spiritus rector des missionstheologischen Dokumentes bietet eine „Auslegung und Erläuterung“ zur LV (LOP Nr. 3; vgl. auch Stott 1997:1-55; dt. Übers., in: Lausanne geht weiter 1980:113-200), in der er bzgl. Art. 7 zwei Argumentationslinien hervorhebt. Nach einer kurzen Besinnung zum theologischen Wahrheitsgehalt der Aussage, „daß die sichtbare Einheit der Gemeinde in Wahrheit Gottes Ziel ist“ - eine Einheit, die in einem gewissen Sinn bereits vorhanden ist und „ebenso wenig zerstört werden [kann] wie die Dreieinigkeit [Eph 4,4-6]“ (Lausanne geht weiter 1980:158), folgt ein längerer Abschnitt zu den praktischen Konsequenzen dieser vorgegebenen „Einheit“ (eine tiefergehende Reflexion über das Wesen dieser unitas bleibt aus). In pragmatischer Hinsicht sind vor allem zwei Tatsachen ins Auge zu fassen: Zum einen kann eine „organisatorische Einheit“ viele Formen haben und besteht eben nicht nur in dem „völlige[n] Zusammenschluß von Kirchen“ mithilfe fester Strukturen (:159) - eine Reminiszenz an die bisherigen Erfahrungen mit dem ÖRK. Zum anderen fördert „organisatorische Einheit“ nicht zwangsläufig die Evangelisation, vielmehr haben die „Leiter von einigen vereinigten Kirchen .. mit Bedauern zugegeben, daß Vereinigung keinen Anstoß zur Evangelisation gegeben hat, wie sie es erwartet hatten“ (:159). Der Abschluss von John Stotts Erläuterungen richtet sich (a) auf das Bekenntnis, viel zu oft durch „sündhaften Individualismus“ und „unnötige Überscheidungen“ eher das eigene kleine 117 Reich aufgebaut zu haben, (b) die Verpflichtung in Zukunft „eine tiefere Einheit in Wahrheit, Anbetung, Heiligung und Sendung zu suchen“ und (c) schlussendlich die Bitte an die Delegierten, regionale und funktionale Kooperationen zu entwickeln, um die „tiefere Einheit“ zu realisieren und nicht als geistige Größe am Horizont verschwimmen zu lassen (Lausanne geht weiter 1980:159f). In einer Art Selbstverpflichtung des LKWE betont der anglikanische Theologe zum Schluss, dass man den Wünschen der Kongressteilnehmer von 1974 nachkommen will, indem man eben diese „Basiseinheit“ vor Ort fördert und nicht eine neue evangelikale statt ökumenische zentralisierte Struktur aufbaut; salopp formuliert einfach „Genf“ durch „Lausanne“ ersetzt (:160). Am Rande erwähnt John Stott die nicht unbedeutende Feststellung, dass „wir noch immer untereinander uneins sind in einigen zweitrangigen Fragen“ (:159). Worin diese Uneinigkeit konkret besteht, insbesondere im evangelikalen Spektrum, erläutert er an anderer Stelle (s. Stott 1975). Vier Themenbereiche leuchten auf, jeweils als Polarisationen vorgetragen: „Verstand und Gefühl“, Konservative und Radikale“, „Form und Freiheit“ und „Evangelisation und soziales Handeln“.357 Bemerkenswert und nicht von der Hand zu weisen sind seine religionspsychologischen Überlegungen, die in der Einleitung zur Sprache kommen. Auf dem Weg zu einem ausgewogenen Christsein (der Titel der Schrift lautet i. O.: „Balanced Christianity“) ist das Eingeständnis unabdingbar, dass „unser Temperament mehr Einfluß auf unsere Theologie [hat], als wir oft selber bemerken oder eingestehen“ (:8). Nach einigen kurzen Bemerkungen zu den hermeneutischen Vorbedingungen jeder Bibellektüre und -auslegung (vgl. nur zum „sensus proprius“ bei LUTHER WA 7, 98, 40-99, 2), folgt die Vertiefung dieses Gedankens. Nach Stott (1975:9; vgl. auch Lausanne geht weiter 1980:160) besteht eine der größten Schwächen, besonders der evangelikalen Christen (!), darin, zu Extremen zu neigen. Eine geistlich-theologisch geartete Unausgeglichenheit, die für Stott auch einen diabolischen Hintergrund hat (1975:9), ist die Folge: „Unter ‚Unausgewogenheit‘ verstehe ich die Neigung, die eine oder die andere Seite einer Wahrheit, den einen oder anderen ihrer Pole, stark zu betonen. Wenn wir beide Pole gleichzeitig umfassen könnten, würden wir eine gesunde biblische Ausgewogenheit erreichen. Statt dessen neigen wir zur ‚Polarisierung‘. Wie Abraham und Lot trennen wir uns voneinander. Wir drängen den anderen zum einen Pol, während wir den entgegengesetzten als für uns reserviert betrachten“ (:9; Hervorhebung von mir). Die Frage im Rahmen einer hermeneutica sacra drängt sich auf, inwieweit dieses „Umfassen“ beider Pole für das Erkenntnisvermögen eines Menschen überhaupt möglich ist (weiteres dazu 357 Stott nennt weitere „klassische“ Problemfelder in puncto Einheit der Christenheit (Göttliche Allmacht und menschliche Verantwortung, Gemeinde- und Amtsverständnis, Verhältnis von Kirche und Staat usw.), die nicht ausschließlich Evangelikale herausfordern. Etwas irritierend wirkt, dass er die Tauffrage unter die Kategorie der Adiophora subsumiert (vgl. 1975:7f). 118 unter 4.2). John Stott löst das Dilemma auf, indem er unter Rückgriff auf Charles Simeon ein anglikanischer Kleriker des 19. Jahrhunderts - kurz auf das paulinische Verständnis von „Komplementarität“ verweist (1975:9f).358 Die nachfolgende Behandlung der einzelnen Themenblöcke bietet aus materialdogmatischer Sicht keine weiterführenden Erkenntnisse zu dieser propädeutischen Fragestellung. Eine weitere Erörterung zu Art. 7 der LV, die nicht aus der Feder John Stotts stammt, bietet Howard A. Snyder anlässlich eines internationalen Symposiums, das kurz im Anschluss an die Lausanner Zusammenkunft abgehalten wurde. Die Interpretation der LV und ihrer einzelnen Paragraphen ist dabei bewusst unter die Freiheit der jeweiligen Autoren gestellt (so Stott, in: Padilla 1977:5); dem ganzen Spektrum der noch jungen Bewegung soll damit von vorne herein kein Denkverbot erteilt werden im Sinne eines gerade neu begründeten evangelikalen Lehramtes. Snyder (in: Padilla 1977:124) betont zunächst vor aller theologischen Reflexion über das Wesen christlicher Einheit, die - man kann sagen - epochale Erfahrung von „Einheit unter Christen“ durch die Kongressteilnahme in Lausanne. 359 Von hieraus gelangt er zu biblischtheologischen Einsichten. Der Tatsache, das Gott „einer“ ist, Einheit also wesensmäßig der Natur Gottes entspricht, steht ein unchristlicher Dualismus entgegen, der laut Snyder „die christliche Theologie oft negativ beeinflußt“ hat (:125). Gerade im Bereich der Ekklesiologie mache sich diese Aufspaltung von Wirklichkeit bemerkbar (:125f): Man „unterscheidet dann zwischen einer idealen Gemeinde (die diese Einheit tatsächlich darstellt) und der realen Gemeinde in dieser Welt (die zersplittert ist, darüber aber nicht bekümmert zu sein braucht, weil die ideale ‚geistliche‘ Gemeinde ja eine unwandelbare Einheit darstellt …).“ Snyders Grundthese, die wie ein roter Faden seine Erläuterungen durchzieht, lautet dabei, die evangelikale Bewegung leide an einer ekklesiologischen Lücke in ihrer Theologie; schon der Protestantismus arbeite „mit einer verworrenen und häufig scholastisch-platonischen Auffassung von der Gemeinde“ (:126). Sein Plädoyer lautet (entgegen bspw. dem röm.-kath. Institutionalismus) nicht in falsche Alternativen zu verfallen und die geistliche und organisatorische (besser: strukturelle) Einheit der Gemeinde als „unterschiedlich, nicht aber als notwendig gegensätzlich anzusehen“ (:127). Die immer wieder auf verschiedenen Ebenen 358 Schirrmacher (2005) hat jüngst in einer Veröffentlichung auf diesen Begriff, der einen naturwissenschaftlichen Ursprung hat, hingewiesen und versucht, seinen Bedeutungsgehalt für den theologischen Diskurs fruchtbar zu machen. 359 „1. Die Erfahrung solcher Einmütigkeit wurde dadurch möglich, daß Christen aus Fleisch und Blut zu einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort zusammenkamen - mit anderen Worten: innerhalb der geschichtlichen Wirklichkeit. 2. Obwohl ihre Einheit echt war, blieb sie zeitlich begrenzt. Sie besteht jetzt nur in der Erinnerung, nicht mehr als gegenwärtiges Faktum. 3. Obwohl diese Einheit ihre Grundlage im transzendenten Evangelium hat, wurde sie erst durch eine besondere, von Menschen in der Struktur von Raum und Zeit geschaffene Veranstaltung ermöglicht: den Internationalen Kongreß für Weltevangelisation“ (in: Padilla 1977:124). 119 wiederkehrende Frage nach dem Verhältnis von Ordnung und Geist, hier nach der Leiblichkeit des Organismus Gemeinde, leuchtet hier auf. In aller Kürze zur Beurteilung des Ansatzes: Das von Snyder festgestellte Desiderat ist sicherlich ein, wenn nicht mitunter das theologische Hauptproblem in der Zusammenarbeit im Rahmen der Evangelisation und Mission. Wie eine gemeinsame evangelikale Ekklesiologie aussehen könnte, stellt sicher eine entscheidende Fragestellung dar, auf dem Weg zu einer sichtbaren Einheit der (evangelikalen) Christenheit - falls so etwas überhaupt denkbar ist (vgl. 4.3 u. 4.5). Der Ausweg aus falschen Alternativen in dieser Hinsicht, und soweit reicht Snyders Ansatz, ist ein erster Schritt auf dem Weg zu einem wie auch immer gearteten evangelikalen Ökumenismus.360 Noch weiterführende dogmatische Erörterungen zu einem evangelikalen Verständnis von „Einheit der Christenheit“ finden sich in einem Referat, dass im Rahmen des Lausanner Kongresses dargeboten wurde. Es ist die bisher ausführlichste Reflexion dieses Sachverhaltes aus evangelikaler Perspektive und wird deshalb am Ende dieses Kapitels behandelt. Henri Blocher entfaltet anhand der einschlägigen Schriftstellen, allen voran Eph 4,3-6, eine „Proportionen-Lehre“361, derzufolge die „Möglichkeiten, christliche Einheit auszudrücken, .. im Verhältnis zum erreichten Grad der doktrinären Einheit“ stehen (in: Beyerhaus 1974:522).362 Geleitet von der Entdeckung eines paulinischen Gradualismus, der sehr wohl zu differenzieren weiß zwischen einer tiefen Übereinstimmung im Glauben (z. B. nach Phil 3,15f) und einer notwendigen Trennung um des Glaubens willen (2 Thess 3,14f),363 gelangt H. 360 Nach diesen dogmatischen Bestimmungen folgt eine Besinnung über das Hohepriesterliche Gebet Jesu in Joh 17 (in: Padilla 1977:128-130), dann die Fragestellung, inwieweit Einheit eine Voraussetzung für Evangelisation ist - oft führt das Letztere in der Praxis genau zum Gegenteil - (:130-133) und schließlich eine Liste mit mehr oder weniger konkret-abstrakten Vorschlägen zur Weiterarbeit nach Lausanne (:133-136). An dieser Stelle soll die Konzentration auf die systematisch-theologischen Ausführungen ausreichen. 361 Gemäß dem engl. Originalwortlaut: „The possibilities of expressing christian unity are proportional to the doctrinal agreement reached“ (Hervorhebung von mir; Douglas 1975:386). In der dt. Übersetzung ist von der „Regel der Verhältnismäßigkeit“ die Rede (in: Beyerhaus 1974:540.542). 362 Im Vorfeld bietet Blocher (:511-522) einige einleitende Überlegungen zum Wesen und zur Basis jeglicher christlichen Einheit (die Trinität) und zur Verhältnisbestimmung zwischen sichtbarer Einheit und unsichtbarem Leib Christi, die nicht spezifisch evangelikales Gedankengut widerspiegeln. Diese Gedanken münden in einem kurzen theologiegeschichtlichen Überblick zu der Unterscheidung zwischen primären und sekundären Glaubensartikeln aus luth. und ref. Sicht. Herausgehoben werden muss zum einen der Versuch einer völlig vergeistigten Sicht von Einheit („Geistliche“ Einheit), die für das evangelikale Spektrum eher kennzeichnend ist, entgegenzutreten – im Rahmen der Spannung zwischen einer statischen und dynamischen Ekklesiologie (:512f), zum anderen die kurze Auseinandersetzung mit E. Käsemann, dessen Beobachtungen am NT ernst genommen werden, aber zu völlig anderen Konsequenzen führen (im Sinne einer „progressive revelation“, :519f; vgl. David Wenham 1999. Paulus: Jünger Jesu oder Begründer des Christentums?. Schöningh: Paderborn, München u. a.). 363 Zwei Illustrationen verwendet Blocher an dieser Stelle: a) Das Modell konzentrischer Kreise: Der innere Kreis wäre die Ebene, auf der Paulus den Philippern begegnet, der nächste die Auseinandersetzung mit den Korinthern usw. bis zur Kollision mit den Galatern (Blocher entfaltet dies nicht explizit, sondern deutet es nur an; vgl. :522f). b) Die Struktur eines Organismus: „[D]a ja die Wahrheit organisch eine Einheit ist, wird sie, wenn man sie nur in einer kleinen Einzelheit bestreitet, dadurch mittelbar auch als Ganze bestritten.“ Auf der anderen Seite, da sie „organisch differenziert ist, kann man diese Logik nicht bis zum Extrem führen, nur um sich von den Brüdern zu trennen“ (:523; im Hintergrund stehen sogar schöpfungstheologische Implikationen, die Blocher wohl dem kath. Theologen Henri de Lubac verdankt, s. :531, Anm. 6). 120 Blocher zu fünf Kriterien, die es „ermöglichen .., die relative Bedeutung einer Lehrfrage, die diskutiert wird, zu beurteilen“ (in: Beyerhaus 1974:523): a) Die biblischen Kriterien: Aufgrund der Stellung, die ein Thema innerhalb der Hl. Schrift einnimmt, lässt sich laut Blocher (:523f) die Wichtigkeit dieser Thematik ablesen. Auch wenn die reine Anzahl der verba probantia noch nichts über die generelle Bedeutung einer Doktrin aussagt, liegt doch der Schluss nahe, seltene „Lehren“ nicht überzubetonen (als Bsp. dient hier die zentrale ntl. Sühnelehre im Vergleich zu der singulären paulinischen Vorschrift, einen Schleier zu tragen). b) Die theologischen Kriterien: Blocher (:524) unterscheidet hier mit der theologischen Tradition (er spricht ohne Namensnennung von den orthodoxen Theologen des 17. Jahrhunderts) zwischen „strategischen“ Lehren, mit denen alles steht und fällt und anderen, die eher an der Peripherie liegen. Ganz im Sinne des Paulus zur Zeit der Galaterkrise: „Wer mehr als Glauben verlangt, um von Gott angenommen zu werden, macht den Tod Jesu Christi logisch zu etwas Unnötigem (Gal. 2,21). Die Beschneidungslehre war strategisch“ (:524). An der Peripherie bewegen sich dagegen ekklesiologische Fragen, insbesondere die Tauffrage, die ref. Theologen wie Charles Hodge und Charles Haddon Spurgeon zwar trennten, aber sachlich doch nicht zu einem grundsätzlichen Dissens in ihrer Theologie führten. An dieser Stelle, anhand des gewählten Beispieles, tritt bei Blocher etwas von dem Selbstverständnis evangelikaler Theologie, dem „Kern evangelikaler Wahrheit“ (:524), wie er es nennt, zutage. c) Die praktischen Kriterien: Neben der biblisch-theologischen und systematischen Verortung und Gewichtung einzelner Lehren im Ganzen des Lehrgebäudes ist des Weiteren nach den praktischen Konsequenzen einzelner Topoi zu fragen. H. Blocher fragt: „Welche Hinweise gibt es für die Organisation der Kirche, das geistliche Leben, die Methoden und die Botschaft der Evangelisation?“ (:524). Hier kommt das Proprium der praktischen Theologie mit ins Spiel, die mithilfe empirischer Untersuchungen auf die Folgen theologischer Entscheidungen und Weichenstellungen hinweist. Blocher hebt zuletzt das dogmengeschichtliche Paradoxon hervor, dass manchmal für Theologen wesentliche Fragestellungen, wie das trinitarische Problem, nur wenig Aufregung im kirchlichen Leben hervorrufen, andererseits das Ringen um die rechte Tauflehre und -praxis, das für manche Theologen eher sekundär ist, von eminenter praktischer Bedeutung für das Leben in der Kirche sein kann. d) Die historischen Kriterien: Um der eigenen erkenntnistheoretischen Schwäche nicht zu erliegen (und damit keinem blinden Biblizismus), weist Blocher auf die horizonterweiternde Stimme der sog. „Glaubensväter“ hin, die bei ihm nicht erst mit dem 121 Pietismus beginnen, sondern ausdrücklich mit den Kirchenvätern. Justin der Märtyrer wird als Kronzeuge zitiert mit seinem Ausspruch, dass „viele Christen einen reinen und frommen Glauben, aber doch eine andere Meinung hatten“ (in: Beyerhaus 1974:525; sinngemäß nach „Dialogus cum Tryphone“ 80, 2). Mit dem nicht namentlichen Hinweis auf die vielen Ireniker der Kirchengeschichte spricht Blocher ganz im Sinne der vorliegenden Studie die Bedeutung der Reflexion ihres Erbes für die aktuellen Herausforderungen an. Am Rande erwähnt er ebenso die vorhandenen historischen Verwerfungen, die z. B. in der Geschichte des Abendmahlsstreites (vgl. 2.2.1) hervortraten. e) Die Kriterien der Gegenwart: Bemerkenswert ist Blochers Schlussthese, eine fundamentaltheologische Einsicht mit pneumatologischer Verzweckung. Basierend auf der Lehre von der claritas scripturae folgert er, dass das „Wesentliche der Botschaft“ - mit LUTHER die res scripturae - „dem ehrfürchtigen und klugen Leser nicht verborgen bleiben kann“ (:525). Zugespitzt: Kommt es zu keiner Einigung bei einer theologischen Diskussion, die auf beiden Seiten von wissenschaftlich arbeitenden und dem Glaubensgehorsam verpflichteten Personen geführt wird, „können wir daraus schließen, daß der Gegenstand der Debatte nicht zum innersten Herzstück des Christentums gehört“ (:525). Damit widerspricht Blocher - wie bewusst wird an dieser Stelle nicht ersichtlich - der Konzeption LUTHERS u. a. Theologen bis in die Neuzeit, die gerade an diesem Punkt nicht das Wirken des Heiligen Geistes vernehmen, sondern den polyphonen Klang verwirrender, letztlich verführender Vielfalt (wie im Falle der Abendmahlskontroverse anhand der est-significat Debatte demonstriert wurde).364 In Summe: Die entfaltete Kriteriologie mündet in einem konkreten Vorschlag zur Gewichtung der einzelnen dogmatischen Loci aus einer evangelikalen Perspektive; wie auch immer man diesen Versuch bewertet, so ist der eingeschlagene Weg doch beachtenswert und äußerst hilfreich für weitere Schritte in diese Richtung. Nun zu dem Modell im Einzelnen: Primär ist für Blocher (:525f) das Dogma von der Göttlichkeit Christi und seiner Fleischwerdung - der erste große Kreis von erstrangiger Bedeutung. Mit allen, die außerhalb dieses Kreises stehen, kann es keine Gemeinschaft in Christus geben. Innerhalb dieser ersten Trennungslinie folgt ein zweiter konzentrischer Kreis, die Autorität der Hl. Schrift, „des geschriebenen Wortes Gottes, ohne Fehler und Widerspruch“ (:526). Eine Lehre von strategischer Bedeutung nach Blocher, die bei Ablehnung jedoch trotzdem in Ausnahmefällen eine gelegentliche „Zusammenarbeit“ nicht hindern muss (:526); das strikte und absolute Nein kommt erst an der äußersten Linie zum Tragen. „Totale kirchliche Gemeinschaft“, der dritte und letzte Kreis im Inneren des Modells setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in der 364 Blocher ergänzt, u. U. etwas spitzbübisch, dass auch das so eben vorgetragene Lehrstück, „die Lehre von jenem vermittelnden Zustand, den wir als biblisch betrachten“, zur zweiten Kategorie der nicht wesentlichen Lehrfragen gehört, da doch einige [rechtschaffene] evangelikale Theologen dagegen sind (:525). 122 Ekklesiologie voraus (in: Beyerhaus 1974:526). Am Rande erwähnt Blocher, dass eschatologische Fragen - als vermeintliches Steckenpferd vieler Evangelikaler - für diejenigen, die an die persönliche Wiederkunft des Herrn glauben, nicht zu einem Hinderungsgrund für einen „umfassenden Ausdruck christlicher Einheit“ (:526) werden dürfen. Die Soteriologie und ihre Fragestellungen verortet Blocher scheinbar in direktem Zusammenhang mit dem christologischen Bekenntnis, sie erfährt keine explizite Nennung. Ein weiterer äußerer Kreis, der sich „nur“ der Gottes- und Offenbarungslehre als gemeinsamem Fundament widmet, wird ebenso nicht erwähnt; der bekannte Streit um die Souveränität Gottes und die Freiheit des Menschen könnte allerdings „ein paar Neugruppierungen rechtfertigen“ (:526). Minimalkonsens in der Ekklesiologie Übereinstimmung im Schriftverständnis Übereinkunft in der Christologie Abb. 1: „Proportionen-Lehre“ nach H. Blocher - Kreise zunehmender Übereinstimmung Das Modell ist, wie angedeutet, erweiterbar oder beliebig zu steigern in seiner Komplexität, je nachdem, welchen Standpunkt man zwischen einer exklusiven oder inklusiven Perspektive o. a. „Grundstimmung“ annimmt. Bevor sich Blocher - als Baptist - gesondert der Tauffrage als nach wie vor vorhandenes Spannungsfeld innerhalb der evangelikalen Gemeinschaft widmet, folgen noch einige Überlegungen im Sinne J. Stotts (s. o. S. 118f) zu den nicht-dogmatischen Hintergründen von Differenzen in Glaubensangelegenheiten: „Wir wollen Bräuche, Sprache oder Art der Darbietung nicht mit Glauben verwechseln. (…) Wir alle neigen dazu, dem Ausdruck des Glaubens den Wert des Glaubens selbst zu geben“ (:526). Die Tauffrage dient dann als repräsentatives Beispiel für einen vorhandenen oder eben nicht vorhandenen Minimalkonsens innerhalb der Ekklesiologie unter den Evangelikalen. Sie nimmt Blocher zufolge eine 123 Mittelstellung ein, da sie „weder grundsätzlich ist noch am Rande liegt, .. sekundär ist, ohne zweitrangig zu sein“ (in: Beyerhaus 1974:527).365 Wie nun die praktischen Konsequenzen für die Zusammenarbeit im Rahmen der Evangelisation und/oder Diakonie oder dem gemeinsamen Gottesdienst usw. mit bekenntnisverwandten Gläubigen aussehen, darauf antwortet das Modell Blochers nicht seine Verpflichtung gilt der dogmatischen Grundierung (s. dazu auch die Einleitung zu Blochers Replik auf die Anfragen bzgl. des gehaltenen Referates, in: Beyerhaus 1974:533). Die sich aufdrängende Fragestellung, die dank des „Proportionen-Modells“ einen Rahmen zur theologischen Analyse und Beurteilung erhält, findet jedoch an anderer Stelle Beachtung (mehr dazu unter 3.2.2.1.3).366 3.2.2.1.2 Pan-African Christian Leaders’ Assembly Im Rahmen der „Pan-African Christian Leaders’ Assembly“ (PACLA), die vom 09.-19. Dezember 1976 in Nairobi im Anschluss an die Lausanner Zusammenkunft stattfand, äußerte sich der Vorreiter einer evangelikalen „Befreiungstheologie“ (bewusst in Anführungszeichen), René Padilla, zu einem klassischen Konfliktfeld innerhalb des Problemhorizontes „Einheit der Christenheit“, dem Verhältnis von Einheit und Wahrheit (vgl. 4.2). Hierin sieht Padilla (1978:197) die zentrale Fragestellung der Debatte, präziser in der Frage nach den sachgemäßen Kriterien - ähnlich wie Blocher - mithilfe derer man bestimmen kann, wo die Grenzen für ein gemeinsames Handeln liegen. Als Kontrapunkte benennt er den „Sektierer“, für den die Antwort auf jene Frage auf der Hand liegt (er kooperiert nur mit seinesgleichen), und auf der anderen Seite den ökumenischen „Enthusiasten“, der sich wiederum nur schwer entscheiden kann, eine gebotene Grenzziehung vorzunehmen (:197). Als spezielle Herausforderung für die jungen Kirchen der sog. Dritten Welt, denen das vorliegende Referat 365 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den exegetischen Einsichten und systematischen Reflexionen Blochers aus ref. Perspektive (s. in: Beyerhaus 1974:531, Anm. 14) zur Stellung der Taufe in Eph 4,5 soll hier nicht erfolgen. Erwähnung verdient allerdings die Randbemerkung zu einer weiteren ekklesiologischen Fragestellung, in der ein Konsens noch nicht in Sichtweite liegt: „Solange die evangelikalen Christen kein gemeinsames Verständnis der geistlichen Ämter erreichen, wird im Ausdruck ihrer Einheit etwas fehlen“ (:528f; Snyders Argumentation hat an dieser Stelle ihr Zentrum, s. o. S. 119f). Blocher spricht sich demnach für ein geordnetes Amtsverständnis und einen geordneten Ausdruck der in Lausanne begonnen Einheit aus (:529), was sich in Form des LKWE dann auch schlussendlich realisierte. 366 Das Referat von Jonathan T’ien-en Chao (in: Beyerhaus 1974:1512-1528) bietet zur Thematik nichts wesentlich Neues, da es sich einem Spezialproblem der Weltmission, dem Verhältnis von lokaler und universaler Kirche o. a. im missionswissenschaftlichen Sprachgebrauch von sendender und empfangender Gemeinde, widmet. Am Rande wird als Ausweg aus einem wenig hilfreichen Denominationalismus innerhalb parakirchlicher Strukturen der konkrete Vorschlag unterbreitet, im Falle einer Gemeindegründung vor Ort kompromisslos zusammenzuarbeiten. In welcher Form die daraus entstehende Gemeinde, die ihre Anfänge einem „Presbyterianer, .. Methodist, Baptist und .. [einem] Katholik“ (:1520) verdankt, dann schlussendlich ihr Leben in dogmatischer, liturgischer usw. Hinsicht führt, beantwortet der Referent nicht; womit das berechtigte Anliegen im Falle einer Gemeindegründung eng „zusammenzurücken“, um des gemeinsamen Auftrages willen, nicht bestritten werden soll. 124 gewidmet ist, weist Padilla auf das Faktum hin, dass eine Vielzahl der Probleme hier nicht unmittelbar aus dem gegebenen Kontext erwachsen, sondern Importware darstellen aus dem Fundus der 2000jährigen Kirchen- und Missionsgeschichte (1978:197). Ausgehend von Eph 4,1-16 (ebenso wie Blocher rekurriert Padilla nicht so sehr auf den locus classicus Joh 17,11.20ff) versucht Padilla nun, anhand von vier „key issues“ eine Antwort auf die aufgeworfene Fragestellung zu geben. a) Die Berufung zur Einheit: Nach der Verortung des Textes im Mikrokontext von Kap. 1-3 des Epheserbriefes367 kommt Padilla zu dem Schluss, dass es sich bei der Einheit der Kirche um eine „geistliche Einheit“ handelt, die es zu bewahren gilt (:199). Sofort ergänzt er auch, wenn Organisation oder Strukturen nicht im Vordergrund stehen sollten -, dass „geistlich“ nicht simultan zu „unkonkret“ o. a. „abstrakt“ ohne praktische Bedeutung missverstanden werden darf (:199). Der Impetus der paulinischen Einheitsauffassung liegt Padilla zufolge darin, im Letzten an dem Auferstehungsleben Christi - dem „Leben im Geist“ - zu partizipieren und dadurch in die Lage versetzt zu werden, den von Einheit geprägten Lebensstil des Herrn zu reproduzieren (:199). Kurzgefasst: Umfassende geistliche Einheit als persönliche geistliche Herausforderung oder mit den Worten von B. F. Westcott nach seinem Epheserkommentar (in :199): „He who sees the range of the Divine action must find in it the strongest motive for guarding the unity already realised in the Church, which is the beginning and pledge of a wider unity.“ b) Die Basis der Einheit: Ganz in Übereinstimmung mit H. Blocher (und der vorreformatorischen Lehrtradition)368 äußerst sich Padilla (:199) zu den Grundlagen christlicher Einheit in ontologischer Hinsicht: „The unity of the Church is based on the unity 367 In groben Zügen: In Kap. 1 findet sich der Hinweis auf das kosmische Ausmaß der Wiedervereinigung aller Dinge „im Himmel und auf Erden“ (V. 10) unter der Herrschaft Jesu Christi, der schlussendlichen „Anakephalisiserung“ (u. U. nach J. B. Lightfoot, zit. von F. F. Bruce; s. 1978:206, Anm. 2), um Gottes Ziele mit dieser Welt zu einem Ende zu bringen (:198). Kap. 2 zeigt - Padilla zufolge (:198) -, dass sich dieses überweltliche Ziel Gottes historisch realisiert in der gegenwärtigen Weltzeit mithilfe der Gemeinde, in der Juden und Heiden eine Einheit bilden (V. 16); diese Einheit ist nichts anderes als eine Prolepsis der zukünftigen Verhältnisse unter dem Haupt Jesu Christi. In Kap. 3 steht das Geheimnis dieser Vereinigung von ursprünglichen Bundesangehörigen und den „Miterben“ im Mittelpunkt (V. 6). Paulus versteht demnach sein Apostelamt im Kontext dieses weiten Horizontes, „of God’s unitive purpose and the proclamation of the Gospel as the means through which that purpose is being brought to fruition among the Gentiles“ (:199). 368 Das 4. Laterankonzil von 1215, das sich mit den Thesen des Joachim von Fiore auseinanderzusetzen hatte, bekennt zur sog. „Analogieregel“ und dem Wesen der göttlichen Einheit: „Wenn die Wahrheit [Jesus Christus] für ihre Gläubigen zum Vater betet und sagt: ‚Ich will, dass sie eins seien in uns, sowie auch wir eins sind‘ (Joh 17,22), so wird zwar dieser Ausdruck ‚eins‘ für die Gläubigen gebraucht, damit die Einigung der Liebe in der Gnade verstanden werde, für die göttlichen Personen aber, damit die Einheit der Identität in der Natur verstanden werde“ (DH, Nr. 806). Im Hintergrund steht die scholastische Unterscheidung zwischen der Ordnung der Gnade und der Ordnung der Natur: Gott ist seiner Natur nach - ontologisch gesprochen - eins und vollkommen, die Geschöpfe sind es aber immer nur der Gnade nach, also geschenkhaft, durch Teilhabe an Gottes Wesen. Ekklesiologisch zugespitzt führt dies zu der (An-)Erkenntnis, dass es immer eine Differenz zwischen der wesenhaften Einheit Gottes, die jedem kirchlichen Bemühen immer voraus ist, und der von Gott den Geschöpfen gewährten Teilhabe an der schon in ihm bestehenden Einheit gibt. M. a. W.: „Die Einheit der Kirche ist in Gott bereits Wirklichkeit. Sie kann nicht durch geschöpfliche Anstrengung errungen werden. Wandelbar ist die Dichte der Ausdrucksgestalt sichtbarer kirchlicher Einheit“ (Nüssel und Sattler 2008:13). 125 of the triune God, in whom unity and diversity are perfectly combined.“ Diese These vertieft Padilla anhand pneumatologischer Einsichten, dem Bekenntnis zu dem Kyrios in frühchristlicher Zeit und einigen Ausführungen zur Vaterschaft Gottes („ein Geist und ein Herr, ein Gott und Vater aller“). 1.) Wie schon zu Beginn erörtert, handelt es sich bei der christlichen Einheit nicht in erster Linie um eine organisatorische, sondern organische, inauguriert durch den Hl. Geist und sein mannigfaltiges Wirken (1978:200). Der Zusammenhalt der einzelnen Glieder des Leibes wird von innen und nicht von außen begründet: „Without pneuma there can be no soma“ (:200; ob die Umkehrung auch gilt, wird nicht diskutiert). Mit einem Blocher-Zitat resümiert Padilla den eschatologischen Aspekt der pneumatischen Einheit, die in die Zukunft ragt und zur Zeit noch aus der Hoffnung lebt (:200). 2.) In dem Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Kyrios entdeckt Padilla einen frühchristlichen Minimalkonsens innerhalb der dogmengeschichtlichen Entwicklung, der die „Substanz“ des christlichen Glaubens mit einschloss und daher zunächst als gemeinsames Bekenntnis diente (:201). Padilla spezifiziert, dass es sich mit anderen Worten um die apostolische Tradition handelt, den „Glauben“ - in subjektiver und objektiver Hinsicht -, der den Heiligen ein für allemal überliefert wurde (Judas 3; vgl. auch Röm 6,17; 2 Tim 1,13; Kol 2,6-7, :201). Historisch betrachtet kann demnach in der frühen Kirche von „einem Glauben“ in christologischer Hinsicht die Rede sein, unbeschadet der Tatsache, dass verschiedene theologische Muster und Ansätze in peripheren Bereichen zur ntl. Zeit schon bestanden (:201; Padilla führt dies nicht näher aus).369 3.) Mit dem paulinischen Hinweis auf die Vaterschaft Gottes schließt Padilla seine Argumentation ab. Die Einheit der Gläubigen gleicht einem Familienverband, der sich durch das gemeinsame Bekenntnis und die gemeinsame Beziehung zu Gott dem Vater verbunden weiß (:202). Dies mündet wiederum - versteht man Eph 4,6b mit einigen Kommentatoren als trinitarische Formel - in der anfänglichen, für Padilla somit zentralen These: Die Einheit der Kirche leitet sich aus der Einheit Gottes ab, in dem Einheit und Vielfalt vollkommen miteinander harmonisieren (:202). Eine systematisch-theologische Schlussbesinnung hält fest - weitläufig verstanden im BUCER’SCHEN Sinne -, dass Einheit und Wahrheit untrennbar miteinander verbunden sind; „christliche“ Wahrheit ist jedoch weit mehr als doktrinäre Übereinstimmung und zugleich doch nicht zu lösen von einer Doktrin wie der Trinität (:202).370 Damit erteilt Padilla einem Agnostizismus hinsichtlich einer in Wahrheit 369 Zur Verbindung zwischen dem „einen Glauben“ und der „einen Taufe“ ergänzt Padilla (1978:201f) ähnlich wie Blocher einige Gedanken, scheinbar aus baptistischer Perspektive, ohne jedoch die konfessionelle Fragestellung anzuschneiden. 370 M. a. W.: „Christian unity cannot be identified with total doctrinal agreement, but doctrinal pluralism is a denial of the very basis of unity“ (:202). Padilla verdankt seine Konzeption von „Einheit und Wahrheit“ den 126 begründeten Einheit eine Absage. c) Einheit und Vielfalt: Über die Textbetrachtung H. Blochers hinaus wendet Padilla nun seinen Blick auf die Vv. 7-13 in Eph. 4 (par. 1 Kor 12 u. Röm 12) und gelangt zu der Erkenntnis, dass Einheit nicht gleich Konformität bedeutet (:203). Im Gegenteil, gemäß der Regel der Balance zwischen Einheit und Vielfalt innerhalb der Trinität darf es zwangsläufig nicht verwundern, keine monotone Uniformität innerhalb des Leibes Christi anzutreffen. Padilla entnimmt dem Text drei Hinweise bzgl. der Vielfalt der Gaben in dem einen Leib Christi: 1.) Die von Gott gegebene Einheit realisiert sich erst durch Vielfalt in Analogie zum Wesen des dreieinigen Gottes: „Diversity is contemplated as a reality that takes place within unity“ (:203). Schöpfungsgemäße Differenzierungen (nicht im Sinne von Streitpunkten) zwischen den Mitgliedern des Leibes Christi und deren unterschiedliche Begabungen kompromittieren die richtig verstandene Einheit nicht, im Gegenteil, sie sind ihre Voraussetzung. Mit J.-L. Leuba (in :203): „Communion does not spell confusion or fusion but participation in the life of a being different from oneself.“ 2.) Die Vielfalt der Gaben, die der erhöhte Herr austeilt (V. 8), dienen dabei nicht nur dem Aufbau des Leibes Christi, sondern müssen nach dem Kontext des Ephesertextes in das umfassende Ziel Gottes eingeordnet werden, alle Dinge durch Christus zur Vollendung zu bringen (:203). Damit dient die Gabenvielfalt und -ausübung als Mittel, um in der Gemeinde Christi die Einheit zu verwirklichen, die Gott für seine Schöpfung vorgesehen hat (:203). 3.) Die dreifache Beschreibung des Zieles in V. 13 („die Einheit des Glaubens und die Erkenntnis des Sohnes Gottes, zur vollen Mannesreife, zum Vollmaß des Wuchses der Fülle Christi“), dem die Gemeinde Christi entgegenstrebt und dem alle Gaben dienen, repräsentiert ein Ideal, dass in Christus zwar völlig vorhanden ist, sich aber in der jetzigen Weltzeit nicht völlig realisieren wird (:204). Dies darf kein Grund zu Resignation darstellen. Grundlegend ist für Padilla als Startpunkt jeder Einheitsbemühungen der „apostolische Glaube“ als Minimalkonsens (s. o. S. 126) und die Feststellung, dass sich im NT kein Relativismus bzgl. der Wahrheitsfrage findet, der in einem doktrinären Pluralismus enden würde (:204). d) Wahrheit und Liebe: Ausgehend von der Situation der Epheser, die Paulus adressiert (Vv. 14-16), gelangt Padilla zu der Einsicht, dass sich im NT nur wenige Hinweise finden, die mit „unserer“ Situation heute direkt korrespondieren (so mit Blocher; :205). Nach dieser notwendigen „Vorwarnung“ wagt Padilla jedoch den Schritt, nach einigen paulinischen Prinzipien zu fragen, die für den gegenwärtigen Kontext hilfreich sein könnten. Er entdeckt zum einen den Zusammenhang - ein Gefälle - zwischen geistlicher Unreife (V. 14) und Anschauungen von A. F. Holmes (s. :207, Anm. 11). 127 theologischem Verfall, der die Betroffenen im Status des „Kindes“ (nh/pioi) zurücklässt und durch individualistischen Separatismus und Instabilität gekennzeichnet ist. Als Heilmittel dient hier nichts anderes als eine gesunde Orthodoxie, die sich des Problems der Häresie sehr wohl bewusst ist (hier erinnert Padilla an D. Bonhoeffers Votum gegenüber der mod. ökumenischen Bewegung, s. o. S. 102f) und zu keiner falschen Trennung von Lehre und Leben führen darf (Padilla 1978:205). Auf der anderen Seite - und dies liegt auf der Hand gibt es genügend Beispiele für Konflikte zwischen „geistlich reifen und theologisch versierten“ Partnern, die sich nicht einfach mit der goldenen Regel: „in necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus autem caritas“ lösen lassen (Padilla schreibt sie R. Baxter zu, :206; vgl. aber 4.1). An dieser Stelle empfiehlt der Lateinamerikaner das Lausanner Modell Blochers (!) als möglichen Weg zur Lösung jener echten Konfliktpunkte. Doch bleibt über diesen „purely intellectual approach“ hinaus die Aufgabe, das Konzept „Einheit in der Wahrheit“ mit der Konzeption „Wahrheit in Liebe“ zu verbinden; eine Lebensaufgabe - nach Padilla (:206) -, die an BUCERS Versuch auf die „dilectionis officia“ zu drängen, erinnert. In Summe: Padillas Ausführungen stellen den Beginn einer Lehrbildung (etwas großspurig formuliert) zu einem evangelikalen Ökumene-Verständnis dar, greift jener doch auf die Gedanken H. Blochers deutlich zurück und vertieft oder erweitert sie aus seiner Perspektive. Ein Rückgriff auf das zentrale Dokument der jungen Bewegung, die LV, insbesondere Art. 7 bleibt jedoch aus, ohne den gesetzten Rahmen zu verlassen. Der Eindruck entsteht, dass der Versuch sowohl von Blocher als auch von Padilla unternommen wurde, vorhandene Lücken innerhalb der kurzen, auf Funktionalität ausgerichteten Erklärung des 7. Artikels in dogmatischer Hinsicht zu schließen. Den Versuch, ausgehend vom NT, präziser dem 4. Kap. des Epheserbriefes, sich hierüber Rechenschaft abzulegen, unternimmt jeder der beiden Theologen naturgemäß von seiner Warte aus. Blochers „Proportionen“-Modell erscheint dabei m. E. als äußerst hilfreich, bietet es doch die Möglichkeit der Erweiterungen und notwendiger Differenzierungen. Padillas Einsichten sind ebenso zu beachten, stehen aber zuweilen unter dem Verdacht „biblisch korrekt“ zu sein, aber auf die sich aufdrängenden interkonfessionellen Fragestellungen keine Antwort zu geben (nicht im Sinne einer praktisch-theologischen Reflexion, aber zumindest einer dog. Konzeption, die einen Handlungsrahmen absteckt). Die Frage, inwieweit die hier begonnene Linienführung hinsichtlich einer theologisch verantwortbaren Kooperation innerhalb des weiten Spektrums der evangelikalen Bewegung Fortsetzung erfuhr oder zumindest rezipiert wurde, leitet über zu den nun folgenden Dokumenten und Verlautbarungen. 128 3.2.2.1.3 Lausanne Occasional Papers Maßgeblich für die theologische Urteilsbildung des LKWE sind bis dato die „Lausanne Occassional Papers“ (LOPs), deren Problematik hinsichtlich der Frage nach einer gültigen Verlautbarung und der damit eingeschlossenen Möglichkeit einer dogmatischen Fixierung der Bewegung schon besprochen wurde (s. o. S. 115f). In einem Dokument (LOP 24) aus dem Jahre 1983371 mit dem Titel „Cooperating in World Evangelization: A Handbook on Church/Para-Church Relationships“ äußert sich John Stott in einer kurzen theologischen Präambel noch einmal zur vorliegenden Thematik (:3-8). 372 Ausgehend von Phil 1,27; 2,5-8 legt er den Schwerpunkt auf die grundlegende Einstellung, in deren Geist Art. 7 der LV verfasst wurde: Demut und Einheit sind Geschwister (:4), ohne eine grundsätzlich dienende und korrekturbereite Haltung wird es zu keiner Form von Einheit unter Christen kommen. Die anvisierte Form der Einheit (hier erfolgt keine spezielle Begründung) übersteigt dabei die Gemeinschaftserfahrung zwischen Christen unterschiedlicher Konfession, auch das miteinander Handeln - „Kooperation“ ist der Kardinalbegriff - folgt hieraus (:4). Nachdem J. Stott in aller Kürze noch einige Erläuterungen zu dem besagten Art. 7 weitergibt (:4f) 373, folgt eine Entfaltung des Kooperationsgedankens: a) Co-operation or Competition? (die Titel nachfolgend bewusst im Original): Stott (:5f) stellt einem beinahe evolutionistischen Wettkampfgedanken („survival of the fittest“) zwischen manchen christlichen Einrichtungen und Missionsgesellschaften, das ntl. Beispiel, vor allem bei Paulus (Röm 16,21; 2 Kor 8,23; Röm 16,3.9; Kol 4,10f u. a.), des sunergo/j entgegen. Die „Ko-operation“ zwischen Paulus und seinen Mitarbeitern in frühchristlicher Zeit dient hier, wenn auch unausgesprochen, als Modell für die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern unterschiedlicher Denominationen auf dem Missionsfeld. b) Limits to Co-operation: Aus Stotts Sicht sollte eine Limitierung des gemeinsamen Auftretens von evangelikalen „Brüdern und Schwestern“ so gering wie möglich ausfallen (:6). Natürlich schließen offensichtliche Irrtümer - Stott nennt dogmatische Häresien und totales ethisches Versagen - von der communio sanctorum aus (eine Liste mit modernen Adiaphora will Stott nicht erstellen), doch liege die Emphase des NT eindeutig auf Gemeinschaft und nicht auf Separation wegen etwaiger Erkenntnisunterschiede (die u. U. im paulinischen Sinne 371 Im Hintergrund steht die Konsultation für Weltevangelisation (COWE) in Pattaya (Thailand) vom 16.-27. Juni 1980, in deren Zusammenhang eine „Kommission für Kooperation“ eingesetzt wurde, die das vorliegende „paper“ zu verantworten hat. 372 Online im Internet: http://www.lausanne.org/de/documents/all/173-lop/67-lop-24.html [Stand: 07.11.2011]. 373 1.) Die Reihenfolge zu Beginn von Art. 7 ist instruktiv: Gottes Absicht, Einheit in Wahrheit, steht zu Beginn, dann folgt die pragmatische Erkenntnis, dass Uneinigkeit das Zeugnis gegenüber der Welt unterminiert. 2.) Diese „Einheit in Wahrheit“ ist sichtbar, auch wenn es „organisatorische Einheit in vielen Formen geben kann“ (LV 7). Zwei Extreme - wie schon in Stotts offizieller Erläuterung zur LV angedeutet (s. o. S. 117f) sollen vermieden werden: Formlosigkeit, sprich eine Einheit, die nur als geistige Größe existiert, anderseits eine rigide Sicht von Einheit, die nur in organisierter Form zur Geltung kommt. 3.) Stott entdeckt in den Lehren Jesu eine enge Verbindung zwischen Einheit und Evangelisation; ‚practise what you preach‘ ist hier das Leitmotto. 129 mit einem „schwachen Gewissen“ zusammenhängen; LOP 24:6). c) Unity and Diversity: Der Einheit im Geist stellt Stott die Vielfalt der Gaben gegenüber im Anschluss an den Duktus von Eph 4,3ff (:6). Zwei Missverständnissen gilt es vorzubeugen: Einer Einheit in Christus, die zur Unterdrückung der Gabenvielfalt führen würde, sprich zur Uniformität, aber auch einer Begeisterung für Vielfalt und Gabenpotenz, die letztlich als Ausrede dient, vorschnell die Einheit des Leibes Christi zu verlassen (vgl. 1 Kor 12,14-26). Den Beobachtungen, denen für den Gemeindeaufbau vor Ort sicher Bedeutung zukommt, folgt der Blick über die lokale Ebene hinaus. d) Church and Para-Church: Die sog. „para-church“ Organisationen, deren Beziehungen zu den etablierten Kirchen auf dem Lausanner Kongress ein besonderes Augenmerk zuteil wurde, stehen im Zentrum dieses LOPs. Stott (:7) weist auf das Dilemma hin, dass historisch betrachtet ihr Ruf als Garant für missionarische Aktivität und notwendige Spezialisierung (Studentenmission, Bibelgesellschaften usw.) unbeschadet fortbesteht, sie biblisch- theologisch betrachtet jedoch ihre Kompetenzen oft überschreiten (die ursprünglich der Kirche als creatura verbi divini zukommen; :7). Als Ausweg aus der Spannung von Ideal und Realität bietet Stott (:7) folgende Formel an: Unabhängigkeit der Kirche ist schlecht, Kooperation mit der Kirche ist besser, Dienst als ein Arm der Kirche am besten. Auf der Suche nach einem weiteren biblischen Modell, das hier als Schablone dienen könnte, betrachtet Stott (:7f) die Leitungsverantwortungen innerhalb der Gemeinden der Apg. in Beziehung zu deren missionarischer Sendung und berührt damit ganz nebenbei die „alten“ theologiegeschichtlichen Spannungsfelder von Charisma und Amt, episkopales oder presbyteriales Prinzip usw., und letztlich die nicht nur strukturelle Frage nach dem Verhältnis von Autorität und Freiheit (vgl. :8). Geistliche Einsichten und pragmatische Anleitungen zum gemeinsamen Dienst und Zeugnis innerhalb der weltweiten evangelikalen Gemeinschaft folgen nun den Ausführungen J. Stotts (s. :8-65), denen im Rahmen dieser systematisch-theologischen Studie nicht weiter nachgegangen werden muss.374 Das „Handbuch“ dient der praktischen Umsetzung - es ist keine akademische Übung (:3) -, des in der LV Art. 7 abgesteckten Terrains und leistet so in 374 Auch die eher religionspsychologischen Überlegungen - als Resultate des Dialoges in Pattaya - unter der Überschrift „Hindrances to Co-operation: Dogmatism about Nonessentials and Differing Scriptural Interpretations“ (:14-19) bieten keine grundsätzlich neuen dogmatischen Überlegungen. Genannt werden als immer wieder auftretende Problemzonen: a) „rote Tücher“ in der Terminologie („evangelikal“, „liberal“ usw.); b) Unkenntnis der Kirchengeschichte und Konfessionskunde; c) unverhältnismäßiges Festhalten an einer Doktrin (Eschatologie, Tauffrage usw.); d) unausgereiftes Verständnis des Leibes Christi - in der Spannung von lokaler und überkirchlicher Struktur; e) Hang zum Separatismus; f) Spannung zwischen Wahrheit und Liebe; g) „Schuldig“ auf Grund von Zugehörigkeit (zu einer bestimmten Denomination); h) Verleugnung der persönlichen Gewissensfreiheit; einige kurze Gedanken zur „Regel der Verhältnismäßigkeit“ (s. o. S. 120f), diesmal nach John Howard Yoder (:18f) stellen keine Erweiterung oder Vertiefung des Modells von H. Blocher dar (der Bezug bleibt unklar, weder in die eine oder andere Richtung). 130 missionstheologischer und -pragmatischer Hinsicht einen wertvollen Dienst. Weitere LOPs 375 (30:31f.43; 39:19; 51:14.16.20 u. a.) erwähnen passim missionsstrategische Einzelaspekte wie die mögliche Bedeutung der trinitarischen Balance von Einheit und Vielfalt für eine komplexe globalisierte Welt - und Erfahrungswerte, die den bisher skizzierten Rahmen inhaltlich nicht verlassen. Dezidierte Äußerungen zur dogmatischen Aufgabenstellung finden sich nicht mehr (LOP 38 als „Neuauflage“ von Nr. 24 im Rahmen von Pattaya II bietet in aller Kürze einige „Tools“ zur besseren Vernetzung evangelikaler Leiter/innen weltweit), außer in LOP 64, das unter Wahrung der chronologischen Vorgehensweise an Ort und Stelle betrachtet wird (s. 3.2.2.1.6). 3.2.2.1.4 Manila Manifest Als Resultat des zweiten Internationalen Kongresses für Weltevangelisation vom 11. bis 20. Juli 1989 in Manila - Lausanne II - liegt das sog. „Manifest von Manila“ (MM) vor. Es will „die Anliegen der Lausanner Bewegung fortschreiben, verdeutlichen und aktualisieren“ (Marquardt und Parzany 1990:329) auf der Grundlage und in der Tradition der historischen LV. Eingeteilt in zwei Hauptabschnitte - zunächst 21 Bekräftigungen (i. O.: Affirmations) 376 und dann zwölf Artikel, die diese weiter ausführen und erläutern - spricht die 17. Affirmation das Thema von Art. 7 der LV an: „Wir bekräftigen, daß es für Gemeinden, Missionsgesellschaften und andere christliche Organisationen unbedingt notwendig ist, bei Evangelisation und sozialer Aktion zusammenzuarbeiten, indem sie jeglichen Wettbewerb miteinander ablehnen und Doppelungen vermeiden“ (:331). Die getroffene Aussage ist klar: Unter dem Eindruck der „urgent need[s]“ (Stott 1997:232) ist die Kirche aufgerufen, mit allen Mitteln dem missionarischen Auftrag in einem holistischen Sinne nachzukommen; dies soll, wie J. Stott in seinen Vorüberlegungen zu LOP 24 betont hat, ohne Wettbewerbsdruck und daraus entstehende Überschneidungen geschehen (s. o. S. 129f). MM II/B.8 wiederholt diese Gedanken im Grunde genommen noch einmal (wiederum stehen die beiden Begriffe „competition“ und „cooperation“ im Mittelpunkt; Stott 1997:241), Art. 9 desselben Abschnittes rekurriert wiederum auf J. Stotts einleitende Bemerkungen aus LOP 24, indem er die innere Verbindung zwischen Evangelisation und Einheit im NT aufzeigt (s. o. S. 129, Anm. 373)377. Dann folgt zum ersten Mal eine Definition des Kardinalbegriffes 375 Alle online im Internet: http://www.lausanne.org/de/documents/all/173-lop.html [Stand: 16.12.2011]. Den Text in Originalfassung bietet Stott 1997:231-248. 377 „Evangelisation und Einheit sind im Neuen Testament eng miteinander verbunden. Jesus betete darum, daß die Einheit seiner Leute seine eigene Einheit mit dem Vater widerspiegeln möge, damit die Welt an ihn glaube (Joh 17,20f). Paulus ermahnte die Philipper, ‚einmütig für den Glauben des Evangeliums zu kämpfen‘ (Phil 1,27). Im Gegensatz zu dieser biblischen Schau schämen wir uns der Verdächtigungen und Rivalitäten, des Glaubensstreits über Nebensächlichkeiten, der Machtkämpfe und des Aufbaus von Machtbereichen, die unser evangelistisches Zeugnis behindern und zerstören. Wir bekräftigen, daß Zusammenarbeit in der Evangelisation 376 131 „Cooperation“: „Mit ‚Zusammenarbeit‘ meinen wir ‚Einheit in Verschiedenartigkeit‘. Sie schließt Menschen verschiedener Temperamente, Begabungen, Berufungen und Kulturen, nationaler Kirchen und Missionsgesellschaften, aller Altersstufen und beider Geschlechter mit ein“ (Marquardt und Parzany 1990:343). Anders als beim protestantischen Ökumene-Modell „Einheit in Vielfalt“ wird hier die konfessionelle Fragestellung nicht angesprochen, sondern die praktische Seite der Einheit, dem Gegenüber in Demut, Toleranz und Liebe zu begegnen (vgl. 4.1). Der konfessionelle Zwiespalt wird jedoch nicht ausgeklammert, ein wenig später (immer noch MM II/B.9) wird der status quo innerhalb der evangelikalen Bewegung beschrieben, die nach wie vor ambivalente Haltung zur „Ökumene“ (:343). Eingeleitet wird dieser Absatz mit der Feststellung: „Wenn wir uns auf die ‚ganze Gemeinde‘ beziehen, erheben wir damit nicht den anmaßenden Anspruch, daß die weltweite Gemeinde und die evangelikale Gemeinschaft identisch seien“ (Marquardt und Parzany 1990:343). 378 Eine redundante und doch notwendige Präambel, der im Widerspruch zur Auffassung der röm.kath. Kirche das Zugeständnis folgt, „daß es viele Kirchen [im Vollsinn des Wortes] gibt, die nicht Teil der evangelikalen Bewegung sind“ (Hervorhebung von mir; :343). Bevor eine Art „Aufruf mit Schuldbekenntnis (!)“ in Richtung des ÖRK den ganzen Abschnitt abschließt, 379 folgt eine Differenzierung zur Form der Zusammenarbeit mit den angesprochenen Kirchen, die eine Trennungslinie deutlich markiert: „Wo es möglich ist und wo kein Kompromiß zu Lasten der Wahrheit eingegangen wird, mag Zusammenarbeit möglich sein in Bereichen wie der Bibelübersetzung, dem Studium zeitgenössischer theologischer und ethischer Fragestellungen, der Sozialarbeit und des politischen Handels. Wir möchten jedoch klarstellen, daß gemeinsame Evangelisation eine gemeinsame Verpflichtung gegenüber der biblischen Botschaft voraussetzt“ (:344). Ob mit der „gemeinsamen Verpflichtung“ letztlich die LV gemeint ist, wird nicht weiter ausgeführt. Zur weiteren dogmatischen Unterscheidung und notwendigen Differenzierung, ab unabdingbar ist, weil das Evangelium der Versöhnung durch unsere Uneinigkeit in Verruf gebracht wird [vgl. die Formulierung in LV 7]; und weil wir, wenn die Aufgabe der Weltevangelisation je erfüllt werden soll, darin zusammenarbeiten müssen“ (Marquardt und Parzany 1990:343). 378 Die Übersetzung ins Dt. zu Beginn von Abs. 8 ist an dieser Stelle etwas unglücklich: „Jede christliche Gemeinde ist die örtliche Gegenwart des Leibes Christi“ (Marquardt und Parzany 1990:341) oder theologische Absicht? Im Original etwas vorsichtiger: „Every Christian congregation is a local expression of the body of Christ (...)“ (Stott 1997:241), womit z. B. das Verhältnis aus kongregationalistischer Sicht zwischen dem Primat der Ortsgemeinde (vgl. Marquardt und Parzany 1990:200-217) und dem Kirchesein einer übergeordneten Institution („Bund“) noch nicht geklärt ist. Walldorf (2002:254f) interpretiert die Manila’er Übereinkunft in ekklesiologischer Hinsicht folgendermaßen: „Im MM wird unterschieden zwischen der örtlichen Gemeinde (‚local church‘) und den verschiedenen ‚denominationellen‘ Gemeinden am Ort (‚congregation and denomination‘), die [erst] gemeinsam die örtliche Gemeinde bilden.“ Die hiermit getroffene Weichenstellung diente ihm zufolge als Grundlage für die Ausführungen in Bad Boll 1992 (:255, Anm. 133; s. 3.2.2.1.5). 379 „Wir alle bitten den Weltrat der Kirchen dringend, ein konsequent biblisches Verständnis von Evangelisation anzunehmen. Wir bekennen, daß wir selbst einen Teil der Verantwortung für die Zerteilung des Leibes Christi tragen, die kein kleines Hindernis für die Weltevangelisation ist. Wir sind entschlossen, uns weiter um die Einheit in Wahrheit zu bemühen, um die Christus gebetet hat. Wir sind davon überzeugt, daß der richtige Weg zu einer engeren Zusammenarbeit mit allen, die unsere Anliegen teilen, in einem freimütigen und geduldigen Dialog auf der Basis der Bibel besteht. Hierzu erklären wir uns gern bereit“ (Marquardt und Parzany 1990:344). 132 wann ein „Kompromiß zu Lasten der Wahrheit“ vorliegt, äußert sich das MM nicht. Der Schwerpunkt der Referate in Manila, die sich der Thematik „Zusammenarbeit in der Evangelisation“ annahmen - das Thema wurde sowohl plenar verhandelt als auch in einer speziellen Arbeitsgruppe (Marquardt und Parzany 1990:253) - liegt auf der praxis pietatis. 380 Als Konzentrat könnte man zunächst den Aufruf zur Buße im Hinblick auf persönliche und gemeindliche Barrieren („Superioritys“) und den Aufruf zum gemeinsamen Gebet vor jeglicher gemeinsamen Aktion bezeichnen, ein oder vielleicht das Markenzeichen der „Allianz“ und ihrer weltweiten Ortsgruppen. 3.2.2.1.5 European Leadership Consultation on Evangelisation Vom 9. bis 13. März 1992 fand die „European Leadership Consultation on Evangelisation“ (ELCOE) in Bad Boll statt unter der Regie des Europäischen Lausanne Komitees. Politischer Hintergrund der „Konsultation“ - man sprach bewusst nicht von Konferenz - waren die gewaltigen Umwälzungen in Osteuropa, deren Bedeutung für eine Neuevangelisierung Europas diskutiert werden sollten (vgl. Walldorf 2002:264f). Das Thema erinnerte an Lausanne II in Manila 1989: „The Whole Church and the Whole Gospel for the New Europe.“ Mit den bis hierin getroffenen Überlegungen zu den regionalen und lokalen Herausforderungen in einer etwaigen Kooperation setzte sich der dritte Punkt der Agenda in Bad Boll auseinander.381 Nach den Vorträgen von U. Parzany, J. Fountain und einem zusammenfassenden Bericht von R. Scheffbuch (:283-286), dem damaligen Vorsitzenden des ELK und der „Church/Parachurch“-Beratungen in Bad Boll, heißt es im Abschlussbericht der Arbeitsgruppe: „The idea of a monolithic church leads to an appalling totalitarianism. We should accept the plurality of ecclesiologies. It has taken many centuries to achieve the freedom we now enjoy. Different expressions of the church do not put people off the gospel. People are won by christian love from christian people. There is a richness to be discovered in variety. (…) [That] involves a proper unterstanding of territory. Not a constantinian understanding (…). The benefit of the parish system is the salt and light aspect of claiming responsibility, not ownership“ (zit. nach Walldorf 2002:292f). Vorausgegangen waren die Ausführungen der Referenten, naturgemäß vorgetragen aus ihrem 380 Eine dt. Übersetzung bieten Marquardt und Parzany 1990:257-279: Robyn Claydon erwähnt am Ende ihres Referates LV Art. 6 u. 7 ohne vertiefende Erläuterungen (:261), Bill O’Brien deutet in einer Allegorese die Heilung des Gelähmten (Lk 4,17-26) als Paradebeispiel für gelungene „Kooperation“ (:262ff) und Michael Cassidy referiert über einige Leitlinien jeglicher Zusammenarbeit (unter Bezug auf J. Stott); in einem dritten Abschnitt widmet er sich der „Zusammenarbeit zwischen freien Werken und Kirchen“ unter ausdrücklicher Nennung von LOP 24 (:273-279), dessen Ergebnisse (von Pattaya 1980) er geringfügig erweitert (s. o. S. 129, Anm. 373). 381 Nachfolgend wird bewusst nach Walldorf 2002:266-305 zitiert, da jener auf unveröffentlichte Referate und Berichte von ELCOE zurückgreifen konnte (:266, Anm. 145), die das Ausmaß der Berichterstattung im damaligen Organ des LKWE „World Evangelisation“ (Januar 1993) deutlich übersteigt. 133 jeweiligen ekklesiologischen Kontext heraus unter Betonung der Stärken, bspw. eines volkskirchlichen Modells durch Parzany und Scheffbuch,382 aber auch der Schwächen (z. B. der nach wie vor mehrheitlichen Ablehnung missionarischer Aktivitäten von „freien Werken“ durch landeskirchliche Amtsträger). Einige Praxismodelle aus unterschiedlichen Nationen rundeten diese Erörterungen ab (vgl. Walldorf 2002:287-291). Der Schwerpunkt lag auf der seit LOP 24 zentralen und ohne Frage schwerwiegenden Fragestellung, wie eine evangelistische Kooperation „praktisch“ bei unterschiedlichen sozio-politischen Kontexten und grundverschiedenen Ekklesiologien aussehen kann. Man könnte mit F. Walldorf (:292) folgern, dass der Ansatz von Bad Boll zur evangelikalen Neuevangelisierung Europas Einheit bzgl. grundlegender soteriologischer Konzepte (wie sie z. B. in der LV Art. 3 entfaltet wurden) und Verschiedenheit bzgl. deren ekklesiologischen Verwirklichung einschließt. 383 Die Frage, die damit im Raum steht, bei aller Hochschätzung der irenischen Errungenschaften im Laufe der bisherigen Kirchengeschichte, lautet allerdings: Reicht ein soteriologischer Minimalkonsens auf Dauer aus (vgl. 4.3)? Nicht nur die vorgetragenen Beispiele für Neulandmission, Gemeindegründung und -erneuerung in Bad Boll zeigen m. E., dass nach einer primären Phase, die u. U. nach interdenominationeller Zusammenarbeit verlangt, die konfessionelle Frage zuletzt doch bestehen bleibt, nach welchen Kriterien man nun in Dogmatik, Liturgie usw. verfährt. Ein praktisch-theologischer Kurzschluss (der hiermit den Referenten der ELCOE nicht grundsätzlich attestiert werden soll) übersieht die Notwendigkeit, um der „Einheit in der Wahrheit“ willen, theologische Urteile treffen zu müssen (auch im Bereich der Ekklesiologie) und diese durchzuhalten; auch wenn es sich dabei um ein spannungsreiches Geschäft handelt. 3.2.2.1.6 Cape Town Commitment Zur Vorbereitung des III. Lausanner Kongresses für Weltevangelisation in Cape Town 2010 traf sich vom 26.-30. Januar 2009 eine Konsultation in Panama City, deren Ergebnisse in LOP 64:4-13 (ebenso ERT 34/2010) angezeigt werden. Im Anklang an die Trias des MM I/21 (und der LV Art. 6) sah sich die „Lausanne Theology Working Group“ (in Verbindung mit der theologischen Kommission der WEA) verpflichtet, in den Jahren 2008-2010 den drei Totalitäten, „der ganzen Kirche“, „der ganzen Welt“ und „dem ganzen Evangelium“ nachzugehen. Die Implikationen des Terminus „ganze Kirche“ wurden in der Panama382 Zur noch durchaus positiven Einschätzung für partnerschaftliche Mission im volkskirchlichen Kontext durch Parzany in Stuttgart 1988 bei der „European Leadership Conference on World Evangelisation“ s. Walldorf 2002:215-220, bes. :219. 383 Folgerichtig betont das „Bad Boller Commitment“ (BBC 4 u. 5) in einer Linie mit der LV Art. 7 den regionalen und funktionalen Aspekt der Zusammenarbeit und unterlässt dabei dogmatische Konstitutionen bzgl. einer Einheit unter bekenntnisverschiedenen Christen. 134 Konsultation verhandelt. Vorweg: Aufgabenstellung war dabei nicht eine evangelikale Ekklesiologie zu erarbeiten, sondern gemäß der Grundausrichtung der Lausanner Bewegung „missional“ zu denken und zu arbeiten (LOP 64:3), somit auch in theologischer Perspektive. Ausgehend von der Wesensbeschreibung der Kirche innerhalb des Nicaeno-Constantinopolitanums (381), der „una sancta catholica et apostolica ecclesia“384 und inspiriert durch den 1. Petrusbrief, der in morgendlichen Bibelarbeiten betrachtet wurde, kam es zu folgenden Verlautbarungen (in Auswahl): a) die eine Kirche: Eingeleitet wird dieser erste Abschnitt mit dem Bekenntnis, die eigene Form und Vorstellung von kirchlichem Leben allzu oft als die einzig richtige angesehen zu haben (auch eine Erinnerung an „imperiale“ Missionsversuche). Stattdessen (:5): „We urge Lausanne to go on being a forum where all kinds and ways of being the church in mission can be recognized, embraced and affirmed (…).“ Notwendige Kritik untereinander soll damit nicht ausgeklammert werden, jedoch sich bewusst nicht an Form- und Stilfragen entzünden. Darauf folgt, ausgehend von dem multinationalen Charakter der einen Kirche, die zwar ihre Basis in der alt. Erwählung des Volkes Israel hat, die Feststellung, dass keine einzelne ethnische Gruppe aktuell einen privilegierten Platz in Gottes Heilsplan einnehmen kann, auch nicht das Volk Israel (im Hintergrund stehen wohl a- oder auch postmillenialistische Anschauungen, die z. B. gerade im 1. Petrusbrief einen Substitutionsgedanken entdecken; vgl. :5).385 Es folgt eine deutliche Absage an jede Form von Ethnozentrismus - nicht nur einer Israelglorifizierung -, der als fundamentale Verleugnung der Einheit der Kirche in Christus bezeichnet wird (:5f). Kritisch wird auch eine andere Form des Zentrismus betrachtet, die Rede von der „neuen Mitte“ des weltweiten Christentums in der südlichen Hemisphäre. Da es - theologisch gesprochen - nur eine wahre Mitte gibt, Christus als Herrn, und darüber hinaus die Christenheit seit dem Zeitalter der Apostelgeschichte zutiefst polyzentrisch ist, kann diese Formulierung nicht unwidersprochen hingenommen werden: „The global nature of the church as ‚one throughout the whole wide world‘ subverts the language of a centre - whether geographical, numerical, or missionary. Mission is from everywhere to everywhere“ (:6). Die Erfahrungen innerhalb der Konsultation mit den eigenen, mitgebrachten Stereotypen lehrten genau dies und offenbarten wenig hilfreiche Dichotomien, die oft Grund und Ursache für 384 Der grie. Originalwortlaut des frühen Symbols unterscheidet sich an einigen Stellen von dem lat. „Credo... unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam“, das allerdings mithilfe des Missale Romanum Eingang gefunden hat in diverse Bekenntnisschriften. Auf Grund des textkritischen Befundes eröffnet sich die nicht nur theologiegeschichtliche Debatte, um den Unterschied und die Konsequenzen, die aus einem „credere in ecclesiam“ - statt „credere ecclesiam“ - folgen ( vgl. hierzu neuerdings Jüngel 2009:21-32, bes. 21f). 385 Die Kritik an anderen eschatologischen Modellen wird offen benannt: „For this reason, we strongly believe that the separate and privileged place given to Jewish people today or to the modern Israeli state in certain forms of dispensationalism or Christian Zionism, should be challenged, inasmuch as they deny the essential oneness of the people of God in Christ“ (LOP 64:5). 135 evangelikale Spannungen und Spaltungen sind (vgl. J. Stotts Überlegungen in seiner kurzen Einheitsschrift; s. o. S. 118). Genannt werden (:6f): Sein und Handeln, Worte und Taten386, Evangelisation und soziale Aktion387, kirchliche und überkirchliche Organisationen. Der Zeugnischarakter der einen Kirche gegenüber der Welt (nach 1. Pet 3,8) und ihre prophetische und eschatologische Dimension im Rahmen der ganzen Schöpfung (nach Eph 1, 10; 22f u. Kol 1, 15-20) werden am Ende dieses Abschnittes kurz erwähnt; die „praktischen, ethischen, ökumenischen usw.“ Implikationen dieses Verständnisses von missionaler Kirche werden leider nicht weiter ausgeführt (vgl. LOP 64:7). b) die katholische Kirche: Einleitend wird der dogmengeschichtliche Begriff „katholisch“ erklärt und bestimmt; die Formulierung des Nicaeno-Constantinopolitanums spiegele in angemessener Weise den modernen Lausanner Ausdruck „The whole church“ wieder, „for ‚wholeness‘ is intrinsic to catholicity“ (:9). In vierfacher Hinsicht kann aus biblischtheologischer Sicht von der „ganzen Kirche“ die Rede sein (:9; Hervorhebung im Original): „[T]he church of God is universal in its membership (for it is open to people from any and every nation); universal in its extent (for it knows no geographical boundary); universal in time and eternity (for it includes all God’s people drawn from all generations of human history who will populate the new creation); and universal in the eyes of God (for the Lord knows those who are his, whether they are visible to us or not). Die hiermit skizzierte Katholizität kommt konkret in der ecclesia visibilis zum Ausdruck, indem bestimmte Gruppierungen nicht länger übersehen oder sogar verhindert werden als Teil der Vielfalt der „ganzen Kirche“. Genannt wird der mögliche Beitrag zum Ganzen durch das Wahrnehmen der Bedeutung von Frauen, Menschen mit Behinderungen, Immigranten, Indigene, spezielle Subkulturen (soziologische Studien hierzu inspirierten die Teilnehmer der Konsultation und sehen teilweise einer Veröffentlichung entgegen; :9). Als theologisches (?) Urteil dieses Abschnittes bleibt zurück: „When such groups are allowed (or forced) to remain voiceless or invisible, then we lose the wholeness of God’s church“, womit nicht weniger als die Effektivität der missionarischen Bemühungen der Kirche als Ganzes gefährdet wird (:9f). Insbesondere steht es dieser „ganzen Kirche“ nicht zu, aufgrund der vielfältigen Begabungen, Berufungen und Dienste, die der eine Geist austeilt „auf Männer und Frauen“ (Apg 2,18) an 386 Das bekannte Diktum von L. Newbigin wird zitiert: „[T]he church by its life and actions is to be the hermeneutic, or the plausibility structure of the gospel.“ 387 Die theologische Arbeitsgruppe spricht sich vehement für einen integralen Ansatz in dieser Fragestellung aus. Hier die Argumentation in vollem Umfang: „We believe that the struggle to articulate the relationship between these two was made necessary in the second half of the 20th century because of the mistaken separation of them that had taken place in the first half. That is why we say we need to go back behind this dichotomy. In our view, they are both integral to biblical mission - in the sense that while they may be conceptually distinguished, they cannot be separated. The relation between them is intrinsic and organic, as much as the relationship, say, between breathing and drinking in the human body. It makes little sense to speak of either having priority or primacy. Both are integral parts of what it means to be alive! Without either, there is death. We therefore urge Lausanne to affirm an integral understanding of mission that inseparably includes both, rather than continuing chicken-and-egg debates about how they relate“ (Hervorhebung im Original; :6f). 136 dieser Stelle zu differenzieren nach Geschlecht, Herkunft oder sozialen Status usw.: „Since the whole church is called to mission, the whole church is gifted for mission“ (:10). 388 Weiterhin wird einer modernen Form von Heiligenverehrung im evangelikalen Kontext widersprochen - es ist die Rede von herausragenden und populären Leitern -, die nicht immer unproblematische Früchte mit sich bringt und der Sache des Evangeliums teilweise eher Schaden zuträgt statt ihr zu dienen. Statt die säkulare Anbetung prominenter Gestalten im religiösen Format nachzuäffen, gilt: „Commitment to catholicity includes commitment to the priesthood of all believers, and priesthood is fundamentally missional, since it involves bringing God to the world and bringing the world to God. And that is a task for the whole church“ (LOP 64:10). Am Schluss steht die Selbstverortung innerhalb der historisch gewachsenen Traditionen der Christenheit mit dem Anerkennen, dass es auch in den „anderen“ Zweigen des Konfessionsbaumes sehr wohl gläubige Nachfolger Christi gibt (wie es um die particulae veri in den Lehrgebäuden jener steht wird nicht angesprochen). Der Abschnitt endet mit der Bitte um Erneuerung „of older historic branches of the world church, particularly Roman Catholic and Orthodox, through the power of God’s Holy Spirit, and through the reforming and missional power of the Bible at work within them“ (:10f; Hervorhebung von mir). Insgesamt ist der Tonfall der erarbeiteten Äußerungen wertschätzend und sicher konstruktiv gedacht. Mit den Verlautbarungen der theologischen Arbeitsgruppe des LKWE (und der WEA) in Panama City wurden ohne Frage aktuelle Fragestellungen und Problemfelder innerhalb der weltweiten evangelikalen Gemeinschaft angesprochen, vor allem aus missionstheologischer Perspektive (mit deutlicher Akzeptanz eines „missionalen“ Ansatzes)389. Eine präzise Bestimmung dogmatischer Fragen aus ökumenischer Perspektive oder, m. a. W., der Versuch einer evangelikalen Ekklesiologie - zumindest im Ansatz -, die tauglich ist für das ökumenische Gespräch wurde jedoch nicht unternommen. Ob ein solches Projekt von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist (auf Grund der faktischen konfessionellen Vielfalt dieser Bewegung) oder bei allen damit verbunden Hürden überhaupt nicht intendiert ist, vonseiten der Lausanner Kommission, beantwortet LOP 64 nicht. Das „Cape Town Commitment“ (CTC) als aktuellste Standortbestimmung evangelikaler 388 Inwieweit sich hier sog. „gender-mainstream“-Denken widerspiegelt oder schlichtweg eine theologische (letztlich exegetische) Grundentscheidung im Hinblick auf die Geschlechterrolle aus biblisch-theologischer Sicht vorliegt, wird nicht näher erläutert. 389 R. Hardmeier (2008:81) kommt zu dem Schluss: „In Pattaya [2004] war es nicht mehr nötig, Transformation als Ziel der Mission zu fordern. Das transformatorische Missionsverständnis wurde vorausgesetzt und strategisch erläutert. Damit scheint die Transformationsorientierung in der evangelikalen Bewegung breite Akzeptanz zu geniessen, auch wenn ein der LV entsprechendes Dokument, dass die transformatorische Mission legitimiert, weiterhin fehlt.“ Ob mit diesem Vorgehen - unabhängig davon, wie man diesen transformatorischen o. a. holistischen Ansatz in der Missiologie nun bewertet - nicht auch eine Parallele vorliegt zum Umgang mit dem Thema Ökumene/Partnerschaft (strategisches Handeln ohne weitere Klärung der Voraussetzungen), steht hiermit zur Diskussion. 137 Gesinnung nach LV und MM erwähnt in Art. 9 von Teil I390 (und ebenso in Abschnitt F 1 von Teil II)391 einiges über die Einheit, Integrität und Solidarität der Gemeinde Jesu. Bestimmendes Motiv - wie für das gesamte Dokument - ist dabei die Liebe zum dreieinigen Gott, zum Nächsten und zur Schöpfung, aus der heraus die Selbstverpflichtung zur Mission neu formuliert wurde. Allerdings bleibt damit unklar, wie sich demnach das Verhältnis der Lausanner Bewegung - und damit eines großen Teils der evangelikalen Gemeinschaft - zu den verfassten Kirchen der Weltchristenheit gestaltet. V. Gäckle (2011:10) resümiert: „Vielleicht ist eine solche Verhältnisbestimmung von Seiten einer Bewegung aus auch gar nicht möglich, weil eine Bewegung wie die Lausanner Bewegung letztlich doch immer von einer etwas amorphen Ekklesiologie getragen wird. Man weiß hier sehr viel über den Auftrag der Kirche zu sagen, ein wenig über das Wesen der Kirche, aber man ist hier eigentlich nicht in der Lage, etwas über die Gestalt der Kirche zu formulieren. Bei den etablierten Kirchen ist die Reihenfolge in der Regel oft umgekehrt: Hier weiß man sehr viel über die Gestalt der Kirche zu sagen, ein bisschen mehr über das Wesen der Kirche, aber oft relativ wenig über den Auftrag der Kirche.“392 390 Bewusst im Originalwortlaut wiedergegeben (vgl. zur „Redaktionsgeschichte“ der dt. Übersetzungen Gäckle 2011:3): a) Love calls for unity. Jesus’ command that his disciples should love one another is linked to his prayer that they should be one. Both the command and the prayer are missional - ‚that the world may know you are my disciples‘, and that ‚the world may know that you [the Father] sent me‘. A most powerfully convincing mark of the truth of the gospel is when Christian believers are united in love across the barriers of the world’s inveterate divisions - barriers of race, colour, gender, social class, economic privilege or political alignment. However, few things so destroy our testimony as when Christians mirror and amplify the very same divisions among themselves. We urgently seek a new global partnership within the body of Christ across all continents, rooted in profound mutual love, mutual submission, and dramatic economic sharing without paternalism or unhealthy dependency. And we seek this not only as a demonstration of our unity in the gospel, but also for the sake of the name of Christ and the mission of God in all the world. b) Love calls for honesty. Love speaks truth with grace. No one loved God’s people more than the prophets of Israel and Jesus himself. Yet no one confronted them more honestly with the truth of their failure, idolatry and rebellion against their covenant Lord. And in doing so, they called God’s people to repent, so that they could be forgiven and restored to the service of God’s mission. The same voice of prophetic love must be heard today, for the same reason. Our love for the Church of God aches with grief over the ugliness among us that so disfigures the face of our dear Lord Jesus Christ and hides his beauty from the world - the world that so desperately needs to be drawn to him [ein Gedanke, der von Peter Kuzmic des Öfteren verwandt wurde]. c) Love calls for solidarity. Loving one another includes especially caring for those who are persecuted and in prison for their faith and witness. If one part of the body suffers, all parts suffer with it. We are all, like John, ‚companions in the suffering and kingdom and patient endurance that are ours in Jesus‘. We commit ourselves to share in the suffering of members of the body of Christ throughout the world, through information, prayer, advocacy, and other means of support. We see such sharing, however, not merely as an exercise of pity, but longing also to learn what the suffering Church can teach and give to those parts of Christ’s body that are not suffering in the same way. We are warned that the Church that feels itself at ease in its wealth and selfsufficiency may, like Laodicea, be the Church that Jesus sees as the most blind to its own poverty, and from which he himself feels a stranger outside the door (Hervorhebung im Original; online im Internet: http://www.lausanne.org/en/documents/ctcommitment.html#p1-9 [Stand: 11.01.2012]). 391 Der zweite Teil, der erst nach dem Kongress erschien, unter dem Titel „Call to action“ - nomen est omen enthält im Kern zur Sache zwei Aufrufe zur Intensivierung der partnerschaftlichen Bemühungen im Sinne des gemeinsamen Missionsverständnis; dogmatische Spezifizierungen oder ein konfessioneller Leitfaden liegen nicht vor. 392 Weiter: „Eine Erklärung für die Leerstelle [sc. in ökumenischer Hinsicht] sind sicher die sehr unterschiedlichen Erfahrungen, welche die von Lausanne bewegten Kirchen und Gemeinden z. B. mit der katholischen oder den orthodoxen Kirchen gemacht haben. Diese Erfahrungen sind wahrscheinlich zu vielfältig, zu unterschiedlich und gelegentlich auch zu schmerzhaft, als dass sich das alles in einem Bekenntnis mit globalem Anspruch ausdrücken ließe. Doch eben diese Situation wurde im MM wenigstens offen angesprochen, während das Thema hier noch nicht einmal thematisiert wird. Deshalb bleibt natürlich auch der Aufruf zur Einheit etwas unbestimmt und richtungslos.“ Der Verfasser dankt dem Autor, Dr. Volker Gäckle, für die 138 Bei aller Wertschätzung für die in Kapstadt getroffenen Äußerungen und deren bleibender Gültigkeit: Ein theologisch begründetes Voranschreiten hinsichtlich der möglichen Partnerschaft in inner- und außerevangelikalen Beziehungen zwischen Kirchen und Verbänden usw. liegt mit dem CTC (und dessen Vorarbeiten) nicht vor. 393 Oder mit M. Herbst (2011:73) gesprochen, der hier vorsichtig urteilt: „Die Chance zur Konvergenz wurde insgesamt nicht genutzt.“394 3.2.2.1.7 Abschließende Analyse Aufgabe der abschließenden Analyse ist nun nicht die theologische o. a. missiologische Bewertung der gesamten Bewegung. Im Mittelpunkt stand die Untersuchung des Einheitsverständnisses des LKWE in seiner Entwicklung. In Summe: Die vor allem von H. Blocher, H. A. Snyder und R. Padilla vorgegebenen Leitlinien wurden in dogmatischer Hinsicht nicht weiter verfolgt. Eine Explikation der oft kurz geratenen „Gedankenanstöße“ von J. Stott wäre wünschenswert und hilfreich zur theologischen Begleitung der jungen Bewegung hinsichtlich ihres Ökumeneverständnisses und der damit verbundenen Praxis. Sicher haben einige „Schüler“ und Sympathisanten des LKWE exegetische Einsichten und dogmatische Besinnungen von J. Stott u. a. aufgegriffen und im Rahmen ihres Genres vertieft, in Bezug auf das ökumenische Experiment „Lausanner Komitee für Weltevangelisation“ steht diese Aufgabenstellung in einem umfassenden Sinn aber erst noch bevor.395 Nicht nur der innerste Kreis von H. Blochers Modell (Sakramentsverständnis, Ämterfrage usw.), sondern ebenso die äußere Membran (Gottes- und Offenbarungslehre, Religionsverständnis, Schöpfungsverantwortung usw.) stellen nach wie vor Herausforderungen für den inner- und außerevangelikalen Dialog dar. Ob weitere Differenzierungen notwendig sind, wie H. Blocher andeutet aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen von Freiheit und Erwählung des Menschen (und den damit verbundenen Evangelisationspraktiken) oder im Hinblick auf Grundentscheidungen in der Pneumatologie Bereitstellung des Artikels (die Seitenzahlen richten sich nach dem vorliegenden Ausdruck des zugesandten Manuskriptes). 393 Auch mit dem Internet-Beitrag von John H. Armstrong zu „Lausanne Global Conversation“, der in dem Aufruf mündet „Mission Must Become Post-Denominational“, wird das konfessionelle Problem sachlich nicht gelöst. Der Versuch einen missionalen Ökumenismus zu kreieren, klingt m. E. spannend, wird aber nur - da es sich um einen Blogartigen Beitrag handelt angerissen (s. http://conversation.lausanne.org/en/conversation/detail/12013 [Stand: 11.8.2011]). 394 Nach seiner Beobachtung waren die Vorträge von J. Stott noch gespickt „mit positiven, abwägenden und kritischen Bezügen zu wesentlichen Texten aus der Ökumene“ (Herbst 2011:73), was in Kapstadt so nicht geschah. Auch der Auftritt des Generalsekretärs des ÖRK im Vorprogramm änderte daran nichts. 395 Damit sollen die Ansätze von MM II/B.8-9 und LOP 64 nicht geschmälert werden, aber das bestehende Desiderat trotzdem benannt werden. 139 oder besser der pneumatischen Praxis396, wird mit dieser MTh-Diss. zur Diskussion gestellt. Als modellhaft und von nicht nachlassender Aktualität kann die Auseinandersetzung manche bezeichnen es als „Zerreißprobe“ (Berneburg 1997:106) - um Art. 5 der LV bezeichnet werden, ein Testfall für die innerökumenische Kraft und Ausrichtung der Lausanner Bewegung.397 Nicht weniger als die dogmatische Frage steht im Raum, ob es sich hierbei um eine primäre oder sekundäre Fragestellung handelt (vgl. :365-373). Die momentan gegebene „evangelikale Vielfalt“ erinnert an die Genfer Bewegung in ihrer Anfangszeit. M. Herbst (2011:78f) fragt unmittelbar danach, ob die evangelikale Bewegung neueren Datums nicht dabei ist, „die alten Fehler der ökumenischen Bewegung (..) nachzuholen, nur etwas langsamer und zögerlicher, also den Verzicht auf die Gerichtsdimension des Evangeliums, die Ethisierung, den Optimismus hinsichtlich diesseitiger Reformierbarkeit des Einzelnen und der Welt als ganzer?“398 Die Beobachtungen zur Enttheologisierung des „Ökumenebegriffes“ decken sich mit der generellen Einschätzung von V. Gäckle, M. Herbst u. a.399, die Lausanner Bewegung sei untheologischer und damit pragmatischer geworden, was nicht als Disqualifikation der gesamten Bewegung missverstanden werden darf. Die auf den Kongressen angetroffene Frömmigkeit wird von fast allen Teilnehmern als herausfordernd und belebend zugleich beschrieben.400 Ein Ineinandergreifen von Orthodoxie und Orthopraxis (im Sinne BUCERS?) wäre hier u. U. wegweisend und zukunftsträchtig für eine dogmengeschichtlich betrachtet noch relativ junge Bewegung. Welche Bedeutung das Wesen der Lausanner Konferenztheologie für den theologischen 396 Vgl. zu den hiermit verbundenen Differenzen in Manila Marquardt und Parzany 1990:253f; 311-313. Vgl. hierzu die immer noch gediegenen Ausführungen von Stott 1975:34-40 und die aktuelle Beurteilung des CTC in dieser Hinsicht (Gäckle 2001:7f). 398 Dem widerspricht Hardmeier (2008:206) in Bezug auf das „neue“ Missionsverständnis, der Berneburgs Kritik (1997:364) an dieser Stelle für überzogen hält. Im Gegenteil, es kann nicht nur von einem „positiven“ Rückfluss durch ökumenische Optionen auf die radikalen Evangelikalen und ihre Überzeugungen gesprochen werden, sondern es muss ebenso von einer verstärkten Beeinflussung der ökumenischen Bewegung durch evangelikale Vertreter und ihre Positionen gesprochen werden (vgl. Hardmeier 2008:170f, Anm. 163 u. s. o. S. 113, Anm. 349). 399 Beyerhaus (1996:634) fordert nur unter Bezugnahme auf LV Art. 7, „daß in der ökumenischmissionarischen Zusammenarbeit größter Wert auf das ‚common witness‘ im inhaltlichen (d.h.: nicht nur im strategischen!) Sinn des Wortes zu legen ist. Umgekehrt wäre ein gemeinsames evangelistisches Projekt zum Scheitern verurteilt, bei dem das Zeugnis theologisch dissonant erklingt.“ H. Burkhardt (in: ETM 5/2 1999) erinnert an ein frühes Lamentum eines Pioniers der evangelikalen Bewegung: „Ich selbst erinnere mich noch gut der Klagen von K. Bockmühl darüber, wie sehr z.B. die Teilnehmer selbst der Arbeitsgruppe über theologische Ausbildung fast ausschließlich methodisch-pädagogisch interessiert zu sein schienen, und wie glücklich er war, wenigstens in dem Leiter der Gruppe, dem Neuseeländer B. Nicholls, einen Verbündeten im Kampf um ernsthafte theologische Arbeit zu entdecken“ (zur daraus resultierenden Mitarbeit K. Bockmühls in der Theologischen Kommission des LKWE s. ETM 5/2 1999, Anm. 9). 400 Nicht alle Besucher und Beobachter des Phänomens „Lausanne“ teilen diese Einschätzung: Eine frühe Analyse der gesamten Bewegung bspw. aus Sicht luth. Neoorthodoxie (s. Sauerzapf 1975:215) kommt zu dem Schluss, dass es sich um eine zu inhomogene Bewegung, die zu stark vom Enthusiasmus der Erweckungsbewegungen geprägt sei, handele (John R. Mott in seiner Vorreiterrolle dient hier als Beispiel, der sich von Dwight L. Moody beeinflussen ließ). 397 140 Prozess, konkreter den dogmatischen Ertrag und die kirchliche Rezeption hat, konnte nur angedeutet werden; inwiefern hier die neuen Medien (vgl. bspw. „Lausanne Global Conversation“) beschleunigend o. a. andersartig einwirken, stellt vor eine Frage ganz eigener Art, dem Wesen von Dogmatik im digitalen Zeitalter. 3.2.2.2 Deutsche Evangelische Allianz Mit der DEA steht eine nationale Alternative zum ÖRK, präziser der ACK in Deutschland 401 im Blickfeld. Historisch betrachtet, handelt es sich im Blick auf die Ursprünge um eine weitaus ältere Vereinigung als die Lausanner Bewegung und ihre nationalen Dependancen. Auf die Verbesserung des Klimas zwischen DEA und ACK, wohl vor allem durch die Kooperation von Einzelpersonen (vgl. 3.2.1.2) und den damit verbundenen Abbau von Vorurteilen innerhalb der dahinterstehenden Kirchen und Gemeinschaften, kann hier nicht näher eingegangen werden.402 Die historische und dogmatische Betrachtung konzentriert sich auf das Einheitsverständnis, zunächst einmal stehen die Anfänge der „Evangelischen Allianz“ im Mittelpunkt. 3.2.2.2.1 Geschichtliche Wurzeln und theologische Verortung Die Entstehungsgeschichte der EA reicht zurück in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zunächst firmierte sie unter dem Titel „Evangelischer Bund“ - aus dem Geist der schottischen Erweckungsbewegung heraus geboren. Unter der Führung von Thomas Chalmers traten 470 Pastoren - „the Evangelicals“ - im Jahr 1843 aus der ref. schottischen Staatskirche aus und gründeten eine Freikirche (zu den Motiven vgl. Hauzenberger 1986:34-37). Daneben kam es auch innerhalb weiterer schottischer Denominationen, wie der Kongregationalisten, Baptisten u. a., zu einer Neubesinnung auf die Grundelemente christlicher Existenz. Mit der 200-JahrFeier im Gedenken an die Westminster Confession of Faith im Juli 1943 in Edinburgh - sie fand noch vor der Trennung statt - kulminierte der ökumenische Gedanke: Das immer wieder Thomas Chalmers zugeschriebene Motto „Co-operation without incorporation“ (Zusammenarbeit ohne Zusammenschluss) redigierte jener hier in der Form, dass die bloße Zusammenarbeit für ihn zu wenig sei. Als erster Schritt auf dem Weg zum Zusammenschluss sei sie jedoch zu begrüßen; da man als „evangelikale“ Christen in den wesentlichen Fragen auf einem Boden stehe und vor allem die Heimatmission als gemeinsames Anliegen trage, 401 Zum Verständnis und zur Anwendung der „Charta Oecumenica für die Zusammenarbeit der Kirchen in Europa“ im deutschen Kontext vgl. Frieling 2004:104-111. 402 Laut Pressemeldung im Internet nach einer Begegnung der Hauptvorstände ist von einer „klimatischen Verbesserung der Zusammenarbeit“ die Rede (http://www.oekumene-ack.de/Volltextsuche.78.0.html [Stand: 07.02.2012]); vgl. auch Strauch 2004:78f. 141 gelte es die verschiedenen Auffassungen hinsichtlich Kirchenleitung und -organisation zunächst auszuhalten (Hauzenberger 1986:37-39). Im Hintergrund dieses innerevangelischen Aufbruchs, der noch um weitere Beispiele zu ergänzen wäre, steht das gleichzeitige Erstarken der röm.-kath. Kirche (unter Gestalten wie bspw. John H. Newman). Der schlussendlichen Gründung der EA in London (19.8 - 2.9.1846) ging ein Anschreiben durch sieben schottische Kirchen vom 5.8.1845 voraus, das an die evangelischen Kirchen in England, Wales und Irland gerichtet war: 403 Der geplanten Gründungsversammlung in London sollte ein Vorbereitungstreffen in Liverpool vorausgehen, zu dem schließlich 216 Teilnehmer aus 20 Denominationen erschienen (:70-77). Als Aufgabe eines Komitees (vgl. LKWE) wurde bestimmt, eine theologische Grundlage für die Londoner Versammlung zu erarbeiten: Acht Lehrpunkte konnten zügig fixiert werden, die von dem schottischen Freikirchler und Theologen Robert S. Candlish stammten. Diese blieben naturgemäß nicht unwidersprochen und sollten nicht als Credo missverstanden werden; es handelte sich eher um Lehraussagen, die auf ein Defizit in der Theologie der damaligen Zeit hinwiesen. Darüber hinaus wurde vereinbart, dass niemand zur Aufgabe seiner konfessionellen Position bewegt werden dürfe. Ziel sei keine Vereinigung von Kirchen, sondern nur von einzelnen Christen (s. :415-419). In London trafen sich demnach im großen Saal der Freimaurer (vgl. zur Neutralität des Ortes :319, Anm. 1) 920 Teilnehmer, davon 786 aus Großbritannien, 87 aus Nordamerika, 13 aus dem deutschsprachigen Raum, 34 aus dem restlichen Europa und anderen Kontinenten. Aus der deutschen Sektion ergriffen der hallensische Erweckungstheologe Friedrich A. G. Tholuck, Pastor E. W. T. Kuntze aus Berlin und der Begründer des deutschen Baptismus, Johann G. Oncken, das Wort. 19 Sitzungen führten zu vier Hauptbeschlüssen und einigen allgemeinen Beschlüssen (Texte in :452-467; vgl. zu den Gegebenheiten vor Ort :88-93). 404 Unter Bezugnahme auf Joh 17,21 regt der dritte Hauptbeschluss an, den geistlichen Austausch der „wahren Jünger Jesu“ weiter zu vertiefen, Entmutigungen auf diesem Weg zu widerstehen und dem Liebesgebot folgend ein tieferes Verständnis für die Notwendigkeit christlicher Einheit zu entwickeln.405 Eine Darstellung 403 und Auseinandersetzung mit der Den Text samt Unterzeichnern bietet Hauzenberger 1986:398f. Als Gründe für ein notwendiges, evangelisches „Konzil“ in London wird zum einen die Sammlung der „Kräfte eines erleuchteten Protestantismus gegen die Übergriffe des Papstthums und Puseyismus“ genannt, zum anderen „die Interessen eines biblischen Christentums zu fördern“ (dt. Übers.; :69). 404 Der erste Hauptbeschluss drückt den Wunsch aus die wesentliche Einheit der Kirche soweit wie möglich, sichtbar werden zu lassen. Der zweite formuliert neun Lehrpunkte, deren Anerkennung zur Mitgliedschaft innerhalb der Allianz führt (die „Basis). Mit dem dritten Beschluss werden erste Konkretisierungen vorgenommen, Themen wie die Sonntagsheiligung, Formen des Unglaubens und christliche Erziehung werden hier aufgegriffen; auch die Einrichtung einer Allianz-Gebetswoche wird hier ein erstes Mal erwähnt. Der vierte Hauptbeschluss dreht sich um die weitere Organisation der neuen Allianz in Zweigvereinen. 405 „That the great object of the Evangelical Alliance be, to aid in manifesting, as far as practicable, the Unity which exists amongst the true disciples of Christ; to promote their Union by fraternal and devotional intercourse; to discourage all envyings, strifes, and divisions; to impress upon Christians a deeper sense of the great duty of obeying our Lord’s command, to ‚love one another‘; and to seek, the full accomplishment of His prayer; ‚That 142 Redaktionsgeschichte der „Basis“ der EA - der zweite Hauptbeschluss - soll hier nicht erfolgen (vgl. dazu Hauzenberger 1986:109-128; der Autor bietet eine Synopse der Redaktionsstufen). Nicht nur bilden die heftigen Debatten um den von den amerikanischen Abgeordneten eingebrachten eschatologischen Art. 8 (ursprünglich 9) eine ganz eigene Thematik, sie verweisen auch exemplarisch auf die von Anbeginn existierende Spannbreite der EA und ihrer Anhänger, die sich zum gegebenen Zeitpunkt noch in statu nascendi befand. Inwieweit eine solche Basis überhaupt notwendig sei, wurde je nach Bekenntnisstand unterschiedlich beurteilt: „Auf der einen Seite standen Vertreter von Kirchen für die solche Texte kanonische Bedeutung besassen. Auf der anderen Seite fanden sich Vertreter von Gemeinschaften, in denen solche Glaubensbekenntnisse überhaupt abgelehnt wurden“ (:123). Grundelement der theologischen Äußerungen, bzgl. dessen, was man gemeinhin laut Präambel als „evangelisch“ (i. O.: „evangelical; :455) ansieht, ist auch ohne explizite Nennung innerhalb der neun Artikel die Abgrenzung gegenüber dem römischen Katholizismus sowie dem protestantischen Liberalismus. Erst die theologiegeschichtliche Einordnung erhellt den Impetus der einzelnen Aussagen und entpuppt die „Basis“ bei aller Konsensbereitschaft auch als Dokument der Abgrenzung. Bleibende Elemente in der Entwicklung der EA (über die WEF und EEA) bis hin zur heutigen „World Evangelical Alliance“ sind das Drängen auf eine Übereinstimmung von Lehre und Leben und eine gewisse Kritik an volks- und staatskirchlichen Strukturen (je nach Region und Konfession unterschiedlich gewichtet), beides dem pietistischen und erweckungstheologischen Erbe der Allianz geschuldet.406 Im Hinblick auf die initiale Veranstaltung „auf der Insel“ und ihre Vorgeschichte bleibt festzuhalten: „Insgesamt hat die Londoner Versammlung als erstes weltumspannendes überkonfessionelles Treffen des Protestantismus epochale Bedeutung“ (Cochlovius 1982:651; vgl. auch Voigt 1990:11, Anm. 7). 3.2.2.2.2 Kirchen- und Einheitsverständnis der DEA Ohne auf weitere Details der wechselhaften Geschichte und das theologische Profil der DEA als Zweig der ursprünglichen „Evangelischen Allianz“ einzugehen (vgl. hierzu Beyreuther 1969; Voigt 1990; Beyer 1995 u. für einen kurzen Überblick Cochlovius 1986), deren they all may be one in Us: that the World may believe that Thou hast sent me‘“ (in: Hauzenberger 1986:458). 406 Voigt (2009:171f) sieht in der angelsächsischen (nicht zu verwechseln mit der kontinentalen) Föderaltheologie die theologische Grundlage für die Entstehung einer interdenominationellen Gemeinschaft wie der EA - ein Blick auf die sog. „Gründerväter“ (vgl. Hauzenberger 1986:47-65) unterstreiche dies; daneben müssen auch ohne Frage strukturelle Erwägungen in Betracht gezogen werden, das Vorgehen im methodistischen Umfeld und Aufbruch - connectionale Strukturen und Konferenzwesen als Mitte - wirkte sicher attraktiv auf manche Gemeinden und Gemeinschaften anderer Denominationen im 19. Jahrhundert. Von hier aus verfolgt Voigt (2009:172-186) die Linien, die bis zur Gründung der DEA im Jahr 1851 (erste gemeinsame Konferenz 1853 in Berlin) und darüber hinaus geführt haben (vgl. auch neuerdings Voigt 2008, bes. Kap. 1 u. 6). 143 Vorgeschichte soeben in aller Kürze geschildert wurde, soll nun der Focus auf das Kirchenund Einheitsverständnis der DEA gerichtet werden. Beides ist untrennbar miteinander verbunden, eine redundante Bemerkung, und soll anhand der Neufassung der „Basis“ von 1970 durch die EA (in Deutschland 1972 angenommen) erörtert werden. Nach den Lehrsätzen der „doctrinal basis“, die sich zu Schriftverständnis, Gotteslehre, Harmatologie, Rechtfertigung, Christologie und Pneumatologie äußern, folgt ein Abschnitt zur Ekklesiologie: „7. Das Priestertum aller Gläubigen, die die weltweite Gemeinde (i. O.: „the universal church“) bilden, den Leib, dessen Haupt Christus ist, und die durch seinen Befehl zur Verkündigungen [sic!] des Evangeliums in aller Welt verpflichtet ist“ (Laubach 1972:103; dt. Übers. nach H. Steubing). Art. 9 der Fassung von 1846 wurde obsolet mit seinen drei ökumenischen Reizworten Amt, Taufe und Abendmahl: „Die göttliche Einsetzung des christlichen Predigtamts und die Verbindlichkeit und Beständigkeit der Anordnung von Taufe und Abendmahl“ (:103; vgl. hierzu Hauzenberger 1986:241-251). Ebenso Art. 2, der das „private judgement“ in Fragen der Auslegung der Schrift betonte und als Zugeständnis an die verschiedenen Ekklesiologien der Vertreter von Staats- und Freikirchen aufgefasst werden muss. Weiterhin ausgelassen wurden seit 1970 drei abschließende Paragraphen zum Verständnis der Glaubensbasis und der damit verbundenen Konzeption von Einheit.407 Die im Zusammenhang mit den Dokumenten des LKWE immer wieder aufgetauchte Fragestellung nach der spezifischen Signatur einer evangelikalen Ekklesiologie wurde in Allianzkreisen - hier kann nur für den dt. Sektor gesprochen werden - anhand der „Basis“ hier und da verhandelt. Im Rahmen einer Konferenz der „Gemeinschaft europäischer evangelikaler Theologen“ (GEET) vom 1.-5.8.1988 in Wölmersen wurde diese Fragestellung in den Mittelpunkt gerückt. Nach dem Bericht hierüber (vgl. Reinhardt 1989:115-125) kam es bei aller Vielfalt der Beiträge nicht zu einem systematisch-theologischen Entwurf in dieser Hinsicht; festgehalten wurde jedoch, dass nicht „eine umfassende neue evangelikale Lehre von der Kirche .. gefordert [sei], sondern der spezifische evangelikale Beitrag zur Ekklesiologie“ (:115; Hervorhebung im Original). Worin besteht dieser Beitrag nun, folgt man dieser Erkenntnis der Konferenz? 407 Sie lauten (Laubach 1972:103-105): „(1) Es wird jedoch ausdrücklich erklärt, daß diese kurze Zusammenfassung keineswegs in irgendeinem formalen oder kirchlichen Sinn als Glaubensbekenntnis oder Konfession verstanden werden darf; ebensowenig beinhaltet ihre Annahme, daß wir uns das Recht anmaßen, autoritativ die Grenzen christlicher Bruderschaft festzulegen. (2) Es wird ferner ausdrücklich erklärt, daß in dieser Allianz kein Kompromiß in den Auffassungen irgendeines Gliedes oder Druck (sanction) auf die eines anderen Gliedes in strittigen Punkten gefordert oder erwartet wird. Sondern alle sollen frei bleiben, ihre Glaubensüberzeugungen nach wir vor aufrechtzuerhalten und zu vertreten mit der nötigen Nachsicht und brüderlicher Liebe. (3) Es wird nicht beabsichtigt, daß diese Allianz den Charakter einer neuen kirchlichen Organisation annimmt oder anstrebt, indem sie beansprucht, in irgendeiner Weise die Funktionen einer christlichen Kirche auszuüben. Es besteht die feste Überzeugung, daß ihr einfaches und gewichtiges Anliegen erfolgreich vertreten werden kann, ohne daß sie sich in die Ordnung irgendeines Zweiges der christlichen Kirche, zu dem ihre Glieder jeweils gehören, einmischt oder sie stört.“ 144 Claus-Dieter Stolls Auslegung von Art. 7 (die nicht als offizielle Verlautbarung der DEA missverstanden werden darf; Laubach und Stadelmann 1989:6) folgt nicht streng der Formulierung des Artikels (vgl. :68-73). Vielmehr handelt es sich um eine kurze biblischtheologische Gemeindelehre, die wohl von den meisten Mitgliedern der DEA positiv aufgefasst würde. Verschiedene Aspekte kommen zur Sprache: Gemeinde Jesu als Herausforderung für die Welt; Gemeinde Jesu in konkreter Gestalt vor Ort - hier wird einer möglichen Überbetonung gemäß der „Basis“ des universalen Charakters des Leibes Christi widersprochen (:68f) -; Gemeinde Jesu in ihrer Vorläufigkeit als soziales Geschehen; Gemeinde Jesu als lebensnotwendiger Organismus für die einzelnen Glieder; Gemeinde Jesu und ihre geistliche Dimension; Gemeinde Jesu als Priesterschaft aller Gläubigen - so beginnt der 7. Art. -, in der Amtsträger dienende und nicht herrschende Funktion haben; Gemeinde Jesu bildet in ihrer Vielfalt - hier wird konkret das konfessionelle Spektrum der „Allianz“ angesprochen - die Einheit des Leibes Christi ab; Gemeinde Jesu bedarf der äußeren Ordnung, keine Organisationsform darf gegen eine andersartige ausgespielt werden (s. o. S. 144, Anm. 407, Abs. 3); Gemeinde Jesu als Gesamtzusammenhang, in dem jede Lebensäußerung zur Gesundheit des Leibes beiträgt. Stolls Einsichten finden ohne Frage Ausgangspunkte in den kurzen Sätzen des 7. Artikels und bieten einen kurzgefassten Konsens für ein evangelikales Verständnis der Gemeinde Jesu. Weiterführende ekklesiologische Bestimmungen, Hinweise für das interkonfessionelle Gespräch und vor allem einen Rahmen für den Umgang mit Brennpunkten bietet er jedoch nicht. Mit den einleitenden Überlegungen von Rolf Hille zu den „Perspektiven evangelikaler Ekklesiologie“ anlässlich der 10. Theologischen Studienkonferenz des AfeT vom 7.-10. September 1997 in Bad Blankenburg - ca. 10 Jahre nach der erwähnten GEET-Tagung - liegen weitere „offizielle“ Ausführungen zum Kirchen- und Einheitsverständnis der DEA vor. Hille (1998:2) stellt zu Beginn, in dem hierzu erschienenen Sammelband fest: „Die Evangelische Allianz ist nicht Kirche und strebt nicht an, neben anderen bestehenden Kirchen Kirche zu werden. Sie versteht sich vielmehr als Sammlungsbewegung glaubender Christen mit lebendiger Frömmigkeit, biblisch orientierter Theologie, profiliertem missionarischen Auftrag, einem reformatorisch verankerten ökumenischen Horizont und einer eschatologisch bestimmten Zukunftserwartung.“ Der erste Satz erinnert an den dritten Abschluss-Paragraphen, der in der Neufassung der Glaubensbasis von 1970 nicht mehr erwähnt wird (s. o. S. 144, Anm. 407). Darauf folgt in konzentrierter Form eine Identitätsbestimmung evangelikaler Theologie und Frömmigkeit aus Allianz-Perspektive. Hille (:2) fährt fort, indem er die Aussagen des ekklesiologischen Abschnittes der „Basis“ folgerichtig in den Zusammenhang einordnet, zunächst in den Aussagehorizont der beiden vorhergehenden Artikel 5 u. 6: 145 „Die Verschränkung von christologisch begründeter Rechtfertigung und pneumatologisch erfahrbarer Wiedergeburt - konzentriert auf den einzelnen Menschen - markiert die theologische Position der evangelikalen Theologie, die sich im Schnittpunkt von reformatorischer und pietistisch-erwecklicher Tradition versteht.“ Darüber hinaus macht Art. 1 der „Basis“ deutlich, „daß sich die evangelikale Bewegung zum altkirchlich-ökumenischen Dogma der Trinität mit seiner implizierten Christologie bekennt“ (Hille 1998:2f). Herzstück und Mitte bilden allerdings vor diesem Hintergrund die vorgenannten Lehrstücke, in denen forensische und effektive Rechtfertigung nicht nur als Formalprinzip aufgefasst werden (:3). Die Implikationen für die Ekklesiologie folgen nun: a) Ekklesiologie „von unten“ - Ansatz beim persönlichen Christsein: Wie bei den Verfassern der „Basis“ von 1846 intendiert, wird zuallererst einem (nicht nur röm.-kath.) Heilsinstitutionalismus, der oben ansetzt, eine Absage erteilt. „Die Bewegung vom einzelnen zum Kollektiv ist in diesem Kontext nicht umkehrbar“ (:3). Die Gemeinde bzw. Kirche ist Gemeinschaft der Glaubenden, nicht primär Heilsanstalt. Unbesehen davon muss auch eine evangelikale Position einsehen, dass dem Individuum immer auch eine Institution vorangeht, deren Verkündigung erst zum „persönlichen“ Glauben führt. Die ekklesiologische Stoßrichtung von unten nach oben kann damit aber nicht ausgehebelt werden. b) Allgemeines Priestertum - weder religiöser Individualismus noch hierarchische Kircheninstitution: Von den bis hier hin skizzierten Linien gelangt Hille (:3f) nun zum Wortlaut des 7. Artikels. Das „Priestertum aller Gläubigen“ als Ausgangspunkt verweist einerseits auf „die neutestamentliche Heilsgemeinde in ihrer Ganzheit als Priesterschaft .. , deren Wesen in der Vermittlung der Heilsbotschaft an die Welt besteht“; andererseits „handelt es sich um ein Corpus, das vom Glauben seiner einzelnen Glieder durchdrungen ist und dessen Band der Einheit eben darum der persönliche Glaube ist.“ Mit dem Ringen um einen „Kirchenbegriff“ zwischen Heilsindividualismus und verfasstem Kollektivismus beginnt ein Abschnitt, der sich dezidiert zur systematisch-theologischen Einordnung von Art. 7 der Glaubensbasis äußert: Die „Betonung des Individuellen“ zu Beginn darf nicht als Zugeständnis an einen neuzeitlichen o. a. postmodernen Individualismus verstanden werden (F. D. E. Schleiermacher wird hier als Negativbeispiel angeführt). Im Gegenteil, die Allianz halte nach wie vor fest an altprotestantischen Positionen, d. h. am Objektivum der Heilstatsachen und am Handeln Gottes am Menschen in Bekehrung, Wiedergeburt und Heiligung (:4). Ist von der „weltweiten Gemeinde“ in Art. 7 die Rede, so beinhalte diese Formulierung, dass „die Gemeinschaft der Gläubigen .. bei aller unabdingbar individuellen Konstitution doch in ihrer Konkretion eine universale Größe ist“ (:4). Eine Vielzahl von Erscheinungsformen des Leibes sind hier impliziert (vgl. Stoll 1989:72f) - das Wesen der (D)EA, ihre soziale Gestalt wird angesprochen: „Hauskreise, spezifische Zielgruppen, 146 Ortsgemeinden, regionale Gemeindebünde bis hin zu international tätigen Verbänden und Missionsgesellschaften“ (Hille 1998:4). Um diese Spannbreite auf Allianzebene zu ermöglichen, gilt: „Die strukturelle Verfaßtheit des Leibes Christi bleibt in der kurzgefassten Ekklesiologie der Glaubensbasis .. bewußt offen“ (:4). Kirchenorganisation hat aus dieser Sicht heraus vor allem dienende, nicht herrschende Funktion. c) Universale Mission - der ekklesiologische Horizont: Am Ende von Art. 7 wird der Blick auf den missionarischen Auftrag der Kirche bzw. der Gemeinde gerichtet als „Kirche für andere“, allerdings nicht in einem sozialpolitisch-immanenten Verständnis, sondern nach wie vor vorrangig im evangelistischen Sinne der sog. „Glaubensväter“ der Allianzbewegung. „Verkündigung des Evangeliums in aller Welt“ beinhaltet nach Hille (:5) auch ggf. sozialpolitisches Handeln, eine deutlichere Aussage hierzu wie im Falle der LV Art. 5 unterlässt die Glaubensbasis. Ihre ökumenische Stärke ist an dieser Stelle ihre theologische Kürze. d) Evangelische Profilierung der klassischen ekklesiologischen Attribute: Mit dem Versuch die evangelikale „Basis“ der Allianz bewusst als evangelisches Dokument wahrzunehmen (nicht konfessionell verstanden, sondern im Sinne von evangeliumsgemäß), endet die Argumentation R. Hilles.408 Anhand der Formulierung des Nicaeno-Constantinopolitanums wird entfaltet (:5; Hervorhebung von mir): „Die Heiligkeit der Kirche gründet in der Rechtfertigung, Wiedergeburt und Heiligung, die ausschließlich Wirkungen des Geistes sind. Die Einheit gründet in der Einzigartigkeit der Christusbeziehung aller Glaubenden. Sie findet ihre Katholizität in der weltweiten Gemeinschaft aller Gläubigen; und damit gerade nicht in einer vorgegebenen sakralen Struktur einer Weltkirche. Die Apostolizität bezieht sich strikt auf das inspirierte Wort der Apostel und Propheten in der Schrift (so das skriptologische Statement in der Glaubenbasis).“ Mit dieser Deutung der „una sancta catholica et apostolica ecclesia“ soll der Nachweis erbracht werden, dass sich die Allianz mit ihren Anliegen als evangelikale Vereinigung im Strom der altchristlichen Bekenntnisse und damit ökumenischen Symbole bewegt. Ob damit ein möglicher „consensus antiquitatis“ angedeutet werden soll für das inner- und außerevangelikale Gespräch, wird nicht näher erläutert. Die Frage bleibt im Raum - nach diesen durch und durch erhellenden und weiterführenden Anmerkungen zur „Basis“ der DEA -, worin „ein reformatorisch verankerte[r] ökumenische[r] Horizont“ (:2) aus evangelikaler Sicht besteht? Jochen Eber (1998:197) fragt in seinem Beitrag „Kirche als Institution oder Ereignis?“ des Sammelbandes anlässlich der AfeTStudienkonferenz von 1997: „ .. [K]önnen wir vielleicht doch gemeinsam mehr von der Kirche und den Kirchen sagen?“ Ist eine präzisere Bestimmung des Kirchen- und 408 Die nachfolgenden Gedanken richten sich auf die praktisch-theologischen Konsequenzen für den Gemeindebau (vgl. Hille 1998:6-8) und müssen hier nicht weiter besprochen werden. 147 Einheitsverständnis auf der Grundlage der Glaubensbasis der DEA überhaupt möglich oder notwendig? Ausgehend von der Analyse der ursprünglichen „Basis“ von 1846 und der revidierten Fassung von 1970, kommt Eber (1998:197; Hervorhebung im Original) zu zwei Schnittmengen: „(1.) Den Rückzug auf das christliche Individuum und sein individuelles Bekenntnis, das Grundlage seiner Allianzzugehörigkeit ist. (2.) Die Affirmation der Existenz einer weltweiten Gemeinde, des Leibes Jesu Christi.“ Er führt weiter aus: „Das eigentliche ekklesiologische Problem: Mehr über die Kirche auszusagen als daß sie der unsichtbare Leib Christi sei und daß es anderseits hier auf Erden gläubige Individuum gibt, wird nicht gelöst. Wie können die existierenden ‚Zweigkirchen‘ und ‚Denominationen‘ (…) sich gegenseitig als Kirche erkennen? Diese Frage bleibt unbeantwortet.“ Gegenüber dem angelsächsischen Modell des 19. Jahrhunderts, der Verhältnisbestimmung verschiedener Kirchen zu der einen universalen Kirche, indem man von abgeleiteten „Zweigen“ („branches“) o. a. „Denominationen“ spricht, 409 schlägt J. Eber vor, einen Schritt weiterzugehen und nach der Möglichkeit einer gemeinsamen ekklesiologischen Orientierung innerhalb der DEA zu fragen. Von hierher kommend ist es nur konsequent, „die Einheitsvorstellung der Allianz .. eine erste Stufe“ zu nennen, „die vielleicht für zeitlich begrenzte Aktionen evangelistischer und sozial-diakonischer Zusammenarbeit genügt“ (Eber 2006:220). Als umfassendes ökumenisches Modell kann sie allerdings nicht bezeichnet werden, was wiederum auch nicht intendiert war. Ebers (1998:198-204) konkreter Vorschlag im Rückgriff auf die Gedanken Jean-Louis Leubas410 einen Ausweg aus dem ekklesiologischen Dilemma „Institution und/oder Ereignis“ zu finden und damit zu „ekklesiologischen Strukturen des Gottesdienstes“ zu gelangen, die „sozusagen den Kern einer Allianz-Ekklesiologie bilden“ könnten, soll an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden (mehr dazu unter 4.3). Ein ähnlicher Versuch eine Allianz-Ekklesiologie zu entwerfen, liegt mit den Ausführungen von Martin Abraham vor, die im Rahmen einer FAGST des AfeT vorgetragen wurden (festgehalten in: ETM 6/1 2000). Thesenartig wird eine vermittelnde Sicht, insbesondere zwischen frei- und volkskirchlichen Voraussetzungen vorgetragen. Die Anmerkungen (erwähnt werden J. Demandt u. U. Swarat als „Rezensenten“) im Anschluss an den Vortrag spiegeln allerdings äußerst deutlich den nach wie vor bestehenden Dissens wider, der auf Allianzebene hinsichtlich einer vollen Kirchengemeinschaft herrscht.411 409 Vgl. zur Verwendung dieser Begriffe in den Londoner-Beschlüssen Hauzenberger 1986:456 u. zu dem mit dieser „Zweigtheorie“ verbundenen Gedanken der „comprehensiveness“, der eine gewisse Weite in der Interpretation der Glaubensbekenntnisse zulässt :234. 410 Der Schweizer Theologe griff in seiner Diss. (1957 auf Deutsch erschienen) „Institution und Ereignis: Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Arten von Gottes Wirken nach dem Neuen Testament“ den auf der ersten Vollversammlung des ÖRK in Amsterdam 1948 deutlich hervorgetretenen Lehrgegensatz zwischen kath. und protestantischem Verständnis von Kirche auf (vgl. Eber 1998:198). 411 Der Versuch mit diesem „Papier“ den Dialog zu fördern und gegenseitige Verketzerungen auszuhebeln, 148 Die Ausführungen Peter Strauchs zu „Verständnis und Aktualität des Einheitsgedankens der Deutschen Evangelischen Allianz“, ursprünglich für eine Theologische Woche des BFeG verfasst, stellen eine Bekräftigung des Status quo dar. Nach einer Einleitung zur Geschichte der EA und DEA (2004:61-74) und dem Hinweis auf die besondere wesen- und personenhafte Verknüpfung von Allianz und Freier Evangelischer Gemeinde in Deutschland (:74-78) folgt eine kurze Entfaltung des aktuellen Kirchen- und Einheitsverständnisses. Der Grundtenor ganz im Sinne der „Glaubensväter“ lautet: Christuszugehörigkeit steht über Kirchenzugehörigkeit; daraus folgen unterschiedlichste Implikationen (vgl. nur das ausführliche Zitat von A. Pohl hierzu; :80). 412 Abschließend wendet sich P. Strauch (:79-83) den verschiedenen Fronten der Kritik zu. Auf der einen Seite steht die Sorge um eine Verkirchlichung der DEA - insbesondere sichtbar durch die Vorherrschaft von Amtsträgern aller Couleur in den leitenden Gremien -, auf der anderen Seite die Angst vor der zunehmenden konfessionellen Weite der Allianz, die scheinbar nicht vor Beziehungen zu Sondergemeinschaften oder bestehenden Großkirchen zurückschreckt (vgl. zur weiteren Kritik von innen und außen Jung 1992:85f;218-225). Eine Veränderung der Agenda mit ihren Arbeitsschwerpunkten Gebet, Evangelisation und sozial-diakonisches Handeln ist vorerst nicht zu erwarten (Strauch 2004:83-85). 3.2.2.2.3 Abschließende Analyse Im Unterschied zum Internationalen Missionsrat und der Bewegung für Praktisches Christentum (s. o. S. 96f) liegt mit der DEA (und EA) der Versuch vor, die Einheit der Christenheit nicht aufgrund der Zusammenarbeit von Kirchen, sondern basierend auf dem individuellen Glauben der Anhänger jener zu realisieren. Bestimmt wird die Ekklesiologie dabei, wie R. Hille nachweist, vor allem von den maßgeblichen Kategorien „Bekehrung, Wiedergeburt und Heiligung des Einzelnen“. Als Gemeinschaft der Glaubenden über Konfessionsgrenzen hinweg tritt der Brüderbund in Erscheinung. In pietistischer Manier steht hier ein Verständnis von den „wahren Kindern Gottes“ Pate, die es zu sammeln und zu stärken gilt. Ansätze für eine Ämterlehre in der ursprünglichen Fassung von 1846 wurden durch die kann nur begrüßt werden. Es offenbart aber auch, wo die Punkte (nicht nur für „Allianz“-Christen) liegen, an denen Weiterarbeit nötig ist. Die Dominanz eigener dogmatischer Überzeugungen - These I/6. u. 7. klingen bspw. wie der Versuch, ein luth. Amtsverständnis quasi durch die Hintertür ekklesiologisch einzuführen (vgl. auch II/1. u. 2.) - und die damit verbundene Resistenz gegenüber der „Klarheit des Wortes“, um eine reformatorische Grundkategorie zu gebrauchen, stellen eine ganz eigene Herausforderung dar. Die Auseinandersetzung um die Kirche/Gemeinde als corpus permixtum anhand von Mt. 13 (These III/3.) stellt unter Beweis, inwiefern ökumenische Arbeit letztlich immer wieder exegetischer Vorarbeit bedarf. 412 In einem Leitfaden für die Allianzarbeit vor Ort heißt es ausdrücklich (nach Strauch 2004:83): „Wer bestimmte dogmatische Aussagen oder Einzelerkenntnisse höher bewertet als das gemeinsame Bekenntnis zu Jesus Christus, wer solche Aussagen und Erkenntnisse werbend vertritt oder sie sogar zum Maßstab der Beurteilung seiner Brüder und Schwestern macht, ist nicht allianzfähig. Wir wollen zwar über seinen Glauben nicht richten, doch zur Mitarbeit in der Evangelischen Allianz ist er nicht geeignet.“ 149 Lehre vom Priestertum aller Gläubigen ersetzt. Die „Basis“ stellt sich jedoch bewusst mit ihren Aussagen zur Gotteslehre und Christologie in den Strom altkirchlich-ökumenischer Formulierungen; an dieser Stelle demonstriert sie ihre Orthodoxie und Offenheit für die „wahren“ Christen in u. U. depravierten Konfessionen. Ob man von daher nicht aus ekklesiologischer und auch missiologischer Sicht von „anonymen Evangelikalen“ in den verschiedenen Konfessionen sprechen müsste413 - in Abwandlung von K. Rahners bekannter Formulierung414 -, um den DEA-Ansatz zu charakterisieren, wäre zu bedenken. In Summe: Es handelt sich beim Allianzansatz um keinen Fall von blindem Unionismus, sondern den Versuch „Ökumene“ von den Wurzeln, der Gründungsurkunde schlechthin, des Neuen Testaments her zu denken. Wie überzeugend (oder eben nicht) dieses ökumenische Modell auch sein mag: Das Kirchen- und Einheitsverständnis der DEA kann nicht ohne weiteres als das ökumenische Optimum bezeichnet werden. Schon die Gründergeneration wusste um die Vorläufigkeit ihrer Konzeption (vgl. Hauzenberger 1986:234.278) und auch der langjährige erste Vorsitzende der DEA, Peter Strauch, hält das Allianz-Konzept nicht für die letzte Antwort auf die Frage nach dem Wesen und der Umsetzung christlicher Einheit: „Die Zerrissenheit der Kirchen untereinander war und ist eine Not“ (2004:48). Insofern hat die Kritik J. Ebers an der Kürze der Glaubensbasis und die damit verbundene Aufforderung zur theologischen Weiterarbeit m. E. volle Berechtigung. Auf der anderen Seite lebt die Allianz momentan genau hiervon, d. h. „konfessionelle Unterschiede in der Lehre und in den sakramentalen Vollzügen des kirchlichen Lebens sind für Evangelikale sekundär und - obwohl kirchentrennend - letztlich nicht glaubensspaltend“ (Berneburg 1997:17). Würde man nach dem Verbleib der Katholizität innerhalb einer Vereinigung wie der DEA fragen, so besteht diese vor allem mit der EA im neu erweckten Interesse für den weltweiten Missionsauftrag und damit verbundene Aufgaben (gemäß der „Basis“ Art. 7). Darüber hinaus handelt es sich bei der Kirchenauffassung - soweit davon die Rede sein kann - der Allianz um keine streng individualistische, dies wäre auch nicht im Sinne der „Urväter“ (vgl. Th. Chalmers, der zeitlebens volkskirchliche Strukturen bevorzugte). Und doch tritt die Kirchenfrage deutlich zurück gegenüber der Heilserfahrung des Einzelnen. Dogmatisch gesprochen: Der zweite Artikel des Apostolikums kommt hier deutlich vor dem dritten zu stehen. Nicht zu leugnen ist dabei die theologiegeschichtliche Einsicht, dass eine Interessengemeinschaft wie die Allianz nur schwer denkbar gewesen wäre ohne den Einfluss ref. Theologie und deren Verarbeitung im angelsächsischen Raum (s. o. S. 143, Anm. 406) und das Aufkommen des Vereinswesens in der damaligen Epoche (vgl. Hauzenberger 413 414 Prominentes Beispiel des 20. Jahrhunderts hierfür ist der Literaturprofessor und Schriftsteller C. S. Lewis. Vgl. Karl Rahner 1970. Schriften zur Theologie, Bd. IX. Zürich, Einsiedeln, Köln: Benziger, 498-515. 150 1986:238f). Am Rande: Die Sorge mancher Kreise es könnte eine neue evangelikale Großkirche in Deutschland entstehen auf der Grundlage der „Basis“ und der Strukturen der DEA, ist nach dem Dargelegten unbegründet. Im Gegenteil, der Dissens nicht nur in ekklesiologischen Fragen besteht nach wie vor und außerdem widerspricht solch ein Ansinnen dem Selbstverständnis der DEA von Grund auf (vgl. Jung 1992:217.227f). Dennoch muss von einem Aufbau evangelikaler „Parallelstrukturen“ in Deutschland gesprochen werden (so D. Sackmann, in: Tidball 1999:28f), in deren Zentrum die DEA mit ihren Organen steht. 3.2.3 Evangelikales Ökumeneverständnis im Werden Mit der bisherigen Betrachtung der „Bekenntnisse“ und Dokumente des LKWE und der DEA ist deutlich geworden, der evangelikale Ökumenebegriff oder besser das Einheitsverständnis befindet sich im Werden - Sprünge, Unterbrechungen o. a. Rückschläge inbegriffen. Je nach Standpunkt, sprich Bekenntnisstand und daraus resultierender ökumenischer Gesinnung o. a. Verweigerung, wird dies als erfreulich oder eben bedrohlich wahrgenommen werden. Die mit den Entwicklungen der letzten 150 Jahre verbundene theologische Reflexion im Rahmen ganz praktischer Gehversuche in Richtung einer Zurückgewinnung verloren gegangener Einheit zu ignorieren, wird dem Geschehen zumindest in keiner Weise gerecht. Im Zuge des Aufbruchs irenischen Denkens und Handelns in der frühen Neuzeit verwundert es kaum, dass es im 19. Jahrhundert zu Vereinigungen wie der Evangelischen Allianz und im 20. Jahrhundert zu einer Plattform wie dem Lausanner Komitee für Weltevangelisation kommen konnte (als Reaktion auf die Entwicklung der ökumenischen Bewegung und des ÖRK). Damit soll nicht von historischer Kontingenz die Rede sein, aber sehr wohl von einem sich ausbreitenden Klima, das die Entstehung jener Einrichtungen mehr als nur begünstigt hat. Man könnte mutmaßen in theologiegeschichtlicher Hinsicht, auf welcher Entwicklungsstufe sich das evangelikale Ökumeneverständnis momentan befindet und wie die weitere Entwicklung aussehen wird, ohne dabei in eine rein hegelianische Geschichtsschau zu verfallen. Prognosen dazu wurden geäußert; im Falle des LKWE sehen kritische Beobachter kontinentaler Prägung (E. Berneburg, M. Herbst, V. Gäckle u. a.) die Tendenz, dieselbe Richtung - mutatis mutandis - einzuschlagen wie der ÖRK seit Mitte des letzten Jahrhunderts. Eine Wiederholung der dogmatischen Erörterungen und damit verbundenen Auseinandersetzungen wäre die Folge (eine neue Abspaltung auch?). Bei allem Bedarf zur kritischen Reflexion dürfen jedoch nicht die grundverschiedenen hermeneutischen Auffassungen zwischen dem LKWE und dem ÖRK übersehen werden. 415 Die von den 415 Wie ernst gemeint die Rede von „kontextueller Theologie“ in der jeweiligen Gemeinschaft ist, steht zur 151 Vordenkern des LKWE, wie H. Blocher, H. A. Snyder und R. Padilla immer wieder postulierte ekklesiologische Lücke der evangelikalen Bewegung konnte mit den Überlegungen in LOP 64 nicht geschlossen werden; die missionstheologische Ausrichtung in einem missionalen Sinne ist zur Zeit von größerem Interesse (was, wie schon angeklungen, hier nicht als basale Kritik missverstanden werden darf). Mit den Versuchen führender Theologen der DEA im Bereich der Ekklesiologie anzusetzen und weiterzuarbeiten, liegen wertvolle Beiträge und erste Schritte auf dem Weg zu einer evangelikalen Ekklesiologie vor, gesetzt den Fall - aus Sicht des advocatus diaboli - man sieht in dieser Bewegung überhaupt das Potential und ein Spezifikum, das eine eigene Ekklesiologie rechtfertigen würde. Historisch betrachtet, hat die (D)EA schon aus ihrer Entwicklung heraus ein tiefes Verständnis für Kooperation, befindet sich jedoch aus Sicht der Kritiker noch auf einer anfänglichen Entwicklungsstufe, was die dogmatische Verfassung des Einheitsgedankens betrifft: Nicht nur Fragen nach Amt und Kirche usw. bleiben hier ebenso wie in der Lausanner Bewegung offen, gemäß der Ausrichtung als Brüderbund. Tendenzen zur Kirchwerdung scheinbar entgegen dem ursprünglichen Ansatz eben keinen Kirchenbund darzustellen -, die von innen und außen zuweilen wahrgenommen werden, müssen wohl als Ansätze verstanden werden, deren Bedeutung und weitere Entwicklung noch nicht auszumachen ist. Die These steht jedoch im Raum, trotz des historischen Vorsprungs, ob es hinsichtlich eines inner- und außerevangelikalen Dialoges innerhalb der weltweiten Bewegung nicht doch einen starken Riss gibt oder zumindest gab: Haben die deutschsprachigen Evangelikalen „Lausanne 7“ weitgehend ignoriert oder nur zum Teil aufgenommen? Ausgelassen wurde in dieser MTh-Diss. unter dem Titel von Kap. 3 „Evangelikale und die Ökumene“ Entwicklungen wie dem sich intensivierenden Dialog zwischen evangelikalen Persönlichkeiten und Vertretern der röm.-kath. Kirche nachzugehen. 416 Die bleibende Kritik daran, nicht nur separatistischer Kreise, und deren Ausmaß und weitere Entwicklung (in Richtung neuer Denominationen?) ergäbe eine Themenstellung an sich, z. B. für eine praktisch-theologische Untersuchung. Welche Bedeutung insbesondere die Pfingstbewegung und die charismatischen Aufbrüche für den Ökumenismus innerhalb der evangelikalen Bewegung haben, wurde passim angerissen, allerdings nicht vertieft (s. Zimmerling Debatte: Für die sog. „radikalen Evangelikalen“ bleibt die Autorität und Inspiration der Hl. Schriften (bewusst im Plural) klare Maßgabe (vgl. Hardmeier 2008:17.98.159 - Anm. 152.228.281), wenn auch nach den Implikationen dieses Ansatzes für die praktische Bewältigung sozialethischer Aufgaben, vor allem im globalen Kontext, gefragt werden muss; für die Theologen im Umfeld des ÖRK kann dies historisch betrachtet – wie dargestellt wurde (s. o. Kap. 3.1.2 u. 3.2.1.1) – nicht in Anspruch genommen werden. 416 Vgl. hierzu John Stott & Basil Meeking (Hg.) 1987. Der Dialog über Mission zwischen Evangelikalen und der Römisch-Katholischen Kirche 1977-1984: Ein Bericht. (Theologie & Dienst 52). Wuppertal: R. Brockhaus; Keith A. Fournier 1994. A house united? Evangelicals and Catholics together: a winning alliance for the 21 st century . with William D. Watkins. Colorado Springs: NavPress; Norman L. Geisler 1995. Roman Catholics and Evangelicals. Grand Rapids: Baker Books; Thomas P. Rausch (Hg.) 2000. Catholics and Evangelicals. New York: Paulist Press. 152 2001:335-351). Überhaupt verlangt die Weite der evangelikalen Bewegung nach weiteren Untersuchungen in dieser Hinsicht,417 auch wenn mit dieser Studie ein Versuch vorliegt, sozusagen aus der Mitte heraus der aufgeworfenen Fragestellung nachzugehen. 4. Wesenszüge christlicher Einheit: BUCERS Beitrag zur evangelikalen Ökumene-Debatte Im Rückblick auf die Darstellung und Analyse der Kapitel der Kirchen- und Dogmengeschichte, die bisher geschildert wurden, könnte man zu dem Schluss kommen: Das Wesen des Dogmatischen ist dem Wesen nach die Uneinigkeit; wo es dogmatisch zugeht, ob nun in der Reformationszeit oder im 20. Jahrhundert, herrscht demzufolge der Dissens. BUCERS Vermächtnis als Konsenstheologe418 - de Kroon (1991:257) spricht vom überkonfessionellen Charakter seiner Theologie - eröffnet hier eine neue Perspektive. Ziel der folgenden Ausführungen ist die kritische Vergegenwärtigung von BUCERS Erbe419 unter Berücksichtigung zeitgenössischer ökumenischer Ansätze, was allerdings nur am Rande geschehen kann (ein Dialog zwischen BUCER und E. Schlink o. a. O. Cullmann wäre u. U. reizvoll)420. Die Ergebnisse dienen vor allem, aber nicht nur, der Verhältnisbestimmung von Einheit und Dogma innerhalb der evangelikalen Bewegung. Das Grundproblem, das sich hierbei stellt, liegt wohl in der Tatsache, dass die Fragestellungen der geschilderten Epochen zunächst einmal grundverschieden sind: Der Abendmahlsstreit bspw., der im Rahmen der Christologie (und Ekklesiologie) stattfand, sieht sich dem Kampf um ein „schriftgemäßes“ (vgl. die Präambel des ÖRK) Missionsverständnis im Rahmen der Bestimmung von Heilsund Weltgeschichte gegenüber. Aktuelle Herausforderungen innerhalb der evangelikalen Bewegung sind nach wie vor das Verhältnis von sozialem Auftrag und missionarischer Verkündigung o. a. spezifische charismatische Anliegen im Rahmen der Pneumatologie oder besser einer pneumatischen Praxis, die zuweilen für Irritationen sorgt. Die in der vorliegenden 417 Vgl. (in Auswahl) Douglas 1964; Ellingsen 1988:285-294; insbesondere zur Situation in den USA Grenz 1993:175-180; Krapohl und Lippy 1999, bes. :157-167; Fackre 1993, bes. :71-88; Stackhouse 2001:189-201; Geldbach 2001, bes. :110-112; zur Situation in Großbritannien Tidball 1999:251-254 (einige der Studien sind etwas tendenziös und neigen zu einer rein phänomenologischen Betrachtungsweise). 418 Präziser müsste man von einem Theologen, der ein Konvergenzmodell vertrat, sprechen (so Strohm 2001:115). Ob Bucer allerdings nur diese Weise des „ökumenischen“ Fortschritts kannte, mithilfe der Konvergenzmethode die dogmatischen Differenzen in einer höheren Einheit aufzuheben, wurde diskutiert (s. o. Kap. 2.2.2.4). 419 Auf einen ausführlichen Anmerkungsapparat wird dabei verzichtet, da es um eine systematischtheologische Synthese der bereits vorgetragenen Ergebnisse der Bucer-Forschung geht (Kap. 2.2.1.4 u. 2.2.2.4), die für den mod. Evangelikalismus fruchtbar gemacht werden sollen. 420 Das hierbei Vorsicht geboten ist, steht außer Frage. Auf die Gefahr „künstliche[r] Synthese[n]“ damals wie heute, weist nicht nur R. Stupperich hin (ohne Namensnennung, aber mit deutlichem Bezug auf E. Schlink; 1962:48, s. bes. Anm. 3). 153 Studie dargelegte Überzeugung besteht darin, dass BUCER nicht nur in materialdogmatischer Hinsicht Einsichten von bleibender Bedeutung geliefert hat; sowohl für die theologische Bestimmung von Einheit und Dogma als auch für den Umgang hiermit - die Art und Weise des ökumenischen Gespräches - innerhalb der Kirche bzw. Gemeinde Jesu Christi. 4.1 Einheit und Caritas Zu Beginn steht das Verhältnis von Einheit und Caritas, der Bedeutung der Gottesliebe für eine in Gott gegründete Einheit der Christenheit. Häufig wird in diesem Zusammenhang auf folgenden Ausspruch verwiesen: „In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus autem caritas“ (neuerdings wird er dem kroat. Bischof und Theologen Markantun de Dominis, 15601624, zugeschrieben). Mit dieser Aussage ist die dogmatische Frage allerdings noch nicht gelöst, worin sachlich der Unterschied zwischen necessariis und dubiis besteht? Die ganze Bandbreite an Einheitskonzeptionen ließe sich unter diesem Diktum wiederfinden, ebenso ein strikter Separatismus wie auch eine weitläufige Auffassung von ökumenischer Kooperation. Erhellend ist erst die schwierige Festlegung, was zur ersten und was zur zweiten Kategorie zuzuordnen ist. Das Wahrheitselement des Satzes soll damit aber nicht geleugnet werden, in „omnibus autem caritas“ stellt ohne Frage Anfang und Voraussetzung jeder Verständigung unter konfessionsverschiedenen Christen dar. BUCERS Beitrag an dieser Stelle ist verkürzend mit dem Begriff „Frömmigkeitsökumene“ zu titulieren, in seinem Sprachgebrauch nimmt der Schlüsselbegriff „pietas“ eine hervorragende und spezifische Stellung gegenüber den anderen Reformatoren ein (vgl. de Kroon 1991:125f; Spijker 1991:41). Aufgrund der Gottes- und Nächstenliebe, die jedem Christen aufgetragen ist und die wahrscheinlich von niemandem ernsthaft bestritten würde, ließe sich ein ökumenisches Miteinander kreieren, in dessen Mittelpunkt eben die Caritas steht. 421 Die Wahrheit des Glaubens erweist sich dann in der Liebe, wiederum ist die liebende Annahme des Bruders nur durch den wahren Glauben an Christus möglich. B. Hamm (2003:97) resümiert: „Weil die Liebe in Bucers Glaubensbegriff integriert ist, kann er auch umgekehrt den Glauben in das Kriterium der Liebe integrieren. Oft erscheint daher nur noch die Liebe, das Lebenszeugnis der Bruderliebe (caritas oder dilectio), als Kennzeichen und Maßstab des Christseins.“ Dass BUCER darüber hinaus noch ein weiter gefasstes „Ökumeneverständnis“ vorzuweisen hat, wurde verhandelt und wird in den nachfolgenden Kapiteln noch entfaltet. Mit der 421 Bucer kann daher so weit gehen und in den Religionsgesprächen (s. o. Kap. 2.2.2.2) das „Band der Liebe“ als drittes nota ecclesiae bezeichnen (Augustijn 1994:112). 154 erasmischen Betonung der Caritas, die das eigentliche Anliegen Christi widerspiegle und den gesamten Bereich der kirchlichen Ordnungen und Vorschriften als Nebensache erscheinen lasse (vgl. Greschat 1978:86), ist eine zentrale, aber noch nicht die ganze Erkenntnis BUCERS in dieser Hinsicht angesprochen. Aus der Frömmigkeitsökumene folgen mögliche gemeinsame Gespräche über Schriftfragen, gemeinsames Gebet (vgl. den 15. Marburger Artikel), gemeinsame Gottesdienste - ohne an dieser Stelle auf die Abendmahlsproblematik einzugehen - usw.; sie gewinnen von hierher ihre einheitsstiftende Kraft. Dies sind alles Erfahrungen, die weder der (D)EA noch dem LKWE fremd sind mit ihren Konferenzen und Konsultationen. Fragt man nach weiteren Voraussetzungen und Konkretionen der Caritas für eine auf Frömmigkeit gegründete Einheit unter Christen, so bietet BUCERS Auseinandersetzung mit LUTHER, ZWINGLI u. a. genügend Hinweise und Anschauungsmaterial: Immer wieder kann er beklagen, dass Dinge öffentlich verhandelt werden, ohne dass vorher ein privater Austausch gesucht wurde und somit stattgefunden hat (vgl. nur Friedrich 2002:37.93). Ein Blick auf die evangelikale Streitkultur - hier kann nur für den deutschen Sektor gesprochen werden -, z. B. in den einschlägigen Magazinen und Presseorganen oder auf Gemeindeebene, offenbart, wie wenig die irenische Position eines Martin Bucers bekannt ist, geschweige denn Anwendung findet. Die Frage steht im Raum, ob man sich hier nicht mit der vermeintlichen Bekenntnistreue LUTHERS als dem protestantischen „Heiligen“ und seinem Umgang mit Andersdenkenden stärker identifiziert. Schon in dem Anschreiben zur vorbereitenden Konferenz der Gründungsversammlung der EA in Liverpool insistiert man: „In Rücksicht auf unsere Vereinigung sollten wir uns vornehmen, hinfort in der Kraft unseres Erlösers alle Dinge von der Art, wie die folgenden aufzugeben: alles gegenseitige harte Beurteilen, Richten und Verdammen, alles Splitterrichten und alles Absprechen der Christlichkeit. Ich könnte viele Belege aus Flugschriften und Zeitschriften von allen Seiten und von ganz neuem Datum beibringen, in welchen viel solches Absprechen ist“ (zit. nach Hauzenberger 1986:73). Neben der Bedeutung der religiösen Presse für ein Klima ökumenischer Verständigung zu sorgen (oder eben dieses zu vergiften), weist BUCER noch auf eine Art seelsorgerische Einsicht hin: Die Bestrafung durch eigene Fehler reiche aus, andere müssen nicht noch etwas dazu tun, indem sie diese öffentlich verhandeln und so immer wieder ins Gespräch bringen (vgl. Friedrich 2002:255, Anm. 42 u. 43). Einheit unter Christen - und das könnte man als eine grundlegende Erkenntnis bezeichnen, betrachtet man BUCERS Leben und Werk - gibt es nur in personalen Bezügen, nicht als statische Größe, die über allem schwebt (will man nicht eine manichäische Einheitskonzeption konstruieren). Zeitlebens lebte und litt BUCER unter der Spannung zu 155 seinem Vorbild und Lehrer, Martin Luther. Dass er hieran auch seinen Anteil trug und nicht in verklärender Weise als treuer Schüler, quasi Gnesiolutheraner, gezeichnet werden darf, wurde erörtert. Trotzdem befindet sich hier eine Schnittstelle zwischen seiner Biografie und Theologie; wurde ihm LUTHER doch zugleich zum Motor und zum Hindernis für eine Verständigung im protestantischen Lager und darüber hinaus (vgl. Kaufmann 1993:251). Der Bruch mit ZWINGLI trotz jahrelanger persönlicher Beziehung schmerzte ihn ebenso stark (vgl. Friedrich 2002:87), die späte Kollision mit den Geschwistern Blaurer wäre hier ebenso zu ergänzen.422 Dass sog. „Seilschaften“ innerhalb der evangelikalen Bewegung zerbrechen, trotz oder gerade wegen jahrelanger Kampf- und Aktionsgemeinschaften, stellt eine Beobachtung dar, die - mutatis mutandis - an die Wirren der Reformationszeit erinnert. 423 Neben echten theologischen Konfliktpunkten müssen hier auch religionspsychologische Überlegungen geltend gemacht werden. J. Stotts Einschätzung (s. o. S. 118), dass viele Evangelikale zu Extremen neigen und, was ihr Temperament (oder Milieu?) betrifft, nicht zum Ausgleich fähig sind oder ihn zumindest nicht suchen, wäre eine weitergehende Analyse wert. Zurück zu BUCERS Widerfahrnissen: Betrachtet man den konkreten Streitpunkt der rivalisierenden Parteien, so sieht man: Entgegen der Schärfe des Dissenses in der Abendmahlsfrage entdeckt BUCER in der eucharistischen Gemeinschaft vor allem das paulinische Konzept von „Koinonia“, das durch den Streit völlig konterkariert wird. BUCER überträgt die „sakramentale(..) Dynamik des Abendmahles auf die ekklesiale Wirklichkeit der ‚communio sanctorum‘“ (Hammann 1991:134). Dabei verzichtet er selber nicht auf jede Form von Polemik oder Methodik, um sein Anliegen voranzutreiben, wie dargestellt wurde (vgl. 2.2.1.1). Als Vorzeigeökumeniker kann er hier in methodischer Hinsicht nicht uneingeschränkt dienen, sachlich liefert er aber einen Beitrag, der zur neuzeitlichen Verständigung in der Abendmahlsfrage beitrug. BUCERS Blickwinkel in den Verhandlungen und theologischen Disputen seiner Zeit ist stark gemeindeorientiert. Sein Anliegen, die Laien - die „armen christen“ (Lenz, Bd. 1, 245, Nr. 90) - nicht zu verwirren mit dem „Streit um Worte“ erscheint m. E. als ernstzunehmendes Motiv und keine bloße Taktik (vgl. Friedrich 2002:120.128 u. a.). Ebenso hält CALVIN als Schüler des Straßburgers Pfarrers den innerevangelischen Lehrstreit an dieser Stelle als verheerend und dazu in der Lage, den Lauf 422 Hamm (1995:58) fasst typologisch zusammen: „Kohärenz als innere Gemeinsamkeit von Ideen, Programmen und Veränderungen ist durchaus vereinbar mit Andersartigkeit, Divergenz und Konflikt, ja sogar mit einer Feindseligkeit, die in Vertretern einer andersartigen Reformation die Agenten Satans und des Antichristen sieht. Daß zwei Menschen oder Richtungen große Gemeinsamkeiten haben, schließt erfahrungsgemäß nicht aus, daß sie sich erbittert bekämpfen können. Es ist oft gerade die gemeinsame Grundlage, die dem Konflikt die ganze Tiefe von Enttäuschung, Verletztheit, Erbitterung und Haß gibt. Und so kann ein partieller Gegensatz das Bewußtsein vom Ausmaß realer Gemeinsamkeit völlig verdrängen.“ 423 Hammann (1991:111) gibt zu bedenken: „Bucer war sich stets bewußt, daß Gemütsbewegungen in theologischen Streitigkeiten eine wenn auch nicht immer zugegebene Rolle spielten. Auseinandersetzungen, die in Marburg protokolliert wurden, sollten in dieser Hinsicht besser berücksichtigt werden.“ 156 des Evangeliums gänzlich zu stoppen. Eine bloße Einheit in der Negation - der Ablehnung der altkirchlichen Positionen - schade nur der Glaubwürdigkeit der neuen Bewegung vor allem im Volk (vgl. Busch 2005:120). Welche Implikationen diese Einsicht für die evangelikale Bewegung nicht nur Lausanner Prägung mit ihrem dezidiert missionarischen Anliegen hat, muss hier nicht näher erläutert werden (ein Gefälle hinsichtlich der Aufnahme dieser Erkenntnis - „Lausanne 7“ - zwischen der Leitung und der Basis, z. B. im Falle der DEA ist hier sicher nicht zu leugnen). Dem Wesen der Caritas entspricht nicht nur die Wertschätzung des „gemeinen Manns“, sondern generell des Gegenübers und seiner Positionen (auch wenn sie zunächst völlig abwegig erscheinen). BUCERS Anfänge einer Dialogkultur, die er in seiner Sturm und DrangZeit unter Ulrich von Hutten u. a. einleitete, reiften durch seine Entdeckungen auf dem Regensburger Reichstag im Gespräch mit den Altgläubigen: „Nur auf der Grundlage einer gegenseitigen Anerkennung als Christen ist ein wirkliches Gespräch möglich, ein Gespräch, das auch theologisch etwas austrägt“ (Augustijn 1980:48). 4.2 Einheit und Erkenntnis Otto Hermann Pesch (2000:443; vgl. auch Haustein 2001:272f) konstatiert zu Recht in einer Bestandsaufnahme zur ökumenischen Situation zu Beginn des 21. Jahrhunderts aus Sicht der „professionellen“ Ökumeniker: „Wir (…) täuschen uns womöglich über den ökumenischen Kenntnisstand selbst bei Theologen und erst recht bei ‚normalen‘ Gemeindegliedern. Zwar wissen wir (inzwischen) weithin, wo es ökumenisch ‚hakt‘, wo also von Gegensätzen die Rede ist, die angeblich Kirchengemeinschaft verhindern [nun folgt eine Aufzählung klassischer Konfliktfelder]. Aber in helles Entsetzen kann man geraten, wenn man nachforscht, wie dabei die Lehre der Schwesterkirche verstanden wird - was also der durchschnittliche katholische Christenmensch für evangelische Lehre hält und der durchschnittliche evangelische für katholische.“ Es ist ersichtlich: Erkenntnis - auch und gerade in einem biblisch-theologischen Sinne - setzt zunächst einmal Wissen voraus. BUCERS Feststellung: „Alle wollen lehren, niemand will lernen“ hat genau hier ihren theologischen und konfessionskundlichen Ort. In einer Erklärung zum intellektuellen Versagen der amerikanischen Evangelikalen fordern M. Noll, C. Plantinga Jr. und D. Wells in einer ihrer Abschlussthesen: „(4) Wir müssen mit der Suche nach lehrmäßiger und theologischer Einheit aller Christen, die sich auf das apostolische Erbe und den patristischen Konsensus berufen, vorankommen“ (in: JETh 13 1999:80). Eine Forderung, die nicht nur für den nordamerikanischen Teil der evangelikalen Bewegung von Bedeutung ist. 157 Das Verhältnis von Einheit und Erkenntnis stellt des Weiteren vor BUCERS offenbarungspädagogische Fassung der gubernatio mundi (s. o. S. 42ff). Als streng theozentrisch denkender Theologe geht BUCER von der menschlichen Erkenntnisschwäche („imbecillitatis“) aus, der gegenüber das gnädige und souveräne Walten Gottes steht. Dies kann er auch in dem Scheitern der Konkordienpläne im Umfeld des Marburger Gespräches entdecken; seine Schlussfolgerungen hieraus führen nicht zu einer Verschärfung der dogmatischen Fronten, sondern, im Gegenteil, zu einem Rekurs auf die sog. „dilectionis officia“. Die göttliche Offenbarungspädagogik, die BUCER als Pastoraltheologe hier am Werk sieht, nimmt besonders die Erkenntnisstarken in die Pflicht gemäß der caritas o. a. dilectio zu handeln. In seinen Worten (sinngemäß nach BCor IV, Nr. 273, 12, 26-29): „Je mehr jemand mit der himmlischen Weisheit beschenkt worden ist, desto mehr ist derjenige herausgefordert, dem Beispiel Christi folgend, sich den Unverständigen und Unerfahrenen anzupassen.“ 424 Würde man diesem Konzept uneingeschränkt Geltung verschaffen innerhalb der evangelikalen Bewegung, würde jede Art von Erkenntnisvorsprung (ob nun vermeintlich oder real) zu einer Zunahme an Liebe, Demut und Dienstbereitschaft gegenüber dem andersdenkenden Bruder oder der Schwester führen; eine Forderung, die in den Veröffentlichungen des LKWE immer wieder erhoben wird (vgl. nur LOP 24 u. 64)425. Gott als Subjekt der Erkenntnis befreit zudem von der Illusion „wir könnten die einigende Wahrheit herbeiführen“ (s. o. S. 43f). „Bekommt anders ein Mensch in allem, was er in Sachen Gottes sagt, Recht, dann ist das, als nehme der Mond den Platz der Sonne ein, ohne doch mit seinem Licht die Erde wie jene erleuchten zu könne [sic!]“ (zit. nach Bender 1975:167). Einem ökumenischen Semipelagianismus ist damit per se die Tür verschlossen, BUCERS strenge Auffassung der Gottheit Gottes als Vordenker einer ref. Erwählungslehre verbietet ihm diese Möglichkeit. Dennoch kennt er sehr wohl eine Methode im „ökumenischen“ Prozess, um einen Fortschritt in der Erkenntnis auf beiden Seiten zu erzielen: Die Argumente, die vorgebracht werden, sachlich bewerten, zunächst einmal zu verstehen suchen und dann im Ausschlussverfahren zu gemeinsamen Standpunkten kommen. Sein Interesse galt dem Wahrheitsmoment in der Argumentation des anderen. Ein Vorgehen, dass, vereinfachend formuliert, zum Muster für viele bi- und multilaterale Gespräche im 20. 424 Natürlich spiegelt sich in diesem Ansatz wie bereits erwähnt ein gewisses Selbstbewusstsein wider. Neuser (1998a:154f) führt anhand einiger Briefe die Argumentation Bucers weiter aus: Eine Akkomodation an die „Schwächeren“ - in diesem Fall die Lutheraner - folgt ntl. Beispielen und führt zur Duldsamkeit gegenüber der noch unreifen Erkenntnis in einer beiläufigen Frage, so die Bitte an Zwingli und die in Memmingen versammelten Prediger. 425 Niemand anders als J. Stott hält pointiert fest, nachdem er seine Vorbehalte gegenüber der Ökumenischen Bewegung dargelegt hat: „Trotzdem bin ich auch beunruhigt über die umfassende Verurteilung aller ökumenischen Aktivität, wie sie von einem Großteil der Evangelikalen geäußert wird. Für mich steht fest, dass wir nicht einfach den ganzen nichtevangelikalen Teil der Christenheit abweisen dürfen, als ob er nicht existieren würde, oder, da er existiert, als nichtchristlich betrachten und beschließen können, dass wir mit ihm nichts zu tun haben“ (zit. nach Tidball 1999:257). 158 Jahrhundert wurde. Fasst man die Kirche bzw. Gemeinde mit BUCER als „Interpretationsgemeinschaft“ auf (vgl. U. Luz zu dieser Formulierung), so erwächst Einheit auf der Grundlage von Erkenntnis mithilfe gemeinsamen Hörens auf und Suchens in der Hl. Schrift. BUCER konnte so verwundert H. Bullinger entgegnen, dass es doch schon immer Brauch gewesen sei, seit der Zeit der Alten Kirche, in Konzilien Lehrfragen zu klären (Friedrich 2002:110; vgl. auch de Kroon 1991:238). Dabei legte er mehr und mehr den Schwerpunkt auf regionale Versammlungen (Hammann 1991:116); Anfänge des Synodalwesens, das wirkungsgeschichtlich noch von weitreichender Bedeutung sein sollte. Das gemeinsame Hören auf die Schrift ist ein Ansatz, der wohl kaum eine protestantische Konfession (und eine evangelikale Gemeinschaft) widersprechen würde, der aber dennoch der Betonung bedarf. Der frühe Abendmahlsstreit (Kap. 2.2.1) und vor allem die Dialoge mit J. Gropper (Kap. 2.2.2) zeigen hierbei konkret die theologische Arbeitsweise BUCERS, seinen dialogischen Ansatz (vgl. dazu auch das Bsp. Johann Amos Comenius’, in: Müller 2004:522). BUCERS Vorgehen wirft gegenüber der evangelikalen Bewegung die Frage auf, wie es um den Stellenwert der Exegese in ihr bestellt ist. Welchen Raum bekommt sie in einer Bewegung, deren Markenzeichen historisch und dogmatisch das Schriftverständnis und dessen Anwendung ist. Überdeutlich wurde bisher das theologische Ringen BUCERS - präzise: der exegetische Aufwand -, um die Einheit der Christenheit wiederherzustellen; der Vorwurf des Pragmatismus oder ein einfacher Formelschmied zu sein, greift nicht. CALVIN wird unbestritten als Exeget ersten Ranges bezeichnet und erweist sich auch hier als Schüler BUCERS. Ob es sich bei manchen aktuellen Auseinandersetzungen, z. B. innerhalb des LKWE nicht schlichtweg um ein Aufeinandertreffen oberflächlicher Exegesen handelt, muss daher an dieser Stelle gefragt werden dürfen. Der Gebrauch des Alten Testaments auf Seiten der sog. „radikalen Evangelikalen“ wirft Fragen auf; aber auch die zuweilen konkordante Methode der „exklusiven“ Evangelikalen in zahlreichen populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen kann nicht unwidersprochen bleiben. Die generelle Kontroverse zwischen ÖRK und LKWE um das Schriftprinzip und den Schriftgebrauch regt zur beidseitigen Überprüfung des faktischen Schriftgebrauches an: Die Behauptung von evangelikaler Seite, dass das altprotestantische Schriftprinzip „scriptura sacra est verbum dei“ de facto in den eigenen Reihen Anwendung findet, lässt sich nur schwer aufrechterhalten (fast jede Haus- oder Bibelstudiengruppe muss sich hier Anfragen gefallen lassen). Die Behauptung von ökumenischer Seite, das Festhalten an dieser reformatorischen Einsicht sei reine Repristination und trage den Erkenntnissen moderner Bibelwissenschaft nicht Rechnung, muss sich allerdings ebenso die Frage gefallen lassen wie infallibel der menschliche 159 Erkenntnishorizont in dieser Hinsicht ist426; womit BUCERS Konzept von „imbecillitatis“ wieder aufleuchtet. Mit seiner Neubestimmung von Häresie (s. o. S. 84f) liefert er einen völlig neuen Zugang zum status dissentiendi, der Meinungskonflikt über mehr oder weniger wichtige Fragen des Glaubens ist für ihn zunächst einmal Normalzustand in der Kirche Jesu Christi: Die immer vorhandene Erkenntnisschwäche des Menschen führt zum „Zwang zur Häresie“ (in einem genuin dogmatischen Sinne). Dies führt nach BUCER so weit, dass gerade der am schwersten Irrende, der weit von der christlichen Wahrheit entfernt ist, in der subjektiven Überzeugung befangen sein kann, in der wahren Lehre zu stehen. Oder pointiert mit B. Hamm (2003:91): „Felsenfeste Gewißheit und Überzeugungstreue einschließlich der Bereitschaft, für die Wahrheit zu leiden, sind daher nach Bucer kein Beweis dafür, daß man wirklich in der Wahrheit steht. Irrt man doch oft gerade da, wo ‚man meinet, der sachen am gewüsslichisten zu sein‘“ (BDS 3, 325, 9f). Die Konsequenzen für die christliche Gemeinschaft (nicht nur Lausanner Prägung) sind offensichtlich (nachfolgend nach :92): Zum einen eine konsequente Selbstrelativierung in dem Bewusstsein, nicht unanfechtbar im Besitz der christlichen Wahrheit zu sein, zum anderen die duldsame Rücksichtnahme auf das Gewissen und die Überzeugungen der anderen, die nicht anders können, als innerhalb der Grenzen ihres eigenen Glaubens zu denken, zu reden und zu handeln. BUCERS Ausweg aus diesem Dilemma ist das Gebet für sich selbst und alle Irrenden um den Hl. Geist, der allein von Irrtümern befreien kann und die Wahrheit lehrt (vgl. BCor IV, 279, 40, 33-37; 42, 9-14; 44, 11-14); das Herzstück seiner Theologie, die Pneumatologie meldet sich zu Wort. Da Gott sowieso nur in wichtigen Fragen den Menschen erleuchtet, also Erkenntnis schenkt, jedoch nicht in sekundären - nach BUCER - sind viele Streitpunkte u. U. eine theologische Debatte, aber niemals die Spaltung der Christenheit und den Verlust der Einheit wert. D. h.: Perfide ist am Abendmahlsstreit bspw. für den Ireniker, dass es dem Wesen des Mahles entsprechend um Einheit geht, aber nichts so sehr die Einheit bedroht wie der Streit um das Mahl (vgl. Friedrich 2002:251, Anm. 19 o. a. BDS 3, 428, 2f). LUTHER widerspricht hier vehement: Es geht nicht um sekundäre Fragen, sondern im Streit werden zentrale theologische Anliegen anderer Topoi berührt (wie der Christologie)! Überhaupt fällt mit einem Artikel die ganze Lehre als Summe des Glaubens (das Bild vom Ring oder der Glocke wird hier verwendet; WA 54, 157, 25-34; 158, 28-159, 4; vgl. auch Sasse 1979:77). Der Wittenberger Reformator weist auf die nicht zu leugnende dogmatische Frage hin: Ab wann 426 Lauster (2004:355f) zitiert aus dem Bericht der Kommission von Bristol 1967: „Während ihrer exegetischen Arbeit entdecken Theologen manchmal, daß sie weniger repräsentative Vertreter ihrer konfessionellen Standpunkte sind, als sie es zu sein glaubten oder zu Anfang waren. Dies kann geschehen, weil sie bei der Exegese entdecken, daß die Schrift von solcher Art ist, daß (…) die Gültigkeit anderer Standpunkte und Prinzipien der Auslegung als echte Antworten auf die Eigenarten des Textes anzuerkennen ist.“ 160 sind „zentrale“ Anliegen nicht mehr zentral, da doch alle theologische Arbeit immer in Berührung mit allen - wenn auch manchmal unreflektiert - Topoi steht? Die Bedeutung des menschlichen Erkenntnisvermögens für die Chancen und Grenzen der Einheit unter Christen leitet über zu der maßgeblichen Verhältnisbestimmung von Einheit und Bekenntnis. 4.3 Einheit und Bekenntnis Das Verhältnis von Einheit und Bekenntnis ist das nach wie vor größte ökumenische Hindernis, die gegebene Bekenntnisvielfalt innerhalb der Christenheit. Dem Wesen des Glaubens entspricht es, sich zu äußern und auch zu reflektieren, womit das Dilemma von Lehrüberzeugungen, die gegeneinander stehen, seinen Lauf nimmt. Eine „naive“ Frömmigkeitsökumene, die z. B. auf den gemeinsamen liturgischen Konsens baut und sich durch eine einfache Theologie erhält, wäre hier ein Ausweg, den BUCER nicht beschritten hat. Demgegenüber steht ein anderes Konzept: Dem Verhältnis von Orthodoxie und Orthopraxis gilt BUCERS besonderes Augenmerk - als „Pietist“ unter den Reformatoren (die Problematik wurde besprochen). In Kürze kann er den Sinn theologischer Besinnung in seinem Johanneskommentar definieren: „Vera Theologia non est theoretica vel speculativa, sed activa et pracitca“ (zit. nach Müller 1965:132; vgl. auch Schiess, Bd. 1, 648). Ein Anliegen, das am Rande nicht ungewöhnlich für die spätere sog. Orthodoxie war und sicher ein Spezifikum des Pietismus ausmachte. Die Lausanner Bewegung und ebenso die DEA rekurrieren nach eigener Auskunft immer wieder genau auf diese Übereinkunft von Lehre und Leben. Inwiefern hier im BUCER’SCHEN Sinne subjektive und objektive Seite des Glaubens zusammengehalten wird, notia, assensus und fiducia, stellt eine offene Fragestellung dar. 427 Der schmale Grat zwischen Intellektualismus und Empirismus, der, verlässt man die hohe Abstraktionsebene, zu dem beliebten Streit zwischen theologischer Spitzfindigkeit und pragmatischen Diensteifer führt (vgl. 4.4), ist für BUCER kurzgefasst kein Gegensatz; an dieser Stelle denkt und handelt er komplementär (vgl. Friedrich 2002:76 u. a.). Im Blick auf einzelne Loci lässt sich, von hierher kommend, festhalten: Im Bereich der Ekklesiologie als dem zur Zeit schwerwiegendsten Problem für die ökumenische Verständigung innerhalb des Korrelats von Einheit und Bekenntnis erweist sich BUCER als überaus „moderner“ Theologe. Sein Versuch diesen Locus im 16. Jahrhundert in 427 Die Durchsicht der Dokumente des LKWE offenbart eine Akzentverschiebung von der theologischen Reflexion hin zu praktisch-missiologischen Anliegen (vgl. 3.2.2.1.7), deren Wert und Notwendigkeit in keiner Weise bestritten werden soll. Theologische Weiterarbeit in ökumenischer Absicht in Form von exegetischen Untersuchungen, systematisch-theologischen Erörterungen usw. und deren Konsequenzen für die evangelikale Asketik als Zentrum einer Frömmigkeitsbewegung, ist damit jedoch noch weiterhin nötig. 161 den Mittelpunkt zu stellen,428 macht ihn zum Gesprächspartner erster Klasse, auch für die Debatten im modernen Evangelikalismus. Schon die ekklesiale Wirklichkeit damals (Gottesdienstgestaltung, Taufform usw.) offenbarte vorhandene Differenzen, die nicht durch geschickte Formulierungen auf Dauer retuschiert werden konnten („Wormser Buch“; vgl. Ortmann 2003:137). Die ekklesiale Wirklichkeit heute im Kontext missionarischer Bemühungen offenbart ebenso die nach wie vor bestehenden Differenzen, die in den letzten 400 Jahren nicht einfach ausgeräumt werden konnten. Die Frage von Seiten evangelikaler Theologen des LKWE und der DEA, ob sich die Evangelikalen nicht vor der theologischen Aufgabe drücken, einer ekklesiologischen Grundierung ihrer praktizierten Ökumene nachzugehen, entspricht daher ganz dem Anliegen BUCERS. Die Kritik an E. Käsemann bspw. fällt u. U. leicht, die Fragestellung bleibt aus evangelikal-ökumenischer Perspektive jedoch bestehen: Können wir gemeinsam noch mehr über die Kirche und die Kirchen aussagen als bisher?429 Bucers Soteriologie ist hinsichtlich der Rechtfertigungslehre doppelt bestimmt durch seine zweifache Fassung der Rechtfertigung (zur präzisen Bestimmung s. o. S. 67, Anm. 205); eine Auffassung, die Eingang gefunden hat in die GER. Aus evangelikaler Sicht lässt sich hierzu in aller Kürze festhalten: Von einigen eher pietistisch geprägten Theologen wurde diese an den 5. Art. des „Wormser Buches“ erinnernde Kompromissformel freundlich aufgenommen, die sog. „Früchte des Glaubens“ finden Berücksichtigung und dienen als Verständigungsbrücke 428 Kantzenbach (1957:123) kann formulieren: „Er hatte ein ausgesprochenes Charisma für den Kampf um die Einheit der Kirche Jesu Christi.“ Luther konnte ihm daher die Sorge um dieses Terrain auch ausdrücklich überlassen (vgl. WA 8, 157f). 429 Von J. Eber wurde der Versuch unternommen, Grundstrukturen einer evangelikalen Ekklesiologie auf Allianzbasis zu entwerfen, zumindest in nuce: Ausgehend von der zur Zeit pragmatischen Haltung in einigen älteren Brennpunkten - wie der eucharistischen Gastbereitschaft baptistischer Gemeinden für Mitglieder der Landeskirche uvm., gelangt Eber (2006:221) zu der Feststellung: „Entweder werden bestimmte theologische Positionen als falsch verworfen, und es werden die entsprechenden praktischen Folgerungen daraus gezogen, weil keine Kirchengemeinschaft möglich ist. Oder theologische Differenzen werden nicht mehr als kirchentrennend eingestuft, und die Kirchen- bzw. Gemeindeleitungen erklären öffentlich die volle Kirchengemeinschaft, zum Beispiel durch einen gemeinsamen Abendmahlsgottesdienst.“ Grundsätzlich einigend soll die Überwindung der Diastase im Kirchenbegriff zwischen Institution und/oder Ereignis dabei wirken (J.-L. Leuba dient hier als Ideengeber; s. o. S. 148). Von hierher kommend entfaltet Eber (1998:205-218) sein Konzept von „Gottesdienst als Kirche“ und „Kirche als Gottesdienst“ (wohl z. T. unter Rückgriff auf Schlink 2005:572578; vgl. auch Eber 1993:147f) mit dem Bemühen volks- und freikirchliche Ansätze und Strukturen zu berücksichtigen, die für die „Allianz“ nun mal maßgeblich sind. Die Folgerungen hieraus sind beachtenswert. Im Hinblick auf die Frage nach der Apostolizität der DEA und der ihr nahe stehenden Gemeinden kann er schließen: „Apostolizität der Kirche heute heißt nicht Freiheit von der Institutionalität, sondern Freiheit zur Ausformung verschiedener institutioneller Gestalten auf der Grundlage gemeinsamer gottesdienstlicher Strukturen“ (Eber 1998:218; Hervorhebung im Original). In dreifacher Hinsicht kann die Allianz demnach „ökumenischen“ Fragen neu begegnen: 1. Das Gespräch mit Kirchen, nicht nur Einzelpersonen wird ermöglicht, auf der Grundlage der ekklesiologischen Übereinkunft, 2. Die Zusammenarbeit mit zweifelhaften, beinahe sektiererischen Gemeinschaften erhält einen Rahmen zur Beurteilung und ggf. Absage der Mitgliedschaft, 3. Die enge Prägung als „religiöser Spezialverein“ wird aufgesprengt durch die Erweiterung des Bewusstseins für die Teilhabe am universalen Leib Christi und dem himmlischen Gottesdienst - eine echte Katholizität stellt sich somit ein (:219). Die Frage steht natürlich im Raum bei dieser Ausformung der Ekklesiologie mit Konzentration auf den Gottesdienst als ekklesiale Mitte, wie sich ein weniger hochkirchlicher Ansatz, der gegen diese Gewichtung des Gottesdienstes systematisch-theologische (und damit auch exegetische) Einwände vorbringen könnte, zu dieser „neuen“ Allianz-Ekklesiologie verhalten würde. 162 zur kath. Fraktion (ob die sichtbare Seite des Glaubens damit formal und material an der richtigen Stelle zum stehen kommt, stellt immer noch einen Diskussionspunkt dar). Aus neoluth. Perspektive wird das Ergebnis der GER an diesem Punkt nach wie vor abgelehnt, grob skizziert aufgrund der nicht gelösten causa-secunda-Problematik, die einem Verrat an der „ursprünglichen“ luth. Rechtfertigungslehre gleichkommt. Hier muss der Vermittlungsversuch BUCERS im neuen Gewand (m. E. wird nirgendwo innerhalb der GER der Straßburger explizit erwähnt, sachlich jedoch aufgegriffen; vgl. S. 104, Anm. 325) als gescheitert angesehen werden.430 Die Pneumatologie BUCERS konnte im Rahmen dieser Untersuchung nur angerissen werden, sie erscheint allerdings interessant im Hinblick auf aktuelle Fragestellungen im Kontext des LKWE (und der DEA). Mit dem Wirken des Hl. Geistes als zentrales Moment in seiner Theologie weist BUCER - ohne in eine „schwärmerische“ Spaltung von äußerem und innerem Wort zu verfallen (vgl. Spijker 1991:13f) - der weiteren frömmigkeits- und theologiegeschichtlichen Entwicklung einen Weg. Sein Geistbegriff steht naturgemäß unter ganz anderen voridealistischen Voraussetzungen als derjenige eines evangelikalen Charismatikers im 21. Jahrhundert; seine „geistliche“ Praxis in dieser Hinsicht ebenso. Beiden gemeinsam ist allerdings die Entdeckung der erneuernden Kraft des Glaubens, eines Heilsoptimismus, der damals wie heute Bewegungen und ihnen folgenden theologischen Schulrichtungen Bahn bricht. Beiden muss allerdings auch die Frage nach der Bedeutung des Kreuzes in ihrer Theologie und Praxis gestellt werden, eine Frage, die BUCER von niemand anderem als LUTHER vorgehalten wurde, der zu viel „gaischt, gaischt“ in seinen Predigten vernahm.431 BUCERS Bekenntnis zur Einheit ist nicht kernlos: Er hat klare Vorstellungen von den „Grundwahrheiten“ (vgl. Cullmann 1990:34-45), einem ökumenischen Konsens, der zur Weiterarbeit und Glaubensgemeinschaft befähigt (s. o. S. 40f) und christologisch grundiert und zentriert ist.432 Allerdings benennt er die Adiaphora nicht immer konkret und abschließend 430 Friedrich (2002:186) unterstreicht dies und sieht den Grund für das Scheitern damals wie heute kurzgefasst in der thomistischen Terminologie, die ein luth. „sola fide“ nicht recht zu fassen vermag. Greschat (2009:168) sieht hierin dagegen gerade die Genialität Bucers, „das reiche Erbe der theologischen Tradition sowohl aufzunehmen als auch in überzeugender Weise für sein Streben nach kirchlicher Einheit zu nutzen.“ 431 Pointiert fasst Hammann (1991:339) zusammen: „Eine infolge der Pneumatologie zu sehr auf den erhöhten Christus zentrierte Christologie kann den Traum von einer idealen Kirche wecken, die wir aus Perfektionismus realisieren wollen, so daß wir uns wie die anderen mit strengen und uneinlösbaren Forderungen quälen, die im Pessimismus und schließlich in einer fatalistischen Haltung enden. Eine ausgeglichene Christologie zwischen Kreuz und Auferstehung, Leiden und Herrlichkeit, Realität und Verheißung läuft auf eine ausgewogene Ekklesiologie hinaus, in der die Kirche so genommen und geliebt wird, wie sie ist und die sich darauf freuen kann, was sie immer mehr wird – denn die Kirche schreitet nur in dem voran, was sie ist.“ 432 McGrath (2010:37) argumentiert durchaus im Bucer’schen Sinne, wenn er angesichts der postmodernen Herausforderungen für die Kirche, folgert: „Durch die gesamte Geschichte des Christentums zieht sich sich eine lange Debatte über das Verhältnis des Zentrums zur Peripherie des Glaubens. Die Diskussion über die Grenzen des Glaubens und darüber, wem deren Festsetzung obliegt, ist natürlich wichtig. Dennoch kann daraus manchmal der Eindruck entstehen, dass es im Christentum hauptsächlich um theologische Definitionen und die 163 und erstellt auch keine Liste der neccesaria. Man könnte u. U. bei BUCER von einer Unterscheidung zwischen Glaubenssätzen sprechen, die „dogmatikos“ oder eben „gymnastikos“ aufzufassen sind (eine Differenzierung von J. G. Hamann). Ob ein consenus antiquitatis, den BUCER mit MELANCHTHON im Ansatz propagierte, möglich ist und wo hier die Grenze zu ziehen wäre (bis zum vierten oder zum siebten ökumenischen Konzil?), bleibt eine offene Fragestellung. Anrich (1914:84) attestiert BUCER die Vorstellung von einem „idealen Protestantismus“, der gereinigt von den mittelalterlichen Auswüchsen zurück findet zu dem Wesen der der ntl. Urkirche und der Alten Kirche der ersten vier Jahrhunderte. 433 Kantzenbach (1957:245; Hervorhebung von mir) steht diesem Ansinnen kritisch gegenüber, wenn er ausführt: „Um zu einer Einigung der Konfessionen zu kommen, kann man nicht doktrinär eine Periode von fünfhundert Jahren als Idealperiode festsetzen und diese zum gemeinsamen Fundament der Kirche deklarieren. Man kann auch nicht Dogmen, dekretiert durch ökumenische oder andere Synoden, einfach als unwandelbare Basis akzeptieren. Der Weg interkonfessioneller Auseinandersetzung führt nicht zuerst über den Wortlaut von Symbolen, sondern in die Heilige Schrift. Jede Zeit ist neu zur Heiligen Schrift.“ R. Hilles Äußerungen zur evangelikalen Katholizität sind zu kryptisch, um eine Tendenz in diese Richtung von dt. evangelikaler Seite feststellen zu können (G. Maier geht hier m. E. einen kleinen Schritt weiter, in: ETM 9/1 2003). Thomas C. Oden vertritt als nordamerikanischer evangelikaler Theologe im weitgehenden Sinne einen Ansatz, den man als Paläoorthodoxie bezeichnen kann (die von ihm hrsg. umfassende Reihe zur KirchenväterAuslegung der Hl. Schrift unterstreicht dies). Von seiner Warte aus richtet sich die Kritik an der ökumenischen Großwetterlage in alle Richtungen: "Weder der ÖRK noch die WEA verkörpern angemessen das Gebet unseres Herrn, dass wir ‚alle eins sein‘ sollen. Der Genfer Weltkirchenrat habe den Schatz einer plausiblen ökumenischen Vision verspielt. Die WEA anderseits, in der die Eigenständigkeit der einzelnen Gemeinden hochgehalten werde (Kongregationalismus), habe die ‚historische Vision von der Einheit der Christen noch nicht genügend erfasst‘. Die Evangelikalen seien sich auch noch nicht bewusst, wie ihr Zeugnis in der Kirchengeschichte (der Geschichte der ‚alten‘ Kirchen) verwurzelt sei.“434 „Einheit und Bekenntnis“ verweist nicht nur auf den möglichen Kern, sondern auch die Notwendigkeit, mit ihnen konform zu gehen, geht. Doch eigentlich definiert sich das Christentum in erster Linie über sein Zentrum und erst in zweiter Linie über seine Grenzen. Und was im Zentrum des christlichen Glaubens liegt, ist die lebendige Realität Gottes, die in Christus bekannt und zugänglich gemacht ist.“ 433 Man könnte mit Weinrich (2005:203), der sich allerdings auf Calvin konzentriert, von dem „Bekenntnis der Frömmigkeit“ sprechen, um das Bucer’sche Verständnis von Katholizität angemessen wiederzugeben. Konkret bedeutet das für Calvin: Wo das Credo gesprochen wird, tritt die universale Kirche in Erscheinung, selbst, wenn es nur von einem einzigen gesprochen würde (Inst. IV 1, 9; vgl. auch WA 47, 235f). 434 Das Zitat stammt aus dem Mitteilungsblatt der Indischen Evangelischen Allianz (Online im Internet: http://www.jesus.ch/index.php/d/article/108/5881/ [Stand: 22.02.2012]). T. C. Oden kann sogar den Versuch unternehmen, eine ökumenische Pastoraltheologie zu entwerfen (1983. Pastoral Theology: Essentials of Ministry. San Francisco: Harper & Row, bes. S. 10ff [Can an ecumenical centrist pastoral theology be developed?]). 164 Grenzen gemeinsamer Bekenntnistreue: Ordnet man das Ergebnis der protestantischen Partei bei den Verhandlungen in Regensburg bzgl. Art. 14 in einen größeren Gesamtzusammenhang ein, liegt der erkenntnistheoretische Schluss nahe: Man fand zwar zu einer Einheit in der Negation - strikte Ablehnung der Transsubstantiationslehre -, aber nicht in der Position; die innerprotestantische Vielfalt hinsichtlich der Abendmahlslehre blieb vorerst bestehen. M. a. W.: Eine extreme Sicht wurde zwar kollektiv ausgeschlossen, eine Übereinstimmung im Kern der Sache zu finden, schien aber dennoch nicht möglich zu sein (s. o. S. 68f). Dies erinnert praeter propter an das Vorgehen der sich formierenden evangelikalen Bewegung gegenüber dem ÖRK. In der Negation, der Ablehnung des Säkularökumenismus konnte große Übereinkunft erzielt werden zwischen den verschiedenen Ausrichtungen evangelikaler Bewegung, in den Positionen liegt mit der LV das aktuelle Konzentrat evangelikaler Theologie vor, das allerdings weiterhin anhand einzelner Paragraphen kontrovers diskutiert wird (im Moment insbesonders anhand Art. 5). H. Blochers Modell zur perspektivischen Gewichtung einzelner Lehraussagen könnte hier bei Weiterentwicklung einen wertvollen Beitrag für die Zukunft leisten. Mögliche Erweiterungen und Modifikationen wurden als Anregung erwähnt (s. o. S. 139f). Im Grunde genommen müsste das Modell statt eines Kreises eine Kugel abbilden, um die Mehrdimensionalität und Komplementarität einzelner christlicher Doktrinen widerspiegeln zu können (vgl. die Gegenüberstellung, in: Schirrmacher 2006:11). Hilfreich zur Konstruktion eines solchen Globus’ ist u. U. die sog. „Aspektive“, eine besondere multiperspektivische Form des Erkennens, deren Wurzeln in den alten vorderen Orient reichen.435 BUCERS Konzept von Minimalreformation als zunächst realistisches Teilziel im Vertrauen auf die auctoritas causativa des Wortes Gottes, dem der weitere Gang der Ereignisse überlassen wird, erlaubt dabei dogmatische und auch praktische Missstände auszuhalten und nicht sogleich ändern zu müssen (vgl. Greschat 2009:171). An dieser Stelle erinnert der evangelikale Separatismus an die Bilderstürmer der Reformationszeit und ihren konsequenten Umgang mit dieser Spannung. 4.4 Einheit und Dienst Der Allianz-Gedanke mit seiner Betonung von Gebet, Gemeinschaft, aber auch gemeinsamem Dienst findet in BUCERS Theologie und Einheitsauffassung einen frühen Vorläufer. Wenn der 435 Stuhlmacher (2002:245) erklärt: „Unter Aspektive versteht man die im ganzen vorderen Orient und Juden(christen)tum übliche Erschließung eines Sachverhaltes mit Hilfe der vielen z.T. kohärenten, aber auch widersprüchlichen Einzelaspekte, die er besitzt (…). Sie erschließen ein Geschehen oder einen Gegenstand perspektivisch im Abtasten und schrittweisen Erfassen seiner Teile, und zwar auch dann, wenn sich dabei scheinbare oder wirklich widersprüchliche Aspekte ergeben.“ 165 Reformator auch sicher nicht einen überkonfessionellen Verein wie die EA im Blick seiner Unionsbemühungen hatte, so ist ihm doch das Leben der Kirche, ihr Dienst nach innen und außen, die maßgebliche Kategorie (vgl. de Kroon 1991:255). Greschat (2009:194) resümiert: „Wenn das auch vielleicht eine Illusion war [sc. hierauf eine ökumenische Verständigung zu bauen], so haben sich ihr doch immer wieder bedeutende Persönlichkeiten hingegeben, bis hin zur ökumenischen Bewegung im 20. Jahrhundert. Denn darum ging es Bucer: dogmatische Fragen, so grundlegend sie waren, doch nicht an sich zu behandeln, sondern ihre Bedeutung und Notwendigkeit im Zusammenhang mit der Ethik, der Tradition, dem Brauchtum, kurz dem Leben der Kirche auszulegen und zu entfalten.“ Für gewöhnlich, verwendet man z. B. die Begriffe Makro- und Mikroökumene, stellt das gemeinsame Dienen auf der Mikroebene heutzutage kein größeres Problem mehr dar, aber ein Schulterschluss auf Makroebene ist deshalb noch kaum denkbar. Missionarische und diakonische Projekte sowohl innerhalb des LKWE und der DEA als auch außerhalb in Kooperation mit Partnern, die man nicht dem evangelikalen Spektrum zuweisen kann, stellen zunächst vor keine großen Herausforderungen in dogmatischer Hinsicht. Doch selbst diese pragmatische Form der „Ökumene“ stößt naturgemäß immer wieder auf theologische Fragen im Miteinander, die nach Klärung verlangen. Mit dem Diktum: „Die Lehre trennt - aber verbindet das Dienen?“ 436 steht die alte Anfrage unter anderen Vorzeichen vor der evangelikalen Bewegung. Der zentrale Begriff „Zusammenarbeit“ (cooperation), quasi als Schlüsselwort der Lausanner Bewegung im Zusammenhang mit Art. 7, muss sich daraufhin überprüfen lassen, ob es sich bei dieser Art der evangelikalen Übereinkunft nicht um einen Einigungspraktizismus handelt, der in der Gefahr steht, in den konkreten ökumenischen Fragen stecken zu bleiben (vgl. Rouse und Neill 1963:101). Die Bedeutung und der theologische Gehalt der LV als „ökumenisches“ Dokument soll damit in keinster Weise geschmälert werden, die Lausanner Praxis jedoch auf ihren Stellenwert des Dienstes hin reflektiert werden. Feststeht: Eine Einheit, die in der Gemeinsamkeit der einen Erfahrung begründet ist, schafft keine gewisse Einheit von Dauer (vgl. Hahn 1988:286f). Die Übermacht des Empirischen, nicht erst mit der sog. empirischen Wende in der Praktischen Theologie, stellt auch die Essenz eines evangelikalen Einheitsverständnisses auf die Probe. Damit soll keiner Abwertung der Empirie als wesentlichem Teil der christlichen Existenz das Wort erteilt werden. Theologisch gesprochen kann sie allerdings auch zum Peirasmos für die Glaubensgewissheit werden (:295f) und letztlich die Mitte des Glaubens, die erst geistliche Einheit konstituiert, verdrängen. 436 Vgl. zu dieser Formulierung bei Bucer Hamm 2003:100. 166 4.5 Einheit und Vollendung H. Blocher (in: Beyerhaus 1974:517) fragt betroffen, ob die verschiedenen evangelikalen Modelle in eschatologischer Hinsicht nicht die „eine Hoffnung“ (Eph 4,4) ins Wanken bringen, die gemeinsame Hoffnung auf Vollendung der Schöpfung. Blochers Überzeugung ist: Mit den vorhandenen Differenzen stehen nicht nur Spezialfragen im Rahmen der verschiedenen Modelle und „Fahrpläne“ im Raum, sondern auch die Frage nach der Vermittlung der einen Hoffnung gegenüber einer Welt ohne Hoffnung (um einmal das Sprachjargon Billy Grahams u. a. aufzugreifen). Im Hinblick auf das Verhältnis von Einheit und Vollendung lässt sich demnach festhalten: Der eschatologische Vorbehalt gilt hier erst recht so wie in der Soteriologie; die Frage lautet, wie pessimistisch man die Chancen auf eine Realisierung der sichtbaren Einheit einschätzt (theologia crucis) oder wie optimistisch (theologia gloriae). Letzteres scheint eher BUCERS Ansatz zu entsprechen. Mit seiner Minimalreformation als Nahziel betrachtet er die „gantze reformation“ nicht automatisch als eschatologisches Moment, sondern ein Geschehen, das realiter stattfinden kann (vgl. Bender 1975:153). BUCER rechnete zu seinen Lebzeiten - wie LUTHER mit der Parusie - mit einer möglichen Wiedervereinigung der Konfessionen; eine Hoffnung, die streng historisch betrachtet nicht gänzlich auszuschließen war. Analog dazu konnte er im Abendmahlsgeschehen den eschatologischen Horizont entdecken, der auch jetzt schon, nicht nur verborgen, sondern gegenwärtig, durch den sich schenkenden Christus Wirklichkeit geworden war (Hammann 1991:131f). Im Hintergrund seiner eschatologischen Überlegungen steht die erasmische Unterscheidung von Letztem und Vor-Letztem, die für ihn zum Schlüssel in seiner Konzentration auf das Wesentliche wurde (Krüger 1993b:587) und eben nicht zur Weltflucht, sondern Weltgestaltung in den vorliegenden Strukturen führte (Greschat 1978:90)437. Dies erinnert an R. Frielings (2004:91) ökumenische Theorie, die zwischen vertikaler und horizontaler Ebene unterscheidet: Alles Ringen um die rechte Konfession und den wahren Glauben spielt sich auf der Horizontalen ab; die Vertikale bleibt davon unberührt, sie gehört zum Bereich des Letzten und ist unverfügbar, wenn auch nicht unerreichbar. Die menschlichen Bemühungen um Einheit unter Christen, ob nun vonseiten des ÖRK oder des LKWE, stehen damit aber auch vor und unter der endgerichtlichen Scheidung Gottes (vgl. Slenczka 1998:427). Nicht nur aus Sicht der evangelikalen Separatisten fehlt ein letztes Kapitel, das hier zumindest Erwähnung finden soll. Die Frage nach „Einheit und Häresie“, die D. Bonhoeffer der Ökumenischen Bewegung buchstäblich vorwarf, verweist wiederum auf die Vorläufigkeit und Unausgegorenheit jeglicher Einheitskonzeption, ob nun im evangelikalen oder 437 Zur Wiederherstellung der Schöpfung, die Bucer radikaler sieht als Thomas von Aquin vgl. de Kroon 1991:249f, bes. Anm. 88. 167 ökumenischen Kontext (um die alte Polarisierung wieder aufzugreifen). Gerade im Hinblick auf den locus classicus Heb 2,5 wird die Kritik nicht nur der sog. bekennenden Evangelikalen laut (vgl. Sauerzapf 1975:212f), dass mit jedem Versuch die alte „Reichsökumene“ eines Alexander d. Großen oder der römischen Cäesaren im neuen Gewand (aus ihrer Sicht: ÖRK, UNO usw.) wieder auferstehen zu lassen, Eschatologisches geschieht - allerdings nicht im Sinne der einen Hoffnung. Mit LUTHER gesprochen unterliegt der Mensch hier der tentatio, das unverfügbare Reich Gottes „methodisch“ herstellen zu wollen (vgl. zu den Konsequenzen Pöhlmann 2002:340f). Die letztliche Trennung von wahrer und falscher Kirche ist jedoch jetzt noch nicht möglich, nur eins bleibt zu erwarten; die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche wird sich durchsetzen. 5. Ergebnis und Ausblick Thesenartig soll mit diesem abschließenden Kapitel eine grundlegende Zusammenfassung der Ergebnisse und ein kurzer Ausblick auf alte und neue Forschungsdesiderate unternommen werden. Die vorliegende Untersuchung hat zu folgenden Ein- und Aussichten geführt: Mit den Unionsbemühungen des Reformators Martin Bucer, eingebettet in seine Biografie und sein theologisches und kirchenpolitisches Schaffen, liegt ein Lebenswerk vor, das nicht nur für die evangelikale Bewegung und ihre Ausrichtungen von bleibender Bedeutung ist. Das spannungsreiche Mit- und Gegeneinander im Chor der übrigen Reformatoren und später ihrer Nachfolger, prägte die Position BUCERS nachhaltig und verhalf ihr zur Lokalisierung „in der Mitte“. Ob und inwiefern dieser Locus angemessen BUCERS Wirken und seine eigene Wahrnehmung widerspiegelt wurde diskutiert und stellt eine nach wie vor kontrovers behandelte Fragestellung in der Forschung dar. Innerhalb des ersten Abendmahlsstreites entwickelt sich seine Stellung zur Kontroverse anhand der theologischen Topoi, aber auch der persönlichen Erfahrungen im Umgang mit LUTHER, ZWINGLI u.a.. Als Höhepunkt in dieser Hinsicht darf die Zeit nach dem Marburger Religionsgespräch bezeichnet werden, die BUCER zu grundlegenden dogmatischen Einsichten führte, gewonnen aus der Reflexion seiner Lage und die der protestantischen Welt im damaligen Reich. Im Gespräch mit den Altgläubigen konnte BUCER im Rahmen seiner Vorstellungen von einer Minimalreformation weite Strecken im Entgegenkommen zurücklegen. Das theologische Ringen dabei, wie schon zuvor im Abendmahlsstreit im Zusammenhang mit der est-significat Debatte, nun, vor allem im Hinblick auf die Rechtfertigungslehre, unterstreicht 168 sein über das kirchenpolitische Engagement hinausgehende Interesse. Unpolitisch war er damit keineswegs, einem blinden und „billigem“ Unionismus verfallen aber ebenso wenig. Das Scheitern des Kölner Reformationsversuchs offenbart die Komplexität der unterschiedlichen Motive und Anliegen, die auf die reichspolitisch, letztlich militärisch bestimmte Wirklichkeit trafen. Von einem frühen Ökumenismus im Falle BUCERS zu sprechen, hinterlässt den zwiespältigen Eindruck eines Anachronismus. Die Rede von einem frühen Ireniker ist angemessener, soweit der Begriff Irenik im Zusammenhang mit dem Programm BUCERS genauer erläutert und definiert wird. Konkrete Ansätze für bi- und multilaterale Gespräche durch den Straßburger Pfarrer können als innovativ bezeichnet werden, seine Hervorhebung der Ekklesiologie und der hiermit verbunden Implikationen für die Praxis bereits im 16. Jahrhundert ist wegweisend. Die evangelikale Bewegung steht seit ihren Anfängen im historischen Strom ökumenischer Bewegungen. Diese Tatsache hat nicht immer genügend Berücksichtigung gefunden oder ist teilweise in Vergessenheit geraten. Mit der Formierung des ÖRK traten dabei fundamentaltheologische Fragestellungen in den Vordergrund, die auf der einen Seite eine Form des Säkularökumenismus und auf der anderen eine Option für eine heilsgeschichtlich bestimmte Missionstheologie entstehen ließen. Im Hinblick auf diese „alten“ Polarisierungen kann mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts von einer Entspannung die Rede sein. Handelt es sich zunächst einmal um eine klimatische Veränderung, so sind die theologischen Weichenstellungen und gegenseitigen Zugeständnisse, besonders im Hinblick auf die globale Bedeutung der sog. „radikalen Evangelikalen“, noch nicht abschließend auszumachen. Das Lausanner Komitee für Weltevangelisation hat im Rahmen seiner Kongresse und Konsultationen von Anfang an die Problematik von Einheit und Diversität bekenntnisverschiedener Christen, Kirchen und Verbände mitbedacht. Henri Blochers Modell zur Gewichtung unterschiedlicher Lehrsätze und der daraus folgenden Möglichkeiten für ein gemeinsames Agieren in Gemeinde und Mission ragt hierbei nach wie vor hervor. Nachfolgende Verlautbarungen konzentrieren sich auf die praktische Seite dieses gemeinsamen Dienstes und liefern so wertvolle Hinweise. Die ökumenische Herausforderung in konfessioneller Perspektive unter Berücksichtigung bleibender dogmatischer und kirchenrechtlicher Unterschiede wird allerdings nur kaum bedacht. Mit den Überlegungen der Deutschen Evangelischen Allianz, resp. ihrer entsprechenden Arbeitsgruppen zur „ekklesiologischen Lücke“ innerhalb der evangelikalen Bewegung, der Aufarbeitung des gemeinsamen Verständnisses von Einheit und Kirche, liegen notwendige 169 Anfragen und Vorschläge vor, die nach Weiterarbeit verlangen. Spricht man den evangelikalen Bewegungen das Potential zur Weiterarbeit zu, so könnte von einem Ökumeneverständnis oder besser einer Einheitsvorstellung im Werden die Rede sein. Zu beachten ist dabei allerdings die Tendenz zur Enttheologisierung der Lausanner Bewegung, hier nur anhand eines Locus „Einheit/Ökumene“ demonstriert, die von Seiten einiger führender evangelikaler Theologen wahrgenommen wird. Ganz abgesehen davon steht die volle Aufnahme und Umsetzung von Art. 7 der Lausanner Verpflichtung durch die evangelikale Bewegung wohl noch aus (Art. 5 scheint momentan größere Aufmerksamkeit gewidmet zu sein). BUCERS Beitrag, nicht nur zur innerevangelikalen Ökumene-Debatte in dogmatischer Hinsicht, hat verschiedene Facetten. Die Rezeption aller Anstöße und Anregungen, die von ihm ausgehen, für den ganzen Bereich einer „ökumenischen“ Theologie und Praxis, ist noch nicht abgeschlossen. Martin Greschats Diktum wird unterstützt durch die schlichte Tatsache, dass die Edition der Werke BUCERS noch vonstatten geht. Zu Beginn seiner Einheitskonzeption steht die „caritas“, sprich die Gottes- und daraus folgende Nächstenliebe, die den Umgang mit dem andersdenkenden Gegenüber bestimmen soll. Korrespondierend dazu spielt der Schlüsselbegriff „pietas“ für BUCER eine große Rolle, der ihn somit zu einem Anhänger einer Frömmigkeitsökumene macht. Seelsorgerische Einsichten geboren aus persönlichen Verletzungen, an denen er jedoch nicht unbeteiligt war, bilden das Fleisch am dogmatischen Gerippe dieser Konzeption. Erhebt man diese zur Maßgabe erscheint der Umgang miteinander im „evangelikalen Lager“ bei abweichenden Erkenntnissen zuweilen als defizitär bis fatal. Grundlegendes Hindernis für eine Verständigung in Lehrfragen ist für den Straßburger zunächst einmal die menschliche Erkenntnisschwäche („imbecillitatis“), die zum Zwang zur Häresie führt. Um diese herum kreiert er seine offenbarungspädagogische Fassung der gubernatio mundi, die letztlich einem ökumenischen Semipelagianismus eine klare Absage erteilt. In BUCERS eigenen Worten: Das Herbeiführen der einigenden Wahrheit ist nur für Gott reserviert, ein vorhandener Erkenntnisgewinn führt daher unweigerlich zu größerer Demut und Bruderliebe und nicht zu Überlegenheitsgefühlen oder Allmachtphantasien. Versteht sich die christliche Gemeinschaft insofern, kann sie als Interpretationsraum mithilfe gemeinsamen Hörens auf und Suchens in der Hl. Schrift hier Fortschritte erzielen. Dieser Ansatz entspricht historisch und dogmatisch (nicht nur) den Kernanliegen der evangelikalen Bewegungen und verdient daher immer wieder uneingeschränkter Aufmerksamkeit. Das Korrelat von Einheit und Bekenntnis spielt sich nach BUCER in dem grundsätzlichen Zusammenhang von Orthodoxie und Orthopraxis ab. Die Bezeichnung „Pietist“ unter den 170 Reformatoren rührt hierher, deren Problematik angesprochen wurde. Ohne die einzelnen Loci hier in materialdogmatischer Hinsicht noch einmal zu entfalten, könnte man die aufgestellte These, BUCER eigne sich par exellence als Brückenbauer auch und gerade im evangelikalen Kontext anhand der Grundausrichtung seiner Theologie und Frömmigkeit an dieser Stelle verifizieren. Der Kardinalbegriff „Kooperation“ der Lausanner Bewegung und grundsätzlich der „Allianz“-Gedanke der Evangelischen Allianz waren BUCER in dieser Form sicher fremd, die Ausrichtung auf das kirchliche Leben, ihr Dienst nach innen und außen, usw. jedoch keineswegs. Hierbei nicht in die beiden Extreme zu verfallen: Einerseits in einen Einigungspraktizismus, der ausschließlich auf den gemeinsamen Dienst baut, und andererseits in eine „Ökumene“, die sich als abgehobenes Theologumenon darstellt ohne Beitrag für die konfessionelle Praxis, entspricht dem Reformator des Ausgleichs. Bleibt die Vollendung des Leibes Christi und damit auch seine sichtbare Einheit immer ein eschatologisches Geschehen, so konnte BUCER doch zu seinen Lebzeiten mit einer Wiedervereinigung der Konfessionen rechnen oder besser darauf hoffen. Im Hintergrund steht in theologischer Hinsicht ein gewisser Heilsoptimismus und ein Bewusstsein für die Aufgabe der Weltgestaltung und nicht -verneinung. Inwiefern die unterschiedlichen, kontrovers verhandelten Endzeitmodelle evangelikaler Provenienz hier die „eine Hoffnung“ konterkarieren und damit Unionsversuche letztlich boykottieren, verdient zumindest der Erwähnung an dieser Stelle. Die Vorläufigkeit aller ökumenischen Modelle, ob nun ÖRK oder LKWE oder in separatistischer Absicht des ICCC, erinnert an die erasmische Scheidung von Letztem und Vorletztem, die BUCER rezipiert hat und vor die Einsicht stellt, dass ein letztes Urteil über das Modell der „Anderen“ coram Deo noch nicht möglich ist. 171 Literaturverzeichnis (Die Abk. richten sich nach der RGG4 u. dem IATG2; Literatur auf die im Text nur verwiesen wird, befindet sich nicht im Literaturverzeichnis) Quellen (Bucer u. a.)438 Bucer, Martin 1960ff. Opera omnia: Series 1 - Deutsche Schriften. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hrsg. von Robert Stupperich. Gütersloh: Mohn. Bucer, Martin 1982ff. Opera Omnia: Series 2 – Opera Latina. Hg. von Cornelis Augustijn. (Studies in medieval and reformation thought 30ff). Gütersloh: Mohn. Bucer, Martin 1986ff. Opera Omnia: Series 3 – Briefwechsel = Correspondance. Hg. von Jean Rott u. a.. (Studies in medieval and reformation thought 43ff). 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