MARTIN BUCER UND DIE EINHEIT DER CHRISTENHEIT:
EIN THEOLOGIEGESCHICHTLICHER BEITRAG ZUR ÖKUMENE-DEBATTE IM
MODERNEN EVANGELIKALISMUS UNTER BESONDERER
BERÜCKSICHTIGUNG DER LAUSANNER BEWEGUNG FÜR
WELTEVANGELISATION
(MARTIN BUCER AND THE UNITY OF CHRISTENDOM: A THEOLOGICAL
HISTORICAL CONTRIBUTION TO THE ECUMENICAL DEBATE IN MODERN
EVANGELICALISM WITH SPECIAL REFERENCE TO THE LAUSANNE
MOVEMENT FOR WORLD EVANGELISATION)
by
THOMAS KLÖCKNER
submitted in accordance with the requirements
for the degree of
MASTER OF THEOLOGY
in the subject
SYSTEMATIC THEOLOGY
at the
UNIVERSITY OF SOUTH AFRICA
Supervisor: Dr R Ebeling
Co-Supervisor: Ds D F Olivier
November 2012
STATEMENT
Student number: 4600-953-1
I declare that Martin Bucer und die Einheit der Christenheit: Ein theologiegeschichtlicher
Beitrag zur Ökumene-Debatte im modernen Evangelikalismus unter besonderer
Berücksichtigung der Lausanner Bewegung für Weltevangelisation (Martin Bucer and the
unity of Christendom: a theological historical contribution to the ecumenical debate in
modern evangelicalism with special reference to the Lausanne Movement for World
Evangelisation) is my own work and that all the sources that I have used or quoted have been
indicated and acknowledged by means of complete references.
Weinheim, den 24.02.2012
SIGNATURE
(MR T KLÖCKNER)
DATE
2
Danksagung
Das Entstehen und die Fertigstellung dieser Arbeit verdanke ich vielen Personen, die hier
nicht alle namentlich genannt werden können.
Besonders danken möchte ich aber Herrn Dr. Rainer Ebeling, der freundlicherweise die
Betreuung dieser Arbeit übernommen hat. Ebenso schulde ich der Bucer-Forschungsstelle der
Heidelberger Akademie der Wissenschaften, insbesondere Herrn PD Dr. Thomas Wilhelmi
meinen Dank für die zuvorkommende Art in der Beantwortung meiner Fragen. Frau Christine
Druskeit (M.A.) hat die mühsame Aufgabe des Korrekturlesens auf sich genommen, dafür sei
ihr an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich gedankt.
Bedanken möchte ich mich ebenfalls für die vielfältige Unterstützung und Ermutigung, die
ich sowohl von meiner Familie als auch von Freunden bekommen habe, „sine quibus non“.
3
Zusammenfassung:
Die ökumenische Bewegung weltweit steht nicht erst seit kurzem vor großen
Herausforderungen, nicht nur an der Basis. Kirchenpolitische Interessen, kulturelle Barrieren
und in der Tat theologische Differenzen fragen nach dem Kern christlicher Einheit. Vor dieser
Aufgabe steht auch und insbesondere die evangelikale Bewegung mit ihrer spezifischen
Prägung und Fragestellung im Kontext der weltweiten Christenheit. Innerhalb dieser global
betrachtet expandierenden Bewegung begegnet man dem ökumenischen Anliegen mit
geteilter Aufmerksamkeit, offener Kritik und völliger Abstinenz. Mithilfe der Darstellung der
Unionsbemühungen des Reformators Martin Bucer, insbesondere seiner theologischen
Motive, wird ein hoffentlich weiterführender Gesprächsbeitrag für die Ökumene-Debatte im
modernen Evangelikalismus geliefert.
Schlüsselwörter:
Martin
Bucer,
Abendmahlsstreit,
Religionsgespräche,
Christliche
Einheit/Ökumene,
Ökumenische Bewegung, Evangelikalismus, Lausanner Komitee für Weltevangelisation,
Deutsche Evangelische Allianz
Abstract:
World-wide ecumenicism has to challenge big issues for a long time now. Church-political
interests, cultural frontiers and, of course, theological differences search for the center of
christian unity. Especially evangelicalism as a part of world-wide christianity has to face this
challenge with its specific character. Within this expanding movement, a variety of viewpoints
exist with regard to ecumenicism: divided attention, open criticism and neglection. Martin
Bucer as ecumenical pioneer in the period of reformation elaborates a fresh approach towards
the evangelical ecumenicism-debate. His theological motives build the center of this
dissertation.
Key terms:
Martin Bucer, sacramentarian controversy, colloquies, christian unity/ecumenicism,
evangelicalism, Lausanne Comitee for World Evangelisation, German Evangelical Alliance
4
Formalia
Beim Nachweis von Zitaten und Literatur wende ich die von UNISA vorgeschriebene
Harvard-Methode an und folge dabei den Regeln in:
Christof Sauer (Hg.) 2004. Form bewahren: Handbuch zur Harvard-Methode. (GBFEStudienbrief 5). 1. Aufl. Lage: Gesellschaft für Bildung und Forschung in Europa e.V.
Auf die Verwendung der alten Rechtschreibregelung in Zitaten weise ich am gegebenen Ort
nicht hin (kein sic!).
5
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis...........................................................................................................................7
1. Einstieg und Orientierung...............................................................................................................8
1.1 Notwendigkeit und Fragestellungen............................................................................................8
1.2 Vorgehensweise.........................................................................................................................11
1.3 Auswahl, Quellenlage und Stand der Forschung........................................................................12
2. Martin Bucer und die unio christianorum....................................................................................17
2.1 Der vergessene Reformator.......................................................................................................17
2.2 Unionsbemühungen im Zeichen von reformatorischem Aufbruch und konfessioneller
Identitätsbildung..............................................................................................................................25
2.2.1 Abendmahlsstreit...............................................................................................................25
2.2.1.1 Früher Abendmahlsstreit (1524-1528)..................................................................26
2.2.1.2 Marburger Religionsgespräch (1529-1530/31).....................................................35
2.2.1.3 Wittenberger Konkordie (1532-1536)...................................................................45
2.2.1.4 Zusammenfassung und Auswertung.....................................................................51
2.2.2 Religionsgespräche............................................................................................................56
2.2.2.1 Leipziger Gesprächstage und Hagenauer Verhandlungen (1539/40).....................59
2.2.2.2 Wormser Religionsgespräch und Regensburger Reichstag (1540-1541)...............61
2.2.2.3 Kölner Reformationsversuch (1543-1546)...........................................................71
2.2.2.4 Zusammenfassung und Auswertung.....................................................................76
2.2.3 Ökumene im 16. Jahrhundert!?..........................................................................................80
2.3 Motive und Grenzen der Bucer’schen Vermittlungstätigkeit.....................................................85
3. Evangelikale und die Ökumene.....................................................................................................91
3.1 Ökumenismus als neuzeitliches Phänomen................................................................................91
3.1.1 Historische Streiflichter.....................................................................................................92
3.1.2 Theologische Schwerpunkte..............................................................................................95
3.1.3 Aktuelle Perspektiven......................................................................................................103
3.2 Ökumenismus innerhalb der evangelikalen Bewegung............................................................106
3.2.1 Problemanzeige...............................................................................................................106
3.2.1.1 Die Auseinandersetzung mit dem Säkularökumenismus ....................................107
3.2.1.2 Die zunehmende Entspannung zu Beginn des 21. Jahrhunderts..........................111
3.2.2 Globale und nationale evangelikale Alternativen zum ÖRK............................................114
3.2.2.1 Lausanner Komitee für Weltevangelisation........................................................114
3.2.2.1.1 Lausanner Verpflichtung............................................................................116
3.2.2.1.2 Pan-African Christian Leaders’ Assembly.................................................124
3.2.2.1.3 Lausanne Occasional Papers......................................................................129
3.2.2.1.4 Manila Manifest.........................................................................................131
3.2.2.1.5 European Leadership Consultation on Evangelisation...............................133
3.2.2.1.6 Cape Town Commitment...........................................................................134
3.2.2.1.7 Abschließende Analyse .............................................................................139
3.2.2.2 Deutsche Evangelische Allianz...........................................................................141
3.2.2.2.1 Geschichtliche Wurzeln und theologische Verortung................................141
3.2.2.2.2 Kirchen- und Einheitsverständnis der DEA...............................................143
3.2.2.2.3 Abschließende Analyse.............................................................................149
3.2.3 Evangelikales Ökumeneverständnis im Werden..............................................................151
4. Wesenszüge christlicher Einheit: Bucers Beitrag zur evangelikalen Ökumene-Debatte.........153
4.1 Einheit und Caritas..................................................................................................................154
4.2 Einheit und Erkenntnis............................................................................................................157
4.3 Einheit und Bekenntnis............................................................................................................161
4.4 Einheit und Dienst...................................................................................................................165
4.5 Einheit und Vollendung...........................................................................................................167
5. Ergebnis und Ausblick.................................................................................................................168
Literaturverzeichnis.........................................................................................................................172
6
Abkürzungsverzeichnis (weitere Abkürzungen im Verzeichnis der TRE)
ACK
AfeT
BCor
BDS
BFeG
BOL
BSLK
CA
CO
CR
CT
CTC
DEA
Diss.
DH
EA
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ELK
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KTGQ
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LOP
luth.
LV
MM
ÖRK
ref.
S. th.
WA
WABr
WATR
WEA
ZW
Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland
Arbeitskreis für evangelikale Theologie
Martin Bucers Korrespondenz
Martin Bucers Deutsche Schriften
Bund Freier Evangelischer Gemeinden in Deutschland
Bucerus Opera Latina
Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche
Confessio Augustana
Calvini Opera (CR 29ff)
Corpus Reformatorum
Confessio Tetrapolitana
Cape Town Commitment
Deutsche Evangelische Allianz
Dissertation
Denzinger-Hünermann (40. Aufl. 2005)
Evangelische Allianz
Europäische Evangelische Allianz
Europäisches Lausanne Komitee
Evangelisch-methodistische Kirche
Evangelical Review of Theology
Mitteilungen, Anregungen und Berichte aus dem AfeT
Facharbeitsgruppe Systematische Theologie des AfeT
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Festschrift
Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre
International Council of Christian Churches
Informationsdienst der Deutschen Evangelischen Allianz
Institutio Christianae Religionis (Ausgabe 1559)
katholisch
Katholische Nachrichtenagentur
Kirchen und Theologiegeschichte in Quellen
Luther Deutsch
Lausanner Komitee für Weltevangelisation
Lausanne Occasional Paper
lutherisch
Lausanner Verpflichtung
Manifest von Manila
Ökumenischer Rat der Kirchen
reformiert
Summa Theologiae Th. Aquino
Weimarer Ausgabe von Luthers Schriften
Briefwechsel
Tischreden
Weltweite Evangelische Allianz (1951-2006 WEF)
Huldrych Zwinglis sämtliche Werke
7
1. Einstieg und Orientierung
1.1 Notwendigkeit und Fragestellungen
Die ökumenische Bewegung weltweit steht nicht erst seit kurzem vor großen
Herausforderungen. Betroffen ist sowohl die Basis als auch der Überbau. Die
Auseinandersetzung mit kirchenpolitischen Interessen, kulturellen Barrieren und in der Tat
theologischen Differenzen lässt die Frage nach dem Kern christlicher Einheit immer wieder
neu aufkommen. Vor dieser Aufgabe - soweit sie als solche überhaupt wahrgenommen wird steht auch und insbesondere die evangelikale Bewegung mit ihrer spezifischen Prägung und
Fragestellung im Kontext der weltweiten Christenheit. Innerhalb dieser global betrachtet
expandierenden Bewegung (Wetzel 1998:84.90f)1 begegnet man dem ökumenischen Anliegen
ganz unterschiedlich: mit geteilter Aufmerksamkeit, offener Kritik und völliger Abstinenz.
Mithilfe der Darstellung der Unionsbemühungen des Reformators Martin Bucer 2,
insbesondere seiner theologischen Motive und Argumentation, soll ein weiterführender
Gesprächsbeitrag für die Ökumene-Debatte im modernen Evangelikalismus geliefert werden.
Schirrmacher (2002:13) ist zuzustimmen, wenn er fordert:
„In einer Zeit, in der uns die Frage der Einheit der Gemeinde Jesu ganz neu interessiert
und insbesondere die evangelikale Welt die Frage bewegt, wie wir im Gestrüpp
theologischer Auffassungen die grundlegenden Lehren und Werte unseres Glaubens von
zweitrangigen Fragen trennen können, muß der Reformator, der sich zeitlebens keiner
Konfession zuordnen ließ, der mit allen redete und diskutierte - Lutheranern,
Reformierten, Täufern und Spiritualisten, und der nie müde wurde, Christen
zusammenzuführen, von enormer Bedeutung sein.“
Es ist ersichtlich: Wie kaum ein anderer hat der Straßburger Reformator Martin Bucer
gerade in den konfessionellen Wirren der Reformationszeit das Programm „Einheit der
Christenheit“ zu vertreten gewusst. Neben der biblisch-theologischen und sicher auch
politischen Notwendigkeit hierfür, die ihn trotz aller Widerstände zu Gesprächen mit den
Altgläubigen veranlasste, war wohl auch seine persönliche Veranlagung, die in dieser
Hinsicht einzigartig unter den Reformatoren der ersten Stunde ist, mit ausschlaggebend.
„Sein überaus regsamer, beweglicher und erfinderischer Geist machte ihn zum geborenen
Vermittler (…)“ (Moeller 1998:1811).3 Die Grundthese und zugleich -frage, die mit dieser
1
Vgl. dazu allerdings Geldbach (2008), der diese gängige Behauptung, zumindest hinsichtlich der Situation
in den USA auf Grund einer kritischen Analyse von Dean M. Kelleys programmatischer Untersuchung „Why
Conservative Churches Are Growing“ (1977) in Frage stellt. Eine exakte empirische Erhebung ist wohl kaum
möglich, da die Vergabe des Etiketts „evangelikal“ unbestreitbar, wesentlich vom status confessionis des
jeweiligen Betrachters (Institution, Verband, Werk usw.) abhängt.
2
Zur Schreibweise: In seinen deutschen Schriften schreibt Bucer seinen Namen mit tz, später hingegen in
Angleichung an die latinisierte Form „Bucerus“ mit c. Letztere Schreibweise hat sich zuerst in der
angelsächsischen und französischen Literatur durchgesetzt und wurde auch im deutschen Sprachraum
übernommen (Stupperich 1981:258).
3
Bornkamm (1952:10) charakterisiert ihn ebenso: „Bucer behielt dagegen zeitlebens eine fast unermüdliche,
manchmal an die Grenzen des Möglichen gehende Leichtigkeit des Gesprächs, der Anpassung, der Vermittlung.“
8
MTh-Dissertation zur Diskussion gestellt wird, lautet, ob BUCER als Konsenstheologe nicht
auch heute noch mit seinen fundierten theologischen Urteilen, gepaart mit einer strategischen
Sicht der Dinge, einen Beitrag liefern kann, der sich für die ökumenische Aufgabe im
modernen Evangelikalismus als fruchtbar erweist. Sein Vermittlungsdienst wäre damit noch
nicht abgeschlossen. Als der „Ökumeniker“ und zugleich „Pietist“ (Lang 1972:8.passim) die Begrifflichkeiten stehen zur Diskussion (vgl. Friedrich 1993a und Wallmann 1993b) unter den Reformatoren der ersten Stunde scheint er dazu prädestiniert zu sein. Im Hinblick
auf den konfessionellen Protestantismus hat dieses Unterfangen schon einmal Früchte
getragen. M. Lienhard (in: Hammann 1989:13) konstatiert:
„Wer heute Ökumene treibt, bemüht sich um Konvergenz im Zentralen, welche
Gemeinschaft schafft, ohne den Reichtum der legitimen Vielfalt preiszugeben. Das war
das
Anliegen
der
Leuenberger
Konkordie
als
Konkordie
zwischen
bekenntnisverschiedenen Kirchen. Das war auch Bucers Weg, der im reformatorischen
Lager zur Wittenberger Konkordie (1536) geführt hat. Auf dieses ökumenische Modell
haben die Gespräche des 20. Jahrhunderts, insbesondere zwischen Lutheranern und
Reformierten, immer wieder hingewiesen.“4
Der moderne Evangelikalismus, der hinsichtlich Theologie und Auftreten sicherlich nicht
als monolithischer Block zu betrachten ist (vgl. Ellingsen 1988; Tidball 1999; Krapohl und
Lippy 1999), hat sich mit der Lausanner Verpflichtung von 1974 zu grundlegenden Fragen
seiner Identität geäußert. Überhaupt die Tatsache, dass es zu solch einer Erklärung
gekommen ist, ist bleibender Ausdruck von Einheitsstreben, aber auch zugleich Abgrenzung
gegen andere Formen ökumenischer Gemeinschaft (ÖRK)5. In Artikel 7 der LV wird zur
Sache verlautbart: „Wir bekräftigen, daß die sichtbare Einheit der Gemeinde in Wahrheit
Gottes Ziel ist. Evangelisation ruft uns auch zur Einheit auf, weil unsere Uneinigkeit das
Evangelium der Versöhnung untergräbt.“ (Marquardt und Parzany 1990:323). Anspruch und
Wirklichkeit divergieren hierbei selbstredend je nach Situation und Ort. Das Wesen der
erwünschten Einheit wird zwar später im selben Artikel präzisiert („regional“ u.
„funktional“), verdient aber m. E. noch genauerer Bestimmung.
Die deutsche evangelikale Bewegung macht einem Mikrokosmos gleich die Spannbreite
der
möglichen
Unionsverständnisse
deutlich.
Immer
-
historisch
bedingt
-
in
Auseinandersetzung mit „Genf“, sprich dem ÖRK und seiner Reputation. Zwischen kritischer
Für van Campen (1991:82) ist er schlicht und ergreifend der „Brückenbauer“ unter den Reformatoren der ersten
Stunde.
4
Hervorhebung von mir. In diesem Zusammenhang darf auch erwähnt werden, dass die KNA im
Jubiläumsjahr 1991 anlässlich des 500. Geburtstages des Straßburger Reformators immerhin dreimal den
profunden Bucer-Kenner M. Greschat zu Wort kommen ließ, um so Bucers ökumenisches Vermächtnis zu
würdigen (Greschat 1991/30:5-9; 1991/31:5-8; 1991/32:5-8; zur Rezension neuer Veröffentlichungen über Bucer
s. 1991/48:14).
5
Die jeweils verwandten Abkürzungen werden nicht eingeführt, s. hierzu das Abkürzungsverzeichnis zu
Beginn.
9
Ablehnung (bspw. apokalyptische Deutungen der „Einheitskirche“) und offenem
konstruktiven Dialog befindet sich die Mehrheit wohl in einem passiven und uninformierten
Status (Eber 2006:216). Pragmatische Ansätze, die der „Zusammenarbeit“ - ein
Kardinalbegriff der Lausanner Bewegung - dienen, sind verlockend, müssen sich aber die
Frage gefallen lassen, wie es um ihre theologische Fundierung, insbesondere ihr
Ernstnehmen der jeweiligen ekklesiologischen Existenz ihrer Mitglieder, steht. Der weltweite
Evangelikalismus steht in seinen Einschätzungen, aber auch hinsichtlich der Anfragen, grob
skizziert - mutatis mutandis -, dem nationalen Phänomen Deutschland in nichts nach (Fackre
1993; Tidball 1999:251-258).
Auf dem Weg zu einem verantwortbaren ökumenischen Miteinander innerhalb und
außerhalb der evangelikalen Bewegung, das sicher auch seine Grenzen markieren darf und
muss, scheint die Beschäftigung mit Martin Bucer und seiner Begründung der unio
christianorum ein lohnenswertes Unterfangen. Ein praktisch-theologischer Ertrag, der nicht
Aufgabe dieser Studie ist, könnte darin liegen, Vorurteile, Missverständnisse und
fragwürdige Motive im ökumenischen Prozess zu benennen und von hier her - ex negativo Perspektiven, Strategien und vor allem Hoffnung für den „einen Leib Christi“ (Eph 4,4) zu
gewinnen.
Zulehner (2004:119) beschreibt nach einer kurzen Standortbestimmung eines
postchristlichen Europas die Aufgabe der Kirche6 heute folgendermaßen:
„Es braucht eine missionarische Kirche mit neuer Qualität, und das an Haupt und
Gliedern. Dabei gilt es Respekt zu haben vor der Freiheit der Menschen. Die Kunst wird
es dann sein, ‚Freiheit und Wahrheit‘ zusammenzuhalten und der Versuchung zu
widerstehen, sich auf einen der beiden Pole drängen und festlegen zu lassen - auf der
einen Seite in einen unfreiheitlichen Fundamentalismus, auf der anderen in einen
agnostischen, an der Wahrheitsfrage verzweifelnden Modernismus.“
Die Koordinaten sind damit genannt, in denen sich die Ökumene-Debatte im modernen
Evangelikalismus
vorrangig
bewegt.
BUCERS
Beitrag
hierzu
soll
anhand
seiner
„ökumenischen Hermeneutik“ - soweit eruierbar - erhoben und ins Spiel gebracht werden.
Vielleicht ergibt sich so ein neuer Blick auf das gängige Koordinatensystem, eine neue
Dimensionalität, die alte Polarisierungen aushebelt.
Konkrete Fragestellungen in diesem Kontext lauten: Welche systematisch-theologischen
Überzeugungen sind für BUCER tragend in seinem Ringen um einen konziliaren Weg mit den
Alt- und Neugläubigen? Wo liegen die Wurzeln und Abhängigkeiten; inwiefern handelt es
sich um einen Ansatz sui generis?7 Inwieweit zeichnen sich hier Vorboten ökumenischen
6
Es wird an keiner Stelle ersichtlich, ob Zulehner mit „Kirche“ gemäß dem Präfekt seiner
Glaubenskongregation seine eigene Kirche, die röm.-kath. oder generalistisch den Leib Christi meint.
7
Strohm (2001:94) weist in einem kurzen Forschungsüberblick darauf hin, dass die bisherigen
Untersuchungen über Bucers Unionsbemühungen diese beiden Fragen nicht zufriedenstellend geklärt haben:
10
Denkens und Handelns ab, das Gemeinsamkeiten betont und Unterschiede in sekundären
Fragen nicht herausstreicht? Was sind für Martin Bucer sekundäre Fragen, Adiaphora oder
auch theologische Urteile, die für ihn nicht im strengen Sinne zu den neceassitas medii
zählen? Wie begegnet der Reformator dementsprechend den Glaubensgenossen? Folgt seine
Argumentation mit ihnen einem bestimmten Muster, nicht nur rhetorisch betrachtet, sondern
grundsätzlich? Anders formuliert: Gibt es für ihn einen irenischen Kern, der von seinem
Verständnis des Evangeliums her dogmatische Grenzziehungen unter gewissen Umständen
als nicht notwendig erscheinen lässt? In Summe: Welche theologischen Gewichtungen in den
Topoi wie Christologie, Soteriologie und Ekklesiologie - insbesondere letztere scheint der
sichtbaren Einheit der Kirche am abkömmlichsten - lassen sich beim Straßburger Reformator
ausmachen?
Im Hinblick auf die evangelikale Bewegung und ihr Ökumeneverständnis steht folgender
Fragenkomplex im Raum: Wo liegen die Wurzeln der ökumenischen Bewegung? Was
kennzeichnet ihre Geschichte, Theologie und aktuelles Auftreten? Welchen Stellenwert hat
der Ökumenismus innerhalb der evangelikalen Bewegung weltweit und deutschsprachiger
Prägung? Worin sind theologische oder auch andersartige Widerstände begründet? Gibt es
hierbei erhellende Faktoren, die bisher noch zu wenig Berücksichtigung gefunden haben und
der Aufklärung dienen würden? Worin manifestieren sich bleibende Unterschiede zwischen
dem ÖRK und dem LKWE? Welche praktischen Schlussfolgerungen werden daraus von den
einzelnen partizipierenden Vertretern aus Kirchen und Gemeinden gezogen und wie steht es
um deren theologische Grundierung, z. B. hinsichtlich der ekklesiologischen Frage?
Schlussendlich: Welche Standpunkte nimmt die evangelikale Bewegung hinsichtlich der
Ökumene-Debatte derzeit ein und welches Potenzial für theologische Weiterarbeit ist darin
enthalten?
1.2 Vorgehensweise
Ausgangspunkt der Studie ist die Analyse der BUCER’SCHEN Konzeption, seines
Verständnisses von christlicher Einheit, gewonnen in der Auseinandersetzung mit den alten
und neuen Mächten Europas in einem Zeitalter grundsätzlicher theologischer und nicht nur
kirchenpolitischer Neuorientierung. Einleitend (2.1) soll das Lebenswerk des „Vergessenen“
als Rahmenhandlung kurz vorgestellt werden. Innerhalb des dann folgenden Paragrafen (2.2)
geschieht die systematisch-theologische Erörterung immer in, mit und unter der Betrachtung
der historischen Situation, ohne die ein sachgemäßes Verständnis der jeweiligen
„Keine der Arbeiten hat jedoch die theologischen Grundentscheidungen, die hinter Bucers Vermittlungstätigkeit
stehen, genauer geklärt - sieht man einmal ab von Einzellehren oder summarischen Verweisen auf
humanistisches Gedankengut bei Bucer.“ (:94).
11
Fragestellungen und Motive schlichtweg nicht möglich ist. 8 Unter Kap. 2.3 wird eine
Synthese
mittels
der
aufgefundenen
Grundentscheidungen
BUCERS
gewagt.
Der
theologiegeschichtlichen Darstellung einer „klassischen“ Position folgt unter 3. ein Kapitel
neuzeitlicher Theologie- und Kirchengeschichte, das noch im Werden begriffen ist. Einigen
einleitenden Informationen zur ökumenischen Bewegung (3.1: Geschichte, Theologie und
status quo) schließt sich die Untersuchung der evangelikalen Bewegung und ihres
„ökumenischen“ Ansatzes an (3.2). Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf die
Dokumente und Kommentare der Lausanner Bewegung gelegt. In synthetischer Hinsicht
komplettiert wird die MTh-Dissertation durch eine systematisch-theologische Reflexion (4.),
die gewonnene Ergebnisse aufgreift und an ihrem jeweiligen dogmatischen Ort reflektiert.
Das Wesen christlicher Einheit soll - wenn man so will - in einer Art tractatus oecomenicus
skizziert und damit zur Diskussion gestellt werden. Die Möglichkeit neuer Theoriebildung ist
eingeschlossen, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Grunde genommen nur die
Zuspitzung und Aktualisierung des BUCER’SCHEN Vermächtnisses im evangelikalen Kontext
die Qualifizierung „neu“ verdient. Eine thesenartige Zusammenfassung samt Ausblick rundet
die vorliegende Untersuchung ab (5.).
Missverstanden und in keiner Weise sachgemäß wäre die totale Inanspruchnahme der
Person Martin Bucer für die Anliegen der evangelikalen Bewegung heute. Ein mögliches
Urteil nach dem Motto, bei BUCER handle es sich um den ersten „evangelikalen“
Vorzeigeökumeniker, ist anachronistisch und methodologisch nicht verantwortbar (vgl. im
Falle CALVINS dazu Nijenhuis 1960:63). Vielmehr ist der kritische und nicht präjudizierte
Dialog zwischen Martin Bucer und - salopp formuliert - den Evangelikalen Aufgabe und
Strukturmerkmal dieser Studie.
1.3 Auswahl, Quellenlage und Stand der Forschung
Eine erste Eingrenzung geschieht zunächst durch die Konzentration auf einen der z. T. in
Vergessenheit geratenen Reformatoren, den Elsässer Martin Bucer. Markante Stationen seiner
Biografie, die den Sitz im Leben für seine Unionsbemühungen bilden, sowie zentrale
Schriften zur Thematik stehen im Mittelpunkt der Untersuchung. 9 Eine Begrenzung auf eines
8
Gäumann (2001:31f) moniert, dass die historische Aufarbeitung zuweilen selbst in genuin
kirchengeschichtlichen Arbeiten (z. B. Diss. von H. J. Selderhuis) zu kurz käme.
9
Das „ökumenische“ Traktat schlechthin stellt die Vorrede zur zweiten Ausgabe des Evangelienkommentars
von 1530 dar. In einem Brief an den Konstanzer Reformator Ambrosius Blaurer bringt er dies deutlich zum
Ausdruck, wenn er seine Vorrede als „epistolam (…) de seruanda ecclesiae vnitate“ bezeichnet (BCor IV, 86, 2f).
Am Rande: Die Zitation der Quellentexte Martin Bucers folgt den gängigen Mustern in der Literatur: Auf den
Band folgt die Seiten- und dann schließlich die Zeilenangabe, jeweils durch ein Komma samt Leerzeichen
getrennt; nur im Falle der Korrespondenz werden für den Band lat. Ziffern verwandt. Eine einheitliche
Festlegung im Hinblick auf reformatorische Werkausgaben generell steht nach Markschies (1995:55) noch aus.
12
seiner Werke, u. U. auf sein opus magnum, den Römerbriefkommentar von 1536, oder sein
Spätwerk „De regno Christi“ von 155010 erscheint nicht sinnvoll, da sie der nicht streng
dogmatisch beschaffenen Struktur seiner Theologie und vor allem ihrer Darstellung
zuwiderläuft.11 W. H. Neuser (1998b:224) hält fest:
„Das Fehlen einer zutreffenden Charakterisierung (sc. der Theologie Bucers) weist auf ein
tieferliegendes Problem hin, auf die Spannweite der Theologie Bucers. Der Straßburger
Theologe verbindet, systematisch nicht immer konsequent und abgesichert, einander
entgegengesetzte Lehrpunkte, wie Geistwirken und Amtsautorität, Prädestination und
kirchliche Heilsmittel, Kerngemeinde und christlichen Staat. Diese Spannbreite ist
Ausdruck seines Gedankenreichtums. Aus ihm hat wie kein anderer Calvin geschöpft,
dessen Lehrer Bucer wurde.“12
Die Bucer-Forschung blickt naturgemäß auf eine lange Tradition zurück, die Literatur ist
schlichtweg Legion (vgl. die monumentale Bibliografie von Pils, Ruderer & Schaffrodt 2005).
Die spezifische Fragestellung nach dem Verständnis von „Einheit der Christenheit“ bei BUCER
wurde von Beginn an verhandelt, zunächst unter eher polemischen Gesichtspunkten,
insbesondere durch die luth.13, aber auch ref. Orthodoxie14, dann mit dem Aufbruch der
ökumenischen Bewegung zu Beginn des letzten Jahrhunderts zunehmend mithilfe
10
Diese Schrift ist in gewisser Hinsicht ein merkwürdiges Buch und so einzigartig unter den Schriften der
Reformationszeit; ein Reformprogramm für die englische Gesellschaft wird entworfen, das ein „Schreckensbild
einer bis in den letzten Winkel hinreichenden klerikalen Bevormundung menschlichen Zusammenlebens“ (de
Kroon 1991:251) enthält, ohne es auf dieses reduzieren zu wollen. Eine Dogmatik analog zu Calvins „Institutio
christianae religionis“ sucht man vergebens; vgl. generell zu Bucer und Calvin de Kroon 1991:229-257; van’t
Spijker 1993a:462.470; im Rückgriff auf Ficker und Winckelmann (1904) hält van’t Spijker (1993a:461f) fest:
„[W]enn Calvin überaus viel vom [sic!] Straßburg empfangen hat, theologisch wohl vor 1535, in kirchlicher
praktischer Arbeit aus den kirchlichen Verhältnissen in der Zeit seines längsten Aufenthaltes in Straßburg, so hat
er doch Straßburg und seinen Reformatoren auch gegeben: er, der 1538-1541 innerlich schon in den Hauptzügen
fest und fertig war, überragt Bucer an systematischer Gabe, in der weisen Ökonomie und der scharfgezogenen
Form lichtvoller Darlegung und er – der Jurist und der Romane – auch in der systematischen, konsequenten und
straffen Behandlung der praktischen Aufgaben des Lebens und der Kirche im Leben.“ O. Ritschl (1926:125)
urteilt jedoch über Bucer: „An theologischer Originalität war er Calvin überlegen, Melanchthon und Zwingli
vielleicht ebenbürtig.“
11
Bucer war eher wie Luther nicht so sehr systematischer als vielmehr praktischer Theologe: „Über seine
theologischen Anschauungen und ihre Folgen gibt er sich im Rahmen seiner auf die kirchliche Praxis gerichteten
Schriften Rechenschaft“ (Stupperich 1981:265); vgl. aber auch Ritschl 1926:125: „Bucer hat zwar kein
eigentlich theologisches, wohl aber ein kirchentheoretisches System gehabt, in dem doch auch seine Theologie
ihre überaus bedeutsame Stelle einnahm.“
12
Hervorhebung im Original. Eine aus seiner Sicht zutreffende Charakterisierung bietet Neuser dann doch, er
titelt seinen Paragrafen zur Sache mit „Selbständige Weiterbildung zwinglischer Theologie – Martin Bucer“ (vgl.
auch Neuser 1993:703f).
13
Allen voran der Reformator Martin Luther höchstpersönlich, der im Hinblick auf die von Melanchthon und
Bucer verfasste Schrift „Einfältiges Bedenken“ (1543) formulieren konnte, das sei „alles zu lang und gros
gewessch, das ich das klapper maul, den Butzer, hie wol spüre“ (WABr X, 618, 23f).
14
Noch im Jahre 1571 klagt Bullinger in einem Brief an Theodore de Bèze, dass man es dem unglückseligen
Versöhner - „infelix conciliator“ -, namentlich Bucer zu verdanken habe, dass es in der Abendmahlsfrage nicht
deutlich genug zu einer Abgrenzung von den Lutheranern gekommen sei. An Calvins Uneindeutigkeit in dieser
Sache sei jener letztlich auch schuld. Bullinger konnte anlässlich des Todes Luthers sogar äußern, es sei ihm
noch lieber, wenn auch Bucer „vocaretur a domino“ (WA 54, 134). Die Äußerung Johannes Hallers in einem
Brief an Bullinger (16. November 1565) ist von derselben Qualität. Als das Gerücht aufkam, dass die
Evangelischen in Frankreich die Confessio Augustana unterschreiben wollten, vermutete man als Urheber den
sowieso schon luth. Tendenzen verdächtigen Simon Sulzer, der als Reformator in Bern, Basel und BadenDurlach tätig war. Dieser wolle wohl ein neuer Bucer werden („alter querit esse Bucerus“); vgl. zum Ganzen
Strohm 2001:111-112, bes. Anm. 61, 62 u. 67.
13
aufgeschlossenerer Wahrnehmung.15 Vermutet man, das letzte Wort zur Erforschung der
BUCER’SCHEN Konzeption sei schon gesprochen, so steht dem die vitale Debatte unter
Experten (vgl. dazu nur die Erwiderung Gäumanns 2001:443, Anm. 13 auf Friedrich [1990]
2002:145-198) und die Tatsache, dass die Edition der Werke Bucers als historisch-kritische
Gesamtausgabe noch nicht abgeschlossen ist, entgegen.16 Revisionen bisheriger Einsichten, u.
U. sogar Überraschungsfunde sind somit per se nicht ausgeschlossen. Generell gilt immer
noch, was der Grandseigneur der Bucer-Forschung, Martin Greschat, vor über 30 Jahren
schrieb ([1981] 1994:8):
„Die Fülle der Anstöße und Anregungen, die er [sc. Bucer] den verschiedenen
Konfessionen vermittelt hat - sie sind im einzelnen und in ihrer Gesamtheit noch
keineswegs hinreichend erforscht - sind jedoch reicher, auch aktueller, als die unmittelbare
Wirkungsgeschichte Bucers erkennen lässt.“
Eine umfassende Rezeption der „Fülle von Anstöße[n] und Anregungen“ durch das
evangelikale Spektrum steht wohl noch aus; im Hinblick auf die hier zu verhandelnde
Thematik ist dies m. E. im deutschen Sprachraum bisher nur durch Thomas Schirrmacher
geschehen, allerdings zum gegebenen Zeitpunkt nur in nuce (s. Schirrmacher 2002:45-49).
Eine Auswahl hinsichtlich des modernen Evangelikalismus 17 zu treffen, stellt eine
Herausforderung dar. Die Quellenlage bzgl. der Ökumene-Debatte unter den Evangelikalen
lässt einfach Wünsche offen. Ganz der Natur einer Bewegung entsprechend, die Mitglieder
unterschiedlicher Kirchen und Verbände mit je eigenem status confessionis verbindet - eine
„Regenbogenkoalition“
(Wellings
1994:47)
-,
liegt
keine
einheitliche,
bindende
Verlautbarung zur gestellten Frage vor. Die Bewegung ist zu vielschichtig und vor allem noch
kein Objekt bloß historischer Anschauung, um sie in welcher Form auch immer in Bezug auf
ihr Ökumeneverständnis auf einen Nenner bringen zu können. Naheliegend, vielleicht der
einzig gangbare Weg für eine systematisch-theologische Untersuchung ist daher die
Konzentration auf repräsentative „Bekenntnistexte“ der Lausanner Bewegung und ihre
15
Bereits nach seinem Tod unternahm zwar sein Sekretär Konrad Hubert den Versuch, das Schrifttum des
Reformators zu sichten, zu ordnen und auch zu kommentieren. Den Beginn einer neutraleren Bucer-Forschung
kann man allerdings erst in das Jahr 1891 verorten. Damals gab sein 400jähriger Geburtstag nach dem Vorbild
der Lutherfeier den Anlass für eine Bibliografie (Mentz und Erichson) und erste Einzeluntersuchungen, die einer
kritischen Gesamtausgabe seiner Werke und zunächst einmal einer großen Biografie den Weg ebnen sollten
(Stupperich 1981:267).
16
Seit 1955 in drei Serien: Series Latina/Deutsche Schriften/Briefwechsel; vgl. pars pro toto zum Stand und
zur Problematik der Edition der dt. Schriften Seebaß 1980:561-576 u. generell Seebaß 1997:277-282 o. a. online
im Internet: http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/~ej9/#forschungsstelle [Stand: 15.02.2012] u. http://idwonline.de/pages/de/news201186 [Stand: 15.02.2012].
17
Unter modernem Evangelikalismus wird in der vorliegenden Untersuchung, die in der Mitte des 20.
Jahrhunderts weltweit wiedererstarkte evangelikale Bewegung (Tidball 1999:48) verstanden. Für den
deutschsprachigen Sektor ist diese Entwicklung untrennbar mit dem Weltkongress für Evangelisation in Berlin
1966 verbunden (Jung 1992:7-8.154), der zum maßgeblichen Wegbereiter für die Teilnahme der
deutschsprachigen Delegation am Lausanner Kongress für Weltevangelisation 1974 wurde (Hardmeier
2008:19.21-22). Eine klare, nicht anfechtbare Definition zu liefern, ist zum gegebenen Zeitpunkt wohl kaum
möglich (vgl. Berneburg 1997:16-22).
14
Rezeption, die Niederschlag gefunden hat und findet in den Veröffentlichungen um die
Lausanner Konferenzen und Konsultationen herum (s. die Liste im Anhang von Marquardt
und Parzany 1990:350-355, neuerdings Walldorf 2002:362-367 u. generell Stott 1997). Für
die DEA sprechen immer noch Laubach (1972:97-121) und Laubach und Stadelmann (1989,
Glaubensbasis und Erklärung).
Aus der Sekundärliteratur seien nur folgende Veröffentlichungen kurz erwähnt:
Klaus Bockmühl als einer der großen Vordenker der evangelikalen Bewegung kommt in
einer postum veröffentlichten Sammlung missionstheologischer Aufsätze und Notizen unter
dem Titel: Was heißt heute Mission: Entscheidungsfragen der neueren Missionstheologie
([1974] 2000) zu Wort. Obwohl er von Hause aus kein Missiologe ist, spiegelt sich in dieser
Schrift doch in präziser Art und Weise die innere Entwicklung, der Anfang genuiner
Anschauungen jener Bewegung in der Auseinandersetzung mit den aufkommenden
Theologien rund um den ÖRK klassisch wider.
John Stott als, wenn man so will, die Galionsfigur des modernen Evangelikalismus
westlicher Prägung18 äußert sich dezidiert zur Fragestellung. In seiner kurzen Schrift Einheit
der Evangelikalen: Gegen die falschen Polarisierungen (1975) greift er die damals und
teilweise heute noch virulenten Problemfelder für das evangelikale Spektrum auf und versucht
sie zu entschärfen. Seine leider äußerst kurz geratene Einführung (:7-10) mit einigen
hermeneutischen Überlegungen steht zur Diskussion.
Martin Hamel diskutiert mit seiner umfangreichen Tübinger Diss. Bibel – Mission –
Ökumene:
Schriftverständnis
und
Schriftgebrauch
in
der
neueren
ökumenischen
Missionstheologie (1993) einen Dreh- und Angelpunkt der Ökumene-Debatte unter den
Evangelikalen weltweit, der für manche das Haupthindernis für eine Zusammenarbeit mit
„Genf“ darstellt: das Schriftverständnis in der neueren ökumenischen Missionstheologie.
Anhand
historischer
Dokumente
-
einen
Schwerpunkt
bildet
die
neunte
Weltmissionskonferenz 1980 in Melbourne - wird die Entwicklung der Hermeneutik in der
ökumenischen Missionstheologie seit 1961 (Neu-Delhi) beschrieben und so für eine
sachgemäße theologische Auseinandersetzung greifbar gemacht.
Friedemann Walldorf zeichnet in seiner Diss. (UNISA) Die Neu-Evangelisierung Europas:
Missionstheologien im europäischen Kontext (2002) den Weg, insbesondere des europäischen
Lausanner Komitees seit 1984 nach. Die für ihn das Interesse leitende Frage, welche Ansätze
und Methodenvorschläge zur Neuevangelisierung Europas die untersuchte Bewegung bietet,
verfolgt er stringent und gibt so passim Einblicke in das dort vorherrschende
18
Vgl. nur Tidball, der seinen Dank gegenüber Stott und seinem Verdienst um das theologische Arbeiten in der
evangelikalen Bewegung beinahe überschwänglich im Vorwort seiner Monographie zum Ausdruck bringt
(1999:43-44).
15
Ökumeneverständnis.
Hans Hauzenberger gelingt es mit seiner Berner Diss. Einheit auf evangelischer
Grundlage: Vom Werden und Wesen der Evangelischen Allianz (1986) gründlich das Werden
der EA, insbesondere die bis dahin relativ unbekannte Frühgeschichte nachzuzeichnen.
Darüber hinaus wird ebenso das Wesen evangelischer Einheit im Sinne der Allianzväter
damals dargestellt: ein Versuch den Begriff „evangelikal“ von den Anfängen her zu deuten.
Besonders aufschlussreich für die vorliegende Untersuchung, die mit einer systematischtheologischen Reflexion zur Sache enden soll, sind die Kapitel 4 (Einheit auf evangelischer
Grundlage - Versuch einer Bilanz) und 4.4 (Thesen für ökumenisches Denken, Reden und
Handeln) in H. Hauzenbergers Studie.
Karl Heinz Voigt, der ehemalige Berliner Superintendent der EmK - derzeit einer der
europäischen Vizepräsidenten der World Methodist Historical Society - beschreibt in seiner
Monografie Die Evangelische Allianz als ökumenische Bewegung: Freikirchliche
Erfahrungen im 19. Jahrhundert (1990) sowohl die historischen Linien als auch die aktuellen
Schwerpunkte der EA unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Freikirchen in diesem
Geschehen. Das ökumenische Potenzial, das mit und seit der Gründung vorhanden ist, wird
dabei immer wieder gewürdigt.
Analog im Aufbau zu H. Hauzenbergers Werk zeichnet Friedhelm Jung mit seiner
Marburger Diss. Die deutsche Evangelikale Bewegung: Grundlinien ihrer Geschichte und
Theologie (1992) die historischen und theologischen Linien der deutschen evangelikalen
Bewegung nach. Neben der DEA und ihrer Entwicklung wird besonderes Augenmerk auf die
Bekenntnisbewegung innerhalb der evang. Landeskirchen sowie die Charismatische und
Pfingstbewegung gerichtet. Den Ausführungen zu theologischen Grundpositionen folgt ein
interessanter Abschnitt über „Tendenzen zur Kirchwerdung der Evangelikalen Bewegung“
(:217-228) - eine Frage von höchster ekklesiologischer Brisanz.
Gabriel J. Fackre unternimmt mit seinem Beitrag Ecumenical faith in evangelical
perspective (1993) ein äußerst spannendes Unterfangen. Er bezeichnet sich selbst als
evangelikalen Ökumeniker (nicht zu verwechseln mit einem ökumenisch gesinnten
Evangelikalen wie er betont), der seit den 70er Jahren durch wachsende Kontakte und damit
einhergehenden theologischen Austausch an der Aufklärung beider Seiten arbeitet. Sein Ziel
ist der Abbau von Stereotypen, zuallererst einmal überhaupt der gegenseitigen NichtWahrnehmung.
Jochen Eber, dessen Erlanger Diss. (bei R. Slenczka) sich mit „Einheit der Kirche als
dogmatisches Problem bei Edmund Schlink“ befasst, gibt in seinem kurzen Beitrag „Damit
sie alle eins seien“ - Evangelikale Christen und die Ökumene (2006) zu einem Sammelband
16
der Facharbeitsgruppe Systematische Theologie des AfeT einen äußerst hilfreichen Überblick
über die anstehende Thematik: Die Positionierungen im evangelikalen Spektrum werden
herausgestellt, ein kurzer historischer Rückblick auf Ökumeneversuche vor dem 20.
Jahrhundert schließt sich an, das Einheitsverständnis der EA wird benannt und teilweise
kritisch beleuchtet. Den Abschluss bildet in aller Kürze ein Ausblick auf mögliche Schritte auf
dem Weg der Einheit der Kirchen. Ausgehend von der CA Art. 4 und 7 entwirft J. Eber ein
Bild für die ökumenische Aufgabe der Zukunft unter Evangelikalen, die er in vier Thesen
bündelt.19
2. Martin Bucer und die unio christianorum
2.1 Der vergessene Reformator
Im Falle des Straßburger Reformators Martin Bucer drängt sich die Notwendigkeit auf, einige
Angaben zu seiner Person und dem Umgang mit derselben vorauszuschicken. Im Falle
LUTHERS oder MELANCHTHONS könnte sicher auf einen biografischen Einstieg verzichtet
werden, nicht jedoch bei Martin Bucer. Gerade darin besteht seine Eigenart, gehört er doch
nach dem Urteil eines Reformationshistorikers wie Heinrich Bornkamm in eine Reihe mit
diesen beiden - er bezeichnet BUCER als den „dritte[n] deutsche[n] Reformator“ (1961:88). 20
„Will man den Mann nennen, der hinter dem Wittenberger Freundespaar Luther und
Melanchthon den nächsten Rang innerhalb der deutschen Reformation beanspruchen kann, so
muß man einen fast unbekannten Namen angeben: Martin Bucer. Woher kommt das?“ (:88).21
Die Gründe sind vielfältig: Nicht zu vergessen ist zunächst einmal die schlichte Tatsache,
dass Bucer aus dem Grenzland Elsass stammt, eine Region, in der man wegen der bewegten
Geschichte nur schwer der Bewahrung seines Andenkens nachkommen konnte. Auch die
Reichsstadt Straßburg, in der er über 25 Jahre lebte, verlor, wie viele andere ihresgleichen, mit
dem Ende des 16. Jahrhunderts ihre Bedeutung zugunsten der aufstrebenden Fürstentümer.
19
Am Rande: Man kommt allerdings nicht umhin, die Prägung des Verfassers seitens luth. Neoorthodoxie
zumindest anzumerken (s. nur das Lutherzitat, in: Eber 2006:222).
20
Strohm (2001:95) weist zu Recht darauf hin, dass Bucer eher in einem Zuge mit regional bedeutsamen
Reformatoren wie Johannes Brenz oder Andreas Osiander genannt wird. Seine Schriften wurden daher auch
nicht im 19. Jahrhundert mit in das Corpus Reformatorum aufgenommen. Ein Blick in die Dogmengeschichte R.
Seebergs ([1920] 1954:556f) unterstreicht diese Beobachtungen: Nach seiner Auskunft ist der „Butzerianismus
nur die Vorstufe für den Calvinismus geworden (...). Die Butzerische Vermittlungstheologie wie die übrigen
theologischen Ansätze in der Schweiz und dem südwestlichen Deutschland sind fast überall aufgegangen in die
calvinische Theologie. Dies hat nicht den Sinn einer Verdrängung, sondern es stellt den allmählichen Übergang
einer niederen in eine höhere Form dar“ (:556). Erst eine neuere Dogmengeschichte wie bspw. W.-D. Hauschilds
Lehrbuch (1999:61.130f.345f.379f.392-394.passim) widmet sich Bucers Entwurf nicht nur als „Vorstufe“,
allerdings immer noch im Umfang eher den regionalen Größen der Reformation entsprechend.
21
Der Autor der jüngst in einer Neuauflage (2009) erschienenen dt. „Standard“-Bucer-Biografie hält ebenso
fest: „Wenige Gestalten der Reformationszeit sind so vergessen wie dieser Theologe, Kirchenmann, Politiker und
Christ des 16. Jahrhunderts“ (Greschat 1990:9, Vorwort). De Kroon (1991:16) formuliert: „500 Jahre nach seiner
Geburt gibt es noch immer kein klares Bild seiner Theologie.“
17
„Somit wurde sein theologisches Erbe nicht in der Weise für die Formierung und
Stabilisierung eines frühmodernen Territorialstaates herangezogen und dienstbar gemacht wie
zum Beispiel das eines Luther oder Melanchthon“ (Strohm 2001:96). Neben seiner Herkunft
und dem Ort seiner Hauptwirksamkeit schuf auch seine letzte Lebensstation, als Emigrant in
England, nicht den idealen Nährboden für ein unbeschadetes Weiterleben seiner
Gedankenwelt.
Verlässt man die eher profan- und sozialgeschichtliche Betrachtung seines
Lebensumfeldes, so springt ein weiterer Tatbestand dem systematisch-theologisch
Orientierten unmittelbar ins Auge: Bucer hinterließ keine Dogmatik oder eine ähnlich geartete
Schrift in einer Form, die ohne weiteres lehr- oder lernbar war. Prägnante Formulierungen, zu
denen er sehr wohl in der Lage war (s. 2.2.1.2 Marburger Religionsgespräch), sind nicht zu
seinem Kennzeichen geworden. So ist es nicht verwunderlich, dass man sehr wohl von
Calvinisten und Lutheranern, aber keineswegs von „Bucerianern“ spricht. Des Weiteren hat
die Tatsache, dass der größte Teil seines Nachlasses handschriftlich 22 und schwer zugänglich
in Archiven lag, sicher auch dazu beigetragen, dass sein Lebenswerk in Vergessenheit geriet.23
Den innersten Grund dafür, dass sein Werk nicht den Platz einnimmt, der ihm zusteht,
sucht man wohl jedoch am besten in seiner Person, präziser in seinem theologischen Profil als
Konsenstheologe und dessen praktischer Umsetzung. Aufgabe dieser Studie wird es sein,
gerade von diesem innersten Motiv her der Frage nachzugehen, was der Elsässer als
Reformator des Ausgleichs für die aktuelle Situation im evangelikalen Kontext „zu bieten“
hat. Sein grundsätzliches theologisches Denken wird dabei angeschnitten und, wo nötig, én
detail untersucht. Implikationen für die kirchliche Praxis, die sich bei ihm reichhaltig finden man denke nur an die Erfindung der Konfirmation -, sollen ebenso zur Sprache kommen,
soweit sie zur Sache beitragen.
Nun, in aller Kürze, zu einigen biografischen Angaben, 24 die sich auf die Anfangsjahre, das
Werden des jungen Reformators, beschränken: Martin Bucer wurde am 11. November 1491
als Sohn eines Handwerkers in der freien Reichsstadt Schlettstadt (Sélestat) im Elsass
geboren. Nach dem sehr wahrscheinlichen Besuch einer berühmten (Jakob Wimpfeling), im
Geiste des Humanismus geführten Lateinschule seiner Heimatstadt folgte - wahrscheinlich im
22
Seebaß (2002:39) weist am Rande darauf hin, dass die schwer entzifferbare Handschrift Bucers,
insbesondere im Hinblick auf seine Korrespondenz, gelegentlich an ein Huhn erinnert, das „mit seinen in Tinte
getauchten Füßen über das Papier gelaufen ist.“; vgl. die Abb. kurz zuvor (:38). Schirrmacher (2005:121)
zufolge, „sind viele Schriften Martin Bucers selbst für Bucerforscher bis heute nur in wertvollen
Originalausgaben des 16. Jahrhunderts zugänglich.“ Eine Beobachtung, die der Verfasser der vorliegenden
Untersuchung nur bestätigen kann.
23
Ob sein Scheitern an „seinem eigenen Ideal, die Kirchen der Reformation zu einen“ (Baumann 2001:8), ihn
letztlich in Vergessenheit geraten ließ oder nicht schon der bloße Versuch für das beginnende konfessionelle
Zeitalter einem Hochverrat an den gerade erst neu erworbenen Standpunkten gleichkam, sei einmal dahingestellt.
24
Im Folgenden nach Greschat 1994:8-11; Strohm 2002a:117-119; Greschat 2009.
18
Sommer 1507 - im Alter von fünfzehn Jahren der Eintritt als Novize in das dortige
renommierte Dominikanerkloster.25 Studienorte und -aufenthalte folgten, so in Mainz, wo er
die Priesterweihe erhielt, und in Heidelberg (Immatrikulation 31.1.1517), wo er im Rahmen
des Generalstudiums seines Ordens mit einer Promotion zum Doktor der Theologie
abschließen sollte. Hierzu kam es jedoch nicht, da er Ende Januar 1521 das Kloster nahezu
fluchtartig verließ.
Dieses Ereignis war das Ergebnis einer intensiven Entwicklung, die den in der
thomistischen Theologie geschulten und vom Humanismus eines Erasmus 26 geprägten jungen
Mönch endgültig zum Anhänger Luthers und seiner reformatorischen Anschauungen werden
ließ. Eine entscheidende Rolle spielte hierbei die Teilnahme an der Heidelberger Disputation
am 26. April 1518, bei der BUCER den Wittenberger Reformator in natura erleben und im
Anschluss ein ausführliches Gespräch mit ihm führen konnte. Man darf diese Begegnung
nicht zu gering einschätzen: So wie bei anderen anwesenden humanistisch orientierten
Studenten, die später die Reformation in Südwestdeutschland vorantrieben - etwa Martin
Frecht, Theodor Billican, Johannes Brenz und u. U. Erhard Schnepf -, war der junge BUCER
zutiefst von LUTHER beeindruckt.27 Seit diesem Zeitpunkt bewegte er sich nicht mehr nur im
geistigen Spannungsfeld zwischen Thomas von Aquin28 und Erasmus von Rotterdam, sondern
nun trat auch - quasi als dritter Pol - LUTHER hinzu. Deutlich konnte er sich sogar als
„Martinianer“ bezeichnen (BCor I, 77, 5; vgl. auch I, 78, 26f), eine Chiffre, die ihn
unweigerlich in einen Konfrontationskurs mit seinem Dominikanerorden brachte. Rechtzeitig
bevor ein Ketzerprozess gegen ihn eröffnet worden wäre, erlangte BUCER dank einflussreicher
Freunde am 29. April 1521 den päpstlichen Dispens von seinen Ordensgelübden. Nunmehr als
25
Greschat (1994:9) spricht von einem „tiefe[n] Dunkel“ über diesem ersten Lebensabschnitt des angehenden
Reformators. Über seine Beweggründe und die seines Großvaters Claus Butzer, der ihn zum Klostereintritt
drängte, wissen wir nicht viel. Eine Gewitter-Erfahrung á la Martin Luther und damit verbunden starke innere
religiöse Motive (Gewissensnot) sind bei ihm sehr wahrscheinlich auszuschließen (vgl. Stupperich 1981:259,
anders urteilt Moeller 1998:1810). Wie auch immer geartete religiöse, intellektuelle und soziale Gesichtspunkte
haben vielmehr ineinandergegriffen, „bot innerhalb der festgefügten ständischen Gesellschaftsordnung jener Zeit
doch praktisch allein die Kirche dem begabten Handwerkerkind die Möglichkeit des Aufstiegs. Bucer gehörte
somit – wie übrigens ein großer Teil der Reformatoren, man denke nur an Luther, Zwingli oder Melanchthon! –
zu den sozialen Aufsteigern; die entsprechende Mentalität mit dem Drängen auf Leistung und dem Willen zur
Durchsetzung ist jedenfalls bei Bucer unübersehbar“ (Greschat 1994:9); vgl. zum Ganzen Greschat 2009:9-30.
26
Der Bücherbestand des jungen Bucer und der Eifer, mit dem jener an seiner Erweiterung arbeitete, legen ein
beredtes Zeugnis hiervon ab (vgl. Greschat 1969:125f; 2009:34ff).
27
Ein begeisterter Bericht (vgl. BCor I, 61, 46ff) Bucers an Beatus Rhenanus, der ihm aus frühen Kontakten
mit dem Schlettstädter Humanistenkreis gut bekannt war, zeugt von jener Begeisterung und vor allem der
Tatsache, dass er Luthers Thesen ganz in seinem humanistischen Kontext wahrgenommen hat. Für Bucer
vertreten Erasmus und Luther zu jenem Zeitpunkt dieselben Ansichten, nur tritt letzterer konsequenter für die
praktische Verwirklichung der geforderten Reformen ein. Strohm (2002a:117) urteilt im Rückgriff auf Greschat
([1990] 2009:38-41): „Gerade die humanistischen Intentionen zuwiderlaufenden Pointen wie die
Gegenüberstellung von Gesetz und Evangelium sowie die zugespitzte Problematisierung guter Werke als
Gefährdung der Orientierung an der Glaubensgerechtigkeit gehen verloren. Anders als Luther betont Bucer in
seinem Bericht neben der Glaubensgerechtigkeit auch das gute Handeln des Christen.“
28
Vgl. zu den thomistischen Einflüssen die Zusammenfassung der Diss. von Leijssen 1979:266-296, bes. 288293.
19
Weltpriester, der an verschiedenen Orten tätig war, heiratete er im Sommer 1522 die
ehemalige Nonne Elisabeth Silbereisen29.30
Eigentümlich an dem ganzen Geschehen und zeitlebens kennzeichnend für BUCERS Person
und Wirken ist der Versuch, bis zuletzt von seiner Seite aus auf eine Verständigung
hinzuarbeiten, auch wenn dies scheinbar völlig aussichtslos erschien. Die Ordensoberen,
wohlgemerkt des gleichen Ordens, der die Verurteilung REUCHLINS anstrebte, obwohl jene
Oberen selbst humanistische Bildung für sich beanspruchten, förderten BUCER bis zu jenem
Punkt, an dem sie einsehen mussten, dass der junge Gelehrte weiter ging als sie und den
Wittenberger Kurs eingeschlagen hatte. Trotz dieses unüberbrückbaren Gegensatzes hoffte
BUCER tatsächlich, dass sich zumindest die Elite seines Ordens, bei allen Zögerlichkeiten und
faktischen Unterschieden, über kurz oder lang ebenso der neuen Richtung anschließen würde.
„Er war in einem Ausmaß, das an Selbstpreisgabe grenzte, zur Verständigung und zum
Kompromiß bereit. Aber wo dieses Entgegenkommen nicht angenommen wurde, begann sein
entschiedener Widerstand“ (Greschat 1994:10). Konkret bedeutete das die Abkehr vom
Klosterleben und einer angesehenen Laufbahn im Orden.
Aufgrund seiner evangelischen Verkündigung und der Heirat, welche schlussendlich zur
Exkommunikation durch den Speyerer Bischof führte, verließ er - wieder einmal fluchtartig die Reichsstadt Weißenburg (Wissembourg),31 bevor er im Mai 1523 nach Straßburg kam, in
die Stadt seines Vaters. Von dort aus entfaltete er seine reformatorische Wirksamkeit,
anfänglich unter großer Zurückhaltung des Rates, der naturgemäß mit wenig Begeisterung
einem exkommunizierten und verheirateten Priester entgegentrat. 32 Mehr als 25 Jahre lang, bis
29
Bucer weist im Rückblick darauf hin, dass sie als Kind von ihren Eltern früh ins Kloster Lobenfeld
(Kraichgau) gebracht wurde (BDS 1, 173, 21ff), was keine Seltenheit war; zu ihrer Person - soweit
rekonstruierbar - vgl. Selderhuis 1993a:173-184; 1994:139-146 u. neuerdings - nach Greschat (2009:288f, Anm.
36) „phantasievoll“ - Doris Ebert 2000. Elisabeth Silbereisen: Bürgertochter, Klosterfrau und Ehefrau des
Reformators Martin Bucer – Familie und Lebensstationen. (Sonderveröffentlichung 4). Heimatverein Kraichgau.
30
Eine in jeder Hinsicht bewegte Phase seines Lebens endete schließlich mit seiner Hochzeit in Landstuhl.
Zuvor kam es zu einer Verbindung mit politisch progressiven Kräften (vgl. Greschat 1994:10f; 2009:49-54):
Bucer trat Gestalten wie Franz von Sickingen und Ulrich von Hutten nahe, die im Namen der Reformation der
sozial, politisch und wirtschaftlich seit langem absteigenden Reichsritterschaft zu neuer Orientierung verhelfen
wollten. Daneben stand der Weltpriester seit Mai 1521 für ein Jahr im Dienste des Pfalzgrafen Friedrich, der,
allerdings nicht de facto, eine führende Stellung im Reichsregiment innehatte. Bucers Vorstellung so der
reformatorischen Bewegung einen Dienst zu erweisen, stellte sich bald als Illusion heraus. Mit der Übernahme
der Pfarre Landstuhl unterhalb einer der Burgen Sickingens, in diesem Fall der Feste Nanstein, war er zumindest
versorgt und genoss - kurzfristig - Protektion.
31
Ein geplanter Studienaufenthalt in Wittenberg kam nicht zustande, stattdessen bat ihn der Weißenburger
Pfarrer Heinrich Motherer, ihm beim Aufbau reformatorischer Verhältnisse in dieser Reichsstadt, einer der
elsässischen Dekapolis, zu helfen. Der Reformationsversuch scheiterte vorerst. Bedrängt durch das kurpfälzische
Heer und aus Angst vor Unruhen in der Stadt floh Bucer gemeinsam mit Motherer und ihren schwangeren
Frauen am 13. Mai 1523 in der Nacht aus der Stadt (vgl. zur Predigt Bucers ad locum und den politischen
Mengenverhältnissen Greschat 2009:55-60).
32
Zunächst stand er hinter dem „Pionier-Reformator“ in jener Stadt (Hauschild 1999:61), Matthäus Zell, und
dem gebildeten Humanisten Wolfgang Capito zurück. Trotzdem gelang es Bucer nach und nach (die Messe
wurde erst 1529 abgeschafft!), in der elsässischen Metropole Fuß zu fassen. Mit Hingabe und Geschick
engagierte er sich auf der Seite der jungen reformatorischen Bewegung, immer bestrebt, es zu keiner
Beeinträchtigung der politischen Verfügungsgewalt des Magistrates kommen zu lassen. Seine taktischen
20
zu dem durch das Augsburger Interim im Jahre 1549 erzwungenen Exil in England († 1551),
war er hier und weit darüber hinaus (neben England in Frankreich, Böhmen, Ungarn u. a.) für
sein Programm der Reformation als „Anwalt der protestantischen Einheit“ (M. Greschat)
tätig.
Von seinen umfangreichen Werken, sowohl populärer als auch wissenschaftlicher Natur
(Gutachten, Kirchenordnungen, Bibelkommentare u. v. m.), ganz zu schweigen von seiner
Korrespondenz, seien an dieser Stelle nur zur groben theologischen Orientierung sein
Erstlingswerk und seine Spätschrift aus England erwähnt. Beide verbindet eine Linie, die
Erwähnung verdient: Schon im Sommer 1523, sprich zu einer Zeit einer noch völlig
ungewissen Zukunft in Straßburg, ließ BUCER eine kleine Abhandlung mit dem Titel „Das ym
selbs niemant, sonder anderen leben soll“ (BDS 1, 29-67) drucken, in der sich sein späteres
theologisches Programm in Grundzügen bereits vorfindet (Strohm 2002a:118 im Rückgriff
auf Greschat 1994:11; s. a. 2009:70-72; van't Spijker 1991b:12). Neben den humanistischen
Einflüssen tritt besonders das thomistische Element nicht nur als Strukturmerkmal in den
Vordergrund. Die Schrift ist zweigeteilt im Anklang an die Systematik der „Summa
theologiae“ des Aquinaten. Ein erster Teil behandelt die von Gott gesetzte Ordnung alles
Lebens und Seins, der zweite die Frage „wie der Mensch dahyn kummen mög“ (Untertitel;
vgl. auch BDS 1, 44, 18-24). Der erste Teil entspricht den beiden Teilen der „Summa“, in
denen Gott als der Grund alles Seins und der Mensch als Gottes Ebenbild beschrieben wird.
Der zweite Teil bei BUCER entspricht Pars drei der „Summa“, die Christus als denjenigen
thematisiert, der das neue Sein ermöglicht. Reformatorisch ist die Bündelung der beiden
ersten Teile der „Summa“ zu einem Abschnitt, um die Bedeutung des Heilswerkes Christi
nicht zu nivellieren.33 Thomistisch ist die grundlegende Vorstellung einer göttlichen
Seinsordnung, deren Grundgesetz die Liebe ist. Allerdings hat BUCER stärker die Bewegung
als das Sein als solches im Blick, der Akzent liegt nicht auf der Ruhe, sondern auf der
Ausrichtung auf Gott, und damit auch auf der Zuwendung zum anderen. 34 Nicht nur die
menschliche Welt, sondern sogar die gesamte organische und anorganische Schöpfung ist für
ihn durch die Hinwendung zum anderen gekennzeichnet.35 Diese Solidarität entnimmt er vor
Fähigkeiten trugen Früchte, im März 1524 wählten ihn die Gärtner Straßburgs zu ihrem Pfarrer. Am 24. August
wagte es der Rat, diesen Rechtsbruch geltender kirchlicher Bestimmungen offiziell zu billigen. Damit war ein
Durchbruch erreicht, der Bucer die Möglichkeit gab, dem reformatorischen Anliegen in einer der angesehensten
und größten, auch politisch bedeutungsvollen Städte des Deutschen Reiches Geltung zu verschaffen (vgl.
Greschat 2009:61-80).
33
Zum „sola fide“ vgl. BDS 1, 61, 24; 1, 67, 2-4.
34
„Gott hat alle ding umb seint willen geschaffen. Darumb solten sye alle uff yn gericht und ym dienstlich
sein“ (BDS 1, 45, 12f).
35
„Uß disem allem ist nun clar, das ym selbst niemant leben soll. seittenmal gott alle ding geschaffen hat, das
sye nit ynen selb, sondern andern zu gut dyenen und instrument göttlicher gütigkeit, die in allen dingen
außzuspreyten, sein sollen“ (BDS 1, 50, 32-35). Auf den Punkt bringt er diese Auffassung in einem Brief an
seinen geistig behinderten Sohn Nathanael (18. April 1549): „Kein kreutlin ist so klein, es hatt seine würkung,
21
allem Gen 2,18: „Es ist nit gut, das der Mensch allein sey“, einem Vers, den er nicht nur auf
die Zuneigung zwischen Mann und Frau als Paar bezieht (BDS 1, 48, 1-16). Zerstört wurde
diese Ordnung durch die Sünde;36 die durch den Heiligen Geist erfolgende Aktualisierung des
Heilswerkes Christi stellt diese ursprüngliche Ordnung allerdings wieder her. Als einzige
Kreatur, die fähig ist, den Willen Gottes zu erkennen und ihn zu erfüllen, hat der Mensch sein
ganzes Handeln darauf auszurichten, „nichts eygens, aber allein die wolfahrt seiner nechsten
menschen und brüder (..) zu der eer gottes“ (BDS 1, 51, 3-5) zu suchen.37
Die hiermit entfalteten Grundsätze sind programmatisch. Sie prägen auch am Ende seines
Lebens sein letztes großes Werk „De regno Christi“ (1550). Der Blickwinkel ist ein anderer,
es geht um die Verfassung einer christlichen Gesellschaft, die davon bestimmt ist - hier taucht
der altruistische Gedanke wieder auf -, „daß die Menschen nämlich nicht für sich geboren
werden, sondern für Gott, die Kirche, das Vaterland und jeden Nächsten“ (BOL 15, 268;
Übers. nach Greschat 1994:11). In 60 Kapiteln zieht BUCER die Summe aus seinen
lebenslangen Erfahrungen und Anstrengungen im Hinblick auf die Umsetzung der
Reformation, gerichtet an König Eduard VI., der 14 umfassend konzipierte und ausführlich
erläuterte Gesetze erlassen soll, um ein wahrhaft christliches Staatswesen zu schaffen. 38 Die
hierin geäußerte grundsätzliche - ontische - Ausrichtung des Menschen auf seinen Nächsten
dient bei BUCER der Strukturierung der menschlichen Existenz als solcher:
„Man könnte diese seine Überzeugung geradezu als das Grundgesetz alles menschlichen
und gesellschaftlichen Zusammenlebens bezeichnen. Dementsprechend fand Bucer diese
Wahrheit denn auch überall bezeugt, in der Literatur, in den alten kaiserlichen Rechten, im
Leben, am klarsten und eindrücklichsten jedoch in der Bibel, im Alten ebenso wie im
Neuen Testament. Hier war für Bucer der Wille Gottes als Schöpfungsordnung, als die
Summe alles Guten in der Form unwandelbar gültiger Gesetze eindeutig geoffenbart.
Mochte sich alles verändern, so verändert sich doch diese Seinsordnung Gottes nicht.
´Weil er Gott ist, wandelt er sich nicht wie der Mensch!`“ (Greschat 1994:11f).39
Betrachtet man die unmittelbare Wirkungsgeschichte von BUCERS theologischem Erbe, so
wird die Rede vom vergessenen Reformator fragwürdig. Kittelson (1993b:705f) weist nach,
dem menschen zu gut. Wie fil mehr solle dann der mensch, geschaffen zu der bildnüs Gottes, allwegen auch
seine nutzliche würkung haben und üben, Gott zu ehren, und zu nutz des nächsten?“ (Typoskript Jean Rotts auf
der Grundlage des Originals im Straßburger Stadtarchiv, AST 153 – Epistola Buceri III, Nr. 156 zit. nach
Buckwalter 2009:378).
36
„Und wo die natur nit durch die sünd vergifft worden wer, wer solcher yngepflanzter liebe gegen einander
in geistlichem und leiplichem on allen eigen gesuch kein mangel erschinnen, sonder gantz göttlichem gesatz
gemäß on gesatz in freüntlichem dyenst gegeneinander gelebt worden“ (BDS 1, 48, 31-35).
37
Eine Analyse dieses frühen Zeugnisses reformatorischer Anschauungen bei Bucer bietet Arnold (2001:237248), allerdings nur im Hinblick auf sein Obrigkeitsverständnis im Vergleich mit Luthers „Von weltlicher
Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ (WA 11, 245-281).
38
Vgl. zur „Auslegung“ dieser Schrift Greschat 2009:270-276.
39
BOL 15, 178; Greschat (1994:12-15) entwirft von dieser „ewigen Wahrheit“ her eine Bucer’sche Theologie
in Grundzügen entlang gängiger Loci (Prolegomena, Soteriologie, Pneumatologie und Anthropologie, die
beinahe ineinander fallen, und vor allem ethische Implikationen, insbesondere im sozial-politischen Bereich).
22
dass sein Andenken in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts unbeschadet fortbestand. 40
Allerdings drängt sich die Frage auf, in welcher Form man jenes wahrte. Der bekannte Streit
zwischen Johannes Marbach und Hieronymus Zanchi (1561-1563) 41 ist nur ein Vorbote der
nachfolgenden jahrhundertelangen Instrumentalisierung eines Martin Bucer für die jeweiligen
Anliegen der entsprechenden Interessengruppen.42 Greschat (2009:282f) skizziert dies
folgendermaßen:
„[D]urchweg benutzte man dabei in erheblich veränderten Situationen nur einzelne
Aussagen, Briefe oder auch Bücher Bucers zusammen mit seiner zunächst noch fraglos
vorhandenen theologischen und kirchlichen Autorität für eigene Zwecke. Bucer wurde so
zum Gewährsmann für Positionen, die keineswegs allein oder auch nur in erster Linie von
ihm theologisch oder kirchenpolitisch bestimmt waren.“43
Einer Über- oder auch Unterschätzung44 von BUCERS Theologie und insbesondere ihrem
äußerst selektiven Gebrauch kommt diese theologiegeschichtliche Entwicklung im
konfessionellen Zeitalter gleich. Hiermit ist ein weiterer Grund genannt, der für das um sich
greifende Bild von BUCER als wankelmütiger, allzu kompromissbereiter Formelschmied, ein
„Chamäleon, dessen konfessionelle Färbung sich nicht verläßlich feststellen“ (Seebaß
1997:275) lässt, mitverantwortlich ist.
Erst in neuerer Zeit kam es zu Rehabilitierungsversuchen, wie z. B. durch niemand
40
„If there is indeed a sense in which the man was ´forgotten`, it is this: he became an historical figure so
quickly that it was just as necessary for people in the late 16th century to reconstruct him as it is for us to do so
today” (Kittelson 1993b:706); vgl. zum Ganzen Seebaß 1997:299.
41
In aller Kürze: Der Streit entbrannte zunächst anhand der Prädestinationslehre, die ein ref. Professor an der
Straßburger Akademie, Zanchi, vertrat. Von hier aus weitete er sich aus auf die Abendmahlslehre, konkret auf die
alte Frage nach der Natur der Elemente (CA invariata vs. variata) und der im Hintergrund mitschwingenden
Machtfrage, wem letztlich die letzte Autorität in Lehrfragen zusteht, eine für den eher luth. geprägten Leiter des
Pastorenkollegiums in Straßburg (und ebenso Prof. an der Akademie), Johannes Marbach, überaus bedeutende
Angelegenheit. Bemerkenswert ist: Entscheidend in der Argumentation beider Seiten wurde zunehmend das
Leitmotiv, „who was being true to the theological legacy of Bucer, who could be (and was) cited on both sides of
both issues” (Kittelson 1993b:707). Schlussendlich konnte Marbach die Kontroverse für sich entscheiden
(„Straßburger Konsensformel“) mit einer Position, die Eingang fand in die Konkordienformel (Art. 11).
42
Exemplarisch sei hier nur genannt: Neben der beißenden Polemik, die schon erwähnt wurde (s. o. S. 13,
Anm. 13 u. 14), findet sich auch eine positive Bezugnahme, die allerdings ebenso tendenziöse Elemente enthält
(vgl. Greschat 2009:282f). Die niederländischen Remonstranten waren der Ansicht, dass ihre streng
calvinistischen Gegner die gleiche problematische Rolle spielten wie die Vertreter der luth. Position während des
Marburger Religionsgespräches im Jahr 1529. So veröffentlichte ihr Führer, Johannes Wtenbogaert, eine
niederländische Übersetzung der Widmungsrede Bucers zur zweiten Auflage des Evangelienkommentars von
1530. Hierin findet sich der Niederschlag von Bucers „antikonfessionalistischen Gedanken“ (Strohm 2001:107,
Anm. 45), die er nach dem enttäuschenden Verlauf der Marburger Verhandlungen zu Papier gebracht hatte.
43
Mit einer gewissen Ironie nimmt man ein neuzeitliches Beispiel für ein solches Vorgehen wahr: Der EuropaAbgeordnete Dr. Johannes Blokland (niederländisches Bündnis „ChristenUnie/Stattkundig Gerefomeerde
Partij“) verlas während einer Rede am 30. Mai 2001 im Europäischen Parlament ein „Gedicht“ von Martin
Bucer, um seine Ausführungen über ökologische Fragen zu untermauern. Der Text (s. Buckwalter 2009:375f)
entpuppte sich, nach einer Nachfrage bei der Bucer-Forschungsstelle in Heidelberg, als ein Abschnitt aus Bucers
Römerbriefkommentar von 1536 zu Röm 8,19-22, dem bei aller Eindrücklichkeit in der Formulierung „völlig
andere geistesgeschichtliche Voraussetzungen und Interessen als diejenigen heutiger Ökologiebewegungen“
zugrunde liegen (Buckwalter 2009:376f).
44
Van’t Spijker (1993a:470) kommt nach der Untersuchung der Abhängigkeiten zwischen Bucer und Calvin
zu folgendem Urteil: „Vielleicht ist es gut daran zu erinnern, daß Bucer auch größer ist, warum sollen wir nicht
sagen: zu groß, um ihn nur mit einer Tradition zu verbinden, und wäre es auch die reformierte. Beide, Bucer und
Calvin, gehören der Reformation.“
23
Geringeren als Karl Holl. Er schrieb am 17. November 1908 an Adolf Schlatter über seine
Neuentdeckung BUCERS:
„Ich habe bisher Butzer schweres Unrecht getan. Ich glaubte an das vulgäre Bild vom
‚Vermittler‘, geschmeidigen Diplomaten. Nun weiß ich, wie treu sich der Mann von seiner
ersten Bekanntschaft mit dem Evangelium an geblieben ist, und ich bin voll Bewunderung
für seine Besonnenheit, seine kühne Kraft, sein Organisationsgeschick und nicht zuletzt
für seine Bescheidenheit“ (BDS 4, 7, Vorwort).
Chance und Versuchung zugleich für die Wahrnehmung BUCERS im Hier und Jetzt ist das
ökumenische Klima im ausgehenden 20. Jahrhundert. Seebaß (1997:300) weist darauf hin,
dass die Stellung zur heute faktisch vorliegenden Gesprächsökumene und ihren Ergebnissen
indirekt auch die Urteile über BUCER mitbestimmt:
„Wer dem Versuch, die konfessionellen Grenzen abzubauen - ob von lutherischer Seite
oder reformierter Seite - skeptisch gegenübersteht, wird sofern er Bucer nicht
konfessionell zu vereinnahmen sucht, die alten Vorbehalte (…) erneuern; wer darin ein
Stück theologischer Gegenwartsaufgabe sieht, findet in Bucer den Vorläufer, der entschieden für die Reform und die Reformation der Kirche - sich gleichwohl
unermüdlich um ihre sichtbare Einheit mühte“ (:300).
Entgegen der mangelnden Würdigung Martin Bucers in vergangenen Tagen lässt sich mit
Bornkamm (1952:35) immer noch festhalten:
„Bucer gehört zu den geschichtlichen Persönlichkeiten, deren Werk keine bleibende
Gestalt gefunden hat, von denen aber Kräfte und Anregungen nach allen Seiten, z. T. fast
unsichtbar, ausgeströmt sind. (…) Er hat keinen festen Kirchentypus geschaffen wie
Luther, Zwingli, Calvin oder auch Wesley und Zinzendorf. Gewiß hat ihm dazu letztlich
die Kraft oder auch innere Einheitlichkeit gefehlt. Aber er suchte auch bewußt das Ganze
über dem Besonderen, die Einheit über den Gegensätzen. Darum ist seine Nachwirkung so
schwer zu fassen. Und doch führen von den verschiedensten großen Gebieten der
Reformationsgeschichte starke Linien zu ihm zurück. Die Einigung des innerdeutschen
Protestantismus, Gottesdienst und Verfassung der reformierten Kirche, anglikanische
Staats- und Kirchenidee, puritanische und pietistische Bewegung tragen in verschiedenem
Maße seine Züge. Es liegt viel Tragik über seinem Wirken. Sein Werk in Straßburg, die
Zucht einer christlichen Stadt, ist gescheitert, ebenso die Vereinigung von Luther und
Zwingli und der Ausgleich, wie er ihn zwischen Reformation und katholischer Kirche
erstrebte. Alles das mußte scheitern, denn er hatte jeweils den Bogen zu weit geschlagen.
Dafür aber sind seine Anregungen in das Ganze der europäischen Reformationsgeschichte
verströmt.“45
45
Bucers Schicksal weist auf einen neu hervorgehobenen und zunehmend diskutierten Sachverhalt in der
reformationsgeschichtlichen Forschung hin, dem Ernstnehmen der Pluralität und Diversität der reformatorischen
Bewegungen. Nicht der eine „große“ Reformator, sondern die geschichtliche Wirklichkeit rückt mehr und mehr
bei diesem Ansatz ins Blickfeld; vgl. dazu Guggisberg & Krodel 1993; Hamm 1995 u. neuerdings Matheson
2007:7f.
24
2.2 Unionsbemühungen im Zeichen von reformatorischem
Aufbruch und konfessioneller Identitätsbildung
2.2.1 Abendmahlsstreit
Auf die Geschichte des Abendmahlsstreites kann und soll hier nicht in extenso eingegangen
werden.46 Intendiert ist BUCERS Beitrag in angemessener Weise zu eruieren und vor allem die
Frage nach seinen theologischen Leitmotiven zu untersuchen.
Auf das hinlänglich Bekannte sei hiermit noch einmal verwiesen: Mit dem Jahr 1525
öffnete sich eine Kluft zwischen ZWINGLI und LUTHER, die sich in den nächsten Jahren noch
vertiefen sollte. Auslöser war die Abendmahlslehre, ungeachtet der Tatsache, dass sich beide
Reformatoren gegen die Messe als Wiederholung des Opfer Christi aussprachen. 47 Die
Betrachtung des Abendmahls als Erinnerungsfeier im Sinne ZWINGLIS, der höchstens von
einer symbolischen Präsenz Christi sprechen wollte, steht dabei LUTHERS realpräsentischer
Auffassung entgegen, die eben mit Christi realer Gegenwart unter den Elementen rechnet.
Konsequent und von Brisanz war daher für den Wittenberger die Folgerung, dass selbst
Unwürdige und Gottlose den wahren Leib Christi empfingen. Kirchenpolitischer Hintergrund
ist ohne Frage das Aufkommen täuferischer und spiritualistischer Bewegungen (KARLSTADT u.
a.), die infolge der Reformation entstanden waren und die junge Bewegung als Ganzes nun
mit ihren Standpunkten - z. B. Trennung von Wort und Geist - herausforderten. Daneben galt
es den Einfluss ZWINGLIS in den oberdeutschen Städten im Auge zu behalten.
Der Konflikt zwischen den beiden Köpfen der reformatorischen Bewegung zerriss die
Einheit des evangelischen Lagers und gefährdete sein Überleben. BUCERS Rolle in dieser
angespannten Lage wird nun klassisch mit Walther Köhler als die des Vermittlers angesehen,
sozusagen als Kopula „und“ im Haupttitel „Zwingli und Luther“ (Kaufmann 1993a:240). Ob
man damit der Position des Straßburgers im Geschehen, insbesondere dem Umbruchcharakter
des Jahres 1528 für ihn (Ende des frühen Abendmahlsstreites) wirklich und ausschließlich
gerecht wird, steht zur Diskussion.48
46
Immer noch grundlegend sind die beiden quellenreichen Werke von Köhler 1924 u. 1953; einen Überblick
über die Literatur neueren Datums bietet das Literaturverzeichnis.
47
Bühler (1979:231) sieht in der kaum zu bewältigenden Aufgabe für die Reformatoren der ersten Stunde,
eine klare Auffassung vom Abendmahlsgeschehen in Abgrenzung zur mittelalterlichen kath. Sakraments- und
Messtheologie zu entwerfen, die Ursache für die Leidenschaftlichkeit mit der der Streit ausgetragen wurde: Es
ging um nicht weniger als „die Frage, ob und wie das Prinzip des Wortes allein letztlich noch so etwas wie
Sakramente und eine Sakramentslehre erlaube.“ Kaufmann (1992:7.269-281) kann sogar von einer
„Grundlagenkrise der Reformation“ sprechen, geht aber m. E. zu weit, wenn er das neu entdeckte Schriftprinzip
als solches im Streit in Frage gestellt sieht (:7; später relativiert er dies wieder, indem er festhält, dass nicht
wirklich die norma normans in Frage stand, dafür aber deren Auslegung :270, Anm. 5); vgl. generell Grötzinger
1980 und neuerdings den kurzen Überblick der Abendmahlskontroversen seit der frühen Kirche bis zum
Vorabend der Reformation bei Kim 2009:23-52.
48
Vgl. nur die Selbstaussage Bucers: „[I]ch habe die teueren Gaben Gottes bei ihnen allen nicht teuer genug
vor Augen gehabt und den so grausamen Schaden, der aus diesem Streit der Kirche erwachsenen ist, nicht
treulich genug bedacht und erwogen, bin als ein unbedachter Bub (..) mit meinem Urteil, Schreiben und Handeln
zu schnell und zu frei gewesen.“ (Übers. nach de Kroon 1991:240; BDS 6/1, 311, 13-16). Kaufmanns These
25
Als Gliederungshilfe, um einen sinnvollen Zugang zu Verlauf und Ausmaß des ersten
Abendmahlsstreites zu finden, bieten sich folgende Phasen an: Der frühe Abendmahlsstreit
(1524-1528), das Marburger Religionsgespräch und die Zeit danach (1529-1530/31) und
schließlich der vorläufige Abschluss durch die Entstehung der Wittenberger Konkordie (15321536).
2.2.1.1 Früher Abendmahlsstreit (1524-1528)
Von zentraler Bedeutung ist zunächst die Beobachtung, dass BUCERS reformatorische
Auffassung vom Abendmahlsgeschehen vor dem Streit in besonderem Maße von LUTHERS
Schriften aus dem Jahre 1520 wie „Sermon vom Neuen Testament“ (WA 6, 353-378) und „De
captivitate Babylonica“ (WA 6, 497-573) geprägt war. 49 Die Grundlage für seine spätere
Position war damit gelegt: Einem sakramentalen Verständnis von Leib und Blut Christi kam
in diesen Schriften kein theologisches Eigengewicht zu (vgl. WA 19, 482, 15 – 483, 19). Trotz
der ohne Frage gegebenen Voraussetzung einer leiblichen Realpräsenz Christi lag alles
Gewicht auf dem Verheißungswort. Die Funktion der Elemente lag in der sinnlichen
Bekräftigung der als promissio verstandenen Testamentsworte Christi (vgl. zum Ganzen
Althaus 1994:318-322 u. Diestelmann 1996:26f).50 BUCER gelangte zu dem Schluss
(Kaufmann 1993a:241):
„Einer theologischen Begründung, warum die Elemente Brot und Wein zugleich Leib und
Blut Christi sein sollen, war dieses Konzept eher hinderlich, leuchtete doch - zumal im
Licht eines Zweifels an der leiblichen Realpräsenz - nicht ein, warum die promissio nicht
auch durch bloßes Brot und bloßen Wein bekräftig werden könne.“
Der Zeitpunkt, zu dem BUCER seine spezifische Haltung im Abendmahlsstreit bis 1528
einnahm, ist die Jahreswende 1524/25: KARLSTADTS persönliches und publizistisches Wirken
löste die von Laien mit geprägte, überaus regsame Straßburger Abendmahlsdiskussion am
Ende des Jahres 1524 aus.51 Die durch den Niederländer Hinne Rode bekannt gewordene
entgegen dem bisherigen Forschungskonsens lautet kurzgefasst (1993a:248f): „Bucer gehört in die vorderste
Frontlinie der antiwittenbergischen Abendmahlspartei als eine Art Drahtzieher hinein. Die geläufige Lozierung
Bucers ´zwischen Zürich und Wittenberg`, die durch Köhler eine opinio communis der Forschung geworden ist,
ist das Ergebnis einer Interpretation des frühen Abendmahlsstreites von der Wittenberger Konkordie her.“ Selbst
Stupperich (1962:55) als Antipode zu Kaufmanns Position kann formulieren: „Bucer war aber kein
ausschließlicher Kirchenpolitiker, er war Theologe und er hatte eine eigene Linie, die keineswegs nur ein
Ausgleich zwischen Luther und Zwingli ist. (…) Im Grunde ist Bucer ein Typus wie Melanchthon. Stark und
entscheidend von Luther beeindruckt, aufrichtig genug, dies auch auszusprechen, hat er sich doch nicht in allem
an Luther gehalten.“
49
Folgende Texte belegen dies: Das „Summary“ der Bucer’schen Predigt in Weißenburg (BDS 1, 116, 34 –
125, 7) und sein gegen Murner gerichteter Traktat „De coena dominica“ (BOL 1, 3-58); vgl. dazu Kaufmann
1992:76-95.168-171.
50
Wesentlich ist für Luther in diesem frühen Stadium für das Zustandekommen eines Sakraments die expressa
promissio divina, und zwar der Sündenvergebung; er kann formulieren: „Vides ergo, quod Missa quam vocamus
sit promissio remissionis peccatorum, a deo nobis facta“ (WA 6, 513, 34f).
51
Zur exakten Datierung des Gesprächs mit Rode auf den 21.11.1524 vgl. BCor I, 296, 229ff.
26
Abendmahlsdeutung seines Landsmannes HOEN (BCor II, 53, 72ff; vgl. Greschat 2009:88-90)
brachte BUCER in gegenseitigem Austausch mit ZWINGLI52 zu der Überzeugung, dass die
sakramentalen Elemente Brot und Wein den wahren Leib Christi und das wahre Blut Christi
nur bezeichnen (BCor II, 54, 100-104). Gefährdet war diese neue Einsicht zunächst nach
BUCERS Selbstzeugnis (BCor II, 54, 96ff; vgl. auch 51, 15f; 53, 77f) durch die Schrift LUTHERS
- der immer noch unbestrittenen theologischen Autorität - „Von Anbeten des Sakraments“
(WA 11, 431-456). LUTHER zu widersprechen war ein Wagnis, das der Straßburger nur bereit
war einzugehen, da er sich im Glauben befand, damit den Standpunkt der Heiligen Schrift zu
vertreten. In seiner Programmschrift „Grund und ursach auß gotlicher schrifft“
(Hervorhebung von mir; BDS 1, 185-278) 53 im Januar 1525 äußerte er dann zum ersten Mal
öffentlich die symbolische Auffassung der Elemente bei aller taktischen Distanzierung von
KARLSTADT, dessen Gedankengut hier jedoch eindeutig aufleuchtete.54 Der Versuch, dabei die
ganze Debatte im Gefolge von CAPITO und seiner Mitte Oktober 1524 bereits erschienen
Schrift „Was man halten und antwurten soll von der spaltung zwischen Martin Luther und
Andreas Carolstadt“ (vgl. Kaufmann 1992:207-217) zu bagatellisieren (BDS 1, 248, 31f; 248,
36 - 249, 12; 250, 19f; 253, 2-4), zeigt daneben Anfänge seiner irenischen Haltung im Streit,
die aber nicht isoliert betrachtet werden darf.55
52
Verkürzt wäre die Auffassung, dass Bucer seine Einstellung in der Abendmahlslehre letztlich Zwingli zu
verdanken hat. Vielmehr kann man soweit gehen und postulieren, dass es eine auf Grund der theologischen
Übereinstimmungen gemeinsame straßburgisch-schweizerische Kampf- und Aktionsgemeinschaft im
Abendmahlsstreit gegeben hat. „Dabei wirkten Bucer und Capito nicht nur als briefliche Berater der Schweizer
und als Herausgeber ihrer Schriften, sondern auch als Unterhändler in Wittenberg und traten als subversive
Publizisten für Zwingli und Oekolampad ein“ (Kaufmann 1993a:243; zu den Belegen vgl. Anm. 16). Ein
wirkliches Bewusstsein dafür, in der zur Diskussion stehenden Sache anders zu urteilen als die Schweizer
Gesinnungsfreunde, hatten Bucer und Capito bis 1528 nicht: Die beiden agierten nur eher im Hintergrund, am
deutlichsten bei der Planung von Zwinglis „Amica Exegesis“, bei der ein Bucer’scher Entwurf als Vorlage diente
(vgl. BCor II, Nr. 131).
53
Diese auf eine breite Basis in der Straßburger Predigerschaft fußende Schrift diente der reformatorischen
Neuordnung in der elsässischen Metropole, was auch zunächst gelang. Bucer kann gegenüber Brenz im
Dezember 1525 äußern: „Also haben wirs [sc. die Straßburger] nu ein jar in vnser kirchen gehalten vnd noch,
vnd hat uns ruwig behalten“ (BCor II, 80, 45f).
54
Bucer formuliert expressis verbis, dass „die rechte heilsame gegenwertigkeit gottes und Christi durch den
waren glauben“ geschieht und „unsichtbarlicher weyß“ ist (BDS 1, 228, 6f); vgl. auch zur Anwendung in
spiritualistischer Art und Weise von Joh 6,63 - einem Text, der ihm ausgerechnet durch Luther vor Augen stand auf das Problem der Realpräsenz BDS 1, 228, 12ff o.a. 249, 22ff u. generell zu den divergierenden Auslegungen
Hammann 1991:115-123.
55
Gegen Friedrich ([1990] 2002; Zusammenfassung in 1993a:257-268) wird dabei ins Feld geführt (vgl.
Kaufmann 1993a:239, Anm. 1), dass er a) nicht oder zumindest nur unzureichend die Rolle Bucers als nur einer
der Straßburger Reformatoren berücksichtigt, b) die Abendmahlskontroverse zwischen Luther und Zwingli
hochstilisiert zu einem theologiegeschichtlichen Ereignis mit Leitfunktion, das ihm Forscher wie Kaufmann
neuerdings auf Grund quantitativ-publizistischer Überlegungen absprechen, c) - damit wird der neuralgische
Punkt getroffen -, ein Gesamtbild Bucers von der Wittenberger Konkordie her entwirft, das zu wenig die
Dynamik und das Werden Bucers in der ganzen Kontroverse berücksichtigt und d), mit der Stupperichschule den
Einfluss des erasmischen Humanismus auf die Positionierung im Abendmahlsstreit sehr optimistisch einschätzt.
Am Rande eine Beobachtung, ohne mutmaßen zu wollen, dass sie in direktem ursächlichen Zusammenhang zu
der vorgetragenen Forschungsdebatte steht: Greschat erwähnt mit keiner Silbe in seiner auf den neuesten Stand
(2009:7, Vorwort) gebrachten Biografie, weder im Anmerkungsteil, noch in der Bibliografie die Diss. von
Friedrich; bei Schirrmacher (vgl. 2002:55, Anm. 211) als Herausgeber der Reihe, die jene Diss. veröffentlicht
hat, fehlt nunmehr jeglicher Hinweis auf Kaufmann und seine abweichende Interpretation von Bucers Rolle im
27
Exemplarisch für diese frühe Phase und zugleich symptomatisch für die Gefahr, in
Einseitigkeiten zu verfallen (vgl. Gäumann 2001:443, Anm. 13), sind die Äußerungen im
Zusammenhang mit der sog. Caselius-Mission (vgl. Friedrich 2002:27-29 u. Kaufmann
1992:318-333). Der sich ausbreitende Disput zwischen den Oberdeutschen und den
Wittenbergern veranlasste die Straßburger Partei, eine persönliche Botschaft an LUTHER zu
senden. Überbringer war der junge Lektor des Hebräischen, Gregor Casel, ein ehemaliger
Wittenberger Student, der LUTHER und auch BUGENHAGEN kein Unbekannter war. Als er am
10. Oktober 1525 Straßburg verließ, befanden sich vier Schriftstücke in seinem Besitz: ein
kurzes Beglaubigungsschreiben CAPITOS im Namen der Straßburger Prediger an LUTHER, zum
persönlichen Gebrauch eine „Instructio“, deren Verfasser BUCER war, daneben ein Brief
CAPITOS an BUGENHAGEN und ein Brief Wilhelm Farels an BUGENHAGEN. Letzterer ist von
äußerst polemischer Art.56
Besondere Beachtung verdient die „Instructio“ BUCERS und die darin enthaltene
Argumentation. Nach der gewiss nicht nur rhetorisch zu verstehenden Versicherung seiner
Zuneigung für LUTHER - allerdings auch für ZWINGLI und OEKOLAMPAD, die LUTHER
bekanntlich nicht teilen konnte57 - beklagt der Straßburger die gegenseitige Beschuldigung des
Unglaubens und die daraus resultierende Verunsicherung des gewöhnlichen Volkes.
Stattdessen
sollten
Versöhnungsbereitschaft
und
erst
einmal
Gesprächsbereitschaft
kennzeichnend für beide Seiten sein.58 Als Basis für eine Verständigung bietet er die
Rechtfertigungslehre als zentralen Inhalt der reformatorischen Überzeugungen an; das Wesen
von Brot und Wein im Abendmahlsgeschehen ist für ihn eine sekundäre Frage, eine äußerliche
Sache (res externa), die nicht das Heil der Menschen unmittelbar tangiert. 59 Allein der rechte
Usus der Eucharistie ist dem Volk zu lehren, seine praktisch-theologische Ausrichtung tritt
hervor.60 Ein weiterer Vorschlag lautet: Statt untereinander Kritik zu üben wegen Detailfragen
solle jede Kirche ihre Abendmahlslehre- und praxis in bewährter Form beibehalten (BDS 3,
422, 33 – 423, 9). Taktisch geschickt kann er ergänzen: Weitaus größere Probleme als das
frühen Abendmahlsstreit.
56
Farel kann die Lehre von der Realpräsenz als letztes Bollwerk des Antichrists denunzieren, die Wittenberger
sollen dies endlich erkennen und korrigieren (vgl. Friedrich 2002:28 u. 247, Anm. 131).
57
Er formuliert zum gegebenen Zeitpunkt noch vorsichtig: „Errare possumus, quid si et vos erretis?“ (WABr
III, 602, 14; vgl. auch III, 602, 8-10.12-14).
58
In seinen Worten: „Deinde exponsenobis bonam adhuc spem esse, gratiam inter illos posse sarciri, et
nubeculam huiusce dissensionis nostra socordia merente attamen ad nostram probationem, non damnationem,
immissam, posse commode depelli, quod et pij sint, qui dissentiunt et non cirga magna dissentiunt, …“ (BDS 3,
422, 25-29).
59
Eine „Lösung“, die für Luther bekanntlich nicht in Frage kam, da er die Wesensbestimmung der Elemente
nicht als Adiaphoron auffassen konnte (vgl. WABr III, 604, 10 – 605, 41), überhaupt die mangelnde certitudio
der Straßburger ihr Anliegen konterkariert, denn: „Spiritus enim non sic trepidat aut disputat“ (WABr III, 604,
36; vgl. BCor II, 57, 33f).
60
„…, sola nos Christi morte et nulla re externa saluari, Vsumque Eucharistie, circa quam dissidetur, qui est
panem calicemque sumere et mortem domini annunciare, potissimum populo inculcandum“ (BDS 3, 422, 2932).
28
Herrenmahl stehen für alle Parteien an, wie das Auftreten der Wiedertäufer und die
Reaktionen der „Papst-Kirche“ (BDS 3, 425, 10-15). BUCER appelliert am Schluss der
„Instructio“ mithilfe der Heiligen Schrift an LUTHER, doch brüderliches Handeln walten zu
lassen, oder anders formuliert, eine evangelische Solidarität zum Vorschein zu bringen (vgl.
BDS 3, 429, 38 – 430, 3). Der Eindruck entsteht allerdings, dass es ihm um Einheit um jeden
Preis auf Grund eines Minimalkonsens geht, wenn er Gregor Casel instruiert:
„Höre daher nicht auf, Gregor, zu bitten und zu flehen, bis dass du Frieden erreichst mit
jenen, auch wenn sie sich nicht einigen können über das Mahl, da wir nicht bezweifeln,
dass einmal alle gottlosen Reliquien zerstört werden müssen; (und) wenigstens
unterstützen sie nicht die Gegner weder durch ihren Glauben noch durch eine andere
Ansicht“61
Missverstanden wären solche Äußerungen, wenn man sie nicht in Koexistenz zur Kritik an
LUTHERS Autoritätsanspruch - alles zwischen den Zeilen (vgl. BDS 3, 426, 32 – 427, 2; 426,
1ff; 428, 6ff; 423, 30ff; 424, 21f; 424, 27ff) - und der von BUCER gebilligten Polemik
vonseiten anderer Straßburger Prediger (s. nur den FAREL-BUGENHAGEN Brief) stellen würde.
Diese Simultanität von ernstgemeintem Friedensengagement und polemischer Förderung des
Streites, dieses „Zugleich von Friedensdiplomatie und Streittheologie macht“ - nach
Kaufmann (1993a:248) - „den spezifischen Charakter des Straßburger Engagements und
besonders Bucers im [frühen] Abendmahlsstreit aus.“62
Neben der besagten Caselius-Mission gilt die Korrespondenz der Straßburger
Reformatoren mit den Herren von Gemmingen als zeichenhaft für die frühen
Unionsbemühungen BUCERS. Im Unterschied zur Caselius-Mission wird hier allerdings der
soeben skizzierte Friedensappell nicht mehr so deutlich vernehmbar. Umstritten ist zunächst,
ob die Anregung für ein Religionsgespräch zwischen den beiden Seiten tatsächlich auf BUCER
und CAPITO zurückgeht.63 Es hat den Anschein, dass der Impuls zu einem Gespräch auf der
Burg Gemmingen offenbar von Wolff von Gemmingen stammt (BCor II, 82, 101-105; vgl.
Kaufmann 1992:355-358), die Straßburger hingegen die Idee dann erst aufgriffen, mit dem
Ziel, die Veranstaltung in ihrer Stadt zu platzieren, in der Hoffnung sie durch Teilnahme von
Theologen ihrer Richtung zu dominieren (BCor II, 69, 392ff; 82, 105-111). Ganz unabhängig
von diesen Fragen zur Entstehungsgeschichte war die vor allem gegenüber BRENZ im Vorfeld
61
Übersetzungsvorschlag von mir; „Ne desinas igitur, Gregori, orare et obsecrare, donec pacem ab illis
impetres, hoc est, si nequeant de Eucharistia consentire quod non dubitaremus semel omnes impietatis reliquias
subuersurum, saltem non habeant hos hostes ferant, hac eos vel fide, vel opinione esse“ (BDS 3, 426, 24-27).
62
Kaufmann fährt fort: „Der von seinen lutherischen Gegnern erhobene Vorwurf einer ´gut erheuchelten aber
schlecht ausgeführten modestia` Bucers faßt trotz der polemischen Sprache den elementaren Sachverhalt einer
tiefen, jedem Harmonisierungsversuch widerstrebenden Uneindeutigkeit Bucers im frühen Abendmahlsstreit in
seinem sachlichen Kern zutreffend zusammen.“; vgl. dazu im Anhang bei Kaufmann 1993a:253, Brief 1, Z. 21f.
63
Köhler (1924:217) sah in jenen Vorgängen sogar die Urform des Marburger Religionsgespräches sich
abzeichnen.
29
geäußerte Meinung, im Grunde herrsche ein Konsens zwischen den sich streitenden Parteien,
nicht gerade förderlich für die Einigung, die durch ein theologisches Kolloquium erst erzielt
werden sollte (BCor II, 94, 287ff).
BUCERS Rolle in der frühen Phase des Abendmahlsstreites wird man nur gerecht, wenn
man die Tatsache berücksichtigt, dass zahlreiche Dokumente zur Abendmahlsfrage in
Straßburg als „Gemeinschaftstexte“ der Prediger verfasst oder zumindest verantwortet wurden
(eine Liste bietet Kaufmann 1993a:242, Anm. 14). Man muss ihn also im Kontext von
CAPITO, ZELL und HEDIO, um nur einige Namen der Straßburger Predigerschaft zu nennen,
sehen. Selbst eine Schrift wie die „Apologia Martini Buceri qua fidei suae atque doctrinae,
circa Christi Caenam…“ von 1526, mit der er sich persönlich gegenüber BRENZ zum ersten
Mal dezidiert in Form einer Monografie zur frühen Abendmahlskontroverse äußert, muss in
diesem Zusammenhang betrachtet werden.64
In der besagten „Apologia“ finden sich einige erste grundsätzliche Überlegungen, denen
hier Raum gegeben werden soll: Nach dem Prolog, der persönliche Gesichtspunkte und
bereits geäußerte Gedanken, wie im Zuge der Caselius-Mission („Instructio“), enthält, folgt
eine erste Darlegung von BUCERS Abendmahlslehre mit ausführlicher Schriftexegese. Er kann
festhalten, dass Christus keine äußerlichen Dinge benötigt, auch keine Sakramente, um sich
und das Heil zu vermitteln.65 Mit ERASMUS tritt die Bedeutung als Gedächtnismahl in den
Vordergrund,66 und doch kann BUCER weiter gehen als ZWINGLI67 und der Rotterdamer
Humanist und so den Wittenbergern entgegen, indem er konstatiert, der gläubige Christ isst
wahrhaft Christi Fleisch, es ist aber ein „spiritualiter, non carnaliter manducare habereque
64
Vgl. nur den Fortgang des Titels: „quae tum ipse, tum alij Ecclesiastae Argentoracenses profitentur,
rationem simpliciter reddit, … [Straßburg, J. Herwagen], 1526“ (Hervorhebung von mir). Eine Veröffentlichung
in den BOL steht noch aus, ist aber bereits für einen der nächsten Bände - bisher vorhanden sind die Bde. 1-5 u.
15 - vorgesehen; zur für Bucer unerfreulichen Vorgeschichte - die literarische Form der Apologie ist ihm
eigentlich zuwider - s. Hazlett 1975:133-138; Friedrich 2002:32.
65
„Proinde christianorum symbola, baptismus et caena Christi fidei protestationes quaedam sunt, proximorum
gratia atque unitatis Ecclesia commodius conservandae institutae, plura nulla scripturae authoritate illis
tribuemus” (Apologia fo B 4 vo; zit. nach Friedrich 2002:252, Anm. 27).
66
Erasmisches Gedankengut ist nicht zu leugnen: Betonung des Glaubens, Fleisch-Geist Schema, Abendmahl
als Mysterium und vor allem die ethische Komponente. Bucer kann Erasmus in der „Apologia“ sogar als
herausragenden Exegeten würdigen, der das ei)j th&n e)mh&n a)na/mnhsin von 1. Kor 11,25 vortrefflich mit „ad
renovandam memoriae“ (Apologia fo D vo; zit. nach Friedrich 2002:33), im Sinn von „Wiedergedächtnis“
übersetzt hat.
67
Neuser (1998b:213f) sieht ihn in diesen Jahren (vgl. jedoch auch :216 zur Zeit nach der CT) noch als
„reinen“ Zwinglianer, der eben wie Zwingli in den neuplatonischen Dualismen (Externum-internum; carnalespirituale; os-mens/animus usw.) stecken bleibt. Dagegen spricht sich allerdings Müller (1965:174, s. bes. Anm.
16) aus, der Bucer keinen echten stofflichen Dualismus attestiert, im Unterschied zu diversen Täufergruppen,
denen er später begegnet; vgl. auch Hazlett 1975:80; Selderhuis 1991:242f u. Hammann 1991:125, der nachweist
(vgl. BDS 1, 230, 1-11; 249, 22 - 250,7): „Nicht der leibliche Empfang wird durch einen geistlichen ersetzt, wie
bei Zwingli, sondern das leibliche ‚Sehen und Anbeten‘ [der Hostie]. Hier liegt die leiblich-geistliche Antithese
bei Bucer, zwischen sichtbar und unsichtbar, zwischen ‚substantive` und corporaliter‘, nicht zwischen Geist und
Materie im neuplatonischen Sinne.“ o.a.: „Dieser Antithese bedient er sich auch hier [Johannes-Kommenar von
1528; BOL 2, 283] nicht zugunsten einer logischen, sondern einer polemischen Beweisführung: er streitet damit
gegen die Werkgerechtigkeit des Meßopfers, nicht aber gegen die Einheit des Menschseins Christi“ (:129, vgl.
hierzu Müller 1965:176-178).
30
praesentem“ (Apologia fo D ro; zit. nach Friedrich 2002:33) gemeint.68 Kulminationspunkt
dieser Vermittlungsbemühungen und bezeichnend für den „Formelschmied“ ist eine Aussage
wie folgt: „Et nos sane pacem caenae fidelibus praedicamus esse corpus Christ corporale, sed
spriritualiter, sed beatificio modo. Vere enim fide manducant illud, dum verum corporale
corpus pro se credunt immolatum” (Apologia f o D 3 ro; zit. nach Friedrich 2002:33). 69 Mit
solch einer mehr oder weniger verhüllenden Formulierung, 70 die zu jenem Zeitpunkt weder
LUTHER noch ZWINGLI ohne Beanstandung unterschrieben hätten, versucht er ernst gemeinte
theologische Offenheit nach allen Seiten hin zu demonstrieren. Im Kern ist er zu jenem
Zeitpunkt wohl der Überzeugung, dass „das Heil nicht von den ontologischen Modalitäten der
Menschwerdung Christi“ abhängt (Hammann 1991:127f).71
Kennzeichnend für die Originalität und Eigenständigkeit des Straßburgers ist ein
Sachverhalt, den er ganz bewusst gegen BRENZENS Lehre von der Realpräsenz ins Feld führt,
und der bis dato weder LUTHER, ZWINGLI noch ERASMUS vor Augen stand: der Genuss des
Leibes und Blutes Christi seitens der Ungläubigen. Mit diesem Lehrstück, zuallererst in der
„Apologia“ so deutlich vorgetragen, berührt BUCER - sicher ohne dies zum gegebenen
Zeitpunkt zu ahnen - den Dreh- und Angelpunkt der weiteren Kontroverse, die Frage, ob das
Sakrament auch ohne Glauben wirksam ist. Für BUCER steht die geistliche Nießung Christi
durch den Glauben so sehr im Mittelpunkt, dass sich die Frage nach der „manducatio
impiorum“ zwangsläufig ergab. Der Gemeinschaftsaspekt des Mahles leuchtet auf, wenn er
hier mit dem Wesen des Neuen Bundes argumentiert, dass dieses einer Vereinigung von piis
68
Es gibt für Bucer eine Realpräsenz Christi „im Glauben“; neben dem signikativen (nach Zwingli) besteht
auch ein exhibitiver Charakter des Abendmahls. Allerdings bleibt die Modalität der Realpräsenz offen, lehrt die
Schrift doch nirgendwo, diese zu bestimmen („Quid vero in pane hujus eucharistiae existat realiter, non vellent
sollicite vestigare, postquam nullae scripturae hujus aliquid vel inquiriendum vel perpendendum doceat“;
Apologia fo D r vo; zit. nach Friedrich 2002:252, Anm. 31). Der Schriftbefund nach Joh 6,63; 1. Kor 10,4f.16f u.
1. Kor 11,24f leitet ihn zur Überzeugung einer manducatio spritualis im Glauben, eine fleischliche Auffassung
der Realpräsenz kann er sogar als schriftwidrig bezeichnen (vgl. Apologia f o D ro).
69
„Wir verkündigen den Gläubigen in der Tat, dass darüber Frieden herrscht beim Abendmahl: Der Leib
Christi ist körperlich anwesend, aber in geistlicher Form und zwar in beglückender Art und Weise. Denn sie
genießen wahrhaft durch den Glauben jenes, während sie glauben, dass der Leib wahrhaft körperlich für sie
geopfert worden ist“ (Übersetzungsvorschlag von mir).
70
Eine weitere Erklärung bleibt aus, man muss wohl mit Köhler (1924:291; vgl. Neuser 1998b:214)
festhalten: „… doch denkt er (sc. Bucer) sich offenbar die Sache so, daß der Glaube die sinnlich klingenden
Formeln als geistigen Inhalt in sich befaßt, so daß sie tatsächlich nicht versinnlicht werden; denn er lehnt ja
ausdrücklich die coexistentia carnis Christi realis mit dem Brote ab.“ Mit anderen Worten (Friedrich 2002:33):
„Für den Gläubigen ist das Brot der fleischliche Leib Christi, der in geweihter Form, d.h. geistlich, nicht
fleischlich, körperlich oder physisch anwesend ist. Da Bucer eine Koexistenz des realen Leibes Christi mit dem
Brot ablehnt, kann der einzig wahre Empfang von Christus nur geistlich sein. (…) Die Intention des Mahles ist
nicht auf die Elemente (so Zwingli), sondern auf den gläubigen Empfang und die ethische Konsequenz
ausgerichtet. Wieder geht Bucer über Zwingli hinaus, der ‚res‘ und ‚res significata‘ streng voneinander trennte.“
71
In Bucers Worten in einem Brief an Luther (BCor I, 290, 65-71): „(…) respondemus, panem et calicem res
esse externas, et quantumlibet panis corpus Christi sit, et vinum sanguis ejus, nihil tamen nobis salutis afferre,
cum caro nihil prorsus prosit. At meminisse mortis dominice id unum in hac re esse salutiferum, in quem ususm
solum iste panis edendus est et calix bibendus, quare christiano magis expendendum esse, ad quid edat et bibat,
quam illud sit, quod edit atque bibit.“ (Hervorhebung von mir; das wozu man isst und trinkt sei vielmehr zu
beachten als das, was man isst und trinkt).
31
und impiis beim gemeinsamen „Zerbeißen“ des Leibes Christi im Sinne der Realpräsenz
entgegensteht (Apologia fo [B 8] ro).72
Die gesamte Argumentation atmet das Bemühen um eine Einigung auf dogmatisch und das
heißt für BUCER zunächst einmal auf exegetisch verantwortbarer Basis,73 fernab von
vorschnellen Unionsbemühungen, die sich nicht die Mühe machen, zum Kern der Sache
vorzudringen.74 Hierin gipfelt der immer wieder vorgebrachte Vorwurf gegenüber BUCER, mit
seiner scheinbar allzu pragmatischen Art die eigentliche Sachlage zu vernebeln. Auch ohne
Frage vorhandene empirische Überlegungen in der „Apologia“ können diese Behauptung
nicht ohne Weiteres untermauern. BUCER war der Erste der Kontrahenten in der est-significat
Debatte, der auf das nicht unwesentliche exegetische Detail hingewiesen hat, dass das Wort
„est“ im aramäischen Urtext fehlt (Apologia fo [C 6] vo).75 Eine bis dahin nicht erfasste
Tatsache, die zum einen BUCERS exegetische Fähigkeiten unter Beweis stellt und zum anderen
illustriert, warum er bereits vor 1526 und auch in der Folgezeit immer wieder von einem
„Streit um Worte“ sprechen konnte. Was geschehen wäre, wenn Bucer diese Entdeckung
konsequent verfolgt und in die Auseinandersetzung weiterhin eingebracht hätte, bleibt
Spekulation.
In einem Epilog beschreibt jener nun die Chancen zur Beilegung des Streites, die er sehr
nüchtern einschätzt. Fast resignierend klingt es, wenn er BRENZENS Ablehnung der tropischen
Deutung der „verba testamenti“ als Ende der Hoffnung auf eine Konkordie bezeichnet. 76
Grundtenor der „Apologia“ - und damit tritt BUCERS Eigenschaft als Konsenstheologe deutlich
hervor -, ist die Auffassung, dass das Abendmahl das Zeichen des Friedens und der Einheit
72
Als geistlicher Bund ist der neue Bund für die Ungläubigen im Abendmahlsgeschehen verschlossen, es gibt
nichts, was ihnen zugute käme, sie können Fleisch und Blut Christi nicht wahrhaft empfangen, alles andere zu
behaupten wäre Blasphemie („quod impiis possit esse commune, qui cibum potumque dederit, quo expiantur
peccata et conditur testamentum novum, cujus nullam impii partem possunt habere“; Apologia f o [B 7] ro; zit.
nach Friedrich 2002:252, Anm. 41; vgl. auch Anm. 43).
73
Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass Bucers theologischer Grundansatz wie Greschat (1978:90; vgl.
Anm. 90 u. 91) feststellt im Hinblick auf seine kosmische Interpretation der Soteriologie (vgl. 2.1; S. 21f) „nicht
primär aus der biblischen Exegese, sondern aus der systematischen Reflexion über die ihm begegnenden
theologischen Entwürfe gewachsen ist“ (:90).
74
Charakteristisch hierfür ist auch die Bezugnahme auf Melanchthon, der in seinen „Annotationes zum
Johannesevangelium Kap. 6“ von einer „manducatio im Glauben“ gesprochen hatte: „Verbo manducatur Christus
ideoque fide, non carnali esu“, aber ergänzt „cujuscunque nunc sententiae sit“ (Apologia f o C 4 vo; zit. nach
Friedrich 2002:34). Ebenso kommt er Brenz entgegen, wenn er eine Einigung auf der Basis vorschlägt, die jener
selbst ins Spiel gebracht hat: „fideles cum pane corpus christi vere accipiunt, non … in pane“ (Hervorhebung
von mir; Apologia fo C 3 vo; zit. nach Friedrich 2002:34).
75
Diese Einsicht hat Bucer bereits am 17. September 1525 in einem Brief an Jakob Otter in nuce ausgeführt
(vgl. BDS III, 415, 13-24). In Anbetracht der theologischen Linien hinsichtlich der Wesensbestimmung des
Mahles, die sich nicht nur hieraus für ihn ergaben - eine Betonung der Personalpräsenz und weniger der Realoder besser Res-Präsenz - kann Friedrich (2003:65; vgl. auch :125!) zu der Feststellung gelangen: „[D]amit
bewegt sich Bucer bereits im Jahr 1530, seiner Zeit weit voraus (…) auf einer Erkenntnisebene, die in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, d. h. für moderne Exegese und Dogmatik, bei der Auslegung der
Abendmahlsworte tragend wurde.“; vgl. dazu Jeremias 1976:198-195.210-229.
76
„Post haec omnia, spem nobis praescindit concordiae, quia verbo Domini videamur ipsis injuriam facere et
aufferre donum, quod verbo affertur et a se admondum duriter propellit“ (Apologia f o E vo; zit. nach Friedrich
2002:252, Anm. 45).
32
unter den Christen sein soll, stattdessen aber in seiner Bedeutung durch den Streit nunmehr
völlig konterkariert wird (vgl. Apologia fo [A 6] ro / vo; C vo).77 Ein Satz wie der folgende, der unpräzise formuliert (vgl. 2.2.3) - frühneuzeitliches Toleranzdenken einläutet, unterstreicht
dies: „Wir lassen, was unsicher und dem Heil nicht förderlich ist, beiseite; es soll niemand
verfolgt werden, der Christus in gleicher Weise bekennt, auch wenn er nicht in allen Punkten
mit uns übereinstimmt“ (Apologia fo D 6 vo; Übers. nach Friedrich 2002:34).
BUCER tritt mit seiner „Apologia“ nolens volens in die Öffentlichkeit und damit in den
gewohnten Raum der anderen Reformatoren ein, bemüht, einen sachlichen Beitrag zur
Beilegung des Streites zu liefern. Seine Schrift sollte - wenn es nach ihm ginge richtungsweisend werden für den gegenseitigen Umgang in einem kontroversen
Diskussionspunkt, eine Kunst, die die reformatorische Bewegung erst noch zu erlernen
hatte.78
In Ambivalenz dazu, um nicht in einer allzu euphemistischen Schilderung BUCERS zu
enden, soll hier noch exemplarisch auf seine subversiven Tätigkeiten als Publizist von
BUGENHAGENS Psalmenkommentar eingegangen werden (vgl. Kaufmann 1990:165-176 u.
Friedrich 2002:35-38). Unter dem Pseudonym Conrad Ryss zu Ofen 79 reagierte Bucer
unmittelbar auf eine sich großer Verbreitung erfreuende Epistel „contra novum errorem“
BUGENHAGENS, die ursprünglich Mitte Juli 1525 an den Breslauer Pfarrer Johannes Heß
gerichtet war. Weitere Propagandaaktivitäten von wittenbergischer Seite wären zu ergänzen
(vgl. Kaufmann 1993a:244). BUCER war nun keineswegs verlegen, diesen als Angriff
empfundenen (vgl. BDS 3, 409-420; 431-441) literarischen Tätigkeiten zu begegnen, indem
er seine eigene Abendmahlslehre in die von ihm angefertigte „Übersetzung“ von
BUGENHAGENS lateinischem Psalmenkommentar anlässlich von Ps 111,4f eintrug (vgl. BDS 2,
177-222; BCor II, 267-274; BDS 2, 261-275). 80 Immerhin handelt es sich bei dieser Schrift
um seinen aus Sicht eines Verlegers erfolgreichsten Beitrag zum Abendmahlsstreit: Sie
77
Ein schönes Beispiel für diese Auffassung bietet Bucer in „Grund und ursach“, das oberflächlich betrachtet
an Lessings Ringparabel erinnert: „Gleich als so ein vatter ein guldin kopff [Topf, Becher] sein sünen z ůletz
gelassen hette und befohlen, so offt sye drauß drincken, das sye sein solten gedenken und was er sye g ůts gelert
hette, das sye eins durch einander und erbarlich lebten, und sye fingen ein zanck an ob dem kopff, von was
materi er were oder wie kostlich, biß sye einander in die har fielen; weren dies net undanckbare und bo ese kinder,
denen weger [besser] were, sye hetten den kopff nie empfangen?“ (BDS 1, 248, 33 - 249, 3; vgl. auch 248, 3ff;
248, 26-32; 249, 3ff; 252, 31 - 253, 4).
78
Friedrich (2002:34f) informiert über die Aufnahme der Schrift durch den Kreis der Rezipienten, von Skepsis
(Capito) über Zustimmung (Zwingli) bis zu Polemik (Luther) ist alles vertreten.
79
Zur Vorgeschichte und der damit verbundenen nicht unumstrittenen These, dass Bucer im sog. Hoenbrief,
den er ebenso ediert und mit „Zusätzen“ versehen haben soll, auf die baldige Herausgabe einer neuen brisanten
Schrift hinweist vgl. Kaufmann 1993a:244-246; das genannte Pseudonym taucht zwar noch nicht auf, aber die
Erwartung wird geweckt, dass sich wieder ein holländischer Schriftsteller wie bspw. Cornelis Hendricxz Hoen,
der wahrscheinlich 1521 einen Brief an Luther - die Urform - geschrieben hatte, zu Wort meldet; anders urteilt
Greschat (2009:290, Anm.46) mit Hinweis auf M. Lienhard.
80
Präzise handelt es sich um zwei umfangreichere Ergänzungen („Vom nachtmal des herren“ u. „Von der
anbettung des brots“) nach Bugenhagens kurzer Erläuterung des Mahles im Anschluss an Ps 111,4f, die beinahe,
aber eben nur beinahe zwinglisch klingende Formeln („sacramentum externum“ als „tantum signum“) enthielt.
33
erschien insgesamt viermal. Versuche, BUCER nun zu rehabilitieren oder zumindest zu
erklären, können nicht überzeugen.81 Kaufmann (1993a:247, bes. Anm. 35) spricht von
„bewusster Fälschung“, ohne damit implizieren zu wollen, dass der von lutherischer Seite
erhobene „Verfälschungsvorwurf“ (Friedrich 2002:38) gegenüber BUCER uneingeschränkt
berechtigt ist.82 Entsprechend juristischem Sprachgebrauch könnte so einfach auch nur der
Intentionalität der BUCER’SCHEN Täuschungsabsicht Rechnung getragen werden. Die geläufige
Rede von einer „reformierten Taktik im Namen der Einheit“ (ursprünglich von Wilhelm
Walter) verwundert daher nicht und trifft u. U. genau den Kern der Sache, sieht man einmal
von der polemischen Natur der Formulierung ab. Die skizzierten Vorgänge belegen
schlichtweg, betrachtet man es rein analytisch, die taktischen Fähigkeiten eines Martin Bucer
und seinen unbedingten Willen zur Einheit.83
Realpolitischer Hintergrund der Auseinandersetzungen, der neben der theologischen
Dimension des Streites auch immer Erwähnung verdient, ist der Kampf um die öffentliche
Meinung in einer Druckmetropole wie Straßburg. 84 Dies unterstreicht BUCERS Motivlage, die
jenseits von romantischer Friedensdiplomatie, aber auch bloß beißender Polemik zu suchen
ist. Man muss Köhler (1953:523) wohl zustimmen, wenn er festhält, „daß der Blick auf das
politische Bündnis bei ihm (sc. Bucer) kein Seitenblick war, sondern der Zweck werden
konnte, der das Mittel heiligte.“ Das Ringen um die religiöse Einheit hatte bei BUCER ohne
Frage auch strategische Beweggründe. Jener war sich durchaus bewusst, dass nur eine geeinte
protestantische Welt über den politischen Einfluss im Reich verfügen würde, um der Sache
der Reformation längerfristig zum Durchbruch zu verhelfen. Hierin stimmte der Straßburger
mit Philipp von Hessen überein, der im Grundsatz ähnliche Ziele verfolgte, dabei aber
mehrheitlich eher aus politischen Motiven agierte (vgl. Gäumann 2001:445)85.
81
Die Interpretation der „Interpolation“ des Abschnittes im Psalmenkommentar durch Bucer als Ergebnis
„ziemliche[r] Unklarheit“ (so Neuser in BDS 2, 180; vgl. auch Köhler 1924:365f) oder als Suche nach
„Anknüpfungspunkte[n], die ihn – erstaunt und erfreut zugleich – glauben ließen, er befände sich (…) in der
Abendmahlsfrage in Einklang mit den Wittenbergern“ (Friedrich 2002:37), stehen die Datierung der Ereignisse
und die Reaktionen von luth. Seite (Nikolaus Gerbel), wenn auch mit Vorsicht zu genießen, entgegen (vgl. in
aller Kürze Kaufmann 1993a:247, Anm. 34 & 39 u. ausführlich Kaufmann 1992:310-318).
82
Bucer kann seine Praktik selbst als „Sünde“ bezeichnen, die er aber als leicht verzeihlich ansieht, habe er
doch damit eigentlich nur die veritas der Lehre Bugenhagens herausstellen, ihm quasi zu sich selbst verhelfen
wollen (vgl. ZW 8, 652, 3-6; BCor II, 138, 17ff).
83
Eine Bemerkung Capitos in einem Schreiben an Zwingli vom 27. Dezember 1525 – in Straßburg herrschte
helle Aufregung nach dem Druck - unterstreicht dies: „Wie Wittenberg den Eifer des Mannes (sc. Bucer) billigen
wird, werden wir in Bälde erfahren. Ganz gewiß hat er einiges besser gemacht, und jetzt ist er dabei,
Exquisiteres zu sammeln“ (ZW 8, 477, 9-11; Übers. nach Friedrich 2002:36).
84
Der größte Teil der Straßburger Bürgerschaft hing seit dem Jahr 1525 der Abendmahlsanschauung ihrer
Prediger an, für Schriften mit einer nicht-symbolischen Auffassung der Elemente bestand keine große Nachfrage
(vgl. Kaufmann 1993a:243, Anm. 19).
85
Und doch konnte jener formulieren: „Wir sollen nicht allein auf uns, sondern auch auf andere Christen
sehen, daß es ihnen auch wohlgehe, und, ob sie vielleicht in einem Artikel irreten, sie darum nicht auf die
Fleischbank gewiesen würden.“ (zit. nach Stupperich 1962:65).
34
2.2.1.2 Marburger Religionsgespräch (1529-1530/31)
Gedrängt durch die Ereignisse auf dem zweiten Reichstag von Speyer im Frühjahr 1529, dem
Verbot jeder reformatorischen Neuerung und der Forderung, die Autorität der katholischen
Bischöfe wiederherzustellen, sah sich vor allem der junge Regent Philipp von Hessen
genötigt,
alle
evangelischen
Reichsstände
in
einem
militärischen
Bündnis
zusammenzuführen.86 Voraussetzung hierfür war allerdings ein gemeinsames Bekenntnis, das
mit dem gemeinsamen Protest vom 19. April 1529 der „Protestanten“ gegen die Speyerer
Beschlüsse noch nicht gegeben war, loderte doch der Streit über das Verständnis des
Abendmahls schon bald wieder auf. Ein bis dahin einzigartiges Gipfeltreffen der
reformatorischen Parteien auf Philipps Geheiß hin auf seinem Schloss in Marburg sollte hier
Abhilfe schaffen.
Als Vorbereitung für ein solches Treffen benennt BUCER in einem bisher nicht beachteten
Brief vom März/April 1529 die für ihn maßgebenden theologischen Kriterien für eine
theologische Auseinandersetzung zwischen Wittenberg und Zürich. Da sich die Vorschläge
äußerst „modern“ darstellen und sich für die Zielsetzung dieser Untersuchung als hilfreich
erweisen, verdient der genannte Brief, möglicherweise an einen hessischen Diplomaten oder
einen Frankfurter gerichtet, besondere Aufmerksamkeit.87
BUCER lässt zunächst keinen Zweifel daran aufkommen, dass ein Religionsgespräch in
freundschaftlicher Atmosphäre die Beseitigung der Abendmahlskontroverse nur noch zu einer
Frage der Zeit machen würde.88 Einheit in der Vielfalt der Meinungen muss möglich sein
(„sententiarum diuersitate nihil obstante societas“; zit. nach Friedrich 2002:277, Anm. 4), ein
kontroverser Punkt (Abendmahlslehre) darf nicht zum Ausschlusskriterium werden, solange
es sich nicht um eine heilsentscheidende Frage handelt. 89 Erkenntnistheoretische Einwände
werden laut - BUCER spricht von unserer Beschränktheit („imbecillitatis nostrae“; :277, Anm.
4). Er stellt fest, dass eine noch unterentwickelte Erkenntnis des Einzelnen nicht dazu führen
kann und darf, die Bruderschaft mit ihm zu kündigen. Die Bruderliebe steht bei BUCER über
86
Luther hatte nur wenig übrig für das „Bundmachen“ des Landgrafen, sah er doch hierin eher politisches
Abenteurertum anstatt des gebotenen Vertrauens auf Gott. Ein Bündnis mit den zwinglianischen Städten wie
Ulm und Straßburg hielt er für „das allerärgste“, das geschehen konnte (so in einem Brief an Kurfürst Johann
vom 22. Mai 1529; WABr V, 77, 35); zur prekären politischen Situation der Reichsstadt Straßburg - der
beunruhigenden Isolation der oberdeutschen Städte überhaupt -, die Bucers energischen Einsatz für ein
Theologenkonvent naturgemäß mitbestimmte vgl. Friedrich 2002:58.
87
Zur Datierung und dem Adressaten, der sich momentan nicht genauer bestimmen lässt, vgl. Friedrich
2002:277, Anm. 2.
88
„Vt igitur tibi nihil gratius obuenturum, quam quo uera inter istos concordia restitueretur, persuasum
habemus, ita scribere ad te de ratione, qua ad id perueniri posse putamus ausi fuimus. Ea uero uidetur nobis
amico synceraeque fidei congressu, ac mutua et familiari sententiae, quam in ijs quae Christi sunt quisque
sequitur expositione constare” (Hervorhebung von mir; SA, E II 446, f o328ro; Original in Zürich, zit. nach
Friedrich 2002:277, Anm. 3).
89
„Cur enim minus amplecteremur eos, qui unum et alterum scripturae locum parum recte intelligunt, quando
Paulus agnosci colique ut fratres uolit, qui de tam multis doceri ueritatem non sustinebant, ut putarent discrimen
dierum et ciborum necessarium ad salutem?“ (SA, E II 446, fo328ro; zit. nach Friedrich 2002:277, Anm. 4).
35
der Liebe zur eigenen Erkenntnis.90 Ein Kolloquium, das von Offenheit und einem
würdevollen Umgang miteinander geprägt ist, würde BUCER zufolge dem besseren
Verständnis der anderen Seite dienen. Zumindest die Grundlage für eine spätere Konkordie
könnte so gelegt werden (Friedrich 2002:277, Anm. 6). Ziel einer solchen Disputation ist die
Wahrheitsfindung, nicht die Verschärfung des Konfliktes; die Anliegen beider Seiten können
so sachgemäß - „non contentiosam“ - zutage gefördert werden.91 In Anlehnung an die gute
Tradition der Alten Kirche, Konzilien abzuhalten, die ganz und gar geprägt waren durch den
Geist Christi („Christi spiritu opulentius fuit donatus“), und dem Beispiel des Paulus folgend,
soll auch das geforderte Religionsgespräch als Gespräch unter Brüdern geführt werden, um
den Dissens wie ein übles Geschwür endlich zu heilen („mutuo colloquio dissensionis malo
mederi“).92 Die Adressaten, insbesondere die Wittenberger Partei, werden deutlich und
energisch aufgefordert, ihre massiven Vorbehalte gegen die Zusammenkunft fallen zu lassen.
BUCERS Bedeutung für das Marburger Religionsgespräch, überhaupt das der Straßburger
Delegation, was ihr Auftreten und ihren Einfluss betrifft, war nun eher marginal. 93 Auch
BUCERS Intervention während der Debatte am letzten Tag, sein einziger öffentlicher Auftritt,
blieb eine Randerscheinung.94 Vergessen werden darf allerdings nicht, dass der Elsässer in
90
„Quis filiorum Dei suae tam sit amans sententiae, qui non agnoscat fratrem quem uideat nihil habere prius“
(SA, E II 446, fo328ro; zit. nach Friedrich 2002:277, Anm. 5).
91
„Neque enim publicum congressum ostentationi magis et augendae dissensioni, quam discendae ueritati et
sarciendae concordiae aptum, sed priuatum, sed familiarem remotis arbitris, nisi essent, ut utrique uiderentur ad
restituendam concordiam idonei petimus. Non prouocamus ad contentiosam disputationem, sed inuitamus ad
dignam fratribus membisque Christi commentationem” (SA, E II 446, f o328ro; zit. nach Friedrich 2002:277,
Anm. 9).
92
SA, E II 446, fo328vo; zit. nach Friedrich 2002:278, Anm. 11. In der Begrüßung beim Auftakt zum
Marburger Religionsgespräch durch den hessischen Kanzler Feige kommt derselbe Ton zum schwingen:
„Niemand suche sein eigen Affekten, sondern ein jeglicher Gottes Ehre, gemeiner Christenheit Nutz und
brüderliche Einigkeit“ (Köhler 1929:7).
93
Aus der Einladung von Philipp von Hessen an Jakob Sturm vom 1. Juli 1529 geht hervor, dass die
Straßburger Fraktion vor allem als Zuhörer geladen wurden, dies wohl aus vornehmlich taktischen Gründen, war
ihre Versöhnungsbereitschaft doch inzwischen mehr als bekannt (vgl. Friedrich 2002:59).
94
Aufgrund der Übersetzungsaffären um Bugenhagens und Luthers Schriften war sein Leumund alles andere
als positiv. Luther begrüßte ihn am ersten Tag mit dem Finger drohend mit dem Zuruf: „Tu es nequam – Du bist
ein Schlingel“ (BDS 4, 332, 8; zur Interpretation dieser Aussage vgl. Liebenberg 2003:32f, Anm. 13). Bucers
Vorstoß, am letzten Verhandlungstag darzulegen, dass man in Straßburg „von der Trinität usw. auch recht
predige“, also eine luth. Rechtfertigung der eigenen Position einzuholen, misslang daher gründlich (vgl. Köhler
1929:37-38.127-130; BDS 4, 350). Greschat (BDS 4, 328) sieht in diesem, wenn auch gescheiterten Versuch
jedoch „eine der wesentlichen Wurzeln für Bucers Aktivität in der Abendmahlsfrage, die seine Tätigkeit in den
folgenden Jahren kennzeichnet.“ Luthers Erwiderung ist an Schärfe kaum zu überbieten: „Traun Nein, ich bin
Euer Herr noch Euer Richter nicht. Es kümmert mich nicht, wie Ihr in Straßburg lehret. So wollt Ihr mich noch
meiner Lehre auch nicht, so kann ich Euch zu Jüngern auch nicht leiden. Wir haben (zu)vor wohl empfunden,
daß Ihr begehrt, unter unserem Namen Eure Lehre auszubreiten, ich höre Euch wohl jetzo, weiß aber nicht, ob
Ihr daheim auch also lehret oder nicht usw. Darum gib ich Euch kein Zeugnis, Ihr (be)dürts auch nicht, dann so
Ihr überall rühmet, Ihr habts von uns nicht gelernt (…); wir wolten auch ungern solche Jünger haben. Ich will
Euer Lehrer nicht sein, Ihr habt meine Schriften und mein Bekenntnis (…). Denn das kann nicht ainerley gayst
sein, da man an einem Ort die Wort Christi ainfeltigklich glaubt unnd am anndern denselben glauben tadelt,
widerfichtet, lügstraffet und mit allerley freveln lesterworten antasstet. Darumb wie ich vor gesagt hab, befehlen
wir Euch dem urteyl gottes, leret, wir Irs vor got wölt verantwurten“ (Köhler 1929:38.129; leider ist die
Schlussrede Bucers nicht im Wortlaut erhalten, eine nüchterne Interpretation bzgl. des Verhältnisses zwischen
Luther und Bucer nach dem so eben in Auszügen zit. Bericht Osianders bietet Stupperich 1962:52f). Das
Religionsgespräch endete bekanntermaßen mit der Prämisse, in Zukunft keine polemisch-literarischen
36
organisatorischer Hinsicht in Erscheinung trat: als Vermittler der Korrespondenz zwischen
dem Landgrafen und ZWINGLI und „Wegbereiter“ im buchstäblichen Sinn der Schweizer und
Straßburger.95 Diesen Aufgaben kam er mit größter Sorgfalt nach (vgl. Friedrich 2002:279,
Anm. 29). Inhaltlich von Bedeutung sind jedoch eher seine Beiträge im Vorfeld, die er
konsequent fortführte. Bereits im Jahr 1528 fand er in LUTHERS schroffer, gegen ZWINGLI
gerichteter Schrift „Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis“ (WA 26, 241-509) den neuen
Ausgangspunkt für seine Unionsbemühungen. Mit der Rede von der „unio sacramentalis“
(ursprünglich von J. Wyclif) war der Schlüsselbegriff für die Lösung des Abendmahlsstreites
gefunden. „Es war eine Formel, die einerseits die wahre Gegenwart Christi im Abendmahl
(Realpräsenz) festhielt, andererseits das Mysterium dieser Gegenwart wahrte und auch die
Bedeutung des Glaubens unterstrich“ (Friedrich 1993:260). Mit jener Formulierung operierte
BUCER nachfolgend in seinen Kommentaren und Briefen, insbesondere in seiner Schrift
„Dialogus“ (BDS 2, 295-383; vgl. auch BCor III, Nr. 197). 96 Daneben entwickelte er, ein
weiteres Indiz für BUCERS Originalität, im Psalmenkommentar von 1529 seine dreigeteilte
Lehre der pii, indigni und impii, um LUTHER eine Brücke zu bauen in der Frage der geistlichen
Nießung der Gottlosen (impii). Die Interpretation der unio sacramentalis blieb trotz allem eine
andere auf beiden Seiten: LUTHER konnte von einem Miteinander des Leibes und Blutes
Christi mit Brot und Wein sprechen, BUCER hingegen nur von einem Beieinander. Der Versuch
eine Einigung zu erzielen, blieb, gelinde gesagt, schwierig bis unmöglich, was jedoch nicht zu
einem Ende der Bemühungen BUCERS führte.97
Auseinandersetzungen mehr zu führen. Selbst Luther konnte eingestehen, sich zuweilen im Ton vergriffen zu
haben. Die entgegengestreckte Bruderhand Zwinglis u. a. lehnte er jedoch ab - wieder nach Berichten von
Osiander und Brenz (BDS 4, 356, 38 – 357, 4; 353, 15-23). Als eigentlichen Grund für das Scheitern sah Bucer
indes die problematische Rolle Melanchthons an, denn: „Philippus bene vult Caesarj et Ferdinando“ (so in einem
Brief vom 18. Okt. 1529 an Ambrosius Blaurer; BCor III, Nr. 257, 334, 68; vgl. Friedrich 2002:61). Hammann
(1991:115) gelangt zu dem Urteil, dass „Bucers Eigenständigkeit (..) in Marburg noch nicht genügend reif [war],
um eine Verständigung mit Luther herbeiführen zu können, denn hinter den ´Affekten` ging es in der Tat um
wesentlich ´dialektische` Fragen, die Bucer verharmlosen wollte.“
95
Die Reiseroute wurde aus Sicherheitsgründen geheim halten, soweit wie möglich; Zwingli erschien im
schwarzen Waffenrock mit Degen, verlief die Route doch über lange Strecken durch habsburgisches Gebiet, den
„tödtlichen feynds boden“ (ZW 10, 208, 16).
96
Der vollständige Titel lautet: „Vergleichung D. Luthers und seins gegentheyls vom Abentmal Christi.
Dialogus. Das ist eyn freundtlich gesprech“; Bucer kann formulieren: „Dann hie auch eyn eynigkeyt auß
zweyerley wesen ist worden, die wil ich nennen Sacramentliche eynigkeyt, darumb das Christus leib und brot
uns alda zům Sacrament werden gegeben, dann ist nit eyn natürliche oder perso enliche eynigheyt wie in Gott und
in Christo. So ists auch vielleicht eyn andere eynigheyt dann die taub mit dem heyligen geyst und die flamme
mit dem Engel, dennoch ists ja auch eyn Sacramentlich eynigheyt“ (BDS 2, 312, 17-23); generell zu Aufbau und
Inhalt des fingierten Dialoges vgl. Greschat 2009:92f.
97
Am Rande noch eine Beobachtung, der nicht in extenso nachgegangen werden kann: Man gewinnt den
Eindruck, dass Bucer im Verlauf seiner Unionsbemühungen in puncto Abendmahlsstreit immer wieder versucht,
auf sein Verständnis von Luthers Position, die jener in seiner in gewisser Hinsicht einzigartigen, frühen Schrift,
dem „Abendmahlssermon“ von 1519 (WA 2, 742-758) vertritt, zu rekurrieren. Köhler (1924:367) urteilt daher:
„Es war ein Versuch, ob es nicht vielleicht in Erinnerung an vergangene glückliche Zeiten, so wie Bucer sie
verstand, die Wittenberger für den geistigen Genuß Christi im Abendmahl zu gewinnen gelingen möchte.“ Der
Schwerpunkt lag in der besagten Luther-Schrift noch auf der communio sanctorum und nicht einer wie auch
immer gearteten metaphysischen Verhältnisbestimmung der Elemente (vgl. Seeberg 1953:399, der sogar urteilen
kann, dass „Luther kaum irgendwo dem genuinen Sinn des Abendmahls so nahe gekommen ist wie in dieser
37
Ein besonderes Augenmerk soll an dieser Stelle auf die Zeit nach dem Marburger
Religionsgespräch gerichtet werden, um der Rede vom bloßen „Streit um Worte“ 98 auf den
Grund zu gehen und ihrem Ort in BUCERS „ökumenischem“ Ansatz nachzuspüren. Die Zeit
danach war für BUCER zunächst eine Zeit der großen Ernüchterung und doch, betrachtet man
seine Korrespondenz in den Monaten nach Marburg, so kann „ein neues, jetzt umso
intensiveres Nachdenken über die Möglichkeit eines gemeinschaftlichen Miteinanders
festgestellt werden“ (Liebenberg 2003:33). Dieser nicht unbedingt zu erwartende
Reflexionsprozess spiegelt sich vor allem in zwei Schriften wider, einem Brief vom 26.
Januar 1530 an Ambrosius Blaurer (BCor IV, Nr. 273, 9-16) 99, der als eine Art
„Zwischenbericht in der Abendmahlskontroverse“ (Friedrich 2003:54) - nach Liebenberg
(2003:33) sogar als „zeitliche und theologische Mitte“ des Ganzen - aufgefasst werden kann,
und daneben in der Vorrede zur zweiten Auflage des Evangelienkommentars bzw. dem
Widmungsschreiben an die Marburger Akademie (BCor IV, Nr. 279, 37-67) - beide im
März/April 1530100.
Einige zentrale Aspekte dogmatischer Natur treten in jenem Zeitraum hervor in der
Fragestellung, wie eine Einheit angesichts der gerade geschehenen Ereignisse in Marburg
dennoch möglich sein kann:101
Zunächst zeigt sich eine anthropologische Einsicht: die Begrenztheit menschlicher
Erkenntnis und in deren Gefolge das Auftreten von Irrtümern oder einfach unterschiedlichen
Positionen in einer Sachfrage. Nach BUCER wird man nicht einmal ein einziges Paar
Menschen finden, das in allem einer Meinung wäre, insbesondere in heiligen Dingen. 102 Die
schon vor „Marburg“103 getroffene Feststellung, dass gerade bei dogmatischen Gefechten
Schrift“; Althaus 1962:277f.320; Kittelson 1973:169-172.179f; Friedrich 1993:259f; aber auch Seeberg
1950:154f!). Ob und inwieweit sich Bucer hierin als treuer - sicher nicht naiver (mit Friedrich 2003:51f) Schüler Luthers erwiesen hat, wurde ihm spätestens mit dem Marburger Religionsgespräch zur Gewissheit.
98
So z. B. ausführlich in einem Brief im Anschluss an den Augsburger Reichstag an den dort anwesenden
sächsischen Kanzler Gregor Brück vom 23./24. Juli 1530 (BCor IV, Nr. 320, 165-176; vgl. auch Nr. 326, 201207; Nr. 328, 212-219; WABr V, 569, 60-66; ZW 11, 87, 12-14 u.v.m.); vgl. Neuser 1998a:143f; Friedrich
2002:69-87; Friedrich 2003:58.60f.
99
Eine kurze Paraphrase und Analyse des Briefes bietet Friedrich 2002:64f; 2003:54-56.
100
Zu den beiden überlieferten Fassungen und deren Redaktionsgeschichte, insbesondere der These, dass es
sich bei dem „Widmungsschreiben“ um die ältere und ursprünglichere Version handelt, vgl. Liebenberg
2003:33f, Anm. 17 & 18 u. Hamm 2003:88, Anm. 11. Den nachfolgenden Ausführungen liegt Letzteres
zugrunde (vgl. auch BCor IV, Nr. 279, 37, Anm. 1), eine Übersetzung in Auszügen bietet de Kroon 1991:200209.
101
Die nachfolgenden Einsichten folgen in ihrem Duktus Liebenberg 2003:34-46.
102
„Nam ne unum equidem unquam par hominum uidi, quod per omnia eadem sentiret, etiam in sacris“ (BCor
IV, Nr. 279, 40, 9-11).
103
Z. B. in der Berner Disputation von 1528 - Greschat (2009:90f) paraphrasiert: „Wenn alle (…) Theologen
wie auch Laien, die Bibel selbst lesen und sich ein eigenes Urteil bilden müssen, werden unterschiedliche
Deutungen die Folge sein. Begrenzte Einsicht und selbst offenkundige Irrtümer sind jedoch zu ertragen und
sprengen die Einheit der Kirche nicht, solange sie ‚nur das kindliche Vertrauen auf Gott nicht umstoßen‘.
‚Unseren lieben Brüdern genügt es, wenn man in der Summa des Glaubens mit uns einig ist, nämlich, daß wir
alle nichts sind und uns Gott durch Christus allein fromm und selig machen will‘.“ (BDS 4, 82, 20-23; 83, 7-9).
38
divergierende Ansichten nicht ausbleiben können, leuchtet im ersten Teil seiner Vorrede zum
Evangelienkommentar erneut auf.104 Dem Geist Christi wohne bei allen Menschen immer
auch der Geist des Fleisches bei, ja noch mehr, es seien oft gerade die Allerfrommsten, die
Phantasiegebilde für ein Orakel Christi hielten und Gefallen daran fänden. 105 Selbst
außerordentlich begabte Männer – so in einem Brief an ZWINGLI, der hier gemeint ist –
begehen Fehler in der Schriftauslegung.106 BUCER kann ausführlich den Konflikt des Apostels
Paulus mit den Galatern ins Feld führen und darauf verweisen, dass trotz der ernsten Lage die
Gemeinde eben nicht verworfen wird, wenn auch das Anathema im Raum steht (vgl. BCor IV,
Nr. 279, 40, 15 – 41, 35). Umso mehr verwundert es ihn, die Wittenberger Partei dabei zu
beobachten, dass jene gleich eine Zerstörung des Glaubens und eine Gotteslästerung
wahrnimmt („et fidem subuerti Deumque blasphemari“ / 41,9-10), wenn auch nur irgendein
Wort nicht in ihrem Sinne aufgefasst wird („quodcunque eius uerbum non suo sensu
accipiatur“ / 41,10-11). Ist man sich wie der Apostel Paulus der menschlichen Schwachheit „imbecillitatis“107 - und der Größe der Unwissenheit bewusst, die nun mal alle Sterblichen
umklammert, sollte man nicht gleich diejenigen als Feinde einer Wahrheit ansehen, die von
jenen noch nicht erkannt werden kann. Sogar dann nicht, wenn sie diese Wahrheit nicht nur
verwerfen, sondern auch mit unkundigem Zorn bekämpfen. 108 Selbst Menschen, die aufgrund
dummer und überflüssiger Streitfragen im Begriff sind, die Einheit der Kirche zu zerstören,
sollen von einem Diener des Herrn nicht vorschnell aufgegeben, sondern mit Sanftmut und
mit Freundlichkeit behandelt und in der Wahrheit unterrichtet werden. 109 Nachdem bisher vor
allem apostolische Weisungen im Vordergrund standen, kann BUCER im zweiten Teil der
104
Im Hintergrund stehen die Ereignisse um die sog. „Schwabacher Artikel“ - von Melanchthon verfasst - auf
dem Tag von Schmalkalden (29. November – 3. Dezember 1529); vgl. hierzu Liebenberg 2003:35f, Anm. 23, der
auf von Schubert 1910:117-137 zurückgreift.
105
„(...) is probe semper cogitet tum sibi tum aliis omnibus praeter spiritum Christi et carnis spiritum adesse
atque ab hoc saepe illum sic effingi, ut quique sanctissimi huius non raro figmenta pro oraculis Christi
amplectantur“ (BCor IV, Nr. 279, 40, 13-15).
106
„Ego quottidie experior optimos et ingeniosos viros in apertissimis scripturae locis mirum in modum
hallucinari“ (ZW 11, 443, 2 - 443, 4).
107
„Schwäche, Gebrechlichkeit, Ohnmacht“ (Georges 1959:60): ein Begriff, den Bucer des Öfteren
verwendet, s. nur den bisher wenig beachteten Brief im Vorfeld des Marburger Religionsgespräches S. 35f oben
(vgl. auch das Sachregister in BCor V, 437; VII, 549).
108
„Sed Paulus humanae conscius imbecillitatis [vgl. 1 Kor 9,22], quantum ignorantiae teneat mortales omnes
[vgl. Eph 4,18], (…) haudquaquam illos ueritatis, quam nondum agnoscere poterant, hostes haberi uoluit,
utcunque illam inscientes non reijcerent modo, sed etiam (…) imprudenti zelo impugnarent“ (BCor IV, Nr. 279,
41, 19-25).
109
„Diius Paulus ne haereticos quidem, hoc est factiosos unitatemque ecclesiae ob stultas et superuacaneas
quaestiones scindentes, despondere ilico permittit, sed requirit a seruo Domini eam placiditatem et
mansuetudinem, tum docendi promptitudinem, ut malos qouque tollerare sciat et erudire ueritati obsistentes, si
quam det illis Deus poenitentiam ad agnoscendum ueritatem [II Tim 2, 24f]“ (BCor IV, Nr. 279, 49, 5-10). Noch
kurz zuvor (49, 4) kann Bucer den Satan erwähnen, dem die schwächeren Brüder nicht einfach überlassen
werden sollen. Der verschiedenartige Schwerpunkt in den Theologien Bucers und Luthers tritt an dieser Stelle
besonders signifikant hervor: Ist der Satan für Luther doch der Widersacher des „eynerley, einfeltig, gewis und
sicher“ machenden Wortes (WA 26, 265, 29-32), so versteht Bucer hier den Teufel als „concordiae uetus
disturbator“ (BCor IV, Nr. 279, 39, 25f).
39
Vorrede noch auf den Kirchenvater Johannes Chrysostomos verweisen, der vor der „Pest der
Kirche“ warnt, nämlich dem vorschnellen Ausschluss irrender Brüder.110
Der vorgetragene Sachverhalt führt den Straßburger Reformator zu einer weiteren Einsicht,
präziser einer erkenntnistheoretischen Notwendigkeit, der „normativen Zentrierung“ (B.
Hamm)111 auf das Wesentliche. Zu kurz gefasst wäre nun die Vorstellung, dass BUCER als
„Mann des Ausgleichs“ in beinahe modern anmutendem Jargon hier vertrautes
Toleranzdenken einläuten würde (vgl. 2.2.3). Und doch gibt es für ihn offensichtlich die
Notwendigkeit zwischen Wahrheiten von untergeordneter Bedeutung und Wahrheiten, die
allen, die der Kirche Jesu Christi angehören wollen, gelten, zu unterscheiden. Erstere sind für
ihn das unvermeidliche Resultat von dogmatischen Auseinandersetzungen, dem „Streit um
Worte“, die kollektiven Wahrheiten jedoch sind mehr als das, sie markieren die Grenze der
Kirche Christi: Als würdiges Glied der heiligen Gemeinschaft ist derjenige zu betrachten, der
bekennt, dass der Herr Jesus Christus im Fleisch gekommen sei, als wahrer Gott und wahrer
Mensch, und dass er einzig unser Heil bewirkt habe. 112 In seinem Brief an Ambrosius Blaurer
vom 26. Januar 1530, also kurze Zeit zuvor, drückt BUCER es folgendermaßen aus:
Hinsichtlich dogmatischer Fragen kann er sich damit zufrieden geben, wenn man sich
gemeinschaftlich - „in com[m]uni“ - dazu bekennt, dass unser Leben Gott gehört und dass es
durch den Erlöser Jesus Christus erworben wurde; dies bedenken alle, die Christus gehören
täglich, bewegt durch seinen Geist. 113 Wem es gegeben ist, dies anzuerkennen, zu empfinden
und von ganzem Herzen zu suchen, der gehört zu Christus und ist mit dem ewigen Leben
beschenkt, unabhängig davon - dies ist der springende Punkt -, was für Irrtümer und Laster
ihm außerdem noch anhaften.114 BUCER wähnt sich mit dieser Konzeption im Einklang mit der
neutestamentlichen Urgemeinde, wie er im sog. „Ratschlag A“ (für das spätere oberdeutsche
Vierstädtebekenntnis, die „Confessio Tetrapolitana“ / BDS 3, 118-134) Anfang Mai 1530
110
„D[ivus] uero Chrysostomus quam ab eadem hac ecclesiarum peste, praepropera errantium fratrum
reiectione, abhorruerit, nusquam sane non manifesto prae se tulit, in sermone tamen de anathemate id multis sane
et grauissimis uerbis expressit:“ (BCor IV, Nr. 279, 55, 14-17).
111
Vgl. zu diesem Begriff, der eine heuristisch-interpretative Deutungskategorie zur reformatorischen Epoche
bietet, die Literaturhinweise bei Liebenberg 2003:34, Anm. 20 u. :38, Anm. 36 (Definitionsvorschlag). Bucer
beschritt damit - ebenso wie die anderen Reformatoren - einen Weg, der nicht nur auf die Religion im 15. und
16. Jahrhundert begrenzt war. Das „Syndrom normativer Zentrierung“ (Hamm 1992:242) lässt sich auch in der
Politik, im Recht, in der Kultur und in der Kunst dieses Zeitraums nachweisen.
112
„(...) nullos prorsus nostro consortio et sacra communione indigno habebimus, qui Dominum Jesum
Christum uenisse in carne, uerum Deum uerumque hominem et unum salutem nostram perfecisse confiteri ex
animo uideri poterunt (…)“ (BCor IV, Nr. 279, 48, 34-37).
113
„Inde agnoscendum semel erat, quantum ad dogmata attinet, contentos nos esse oportere, cum datum fuerit
conuenire in primis confiterique nos in comuni, vitam die apertam comparatamque esse nobis per seruatorem
nostrum Jesum Christum, vt quicumque Christi sunt, eius acti spiritu illam meditentur cottidie (…)“ (BCor IV,
Nr. 273, 13, 11-16).
114
„Profecto enim Christi est et aeterna vita donatus, cuicumque tantum agnoscere, sentire et ex animo
quaerere datum fuerit, quicquid praetera errorum et vitiorum ei adhaereat“ (BCor IV, Nr. 273, 13, 20-22). Im
Ansatz klingt hier die dreigliedrige orthodoxe Lehre vom Glauben (notitia, assensus u. fiducia) an (vgl.
Pöhlmann 2002:89f).
40
ausführt: Wegen konsequenter Orientierung an den Hauptstücken der christlichen Lehre und
den Geboten der Gottes- und Nächstenliebe sei es nicht zu Spaltungen gekommen (vgl. BDS
3, 323, 5 – 327, 12). Auch in der alten Kirche haben unterschiedliche Gebräuche
(Bilderfragen, Messkleider usw.) die Glaubensgemeinschaft nie in Frage gestellt (330, 933).115
BUCERS Versuch reformatorische „Sola-Theologie“ (Hamm 1992:260), die sich in ihrer
Fixierung
auf
zentrale
dogmatische Topoi deutlich
abhebt
von der
„plurale[n]
Zusammengesetztheit des spätmittelalterlichen Normverständnisses“ (:261) mit seinem
spezifischen Wahrheitsbegriff, der in gewisser Hinsicht der spätmittelalterlichen Tradition ihrer Pluralität und ihrem Gradualismus116 - wiederum nahe steht, zu verbinden, ist
bemerkenswert. „Denn so konnte er die im Abendmahlsstreit anzutreffende Tendenz, für alle
dogmatischen Topoi denselben normativen Wahrheitsanspruch zu erheben, unterlaufen“
(Liebenberg 2003:39). Das differenzierte Wahrheitsverständnis ermöglichte ihm, auch
diejenigen als Brüder anzuerkennen, die im Rahmen der sich erst entfaltenden - in statu
nascendi - reformatorischen Lehrbildung in Detailfragen anders dachten.
Ein Vergleich mit LUTHERS Auffassung drängt sich auf: Wie auch immer geartete
Abstufungen oder gar Mehrdeutigkeiten in Wahrheitsfragen konnten für ihn nur auf Kosten
der Gewissheit des neu entdeckten Evangeliums gehen. In seiner - aus seiner Sicht - letzten
Schrift zum Disput (WA 26, 265, 29f; vgl. auch WABr IV, 123, Nr. 1043) hält er pointiert fest:
„Aber den text ym abendmal woellen wir eynerley, einfeltig, gewis und sicher haben ynn allen
worten, syllaben und buchstaben.“117 Eine graduelle Abstufung von Wahrheit anzunehmen, die
noch vorhandene Irrtümer und Unkenntnis im Namen der Liebe duldet, ist LUTHER fremd, da
sie ihrem Wesen nach nicht in Einklang mit einer „eynerley, einfeltig, gewis“- Hermeneutik
zu bringen ist. Nicht weniger als die Reinheit der Lehre ist gefährdet und dem Teufel, der
Vater aller Uneinigkeit, nur ein Gefallen getan.118 Nach Hamm (1992:258f) folgte die
115
Vgl. hierzu auch die Beispiele bei Neuser 1998a:154f aus der Korrespondenz der Jahre 1530/31 u. generell
Carr 1981:37-74; Friedrich 2002:66; Thompson 2005, insbesondere :279-281.
116
Vgl. hierzu Müller 1924:681-720; Hamm 1995:69-71; Hamm 1998:28-30.
117
Zu kurz greift m. E. der Hinweis Liebenbergs (2003:40, Anm. 44) auf Luthers persönliches „exklusivinspirierte[s] Wahrheitsbewusstsein“ als maßgebliche Quelle für diese Gewichtung in seiner Theologie (auch das
Zitat von L. Febvre’s Psychogramm Martin Luthers - „ohne sonderlich kritischen Geist“ - kann dies nicht
untermauern). Neben der sicher vorhandenen grundverschiedenen Charaktere des Straßburgers und
Wittenbergers handelt es sich jedoch auch bei der unterschiedlichen Akzentuierung in der Wahrheitsfrage um
eine reflektierte theologische Grundentscheidung. Luther schreibt expressis verbis an Bucer (22. Januar 1531):
„(...) Und ich möchte, daß Du mir glaubst – wie ich Dir auch zu Koburg gesagt habe: es ist mein Wunsch, daß
diese unsere Uneinigkeit beigelegt wird, wenn ich auch mein Leben dreimal daransetzen müßte. Denn ich habe
gesehen, wie notwendig uns die Gemeinschaft mit Euch ist, wie großen Schaden (die Trennung) dem
Evangelium gebracht hat und noch bringt (…). Aber was soll ich für eine Sache tun, die unmöglich geschehen
kann? Schreibe es daher gerechterweise nicht meiner Hartnäckigkeit zu, sondern meiner wirklichen
Gewissenhaftigkeit und der Gebundenheit durch meinen Glauben, daß ich die Eintracht ablehne.“
(Hervorhebung von mir; WABr VI, 25, 38-41.44-46 (Nr. 1776); Übers. nach LD 1991:224).
118
Die unterschiedliche Interpretation der Abendmahlsüberlieferung durch Karlstadt, Zwingli und Ökolampad
führt Luther kurzum zu der Feststellung: „So schliesse ich frey, das der teuffel, aller uneinigkeit vater, sey yhr
41
Mehrheit der Reformatoren dem unduldsamen Wittenberger in der Wahrheitsfrage und
verankerte die „Wahrheit allein in der Reinheit des Wortes und der Lehre (und nicht des
Lebens)“119. Dass die luth. Fraktion der Speyerer Protestanten nach dem Marburger
Religionsgespräch daranging, die reformatorische Bewegung zu einer „Kirche der
rechtgläubigen Lehre“ (von Schubert 1910:130) umzuwandeln, erscheint daher nur
konsequent. Unter Bezugnahme auf die im Sommer 1529 von Melanchthon verfassten
„Schwabacher Artikel“ nahm man die Spaltung der protestantischen Reichsstände bewusst in
Kauf.120 Neue Koalitionen bildeten sich, die zum Beitritt der elsässischen Metropole in das
„Christliche Burgrecht“ der Schweizer Städte führte: ein Affront für die Lutheraner und eine
Entwicklung, die BUCER mit Erleichterung aufnahm, wie er Zwingli am 12. Januar 1530
mitteilte (BCor IV, Nr. 270, 3, 2ff).121 Der Traum von der Einheit der reformatorischen
Bewegung schien allerdings immer mehr zur Illusion zu werden. Liebenberg (2003:41) fragt
zu Recht: „Woher nahm er [sc. Bucer] die Zuversicht, dass eine Einheit der nun auch politisch
getrennte Wege gehenden Protestanten immer noch realisiert werden kann?“
Als ausgesprochen theozentrisch denkender Theologe konnte BUCER das bisherige
Scheitern der Unionsbemühungen als Willen Gottes auffassen, sein Vorsehungsglaube muss
hier geltend gemacht werden. „Gott habe es so gewollt“, kann BUCER zwei Wochen nach dem
Marburger Gipfeltreffen an Ambrosius Blaurer schreiben. Gott wollte, dass der fromme
hessische Landgraf nichts unversucht ließ, um einen Zustand der Einigkeit herzustellen, der
dann allerdings so aussah, dass die Gegenseite ihn einträchtig zurückwies. 122 Man kann so
weit gehen und postulieren: BUCERS Verständnis der gubernatio Dei erlaubt ihm hinter dem
Scheitern von „Marburg“ und den politischen Weichenstellungen im Anschluss ein
absichtsvolles Handeln des allmächtigen Lenkers der Geschichte wahrzunehmen. Leitmotiv
ist dabei für den Theozentriker die Macht und Ehre Gottes, die in keinster Weise beschnitten
werden darf.123 Hieraus folgen für BUCER weitere dogmatische Überlegungen in Bezug auf
lerer“ (WA 26, 265, 31f; vgl. auch 266, 24f).
119
Ergänzt werden muss, dass der sachliche Kern der Debatte in der Wahrheitsfrage und deren
erkenntnistheoretischen Voraussetzungen liegt und nicht in einem wie auch immer zu bewertenden Verhältnis
von Lehre und Leben.
120
Zur Rolle Melanchthons, der neben seinen theologischen Expertisen zu einer überdeutlichen politischen
Einschätzung der Zwinglianer als Aufrührer und letztlich politischen Gegner fand, vgl. Liebenberg 2003:41,
Anm. 50.
121
Vgl. hierzu Neuser 1999:23-57.
122
„Pius ille Princeps nihil omisit, quo in concordiam redigeret nos, quorum erat alios co[n]cordes reddere.
Sed visum Domino est, (…)“ (BCor III, Nr. 257, 332, 3f).
123
In seinem Anfang November 1529 verfassten Gutachten über die 17 „Schwabacher Artikel“ schärft er den
Lesern ein, bei „got allain“ soll „glawb, gaist vnnd was gutt ist gesucht werden“ (BDS 3, 458, 7f). Hat er den
Eindruck, dass die „macht gottes“ (BDS 3, 458, 22) in der Relation Gott-Mensch eingeschränkt und
menschliches Handeln überqualifiziert wird, legt er sein Veto ein: Im Verweis des 7. Artikels z. B., dass es neben
dem „predigt ambt oder muntlich wort“ (457, 12) keine „annder mittl noch weyß, weder wege noch stege“ gebe,
„den glauben zubekumen“ (457, 16-17), sieht er eine Begrenzung der „macht gottes“, die das Amt und Wort
letztlich ähnlich sakralisiert wie die Altgläubigen die „hailligen“ und „gemelt“ (458, 22f). Schon Loofs
(1906:878) urteilt im Zusammenhang mit Calvins theologischer Eigenart: „Auch bei Martin Butzer (..) spielt der
42
sein Programm der Einheit der reformatorischen Bewegung: Keine Kreatur - so im ersten Teil
der Vorrede zum Evangelienkommentar - hat es in der Hand, dass andere die Wahrheit
annehmen. Beides, das Zurückhalten - „differente suam doctrinam Deo“ - sowie die
Verbreitung seiner Wahrheit ist alleine Gott reserviert. 124 Der Geist Gottes entfernt den
Schleier bei denen, deren Sinn gerade verdunkelt ist.125 Gott tritt bei BUCER deutlich als
Subjekt der Erkenntnis der Wahrheit hervor, woraus er im Umkehrschluss in seinem Brief
vom 26. Januar 1530 folgern kann, „non nostrum esse veritatem nobis mutuo persuadere“
(BCor IV, Nr. 273, 12, 25). Versucht man diesen Sachverhalt zu interpretieren, kann man den
Standpunkt des Straßburger Reformators mit Liebenberg (2003:43) folgendermaßen
wiedergeben:
„Es kann nicht Aufgabe der in ihrer Erkenntnisfähigkeit beschränkten Menschen sein, sich
gegenseitig in die Wahrheit zu überführen. (…) Gott ist es vorbehalten, seiner Wahrheit
Geltung zu verschaffen, wo und wann er will. Alle Menschen sind, wenn es um die Frage
der Wahrheit geht, daher nur passive Empfänger.“
Diese Einsichten schließen für BUCER nicht aus, dass man sich über die für wahr befundenen
Lehrstücke austauschen und gegenseitig belehren soll (vgl. BCor IV, Nr. 279, 40, 34f).
Vergessen werden darf dabei jedoch nicht, dass wir vielleicht selbst dort irren, wo wir
annehmen, dass es die anderen tun (42, 2f). Da wohl niemand von sich behaupten kann, gegen
Irrtümer immun zu sein - „ab errore immunis est“ - (42, 5f), bleibt die aktive Rolle der
Christen darauf beschränkt, um Erlösung vom Irrtum durch den Geist Christi zu bitten (44, 11
– 13). Auch hier gilt: Die eigenen Irrtümer sind in die Bitte selbstredend mit einzuschließen.
BUCERS Ablehnung gegenüber dogmatischen Übereiferern, die vorschnell das Ganze der
Wahrheit gefährdet sehen und unmittelbar den status confessionis ausrufen, hat hier ihren
theologischen Ort. Zugespitzt formuliert nehmen jene in ihrem Eifer um ein Dogma den Platz
ein, der nach BUCER nicht ihnen, sondern alleine Gott gebührt. Greifbar wird diese Form
menschlicher Anmaßung dann, „wenn die um die Reinheit der Lehre besorgten Dogmatiker,
wie er im Brief an Blaurer weiter ausführt, die ‚dilectionis officia‘, die Pflichten der Liebe
gegenüber denjenigen elendiglich vernachlässigen, die anderer Meinung sind oder nicht
vollständig mit ihnen übereinstimmen“ (Liebenberg 2003:43).126 Gerade an dieser
Begriff der Ehre Gottes eine größere Rolle als bei den anderen älteren Reformatoren.“
124
„Vt igitur in nullius creaturae manu erat, hanc illis ueritatem, differente suam doctrinam Deo, persuadere,
ita nihil potuit circa eos fieri salubris, quam quod praecepit Paulus, nempe quod nihilominus fratres
agnoscerentur et contentiosis disputationibus minime exagitarentur. Nihil siquidem aliud, si eos, qui saniores
erant, disputationibus ursissent, nondum docente Deo, a quo doceri uniuersos oportet [vgl. Jes 54,13], quam
noxiam contentionem peperisset“ (BCor IV, Nr. 279, 41, 29-35).
125
„(...) quam Spiritus Dei, quod ipsorum modo mentes obtegit uelamen, submouerit (...)“ (BCor IV, Nr. 279,
42, 13f).
126
„Expertus quoque sum in multis certe minimere abijciendis fratibus, dum nonnihil detritj sunt in aliquo
dogmate, sic illud adamavere, sic putavere veritatis perspicuae, vt non quaent non persaepe dilectionis officia
misere praeterire erga eos qui illis dissentiunt, aut non plane assentiunt“ (BCor VI, Nr. 273, 12, 18-21).
43
„Krankheit“ leiden beide Seiten; keiner steht es zu, die eigene Überzeugung uneingeschränkt
als absolute Wahrheitsnorm der Gegenseite zu unterbreiten (vgl. BCor IV, Nr. 273, 12, 21f).
Die Folgen der gegenseitigen Verwerfung sind überdeutlich: verletzende Polemik,
Glaubensschwund und Parteienspaltung (12, 31 – 13, 2). Weiter zugespitzt: Nicht weniger als
die Macht und Ehre Gottes - als zentrales theologisches Anliegen BUCERS - werden verletzt,
wenn durch falschen Umgang mit dogmatischen Überzeugungen die Pflichten der Liebe
missachtet werden.
Diese Sichtweise ist noch durch eine weitere und vorerst letzte Einsicht BUCERS in dem
vorliegenden
Zeitraum
zu
ergänzen,
seiner
Vorstellung
von
einer
göttlichen
Offenbarungspädagogik und ihrem ethischen Ertrag127. Neben dem skizzierten Aspekt der
theozentrischen Fundierung seines Ansatzes, der auf die Macht und Ehre Gottes drängt,
leuchtet in seinem Brief an den Konstanzer Freund A. Blaurer noch eine weitere Komponente
auf: die Überzeugung, dass kein Bereich der Wirklichkeit von Gottes providentiellem Wirken
in der Geschichte getrennt werden kann. Verbissene Versuche, andere von der Wahrheit zu
überzeugen, sind nicht nur aufgrund von Gottes unbedingter Macht (und menschlicher
Ohnmacht), sondern auch wegen seines pädagogischen Vorgehens unangebracht. Der
himmlische Vater habe es doch bisher immer so gehalten, das Seine nicht allen in gleicher
Weise zu enthüllen.128 BUCER entdeckt hier eine göttliche Absicht, die auf ein Lernfeld in der
Nachfolge Christi zielt: Je mehr jemand mit der himmlischen Weisheit beschenkt worden ist,
desto mehr ist derjenige herausgefordert, dem Beispiel Christi folgend, sich den
Unverständigen und Unerfahrenen anzupassen.129 Die Schlussfolgerung ist erlaubt
(Liebenberg 2003:45):
„Dogmatische Differenzen sind für Bucer (…) das Resultat einer göttlichen
Offenbarungspädagogik, die dem Ziel dient, dass sich diejenigen, denen Gott mehr von
seiner Wahrheit offenbart hat, in Demut denen gleichmachen, die an diesem
Offenbarungsgeschehen noch nicht teilhaben. Der dem göttlichen Wirken zu verdankende
Zuwachs an Wahrheit beinhaltet nach Bucer bei den Adressaten der göttlicher [sic!]
Zuwendung also zugleich eine ethische Haltung, die auf dogmatische Besserwisserei oder
gar Zwang verzichtet und die tatsächliche Pluralität dogmatischer Positionen in der Kirche
als Ausdruck des göttlichen Wirkens in der Geschichte akzeptiert.“130
Neben der Schrift- und Väterauslegung bildet seine offenbarungspädagogische Fassung der
127
Zur ethischen Dimension von Bucers Theologie vgl. Müller 1965:132-142.256-259; Greschat 1978:86-92;
Greschat 2009:70-73; de Kroon 1991:125-169; Gäumann 2001:173-256.
128
„(...) non nostrum esse veritatem nobis mutuo persuadere, et solium semper fuisse Patrem coelestem non
pariter omnibus sua reuelare (…)“ (BCor IV, Nr. 273, 12, 25f).
129
„(...) quo Christi exemplo quisquam insipientibus et rudibus sese accomodet (…), tantoque id studiosius,
quanto vera et coelesti sapientia fuerit donatus ampliore“ (BCor IV, Nr. 273, 12, 26-29).
130
Ähnlich votiert auch schon Bender (1975:155.159.179ff) für einen früheren Zeitraum (1523-1528).
Hinzugefügt werden muss, dass dieser offenbarungstheologische Ansatz naturgemäß auch seine Grenzen hat, die
von Bucer z. B. im Dialog mit den Altgläubigen in der Zeit vor dem Augsburger Reichstag immer wieder zur
Sprache gebracht wurden (vgl. 2.2.2).
44
gubernatio mundi eine wichtige Legitimationsbasis in seiner Argumentation nach dem
Marburger Religionsgespräch.131 Die Betonung liegt dabei auf der Erfüllung der „officia
dilectionis“, mit anderen Worten auf dem Vorrang der Erfüllung der Pflichten der Liebe vor
dem Geltendmachen von dogmatischen Wahrheitsansprüchen.
Neuser (1998a:144f; vgl. auch :151) ergänzt noch eine interessante Beobachtung, die den
vorliegenden Zeitraum betrifft und BUCERS rhetorisches Vermögen im Rahmen seiner Irenik
unter Beweis stellt:
Seine „Methode des Argumentierens bleibt sich stets gleich. Er führt zuerst Vorwürfe an,
die Zwingli einerseits und Luther andererseits erheben, die den Gegner aber nicht oder
nicht mehr treffen. Extremaussagen werden so zuerst ausgeschieden und
Fehlinterpretationen richtig gestellt; das Feld der kontroversen Aussagen wird auf diese
Weise eingeengt und die Parteien werden einander angenähert. In einem zweiten Schritt
sucht er dann, die verbleibende Kluft zwischen beiden Standpunkten auszufüllen.“132
Nicht nur inhaltlich beachtenswert, sicher mit seiner ihm eigentümlichen Dialektik 133, sondern
auch methodisch wegweisend hinsichtlich seiner Kommunikationsformen134 arbeitete der
Straßburger Reformator an dem Programm der Einheit der reformatorischen Bewegung. Diese
Bemühungen sollten einen vorläufigen Abschluss finden mit dem Resultat der Wittenberger
Konkordie von 1536.
2.2.1.3 Wittenberger Konkordie (1532-1536)
Im Anschluss an die Unionsbemühungen im Rahmen der Vorstellung der „Confessio
Tetrapolitana“ verliert BUCER mit ZWINGLI einen seiner langjährigen und bedeutendsten
131
Ohne Frage argumentiert Bucer an erster Stelle mit der Schrift, um dem in der Vorrede zum
Evangelienkommentar angeführten Gegenargument zu seiner Konzeption, der Glaube dürfe eben nicht durch die
Liebe beleidigt werden, zu begegnen (vgl. BCor IV, Nr. 279, 54, 7ff). Des Weiteren verweist er unermüdlich auf
das Beispiel Christi im Umgang mit den Schwachen, das es anzusehen und dem zu folgen gelte (vgl. 54, 10-17;
Nr. 273, 12, 26f u. passim).
132
Neuser (1998a:160) führt weiter - thetisch - aus: a) „Bucer zitiert die Gesprächsteilnehmer immer richtig
und genau; die Angaben sind leicht zu verifizieren. Der Editor kann sich auf seine Angaben verlassen.“ b)
„Bucer ist ein klarer Denker und scharfer Beobachter. Er registriert genau, wo die Vertreter beider Parteien ihre
Position verändern und neue Formulierungen gebrauchen. Diese Formeln versucht er so zu interpretieren, daß
sich eine Annäherung der unterschiedlichen Positionen ergibt. Die Verfasser der Formeln protestieren nie gegn
(sic!) Bucers Deutung. Ihr Argument ist immer nur, daß die Annäherung nicht genügt (Luther), oder sie nicht
tragfähig ist (Zwingli)“ (Hervorhebung von mir). c) „Seine Methode des Ausschließens der beiderseitigen
Extrempositionen (…) ist sachlich gerechtfertigt. Damit baut er sozusagen die Brückenköpfe auf beiden Seiten
des trennenden Stromes. Der beide Seiten verbindende Mittelteil der Brücke (…) ist umstritten und scheiterte.“
133
„Einem wendigeren Debattierer – um nicht zu sagen, einem begabteren Sophisten – bin ich mein Lebtag
nicht begegnet“, schreibt Bucers Widersacher Anton Engelbrecht in seinem Rückblick auf die synodalen
Debatten im Juni 1533 in Straßburg (zit. nach de Kroon 1991:238). Diese Charakterisierung ist wohl weniger als
Kompliment aufzufassen.
134
Bucer hat einen Dialog über den Dialog verfasst (BDS 6/2, 56-60), um „Spielregeln“ für eine
fruchttragende Debatte aufzustellen (vgl. de Kroon 1991:237-240); zur frühneuzeitlichen Dialogkultur - meist
unter propagandistischen Gesichtspunkten -, die in der Renaissance zu neuem Leben erweckt wurde, vgl.
Könneker 1975:90-109.148-157 (s. zum „Gesprächbüchlin“ Ulrich v. Huttens, an dem Bucer mitwirkte :90-100;
vgl. auch Walz 1988:85-93, bes. 89f); Cramer 2000:167-173; Dröse 2004:219-222 („Reformationsdialog“).
45
Weggefährten.135 Nach dieser sehr schmerzvollen Erfahrung kam es erst gegen Ende des
Jahres 1531 wieder zu erneuten Anläufen in Richtung einer gemeinsamen Konkordie.
ZWINGLI fürchtete wohl zunehmend, den Wittenbergern durch die BUCER’SCHE Begrifflichkeit
letztendlich vollkommen nachgeben zu müssen. Die besagte Konkordie konnte daher nicht
auf schweizerische Unterstützung hoffen, auch wenn BUCER dies bis zuletzt erhoffte.136
MELANCHTHON hingegen, zu dem es durch die Begegnungen auf und seit dem Augsburger
Reichstag zu einer Annäherung gekommen war, zeigte sich nunmehr bereit, über eine
theologische Verständigung der Parteien intensiver nachzudenken. 137 Die literarische - äußerst
bewegte - Vorgeschichte im Detail nachzuzeichnen ist nicht Aufgabe dieser Studie
(Anerkennung der CA durch Bucer in Schweinfurt, Stuttgarter Konkordie von 1534 usw.), 138
eine Betrachtung der politischen Großwetterlage - „Schmalkaldischer Bund“ - ebenso
wenig139.
Beachtung verdient jedoch die Entwicklung BUCERS in diesen Jahren.140 Die
135
Im Februar 1531 traten die Unterschiede in der Abendmahlsauffassung beider Reformatoren nun endgültig
in den Vordergrund: Zwingli warf Bucer die Verschleierung der harten Fakten durch seine gebrauchten Formeln
vor und damit verbundenen die Gefahr, das einfache Volk nun vollends zu verwirren (ZW 11, 341, 21 – 342, 21);
ein altbekannter Vorwurf, der bis dato vornehmlich von luth. Seite kam. Besonders hart trifft Bucer die Tatsache,
dass Zwingli so weit geht und ihm jede Redlichkeit, letztlich sogar den Glauben abspricht (ZW 11, 344, 3-10;
vgl. Anrich 1914:56f; Köhler 1953:267f; Hazlett 1975:356f). Zukünftig will Bucer den Züricher nicht mehr
wegen der Konkordie bemühen, warnt ihn aber zugleich vor der Verteidigung eines Irrtums (ZW 11, 345, 15-18).
Friedrich (2002:84) weist darauf hin, dass im Frühjahr 1531 der Briefwechsel zwischen Bucer und Zwingli
rapide abnimmt; von der umstrittenen Thematik ist in den vorhandenen Briefen plötzlich keine Rede mehr.
136
Köhler (1953:302) skizziert treffend, wenn auch unter den Bedingungen seiner Bucer-Interpretation: „Es
gehörte ein schier unüberwindlicher Optimismus, ein heißes Verlangen nach Einheit unter allen Umständen, auch
ein starkes Vertrauen auf die diplomatische Kunst des Formelschmiedens dazu, nach allen diesen
Vorkommnissen noch auf die Schweizer zu rechnen. Bucer besaß den Mut dazu, trotz allem.“
137
Kantzenbach (1957:100) formuliert: „Im April 1531 legte Melanchthon einen großen Schritt zur
Realisierung evangelischer Kircheneinheit zurück. Er gab Bucer seine Hoffnung zu erkennen, daß eine wahre
und dauerhafte Union zwischen ihnen zustande kommen könne. Hier ist der Einsatzpunkt für die Geschichte der
Abendmahlskonkordienverhandlungen“. Ergänzt werden muss, dass Bucer schon seit 1525 Wesentliches für eine
Konkordie geleistet hatte. Das Verhältnis zwischen Bucer und Melanchthon wurde zunehmend inniger (was der
junge Wittenberger Professor lange vor Luther zu verbergen vermochte), so dass Krafft (1878:43) im Rückblick
auf die Wittenberger Konkordie formulieren kann, „Butzer [habe] durch seine Kämpfe bereits eine große
Eroberung für seine vermittelnde Richtung an Melanchthon gemacht, der auf seine Seite getreten war.“
138
Vgl. hierzu in nuce Friedrich 1993:262f u. ausführlich Friedrich 2002:87-117.
139
Vgl. neuerdings Seebaß 2006:190ff.
140
An dieser Stelle soll nur auf die Entwicklung des Gedankens der „manducatio indignorum“ hingewiesen
werden (zur Diskussion, ob diese ihren Anfang mit dem Zephaniakommentar von 1528 nahm, vgl. Köhler
1924:516-518.751f; Krüger 1970:209-222; Hazlett 1975:187-197.263; Friedrich 2003:52f; eine erste
Differenzierung - „indigni“ sind noch mit unvollkommenen Glauben ausgestattet, aber von daher nicht
unwillkommen an dem Tisch des Herrn - bietet Bucer in seiner „Defensio adversus axioma catholicum“ von
1534, H 7b – H 8b). Bucer konnte im Rahmen der Wittenberger Konkordie schlussendlich zugestehen – nach
einem Vorschlag von Bugenhagen, dass die „indigni“ in Übereinstimmung mit dem Neuen Testament (1. Kor
11,29) tatsächlich Leib und Blut Christi genießen. Allerdings nicht die „impii“, worüber die Wittenberger
Fraktion kein weiteres Aufsehen mehr machen wollte (vgl. BDS 6/1, 154, 1ff), ließ die Formel doch ihre
Interpretation - indigni sind letztlich impii - zu (vgl. hierzu Sasse 1979:70f.73, der gut luth. etwas spitz Bucers
Distinktionen anzukreiden weiß). Daneben war der wichtigste Neuansatz Bucers christologische
Neuausrichtung: Christus „ipse“ ist im Abendmahl wahrhaft gegenwärtig durch den Heiligen Geist, „non tantum
Deus, sed ut homo“ (Zephaniakommentar, f o 5 vo). Inwieweit hier Bucer zwischen Person- und Menschsein
Christi gegenüber seinem Leib trennt, muss offen bleiben, da er nicht näher darauf eingeht. Entscheidend ist die
Neuakzentuierung der geistlichen Realpräsenz in Form einer Personalisierung und die weitreichende Tatsache,
dass Bucer hier erstmals und dabei deutlich Abstand nimmt von der Christologie Zwinglis (vgl. Friedrich
46
einschneidende Veränderung und Modifizierung seiner Abendmahlsposition, die ihm zum
Vorwurf gemacht wurden, passten doch allzu gut in das stereotype Bild vom geschmeidigen
Vermittler.141 Dem konnte jener nur entgegnen: „Quid inconstantiae sit, proficere in scientia
salutis?“ (Bedeutet ein Fortschreiten in der Erkenntnis des Heils vielleicht ein Mangel an
Standfestigkeit?), so in seiner Widmung der dritten Auflage des Evangelienkommentars von
1536 an Edward Fox, Bischof von Hereford (de Kroon 1991:240; Greschat 2009:292, Anm.
14). Eine Korrektur eigener Überzeugungen vorzunehmen, bedeute keine Schande als Christ,
auch wenn er dies - wie er in seinen „Retractationes“ (in dt. Übersetzung von ihm selbst s.
BDS 6/1, 300-388) eingesteht - erst mithilfe der nötigen Selbstkritik und unter
Schuldgefühlen erlernen musste.142 BUCER „beichtet“ (311, 16f)143 viel zu spät den Austausch
mit LUTHER gesucht zu haben; er habe zu wenig Zeit investiert, den Wittenberger und sein
Anliegen wirklich zu verstehen. Gleiches gelte auch für seine Haltung gegenüber ZWINGLI und
ÖKOLAMPAD (311, 1ff). Wäre er hier sorgfältiger vorgegangen und hätte auf die Weise die „so
unaussprechlichen Ärgernisse“ vermieden, hätte er allein deshalb schon dem Herren nicht
vergebens gelebt (311, 7ff), denn: Der Gerechte klagt sich selbst zuerst an, nicht andere (311,
17f).
Die Wittenberger Konkordie144 (BDS 6/1, 120-134; vgl. auch Bizer 1962:117ff; KTGQ,
2002:55f).
141
Selbst vertraute Weggefährten, wie die Geschwister Blaurer aus Konstanz u. a., konnten diesen Wechsel
nicht ohne weiteres nachvollziehen, eine ausgedehnte Korrespondenz voller Erklärungen und Rechtfertigungen
folgte dem nach; vgl. Friedrich 2002:107ff.
142
Augustinus dient ihm hier als Vorbild, der in seinen „Retractationis“ dasselbe getan habe (vgl. „In sacra
quatuor Evangelica Ennarrationis perpetuae“ von 1536, 7b – Widmung).
143
„Diß wille und solle ich frey beichten und bekennen“. Ein Bekenntnis der Straßburger (von Bucer
wiedergegeben; vgl. BDS 6/1, 135f) in Form eines Widerrufes findet sich im Zusammenhang mit den
Verhandlungen um den Abendmahlsartikel der Wittenberger Konkordie: „Bekennen darbey, das wir solche
gegenwürthigkeit wol nit alwegen so völlig ausgetruckt, auch ihre wort, mit denen sie die gegenwürthigkeit im
abendmal dargegeben, nicht recht verstanden hetten (…) Aber nun lengst hette er sampt seinen bru edern zu
Straßburg die selbigen reden besser vernomen vnd sich dann beflissen zum ho echsten nun in das achtest jar, auch
andere zu solchem verstand zu bringen.“ (BDS 6/1, 151, 3-13).
144
Zur Frage, ob und inwieweit es sich bei der Wittenberger Konkordie um ein Unionsdokument im strengen
Wortsinn handelt oder nur um eine „Scheinkonkordie“ (Köhler 1953:449), vgl. Sasse 1979:68f u. Köhler
1953:453f: „Zunächst ist sie formell überhaupt keine ‚Konkordie‘, d. h. eine Übereinkunft, zu der beide Teile
sich bekennen. Es handelt sich nicht, wie in Marburg um Artikel, in denen die Unterzeichner ‚sich verglichen‘
(…), vielmehr referiert die Urkunde wie der resumierende Präsident einer Sitzung mit ‚wir haben gehört‘ etc. nur
über die Meinung der Oberländer. Sie erscheinen also als die zur feststehenden Meinung der Lutheraner
Hinzutretenden. Daß sie damit Früheres widerrufen, ist nicht gesagt, auch nicht implicite, aber sie haben jetzt die
rechte Einsicht gewonnen, die die Lutheraner bereits hatten. Die ‚beständige Konkordie‘, die ‚mit guter
Hoffnung‘ am Schlusse der Urkunde erwartet wird, ist also Anschluß an, oder noch deutlicher: Unterwerfung
unter die Lutheraner“; Dagegen sieht Bizer (1962:127) sie als „echte“ Konkordienformel (ebenso Greschat
2009:160) heutigen Typs: „Das Konkordienwerk von 1536 beruhte nicht auf einem gegenseitigen
Mißverständnis. Dies anzunehmen hieße die vorausgegangene Arbeit allzu leicht nehmen und Luthers
Gewissenhaftigkeit in dieser Sache gewaltig unterschätzen. Es handelt sich vielmehr um eine Einigung bei klar
gesehenen Differenzen.“; Hauschild (1999:392) titelt die sog. Wittenberger Konkordie und bezeichnet sie dem
Inhalt nach als Kompromiss und „in der Form keine Konkordie, d.h. keine gemeinsame Lehraussage.“; Nach
Friedrich (2002:122f) handelt es sich - historisch präzise - um eine „vorläufige Konkordie“, da die endgültige
Annahme durch die Obrigkeiten und Prediger, vor allem des süddeutschen (und schweizerischen) Raumes noch
ausstand; Der Landgraf Philipp von Hessen sah sie zeitlebens als Konkordie an und wollte noch in seinem
Testament 1556 seine Nachfolger auf diese Formel hingewiesen haben (Stupperich 1962:65); zur unmittelbaren
47
Bd. 3, Nr. 49)145 als historisches Dokument und Zielpunkt der mühsamen, jahrelangen
Verhandlungen darf nicht zu gering eingeschätzt werden. Friedrich (1993:263) weist zu Recht
darauf hin:
„Welche Konsenspapiere hinsichtlich der Abendmahlsfrage man heute auch zur Hand
nimmt (die Leuenberger Konkordie, das Herrenmahls-Dokument oder das Limapapier
seien als Beispiele seit 1945 genannt), sie zeigen allesamt die formalen Grundstrukturen
und Prinzipien, wie sie schon in Wittenberg 1536 zutage traten: Wichtig ist das
kontinuierliche Gespräch zwischen den konfessionsverschiedenen Kirchen, die
Bereitschaft zur Einheit zu kommen und grundlegende Formulierungen auszuarbeiten,
welche die Möglichkeit für eine Einigung beinhalten.“146
Eine sachgemäße Interpretation der Wittenberger Konkordie muss unter Berücksichtigung der
„Conciliationes“ aus BUCERS Kommentar zum Römerbrief von 1536 geschehen (de Kroon
1991:236), die für das Anliegen der vorliegenden Studie von Bedeutung sind. 147
Bemerkenswert ist: Wie schon im Psalmenkommentar von 1529 im Vorfeld des Marburger
Religionsgespräches, so fehlt auch in diesem Werk vor den Konkordienverhandlungen von
Wittenberg jegliche polemische Äußerung zum geplanten Treffen (so Friedrich 2002:117 im
Rückgriff auf Bernard Roussel 1970. Martin Bucer: Lecteur de L’Epítre aux Romains.
Dissertation Univ. Straßburg, 23-36).148 BUCERS Unionswille tritt einmal mehr zu Tage, der
Aufbau des Kommentars unterstreicht diese Tatsache (vgl. de Kroon 1984:71). Die einzelnen
„sectiones“ sind folgendermaßen - wenn man so will irenisch - gegliedert: metaphrasis,
expositio, interpretatio, observatio, conciliatio und quaestio. In einer „Conciliatio“, die sich
jeweils mit der Vereinigung o. a. Versöhnung (conciliare) von scheinbar unüberwindlichen
Wirkungsgeschichte vgl. Friedrich 2002:140f; Die Beurteilung dieses Dokuments ist wohl zu allen Zeiten
wesentlich abhängig vom konfessionellen Standpunkt des jeweiligen Theologen.
145
Ebenso in CR 3, 75-77 enthalten, da Melanchthon auf Wunsch von beiden Seiten die Endfassung besorgt
hat; der Abendmahlsartikel - Solida Declaratio VII, 13-16 - hat Aufnahme gefunden in das Konkordienwerk
(BSLK 1986:977f).
146
Friedrich (2002:124) führt weiter aus: „Die Wittenberger Konkordie wollte ja nicht ein unumstößliches
Dogma für alle kommende Zeit sein, sondern die Grundlage für weitere Gespräche, Basis für weitere bessere
Formulierungen. Die vorliegende Formel war zwar in sich zweideutig und konnte verschieden interpretiert
werden, aber trotzdem darf der historische Wert der Wittenberger Konkordie ohne Zweifel festgehalten werden.
(…) Selbstverständlich haben alle Konsensformulierungen ihre Schwäche und beinhalten Zweideutigkeiten, die
zu kontroversen Diskussionen und Interpretationen führen. Aber entscheidend sind doch solche Versuche, in der
bis heute strittigen Abendmahlsfrage zur Einigung zu kommen, auch wenn Formulierungen dabei umgestoßen,
verbessert oder ergänzt werden müssen. Der Eckstein des innerprotestantischen und interkonfessionellen
Abendmahlsdialogs wurde bereits in Wittenberg 1536 gelegt, es zieht sich ein roter Faden von Marburg 1529
über Wittenberg 1536, Arnoldshain 1957 bis Leuenberg 1973 (selbst bis in die Aussagen hinein) und die
ökumenischen Kolloquien und Konsenspapiere unserer Tage.“
147
Vgl. zu den politischen Vorbedingungen, den kirchenhistorischen (und anekdotenhaften) Ereignissen in
Wittenberg, Luthers Zurückhaltung/Krankheit bei den Verhandlungen usw., und vor allem der entfalteten
Abendmahlstheologie, der hier nicht weiter nachgegangen werden soll, Tschakert [1910] 1979:261-263; Bizer
1962:96-117; Sasse 1979:68-77; Friedrich 2002:118-127; Greschat 2009:153-161.
148
Backus (1990:173) sieht in diesem unpolemischen Verhalten die eigentliche Veränderung im Jahr 1536,
nicht zwangsläufig in einer grundsätzlichen Modifizierung von Bucers Theologie, was sie exemplarisch anhand
der Bucer-Exegese von Joh 6,52 ausführt.
48
Gegensätzen beschäftigt,149 steht die Rechtfertigungslehre, insbesondere die Kardinalfrage150
nach dem Verhältnis von rechtem Glauben und guten Werken zur Diskussion (vgl. hierzu die
Einführung von de Kroon 1991:59-75) - dazu später mehr im Zusammenhang mit den
Religionsgesprächen mit den Altgläubigen (unter 2.2.2.2). BUCERS Zielpunkt in seiner
gesamten Argumentation ist kurzgefasst der Gedanke, dass die Rechtfertigung allein aus
Glauben als Basis zur Wiedervereinigung der Kirchen dienen kann und soll (vgl. Friedrich
2002:117). Alle anderen kirchlichen Zeremonien und Riten sind dieser unterzuordnen, mit
anderen Worten auch das Abendmahl, trotz seiner hohen Bedeutung. Wiederum verweist
BUCER auf sein Verständnis des Abendmahlsstreites, der eher ein „Wettkampf“ um Worte als
um die Sache selbst sei.151 Es komme einzig darauf an, den Sinn des Mahles richtig zu
erfassen.152 Der Grundgedanke, die Einheit auf der Basis der Rechtfertigungslehre
wiederherzustellen, erscheint dem Kirchenpolitiker dabei keineswegs als unrealistisch, 153
berücksichtigt man zudem noch die fragile Lage des deutschen Katholizismus zu jener Zeit,
die eine „Wiedervereinigung“ politisch denkbar machte (vgl. Gäumann 2001:449).
In Summe: Ungeachtet der Tatsache, dass alle Konsensformulierungen naturgemäß
Schwachstellen aufweisen und zu Zweideutigkeiten einladen, darf doch der Versuch, eine
Einigung bis in die dogmatische Sphäre hinein zu erzielen, nicht von vorneherein als Utopie
verworfen werden. Mit der Wittenberger Konkordie, ihrer Geschichte und schlussendlich
ihrer Gestalt, liegt ein Beispiel von bleibender Bedeutung für diesen Sachverhalt vor. De
Kroon (1991:236) wagt sogar die Feststellung: „Die Konkordienbemühungen und das
Wittenberger Ergebnis von 1536 veranschaulichen auf treffliche Weise den - wenn das
Wortspiel erlaubt ist - ‚konziliaren Prozeß‘, der seine Theologie wie seine Persönlichkeit
überhaupt durchdringt.“ Rouse und Neill (1963:64) formulieren zugespitzt:
„Dieses Übereinkommen ist mehr eine diplomatische als eine theologische Leistung. Aber
149
„consonatiam quae illis est et consensum patefacere studui“ (so im Widmungsschreiben an Erzbischof
Thomas Cranmer vom 25. März 1536, S. 4).
150
Bucer ist sich dessen bewusst, wenn er zur Rechtfertigung seiner doch etwas länger geratenen
Ausführungen beschließt: „Aber diese Sache beschäftigt die ganze Welt und belastet sie so, daß sie nicht mit
wenigen Worten abgetan werden kann.“ („M. Bucer, Metaphrases et enarrationes … Tomus primus. Continens
metaphrasin et enarrationem in Epistolam ad Romanos“, 118b; Übers. nach de Kroon 1991:103).
151
„Cumque praeterea hodie praecipua sane religionis nostrae dogmata, ita vlciscente Deo neglectum verbi
sui, perniciose controuertuntur et in quaestionis pertrahuntur, cum tamen plaerunque magis in verbis quam re
ipsa certamen sit, ...“ (Widmungsschreiben an Cranmer, S. 4).
152
„Etiam condemnantibus vel absoluentibus, a veritate tam alienati non sumus, quin velimus nolimus
assentiri illi oporteat, si sua modo veste, suo cultu conspicienda offeratur“ (Widmungsschreiben an Cranmer, S.
4). Zu den Sakramenten äußert sich Bucer in einem weit ausholenden Abschnitt unter dem Titel: „Quastio quae
sit ratio, et quis usus ceremoniorum in Ecclesia Dei“ nur in sehr allgemeiner Form; dabei verbleibt er in den
Bahnen früherer Darlegungen, beachtet man die nachhaltige Akzentverschiebung von Zwinglis zu Luthers
Auffassungen (vgl. Friedrich 2002:117).
153
Zum Begriff der „epieikeia“ (lat.: „aequitas“), der für Bucer in diesem Zusammenhang eine große Rolle
spielt, vgl. de Kroon 1984:70-78 (Es handelt sich um einen juristischen Fachausdruck, die sog. „Billigkeit“, mit
dem „die Modifikation einer gegebenen Rechtsregel zum Zweck ihrer vernünftigen Anpassung an den konkreten
Fall“, bezeichnet wird; Wingren 1980:642).
49
wer will sagen, daß das keine christliche Diplomatie ist, die nach einer Sprache der
Übereinstimmung sucht, wo uns keine genaue Definition gelingt? (…) Luthers Wort ‚Wir
wollen nicht streiten‘ zeigt, daß er den Geist Bucers erfaßt hatte.“
Auch, wenn er später diesen Geist wieder zurechtweisen musste, wegen aus seiner Sicht zu
unklarer Aussagen im Zusammenhang mit dem „Kölner Reformationsversuch“ (vgl. 2.2.2.3).
Trotz
der
nicht
ausgeräumten
theologischen
Differenzen
(Ubiquitätslehre,
Prädestinationslehre u. a.) „war die Wittenberger Konkordie ein verheissungsvoller
Kompromiss, der die Einheit des deutschen Protestantismus begründete und ein europaweites,
evangelisches Einvernehmen hätte einleiten können“ (Gäumann 2001:446).154
Unerwähnt bleiben dürfen jedoch nicht die „Machenschaften“ BUCERS im Zusammenhang
mit dem Versuch, eine Zustimmung der Schweizer Seite zur Wittenberger Konkordie im
Nachhinein noch zu erzielen. Nachdem jener es schon im Vorfeld verstand, in den
lateinischen Text der Abendmahlsartikel der „Confessio Helvetica prior“ vom Februar/März
1536 luth. Wendungen einzubringen (Friedrich 2002:115), griff der Straßburger nun zu
ähnlichen Mitteln - die Erinnerung an die Übersetzungsaffären im frühen Abendmahlsstreit
(vgl. 2.2.1.1) werden unweigerlich wachgerufen. LUTHER verlangte mit der Annahme der
Konkordie
einen
Widerruf
der
bisherigen
schweizerischen Anschauungen
(Bizer
1962:99.145). Diese Bedingung verheimlichte BUCER schlichtweg und suggerierte stattdessen
eine Übereinstimmung mit der „Confessio Helvetica prior“ (:149.172). Unter dieser falschen
Voraussetzung kam es dann nach langen Verhandlungen am 14. November 1536 zu einem
Antwortschreiben an LUTHER, mit dem die „Annahme der Konkordie nach Maßgabe der
Schweizer Konfession und der bisherigen Lehre“ bekundet wurde (:172). Ein Schreiben vom
19. Januar 1537 der Straßburger an LUTHER erklärt: Man habe die Schweizer aus taktischen
Gründen in dem Glauben gelassen, mit der Annahme der Konkordie in Kontinuität zu ihren
bisherigen Bekenntnissen zu stehen (:180-185). Es verwundert kaum, dass mit dem
Bekanntwerden des Briefes BUCER nicht länger als „ehrlicher Makler“ (:185) unter den
Schweizern anerkannt wurde (:201). Die unmittelbare Wirkungsgeschichte der vorläufigen
Konkordie, was die Schweizer Seite betraf, war demnach vorgezeichnet: Der endgültige
Bruch zwischen Zwinglianismus und Luthertum war nicht länger aufzuhalten (vgl. Friedrich
2002:127-144; Greschat 2009:161-164). Die oberdeutschen Städte (bis auf Konstanz) nahmen
sie jedoch an. BUCERS Blick weitete sich in dieser Zeit sogar noch aus, entgegen dem
Partikularismus und Sektierertum mancher Zeitgenossen: „Spätestens in diesen Jahren
entwickelte Bucer vollends ein europäisches Bewusstsein“ (Greschat 2009:163, vgl. auch :
101).
154
Hervorhebung von mir.
50
2.2.1.4 Zusammenfassung und Auswertung
Die Frage nach Martin Bucers Position im Abendmahlsstreit und damit verbunden die Frage
nach seinen Leitmotiven, insbesondere denjenigen dogmatischer Natur, sind nicht vorschnell
zu beantworten. Auffällig ist zunächst, was die frühe Phase betrifft, das relativ geringe
theologische Interesse
BUCERS an den für die Gegner essentiellen Fragen im
Abendmahlsstreit. Die Frage darf sogar gestellt werden, ob es von Seiten des Straßburgers
jemals ein echtes Interesse an der genaueren Wesensbestimmung der Elemente gab (vgl.
Kittelson 1973:175). Nun aber, um dies zu klären vor allem politisch-lokale Gründe (Köhler
1924:208-209) oder letztlich Unausgeglichenheit in der Sache in Tradition des ERASMUS
(Lang [1900] 1972:248; Krüger 1970:224) anzunehmen, greift deutlich zu kurz. Man kann
vielmehr
von
einer
komplexen
Entwicklung
sprechen,
die
genuin
theologische
Überzeugungen mit einschließt:
Zunächst tritt BUCERS Verständnis von LUTHERS Position in seiner frühen Schrift von 1519,
dem „Abendmahlssermon“, hervor. Mit dem Schwerpunkt auf der „communio sanctorum“,
mit anderen Worten der ekklesiologischen Funktion des Abendmahles und weniger der Frage
nach den Modalitäten der Realpräsenz Christi, fand der Straßburger hier einen Ansatz, der für
ihn bleibende Bedeutung haben sollte (Kittelson 1973:178f; Hammann 1989:37f.61). 155 Die
davon abweichende Entwicklung LUTHERS, die schon seit 1523 immer deutlicher hervortrat,
wurde von BUCER zu Beginn nicht wirklich wahrgenommen (:170f), oder anders formuliert, in
seine Interpretation der Abendmahlsworte eingeordnet. Vergessen werden darf auch nicht,
dass BUCER, wie viele andere, als Konvertit zur reformatorischen Bewegung stieß und nur den
öffentlichen LUTHER kannte, sprich den LUTHER seiner Schriften und Werke, die publiziert und
zugänglich waren (:179). Eine persönliche Begegnung samt Austausch fand erst im Verlauf
des Streites statt. Unter Umständen wäre es äußerst reizvoll, eine Geschichte des
Abendmahlsstreites zu skizzieren, in deren Mittelpunkt das spannungsvolle Mit- und
Gegeneinander - Sach- und Beziehungsebene - des Straßburgers und Wittenbergers als
zentrales Motiv stünde.156
Verkürzt wäre nun die Vorstellung, dass BUCER letztlich aus theologischer Unwissenheit
gehandelt habe, vielmehr muss man ihm eine gewisse Eigenständigkeit neben (nicht nur
zwischen) LUTHER und ZWINGLI attestieren, dazu im Folgenden mehr. Unabhängig davon sind
religionspolitische Motive, insbesondere die Lage Straßburgs, geltend zu machen. Das
155
Bucer betont dementsprechend schon früh den Gemeinschaftsaspekt der Mahlfeier in seinem Traktat zur
Sache: „De Caena Dominica“ von 1524 (vgl. BOL 1, 15-58).
156
Kaufmann (1993:251) urteilt: „Die Vorstellung, er (sc. Bucer) könne in einer anderen Kirche als Luther
sein, eine Vorstellung, die sich zumal im Zuge von Luthers letzter maßgeblicher Äußerung zur Sache, seinem
‚Bekenntnis‘ von 1528, als ernstzunehmende Möglichkeit abzuzeichnen begann, war Bucer ganz unerträglich.
Insofern litt Bucer unter der Differenz mit Luther, obschon er von dem sachlichen Recht seines Widerspruchs tief
überzeugt war.“
51
Wechselspiel zwischen CAPITO und BUCER, aus dem diplomatisches Agieren und eine gewisse
Verschleierung der Fakten hervorgingen, zumindest was die frühe Phase betrifft, kann dabei
nicht geleugnet werden.157 Obwohl Kaufmann (1993:250f), der darauf beharrlich insistiert,
damit BUCERS Züge als nicht immer ehrlicher Mittler herausstellt, sieht auch jener ihn nicht
nur als Diplomat, sondern auch als Theologen und in gewisser Hinsicht sogar als
„Ökumeniker“ (vgl. 2.2.3).
Als Exeget158 und Bibeltheologe arbeitete BUCER in seiner „Apologia“ von 1526 heraus,
worin nach seiner Auffassung der tiefere Grund für die Behauptung, es handle sich nur um
einen Wortstreit, besteht: Das „est“ fehlt im aramäischen Urtext, die Debatte könne sich also
nur darum drehen, wie die Begriffe „Leib und Blut“ zu verstehen sind (er übersetzt
konsequent: „Das mein Leib, das mein Blut“). Eine Vertiefung hat diese Erkenntnis nicht
erfahren. Kurz skizzieren lässt sich seine Abendmahlsauffassung folgendermaßen (vgl.
Hammann 1989:175-191; Friedrich 2002:125f; 2003:64f): Der Straßburger Reformator geht
von einer wahrhaften Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi mit und unter (allerdings
nicht in) den Elementen Brot und Wein aus (kein „Deus impanatus“). Die Verbindung bleibt
aber im erasmischen Sinne „in mysterio et sacramento“. Die entscheidende Wie-Frage der
realpräsentischen Auffassung wird ausgeklammert, um einer leiblich-materiellen Deutung dem möglichen Missverständnis einer „Res-Präsenz“ - zu entgehen. Zentral ist für sein
Konzept, dass sich der „totus Christus“ im Abendmahl den Gläubigen gibt: In der realen Gabe
von Leib und Blut schenkt sich Christus in seiner ganzen Identität seinen Jüngern und ist
damit unter den Zeichen beim Abendmahlsempfang wirklich präsent. BUCER denkt also eher
in den Kategorien einer „Personalpräsenz“. Eine Auffassung, die für moderne Exegese und
Dogmatik im 20. Jahrhundert von Bedeutung wurde, insbesondere das ökumenische Gespräch
bereicherte.159 Neben der Deutung der „verba testamenti“ richtete er sein Augenmerk vor
157
Greschat (2009:154) führt aus: „Dass Bucer sich dabei [sc. Verhandlungen um Wittenberger Konkordie]
folgerichtig auf die Ebene vielfältiger Formeln und Deutungen begab, ist ihm schon damals häufig als Ausdruck
innerer Unwahrhaftigkeit angekreidet worden. Bei diesem Urteil wurde und wird in der Regel übersehen, dass
Bucer von Anfang an die Überzeugung hegte, man sei im Wesentlichen und Entscheidenden einig und rede
lediglich in Randfragen aneinander vorbei.“
158
Greschat (2009:100) skizziert: „Dem Exegeten Bucer ging es vor allem um die möglichst eindeutige
Herausarbeitung dessen, was der jeweilige biblische Autor hatte sagen wollen. Die Voraussetzung dafür war das
Verständnis des Urtextes. Bucer beherrschte nicht nur die griechische Sprache, sondern war auch ein
vorzüglicher Hebraist.“
159
Neuerdings hat Swarat (2005:131-148) als baptistischer Theologe auf die ökumenische Bedeutung des
„Consensus Tigurinus“ von 1549 hingewiesen. Calvin als „Schüler“ Bucers (s. u. S. 86ff) und Bullinger erzielen
hier eine Einigung, die Luther und Zwingli noch verwehrt war - bei den Vorverhandlungen in Zürich (28. April
bis 3. Mai 1538) war Bucer samt Calvin persönlich zugegen (Bizer 1962:219-222). Luther kann sogar im Blick
auf die lat. Übersetzung von Calvins kleinem Traktat zum Abendmahl, dessen theologiegeschichtlicher
Hintergrund die Schweizer Konkordienverhandlungen sind, urteilen: „Er ist gewiss ein gelehrter vnnd frommer
Mann/dem hette ich anfänglich wol dörffen die gantze Sache von diesem Streit heimstellen/Ich bekenne meinen
theil/wenn das Gegentheil [sc. Zwingli, Oecolampad] dergleichen gethan hette/weren wir bald anfangs vertragen
worden“ (so wiedergegeben von dem Bremer Philippisten Christoph Pezel; zit. nach Busch 2005:129, der in
dieser Reaktion des alten Luthers einen Anstoß für Calvin entdeckt, die Verhandlungen bis zur „Zürcher
Übereinkunft“ voranzutreiben; vgl. Bizer 1962:246). Im Anschluss an U. Kühn vertritt Swarat eine
52
allem auf die ethischen Konsequenzen, die mit dem Abendmahlsempfang für die Gläubigen
verbunden sind. Die Kombination von Humanismus und Reformation und damit die
gegenseitige Durchdringung von Lehre und Leben in BUCERS Anschauungswelt tritt damit
sichtbar hervor. Die Betonung der Frage nach der „manducatio indignorum“ hat hier ihren
Ort.
Im Zentrum der BUCER’SCHEN Einigungsbemühungen im Abendmahlsstreit steht die
Vermeidung von Extrempositionen: Die Zwinglianer lehrten für ihn mehr als dass nur Brot
und Wein im Abendmahl gegenwärtig seien, die Lutheraner verstanden dagegen nach seiner
Ansicht die Elemente nicht bloß stofflich-dinglich. Als logisch und konsequent von ihrer
Warte aus betrachtete BUCER die beiden Postionen, da sie nur vor Irrwegen schützen wollten
und im Kern keine Widersprüche darstellen würden.160 Ob der Versuch in dieser Weise
LUTHERS Formel der „unio sacramentalis“ und ZWINGLIS „contemplatione fidei“ in Einklang
bringen zu wollen, nicht zu kurz greift, darf gefragt werden. BUCER konnte in diesem
Zusammenhang so weit gehen und - salopp formuliert - behaupten: Das „bisschen
Uneinigkeit“ von Marburg wäre bei mehr Verhandlungsgeschick zu beheben gewesen (vgl.
BCor IV, Nr. 317, 153, 27-155, 23).161 Die vorhandenen Unterschiede in der Christologie162
machten die unterschiedlichen Akzentuierungen in der Abendmahlsfrage für LUTHER und
ZWINGLI letztlich zu mehr als einen „Streit um Worte“ 163. Dies verkannte BUCER, womit seine
Methode der Ausscheidung von Extrempositionen und der gegenseitigen sachlichen
Annäherung m. E. nicht ad absurdum geführt wird.
realsymbolische Auffassung der Elemente (2005:146f), eine Position, die Gnaden- und Glaubensakt in eins setzt
(:141f) und ein Extrem, wie das rein symbolische, anti-sakramentale Verständnis Zwinglis, ausschließt.
160
B. Moeller (BDS 3, 321) hält für den sog. „Ratschlag A“, der den wichtigen Zeitraum (Brief an A. Blaurer
vom 26. Januar 1530 bis zum besagten „Ratschlag A“ Anfang Mai 1530) abschließt, fest: „ Angesichts der
Notlage der unmittelbar drohenden Gefahr der Spaltung der Evangelischen und der Isolierung der Oberdeutschen
verfaßt, ist diese Ratschlag A eines der eindrucksvollsten Dokumente für Bucers irenische, das Leben vor die
Lehre, die prinzipielle Übereinstimmung vor die einzelne Entscheidung stellende Grundhaltung. Mit zum Teil
geschickten und kräftigen Argumenten, nur gelegentlich in Weitschweifigkeit sich verlierend, sucht er, ohne
seinen eigenen Standpunkt in der Abendmahlsfrage abzuschwächen, die Lutheraner zum Frieden und zur
Toleranz zu bewegen.“
161
Formal richtig ist, dass in „Marburg“ die Einheit in den zu verhandelnden Lehrfragen tatsächlich überwog:
13 Artikel demonstrieren Übereinstimmung und „nur“ in Artikel 14 kommt eine Differenz zum Vorschein. Daher
konnte Johannes a Lasco in Ostfriesland das „Experiment“ (Weerda 1964:115f) starten, luth. und ref. Pfarrer in
einer Kirche auf Grund der Marburger Artikel von 1529 zusammenzuhalten. Da die Übereinstimmung viel
größer sei als die Differenz, könne man zusammen bleiben und habe in der Differenz die Aufgabe, gemeinsam
an deren Überwindung zu arbeiten (vgl. generell Christoph Strohm (Hg.) 2005. Johannes a Lasco (1499-1560):
Polnischer Baron, Humanist und europäischer Reformator. (SMHR 14). unveränd. Studienausgabe Tübingen:
Mohr Siebeck).
162
Bucers doppeldeutige Formulierungen kamen hier an ihre Grenzen, konnte er doch damit weder den
Schweizern wirklich gerecht werden, die „eine Aussage zur Realpräsenz aufgrund der Lehre der getrennten
Naturen Christi am liebsten umgangen hätten“, noch den Wittenbergern, „für die aufgrund der Verbundenheit der
Naturen Christi die Ubiquitätslehre und die Lehre der „communicatio idiomatum“ unumstößlich war, die
letztlich auch von einer Respräsenz sprechen konnten“ (Friedrich 2003:64; zur Christologie Bucers, die jener
nicht wirklich entfaltet hat, vgl. Friedrich 2002:142f).
163
Bis zuletzt - das Scheitern einer universellen Konkordie war abzusehen - hält Bucer daran fest, dass es sich
um einen „Wortstreit“ handelt, so in einem Verteidigungsschreiben an den Senat von Bern vom 8. Juni 1537
(Friedrich 2002:134).
53
Die dogmatische Leistung BUCERS in der Zeit nach dem Marburger Religionsgespräch ist
beachtlich: Geschlossen trägt er in der Korrespondenz dieses Zeitraumes seine
anthropologischen Einsichten, die normative Zentrierung des Glaubens auf das Wesentliche
und als Basis die theozentrische Ausrichtung seiner Theologie vor. Ziel- und Fluchtpunkt
dieser Konzeption ist die Bewahrung der Einheit trotz unvermeidlicher dogmatischer
Differenzen. Mit dem Verweis - im Rahmen seines Vorsehungsglaubens - auf die göttliche
Offenbarungspädagogik konnte er die Konflikte, die der Einheit im Weg standen, in
theologischer Hinsicht als notwendig auffassen, damit die Pflichten der Liebe („dilectionis
officia“) von denjenigen ausgeübt werden, denen Gott mehr an Erkenntnis und Weisheit
offenbart hat. Liebenberg (2003:46) hält pointiert fest:
„Das war nicht nur eine intellektuelle Glanzleistung des Straßburger Reformators, der so
das Auseinanderdriften des reformatorischen Lagers als Ausdruck der von Gott gewollten
Einheit interpretieren konnte. Seine offenbarungspädagogische Auslegung der gubernatio
Dei diente auch der Selbstvergewisserung, trotz aller Rückschläge auf dem richtigen, der
Macht und Ehre Gottes dienenden Weg zu sein.“164
Problematisch ist aus heutiger Sicht sicher die subjektive Selbsteinschätzung BUCERS mit
einem „Mehr“ an Wahrheit und Weisheit beschenkt zu sein als andere (vgl. Greschat
2009:91),
woraus
nicht
zwangsläufig
folgt,
dass
BUCERS
bemerkenswerte
offenbarungspädagogische Konzeption hinfällig wird oder zumindest keine Beachtung
verdient.165
Mit der Wittenberger Konkordie gelang dem Straßburger ein vorläufiger Abschluss seiner
Unionsbemühungen in der Abendmahlskontroverse, wenn auch seine ursprüngliche „globale“
Zielsetzung (samt Schweizer Partei) nicht erreicht wurde. Die Geschichte und das Ergebnis
dieses Dokumentes veranschaulichen, wie mühsam und dabei doch nicht vollends vergeblich
der „konziliare Weg“ zwischen bekenntnisverschiedenen Gruppierungen sein kann. Friedrich
(2002:140) urteilt, dass „Bucers Teilerfolg durch den Abschluss der Wittenberger Konkordie
bisher zu wenig gewürdigt worden“ ist. Die eigentliche Debatte verlor nun nicht wirklich an
Brisanz mit dem Wittenberger Resultat, sondern köchelte weiter bis LUTHERS Tod und ging
164
Im Bewusstsein hiermit eine Außenseiterrolle wahrzunehmen beklagt er sich in seinem Brief vom 26.
Januar an A. Blaurer, dass er bisher nur wenige gefunden habe, die seine Sichtweise teilen (BCor IV, Nr. 273, 12,
24f). Dem Ulmer Prediger Konrad Sam teilt er mit, in einem Brief vom 4. April 1530, dass ihr Schicksal derart
sei: wenn sie die „Wahrheit“ sagen, werden sie von Ratsherren, die Christus nicht ganz angehören wollen, als
Aufrührer, von gering Gebildeten aus dem Volk jedoch als Mitläufer bezeichnet (BCor IV, Nr. 282, 71, 4-6). Da
Sam jedoch so wie er in jeder Hinsicht die Ehre Christi zum Ziel habe, schließt Bucer seine „tröstlichen“ Worte
mit dem eschatologischen Ausblick ab, dass beide nicht hier, dafür aber in der zukünftigen Welt Leben, Güter,
Ehre und Wonne zu erwarten haben („Nobis non hic, sed in futuro vita, opes, honos, delitiae expectandae sunt“;
71, 9f).
165
Liebenberg (2003:47) weist zu Recht darauf hin: „Nimmt er [sc. Bucer] seine Überlegungen zur Einheit in
seiner Korrespondenz ernst, dann ist ein überhebliches oder gar feindliches Verhalten gegenüber anderen
Theologen ausgeschlossen. Denn dann würde er die göttliche Offenbarungspädagogik durchkreuzen, deren Ziel
es ist, sich dem Nächsten gleichzustellen, um ihm so auf derselben Augenhöhe dienen zu können.“
54
dann beinahe nahtlos in den zweiten großen Abendmahlsstreit über, den BUCER gnädigerweise
nicht mehr in seinem ganzen Ausmaß miterleben musste.
Die Frage, inwiefern es sich bei BUCER im Spannungsfeld von zwinglianischen und
lutherischen
Anschauungen
um
einen
eigenständigen
Denker
hinsichtlich
seiner
Abendmahlstheologie und darüber hinaus gehandelt hat, ist ein Forschungszweig für sich
(vgl. 2.3).166 Eine relative Eigenständigkeit ist nicht zu leugnen (vgl. Friedrich 2002:66f.139;
2003:57; Greschat 2009:88.95). An dieser Stelle soll nur die Tatsache hervorgehoben werden,
wie verwirrend seine theologische Beweglichkeit auf die Zeitgenossen gewirkt haben muss
(Neuser 1998a:161). Hammann (1989:62) macht deutlich:
„Die Flexibilität seiner Theologie und des Prinzips der zweifachen Realität - der
materiellen und spirituellen - gab Bucer genügend Freiraum, bei seinen Bemühungen um
die Einheit so weit wie möglich zu gehen, wenn er sich auch immer den Weg offen hielt,
zu anderen, offensichtlich gegenläufigen Standpunkten zurückzukehren!“167
Vergessen werden darf ferner nicht der sozialgeschichtliche Hintergrund, der weitere
Gründe für die Vehemenz liefert, mit der die Debatte geführt wurde (s. o. S. 25, Anm. 47). Es
galt ein wichtiges praktisch-theologisches Problem zu lösen:
„Alle an diesem Streit Beteiligten waren ehemalige Priester. Die Messe hatte also im
Zentrum ihres kirchlichen Wirkens gestanden. Wie scharf und grundsätzlich sie sich dann
auch von der römisch-katholischen Theologie lösten: Es kann kein Zweifel daran bestehen,
dass für sie alle dieses Thema in vielerlei Hinsicht, auch emotional, erheblich gewichtiger
war als manches andere. Sodann: Alle, die jetzt Partei nahmen oder einen eigenen
Standpunkt suchten, kannten sich oder waren sogar miteinander befreundet, zumal im
166
Hammann (1991:110) stellt die Grundsatzfrage sehr präzise: „Sieht man vom pragmatischen, rein
institutionell-kirchlichen Interesse an Toleranz und Einheit ab, so bleibt doch die Frage, worin - theologisch
gesehen - die ‚Eigenständigkeit seiner Abendmahlslehre‘ bestand. Mit welchen theologisch-philosophischen
Grundbegriffen arbeitete eigentlich Bucer in seiner Abendmahlslehre, und auf welcher Seite stand er
diesbezüglich? Hat er auf diesem Gebiet etwas Eigenständiges zu der reformatorischen Kontroverse der
zwanziger Jahre beigetragen – oder nicht?“ Auf diese komplexe Frage folgt eine nicht weniger komplexe
Antwort (:123-134), die als Ausgangspunkt den „vermutlichen“ Zwinglianismus und daneben Bucers
theologisches Spezifikum hat (:119).
167
Müller (1965:36, Anm. 74) spricht in seiner Bucer-Hermeneutik von der „Uneigentlichkeit der
theologischen Redeweise“ beim Straßburger. Das Abendmahl dient hier als hervorragendes Beispiel, kommt
doch hier die ganze Eigenart der religiösen Sprache und ihrer Symbolik zum Ausdruck: Da, wo das Wort sichtbar
gereicht wird, kann von den Elementen Brot und Wein dennoch nur gesagt werden, dass sie abbildhaft die
Wirklichkeit widerspiegeln - platonisches Denken leuchtet auf. Selbst „der vom Glauben erfüllte Verstand und
Vernunft (fide imbuta mens et ratio) vermag nicht zu fassen, was die Darstellung, Gegenwart und Genuß Christi
beim Abendmahl an sich sind. (…) Das Geheimnis der Christusgemeinschaft, insbesondere seine
Verwirklichung im Abendmahlsgeschehen, ist, soweit dies überhaupt möglich ist, immer nur aus seinen
Wirkungen erkennbar: ‚Ista [die Formen der Christusgemeinschaft] tantum a posteriore id est, ab factis, utcunque
cognoscuntur‘“ (:91; Bucer-Zitat s. Tomus Anglicanus, 702, These XV; Hervorhebung im Original). Ähnliches
postuliert der Straßburger in Bezug auf die Rede vom Heiligen Geist in der Schrift: „Auch dort erklärt Bucer,
daß alle diese Namen nicht die ‚substantia‘ des Heiligen Geistes bezeichneten, sondern lediglich seine Wirkung,
die er auf uns ausübt“ (:91; mit Beleg in Anm. 86). Müller (:91f) resümiert: „Die religiöse Sprache dringt also
nicht in das ‚an sich‘ der religiösen Wirklichkeit ein, sondern bezeichnet nur gleichsam die uns zugewandte und
in unserem Erfahrungsbereiche greifbare Realität der geistlichen Welt. Auf dem Wege der Spekulation in diese
Sphäre des Geistlichen eindringen zu wollen, ist ein vergebliches und unfrommes Bemühen. Das fromme Gemüt
begnügt sich damit, etwa das Abendmahlmysterium in der vom Heilgen Geist gegebenen begrifflichen
Ausprägung gläubig anzunehmen und sucht im übrigen die ‚effecta‘ dieses allerheiligsten Gemeinschaftsmahles
im praktischen Leben des Glaubens und der Liebe zu bejahen [These XVI].“
55
Südwesten Deutschlands, wussten also aufgrund gemeinsamer geistiger und menschlicher
Überzeugungen und Vorbehalte in dem sich hier und da langsam formierenden anderen
Lager Bescheid“ (Greschat 2009:87).
In Summe: Im Hinblick auf die innerprotestantischen Einigungsbemühungen BUCERS liegt
es nahe, von einem Motivbündel zu sprechen. Neben religionspolitischen und dezidiert
biblisch-theologischen spielten auch ohne Frage emotionale Beweggründe - ohne diese
überbewerten zu wollen - eine Rolle im ersten Abendmahlsstreit der jungen reformatorischen
Bewegung. Diese Gemengelage zu ordnen erschien schon als schier unlösbare Aufgabe,
BUCERS Bemühungen gingen jedoch noch darüber hinaus. Er richtete seinen Blick auch auf
das Gespräch mit den Altgläubigen in der Hoffnung einer Einigung über die sich gerade im
Aufbruch befindende protestantische Welt hinaus.
2.2.2 Religionsgespräche
Nicht nur die innerprotestantischen Schwierigkeiten eine Einigung in Lehrfragen zu erzielen
und somit einer neuen Ordnung der protestantischen Kirchen einen Weg zu ebnen, sondern
ebenso der alles begründende Dissens zwischen Alt- und Neugläubigen war für BUCER ein
unerträglicher Zustand. Im Hintergrund steht, wie gewohnt neben der politischen und
militärischen Bündnisschwäche der Protestanten, die Beobachtung vonseiten BUCERS, wie
unattraktiv und wenig überzeugend eine nicht geeinte protestantische Welt auf die
Altgläubigen wirken musste. Zu dieser Überzeugung gelangte er wahrscheinlich schon relativ
früh durch die Auseinandersetzung mit Konrad Treger im Rahmen der „Berner Disputation“
von 1528.168 Jener konnte zugespitzt formulieren, dass die mangelnde Einheit unter den
führenden Köpfen der neuen Bewegung nicht weniger als das neugewonnene protestantische
Schriftprinzip konterkariert, denn: „Es můß ye einer in disem val unrecht haben, das sy sich
ye bed der geschrifft beruemen, deßglichen des geysts der gschrifft“ (BDS 4, 74, 19-21).
Ebenso muss auf die zwei „Einheits“-Schriften (1532/33) des Erasmus von Rotterdam
hingewiesen werden, insbesondere die zweite „De sarcienda ecclesiae concordia“, die von
CAPITO umgehend übersetzt wurde und im Oktober 1533 in Straßburg erschien.169
168
Kaufmann (1992:401) kommt zu dem Schluss: „Wenn ich recht sehe, dann wurde Martin Bucer in dieser
ersten gewichtigen Auseinandersetzung, die er mit einem altgläubigen Gegner seit 1524 führte, massiv mit der
Notwendigkeit konfrontiert, daß der Protestantismus gegenüber der Papstkirche notwendigerweise als Einheit
auftreten mußte. Zugleich dürften ihm die Defizite deutlich geworden sein, die seinem eigenen Versuch
anhafteten, diese Einheit zu begründen.“; vgl. van’t Spijker 1991b:12-19.
169
Auf luth. Seite stieß das erasmische Modell auf blanken Widerspruch. Bucer, dessen erste Schrift zur
Einheit der Kirche etwas früher erschien (ca. Ende August/Anfang September 1533), bietet in seinem Werk
Parallelen zu Erasmus’ Konzeption. Allerdings besteht auch ein grundlegender Unterschied: Erasmus fordert,
wenn auch nur indirekt, eine Rückführung der reformatorischen Bewegung unter die Leitung Roms bei
gleichzeitiger Reform der altgläubigen Kirche. Leitend ist für ihn hierbei das Liebesprinzip des Neuen
Testaments und die daraus resultierende bedingungslose Kompromissbereitschaft der Evangelischen. Bucer
hingegen fordert ein vom Kaiser, nicht vom Papst, einzuberufendes Konzil und ist keineswegs zu einem
56
BUCERS Programm zielte nun auf eine „Vergleichung“ - ein damals geläufiger Begriff 170 zwischen alt- und neugläubiger Seite im Sinne einer Annäherung der unterschiedlichen,
kontroversen Positionen. Bereits vor dem Augsburger Reichstag 1530 verwendete er den
Begriff im Abendmahlsstreit, z. B. in dem hierfür charakteristischen Dialog „Vergleichung
Martin Luthers und seines Gegenteils“ (BDS 2, 305-383). Im Zusammenhang der folgenden
Religionsgespräche wird der Terminus dann inflationär eingesetzt und eine Definition gleich
mitgeliefert:
„Die vergleichung wöllen wir suchen, das die guthertzigen, so nach uff dem gegenteil sind,
sollen erkennen, das wir die justification recht leren, und solicher lere auch bei ihnen stadt
geben; item, das wir in kirchenbreuchen nichts wider glauben und liebe, sonder zur
besserung geendret haben, und [daß sie] unß bei solicher endrung nach christlicher freiheit
der kirchen bleiben lassen und sie die mißbreuch abstellen, die dem glauben und der liebe
gantz offenbar entgegen sind (…) In ubrigen kunde man geduld mit einander haben. Diß
were auch ein vergleichung“ (Lenz, Bd. 1, 95f, Nr. 28; vgl. auch 73, Nr. 24; 126, Nr. 43).
Es wird ersichtlich: Diese Annäherung bedeutet für BUCER nicht, wie im bisherigen,
juristischen Verständnis, die exakte Mitte als verbindlichen Ausgleich zwischen zwei
Positionen zu finden. „Vergleichung“ hat für ihn eher die Konnotation, einen Ausgangspunkt
zu schaffen für den Übertritt der Altgläubigen ins Lager der Reformation. Mit diesem Hinweis
soll
vorweg
dem
möglichen
Missverständnis
einer
vermeintlichen
BUCER’SCHEN
Gleichmacherei begegnet werden. Schon in seiner ersten großen Programmschrift zum Thema
von 1533, der „Furbereytung zum Concilio“ (BDS 5, 270-360), verfolgt er eben diesen Kurs
(s. o. S. 56f, Anm. 169). Ortmann (2001:15-29; 2003:130f; vgl. auch Friedrich 2002:145-147)
fasst den Inhalt in aller Kürze folgendermaßen zusammen - hier in Thesen wiedergegeben:
Voraussetzung für den Dialog und eine Herstellung der Einheit ist der Glaube an Jesus
Christus, gereinigt von Sonderlehren und obskuren Zeremonien, mit der Emphase, dass es
sich um einen Glauben handelt, der in der Liebe tätig ist. 171 Dieser wahre Glaube findet sich
„Rückzug“ bereit (Friedrich 2002:151). Zudem treten die Unterschiede in der Rechtfertigungslehre deutlich
hervor; bei Erasmus fehlt das „sola“, hingegen wird den Werken eine soteriologische Bedeutung zugemessen
(:147). Trotz allem äußerte Bucer sein Wohlgefallen an der Schrift des großen Humanisten, da sie der seinen in
vielen Punkten ähnelte (so in einem Brief an A. Blaurer vom 8. Januar 1534; s. Schiess, Bd. 1, 460f, Nr. 390).
170
„Das Wort ‚vergleichen‘ wurde hier in einer spezifischen Bedeutung gebraucht und verwies auf eine von
den Ständen seit alters gepflegte Form der Beratung. Es war eine Form des Umgangs, die mit dem Willen zur
Zusammenarbeit zusammenhing, mit der Bereitschaft, divergierende Standpunkte nicht um jeden Preis, und zur
Not mit Gewalt, durchzusetzen, sondern tunlichst einander anzunähern“ (Eugène Honée 1968. Der Libell des
Hieronymus Vehus zum Augsburger Reichstag 1530: Untersuchungen und Texte zur katholischen ConcordiaPolitik. [RGST 125]. Münster, 52; zit. nach Ortmann 2003:129).
171
Die Schrift ist in Dialogform verfasst (wie schon zuvor im Abendmahlsstreit: „Vergleichung M. Luthers
und seines Gegenteils“). Gothertz tritt als Vertreter der luth.-bucer’schen Auffassung auf, Gotprächt verkörpert
die Sicht der römischen Kirche (zur Erläuterung der Namen s. BDS 5, 276, 9-15; R. Stupperich sieht in dem
maßvollen, Gewalt verneinenden Gotprächt eine Ähnlichkeit mit Erasmus aufleuchten; :268). Gothertz: „Nun,
sovil ich sehe, seind wir des glaubens halb nit weit voneinander, wo yr anders ewers teyls alle also halten, wie du
es furgibtests, das ir nemlich die sa elikeyt allein dem glauben zůgeben, der durch die liebe und in allen gůten
wercken thettig ist, und dabey doch auch zůlossen, das ein glaub sey, den man nach dem brauch der schrifft ein
glauben nennen konde, der doch weder fromm noch selig mache, dieweil er on lieb und gůte werck ist, wo elt der
57
selbstverständlich auch innerhalb der römischen Kirche (vgl. BDS 5, 357, 21 - 31; 358, 1217).
Überzeugt man jene, dass die evangelische Reformation nur dazu dient, die wahre Kirche
Christi zu sammeln, ist eine Basis geschaffen, aufgrund der die Einigung in Lehrfragen nicht
mehr weit ist.
Der „inneren“, aus Glauben begründeten Einheit der Kirche korrespondiert dann
sozusagen naturgemäß auch deren angemessene „äußere“ Gestalt in Gottesdienst und
Lebensvollzug (BDS 5, 317, 4 - 324, 10; 324, 15),172 ohne hierbei in Uniformität zu verfallen.
Zentral ist die neutestamentliche Aussage nach 1. Kor 9,22: Allen alles zu werden, um
einige zu gewinnen.173 Konkret kann das bedeuten, dass Zugeständnisse an die römische
Kirche, so z. B. im Bereich der Zeremonien, dazu dienen können, der Predigt des
Evangeliums einen Raum zu eröffnen, um so noch zögernde Christen langsam gewinnen zu
können. Die theologische Tradition hat hier ihre wesentliche Bedeutung, solange sie der
Heiligen Schrift als norma normans nicht entgegensteht. Insbesondere die Alte Kirche hat
dabei Vorrang, ohne alle Erkenntnisse der mittelalterlichen und scholastischen Theologen
verwerfen zu wollen.174
Von vornherein als Gesprächspartner ausgeschlossen sind all diejenigen, die den Primat
der Schrift nicht anerkennen, so wie der Papst, und sich der Reformation damit grundsätzlich
widersetzen. Reformation und Kircheneinheit sind untrennbar miteinander verbunden.175
Um dieses Programm umzusetzen, war ein öffentliches Forum vonnöten (vgl. BDS 5, 358,
23-27; 359, 4-8). BUCER war zutiefst davon überzeugt, dass nur im direkten und persönlichen
Gespräch „Missverständnisse“ oder Fehleinschätzungen, wie zu harte Urteile, entdeckt und
ausgeräumt werden konnten (vgl. Lenz, Bd. 1, 97f, Nr. 28). Damit war der Straßburger
Reformator auf protestantischer Seite der wohl exponierteste Befürworter eines vom Papst
wort und namen halb, wie man dies bede glauben nennet, mit nieman streiten, yederman des orts frey lassen, so
fer das man euch auch frey und recht reden lasse, wann ir mit der schrifft on zůsatz sagt ‚glauben‘ und damit den
rechten, waren, thetigen glauben verstoht, doch das ir solichs dem eynfaltigen, gemeinen mann wol erkla eret,
damit er nicht für den gantzen, lebendigen glauben Christi halte, das nur ein gestuckleter todter glaub ist. Wo es
nur bey ewerem theyl also stoht, sehe ich da nicht ursach, das wir uns dises puncten halb miteinander zweyen
solten“ (BDS 5, 287, 29 – 288, 5).
172
„Der Theologe war nämlich von der Selbstdurchsetzung der evangelischen Wahrheit überzeugt und
erwartete davon automatisch weitere kirchliche Neuerungen. ‚Die wahrheit uberwindt alles‘“; Gäumann
2001:449 (Bucer-Zitat nach Lenz, Bd. 2, 410, Nr. 229).
173
Gothertz: „Doch woellen wir in sollichem allen, das die Christliche kirch je wol brauchet hatt, nicht allein
nieman verdammen, sonder uns, so Gott gebe, in hauptstucken seiner religion ubereynkommen, also beweysen,
das man sehen solte, das wir umb Christliches fridens willen gern wolten allen alles werden“ (BDS 5, 355, 2-6).
174
In einem Brief (1540) an den Landgrafen von Hessen formuliert Bucer treffend: „Wir werden freilich die
leut nit bereden, dass alle christliche lere mit unß erst wider uff erden komen, und das die alten vetter davon so
gar nicht gewußt haben solten“ (Lenz, Bd. 1, 245, Nr. 90; vgl. auch BDS 5, 355, 10 – 356, 15).
175
Bei aller Bereitschaft der Gegenseite entgegenzukommen, war für Bucer die „neue“ Lehre, wie sie in der
CA samt Apologie zur Geltung kam, die Basis jeder „Vergleichung“: „In dem solle es, ob Gott will, kein not
unserthalben nimer meer haben, das wenigst dupflin von unser confession zu weichen: dieselbige wöllen wir
zuvor in allen iren articuln steiff und fest halten und wol vertedigen ...“ (Lenz, Bd. 1, 128, Nr. 43; vgl. 121, Nr.
42).
58
unabhängigen Nationalkonzils oder zumindest von Reichsreligionsgesprächen, auf denen die
Stände einvernehmlich und ohne fremde Einflüsse die Religionsfrage regeln sollten
(Gäumann 2001:449; Ortmann 2003:129; Seebaß 2006:195).176 Der Weg dorthin gestaltete
sich mehr als schwierig.177 Die in aller Kürze skizzierte Position BUCERS soll nun anhand der
folgenden Punkte vertieft und jeweils an ihrem theologiegeschichtlichen Ort untersucht
werden.
2.2.2.1 Leipziger Gesprächstage und Hagenauer Verhandlungen (1539/40)
Nach dem Frankfurter Anstand vom Jahr 1539 zwang der Türkenkrieg Kaiser Karl V. erneut,
auf die evangelische Partei zuzugehen, um sich deren militärische Hilfe in Zukunft zu sichern
(vgl. Friedrich 2002:177). Hiermit wurde die Zeit der Religionsgespräche eingeleitet. Im
Vorfeld fand folgende Begegnung statt: Vom 2. bis 9. Januar 1539 kam es in Leipzig zu einem
halböffentlichen Gespräch - ohne Mitwirkung einer kirchlichen Autorität - zwischen BUCER,
MELANCHTHON und Georg Witzel, einem altgläubigen Reformtheologen178, sowie dem
albertinisch-sächsischen Rat Ludwig Flachs, dem kursächsischen Kanzler Georg Brück und
dem hessischen Kanzler Johannes Feige (jener eröffnete das Marburger Religionsgespräch).
Der Empfehlung des herzoglich sächsischen Rates Georg von Carlowitz folgend, einigte man
sich darauf die Alte Kirche als maßgeblich für die geplanten Reformen anzusehen. CARLOWITZ
schwebte dabei eine behutsame Reform (z. B. Messe unter beiderlei Gestalt, Zulassung der
Priesterehe) in der Hoffnung vor, so eine Einführung der Reformation letztlich verhindern zu
können. BUCER war zunächst bei einem Sondierungsgespräch im Vorfeld nur auf Drängen
Philipps von Hessen zugegen; Jakob Sturm als weiterer Straßburger entschuldigte sich mit
allerlei Vorwänden (vgl. Pollet, Bd. 2, 532f). Kontrovers und daher ergebnislos endete das
Gespräch, da man sich nicht auf eine zeitliche Eingrenzung der vorher bestimmten Norm
176
Melanchthon muss an dieser Stelle sicher auch erwähnt werden, der wohl von Bucer 1540 in Schmalkalden
schlussendlich von der Notwendigkeit eines solchen Vorgehens überzeugt worden war. Er habe sich darauf
eingelassen, „... ‚alles, auch darin wir, ob Gott will, allein nit ein har breit weichen wöllen, genugsam zu
erkleren‘“ (Lenz, Bd. 1, 141, Nr. 51; vgl. zu weiteren Belegen Ortmann 2003:131, Anm. 15).
177
Vgl. zur kaiserlichen Anstandspolitik und den gescheiterten Versuchen ein Generalkonzil einzuberufen (will
man das Trienter Konzil nicht als solches bezeichnen) Gäumann 2001:460-466; Seebaß 2006:193-195, sowie zu
den ebenso letztlich gescheiterten „Annäherungsversuchen“ des französischen Königs Franz I. Gäumann
2001:457f, Anm. 66; Friedrich 2002:148-159 (In der Hoffnung auf ein politisches Bündnis mit der
reformatorischen Bewegung in Deutschland beauftragte Franz I. seinen Legaten Wilhelm von Bellay, Gutachten
bei Melanchthon und Bucer für eine mögliche Wiedervereinigung der Kirche einzuholen. Um den Fortgang der
Ausbreitung des Evangeliums in Frankreich zu sichern, gaben beide Theologen [samt Hedio] bereitwillig
schriftliche Gutachten ab. Die Situation eskalierte, als die geheimen „Consilia“ öffentlich bekannt wurden; die
Altgläubigen brachten verfälschte Auszüge davon im Umlauf. Der Eindruck entstand, als ob Melanchthon und
Bucer eine Rückkehr der Protestanten unter die Obhut Roms guthießen. Eine missliche Lage, die, auch wenn sie
nicht den Tatsachen entsprach, die weiteren Bemühungen um Religionsgespräche nicht gerade erleichterte. Am
Rande: Bucers Freundschaft mit den Geschwistern Blaurer in Konstanz litt zeitlebens darunter.).
178
Jedin (1966b:363) tituliert ihn als „Konvertit“ und bemerkt, dass jener sich erst nach zwei Jahrzehnten von
den Positionen, an denen Bucer den Löwenanteil habe, ausdrücklich distanziert hat.
59
einigen konnte: Der „consensus antiquitatis“ führte zu keinem Konsens zwischen den
Kontrahenten, da die altgläubige Seite die Grenze erst im 8. oder 9. Jahrhundert ziehen wollte,
BUCER und MELANCHTHON hingegen für eine strikte Begrenzung auf die ersten vier
Jahrhunderte plädierten (vgl. Bucers Bericht in: Lenz, Bd. 1, 63-68).179 Das Ergebnis dieser
Verhandlungen wurde im „Leipziger Reformationsentwurf“ o. a. „Reunionsentwurf“
protokolliert (BDS 9/1, 23-51), dem trotz weiter Verbreitung keine große Wirkungsgeschichte
beschieden war. Schon beim Hagenauer Religionsgespräch im Frühjahr 1540 - in Speyer
wütete die Pest - waren die Artikel von den politischen Entwicklungen bereits überholt
worden.180
Das besagte Religionsgespräch 181 im Elsass (23. Mai bis 28. Juni 1540), das als das erste,
wenn auch mit vorläufigem Charakter gelten darf, blieb in Verfahrensfragen stecken. Die
Debatte entbrannte in einer gereizten, unfreundlichen Stimmung um die Gesprächsgrundlage:
Während die Protestanten als ihre Basis die CA samt Apologie selbstverständlich vortrugen,
wollten die Altgläubigen an den 1530 von den Evangelischen gemachten Zugeständnissen
anknüpfen und nur noch - aus ihrer Sicht - einige wenige ausstehende Probleme (z. B.
Priesterehe, Laienkelch, Privatmessen, Messkanon) diskutieren. Der inzwischen tief greifende
Dissens offenbarte sich nunmehr: Die Romtreuen verlangten von der Gegenseite eine
Rechtfertigung für ihre Abweichung von der „wahren Lehre“. „Dagegen war die Augsburger
Konfession für die Protestanten zu einer stolzen evangelischen regula fidei geworden“
(Gäumann 2001:466f).182 BUCER, als theologischer Berater der evangelischen Stände zugegen,
ließ sich jedoch nicht die Gelegenheit entgehen, vielfältige Kontakte zu Delegierten der
altgläubigen Stände zu knüpfen. So traf er sich u. a. mit Gesandten aus Trier, dem Bischof von
Augsburg sowie mit dem Kurfürsten und Erzbischof von Köln Hermann von Wied (vgl. Lenz,
Bd. 1, 189, Nr. 73). Am intensivsten und für die weitere Entwicklung der Religionsgespräche
von weit reichender Bedeutung waren die Begegnungen mit dem kurkölnischen Rat Johannes
Gropper. In den stattgefunden Gesprächen kamen verschiedene kontroverstheologische
Themen zur Sprache, allen voran die Rechtfertigungslehre, aber auch die Ekklesiologie, die
179
Nur in den Nachgesprächen zwischen Bucer und Witzel – die übrigen Protestanten reisten angesichts der
Sinnlosigkeit der Verhandlungen vorzeitig ab – konnte ein Ausgleich in diversen Punkten gefunden werden,
allerdings nicht in den wichtigen Differenzen (Opfercharakter der Messe oder Transsubstantiation; vgl. BDS 9/1,
30-36); zu Bucers Konzeption einer „idealen“ Kirche im patristischen Zeitalter vgl. Carr 1981:37-74.
180
Gäumann (2001:460) urteilt zumindest: „Immerhin erreichte der Leipziger Reformationsentwurf, dass die
Idee einer Übereinkunft durch theologische Verhandlungen eine grössere Verbreitung fand.“
181
Jedin (1966b:361) liefert eine hilfreiche Differenzierung zur Terminologie: Ein „Religionsgespräch“ ist von
einer „Disputation“ zu unterscheiden, da bei der letzteren nur Theologen zugegen waren, um in akademischer
Form ein spezifisches Problem zu lösen, beim „Religionsgespräch“ hingegen, eine bereits konsolidierte
Kirchengemeinschaft auf beiden Seiten bestand, die ein bestimmtes Bekenntnis voraussetzt. Die kath. Seite
befand sich hierbei in gewisser Hinsicht zunächst im Nachteil, da sie sich noch nicht auf die Definitionen des
Konzils von Trient stützen konnte.
182
Hervorhebung im Original.
60
Sakramentenlehre und der Kirchendienst. Ortmann (2003:133) urteilt: „Dabei müssen beide
ein großes Maß an Übereinstimmung wahrgenommen haben, so daß sie einander ihre Werke,
das Enchiridion und den Römerbriefkommentar, schenkten.“ 183 BUCERS Versuch bilateral eine
„Vergleichung“ zu erreichen, war demnach nicht gänzlich gescheitert, wenn auch das
Hagenauer Religionsgespräch nicht mehr hervorbrachte als den Hagenauer Abschied, der
immerhin die Augsburgische Konfession als Grundlage für die weiteren Gespräche
bestimmte.184
2.2.2.2 Wormser Religionsgespräch und Regensburger Reichstag (1540-1541)
Sukzessive arbeitete man weiter, Station für Station, an einer möglichen Einigung in der
Religionsfrage. Als nächstes stand das Wormser Religionsgespräch (28. Oktober 1540 bis 19.
Januar 1541) auf dem Plan, eigentlich eine Ausschusstagung der beiden Parteien, um den
bevorstehenden Regensburger Reichstag vorzubereiten. Nicht unwesentlich ist dabei die
Tatsache, dass Landgraf Philipp von Hessen durch seine Doppelehe und den daraus
erwachsenden kaiserlichen Auflagen den Schmalkaldischen Bund in seiner Stellung
gegenüber den Altgläubigen entscheidend schwächte.185 Dies kam der Politik des Kaisers nur
entgegen, wie die folgenden Jahre zeigen sollten. Die Verhandlungen in Worms wurden
nunmehr offen, keineswegs haarspalterisch geführt (Lenz, Bd. 1, 222, Nr. 86). BUCER hoffte,
dass den altgläubigen Fürsten nahegebracht würde, „das wir ein ware und doch etwas
leidliche reformation der kirchen (…) suchen. Und das ander, das unser furgenomen
reformation nit allein der schrifft, sonder auch haltung der alten war apostolischen kirchen
gemeß seie“ (Lenz, Bd. 1, 218, Nr. 85). Darüber hinaus sollten die Fragen nach den
183
Bucer hat sich auch später noch durchaus positiv über Groppers Schrift geäußert (so sogar in seiner
Gegenreaktion - „Von den einigen rechten wegen, deutsche Nation in christlicher Religion zu vergleichen“ von
1545 - auf Groppers „Richtigstellungen“ im Rahmen der sog. „Kölner Reformation“: „Aber ich wolt nochmals
Gott betten, das ja er selb, der dies vermeinte Reformation beschriben, und sein gantzer pa epstlicher hauff so weit
weren kommen, das sie sich nach diser Gropperischen Reformation tha etlich hetten gereformieret“ (BDS 11/2,
302, 13-16).
184
Darüber hinaus wurde noch vereinbart, dass beide Parteien je elf Stimmen erhalten sollten; damit wurde
quasi ein paritätischer Sonderausschuss des Reichstages für Religionsfragen gebildet. Bucers Meinung zu dem
Ganzen war zunächst noch wenig kritisch, fiel dann aber aus der Distanz immer negativer aus. Im Grunde
genommen war man nach seiner Meinung keinen Schritt weitergekommen und müsste die eigentlichen
Verhandlungen zur Sache erst noch führen. Die Schuldigen waren schnell ausgemacht, haben doch die
Altgläubigen keine freie Unterredung nach den Bedingungen des Frankfurter Anstandes zugelassen (vgl. BDS
9/1, 173, 8-21; 164, 1-12). In Bucers Worten war „die gantze handlung zu Haganaw [sic!] durch Bayern und
Braunschweig (…) nach demselbigen bapstlichen ratschlag gantzlich gefuret und verhandelt worden …“ (Lenz,
Bd. 1, 530); zur nicht unwesentlichen Frage nach der Verwendung der Kirchengüter, die Bucer in seiner
Reaktion „Vom tag zu Hagenaw“ (BDS 9/1, 304-317) auf einen altgläubigen Angriff tangiert, vgl. Seebaß
2002:177.
185
Geleitet von privaten Interessen, forderte der Landgraf die Rückendeckung des Schmalkaldischen Bundes,
andernfalls drohte er, zum Kaiser überzulaufen. In der Instruktion für seine Gesandtschaft vom 19. Oktober 1540
ermahnt er die Evangelischen daher zum Nachgeben in wichtigen Lehrpunkten. Die Instruktion für die
kursächsische Gesandtschaft vom 17. Oktober 1540 hingegen enthielt die Forderung nach einer standhaften
Verteidigung der evangelischen Lehre (vgl. Neuser 1974:44).
61
Kirchengütern - BUCER betonte vermehrt, dass es den Protestanten um die „wahre Religion“
gehe und nicht um Besitzansprüche - und der Kirchenzucht auf der Tagesordnung stehen. Dies
alles solle in sachlicher und geduldiger Art und Weise geschehen, „das wir die handlung uffs
allerdemietigst und aber mit gantz guter, einfeltiger, heller und bestendiger erklerung
furnemen“ (Lenz, Bd. 1, 244, Nr. 90). BUCER hielt sich dabei zunächst zurück, erneut als
Vertreter Philipps von Hessen anwesend. 186 Problematisch war nun der Umstand, dass unter
den elf katholischen Parteien ein Mehrheitsgutachten nicht zu erzielen war (ausführlich bei
zur Mühlen 1993:661f; Friedrich 2002:173ff). Eine mögliche „ökumenische“ Verständigung
scheiterte also schon im Anfangsstadium aufgrund der Polarität innerhalb der beiden
Parteiungen. So wie auf evangelischer Seite gab es auch bei den Altgläubigen zwei Gruppen:
„die Anhänger einer kompromisslosen kurialen Haltung - gemäß Bucer unter der Leitung
einer Delegation aus Bayern und Mainz - und die Vertreter einer konzilianteren
Vermittlerpartei“ (Gäumann 2001:469). Ein neuer Weg musste gefunden werden, um den
Dialog zu starten.
Auf Anraten des Reichskanzlers Nicolas Granvelle arrangierte man daher
Geheimverhandlungen.187 Jener war nach dem sich abzeichnenden Scheitern unter Druck, auf
dem Regensburger Reichstag ein brauchbares Ergebnis präsentieren zu können. 188 Ein kleiner
Kreis irenisch gesinnter Theologen sollte, befreit von Verfahrensfragen und ungehindert durch
die Öffentlichkeit, in Worms eine neue, unbelastete Gesprächsgrundlage erarbeiten: das sog.
„Wormser Buch“. Von protestantischer Seite wurden BUCER und CAPITO, allerdings nicht
MELANCHTHON als unnachgiebiger Wortführer, hierfür auserkoren.189 Im Bewusstsein der
186
Zur Mühlen (1993:661) weist darauf hin: „Wie die Liste der elf protestantischen Gesprächspartner zeigt,
wird Bucer merkwürdigerweise nicht unter die Vertreter der Stadt Straßburg eingeordnet, sondern der Gruppe
der Vertreter des Landgrafen Philipps von Hessen zugeordnet“ (vgl. dazu Gäumann 2001:468, Anm. 112). Ferner
waren alle protestantischen Theologen von Rang und Namen bei den Vorgesprächen anwesend, auch Calvin, nur
Luther fehlte auf Grund der verhängten Reichsacht (Neuser 1974:52-56).
187
Schon zu Beginn seiner reformatorischen Wirksamkeit als Kaplan Franz von Sickingens, sollte Bucer 1521
Geheimverhandlungen zwischen Luther und dem Beichtvater Kaiser Karl V., Jean Glapion, moderieren, was zu
langen Unterredungen mit Glapion führte (Brecht 1990:428f).
188
Zu den politischen Ränkespielen im Hintergrund vgl. Ortmann 2001:157-160; Ortmann 2003:134.
189
„Man setzte damit auf vermittlungstheologisch denkende Theologen wie Gropper und Bucer, die bereit
waren, auf dem Hintergrund einer humanistischen Reformtheologie Abstand zu nehmen von festen
vorgegebenen Denkformen“ (zur Mühlen 1993:665). Bucer berichtet: „Den herren von Granvella belangen hat
sichs alßo zutragen, das er durch ein colnischen gelerten und rath, doctor Johann Gropper (…), und dann auch
durch k. mt. Secretari, den er bei sich hat, (…) hatt dinstag jungst vergangen [Dez. 14] an mich mit höchstem
ernst gesinnen lassen, das ich sampt D. Capito mich solte in ein vertrawt gesprech von streitigen articuln unser h.
Religion, wie si zu gleichem verstandt beracht [so] werden mochten, mit jetz gemeldtem colnischen doctor und
k. mt. Secretari in höchster geheim einzulassen und weg der vergleichung suchen zu helffen ...“ (Lenz, Bd. 1,
274, Nr. 101; vgl. auch 269, Nr. 98). Vor dem Beginn der geheimen Gespräche hatte Bucer die Gelegenheit, etwa
eine Stunde mit Granvelle zu sprechen (Lenz, Bd. 1, 275, Nr. 101). Seine Erwiderung auf das Anwerben des
kaiserlichen Orators enthielt im Kern die Feststellung, dass die Protestanten „... an hauptstucken der religion
nichts wusten zu begeben …“, aber „...dieselbigen wesentlichen stucken … verkleren ...“ wollten, so dass die
Übereinstimmung der evangelischen Lehre mit der Bibel und den Lehren der Kirchenväter deutlich würde. In
den Stücken, die „... zur christlichen religion nicht wesentlich gehören ...“ und bei den Kirchengütern sei man
zum Entgegenkommen bereit (Lenz, Bd. 1, 275f, Nr. 101). Ortmann (2003:135) fasst zusammen: „Aus dieser
kurzen Gesprächsnotiz Bucers geht trotz aller vagen Angaben hervor, daß er gegenüber Granvella im Grundsatz
62
drohenden Kriegsgefahr, einer Zerklüftung der Protestanten, getrieben von der Vision dem
„regnum Christi“ in ganz Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen, ließ sich BUCER auf
dieses gefährliche Unternehmen ein.190 Innerhalb von nur zwei Wochen entstand das
„Wormser Buch“ (BDS 9/1, 339-483), an dem an erster Stelle Johannes Gropper, daneben
auch CAPITO und der Kanzlersekretär Gerhard Veltwijck beteiligt waren (vgl. Lenz, Bd. 1,
287-292). 23 Artikel dokumentieren die erreichte „Vergleichung“; der Einfluss GROPPERS ist
unübersehbar, lassen sich doch viele Aussagen mehr oder weniger direkt auf sein Enchiridion
zurückführen.191 In gleichem Maße lässt sich BUCERS Anteil an den protestantischen
Ausführungen im „Wormser Buch“ feststellen (eine genaue Analyse bietet Ortmann
2001:191-225). Drei Beobachtungen zum Inhalt soll nun an dieser Stelle nachgegangen
werden:
a) Trotz der erzielten „Übereinkunft“ war es nicht ohne Weiteres möglich, in den Fragen
der praktischen Ekklesiologie (u. a. Stille Messen, Heiligenverehrung und jährliche
Beichtpflicht) einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die unterschiedlichen Positionen
blieben in ihrer Unvereinbarkeit zunächst stehen, in der Hoffnung bei anderer Gelegenheit
eine Annäherung zu erreichen. Ortmann (2003:137) urteilt: „In diesen Fragen ließ sich der
Konflikt nicht so einfach wie in den Lehraussagen durch geschickte Formulierungen
überdecken. Als Kompromiß konnte nur pragmatisch der jeweilige Status quo sanktioniert
werden.“ Mit anderen Worten: Die ekklesiologische Praxis offenbarte unbestreitbare
Differenzen, die nicht mithilfe formelhafter Wendungen retuschiert oder zumindest relativiert
werden konnten.192
b) Zentral ist BUCERS Anliegen, eine „Vergleichung“ zu erreichen, d. h. der altgläubigen
Seite die protestantische Lehre so darzulegen, dass sie verstanden und angenommen werden
die Position vertrat, auf die sich die protestantischen Stände in Schmalkalden geeinigt hatten [vgl. zu der
Unterteilung in unaufgebbare und verhandelbare Stücke WABr IX, 19-35, Nr. 3436].“ Die Bereitschaft, die
unaufgebbaren Artikel „verkleren“ zu wollen, entsprach zwar nicht den Schmalkaldischen Beschlüssen, konnte
aber auf Zustimmung durch Melanchthon bauen (vgl. Lenz, Bd. 1, 141, Nr. 51).
190
Dem Straßburger Pfarrer war sehr wohl bewusst, worauf er sich einließ, weshalb er die Angelegenheit
zunächst mit seinem Stettmeister Jakob Sturm und dem hessischen Landgraf besprach (Lenz, Bd. 1, 274, Nr.
101; vgl. zur Einschätzung der Lage durch Sturm Lenz, Bd. 1, 517f). Gewissensbisse stellten sich während den
laufenden Verhandlungen ein, „das wir mit disem gesprech nit dem teuffel dieneten, da wir meinten Christo zu
dienen“ (Lenz, Bd. 1, 278, Nr. 101) und die Beurteilung von Granvelles Rolle in dem Ganzen ließ nicht an
Nüchternheit fehlen: „So fil ich hab vermercken mogen, so deuchte mich dieser mann, ob er wol nach unser
religion nit ist, das er doch auch kein päpstler oder verteidiger der missbreuchen seie, sonder gern zu einer
reformation helfen wolte, auch sehe, wie nutzlich und eerlich diß dem keiser sein wurde (…) doch mochte sein,
er sehe in dem meer uff seins herren dann Christi reich“ (Lenz, Bd. 1, 291, Nr. 106; Hervorhebung von mir).
191
Die Frage inwiefern eine schriftliche Vorlage vorhanden war - zumeist wird auf die „Artikell“ Groppers
verwiesen - wird kontrovers diskutiert; vgl. nur zur Mühlen 1993:665 u. Ortmann 2001:186-190 (freie
Verhandlung).
192
So erscheint eine Aussage, wie: „... Der lere halben, sacramenten und christlicher freiheit, wirdt man unß in
alleweg so bleiben lassen, das wir nichts zu klagen hetten“ (Lenz, Bd. 1, 288, Nr. 106; vgl. auch Lenz, Bd.1,
290) doch reichlich optimistisch von Bucers Seite aus. Allerdings wusste er auch um die Schwachstellen des
„Wormser Buches“, wie aus seinen Randbemerkungen zu dem dt. Exemplar hervorgeht, das Philipp von Hessen
zur Lektüre erhielt (BDS 9/1, 326.331f; vgl. auch Lenz, Bd. 1, 288-291; 535f).
63
kann, um der Reformation damit den Weg zu ebnen. Die CA sollte nun nicht durch das
Wormser Projekt ersetzt werden, und doch galt es zunächst die Gemeinsamkeiten
festzuhalten, um von dieser Verhandlungsbasis aus gemeinsam die Reformation der einen
Kirche aufgrund von Schrift und Väterlehre umzusetzen: „Sust [So; Götze 1967:213]
erkennen sie wol, das schrifft und vetter dies reformation fordren; erbieten sich auch, diß
getrewlich zu leren, damit dann mit der zeit die wirklich reformation auch konde erlanget
werden“ (Lenz, Bd. 1, 288, Nr. 106).193 Im Hintergrund von BUCERS Vorstellungen stehen
neben realpolitischen und theologischen auch seelsorgerische Ambitionen: Der Straßburger
war bereit, der Gegenseite fast bis zur Selbstaufgabe entgegenzukommen, immer nach dem
Leitmotto aus 1. Kor 9, 22 allen alles zu werden, um nur einige zu gewinnen. 194 Man könnte
u. U. von einem niedrigschwelligen Ansatz aus seelsorgerischen Motiven heraus sprechen,
betrachtet man die Vorgehensweise BUCERS. Ausgenommen der letzten Artikel, die
kontroverse Punkte festhielten, erklärte sich BUCER mit allen anderen Ausführungen über
Bibel, Tradition und kirchliches Amt, Erbsünde, Rechtfertigung und fromme Werke, Kirche,
Sakramente und Zeremonien einverstanden. „[O]bwohl diese Darlegungen, zumindest in ihrer
sprachlichen Form, den Altgläubigen weit entgegenkamen“ (Greschat 2009:202).
c) Besonders greifbar wird dies im Hinblick auf die Verständigung über die
Rechtfertigungslehre, die für BUCER im Wormser Geheimgespräch mit GROPPER und darüber
hinaus eine exponierte Stellung einnahm: „... Ist vilberturter schrifft in worten dermaßen
temperiret und gemeßiget worden, das den guthertzigen auf jenem teil im artikel der
justification, an dem alles gelegen, und andern haubtartikeln desto weniger anstoß entgegen
geworfen würde...“ (an den Kurfürst Joachim II. von Brandenburg; Lenz, Bd. 1, Beilage IV,
534).195 Verwunderlich ist dabei das Urteil LUTHERS - „... Darin sie recht vnd wir auch recht
haben“ (WABr IX, 407, 15f, Nr. 3616) - über den doch ambivalent verfassten Artikel (Nr. 5)
zur Rechtfertigungslehre (nachfolgend nach Ortmann 2003:139): Grundsätzlich wird das
Rechtfertigungsgeschehen ganz auf Gott hin bezogen und von dessen Gnade her aufgefasst.
Die Betonung des „sola gratia“ und weniger eines strengen „sola fide“ ermöglicht jedoch die
Lehre der doppelten Rechtfertigung, die neben dem Glauben an sich, auch die aus ihm
193
„Wir haben uach [sic!] hofnung, so durch diß rauhwerck und gemeines entwerfen nur so vil erlanget würde,
das kai. mt. sampt den stenden des reichs soliche streitige artikel wolten lassen durch hiezu taugliche, von allen
stenden geordnete gelerten und frommen leuten erörteret werden, da jeder teil seine gründ mit christlicher
bescheidenheit darthun möchte (…), das dise artikel dermaßen gemeßigt würden und getempereriret [sic!], das si
keinem waren christen anzunemen beschwerlich sein möchten“ (Lenz, Bd. 1, Beilage IV, 532).
194
Vgl. hierzu vor allem eine seiner bekanntesten Schriften „Von der wahren Seelsorge“ ( 1538): „... und sůche
sye mit solichem ernst und fleiß, das man bereit sey, alles allen zů werden, wie der liebe Paulus gethon [1 Cor
9,22] ...“ (BDS 7, 146, 2-4); vgl. auch BDS 5, 83, 18; Lenz, Bd. 1, 103, Nr. 29 u. 108, Nr. 31.
195
Greschat (2009:192) hält fest, dass für Bucer eine „echte Reform der Kirche, die diesen Namen verdiente,
nur möglich sei auf dem Boden der Bibel und der von ihr bezeugten Lehre der Rechtfertigung des Sünders allein
aufgrund des Glaubens an Jesus Christus. Diese Voraussetzungen verliehen Bucer – wie wir bereits mehrfach
beobachten konnten – die Freiheit, seinen theologischen Gegnern sehr weit entgegenzukommen.“
64
folgenden Werke gnadenhaft als von Gott gewirkt ansieht. Hiermit wird den altgläubigen
Vorstellungen, die sich auf der Basis einer katholischen Reformtheologie bewegen, indem sie
sich neu an der Bibel und AUGUSTINUS orientieren, ohne Frage weit entgegengekommen.196
Auf der anderen Seite werden die Werke doch auch dem Glauben untergeordnet im
protestantischen Sinne. Die gesamte Argumentation bewegt sich im Rahmen der durch die
Bibel vorgezeichneten Problemstellung. Ohne ein Bekenntnis zu formulieren, werden lehrhaft
theologische Sachverhalte entfaltet, mit dem Bemühen Interpretationsspielräume bewusst
offen zu halten.197 In Summe: „Der Rechtfertigungsartikel im Wormser Buch bietet somit
nicht nur die Lehre von der doppelten Rechtfertigung, sondern auch gleich eine doppelte
Rechtfertigungslehre“ (Ortmann 2003:140). Durch diese Offenheit und damit gegebene
gegenseitige Anerkennung war für BUCER ein wichtiger Aspekt der „Vergleichung“ erreicht.
Zunächst
einmal
zufriedenstellend
erschien
ihm
die
strenge
Rückbindung
des
Rechtfertigungsgeschehens an Gott im Rahmen seiner Vorstellung von der „Allwirksamkeit
196
Gropper lehrt zwar im „Enchiridion“ von 1538 noch keine doppelte Gerechtigkeit, „wohl aber einen
doppelten Aspekt der einen, auf die Gerechtmachung zielenden Rechtfertigung. (…) Die erste Rechtfertigung
bedeutet Vergebung der Sünden und Eingießung der inneren Gerechtigkeit, die zweite Rechtfertigung zielt
dagegen auf die Bewährung der inneren Gnadenerneuerung in der Gerechtigkeit der Werke“ (zur Mühlen
1993:666; vgl. auch McGrath 1998:244-248, der auf das Stupperiche’ Missverständnis hinweist, Gropper stricto
sensu eine Lehre von der doppelten Gerechtigkeit im Sinne einer - formal - doppelten Ursache für das
Rechtfertigungsgeschehen zu unterstellen. Eine saubere Differenzierung der scholastischen Terminologie, auf die
Gropper zurückgreift – iustitia inhaerens ver. iustitia acquisita – schafft hier Abhilfe; :245). Vergleichbares zu
Groppers Ausführungen bietet Bucer schon im Vorfeld zu den Wormser Verhandlungen: Im Codex Musculus, der
in Form eines Ergebnis-, nicht eines Verlaufsprotokolls, die Diskussion über den Text Mt 19,17 - die Frage des
reichen Jünglings nach dem, was er zu seiner Seligkeit tun müsse – festhält, wird verlautbart: „Bucer berührte
aber wahrhaft den Skopus der Stelle, eine Tatsache, der auch von den übrigen [s. o. S. 62, Anm. 186] zugestimmt
wurde, nämlich daß in dieser Aussage Christi darauf zu achten sei, zu welcher Gelegenheit und zu wem sie
gesagt sei. Etwas anderes antworte Christus Nikodemus und etwas anderes den Leuten von Kapernaum Joh
6[,16ff] als diesem Jüngling, der meinte, er habe schon alle Gebote bewahrt.“ Weitere Stellen wurden von Bucer
angefügt, wie Phil 2,12: „Schaffet, daß ihr selig werdet mit Furcht und Zittern“, oder auch der Zusammenhang
von Gen 22,16ff, in dem Gott Abraham zusagt: „Weil du mich geehrt hast, deshalb segne ich dich. So, sagt er,
scheint die Schrift die Werke des neuen Lebens in irgendeiner Weise zur Ursache des Heils zu machen. Deshalb
sei zuzugestehen, daß Gott uns als Mitarbeiter gebraucht, um jenes neue Leben und unser Heil zu vollenden“
(vgl. Neuser 1974:135, 3-12; Übers. nach zur Mühlen 1993:663). Zur Mühlen (1993:663) urteilt hierauf: „Bucer
versteht also die Werke als lebendigen Ausdruck des in der Rechtfertigung dem Christen neu geschenkten Leben.
Doch ist nicht deutlich, jedenfalls in dieser von Musculus berichteten Aussage, ob Bucer die Werke nur als eine
Folge dieses Lebens versteht, oder – wie er sagt – in irgendeiner Weise als Mitursache des Heils.“
197
Vgl. zur Diskussion, ob und inwiefern durch die reichlich verwandte scholastische Terminologie und
Vorstellungswelt das protestantische „sola fide“ letztlich relativiert wird, Lexutt 1996:192-215 (Der Autorin
zufolge wird der Artikel „weder der einen noch der anderen Seite in ihrem ursprünglichen Anliegen gerecht ...“,
insbesondere die Darstellung der secunda iustificatio ex operibus sei „... eo ipso nicht mit der reformatorischen
Position zu vereinbaren“ (:215)) u. Ortmann 2001:205-209. Zur Mühlen (1993:667; vgl. auch McGrath
1998:221f) stellt nach seiner Skizzierung der Rechtfertigungslehre im „Wormser Buch“ („deutlich im Zeichen
der effektiven Gerechtmachung“; [w]ie im Enchiridion …, so ergänzt auch hier das Verdienst Christi imputativ
das, was den Werken der effektiven Gerechtigkeit an Vollkommenheit fehlt“) die entscheidende Frage, ob für
Bucer „die Heiligung als ein lebendiger Ausdruck der Rechtfertigung oder – mit dem „Wormser Buch“ – als
‚iustificatio secunda‘, als eine die Rechtfertigung ergänzende Größe zu verstehen sei.“ Er urteilt in aller Kürze:
„Doch dürfte zwischen Bucer und Gropper diese Frage durch das Wormser Buch noch nicht entschieden worden
sein und Bucer eher geneigt gewesen sein, die reformatorische Position einer aus der Rechtfertigung folgenden
Heiligung zu vertreten.“; McGrath (1998:222) ergänzt: „The most adequate answer to this question appaers to be
that Bucer did not intend his doctrine of justification to be an eirenicon, as did Gropper and Phigius (…), but
rather intended to forge a secure theological link between the totally gratuitous justification of the sinner and the
moral obligations which this subsequently placed upon him.“
65
Gottes“ (vgl. Lang 1972:94-132; 290-292; 338).198 Gottes Souveränität war damit gewahrt,
und im Verlauf der weiteren Gespräche wäre es nun darum gegangen, die protestantische
Position
weiter
herauszustellen,
insbesondere
im
Hinblick
auf
die
praktischen
Herausforderungen in puncto Messe. Ein zu vorschnelles Handeln barg die Gefahr „[d]as
empfindliche Gleichgewicht des Artikels … durch die Änderung einzelner Sätze und
Abschnitte nachhaltig“ zu stören (Ortmann 2003:140, Anm. 46).199
Im Blick auf die Wirkungsgeschichte ist festzuhalten: Als Gemeinschafts- und
Kompromisswerk konnte das „Wormser Buch“ zu den gegebenen Zeiten nur wenig
überzeugen. Von der Vergangenheit unbelastet, bot es theoretisch die Chance für einen
Neuanfang, praktisch erregte es großen Widerwillen sowohl bei den Alt- wie bei den
Neugläubigen.200 Die Voraussetzungen für das Religionsgespräch auf dem Reichstag in
Regensburg standen im Frühjahr 1541 daher nicht gerade günstig. BUCER sah es schlichtweg
als Gesprächsgrundlage an, die naturgemäß verbesserungswürdig sei, jedoch auch
gegebenenfalls ohne Verbesserungen für die Evangelischen akzeptabel war (Augustijn
1980:46f). Überaus deutlich tritt mit dem ganzen Unternehmen BUCERS politischer
Gestaltungswille hervor,201 gepaart mit seinem diplomatischen Geschick in theologischen
Fragen202. Die hypothetische Chance eine so mächtige Obrigkeit wie den Kaiser bzw.
GRANVELLE203 für die reformatorischen Anliegen gewinnen zu können, schien ihm in jeder
Hinsicht als förderlich für die „neue Sache“ und durfte daher nicht vertan werden. Ortmann
198
Friedrich (2002:183) fragt zu Recht: „Warum konnte Bucer diese Vergleichsartikel unterzeichnen?“ Neben
dem schon erwähnten, zumindest implizit vorhanden „sola fide“ und dem Rekurs auf Gottes Souveränität, war es
vor allem noch die Ausschließung einer einseitigen Heilssicherung, wurde doch auf die Umsetzung der von Gott
zu Teil gewordenen Gnade ins tägliche Leben großen Wert gelegt (Friedrich sieht hier den theologischen
Grundsatz Bucers aufleuchten, die Kombination von erasmischen Humanismus und reformatorischen
Gedankengut). Schließlich zeigten sich schon Ansätze, die „iustitia imputata“ der „iustitia inhaerens“
vorzuordnen, wodurch nicht länger die „iustitia Christi“ nur eine ergänzende Funktion im Blick auf die
Unvollkommenheit der menschlichen Werkgerechtigkeit einnahm (:183).
199
Allein der bloße Umfang stand dem schon entgegen: 36 Seiten im Manuskript, im Druck in BDS 9/1 ca. 20
Seiten.
200
Den Protestanten war das Werk wegen seiner Berufung auf altkirchliche Traditionen und der
vermeintlichen Aufweichung des „sola scriptura“-Prinzipes suspekt. Außerdem stärkte die Geheimhaltung der
Autorenschaft und die Möglichkeit, dass katholische Theologen vorab Korrekturen vornehmen konnten, nicht
gerade das Vertrauen in das Projekt. Auf eine Zustimmung Luthers und generell der Wittenberger Seite war nicht
zu hoffen: „Die Evangelischen trauten dem Buch genausowenig wie seinem Mitverfasser und alleinigen
Verteidiger Bucer“ (Augustijn 1993:678). Der Reichskanzler Granvelle war mit dem Ergebnis der
Besprechungen hingegen sehr zufrieden und wollte die Schrift daher als kaiserlichen Vorschlag auf dem
Reichstag vorlegen; zu seinem taktisch geschickt eingefädelten Plan, um dies tatsächlich zu erreichen, vgl.
Gäumann 2001:471f; Greschat 2009:203.
201
„Das Geheimgespräch von Worms zeigt in ausgezeichneter Weise, wie Bucer sich als Theologe in den
Dienst der Politik zu stellen bereit war und die Politik als wichtigen Faktor der theologisch-kirchlichen
Auseinandersetzung wahrnahm und zu nutzen versuchte“ (Ortmann 2003:136).
202
Der kursächsische Kanzler Gregor Brück konnte formulieren, Bucer sei „... unter allen Theologen, die
jetzund leben, in theologischen Sachen nach der Welt Weise zu handeln, ein vortrefflicher Mensch ...“ (CR 3,
795, Nr. 1864).
203
Anzumerken bleibt, dass sich Bucer von Anfang an im Klaren darüber gewesen sein müsste, dass
Granvelles Hauptsorge der Politik und nicht religiösen Fragen galt, wich er doch jeder Stellungnahme in
theologischen Fragen aus (vgl. Lenz, Bd. 1, 276, Nr. 101: „Aber mit keinem wort wolt er [sc. Granvelle] sich in
einigen articel einlassen, wie fil anlaß ich im gab und ernste vermanung thette ...“).
66
(2003:136) urteilt zu Recht: „[G]erade Bucers naiv anmutender Versuch, Granvella auf die
Seite der Protestanten zu ziehen, unterstreicht, wie sehr ihm die religiöse Einigung am Herzen
lag.“
Auf dem Regensburger Reichstag (4. April bis 29. Juli 1541) wurde dann vom 27. April bis
zum 22. Mai über die überraschende Vorlage - das „Wormser Buch“ - diskutiert. 204 Der darin
enthaltene 5. Artikel - „de iustificatione hominis“ - musste neu formuliert werden, „weil ihm
beide Seiten in dieser Form nicht zustimmen konnten, aber auch keine Möglichkeit zu einer
sinnvollen Verbesserung sahen“ (Ortmann 2003:140, Anm. 46). Am 2. Mai kam es dann zu
einer Einigung - grob skizziert - mit einer Formel der doppelten Gerechtigkeit: Grundlegend
für das Rechtfertigungsgeschehen ist die Gerechtigkeit Christi, die im Glauben imputativ
zugesprochen wird (vgl. zur Mühlen 1979:341f). Realisiert wird diese Gerechtigkeit material
in einer inhärierenden Gerechtigkeit, ohne durch Grenzerfahrungen zu einem Mangel an
Gerechtigkeit oder zur Einschränkung an Heilsgewissheit zu führen. MELANCHTHON und
BUCER sahen in der materialen Realisierung der Gerechtigkeit Christi zum einen die Realität
des Glaubens, zum anderen die Früchte des Glaubens, der durch die Liebe wirksam ist. 205
Hingegen wurde die Formel von der katholischen Seite so aufgefasst, dass nach wie vor die
„iustitia inhaerens“, die materiale Realisation der Rechtfertigung in den Werken, maßgeblich
für das Rechtfertigungsgeschehen sei.206 Die These von der doppelten Gerechtigkeit wurde
204
Zur großen Überraschung, insbesondere Melanchthons, präsentierte Granvelle beim Auftakt der
Religionsverhandlungen nicht die CA, sondern das überarbeitete „Wormser Buch“ – zunächst versiegelt und
ohne Titel -, das eben zuvor noch dem päpstlichen Gesandten Gasparo Contarini zur Ansicht gegeben und von
jenem mit einigen Anmerkungen und Korrekturen versehen worden war (vgl. Mehlhausen 1969:190; Ortmann
2003:140f; Greschat 2009:204); zur Person Contarinis, der „vermöge seiner eigenen religiösen Entwicklung die
religiösen Antriebe Luthers besser versteht als irgendein Theologe aus dem Bereich der romanischen Völker“,
vgl. Jedin 1966b:364f (zit. nach :364); die Zusammensetzung des eigentlichen Kolloquiums als Arbeitsgremium
– neben den unvermeidlichen Theologen wie Eck und Melanchthon, wurden Julius Pflug, Johannes Gropper,
Johannes Pistorius und Bucer berufen -, zeigt, dass Karl V. tatsächlich den Ausgleich und die Verständigung
suchte (vgl. Gäumann 2001:472).
205
McGrath (1998:221) charakterisiert die Wurzeln von Bucers Rechtfertigungslehre in aller Kürze als „the
still-inchoate moralism of Zwingli being developed into a strongly Erasmian doctrine of justification.“ Er
attestiert dem Straßburger dabei die Entwicklung einer doppelten Rechtfertigungslehre – forensisch und effektiv
-, oder in Bucers eigenem Jargon: „the iustificatio impii, expounded by Bucer on the basis of St Paul, is followed
by the iustificatio pii, expounded on the basis of St James“ (:221; Hervorhebung im Original; vgl. auch Müller
1965:122, Anm. 184, der Bucers Bemühungen um den Ausgleich biblischer Antithesen skizziert und darauf
hinweist, dass jener in seinem Römerbriefkommentar auch von einer „triplex iustificatio“ sprechen kann – die
zukünftige Verherrlichung der Gläubigen kommt noch als drittes Element hinzu). Einen „ordo salutis“ nach
Bucer könnte man folgendermaßen darstellen:
praedestinatio – electio – vocatio – duplex iustificatio (die sanctificatio, die Calvin an dieser Stelle einfügen
würde, fehlt bei Bucer; vgl. McGrath 1998:224f) – glorificatio
Die Frage, ob es sich hierbei um eine logische oder chronologische Sequenz handelt, beantwortet Müller
(1965:24, Anm. 38) mit dem Hinweis, dass ein Nacheinander vorliegt, „das für seine [sc. Bucers] Art
theologischen Denkens bezeichnend ist.“ Verkürzt, wenn auch in gewisser Hinsicht zutreffend, ist die
Vorstellung, die „zweite Rechtfertigung“ bei Bucer entspricht dem, was bei Calvin u. a. später als „Heiligung“
bezeichnet wird, denn „it is still conceived in primarily moralist terms“ (McGrath 1998:221). Der springende
Punkt liegt darin, „that Bucer implicates human moral action under the aegis of justification, whereas others
(such as Melanchthon) implicated them under the aegis of regeneration or sanctification, which was understood
to be a quite distinct element in the ordo salutis“ (:222; Hervorhebung im Original).
206
Friedrich (2002:183-185) bietet einen Überblick über die Änderungen und Umdeutungen in Bezug auf Art.
67
schlussendlich aufgrund ihrer Doppeldeutigkeit von beiden Parteien, LUTHER und der Kurie,
im Nachhinein abgelehnt (zur Mühlen 1979:352-355; vgl. auch Gäumann 2001:474; Friedrich
2002:186.190).
Trotz der Annäherung in der Rechtfertigungslehre als Basis des Entgegenkommens konnte
vor allem in der Frage der Irrtumslosigkeit von Konzilien (Art. 9) und der Lehrautorität des
Papstes (Art. 19) kein Konsens erzielt werden. Auch bezüglich des Messverständnisses (Art.
14), für das der päpstliche Legat CONTARINI explizit den auf dem IV. Laterankonzil 1215
festgelegten Terminus „Transsubstantiation“ festhielt (BDS 9/1, 437, Anm. v), galt dies (vgl.
Mehlhausen 1969:191f). Dabei stand weniger das Verständnis der Realpräsenz zur Debatte,
sondern die Bedeutung der Lehrentscheidungen der Kirche auf den Konzilien des Mittelalters,
sprich die grundlegende Frage nach der Verbindlichkeit der katholischen - „allgemeinen“ Tradition, wie Hubert Jedin (1966b:365f) nachweist. Hinter dieser Speziallehre stand die
ganze Frage der kirchlichen Autorität. Es wird deutlich: Nicht etwa die Rechtfertigungslehre,
sondern grundlegende ekklesiologische Fragen waren das Kernproblem der Verhandlungen.207
Gerade anhand des Lehrstückes über das Messverständnis zeigt sich zum wiederholten
Male BUCERS Bereitschaft, bis zum Äußersten zu gehen im Sinne seiner Auffassung von
„Vergleichung“. Zwar herrschte Einigkeit unter den Protestanten, insbesondere gegenüber
Johannes Eck, das Wort „Transsubstantiation“ nicht im besagten Artikel stehen zu lassen, und
doch ist BUCERS Votum bei aller Zustimmung anders geartet, verweist er doch erneut auf
diejenigen unter den Altgläubigen, die zur Wahrheit hinneigten. Es gelte um ihretwillen, die
Chance des Reichstags zu nutzen und die eigene Lehre im Gespräch zu erklären, um die
Irrenden zu gewinnen.208 Wiederum seelsorgerisch motiviert, vollzog er eine beachtliche
5 des „Wormser Buches“, das so zum „Regensburger Buch“ wurde (die Begrifflichkeiten werden in der Literatur
nicht immer sauber getrennt).
207
„Am Verständnis der Kirche und des kirchlichen Lehramtes scheiterten also die hochgespannten
Erwartungen und ernsten Bemühungen in beiden Lagern, die Christenheit in Deutschland zusammenzuführen
und zu erneuern. Allzu einfach hatte sich Bucer die theologische und politische Ausschaltung des Papstes und
seiner Anhänger gedacht. Stattdessen begannen diese, verlorenes Gelände zurückzugewinnen“ (Greschat
2009:205). Augustijn (1980:50-53) weist auf die neuzeitliche Fehlinterpretation hin, die sekundäre Einigung im
Rechtfertigungsartikel überzubewerten und die entscheidenden Differenzen in der Sakramentenlehre und in der
Ekklesiologie zu vernachlässigen. Weiterhin betont er, dass den Gegensätzen in der kirchlichen Praxis (bspw.
Mönchsgelübde, Priesterzölibat, Anrufung der Heiligen, Kommunion „sub utraque“, Firmung, Weihe, Beichte,
letzte Ölung, Exkommunikation, Fegefeuer) in der Forschung bisher zu wenig Bedeutung zugemessen wurde.
Häufig hielt man jene handgreiflichen Unterschiede für peripher, obwohl es sich doch im 16. Jahrhundert um
zentrale Probleme gehandelt hat. Nach Mehlhausens’ (1969:195f.210) detaillierter Schilderung sind die
Teilnehmer des „Regensburger Abendmahlsgesprächs“ gar nicht erst dazu gekommen, die wesentlichen
Differenzen der kath. und reformatorischen Abendmahlsauffassung aufzudecken und einander
gegenüberzustellen: „Ähnlich wie offensichtlich noch 1551 in Trient wurde auch 1541 in Regensburg der Begriff
transsubstantiatio primär auf Grund seiner durch das Laterankonzil von 1215 gesicherten lehramtlichen Autorität
zur ‚Parteifahne des rechten Glaubens‘ [E. Schillebeeckx] erhoben, nicht aber infolge theologisch begründeter
Einsicht in seine unaustauschbare Prägnanz zur Verdeutlichung der katholischen Abendmahlsauffassung“ (:195).
Der Verdacht liegt sogar nahe, dass sich die Kolloquenten auf den von Contarini noch nicht redigierten Text von
Art. 14 des „Wormser Buches“ hätten einigen können (:196; vgl. CR 4, 275-278).
208
Nach einer lat. Mitschrift von Wolfgang Musculus: „Duplex esse genus eorum quibus nobis esse
negotium:/1. Eorum qui veritati pertinaciter adversantur/2. Eorum qui veritati faveant. (…) Deinde Caesarem, id
68
Gratwanderung, indem er einerseits ablehnte, Transsubstantiation, Aufbewahrung und
Verehrung der Hostie auf evangelischer Seite wiedereinzuführen, andererseits aber dazu bereit
war, sie auf der Gegenseite zu tolerieren (wenn auch nur auf Zeit). 209 Dulden konnte BUCER
dies nur, da er im Gegenzug Offenheit für die reformatorische Predigt und als ersten
praktischen Schritt die Abstellung offensichtlicher Missbräuche erwartete. Er blieb damit
seinem Programm treu, insbesondere in den „äußeren Dingen“ der Zeremonien usw. der
römischen Kirche entgegenzukommen, um so der protestantischen Lehre die Tür zu öffnen.
„Allerdings konnten die Gegensätze in der Lehre damit nicht wirklich beseitigt werden, und
die ‚Reformation‘ kam über eine ‚Reform‘ der Mißbräuche nicht hinaus“ (Ortmann
2003:142).210 Zudem fassten die päpstlichen Legaten die Ankündigung BUCERS ganz in ihrem
Horizont auf: Er sei willens, die Transsubstantiation zu predigen! 211 Die Gefahr
missverstanden zu werden, nahm er offensichtlich in Kauf. Dabei war ihm jedoch bewusst,
dass weitere Konzessionen gegenüber der altgläubigen Seite die innerprotestantische Einheit
vollends gefährden würde.212 Etwas verständlicher wird seine Bereitschaft, bis an die
Schmerzgrenze zu gehen - man muss annehmen, dass ihn seine Haltung in Regensburg
wirklich Überwindung gekostet hat -,213 beachtet man, dass für den Straßburger Pfarrer doch
gerade im Abendmahl die Einheit der Kirche als des einen Leibes Christi aufleuchtet. 214 Die
quod hactenus non fecerit, tandem causam nostram explicemus et adversarios instruamus. Germaniam quoque
propendere ad Evangelium, atque ideo impelli se Zelo quodam lucrandi errantes, licet sciat non esse facendum
malum ut eveniat bonum“ (zit. nach Ortmann 2003:142, Anm 54, der auf Pierre Fraenkel 1968. Les protestants et
le problème de la transsubstantiation au Colloque de Ratisbonne: Documents et arguments, du 5 au 10 mai 1541,
in: Oec. 3, 99-115, 102 zurückgreift; zur Qualität weiterer Überlieferungen vgl. Ortmann 2003:141, Anm. 52).
209
„Confiteri quidem nos magnam aliquam muttationem panis in caena … verum non posse fieri solidam
concordiam nisi adversarii transsubstantiationis vocabulam abiiciant“ (zit. nach Ortmann 2003:142, Anm. 55 –
Fraenkel 1968:103). Der Begriff der „Transsubstantiation“ müsse zwar aufgegeben werden, auch wenn man
zunächst noch der Sache nach daran festhielte: „Adhaec cognitandum ese, an non sint ferendi aversarii in ista
phantasia ita ut non impugnemur in illa si alioque iustam reformationem admitterent, et nos contrarium
sentientes non condemnarent.“ (zit. nach Ortmann 2003:142, Anm. 56 – :104).
210
Musculus bemerkt: „Hic dicturi essent Papistae, nos recte sentimus, at lutheranos pacis gratia ferimus, idem
contra dicturi essent et lutherani. Nos recte sentimus et toleramus Papistas“ (zit. nach Ortmann 2003:142, Anm.
57 – :106).
211
Im Nachhinein äußerte vor allem Granvelle seine Enttäuschung über Bucer, der doch für die römische
Kirche zurückgewonnen sei und bei den Protestanten in diesem Sinne wirke (vgl. den Auszug aus dem
Nuntiaturbericht bei Ortmann 2003:144, Anm. 63)! Diese Fehleinschätzung zeigt, wie weit Bucer letztlich
gegangen war. Im „Leipziger Reformationsentwurf“ (s. o. S. 60) konnte Bucer sogar im Zusammenhang mit Art.
2 so weit gehen und den von ihm ansonsten im Einklang mit Luther u. a. - seit der erasmischen Schrift „De
libero arbitrio“ - postulierten unfreien Willen leugnen (vgl. Friedrich 2002:164).
212
So konnte er sich auch entschuldigen, „dieweil er vernommen, daß die anderen [protestantischen]
Theologen keinen Gefallen an seiner Handlung gehabt ...“ (CR 4, 438, Nr. 2294; vgl. auch CR 39, 249, Nr. 332;
CR 4, 394, Nr. 2265). Im Kern blieb er aber seiner für das protestantische Lager zu gewagten Konkordienpolitik
in Regensburg treu, wie ein Schreiben an den Landgraf von Hessen (vom 14. Juli 1541) beweist: „Und hett ich
nach so fil unlust auff mich geladen, so rewet mich nit, das ich die sachen auff milterung gezogen, und wille
doch mit der hilff des lieben Gottes von der reine seines worts nymer weichen; und will, so ferr mir der herr das
leben gibt, das vor aller welt so bald bekennen mit einer außlage des buchs [sc. ‚Alle Handlungen und Schriften‘;
s. u. Anm. 214]“ (Lenz, Bd. 2, 27, Nr. 124).
213
Vgl. zur Diskussion über die „Wende“ Bucers in Regensburg Ortmann 2003:145, Anm. 67.
214
In seiner nach dem Reichstag herausgegebenen kommentierten Aktenedition („Alle Handlungen und
Schrifften"; 1541) heißt es zum entsprechenden Artikel: „So wir aber nůn des eins seindt, das wir im h. nachtmal,
wenn wir das nach der einsetzung des herren halten, seinen ware leib und blůt empfahen und zůgegen haben,
69
vorhergegangenen Auseinandersetzungen im Abendmahlsstreit unterstreichen diese Position
(s. o. S. 26f). Sein „Toleranzprojekt“ (Ortmann 2003:143) überzeugte immerhin GRANVELLE
und Karl V., nur CONTARINI bestand auf der kanonisierten Formulierung des Artikels.
Schlussendlich sah sich auch BUCER genötigt, mit den anderen protestantischen Theologen
eine Erklärung über das Abendmahl zu formulieren, in der neben der CA der
Abendmahlsartikel des „Wormser Buches“ ausdrücklich bestätigt wurde.
Ordnet man das Ergebnis der protestantischen Partei bei den Verhandlungen in Regensburg
bzgl. Art. 14 in einen größeren Gesamtzusammenhang ein, liegt der erkenntnistheoretische
Schluss nahe: Man fand zwar zu einer Einheit in der Negation - strikte Ablehnung der
Transsubstantiationslehre -, aber nicht in der Position - innerprotestantische Vielfalt
hinsichtlich der Abendmahlslehre. Eine extreme Sicht der Dinge wurde zwar kollektiv
ausgeschlossen, eine Übereinstimmung im Kern der Sache konnte jedoch nicht gefunden
werden.215
Der Reichstagsabschied vom 29. Juli 1541 bestand schließlich in einer
Nebeneinanderstellung der „verglichenen“ (16 von 23) und „unverglichenen“ Artikel (CR 4,
349-376; s. a. KTGQ, Bd. 3, Nr. 55 ), immerhin verbunden mit der Ermahnung an die
einzelnen Territorien, im Sinne der verglichenen Artikel mit einer Reform fortzufahren,
allerdings im Rahmen der römischen Kirche. Namentlich BUCER (und MELANCHTHON) griffen
diese Maßgabe auf, auch wenn das protestantische Lager generell über das Ergebnis der
Verhandlungen in Regensburg mehr als unzufrieden war. 216 Im Juli verfasste BUCER eine
was solle und hoch anfechten was dem brot geschehe, weil doch auch der name vnd wesen der
Transsubstantiation bei allen alten h. vaettern unerhoert und unbekant gewesen ist...“ (BDS 9/2, 296, 4-8).
215
Bucers Vorstellungen gingen hierbei bekanntlich in eine ganz andere Richtung, stand er doch bei der
Verfassung des Abendmahlsartikels für das ursprüngliche „Wormser Buch“ in Analogie zur Wittenberger
Konkordie (Kretschmar 1984:222f): „Damals war auf dem Wege der Konvergenz-Theologie die Position der
einen Seite, der Oberdeutschen, von der anderen, den Wittenbergern, anerkannt worden. Jetzt wollte man sogar
eine Konsensformel aufstellen, die aber doch Raum für die klaren Überzeugungen beider Seiten lassen mußte,
wozu von Bucer und Capito her natürlich die Wittenberger Konkordie gehörte. (…) Zugespitzt wird man also
sagen können, Artikel 14 von Worms war der Versuch, nicht primär von der Confessio Augustana, sondern von
der Wittenberger Konkordie aus einen tragfähigen Ausgleich zwischen den ‚Altgläubigen‘ und ‚Protestanten‘ zu
finden.“
216
Ebenso wie im ersten Abendmahlsstreit in Form der Wittenberger Konkordie war hinsichtlich der
Religionsgespräche mit den Regensburger Verhandlungen nun auf offizieller Ebene ein weiterer Endpunkt
erreicht: Das Ergebnis des Reichstags war nichts anderes als eine tiefe Enttäuschung für Bucer, der sein
Hauptziel einer Konkordie und Reformation der Kirche oder zumindest den Anfang hiervon, nicht erreicht hatte.
Im Gegenteil, die Spaltung Deutschlands war noch stärker zu vernehmen, und seine Konkordienpolitik hatte
sogar die Einheit der Protestanten eher gefährdet als gefördert. Trotz all dem kam es nicht zu einer Änderung
seiner Zielsetzungen und Strategie. Eindrücklich konnte Bucer sodann vor allem Philipp von Hessen mahnen,
alles daranzusetzen, dass die Religionsgespräche keine Episode bleiben, sondern sich als weiterhin politisch
maßgebend für das Deutsche Reich erweisen: „Weil uns aber der liebe Gott so viel Gnade zugewandt hat, daß
wir seine Protestierenden genannt werden, so haben unsere Obrigkeiten und wir alle das Recht und die Pflicht,
daß wir uns in dieser Angelegenheit wie eine Mauer vor das Haus Gottes stellen und nicht nachlassen, bis den
Kirchen geholfen wird: was wir auf dem künftigen Reichstag, wenn wir nur recht christlich darauf dringen
wollten, wohl erreichen könnten. Denn gegen die Türken werden wir nichts ausrichten und unter uns selbst keine
echten Frieden haben, solange wir in den Mißverständnissen über die Religion und dadurch unter dem
schwersten Zorn Gottes bleiben“ (Lenz, Bd. 2, 37, Nr. 129; zit. nach Greschat 2009:206).
70
Denkschrift für Karl V. mit Vorschlägen zur Bewältigung des kirchlichen Verfalles bzw. zu
einer weiterführenden kirchlichen Reform.217 Drei Propagandaschriften folgten im Jahr 1545,
die an Schärfe im Ton zunahmen, stand doch das herannahende Trienter Konzil immer mehr
vor Augen (vgl. Gäumann 2001:480, Anm. 166). Was BUCER nun konkret unter einer - wie
Karl V. vorgeschlagenen - „Reform“ verstand und mit welchen Widerständen er dabei zu
kämpfen hatte, lässt sich anschaulich durch seine Teilnahme an der sog. „Kölner
Reformation“ zeigen.
2.2.2.3 Kölner Reformationsversuch (1543-1546)
Unter der Regie des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied 218 hatte es bereits 1536-1538
einen Reformversuch mithilfe seines Beraters Johannes Gropper gegeben, der allerdings
wegen des Widerstandes des Herzogs von Jülich-Kleve-Berg gescheitert war. Nach dem
Regensburger Reichstag unternahm er einen zweiten Anlauf, indem er BUCER - dieser war ihm
durch das Hagenauer Religionsgespräch kein Unbekannter219 - im Februar 1542 auf sein
Jagdschloss Buschoven bei Bonn einlud (ausführlich bei Strohm 2002b:126, Anm. 12), um
dort einen Plan für die kirchlichen Reformen in seinem eigenen Territorium zu entwickeln.
217
Diese kurze, prägnante Schrift trug den Titel „Abusuum ecclesiasticorum (…) indicatio“ (BDS 9/2, 31-56)
und wurde stark beachtet, so erlebte sie immerhin im Sommer 1541 drei Nachdrucke. In Form einer kurzen,
nüchternen Aufzählung werden im Rückgriff auf die wichtigsten altkirchlichen Konzilsbeschlüsse zentrale
Themen, wie die Priesterwahl, die Position des Bischofs usw. behandelt (vgl. Augustijn 1993:678f; Gäumann
2001:475, Anm. 138 u. Strohm 2002b:124, der als Charakteristikum nachweist – alle Schriften zur sog. „Kölner
Reformation“ betreffend -, dass „Bucer sich nicht nur eingehend mit kanonischem Recht auseinandersetzt,
sondern auch in neuer Weise das Reichsrecht der jüngsten Zeit zur Verteidigung der eigenen Positionen
heranzieht.“ Eine Entwicklung, die für die Entstehung der Disziplin des öffentlichen Rechts am Ende des 16. und
Anfang des 17. Jahrhunderts insgesamt von Bedeutung ist; :124).
218
Zu Hermann von Wied, der „nicht besonders gebildet, aber … lauter, fromm und .. auch fest entschlossen
[war], seiner Verantwortung vor Gott für die Besserung der kirchlichen Zustände gerecht zu werden“ (Greschat
2009:210), sei hier nur vermerkt, wie unterschiedlich die Beurteilung seiner Person im Zusammenhang mit dem
Reformationsversuch ausfiel: Bucer sah in ihm den Kurfürsten, der erst zum Bischof im eigentlichen Sinne
wurde (vgl. Lenz, Bd. 2, 135 u. vor allem den hochinteressanten Brief aus Bucers Perspektive über den „langen
Weg“ dieses Erzbischofs, in: Pollet, Bd. 4, 85-94, Nr. 25). Ganz anders beurteilt Johannes Gropper den
Entwicklungsprozess seines Bischofs bis zur Berufung Bucers nach Köln. Ein bewegtes Schreiben an den
mächtigen Fürsprecher der Kölner am kaiserlichen Hof, Jodocus Hoetfilder, zeugt hiervon (Pollet, Bd. 4, 111118, Nr. 29), das zugleich eine Apologie des kath. Reformtheologen gegenüber dem Vorwurf ist, er habe Bucer
nach Köln geholt (vgl. de Kroon 1993:500). Jedin (1966a:355) als neuzeitlicher Interpret urteilt etwas lakonisch:
„Gibt es ein stärkeres Indiz für die theologische Ahnungslosigkeit Hermanns als diese Doppelberufung [sc.
Bucers und Groppers], die doch nur auf der Hoffnung beruhen konnte, diese beiden gemeinsam vor den Wagen
der geplanten Reform spannen zu können?“; vgl. generell August Franzen 1971. Bischof und Reformation:
Erzbischof Hermann von Wied in Köln vor der Entscheidung zwischen Reform und Reformation. (Katholisches
Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 31). 2. Aufl. Münster: Aschendorff u. immer noch
Conrad Varrentrapp 1878. Hermann von Wied und sein Reformationsversuch in Köln: Ein Beitrag zur deutschen
Reformationsgeschichte. Leipzig: Duncker & Humblot.
219
De Kroon (1993:501) kommt zu dem Schluss: „Nicht eine zufällige Koinzidenz historischer Umstände, so
meinen wir, veranlaßte den Bischof von Köln, für seinen Reformationsversuch an den Straßburger Reformator
zu appellieren. Hier gab es tiefere Gründe.“ Gemeint sind das „maßvolle Wesen“ (so sogar Gropper in einem
Verteidigungsschreiben!) und der Ansatz nur - gemäß der verglichenen Artikel des „Regensburger Buches“ - eine
Reformation, die die „substantia religionis nostrae et ecclesiasticae administrationis“ (Pollet, Bd. 3, 143) betrifft,
anzugehen (:501).
71
Dem Straßburger war durchaus bewusst, welche Bedeutung dieses, wenn auch auf den ersten
Blick bescheidene Bistum für die Reformation in ganz Deutschland haben könnte. 220 „Das
kleine Erzstift am Niederrhein spielte in religiös-politischer Hinsicht tatsächlich eine
Schlüsselrolle“ (de Kroon 1993:494).221
Allerdings waren die Möglichkeiten des Erzbischofs, diese Rolle wahrzunehmen, erheblich
eingeschränkt. Außenpolitisch wie auch innenpolitisch eingeengt,222 waren die vehementen
Auseinandersetzungen mit den Gegnern des Reformationsversuches vorprogrammiert.
Exemplarisch sei nur auf die Äußerungen des Kölner Sekretärs, der im Auftrag des Klerus
und der Universität dieser Stadt ein ausführliches und emotional aufgeladenes Gutachten für
den kaiserlichen Rat Antoine Granvelle (sein Vater Nicolas vermittelte bei den Wormser und
Regensburger Verhandlungen, an denen der Sohn auch teilnahm) erstellte, hingewiesen. Der
Bericht von Anfang Dezember 1544 endet mit folgender eindringlichen Beschwörung:
„Ich flehe Sie an, für diese Angelegenheit, die nicht nur uns persönlich betrifft, sondern die
ganze Kirche, nach wie vor zusammen mit uns beim Kaiser klug und umsichtig zu
kämpfen. Seien sie festens davon überzeugt, daß der Rest von Deutschland (residua
Germaniae) nicht in dem Glauben und der Religion bewahrt und erhalten werden kann,
wenn unserem Erzbischof zugestanden wird, mit seinen Wahnsinnsplänen
weiterzumachen“ (Pollet, Bd. 4, 108, 286-292, Nr. 28).223
220
Bucer schrieb an den Landgraf Philipp von Hessen (ca. 10. Juni 1543) - paraphrasiert: „Sie können wohl
ermessen, wieviel der ganzen deutschen Nation an einer guten Reformation in diesem Kurfürstentum gelegen
kann sein“ (Lenz, Bd. 2, 151, Nr. 168). In einer etwas allzu optimistischen Aufzählung – angesichts des
kaiserlichen Vorgehens gegen den Herzog von Kleve kurz zuvor - des geballten religiös-politischen Potentials
der protestierenden Stände, schließt der Straßburger: „Sachsen, Brandenburg, Braunschweig, Bayern stehen auf
unserer Seite. Dazu kommt, daß man in den beiden Linien der Pfalzgrafen die Predigt und Sakramentsbedienung
wie auch die Priesterehe zuläßt. So gehören nun auch Köln und Münster, was die Majorität betrifft, ganz zu uns.
(…) So fiel die stimmen belanget“ (Lenz, Bd. 2, 171, Nr. 174).
221
Bucer und seinen Kölner Gegnern stand vor Augen: Gelingt der Durchbruch der Reformation im Erzstift,
ist eine Änderung der religiös-politischen Verhältnisse in ganz Deutschland nicht mehr weit (nachfolgend nach
Greschat 2009:208). Zwar bestand der weltliche Besitz des Kölner Kurfürsten nur aus einem schmalen Streifen
am linken Rheinufer (70 km in der Länge, ca. 10 km in der Breite) - von allen Seiten wurde er durch das Gebiet
des politisch viel mächtigeren Herzogs von Kleve umklammert -, das Bistum selbst war allerdings sehr
umfangreich. Der Kölner Bischof war sogar Administrator von Paderborn. Seine Diözese umfasste die
Archidiakonate Bonn, Köln, Xanten und Soest. Die Bistümer Lüttich, Utrecht, Münster, Osnabrück und Minden
waren sog. - „untergeordnete“ - Suffraganbistümer. Dabei war Franz von Waldeck, der Bischof von Münster
(und zugleich Administrator von Osnabrück und Minden), im Begriff, die luth. Reformation in seinen Territorien
einzuführen. Der Einfluss des Kölner Erzbischofs reichte darüber hinaus bis zum Bischof von Würzburg, der
beschuldigt wurde, mit dem Kölner gemeinsame Sache zu machen. Er erstreckte sich ebenso bis zum
Straßburger Bischof, Erasmus von Limburg, den Hermann von Wied ebenfalls drängte, die Reformation in
seinem Territorium durchzuführen. De Kroon (1993:495; im Rückgriff auf L. von Ranke’s „Deutsche Geschichte
im Zeitalter der Reformation“) stellt in den Raum: „Wenn wir dem Gesandten aus Florenz am kaiserlichen Hof
glauben dürfen, blickten sogar Aachen und Löwen – nicht die Universität! Diese hat immer mit der Kölner
Hochschule den alten Glauben kräftig in Schutz genommen – in Richtung Köln, gespannt, wie Hermanns
Reformationsversuch ausgehen würde. Die Lage des Kölner Erzstiftes war für Karl V. von eminent strategischer
Bedeutung in Hinblick auf die Habsburger Niederlande.“
222
Für jede wichtige Entscheidung musste jener die Zustimmung des Landtags einholen, in dem das Kölner
Domkapitel, das unter anderem mit acht Professoren der strikt altgläubigen Kölner Universität besetzt war,
großen Einfluss besaß. Die übliche Rivalität zwischen Domkapitel und Bischof, die auch anderswo anzutreffen
war, hatte in Köln durch die enge Verknüpfung des Domkapitels mit der Universität und dem Rat der Stadt noch
eine andere Qualität (eine äußerst aufschlussreiche, protokollarische Auflistung dieses Kölner „Klüngels“
anhand der Register der Theologischen Fakultät aus den Jahren 1541-1543 bietet de Kroon 1993:496-498).
223
Einige Monate (23. April 1545) später kann der Adressat, Antoine Granvelle, beinahe beiläufig erwähnen:
72
BUCER lebte nun von Dezember 1542 bis August 1543 in Bonn - dem neuen Zentrum nach
der Umsiedlung der Kanzlei aus Brühl - und versuchte zunächst durch seine Predigttätigkeit
die „Wahnsinnspläne“ des Erzbischofs voranzutreiben (vgl. Greschat 2009:212). Nachdem
Anfang Mai 1543 auf seine Bitte auch MELANCHTHON für drei Monate nach Bonn kam und
Ende Juni auch HEDIO, verfasste der Straßburger Reformator, am Schluss von beiden
unterstützt, im Frühjahr und Sommer 1543 ein Gutachten namens „Einfaltigen Bedencken“
(BDS 11/1, 147-432)224. Diese umfassende225 Reform- und Kirchenordnung für das Erzbistum
Köln griff auf die Reformvorstellungen Hermann von Wieds zurück, der eine „recht
einfaltige, ware, ongeferbte reformation“ (so BUCER an Philipp von Hessen; Lenz, Bd. 2, 115,
Nr. 151) suchte. Dabei verfolgte er vor allem drei Ziele: 1. ein Rückgriff auf das Wesentliche,
wie es durch das Zeugnis der Heiligen Schrift zum Ausdruck kommt, 2. eine gründliche
Reinigung des Zeremonialwesens und der Lebensführung der Geistlichen - Hermann sah den
Dienst an Gott als „verdreckt“ an (defaecatus cultus; vgl. Pollet, Bd. 1, 104), 3. wollte der
Erzbischof eine konservative Reformation, schrittweise mit Beibehaltung kirchlicher
Strukturen und Institutionen so weit wie möglich, ganz nach der kaiserlichen Weisung, in der
eigens für die Protestanten hinzugefügten „Declaratio“ vom 28. Juli 1541 (vgl. CR 4, 624, Nr.
2352).
Hiermit ist der zentrale Punkt zum Verständnis der „Kölner Reformation“ angeschnitten,
Hermanns Überzeugung nichts anderes zu tun, als dem Regensburger Abschied Folge zu
leisten.226 „Aufgrund der Regensburger articuli conciliati hat er in seiner Kirchenordnung,
dem ‚Einfaltigen Bedencken‘, die articuli non-conciliati im Sinne der Hl. Schrift und der
alten Kanones, wie er meinte, ausgelegt“ (de Kroon 1993:502; Hervorhebung im Original).
Die unverglichenen Artikel - „articuli non-conciliati“ - in Regensburg betrafen vor allem
Fragen der kirchlichen Glaubenspraxis und der kirchlichen Strukturen, sprich das
„Ihr sollt wissen, daß wir viel mehr unternehmen, als wir euch schreiben können“ (Pollet, Bd. 4, 123, 14f, Nr.
32). De Kroon (1993:495) sieht in dieser Notiz auf der Grundlage von Jacques Pollets Recherchen den Hinweis,
dass „die kaiserliche Diplomatie während Hermanns Reformationsversuch, parallel zu den offiziellen
Verhandlungen und Statements, eine rege, geheime Aktivität entfaltet hat“ (:495).
224
Vgl. auch Hermann von Wied [1972]. Einfältiges Bedenken: Reformationsentwurf für das Erzstift Köln von
1543. Übers. u. hg. von Helmut Gerhards und Wilfrid Borth. (SVRKG 43). Düsseldorf: Presseverband der
evangelischen Kirche im Rheinland.
225
Greschat (2009:217) skizziert den keineswegs knappen und präzisen Entwurf: „Auf mehr als 300 Seiten
bieten die beiden Autoren dem Leser in 60 Kapiteln eine eigenartige Mischung aus theologischen Grundsätzen
und erbaulichen Besinnungen, kirchenrechtlichen Bestimmungen und agendarischen Anleitungen. Einmal mehr
belegt dieses Werk, dass es Bucer nicht einfach um die Darlegung und Entfaltung der richtigen dogmatischen
Grundsätze zu tun war [s. o. S. 13, Anm. 11] (…). Weil Bucer von der Teilhabe der Gemeinde wie auch des
einzelnen an Christus ausging und dem Reichtum des neuen Lebens und Denkens daraus, wehrte er sich gegen
eine Einschnürung der Lehre in eine enge Norm.“
226
„Dazu haben wir … allen geistlichen Prälaten aufgelegt und befohlen … unter ihnen und den Jhren, so
ihnen unterworfen seynd, eine christliche Ordnung und Reformation vorzunehmen und aufzurichten“
(„Declaratio“; CR 4, 628, Nr. 2353).
73
Zeremonien- und äußere Kirchenwesen.227 Gerade diese Bereiche erfahren im „Einfaltigen
Bedencken“ eine ausführliche Behandlung, ist die Reformschrift doch gegliedert in die drei
Abschnitte Lehre, Zeremonien und Reform des äußeren Kirchenwesens (vgl. Köhn 1966:72).
BUCER kommt nun seiner Aufgabe als praktischer Theologe nach, tragen doch der zweite und
der dritte Teil des Buches deutlich seine Handschrift, während MELANCHTHON als Verfasser
des ersten Teiles (die Lehre) in Erscheinung tritt - ohne eine exakte Zuordnung en détail
behaupten zu wollen (:67-69).228
Einer Klärung bedürftig ist bis heute die wechselvolle Beziehung BUCERS zu Johannes
Gropper, seinem freundlichen Gegenüber bei den Wormser Geheimverhandlungen, der im
Rahmen der Kölner Ereignisse zu einem erbitterten Gegner wurde (vgl. die Skizze beider
Hauptkontrahenten in: Pollet, Bd. 3, 161-177; s. auch Greschat 2009:211).229 Überhaupt
wurde
der
Reformationsversuch
von
scharfen Auseinandersetzungen,
insbesondere
publizistischer Art, überschattet.230 Zum ersten Mal kamen in den Kämpfen um die Kölner
Reformation die neuen Waffen, die dem Buchdruck zu verdanken waren - man hat ca. 140
Schriften, wie Flugschriften, Bücher und andere Texte im betreffenden Zeitraum gezählt -, auf
beiden Seiten zur Anwendung. Auf altgläubiger Seite nutzte man zum ersten Mal die von
LUTHER und anderen Reformatoren schon seit längerem umfassend eingesetzten neuen
227
Die beiden letzten Artikel des „Regensburger Buches“ (disciplina cleri et populi) sind vor Ort kaum noch
diskutiert worden (Augustijn 1967:96).
228
Den theologischen Grundzügen des „Bedenckens“ soll an dieser Stelle nicht nachgegangen werden, der
vorliegende Abschnitt (2.2.2.3) dient eher der Illustration eines Reformations- und Verständigungsversuches auf
dem Weg von der Theorie zur Praxis. Melanchthon, so viel soll hier angemerkt werden, legte Luther nach seiner
Rückkehr aus Bonn einen mündlichen Bericht vor, den jener zunächst positiv auffasste (vgl. WABr X, 316-318,
Nr. 3876). Noch bis Juni 1544 hatte der Wittenberger Reformator jedoch den Text des „Einfaltigen Bedencken“
nicht gelesen und der mündlichen Fassung Melanchthons vertraut (WABr X, 600, Nr. 4007); vgl. Diestelmann
1996:87-97, bes. 92f u. generell Scheible 1993.
229
Stupperich (1950:115) charakterisiert Gropper folgendermaßen: „Meinte er zuweilen selbst, er sei ‚keyn
theologus und der sachen nicht genug verständig‘, so entfaltete er andererseits, wie es bei Autodidakten häufig
ist, ein nicht geringes Selbstbewußtsein und bereitete damit seinen Partnern recht große Schwierigkeiten.“; vgl. :
122-128 u. Walter Lipgens 1951. Kardinal Johannes Gropper 1503-1559 und die Anfänge der Katholischen
Reform in Deutschland. (RST 75). Münster: Aschendorff, bes. 132-136.
230
Strohm (2002b:127) führt aus: Ein erstes greifbares Beispiel hierfür ist ein verschollenes Libell (Klageoder Schmähschrift), das in Köln öffentlich angeschlagen wurde und den Erzbischof sowie Bucer gottloser
Neuerungen beschuldigte. Anfang Februar 1543 folgte eine Schrift des Kölner Domkapitels mit dem Titel
„Sentenia delectorum per venerabile Capitulum ecclesiae Coloniensis, de vocatine Martini Buceri“ (BDS 11/1,
437-446). Bucers Berufung wird darin als unrechtmäßig, sein Lebenswandel als unmoralisch und seine Lehre als
häretisch verurteilt. Bucers Erwiderungen ließen nicht lange auf sich warten, eine erste, „Was im Namen des
heiligen Evangeli“ (BDS 11/1, 29-131), folgte im Frühjahr 1543, eine zweite im Sommer mit dem Titel „Die
ander verteydigung vnd erklerung der Christlichen Lehr in etlichen fürnemen haupstucken (…), Bonn 1543“ als
Reaktion auf eine weitere scharf polemische Schrift, die inzwischen erschienen war. Der Provinzial der
Niederdeutschen Ordensprovinz der Karmeliten, Eberhard Billick verfasste das „Iudicium“ (immerhin 5 Aufl.),
das allerdings so polemisch und undifferenziert daherkam, dass sich sogar das Kölner Domkapitel davon
distanzierte. De Kroon (1993:502-504) hat nachgewiesen, dass sich dieser altgläubige, publizistische Angriff vor
allem auf zwei Schriften Bucers bezieht, die im Vorfeld (Juli 1541) des Reformationsversuches entstanden sind
und als praktisch-theologische „Brücke zwischen Regensburg und Köln“ (:501) bezeichnet werden können:
„Abusuum Ecclesiasticorum“ (s. o. S. 71, Anm. 217) und „Responsum Protestantium de reformandis Abusibus
Ecclesiasticis“. Die Schärfe der Argumentation der altgläubigen Partei hat hier ihre Wurzeln, so „lesen die
Delecti des Kapitels in Bucers ‚Abusuum‘, der Straßburger wolle die Immunität ihres Standes brechen, geistlich
und finanziell“ (:504).
74
Medien konsequent (vgl. Strohm 2002b:128). Taktisch äußerst geschickt war das Redeverbot,
das man BUCER für die gesamte Zeitspanne erteilte, ließen sich doch weder das Domkapitel
noch die Theologische Fakultät auf eine öffentliche Disputation mit ihm ein. Seine
„hervorragende Fähigkeit schnell zu formulieren und dialektisch gewandt zu argumentieren,
war dadurch außer Kraft gesetzt“ (Greschat 2009:214). Schirrmacher (2005:122) resümiert:
„Wenn es auch für uns Heutige ungewohnt ist, dass Theologie und Kirchenpolitik in
polemischen und ad personam gerichteten Büchern entwickelt wurde, die in schneller
Folge gegeneinander geschrieben wurden, so zeigen doch schon die Titel der Werke, dass
Bucer bei aller Verteidigung seiner theologischen Position, seiner rechtlichen Position und
seiner Person, und bei aller Gereiztheit, doch letztlich – die einen sagen weltfremd, die
anderen wegweisend – bis zuletzt an die Möglichkeit glaubte, jenseits des Gegensatzes der
Altgläubigen und der Protestanten eine Reformation einer katholischen Diözese
durchführen zu können, ohne dass diese dazu offiziell evangelisch werden müsste.“
Es waren dann nicht innere oder äußere Schwierigkeiten, die das Ende brachten (vgl.
Gäumann 2001:497-500; Greschat 2009:218): Einen Abbruch fand das Kölner Reformprojekt
durch den Geldener Erbfolgekrieg von 1543.231 Karl V. hatte zuvor Philipp von Hessen wegen
seiner Doppelehe und auch Joachim von Brandenburg zum Stillhalten in dieser militärischen
Auseinandersetzung verpflichtet. Mit den hiermit einsetzenden militärischen Aktionen begann
der Umschlag von einer dem Protestantismus nahestehenden Reform zu ersten gewaltsamen
Akzenten der katholischen Gegenreformation, die dann ihren ersten Höhepunkt im
Schmalkaldener Krieg 1546/47 fand. BUCERS Bemühungen um eine Vergleichung in der
Religionsfrage mit den katholischen Gesprächspartnern traten mit dem Wechsel der
Religionspolitik nunmehr in den Hintergrund.232
In Summe: Die „Kölner Reformation“ liefert ein anschauliches Exempel für die
unbezwingbare Komplexität eines Reformationsversuches, der im Ansatz zum Scheitern
verurteilt war, und darüber hinaus für das Faktum, dass die politische Realität einmal mehr
231
Am Rande: Der Protestantismus hat im Bonner Raum allerdings noch lange in einzelnen Gemeinden und
im Untergrund weiterbestanden (vgl. Becker 1989:31-60).
232
Bucer beurteilte generell die Lage der Evangelischen im Reich als äußerst düster. So geht es aus einem
ausführlichen Brief an Bullinger vom 28. Dezember 1543 hervor: Nach einer kurzen Schilderung der Lage im
Kurfürstentum Köln folgt eine Klage über Luthers neue grobe Ausfälle gegen die Schweizer in der
Abendmahlsfrage. Nichtsdestotrotz handle es sich bei Luther um ein „bewunderungswürdiges Werkzeug Gottes
zum Heil des Volkes Gottes.“ Doch: statt Anklage und Übereifer – so zum wiederholten Male aus Bucers Mund
– sollen Liebe und Geduld Kennzeichen der Christen sein, ansonsten vermöchte man nichts zu bewegen in der
Religionsfrage. Das gelte in gleichem Maße für die Politik. Ein kurzes Portrait Karl V. schließt sich an, das
treffend und nüchtern den schroffen Mann charakterisiert, der „seine Ziele hartnäckig verfolgt, wenn auch oft
heimlich und undurchsichtig.“ Aus Bucers Perspektive hätte der Kaiser einen ganz anderen Einfluss, „wenn er
nur Kaiser von Deutschland und Christi Knecht sein wollte“. Im eigenen Lager sieht Bucer nur Zank, Streit und
Eigensucht: „Das sind also unsere Säulen“, beschließt er seinen Rundgang. Außenpolitisch gibt es auch nichts
Besseres zu berichten; der französische König hat allen Kredit durch sein Bündnis mit den Türken verspielt. Der
englische Herrscher sieht tatenlos zu. Der Däne zieht sich zurück: „Du siehst also die Ruinen Europas.“ Bucer
schließt: „So sehe ich bei Menschen überhaupt keinen Rat mehr, um Deutschland vor dem Untergang zu retten.
Der Herr Jesus gebe, dass wir uns ihm von ganzen Herzen weihen. Das ist der einzige Weg, um Gottes Zorn, der
schon gegen uns entbrannt ist, zu entgehen. Es sind jetzt die Zeiten der Propheten. Gebe der Herr, daß wir mit
gleichem Geist zur Buße rufe“ (Lenz, Bd. 2, 225-231; Übers. nach Grechat 2009:220f).
75
über das Gewissen des Einzelnen zu siegen vermag (vgl. de Kroon 1993:504-506). Allerdings
hat der Versuch als Vorlage gedient für den Aufbau der anglikanischen Kirche und damit auf
eine ganz andere Art und Weise historische Bedeutung erlangt.
2.2.2.4 Zusammenfassung und Auswertung
Als Ziel- und Fluchtpunkt von BUCERS Einigungsbemühungen zwischen Alt- und
Neugläubigen und zugleich Voraussetzung für ein fruchtbares Ergebnis bietet sich sein
Verständnis von „reformatio“ an. Mithilfe seiner Vorstellung von einer „Minimalreformation“
zur Wiederherstellung der kirchlichen Einheit soll nun eine kompakte Zusammenfassung
gewagt werden:
Der BUCER’SCHE Reformationsbegriff ist prinzipiell nicht konfessionell festgelegt, eine
Feststellung, die für das 16. Jahrhundert generell gilt. Das Wort wurde im weltlichen wie im
kirchlichen Bereich verwandt, bei Protestanten wie Katholiken (vgl. Neuser 1980:233).233
Abgesehen vom Papst konnte sich jeder nach BUCERS Vorstellung an dieser „Art und Weise“
der Nachfolge Christi beteiligen (vgl. „Christliche Erinnerung“ von 1545, S. 6). Gäumann
(2001:449f, Anm. 29) formuliert: „Reformation ist für den Theologen die Wiederherstellung
eines christlichen Lebens in der Form, wie es in den ersten vier Jahrhunderten praktiziert
wurde. ‚Reformatio alicuis rei, est eius ad pristinam suam formam et rationem restitutio‘“
(„Scripta Anglicana“, S. 192)234. Schon die ersten reformatorischen Maßnahmen des
Straßburger Magistrats konnte BUCER gegenüber ERASMUS als Erneuerung der alten Gesetze
verteidigen (vgl. BOL 1, 159, 6).235
233
Im Bericht von Bucers „Leipziger Reformationsentwurf“ ist des Öfteren von der „reformatio“ der Kirche
die Rede (vgl. Friedrich 2002:165): Die „gute, leidliche Reformation“ besteht nicht in einer Reform nach luth.
oder oberdeutschen Vorbild, sondern in einer anfänglichen Erneuerung der noch altgläubigen Gebiete. Dort
sollten sich die Protestanten Anerkennung verschaffen und den Altgläubigen dann bei ihren Reformen
Hilfestellungen geben. Bucer unterscheidet dabei zwischen Lehrkonsens und Reformation, die Beteiligten
müssen in der „religion und reformation eins werden“ (Lenz, Bd. 1, 190, Nr. 73). Um dieses Ziel zu erreichen,
genügt die Übereinstimmung in der Lehre nicht, diese ist lediglich Voraussetzung der „reformatio“, sprich der
Umgestaltung der kirchlichen Praxis (Lenz, Bd. 1, Beilage IV, 532). Bucers praktisch-theologische Ausrichtung
und die Einheit von Lehre und Leben in seiner Konzeption leuchten wiederum auf.
234
Die Sammlung, der aus der engl. Exilszeit stammenden Schriften Bucers wurde postum 1577 von C.
Hubert in Basel veröffentlicht.
235
Der Frage nach der Bedeutung der Alten Kirche für eine Reformation der „neuen“ Kirche, die in Leipzig
1539 ausführlich diskutiert wurde, kann an dieser Stelle nicht umfassend nachgegangen werden. Bucers (und
Melanchthons) Einschränkung auf die ersten vier Jahrhunderte - Bucer und Witzel präferieren vor allem die Zeit
Augustins -, steht entgegen, dass selbst in dieser Periode keine einheitlichen Lehren und Gebräuche in der einen
Kirche vorhanden waren (vgl. Friedrich 2002:164f.192). Hinter Bucers Hochschätzung dieser Zeit steckt ohne
Frage ein „christlicher“ Humanismus mit dem Ideal eines glorreichen „christlichen“ Altertums. Jedin
(1966b:364) formuliert zugespitzt, beide Verhandlungsseiten betreffend: „Aber wir erkennen heute auf den
ersten Blick, was damals erst nach vielen bitteren Enttäuschungen erkannt wurde, daß auf diesem Wege die
Ambivalenz des Begriffes Reformation nicht zu beseitigen war. Die ‚Rückkehr zur ursprünglichen Form des
Christentums‘ darf kein einfaches Zurückschneiden des Baumes auf seine Wurzeln sein. Wer sich diesen Begriff
der Reform zu eigen machte, gab implicite zu, was Luther, die historische Verfallstheorie ins Theologische
wendend, behauptet hatte: Durch Schuld des Papsttums hat die Kirche ein halbes Jahrtausend hindurch eine
Fehlentwicklung genommen.“
76
Um dieser Form von „Reformation“, oder in BUCERS beliebter Kategorie, dem „regnum
Christi“ (vgl. nur Lenz, Bd. 1, 223), in ganz Deutschland und darüber hinaus zum Durchbruch
zu verhelfen, verfolgte der Straßburger ein Etappenziel: die Einführung einer „guten,
leidlichen (erträglichen) Reformation“ (vgl. Lenz, Bd. 1, 297; auch „reformatio tolerabilis“,
in: Schiess, Bd. 2, 71, Nr. 899), ein „erster Schritt“ (Friedrich 2002:194) auf dem Weg zur
Einheit. Konkret bedeutete dies für ihn, den reformbereiten, gutwilligen Katholiken die
kirchliche Erneuerung leichter zu machen, durch zahlreiche Zugeständnisse, namentlich in
den äußeren Dingen - „res externa“ -, ohne damit den eigenen reformatorischen Standpunkt in
Frage stellen zu wollen.236
Eine solche Reformation sollte sich für die geneigten Altgläubigen nur auf die sog.
„necessaria“ als Kern- und unverrückbare Standpunkte beziehen (ausführlich unter 2.2.3) und
in der Beseitigung der schlimmsten Missbräuche Gestalt gewinnen. Durch die Besinnung auf
ihre „Kernkompetenzen“, nämlich auf die Gottesdienste, die wahre Lehre und die Zucht,
komme
die
Kirche
dieser Aufgabe
nach. 237
BUCER
ist
dabei
völlig
von
der
Selbstdurchsetzungskraft der evangelischen Botschaft - „Die wahrheit uberwindt alles“ (Lenz,
Bd. 2, 140) - überzeugt, dogmatisch gesprochen von der „auctoritas causativa“ der Hl. Schrift
(so auch schon Bornkamm 1952:27).238 Öffnet man dieser nur einen Türspalt in den
236
Bei aller Konzilianz war sich der Straßburger doch bewusst, in der Gefahr zu stehen, dem Irrtum der
Gegenseite Tür und Tor zu öffnen und so den Kern der reformatorischen Anschauungen zu verfälschen (vgl.
Lenz, Bd. 1, 95). Daher hatte das taktische Entgegenkommen auch seine Grenzen: mit den „necessaria“ (vgl.
2.2.3), konkret z. B. in der Forderung nach dem evangelischen Gottesdienst bzw. in der Ablehnung der kath.
Messe, wurden diese deutlich markiert. Einer möglichen Einigung müsste die Reformation folgen, denn ein
äußerer Friede allein (o. a.: „ein Friede außerhalb von Christus“ - so Bucer wörtlich), würde der Kirche Christi
nichts nützen (CR 39, 250, Nr. 333; vgl. auch 238, Nr. 323). Bucer daher eine leichtfertige
Kompromissbereitschaft zu unterstellen, wie dies von Wittenberger Seite manches Mal geschah, übersieht diese zugegebenermaßen nicht unmittelbar einsichtige – Geradlinigkeit des Reformators (Friedrich [1990] 2002:197;
Gäumann 2001:454).
237
„Verum in hoc uno, ut Christi regnum simpliciter restituatur, pura tum doctrina, tum Sacramentorum et
disciplinae Ecclesiasticae administratione admissa“ („Concilium“, m2a; vgl. den Abs. 14b-m2a): Die
Kirchengüter sind wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zuzuführen. Alle anderen Themen, insbesondere die
Verwaltungsangelegenheiten, sind nach Bucers Auffassung keine genuinen Aufgaben der Kirche und daher der
weltlichen Administration zu übergeben. Zur Not könne der Theologe auch die bestehenden bischöflichen
Strukturen, sogar die enge Bindung an Rom (!) und die geistlichen Territorien akzeptieren. Derart handle es sich
dann zunächst um eine „erträgliche“ Reformation, die angeblich auf beiden Seiten niemanden über die Maßen
belastet – von den Altgläubigen jedoch die größeren Opfer abverlangt hätte (vgl. Neuser 1980:236f; Gäumann
2001:455).
238
Greschat (2009:198) hält hinsichtlich des Briefwechsels Bucers mit Philipp von Hessen im Zeitraum der
Religionsgespräche fest, dass Bucer zufolge „die Situation im Deutschen Reich noch nie so günstig gewesen sei,
wie jetzt, um ein freies nationales Konzil ohne den Papst durchzusetzen. Die Mehrheit der Städte und Fürsten
neige längst zum Schmalkaldischen Bund; Unentschiedene könnten leicht gewonnen werden, weil man eindeutig
über die besseren theologischen und historischen Argumente verfüge. Man müsse nur mit der Erörterung der
strittigen Lehrfragen anfangen, ‚dann wird die Kraft des Herrn durch sein heiliges Wort ganz gewiß so viel
bewirken und ausrichten, dass wir alle dem Herrn hoch zu danken haben‘ (Lenz, Bd. 1, 95, Nr. 28).“ Ein Brief an
den Landgraf vom 30. November 1541 legt in eindrücklicher Weise die Verhandlungsstrategie und den
Optimismus Bucers in den Religionsgesprächen offen. Das Schreiben endet mit der sehr konkreten Zielangabe,
da doch „alle notwendige stück christlicher reformation in den verglichnen articuln dennoch so reichlich, clar
und gewiß begriffen und dargeben, das die gutherzigen oberkeiten und prediger, deren ein gar merklich anzal ist,
den sachen durch mittel diser in iren kirchen in einem jare gentzlich helfen möchten“ (Lenz, Bd. 2, 36, Nr. 139).
77
altgläubigen Gebieten, ist eine Reformation im Sinne einer schrittweisen Umgestaltung der
kirchlichen Praxis nicht mehr weit entfernt (vgl. van't Spijker 1991b:38). „Diese Gewissheit
verlieh dem Superintendenten die Freiheit, seinen Gegnern in den Religionsgesprächen sehr
weit entgegenzukommen, ohne sich selbst untreu zu werden“ (Gäumann 2001:457).
Zu den „necessaria“ zählte vor allem die Rechtfertigungslehre, der in den Wormser
Geheimverhandlungen und dem darauf aufbauenden Regensburger Gespräch eine eminente
Stellung zukommt.239 Zu diesem Topos bei BUCER seien hier nur zwei Sachverhalte angemerkt
(als Ergänzung zu Anm. 205), zum einen, dass sich ein thomistischer Einfluss aufgrund der
eudämonistischen Züge seiner Rechtfertigungslehre nicht leugnen lässt (Müller 1965:20;
Leijssen 1979:275)240, zum anderen, wie eng die Verbindung zwischen „pietas“ und
Rechtfertigung für ihn geknüpft ist (de Kroon 1991:233ff)241. Eine „Vergleichung“ in der
Abendmahlsfrage zu erzielen, ist für BUCER zwar ebenso von Bedeutung, im Vordergrund
steht jedoch ein biblisch-theologisch begründeter Minimalkonsens in der Messfrage
(Mehlhausen 1969:210242), der der Transsubstantiationslehre als extreme Gestalt der
Lehrabweichung eine Absage erteilt.243
239
Zur Mühlen (1993:663) resümiert im Hinblick auf die Debatten im Umfeld des „Wormser Buches“: „Im
Zusammenhang der übrigen Anschauungen Bucers über die Rechtfertigung versteht er den Zusammenhang von
Rechtfertigung und Werken nicht so, daß er die Werke als causa efficiens der Rechtfertigung in Anspruch nimmt,
wohl aber als causa materialis, d.h. als den Ort, an dem sich die Rechtfertigung aus Glauben material auswirkt.
240
Zur Fragestellung, ob es sich hierbei nur um eine verbale Ähnlichkeit handelt (W. P. Stephens u. W. van’t
Spijker) oder einen echten Thomismus, vgl. Leijsen 1979:275, Anm. 33 u. :276-296.
241
Die „pietas“ - de Kroon (1991:235) lässt den Begriff bewusst unübersetzt – nimmt in Bucers Theologie
auch in der Rechtfertigungslehre eine kritische Funktion wahr, ganz besonders, wenn es um die Herstellung der
kirchlichen Einheit geht. So kann Bucer in seiner Schrift „Wie leicht und fueglich“ (1545) ausführen: „Denn in
den nicht wesentlichen Punkten der Religion haben die Kirchen von Christus niemals, auch nicht in ihrer
Blütezeit, miteinander übereingestimmt, immer jedoch in der Einheit von Glaube und Liebe. Bei den
nebensächlichen Fragen haben die Kirchen einander freie Hand gelassen“ (Übers. nach :234; Hervorhebung von
mir). Mit der zunehmenden Konfessionalisierung in den 1540er Jahren findet sich auch bei Bucer ein stärker
werdender Nachdruck auf der Festlegung des kirchlichen Dogmas; die Rechtfertigungslehre wird neben anderen
Artikeln zum Kriterium für die „reine Lehre“. De Kroon (:234) folgert: „Bei der Rechtfertigung durch Glauben
allein liegt der Nachdruck auf dem Lehrmäßigen, der Lehre, bei der ‚pietas‘ dagegen auf dem vordogmatischen
Bekennen in Glaube und Liebe, das den Lebensvollzug des Christen, das Ethos des einzelnen Gläubigen wie der
gesamten Gemeinde bestimmen soll. Wir sehen in dieser Deutung der ‚pietas‘ durch Martin Bucer eine Art
Fortführung des spätmittelalterlichen Frömmigkeitsideals, das mit dem Namen der ‚devotio moderna‘ verbunden
ist.“
242
„Butzer, dessen zwischen Zuversicht und Verzagen schwankende Stimmung verständlich wird [vgl. Lenz,
Bd. 1, 286], wenn man die Entstehungsgeschichte des Vergleichsartikels verfolgt, hat in Worms gegenüber
seinen katholischen Gesprächspartnern geradlinig und, soweit es die schwierigen Umstände zuließen, auch
erfolgreich darauf bestanden, daß in einem Abendmahlsartikel von den biblischen Einsetzungsworten und der
Gabe der remissio peccatorum die Rede sein muß, und dies unabhängig davon, wie die gerade aktuellen
Spezialfragen lauten. Wie wenig selbstverständlich schon in der damaligen Situation solche Erkenntnis war,
zeigt der von den protestantischen Kollokutoren dem Kaiser bei Abschluß der Gespräche übergebene
Abendmahlsartikel, durch dessen umständliche Formulierungen zwar alle innerreformatorischen
Abendmahlszwiste hindurchschimmern, in dem aber vom verbum sacramenti und von der Sündenvergebung
nicht mehr die Rede ist [vgl. CR 4, 352ff].“
243
Greschat (2009:193f) weist darauf hin, dass Bucers Schweigen an zentralen kontroverstheologischen
Punkten, wie in der Tauf- oder Messfrage - hier im Zusammenhang mit der Leipziger Disputation – immer
wieder angegriffen und verurteilt worden ist. „Was demgegenüber kaum in den Blick kam, war seine Einsicht,
dass es gelingen könnte, durch die Hervorhebung des noch immer lebendigen gemeinsamen kirchlichen
Brauchtums, durch die Anknüpfung an die Liturgie und die traditionellen Zeremonien einerseits sowie
andererseits das allseits vorhandene Drängen auf mehr persönliche Frömmigkeit und Sittlichkeit eine
78
Eine große Rolle spielt für den Straßburger seine mehrdimensionale, „ökumenisch“ (vgl.
2.2.3) oder besser praktisch ausgerichtete Ekklesiologie, die im Hintergrund der theologischen
Disputationen und kirchenpolitischen Bemühungen stets mitschwingt. Mehrdimensional, da
sie scheinbar unterschiedliche Ekklesiologien „unter einem Dach“ vereint, „ökumenisch“, da
sie von einer prinzipiellen Offenheit für praktische Fragen in der Kirche geprägt ist, die den
sich konsolidierenden konfessionellen Zwiespalt im 16. Jahrhundert deutlich ins Auge fasst
(vgl. van't Spijker 1991b:11f). Augustijn (1994:118) weist darauf hin, dass eine Realisierung
der von BUCER im „Concilium“ vorgetragenen Pläne faktisch eine Änderung von bereits
erfolgten Reformen in evangelischen Territorien und Städten bedeutet hätte. Zugespitzt
formuliert stellt die Auseinandersetzung mit dem Programm einer „guten, leidlichen
Reformation“ die Frage, ob man nicht von zwei Ekklesiologien BUCERS sprechen muss (vgl. :
119-121): Die protestantischen Kirchen verkörpern dabei nur eine temporäre Ekklesiologie
und sind eine Art Provisorium, das sich noch im Experimentierstadium befindet. Hingegen
seien
die
Maßnahmen
Forschungsdebatte
einer
hierüber
„guten,
offenbart
leidlichen
die
Reformation“
Mehrdimensionalität
definitiv. 244
des
Die
BUCER’SCHEN
Reformations- und Kirchenbegriffs im Dienste seiner Bemühungen um die Einheit der
Kirche.
Das Fernziel von BUCERS „guter, leidlicher Reformation“ war eine „gantze christliche
reformation“ (Lenz, Bd. 2, 36; vgl. auch Lenz Bd. 2, 21f, Anm. 4; Schiess, Bd. 2, 80, Nr. 910)
im ganzen Reich (vgl. Neuser 1980:237). Um dieses hehre Ziel zu erreichen, war er der
Überzeugung, die Politik an ihre Pflichten erinnern zu müssen; die Korrespondenz mit Philipp
von Hessen in den Jahren 1539/40, dem Fürsten, auf den BUCER theologisch, kirchenpolitisch
und nicht zuletzt menschlich den größten Einfluss hatte, zeugt hiervon (vgl. Greschat
2009:198)245. Allerdings muss man auch von einer zunehmenden Weltfremdheit BUCERS
pragmatische Basis für eine dynamische fortwirkende Reformbewegung innerhalb der Kirche zu schaffen“
(:194).
244
Gäumann (2001:451, Anm. 34) argumentiert dagegen: 1. Hammann (1989:334-338) zufolge können die
ekklesiologischen Ambivalenzen zufriedenstellend auf die Person und die Theologie Bucers zurückgeführt
werden. 2. Wie bereits Augustijn (1994:121) selbst nachweist, „sind alle Elemente einer guten, leidlichen
reformation bis auf die Forderung nach Beibehaltung der Kirchenhierarchie in Bucers ‚durchschnittlicher‘
Ekklesiologie auch zu finden“ (Gäumann 2001:451, Anm. 34; Hervorhebung im Original). Seine Flexibilität,
was die „externa“ anbelangt – wozu auch bischöfliche Strukturen gezählt werden können -, deutet nicht
zwangsläufig auf zwei Ekklesiologien hin. 3. Die Zurückhaltung in Bucers Programm einer „guten, leidlichen
Reformation“ sollte den Altgläubigen den Einstieg in sein Erneuerungskonzept erleichtern. „Insgesamt kann nur
von einer Ekklesiologie mit zahlreichen situativ bedingten Ausprägungen gesprochen werden“ (:451, Anm. 34).
Gegen Augustijn ist festzuhalten, dass gerade die „gute, leidliche Reformation“ eine temporäre Lösung darstellt
und nur als Zwischenhalt auf dem Weg zu einer „gantzen Reformation“ betrachtet werden muss.
245
Bucer drängte darauf, dass die Fürsten die Religionsfrage ernst nahmen und dass sie nicht in erster Linie
danach strebten, ihr Gebiet und ihre Macht zu vergrößern, sondern „das reich Christi zu erweitern“ ( Lenz, Bd. 1,
93, Nr. 27). Philipp sollte sich auf der politischen Ebene bei den Reichsständen so einsetzen, wie es Bucer im
Rahmen seiner Möglichkeiten publizistisch getan hatte, mit dem Ziel, den Kaiser und seinen Anhang zu dem
versprochenen Reichsreligionsgespräch tatsächlich zu bewegen, „wodurch auch ein ganz herrlicher Anfang einer
wahren Reformation der Kirche gemacht werden möchte“ (Lenz, Bd. 1, 96, Nr. 28). Mit seiner Schrift „Per Quos
Steterit“ (sinngemäß: Wer ist verantwortlich?) fragt Bucer offensiv nach der Verantwortung der Herrscher
79
angesichts dieser Pläne sprechen, zumindest als sich das Scheitern im Bemühen um ein freies
Konzil mehr als deutlich abzeichnete (vgl. Gäumann 2001:480f). Nichtsdestotrotz beziehen
sich moderne ökumenische Dokumente immer noch auf „Worms“ und „Regensburg“,
präziser: „Die Konflikte von Regensburg kehren in den Dialogen unserer Generation wieder“
(Kretschmar 1984:210). Der Schluss liegt sogar nahe in puncto Herrenmahl, dass ein
substantieller Fortschritt in dieser Frage seit 1540/41 noch nicht zu verzeichnen ist (:237f).
Davon wird noch zu verhandeln sein (unter 3.1.3).
2.2.3 Ökumene im 16. Jahrhundert!?
In populärwissenschaftlichen Darstellungen zur Person und Theologie BUCERS wird aus
heutiger Sicht ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass es sich bei dem Phänomen
BUCER um ein ökumenisches handelt. Die Titulierung als „Ökumeniker“ der Reformationszeit
wird indes aber nicht durch Anführungszeichen als problematisch gekennzeichnet (wie in der
hier vorliegenden Untersuchung bisher geschehen). Symptomatisch hierfür ist ein FAZArtikel anlässlich des 500. Geburtstages (Schmoll 1991:passim; vgl. auch die Adventspredigt
von Brooks 1992:233; Hanko 1993/94),246 dem anachronistische Tendenzen nicht
abzusprechen sind.247 Unproblematischer wäre die Bezeichnung des Straßburger Reformators
als Ireniker,248 der unter den Bedingungen seiner Zeit, wie in der theologie- und
(zunächst einmal des Herrschers) für die Religionsfrage, konkret für das seit 1539 in Frankfurt in Aussicht
gestellte Konzil (vgl. Augustijn 1994:113); vgl. generell zum „ius reformandi“ Wolgast 1993:145-159, bes. 148151.
246
Friedrich, der die „ökumenische“ Seite Bucers deutlich hervorkehrt, gebraucht den Begriff jedoch auch nur
in Anführungszeichen (vgl. 2002:195), wohingegen er von dem Attribut irenisch unapostrophiert Gebrauch
macht (vgl. :198).
247
Zu Recht weist Gäumann (2001:443f, Anm. 14; s.a. :455) darauf hin, welche falschen Assoziationen der
Begriff „Ökumene“ als Vokabel des 20. Jahrhunderts mit sich führt: 1. Bucers Unionsbemühungen waren ohne
Frage auch politisch motiviert und in keiner Weise rein kirchlicher Natur, wie es die Rede von Ökumene
nahelegt. Ziel der Abendmahlskonkordie war es, die Protestanten zu einen, um ihnen damit auch neue Stärke im
Reich zu verleihen. Bei den Religionsgesprächen handelte es sich um Reichstage, sprich politische Anlässe. 2.
Kann die heutige Ökumene die teilweise gravierenden Lehrunterschiede anerkennen, obwohl sie bestrebt ist,
diese im Dialog zu überwinden, so kannte Bucer diese Weitherzigkeit nicht. Nur, wenn es sich nicht um
„necessaria“ handelte, also um für ihn sekundäre Fragen, ist er bereit, sich seinem Gegenüber anzunähern. 3. Die
Sicht Bucers als scheinbarer „Frühökumeniker“ vergisst die intolerante, bis ins polemische gehende Haltung, die
jener gegenüber den Altgläubigen in puncto Messe oder auch gegenüber dem Separatismus der Dissidenten in
Straßburg zum Vorschein bringen konnte. Eine Ökumene der Gegenwart, die - Gäumann formuliert (:443, Anm.
14) - „von der russischen Orthodoxie bis zu den afrikanischen Kimbanguisten“ ein weites Spektrum
unterschiedlichster theologischer Standpunkte abdeckt und nicht häretisiert, war für Bucer so nicht vorstellbar.
Seine nach kurzem Zögern folgende Ablehnung des Interims nach 1547, die schlussendlich zum Exil in England
führte, unterstreicht diesen Sachverhalt. 4. Aus der bisherigen Untersuchung geht hervor, dass der Elsässer nicht
mehr und nicht weniger als eine evangelische Einheit suchte. Nur mithilfe einer schriftgemäßen Ekklesiologie
(vgl. nur BDS 7, 100, 32f o. a. den Untertitel von „De vera cura animarum“; 7, 90, 4-7) kann dieses Ziel für ihn
erreicht werden.
248
Vgl. neuerdings zur Begriffsbestimmung und dem damit verbundenen Problemhorizont Müller 2004:15-21;
In Bezug auf die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts hält jener pointiert fest: „Theologische Wahrheit wurde
‚polemisch‘ gefunden und verteidigt. Die ‚Irenik‘ stellte diese Art und Weise der Wahrheitsverwaltung offensiv
in Frage und stand deshalb selbst im Zentrum der Angriffe“ (:15). Matheson (1998:7) benennt Bucer zwar zu
Recht als Reformator, der diesem gängigen Konzept von Wahrheitsfindung- und etablierung kritisch
80
kirchengeschichtlichen Analyse bisher hoffentlich ersichtlich wurde, versucht hat, das
Programm „Einheit der Christenheit“ voranzutreiben. Dass er damit hervortritt in seiner
Zeit249 und sich daher den Titel „Ökumeniker“ aus neuzeitlicher Perspektive verdient hat, ist
bei unscharfer Betrachtung sicher kein Vergehen.
Auf die diachrone Art der Darstellung folgt nun der Versuch einer kurzen,
zusammenfassenden - synchronen - Reflexion der grundlegenden Vorstellungen Martin
Bucers als Ireniker. Nach de Kroon (1984:72, Anm. 7) bringt BUCER nirgendwo seine
erkenntnistheoretischen Leitsätze klarer zum Ausdruck als in den Praefata zum
Römerbriefkommentar von 1536 (Müller 1965:241 o. a. :122.239): Da die Wahrheit für ihn
unteilbar ist und philosophisch gesprochen an und für sich eine ist, kann sie nur, orientiert
man sich an ihr, zur Einheit führen. 250 Die für BUCER im Einklang mit den anderen
Reformatoren zentrale Rechtfertigung „sola fide“ ist demnach aus sich heraus
einheitsfördernd, da sie wahr ist. Es verwundert kaum, dass der Straßburger in einem
gesonderten praefatum (XI) sogar fragen kann, ob paulinische Lehre und philosophischer
Grundsatz nicht übereinstimmen.251 Die Antwort muss positiv ausfallen und der
Römerbriefkommentar mit seinem zentralen Thema Rechtfertigung wird damit zur
Unionsschrift. De Kroon (1984:73; vgl. auch 1991:236f) resümiert:
„Zugleich findet sein ruheloser Einsatz für die Wiedervereinigung der Kirchen in (..) [dem
aristotelischen] Adagium ‚Im Grunde ist alles Wahre mit dem Wahren in
Übereinstimmung‘ seine erkenntnistheoretische Begründung. Es bildet den fruchtbaren
Nährboden für den aktiven Einsatz zum Einigen und Wiedervereinigen. Für Bucer ist die
Wahrheit selbst einigend.“
Zu diesen propädeutischen Ausführungen gesellen sich einige hermeneutische
Überlegungen, die BUCER in seiner „Praefatio“ zum vierten Band der Kirchenpostille LUTHERS
zum ersten Mal ausführlich benennt. Mit dem Bekenntnis zur claritas scripturae (vgl. BDS
11/2, 357, 10-20; Lenz, Bd. 2, 122)252 kann er folgern: Auf der Grundlage der Schrift sollte
gegenüberstand, muss aber auch der Tatsache ins Auge sehen, dass Bucer bei allen frühirenischen Tendenzen
nicht ohne Polemik auskommt.
249
Eine Zeit für welche die religiöse Frage die alles entscheidende war. Jakob Sturm brachte im Jahr 1534
angesichts der drohenden Zersplitterung der Straßburger Bevölkerung in sich bekämpfende religiöse Parteien die
Problematik auf den Punkt, wenn er schreibt: „(...) ir wissen us erfarnüs, das bei unsern zeiten kum ein sach ist,
die do die gemüter der menschen meer zusammen oder von einander tribe, dan gliche oder unglichheit der
religion“ (zit. nach Hamm 2001:94).
250
In seiner Epistomologie denkt Bucer offensichtlich thomistisch. Für den Aquinaten ist Wahrheit die
„adaequatio rei et intellectus“ (S. th. 1, q. 21, a. 2. in corp.): In der Sache, also in re, gibt es nur eine Wahrheit.
Daraus folgt, dass das Wahre an und für sich einheitsstiftend ist. Suche nach Wahrheit ist nichts anderes als
Streben nach Einheit (vgl. generell S. th. 1, q. 16, a. 6). Hiermit wird eine Grundlinie in Bucers Denken berührt,
die sich sowohl in seiner Erstlingsschrift „Das ym selbs“ (1523), als auch in seinem letzten großen Werk „De
regno Christi“ (1550) findet (zu Quellenangaben und weiterführender Lit. s. de Kroon 1984:72, Anm. 7f.).
251
Bucer spricht in seinem Widmungsschreiben an Erzbischof Thomas Cranmer (S. 4a) daher konsequent von
einer „philosophia paulina“.
252
Expressis verbis: „Nam ita clara, ita lucida, ita explicata scriptura est, in praeceptis quae ad salutem
necessaria sunt, ut nemo quamvis cetera rudis haec non facile percipere possit“ („Scripta … Latomi“, S. 141).
81
eine Einigkeit „in summis“ möglich sein - Lutheraner und Zwinglianer sind für ihn demnach
grundsätzlich eins -, auch wenn „in externis“ unterschiedliche Meinungen bestehen bleiben
(Praefatio f0[A7]r0; BCor II, 152, 165-167, Nr. 135; vgl. auch BDS 1, 261, 2).253 Im Anschluss
an einige Ausführungen zur Abendmahlskontroverse (Abschnitt XII) kommt BUCER zu dem
Schluss, dass es Menschen gibt, die härter streiten, als es erlaubt ist (niemand anders als
LUTHER ist gemeint). Mit scharfer Polemik sind kontroverstheologische Fragestellungen nicht
zu lösen; BUCER kann LUTHER trotzdem voll und ganz als Bruder akzeptieren (Praef.
f0[B6]r0/v0). Im Widerspruch gegen den Wittenberger formuliert der Straßburger jedoch nach
1. Kor 14 die These, dass eine Duldung unterschiedlicher Meinungen bei sekundären Fragen
möglich ist.254 Im Gegenteil: Der im Glauben Schwache ist nicht zu verwerfen, ihm soll
stattdessen mit Güte begegnet werden. Ermutigung statt Streit ist hier angebracht (Praef.
f0B5v0/[B6]r0). Das Rechnen mit der Irrtumsfähigkeit des Menschen (auch der LUTHERS; s. o.
S. 38f) und daneben pastoral-theologische Aspekte255 stehen hier im Hintergrund. Alternativ
zu dem Vorgehen LUTHERS und seiner Anhänger fordert BUCER einen freien Vergleich von
Lehrmeinungen bei sekundären Fragen vor einer mündigen Gemeinde, wobei der
Schriftskopus letzte Instanz sein sollte (ZWINGLI und OEKOLAMPAD dienen hier als
„leuchtende“ Vorbilder; Praef. f0[B6]v0). Nur durch gemeinsames Hören auf die Schrift kann
es zu einer Einigung kommen. Bei anhaltenden abweichenden Meinungen soll das Prinzip
„Einheit in der Vielfalt“ Anwendung finden.256
Die Frage, die sich nun förmlich aufdrängt, lautet: Worin bestehen für BUCER sekundäre
Fragen Theologie und Kirche betreffend? Was zählt für ihn hingegen zu den notwendigen
Glaubensinhalten?
Unter
„necessaria“
versteht
BUCER
biblisch
begründbare
Fundamentalartikel, welche „die wesentlichen Anliegen der evangelischen Bewegung
verkörpern und auf dem Glauben an Christus, dem ‚Notwendigen‘ schlechthin, ruhen“
(Gäumann 2001:452; vgl. Anm. 35 zu zahlreichen Belegen).257 BUCER unterlässt dabei eine
253
Streitigkeiten hat es in der Kirche zu allen Zeiten gegeben. Sie sind nach Bucer als Prüfungen Gottes
aufzufassen (s. o. S. 42f) und führen zur Schrift als entscheidenden Maßstab zurück, auf deren Grundlage eine
Einigkeit „in summa“ des christlichen Glaubens sehr wohl möglich ist und daher auch als höchstes Ziel nicht aus
den Augen verloren gehen darf (Praefatio f0[A6]v0 – [A7]v0; BCor II, 151, 142 – 152, 187, Nr. 135).
254
Dass es für Luther im Abendmahlsstreit um weit mehr ging als eine „res tantula“, erkannte Bucer erst im
Verlauf desselben, wie schon dargelegt wurde (vgl. Friedrich 2002:41).
255
In einem Schreiben vom 10. April 1548 an die Kurfürsten Friedrich II. von der Pfalz und Joachim II. von
Brandenburg formuliert Bucer persönlich betroffen: „Das Gewissen der Menschen ist eine delikate
Angelegenheit. Sehr schnell fühlt man sich in seinem Gewissen verletzt, und gerade ich, obwohl ich dies zu
vermeiden suche, falle mehr als andere in die Ungnade eines verletzten Gewissens“ (BDS 17, 421, 17-19; Übers.
nach de Kroon 1991:241).
256
Vgl. zum Ganzen Hazlett 1975:154-164 u. Friedrich 2002:38f (Bucers „Responsio“ auf den offenen,
polemischen Brief Luthers an Herwagen - den Drucker in Straßburg -, der als Reaktion auf die
Übersetzungsarbeit Bucers in Umlauf gebracht wurde, unterstreicht die Argumentation des Straßburgers
nunmehr; :40f, bes. Anm. 109-114).
257
Im Gegensatz zu Melanchthon, der bei „necessaria“ nicht so sehr an dogmatische Inhalte denkt, sondern an
die mit der Tradition verknüpften Riten, Zeremonien und Institutionen (vgl. Kantzenbach 1957:132).
82
präzise, geschlossene Bestimmung (Kantzenbach 1957:131f) 258, notwendig erscheinen ihm
Dinge wie die Rechtfertigungslehre, der rechte „Gebrauch“ der Sakramente, die christliche
Freiheit in den Zeremonien, der rechte Gebrauch der Kirchengüter, die Tauglichkeit der
Kirchendiener, die Möglichkeit der Priesterehe und die Kirchenzucht (vgl. z. B. Lenz, Bd. 1,
73; Lenz, Bd. 2, 182f; Schiess, Bd. 2, 80, Nr. 910; „Scripta … Latomi“, S. 141).259 Alle
wahrhaft christlichen Kirchen sind aufgerufen, diese heilsnotwendigen Dinge - es handelt
sich, wie angedeutet, nicht um eine geschlossene Liste - zu akzeptieren und durchzusetzen. In
reformatorischer Gesinnung steht für BUCER fest: „In den ‚necessaria‘ darf kein Dissens unter
den wahrhaft Christusgläubigen bestehen, und eine in Synoden oder anderen Gesprächen
gefundene Übereinkunft ist die entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche kirchliche
Erneuerung“ (Gäumann 2001:452).260 Auf dieser Grundlage können Differenzen in den nichtheilsnotwendigen Dingen (z. B. in Fragen nach Zeit, Ort und Art von Riten oder auch
administrativen Angelegenheiten wie Wahlen, Prüfungen usw.; vgl. „Scripta … Latomi, S.
141-150) BUCER zufolge getrost geduldet werden. BUCER war demnach kein Bilderstürmer.
Altgläubige Traditionen, solange sie dem Gemeindeaufbau dienen und nicht dem wahren
Glauben widersprechen, können weiter bestehen, denn: „nit in ceremonien und eüsseren
gespreüchen, sonder im waren glauben, in gehorsame des reinen Evangeli, in rechtem brauch
der h. Sacramenten (…) staht die gemeinschafft der christlichen Kirchen“ (BDS 7, 95, 15-18).
Es wird deutlich, wie BUCER als Vermittlungstheologe die überlieferten Traditionen ad bonam
partem deuten und so auch teilweise aus altgläubiger Sicht retten kann. Das „ökumenische“
Modell eines „consensus quinque-saecularis“ (Georg Calixt; ursprünglich von Johann G.
Dorsche) deutet sich hier zumindest an (vgl. Kantzenbach 1957:138f und s. o. S. 59f).
258
Dies verwunderte kaum, befindet sich die dogmatische Reflexion aus protestantischer Perspektive doch
noch in ihrem Anfangsstadium und kann noch nicht auf eine lange „scholastische“ (im Wortsinn) Tradition wie
auf altgläubiger Seite zurückschauen. Hinzu kommt die Bucer’sche Tendenz zur Entdogmatisierung (Hamm
2003:101) und dafür stärkeren Ethisierung des Glaubens (Greschat 1978:92; 2009:168). Bucers Umgang mit
dieser Fragestellung ist äußerst „unkompliziert“ (van’t Spijker 1991b:42), ohne an eine völlige Reduktion der
Lehrfragen auf Kosten der praktisch-theologischen Aufgaben denken zu wollen. Die Konzentration auf das
Wesen des Christentums - substantia christianismi – ist sein Ziel.
259
Laut Epheserkommentar (zu Eph 4,4-6) wird die Einheit der Kirche nach Bucer „durch die Gleichheit in
der (evangelischen) Lehre, in der Sakramentsverwaltung und im Gehorsam gegenüber den würdigen Dienern des
Evangeliums“ bestimmt (Gäumann 2001:441) - zwar eine dreifache Bestimmung, aber nicht im strengen Sinne
dreier notae ecclesiae.
260
Konkret gedacht ist an Grundlagengespräche auf der Basis der Heiligen Schrift sowie ergänzender
Kirchenväterlektüre, die von der Bereitschaft zur Einheit (synkatabasis) und zur Billigkeit (epieikeia) geprägt
sind. Beide Begriffe erinnern an humanistische Traditionen (s. o. S. 49, Anm. 153) sowie das Bucer’sche
Konzept der „Minimalreformation“. Die Hochschätzung der Patristiker, die ihm immer wieder zum Vorwurf
gemacht wurde (vgl. nur BDS 17, 420, 30-33), begründet jener wie folgt: „Auch sie [sc. die Kirchenväter] waren
Christen, jedoch viel brennender als wir. In vielen Punkten haben sie Fehler gemacht, aber laßt uns hoffen, daß
wir am Ende nicht noch viel ärger dastehen. Sind wir vielleicht bessere Christen, weil wir dank unserer
Sprachkenntnis und der Lehre, die uns durch so viele Mißbräuche erteilt worden ist, die meisten Schriftstellen
besser verstehen als sie [sc. Die Kirchenväter]? Das anstoßerregend sittliche Niveau unserer Kirchen ist
bestürzend. Es beweist wohl zu Genüge, daß wir von Christus viel weniger gelernt haben als diese heiligen
Männer“ (Schiess, Bd. 1, 648, Nr. 529; vgl. auch :529).
83
Der eigentliche Kristallisationspunkt im Unterschied zu den Anschauungen LUTHERS und
seiner Anhänger in Bezug auf die „ökumenische“ Frage ist die Neubewertung von Häresie aus
BUCERS Perspektive (Hamm 2003:93f)261: Entgegen den gängigen Koordinaten der
verschiedenen Traditionen (altkirchliche, mittelalterliche, lutherische usw.) liegt nach BUCER
Häresie und damit der Ausschluss aus der christlichen Gemeinschaft, die Grenze der Kirche,
nicht ausschließlich im willentlichen Beharren in einem Lehrirrtum vor, sondern vielmehr in
der Preisgabe der Liebe.262 In BUCERS eigenen Worten:
„Aufgrund dieses Schriftwortes [sc. Tit 3,10: „Einen ketzerischen Menschen meide!“] ist
nicht sonderlich schwer einzusehen, daß Paulus unter einem ‚ketzerischen Menschen’
einen Querulanten versteht, jemanden also, der sich auf Kosten wahrer Liebe wahnsinnig
in eitle Streitfragen verliebt hat, der in einem krankhaften Trieb zum Herumdogmatisieren
an Dingen, die mit der pietas nichts zu tun haben, Gruppenbildung und -interessen
provoziert. Ja, bei einem solchen kann ein Gedankenaustausch auf der Grundlage unserer
heiligen Lehre, kein Gewinn für die pietas entstehen“ (zit. nach de Kroon 1991:203; vgl.
BCor IV, 279, 45, 3-7).263
Aus materialdogmatischer Sicht spielen hier BUCERS Soteriologie (s. o. S. 67, Anm. 205) und
vor allem das vermeintliche Herzstück seiner Theologie, die Pneumatologie, eine
entscheidende Rolle; auf beides kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.
Die kurze Analyse zeigt, wie BUCER nur bei oberflächlicher Betrachtung als Ökumeniker
(ohne Anführungszeichen) der frühen Neuzeit, sehr wohl aber als modellhaft für spätere
Ireniker bezeichnet werden kann. Modernes ökumenisches Denken findet hier zwar einen
Vorläufer,
allerdings
in
einem
frühen
261
embryonenhaften
Stadium264
mit
allen
In seinem programmatischen Aufsatz entfaltet Hamm (2003) diese in der Forschung bisher wenig beachtete
Einsicht vor allem anhand des schon erwähnten Widmungsschreibens zur zweiten Ausgabe von Bucers
Evangelienkommentar (BCor IV, 279, 37-67; s. o. S. 38, Anm. 100), einem „traktatartigen Lehrbrief“ (Hamm
2003:88), der die Grundfragen nach Grenzen und Inhalt christlicher Bruderschaft und dem Wesen von Häresie
ausführlich behandelt.
262
Hamm (2003:94) fasst zusammen: „Solange ein Irrender noch an der Liebe zu den Andersglaubenden
festhält, um Frieden, Verständigung und Einheit der Kirche ringt und sich weder selbst von der Gemeinschaft
trennt noch andere aus ihr verbannen möchte, solange kann er nicht als Häretiker oder Ketzer gelten. Wer andere
nicht verketzern will, zeigt damit, daß er selbst kein Ketzer, kein ‚homo haereticus‘ ist (…) [das Bsp. Cyprians
folgt]. Trotz seines Irrtums wirkte der Hl. Geist, der Früchte in Gestalt der Nächstenliebe, Friedfertigkeit,
Duldsamkeit und Sanftmut hervorbringt.“
263
O. a.: „Diese Fragen [Marginalie: Welche Lehre genügt, um ein Christ zu sein] werden, wiederum durch
Paulus, in schöner Weise aufgeklärt. Denn in 1 Tim 1[,3ff], wo Timotheus den Auftrag erhält , bestimmte Leute
zu ermahnen, sich nicht einer fremden Lehre, die in keiner Weise erbauend sei, anzuschließen, fügt er sofort an:
´Das Ziel des Gebotes ist die Liebe, die einem reinen Herzen, aus einem guten Gewissen und aus ungefärbtem
Glauben entspringt.` Damit bringt er klar zum Ausdruck, worin die gesunde und wahre Lehre unserer Religion
gelegen und zu suchen sei, nämlich in der aufrichtigen Liebe eines Gewissens, das jeder Form der Unehrlichkeit
und jeglichem Glaubensimitat abhold ist. Für diejenigen, die des Geistes Christi ermangeln, ist es völlig
unmöglich, eine solche Liebe in die Praxis umzusetzen. Wer dagegen diese Haltung wohl zum Ausdruck bringt,
so daß sein Leben nicht das Gegenteil beweist, soll ohne Einschränkung als ein Glied Christi gelten, ungeachtet
der Irrtümer, mit denen er möglicherweise behaftet ist“ (zit. nach de Kroon 1991:207; vgl. BCor IV, 279, 47, 1424).
264
Die Forschungsdebatte kreist - grob skizziert - um die Frage, ob von einem „frühen Ökumenismus“ im
Geiste brüderlicher Liebe mit dezidiert theologischen Sachpositionen (vgl. Hamm 2001:103f; 2003:86, Anm. 2
u. 105f; Liebenberg 2003:38, Anm. 34 u. generell Friedrich 2002) oder doch eher von einer kirchenpolitischen
Taktik im Dienste der „Reformation“ die Rede sein muss (so z. B. Gäumann 2001:443, bes. Anm. 14 o.a. :455
84
Entwicklungsschüben und Geburtswehen, die naturgemäß noch ausstehen.
2.3 Motive und Grenzen der BUCER’SCHEN Vermittlungstätigkeit
Leben und Werk Martin Bucers werfen viele Fragen auf hinsichtlich der Bezeichnung BUCERS
als „Apostel der Eintracht“ (Hubert Jedin). Eine kurze Zusammenfassung und - wo nötig weiterführende Reflexion der bisherigen Ergebnisse, mit besonderer Konzentration auf die
Motive und Grenzen der BUCER’SCHEN Vermittlungstätigkeit, bilden den Übergang zu der
nächsten Fragestellung rund um den Themenkomplex „Evangelikale und Ökumene“ (Kap. 3).
Mit den nun folgenden abschließenden Einsichten zu Person und Werk Martin Bucers soll
aber vor allem eine nachvollziehbare Grundlage für die kritische Vergegenwärtigung des
„dogmatischen Erbes“ des Straßburger Reformators in Kap. 4 geschaffen werden. Der Frage
nach der Bedeutung BUCERS, seiner Wirkungsgeschichte im allgemeinen (die unter 2.1
angerissen wurde), soll des Weiteren an dieser Stelle etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt
werden.
Nach bisherigem Forschungsstand zur theologischen Gewichtung der einzelnen Topoi bei
BUCER lässt sich Folgendes in groben Zügen festhalten: Aussagen zur Christologie finden sich
kaum, die Soteriologie wird dagegen entfaltet (vgl. vor allem 2.2.2.2) 265 und die Ekklesiologie
nimmt weiten Raum ein (vgl. 2.2.1). In dieser Hinsicht ist die Bezeichnung als „moderner“
Theologe, da er die Ekklesiologie als das Thema des 20. Jahrhunderts bereits im 16.
Jahrhundert ins Zentrum gerückt hat (so laut Marc Lienhard, in: Hammann 1989:12), nicht
von der Hand zu weisen.266 BUCERS praktisch-theologische Ausrichtung, präziser die
Herausforderung, mit den praktischen Fragen seiner Zeit umzugehen, nicht nur Kirche und
Theologie betreffend, ist hier stets mit zu erwägen. Neben diesen standen ihm auch die
sozialpolitischen Anfragen der „gemeinen“ Bevölkerung vor Augen (Matheson 2007:8f).
Verkürzt wäre nun die Vorstellung, bei BUCER käme die systematische Reflexion als
Theologe zu kurz, wenn auch immer wieder die streng dogmatische Verfassung seiner
im Rückgriff auf Kaufmann 1992; vgl. auch Greschat 2005:107, Anm. 12).
265
Die von Bucer vorgetragene „doppelte“ Rechtfertigung des Menschen (präziser unter 2.2.2.2) rief damals
wie heute Widerspruch hervor. Protestantische Theologen des 20. Jahrhunderts können sie als „begriffliche[s]
Zwittergebilde“ (Ritschl 1926:151) oder ein „schwaches Fündlein“ bezeichnen (Holl 1948:122). Eine
weitergehende Auseinandersetzung mit dieser Thematik von hohem ökumenischen Potential erfolgt in Kapitel
4.3.
266
Bezeichnungen wie „Theologe der Kirche“ (Kantzenbach 1957:122) unterstreichen diesen Sachverhalt. Ein
Vorrang der ekklesialen Gemeinschaft für Bucer gegenüber soteriologischen oder auch anderweitigen Lehrfragen
ist dabei nicht zu leugnen (Hammann 1989:62). Van’t Spijker (1991b:25) kann sich sogar zu der These
durchringen, dass sich die gesamte Ekklesiologie Bucers in nuce in seiner Abendmahlslehre vorfinden lässt. Mit
der Formel der „unio sacramentalis“ gelingt ihm dabei in konzentrierter Form sein ekklesiologisches Anliegen
vorzutragen: Die sakramentale Einigkeit „ist nicht nur eschatologische Vorwegnahme unseres zukünftigen
Menschseins in Christus, sie hat auch eine ekklesiologische Wirkung: sie schafft wahre kirchliche
Gemeinschaft“ (Hammann 1991:132).
85
theologischen Ansätze (die teilweise durch CALVIN eine Fortführung erfuhren) nicht
vorliegt.267
Außer
Frage
steht,
dass
er
der
dogmatischen
Grundierung
seiner
kirchenpolitischen und theologischen Arbeit bis zuletzt treu blieb (s. o. S. 21f; Greschat
1981:11; de Kroon 1991:237; Greschat 2005). Mit der Wittenberger Konkordie von 1536 kam
seine Theologie dabei zu einem Abschluss (vgl. Kap 2.2.1.3; van’t Spijker 1991b:37 im
Rückgriff auf G. Anrich). Es erscheint nicht vermessen, die innerprotestantisch-irenischen
Bemühungen im Abendmahlsstreit parallel zu seinen „ökumenischen“ Bemühungen
gegenüber den Altgläubigen zu sehen: In beiden Fällen geht der Straßburger mit derselben
Taktik und denselben Vorstellungen die Verhandlungen ein; beide Male rechnet er auch
tatsächlich mit einer Verständigung (Seebaß 1991:291 im Rückgriff auf C. Augustijn).
Die theologiegeschichtlich brisante Frage, worin der „eigenständige“ Typus
reformatorischer Theologie (de Kroon 1991:256f268; Friedrich 2002:126) bei BUCER besteht,
von welcher Beschaffenheit also sein „System“ zwischen LUTHER und ZWINGLI (die gängige
Annahme seit Ludwig Grote) im Einzelnen ist, stellt weiterhin eine Forschungsaufgabe dar. 269
Als „Pneumatologe“270 bei allen wertvollen Erkenntnissen im Bereich der Ekklesiologie und
darüber hinaus muss sich BUCER allerdings die Frage gefallen lassen, inwieweit eine
„theologia crucis“ zu seinem Repertoire gehört. Das Ergebnis ist ein nicht zu leugnender
ethischer und ekklesiologischer Perfektionismus (nicht nur moraline Predigten aus seiner
letzten Phase zeugen hiervon), der alles andere als unproblematisch ist. Eine notwendige,
weitere Erörterung dieser Frage soll in Kap. 4.5 geschehen.
Exkurs 1 - Die Beziehung zu CALVIN: An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, einen
Augenblick bei der nicht nur theologischen Beziehung BUCERS zu seinem wohl bekanntesten
267
Ohne in Hagiographie zu verfallen, kann man Bucer als einen der bestausgebildeten Theologen seiner Zeit
ansehen (van’t Spijker 1991b:37). Überhaupt ist die Frage nach systematischer Beschaffenheit des Stoffes immer
noch mit Holl’s (1948:117, Anm. 2) Diktum bzgl. Luther zu beantworten: „Die jetzt sprichwörtlich gewordene
Redensart ‚Luther war kein Systematiker’ deckt zumeist nur die Bequemlichkeit, es ernsthaft mit dem
Nachdenken über Luthers verschieden klingende Aussagen zu versuchen. Aber was Augustin oder Goethe recht
ist, sollte auch Luther gegenüber billig sein. Wenn man unter einem Systematiker einen Mann versteht, der
imstande ist, große Gedankenzusammenhänge zu erschauen, dann war Luther in weit höherem Maß
Systematiker als Calvin, um von Melanchthon gar nicht zu reden. Schulmeisterliche Art des Vortrages ist doch
nicht das Kennzeichen des Systematikers.“
268
De Kroon (1991:256f) versucht hierauf eine kurze Antwort in Form von acht Thesen zu geben, deren
Inhalte bisher noch keine umfassende Aufnahme in der dogmatischen Reflexion gefunden haben. Nach Strohm
(2001:98-107; 2002a:119-123) lässt sich der vermittlungstheologische Ansatz Bucers vor allem durch drei
Schwerpunkte kennzeichnen: 1. Pragmatisch-undogmatische Grundorientierung; 2. Geisttheologische
Grundlegung und spiritualistische Tendenzen; 3. Ethische Ausrichtung.
269
Selderhuis (2002:21f) ist zuzustimmen, wenn er anhand der „Loci Communes“ des Wolfgang Musculus,
der maßgeblich von Bucer beeinflusst wurde, auf den Drang seiner Disziplin – der Kirchen- und
Dogmengeschichte – hinweist, Personen und ihre „Systeme“ einzuordnen. Die Gefahr, die eine solche, zuweilen
vorschnelle Platzierung mit sich bringt, liegt auf der Hand: Die Eigenständigkeit weniger bekannter Personen
und ihrer Werke (!) wird oft in Abrede gestellt. In Bezug auf Bucer bedeutet dies, verwirft man ihn nicht als
reinen Eklektiker, dass eine wirkliche Synthese der Einzelzüge seiner Theologie im Moment noch nicht möglich
ist (so Neuser 1991:79f).
270
Die Betonung dieses Locus’ darf nicht zu der unkritischen Annahme führen (vgl. Lang 1972:94f.127-129),
Bucer in der Nähe von Schwärmertum und mystischem Spiritualismus zu sehen, auch wenn der äußere Befund
dies zuweilen nahelegt (Müller 1965:176, Anm 26; vgl. auch :189-194.138-142).
86
Schüler, Johannes Calvin, zu verweilen.271 Die „ökumenischen“ Linien, die von BUCER
ausgehen und durch CALVIN eine Fortsetzung erfahren haben, sind für die
theologiegeschichtliche Analyse höchst beachtenswert. 272 CALVIN gehörte zu den wenigen
Theologen der Reformationszeit, die mit BUCER sowohl letzte Verständigungsmöglichkeiten
mit katholischen Theologen, als auch die Einigung der evangelischen Kirche suchten. BUCER
prägte hierfür anscheinend den Begriff „Synkretismus“, der später eine andere Bedeutung
erfuhr (Weber 1960:130). Selderhuis (2003:205-207) hat anhand des Psalmenkommentars
CALVINS herausgearbeitet, dass eines der tragenden Motive für den Genfer Reformator ebenso
das Streben nach Einheit war. 273 Dogmatisch trafen sich beide in dem Herzstück ihrer
jeweiligen Theologie: „Es ist die praesentia realis, die Gemeinschaft mit Christus, die
Einwohnung Christi in unseren Herzen, die durch den Geist zustande kommt. ‚Ergo spiritum
eius vinculum esse nostrae cum ipso participationis agnoscimus‘ [CO 9, 712]“ (van’t Spijker
1993:468). Man könnte eine von der Pneumatologie bestimmte Ekklesiologie als
gemeinsamen Motor der Einigungsbemühungen beider Reformatoren bezeichnen. 274 Konkret
äußerte sich dies bei CALVIN z. B. durch den von ihm mitveranlassten „Consenus Tigurinus“
von 1549, der bekanntlich von mehr Erfolg gekrönt war als die Unionsbemühungen des
Straßburger Lehrers und Freundes. CALVINS Weiterführung der BUCER’SCHEN Anliegen in
Form von Religionsgesprächen muss man als historisch einzigartige Versuche deklarieren.
„Dass dieser Versuch [im Falle Bucers] im Rahmen der damaligen historischen Situation
zum Scheitern verurteilt war - wie wir heute rückblickend feststellen können - ändert
nichts an seiner historischen Bedeutung. Bucer selbst war sich vielleicht bewusster als die
meisten anderen, wie stark hier Glaube und Politik vermengt waren und scheiterte am
Ende ja weniger theologisch als politisch, ja eigentlich militärisch“ (Schirrmacher
2005:122).275
Hier von Utopismus zu sprechen, was im Hinblick auf BUCERS letzten Entwurf für die
271
Auf den berühmt-berüchtigten Brief des jungen Calvins an Bucer vom 12. Januar 1538 (CO 10, 137-144)
kann hier nicht ausführlich eingegangen werden. In aller Kürze: Trotz des markanten Unterschiedes im
Lebensalter geht Calvin mit Bucer deutlich ins Gericht (umgekehrt ist dies nur schlecht vorstellbar; Ella 2004:7).
Der Grund ist die ganz und gar unterschiedliche Beurteilung der bleibenden Rolle der altgläubigen Kirche
(Greschat 2009:171) und das – aus Calvins hochnäsig vorgetragenen Sicht – nur wenig vorbildhafte Verhalten
Bucers in den bisherigen Bemühungen um eine Einigung. Man muss den Eindruck gewinnen, so der bis dahin
noch „französische Grünschnabel der Theologie“ (Selderhuis 2009:105), dass Bucer mit seiner schmeichelhaften
und ausführlichen Art einen Christus will, der allen gefällt. Die Gefahr liegt auf der Hand, dass das neu entdeckte
Evangelium daran Schaden nimmt (zur weiteren Analyse s. van’t Spijker 1993:464; Busch 2005:117-120.125).
272
„Wenn man mit Recht von einem Calvinus oecumenicus spricht, so hat Bucer diese Gabe bei seinem
Freunde entdeckt und ihn zum Handeln angestachelt“ (van’t Spijker 1993:462; vgl. neuerdings zur
„Ökumenizität“ Calvins H. J. Selderhuis. Reise zur Einheit: Der ökumenische Calvin, in: Frank & Käuflein
2010:183-201).
273
Calvin schreibt z. B. zu Ps 133,2: „Lasst uns dann, soviel wir nur können, uns einsetzen, um Raum für
brüderliche Einstimmigkeit (‚fraterna concordia‘) zu schaffen, so dass Gottes Segen auch unter uns bleiben kann.
Lasst uns jene mit ausgestreckten Armen zu empfangen begehren, die mit uns Meinungsverschiedenheiten
haben, es sei denn, sie weigern sich, in die Einheit des Glaubens zurückzukehren, denn wenn sie das nicht
wollen, müssen wir ihnen Lebewohl sagen“ (CO 32, 355; Übers. nach Selderhuis 2003:206).
274
Aus den vielen Berührungs- und Anknüpfungspunkten der Theologie Calvins und Bucers seien hier nur
zwei kurz erwähnt, die für diese Untersuchung von Bedeutung sind: Das Miteinbeziehen der Laien und ihrer
Basisgemeinden für die theologische Urteilsbildung (so immer wieder namentlich im Abendmahlsstreit; vgl.
Busch 2005:121; zum Priestertum aller Gläubigen vgl. BDS 1, 83, 12) und die feste Überzeugung, dass es
Fundamentalartikel, aber ebenso Meinungsverschiedenheiten in Lehrfragen gibt, welche „die Einheit im Glauben
nicht zerreißen“ können (Inst. IV, 1, 12; vgl. IV, 2, 1-2).
275
Schirrmacher fährt fort im Hinblick auf das Charakterbild Bucers: „Dass das Scheitern schon in der bitteren
Polemik und den tiefen Zerwürfnissen ehemaliger Freunde bereits zum Greifen ist, dass die Politik persönliche
Beziehungen längst eingeholt hatte, hat Bucer selbst wohl nie ganz wahrhaben wollen. Um so tiefer zeichnen die
Schriften denn auch ein Bild der Persönlichkeit Bucers, der einerseits die ‚vergleichung‘ wünscht, andererseits
auf die tiefgreifenden persönlichen Beschuldigungen reagieren muss, etwa den Vorwurf, dass er gegen das
kanonische Recht nicht Witwer geblieben sei, worauf Bucer umfassend mit biblischen, theologischen,
kanonischen und reichsrechtlichen Argumenten antwortet und sich dabei als einer der besten Kenner des
kanonischen Rechts und des Reichsrechts zu seiner Zeit erweist.“
87
englische Staatskirche „De regno Christi“ hingegen nicht verfehlt sein dürfte, greift nicht.
„Die Männer [sic!] die diese Einigungspläne ausdachten, Männer wie Erasmus, Cassander,
Bucer, Cranmer, Calvin (…) darf man sich nicht als utopische Idealisten mit leuchtenden
Augen vorstellen. Auf anderen Gebieten ihrer Arbeit bewiesen sie alle die Fähigkeit zu
praktischer Leistung“ (Rouse und Neill 1963:97; vgl. auch Anrich 1914:85).
Zurück zur Motivlage BUCERS und ihren Grenzen: Auffällig an BUCERS Arbeitsweise,
insbesondere in der frühen Phase, ist die Tatsache, dass es sich bei vielen „seiner“ Werke um
Gemeinschaftstexte der Straßburger Pastorenschaft handelt (vgl. Kap. 2.2.1.1). Ob dies
schlicht ein historisches Faktum darstellt oder Ausdruck seiner Hochschätzung der ekklesialen
Wirklichkeit ist, wäre zu untersuchen. In hermeneutischer Hinsicht kann BUCER sicher als
früher Zeuge dafür dienen, die Kirche als „Interpretationsgemeinschaft“ (Ulrich Luz)
aufzufassen, Exegese also nicht ausschließlich als Werk eines einzelnen Geistbegabten zu
verstehen (vgl. BDS 4, 82, 20-29; 83, 6-12; BCor II, 160, 471ff, Nr. 135). Die Bedeutung der
Schriftexegese für BUCER als Schrifttheologen steht außer Frage, jedoch nicht um den Preis
der gegenseitigen Verdammung aufgrund von unterschiedlichen Ergebnissen, die eben im
Raum der Kirche zur Diskussion gestellt werden müssen und dürfen (vgl. van’t Spijker
1991b:14f; Friedrich 2002:55). Mit dem Hinweis auf
BUCERS Verständnis von
Schriftauslegung soll nun das Augenmerk auf den Einfluss seiner humanistischen Bildung für
diese Fragestellung gelenkt werden. Als Proprium jener Bewegung, die sich ganz neu der
Texterfassung und -auslegung verschrieben hat, liegt dieser Seitenblick nahe.
Exkurs 2 - Humanistische Einflüsse bei BUCER: Zum Verhältnis zwischen humanistischer
Tradition und reformatorischer Gesinnung bei BUCER liegen naturgemäß verschiedene
Standpunkte vor. Nicht zu leugnen ist die Begeisterung, mit welcher der junge, durch den
Schlettstädter Humanismus vorgeprägte BUCER, sich Erasmus von Rotterdam und seine Werke
zu eigen machte (s. o. Kap. 2.1).276 Die seit Stupperich (1936:22) aufgestellte These, es
handele sich bei dieser erasmischen Beeinflussung der Theologie BUCERS nicht nur um ein
anfängliches Phänomen, wird kaum mehr widersprochen (vgl. Krüger 1970:3-37; Krüger
1993:584). Die Frage ist nur, von welcher Intensität und in welchem Bereich diese
Beeinflussung in BUCERS theologischem Portfolio greift und sich auswirkt. Unbestritten
stammen die Hochschätzung der Kirchenväter als Ausleger der Hl. Schrift, das antike Ideal
einer vorbildhaften Epoche der alten Kirche (s. o. S. 59f) und vor allem die Überzeugung,
man komme der Einheit der Kirche in dem Maße näher, wie alle Parteien sich wirklich
276
Man gewinnt den Eindruck, dass in diesem Stadium für Bucer (so in einem Brief an Beatus Rhenanus vom
1. Mai 1518; WA 9, 162, 1-13) noch kein substanzieller Unterschied zwischen Luthers Position und derjenigen
des Erasmus bestand. „Bucers Ansicht nach ist Luther in allem mit Erasmus einverstanden, und Luther hat seine
Absicht erreicht, daß alle in Wittenberg jetzt die griechische Sprache studieren und Hieronymus, Herodot,
Augustin und Paulus lesen“ (Balt 1993:597). Der aufkeimende Konflikt um die Vorstellung von „Reformation“
(totale Umwälzung oder schrittweise Erneuerung) zerstörte aber sehr schnell diese harmonische Auffassung, und
führte zu einer wechselvollen Beziehung zwischen Bucer und Erasmus - ganz zu schweigen von Luther (vgl.
hierzu immer noch Oelrich 1961:30-32; 52, Anm. 13; 75, Anm. 136; 119f). Die grundlegende
Akzentverschiebung durch die Teilnahme an der Heidelberger Disputation für den jungen Bucer (s. o. S. 19), sei
hiermit nur kurz angedeutet: „Im eigentlich theologischen Bereich ist Erasmus an die zweite Stelle gerückt. Das
Neue, das Luther gebracht hat, ordnet sich mehr alle früheren Einflüsse unter“ (Greschat 1969:129; vgl. auch
Brecht 1991:227 u. zu der bekannten Erasmusglorifizierung durch Bucer in BDS 2, 332-333.379 Kittelson
1973:181, Anm. 43).
88
Christus als ihrem Herrn unterwerfen, aus dieser Richtung. Bei genauer Betrachtung fallen
jedoch auch die Unterschiede zu ERASMUS auf: Konnte jener unter Betonung des „Wesens des
Christentums“ (man wird an E. Troeltsch erinnert) theologische Differenzen relativieren und
den Konfliktparteien schlichtweg empfehlen, die bestehenden Unterschiede „einfach“ in
Liebe zu ertragen,277 so war das in dieser Form für BUCER nicht möglich.278 Seine biblischtheologische Zielsetzung, die Durchsetzung des Willens Gottes, die Ausbreitung des regnum
christi „quam latissime“ (Anrich 1914:141), verbot ihm eine nicht-protestantische Lösung des
Konfliktes. Nach Seeberg (1954:559) ist CALVIN dem Vorbild BUCERS treu geblieben: „Nie
verliert bei Calvin der evangelische Geist die Zügel dem Humanismus gegenüber aus der
Hand, er allein leitet letztlich seine Weltanschauung.“ Die aus luth. Sicht allerdings zu
bemängelnde, nicht vorhandene Unterscheidung von Gesetz und Evangelium (vgl. Anrich
1914:122; Kantzenbach 1957:119), in der BUCER dem Rotterdamer Humanist nachfolgte,
stellt eine Thematik ganz eigener Art vor.
Ein Resümee im Sinne einer treffenden Charakterisierung BUCERS bleibt nach dem bisher
Dargelegten schwierig: Seine komplexe Persönlichkeit hinterlässt einen zwiespältigen
Eindruck (hierüber liegen wie gewohnt Forschungsdebatten vor, z. B. zwischen W. Köhler, G.
Seebaß u. M. de Kroon; Greschat 1993 beginnt seine Charakterstudie ausgehend von BUCERS
Physiognomie). Ziel der vorliegenden Untersuchung war bisher nicht nur Theologie und
Wirken aus den innersten Motiven heraus, sondern auch den „Menschen“ Martin Bucer
zumindest am Rande immer wieder zum Vorschein kommen zu lassen. Die Grenzen hierbei
sind schnell ersichtlich, zum einen ist eine beinahe psychologische Beurteilung einer Gestalt
des 16. Jahrhunderts aus der Sicht des 21. Jahrhunderts immer ein wenig problematisch (vgl.
nur die bekannte Studie Erik H. Eriksons im Falle LUTHERS279), zum anderen kommt man
naturgemäß, je nachdem von welcher Seite man sich nähert (Lebensphase, dogmatische oder
exegetische Texte usw.), zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Verblüffend ist sicher die
Einsicht, dass man in Martin Bucer nicht einen geschmeidigen Diplomaten vor sich hat,
sondern eher den „Bauern“ - ähnlich wie ZWINGLI - unter den Reformatoren (Greschat
2009:91; auch eine Anspielung auf die Zunft, der er sich anschloss). Ebenso selbstbewusst mit
Sendungsbewusstsein ausgestattet wie LUTHER (BUCERS Lieblingsstelle war zu einer gewissen
Zeit Dtn 13, 1ff; vgl. Greschat 1978:90f), wusste er, wie dargelegt, für seine Überzeugungen
sowohl taktierend (s. o. 2.2.1.1)280 als auch vehement einzutreten. Die Ablehnung des
277
Erasmische Begriffe wie „Synkatabasis“ leuchten hier auf: Bei Meinungsverschiedenheiten soll einer den
anderen ertragen, Frieden halten und eine Anpassung des einen an den anderen Teil anstreben, ohne die eigenen
Artikel „stantis et cadentis ecclesiae“ aufzugeben (vgl. Friedrich 2002:145). Auf den erasmischen
Toleranzbegriff kann hier nicht näher eingegangen werden.
278
Ausdrücklich sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Erasmus hiermit keine Denkfaulheit in dieser
Angelegenheit unterstellt werden soll. Der Konzentration auf das „Wesentliche im Glauben“ unterliegen für
Erasmus selbstverständlich weitrangige philosophisch-theologische Einsichten (so zu Recht Krüger 1993:586),
die in ihrer „Einfachheit“ im Sinne von Klarheit anziehend auf den jungen scholastisch gebildeten Bucer gewirkt
haben müssen.
279
Neuerdings hat sich Thorsten Dietz 2009. Der Begriff der Furcht bei Luther. (BHTh 147). Tübingen: Mohr
Siebeck dazu geäußert.
280
Verstörend bleiben Äußerungen von Bucer im Rahmen der Konkordienbemühungen, es sei zuweilen
notwendig um der luth. Brüder willen, die schwach im Glauben seien, Worte zu finden, die beide Seiten
verwenden oder sich sogar zu verstellen - „dissumulare“ (so in einem Brief an Berchtold Haller vom 5. Januar
89
Augsburger Interims dient hier als offenkundige Demonstration einer Unionsbereitschaft, die
auch ihre Grenzen kennt und setzt. Sucht man nach einer Art Chamäleon oder wenigstens
einen sehr vorsichtig hantierenden Amtsträger unter den Straßburger Theologen, so stößt man
auf
Kaspar
Hedio,
der
sich
nicht
vor
dem
Herbst
1527
öffentlich
zu
der
Abendmahlsauffassung seiner Straßburger Kollegen bekannte (Kaufmann 1992:275f). Eine
nüchterne Charakterisierung des Straßburger Pfarrers, der weitaus früher aus seinen
Überzeugungen kein Hehl machte, bietet Wolgast (1993:146); als „lehrender Ratgeber“
erstreckte sich seine Korrespondenz über das ganze damalige Deutsche Reich und darüber
hinaus. Ihn als einen „großen Theologen des Dialogs“ (Greschat 2009:284) zu bezeichnen,
trifft sein Selbstverständnis, immer unter der Maßgabe seine Dialogbereitschaft unter den
Bedingungen seiner Zeit zu verstehen. In seinem „Dialog“ über den Dialog kann BUCER aus
Erfahrung folgern:
„Das erfahren wir zwar taeglich in allen disputationen und ernstlichen gespra echen, da die
leüt nit gleiche mainungen haben. Wie kümmerlich lasset nur ainer den anderen außreden,
ich geschweig, das yeder des andren red also deütete und richtete, wie er wolte, das im
seine red gedeütet und gerichtet wurde. Und wa schon sovil beschaidenhait ist, das ainer
den andren laßt ausreden, so gedenckt doch yeder, dieweil der ander redt, meer, wie er
antwort gebe und dem andren seine rede widerlege, dann was der ander rede und ob solche
rede auch bestehn moege. Niemand will lernen, alle lehren.“ (BDS 6/2, 58, 20-26;
Hervorhebung von mir)
Exkurs 3 – BUCERS bleibende Bedeutung: In einem letzten Exkurs soll der unter 2.1
angeschnittenen Thematik, der Frage nach dem Einfluss Martin Bucers über seinen damaligen
Wirkungskreis hinaus, weiter nachgegangen werden.281 Dass er als - wenn man so will - der
große in Vergessenheit geratene Anreger Impulse weitergegeben hat von europäischem
Ausmaß für die Reformation und ihre Geschichte, wurde schon dargelegt. 282 In CALVIN fand er
einen Schüler, der über sein eigenes Werk hinausgewachsen ist, oder besser, seine Ideen
äußerst erfolgreich systematisierte und kolportierte. Zu der Bezeichnung „der Pietist unter den
Reformatoren“ muss allerdings angemerkt werden, dass es keine direkten historischen
Verbindungslinien zu einer Person wie z. B. Philipp Jakob Spener gibt, auch wenn dies immer
wieder behauptet wird (dazu ausführlich Wallmann 1993). Theologiegeschichtliche Linien in
diese Richtung sind dagegen vorhanden, aber eher indirekter Natur (bspw. „collegia pietatis“;
Einführung der Konfirmation), außer man macht den durch BUCER geschaffenen Typus von
1531; Neuser 1999:38; vgl. auch Neuser 1998b:217 u. Friedrich 2002:197).
281
Die Fragestellung kann nur angerissen werden. Aufgabe der vorliegenden Untersuchung kann es nicht sein,
die gesamte Wirkungsgeschichte samt aktuellen Eingaben durch Bucers Werk darzustellen. Einschlägige Studien
unterschiedlicher Provenienz bieten hierzu ganze „Auflistungen“ mit Impulsen, die von Bucer bis heute
ausgehen oder ausgehen sollten (vgl. nur Britton 1989:34-36; Hammann 1989:338-344[Gang 1991:80-83 bietet
eine populärwissenschaftliche Zusammenfassung von Hammanns Ausführungen]; Schirrmacher 2002:73-74;
Greschat 2009:286).
282
Bucers letztes Wirken im englischen Exil und der damit verbundene bleibende Einfluss (z. B. die
Hochschätzung des AT durch ref. Puritaner, „Censura“ des Book of common prayer usw.), würde ein
umfassendes Kapitel zur Wirkungsgeschichte füllen. Nur am Rande: Ganz und gar nicht in Bucers Sinne
starteten die Reformationsversuche auf der Insel mit Adiaphora, anstatt mit Hauptfragen. Wichtiger als über die
amtliche Kleiderordnung zu streiten, sei es sich um die Ausbildung der Pfarrer und das geistliche Niveau der
Gemeinden zu kümmern (so Bucer an Cranmer; vgl. Joisten 1991:158). Noch ein Jahrhundert später konnte ihn
John Milton als „this apostolic man“ o. a. „the pastor of nations“ rühmen (Wolgast 1993:159), ein Ruhm, der
ihm nicht lange beschieden blieb.
90
ref. Theologie grundsätzlich für das geistige Klima des späteren Pietismus verantwortlich
(vgl. Neuser 1991:78f). Wie dem auch sei, die von BUCER vorgetragene „offene
Ekklesiologie“ (so vermehrt Hammann) ist mehr und mehr zu einem Kennzeichen moderner
Kirchenauffassung und Gemeindelehre, sowohl im landes- wie auch freikirchlichen Kontext
geworden. Die Differenz zwischen Lehrdokumenten und Gemeindepraxis und -frömmigkeit
ist hier selbstredend mitzubedenken. Es erscheint daher auch nicht vermessen, in Dietrich
Bonhoeffers „Communio Sanctorum“ wiederholt Anregungen aus der Ideenwelt des
Straßburger Reformators finden zu wollen - ohne jedoch ein Zitat explicite nachweisen zu
können. Über den formellen theologischen Rahmen hinaus kann noch von einer weiteren
bleibenden Bedeutung BUCERS gesprochen werden: Die frühe Betonung dessen, was heute
„Sozialbereich“ genannt wird, könnte man vielleicht strukturell als BUCERS ganz persönliche
Eigenart titulieren (Baumann 2001:9).283 Mit anderen Worten, etwas hinterhältig formuliert:
Im Vergleich zu den anderen Reformatoren, bei aller menschlichen Schwäche, liegt mit
Martin Bucer einer der sozial-kompatibelsten Vertreter der protestantischen Bewegung vor.
Offen bleiben müssen viele grundlegende Fragen, die nicht ins Zentrum dieser MTh-Diss.
gehören und daher nur am Rande eine Behandlung erfahren haben (das Verhältnis von
Obrigkeit zum Reich Christi, die bleibende Bedeutung des altestamentarischen Gesetzes und
das Verhältnis zu kanonischem Recht und Reichsrecht, der ganze Bereich der Ethik [vgl.
Koch 1962], die bemerkenswerte anthropologische Fragestellung nach dem Einfluss der
Affekte auf eine theologische Debatte, s. nur das „Osiander-Zitat“, in: Hammann 1991:114,
Anm. 22 usw.). BUCER ist offensichtlich sehr viel gereist: Vielleicht könnte man die Frage
nach dem Einfluss des Reisens und den damit verbundenen Austausch auf die Theologie der
Reformatoren als ein Desiderat in der Forschung benennen? Bekannt und vielleicht lakonisch formuliert - als eine Ironie des Schicksals aufzufassen ist die Tatsache, dass BUCER
mehr Erfolg in seiner „Vermittlungstätigkeit“ in Sachen Eheschließungen hatte, als in den
übrigen Handlungsfeldern (vgl. Selderhuis 1993:175; Selderhuis 1994:152ff).
Im Sinne Bornkamms (1952:36) - „Bucer hat keiner Kirche allein angehört, sondern der
Ökumene“ - richtet sich das Augenmerk nun auf die ökumenische Bewegung, die BUCER
folgen sollte, und deren Verhältnis zur evangelikalen Welt.
3. Evangelikale und die Ökumene
3.1 Ökumenismus als neuzeitliches Phänomen
Nach der Darstellung einer profilierten theologiegeschichtlichen Position und ihres
historischen
Kontextes
folgt
hiermit
ein
Kapitel
neuzeitlicher
Kirchen-
und
Theologiegeschichte, das noch nicht abgeschlossen ist. Bevor der Blick auf den wie auch
immer gearteten Ökumenismus innerhalb der evangelikalen Bewegung, insbesondere
283
Daneben tritt eine außergewöhnliche „Beweglichkeit“ im Denken (van Campen 1991:85), die ihm
allerdings immer wieder zum Vorwurf gemacht wurde.
91
Lausanner Prägung, geworfen wird, soll zunächst ein kurzer Überblick dabei helfen, die von
BUCER u. a. ausgehenden Linien bis hin zum heute vorliegenden Ökumenismus
nachvollziehen zu können. Mithilfe des Dreiklangs „Historische Streiflichter“, „Theologische
Schwerpunkte“ und „Aktuelle Perspektiven“ soll dies geschehen. „Man kann in der
ökumenischen Bewegung (..) die wichtigste kirchliche Reformbewegung der jüngeren
Kirchengeschichte sehen“ (Huber 2008:166). Es folgt eine kurze historische Skizze, wie es
dazu kommen konnte.
3.1.1 Historische Streiflichter
Ohne Frage ist der „ökumenische“ Gedanke (an dieser Stelle wieder bewusst in
Anführungszeichen) älter als die Gestalt Martin Bucers. Wie in den vorhergehenden Kapiteln
ausgeführt wurde, war er auch keineswegs der einzige im Zeitalter der Reformation, der an
einer Wiedervereinigung der Konfessionen interessiert war (neben ERASMUS, MELANCHTHON,
später CALVIN u. a. wären noch weniger bekannte Namen zu ergänzen). Nun die wechselvolle
Geschichte bis zur Entstehung des ÖRK im 20. Jahrhundert en détail nachzuzeichnen, immer
unter Berücksichtigung der unterschiedlichen „Territorien“, kann nicht Aufgabe der
vorliegenden Studie sein. Schlagwortartig sei auf Folgendes verwiesen: Noch im 16.
Jahrhundert, in den Jahren 1573-1581, ließ die württembergische Kirche Tübinger Theologen,
entsenden, um mit dem Patriarchen Jeremias den II. von Konstantinopel über den
neugewonnenen evangelischen Glauben nach der CA zu verhandeln, allerdings ohne
Resultat.284 Sowohl die Spätreformation wie auch das konfessionelle Zeitalter kennen
Einigungsversuche aufgrund von „ökumenischen“ Gesprächen über die Konfessionsgrenzen
hinweg (vgl. Rouse und Neill 1963:36-230).285 Neben den aufgeklärten Theologen286 hatten
bekannterweise auch Vertreter des Pietismus wie ZINZENDORF oder FRANCKE intensive
„ökumenische“ Kontakte mit dem Ziel, die Gemeinschaft der wahren Kinder Gottes zu
fördern.287
284
Vgl. hierzu Dorothea Wendebourg 1986. Reformation und Orthodoxie: Der ökumenische Briefwechsel
zwischen der Leitung der württembergischen Kirche und Patriarch Jeremias II. von Konstantinopel in den
Jahren 1573-1581. (FKDG 37). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
285
Exemplarisch für das sog. konfessionelle Zeitalter sei hier nur auf Georg Calixt hingewiesen, der als
prominenter Vertreter des „ökumenischen“ Gedankens auf luth. Seite bezeichnet werden kann und ebenso wie
Bucer in äußerst polemische Auseinandersetzungen geriet (vgl. immer noch Paul Tschackert [Ernst Ludwig
Theodor Henke] 1897. Calixtus, Georg. RE3, 643-647 u. Kantzenbach 1957:230-244); für das ref. Spektrum vgl.
neuerdings Tobias Sarx 2007. Franciscus Junius d.Ä.: Ein reformierter Theologe im Spannungsfeld zwischen
späthumanistischer Irenik und reformierter Konfessionalisierung. (RHT 3). Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht.
286
Vgl. Christopher Spehr 2005. Aufklärung und Ökumene: Reunionsversuche zwischen Katholiken und
Protestanten im deutschsprachigen Raum des späteren 18. Jahrhunderts. (BHT 132). Tübingen: Mohr Siebeck.
287
Sigurd Nielsen 1951-60. Der Toleranzgedanke bei Zinzendorf: Intoleranz und Toleranz bei Zinzendorf.
Bde. 1-3. Hamburg: Appel (Zinzendorf führte die Begriffe „ökumenisch“ o. a. „Ökumene“ beinahe inflationär in
die kirchenpolitischen Debatten seiner Zeit ein, zumeist antithetisch gegenüber der römischen Kirche oder
92
Die Geschichte der neueren ökumenischen Bewegung erreichte dann ihren vorläufigen
Höhepunkt mit der Gründung des ÖRK am 23. August 1948 in Amsterdam (WCC – „World
Council of Churches“).288 Der Weg dorthin ist untrennbar verbunden mit der internationalen
Erweckungsbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts und den Ökumenikern, die aus ihr
hervorgingen (z. B. John R. Mott). Institutionen, die in diesem Dunstkreis entstanden sind,
wie die „Evangelische Allianz“ (1846), der „Weltbund der Christlichen Vereine Junger
Männer“ (CVJM / 1855) und der „Christliche Studentenweltbund“ (1895) sind hier als
Wegbereiter der Ökumene zu nennen. Sie gehören zu einer von drei Gruppen (nach Slenzcka
1998:428), in denen man die unmittelbaren Anfänge der ökumenischen Bewegung vor sich
hat: a) Mit dem christlichen Vereinswesen liegen interkonfessionelle Vereinigungen auf
persönlicher Basis vor, ohne die unterschiedliche Bekenntnislage zu problematisieren
(„Bruderbund statt Kirchenbund“). b) Die konfessionellen Weltbünde stellen dagegen
Zusammenschlüsse von Kirchen eines Bekenntnisses dar, allerdings verschiedener
Nationalität und Kultur. c) Kennzeichen der Weltmissionskonferenzen ist schließlich der
Versuch einer praktischen Zusammenarbeit von verschiedenen Kirchen, insbesondere deren
Missionsgesellschaften (der gemeinsame Dienst hat Vorrang vor dem Dogma). Einige
Hintergründe zu diesen drei Formen ökumenischen Lebens und Arbeitens:
Die „Freien Christlichen Vereinigungen“ (voluntary movements), als Teile der
Gemeinschafts- und Erweckungsbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts vor allem in Europa
und den USA, zeichnen sich durch ihre undogmatische Haltung aus. Im Mittelpunkt steht die
persönliche Glaubensentscheidung und der Ruf zu gehorsamer Nachfolge in Abgrenzung
gegen ein Gewohnheitschristentum und generell volks- und staatskirchliche Strukturen. Der
Zusammenhang von Lehre und Leben - oberflächlich betrachtet im BUCER’SCHEN Sinne - wird
betont. Mission als entscheidende Zielvorstellung prägt insbesondere den „Christlichen
Studentenweltbund“, ohne dessen Initiative, der Vernetzung von christlichen Persönlichkeiten
- oft Laien -, „die weitere Geschichte der ökumenischen Bewegung überhaupt nicht
vorstellbar“ ist (Slenzcka 1998:430289; vgl. generell Rouse und Neill 1963:422-482; 1973:258275). Weitere Hinweise zur Geschichte der DEA (und damit auch zur „Weltweiten
Evangelischen Allianz“) und später des LKWE folgen unter 3.2.2.
Kirchengeschichtlich betrachtet, stehen die Weltbünde (World Confessional Bodies) als
weitere
ökumenische
Lebensformen
nicht
alleine
da:
Frühere
universale
Kirchenvereinigungen wie bspw. die Gemeinschaft orthodoxer Landeskirchen unter dem
generell jeder „etablierten“ Kirche; vgl. Sauerzapf 1975:15); Erich Beyreuther 1957. August Hermann Francke
und die Anfänge der ökumenischen Bewegung. Leipzig: Koehler & Amelang.
288
Zur Bedeutung und Genese des Generalsekretariates in Genf vgl. Rouse und Neill 1973:385-423, bes. 403f.
289
Die von G. Gloede herausgegebene Reihe „Ökumenische Profile“ legt hiervon ein beredtes Zeugnis ab.
93
Ehrenprimat des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel oder die römisch-katholische
Kirche unter dem Universalprimat des Bischofs von Rom, dienen hier als historische
Vorbilder.
Durch
Emigration
oder
Mission
entstanden,
kam
es
zu
weltweiten
Zusammenschlüssen reformatorischer Landes- und Freikirchen in der zweiten Hälfte des
vorletzten Jahrhunderts.290 Eine interne Herausforderung stellt bis heute weniger die
dogmatische, jedoch aber jurisdiktive oder schlichtweg politische Fragestellung für diese dar.
Nicht vergessen werden darf, dass ebenso bis heute wichtige Beiträge zur theologischen
Konsolidierung ökumenischer Vorstellungen von diesen Weltbünden ausgehen. Ohne ihre
konkrete „konfessionelle“ Gestalt wäre eine offizielle Begegnung mit den Großkirchen
orthodoxer oder römisch-katholischer Provenienz nur schlecht vorstellbar (vgl. generell
Rouse und Neill 1963:359-421; 1973:276-286).
Die Geschichte der Weltmissionskonferenzen geht - greift man weit zurück – auf den
Baptistenmissionar
William
Carey
zurück,
der
schon
1810
eine
„Internationale
Missionskonferenz“ nach Kapstadt einberief, allerdings als Illusionist zurück blieb. Unter
Gustav Warneck gelang dann die Verwirklichung des Traumes in London 1888 im Rahmen
der „Hundertjahrfeier der protestantischen Mission“. Auf die „Ecumenical Missionary
Conference“ in New York 1900 folgte dann die „Weltmissionskonferenz von Edinburgh“ im
Jahre 1910, das damit zugleich als Gründungsdatum der ökumenischen Bewegung (nicht des
ÖRK) neuerer Zeitrechnung aufgefasst wird. Vertreter der „freien Vereinigungen“ (vor allem
des „Christlichen Studentenweltbundes“) waren hier maßgeblich beteiligt, womit sich der
Kreis wieder schließt, und übernahmen daher folgerichtig die weitere Gestaltung der
weltweiten ökumenischen Bewegung. Das epochemachende Motto von John R. Mott - „The
Evangelisation of the World in this Generation“ - ist essentiell für die Programme dieser
Konferenzen. Wichtige Voraussetzungen für spätere Formen der Zusammenarbeit wurden hier
gelegt. Der 1920 gegründete „Internationale Missionsrat“ trat die Nachfolge der insgesamt
drei Weltmissionskonferenzen an und ging 1961 in den ÖRK über (vgl. hierzu Rouse und
Neill 1963:583-556; 1973:1-51).
Ganz im Einklang mit dem Selbstverständnis des ÖRK war mit diesen soeben skizzierten
Gruppierungen jedoch nicht die gesamte Weltchristenheit (der ganze „Erdkreis“ im
ursprünglichen Wortsinn)291 vertreten (sondern nur ca. 28% mit heute 349 Mitgliedskirchen).
290
Zu nennen sind: Lambeth-Konferenzen der Anglikanischen Gemeinschaft, 1867; General Conference of the
World Presbyterian Alliance/Reformierter Weltbund, 1877; Methodist Ecumenical Conferences, 1881 [seit 1951
World Methodist Council]; Internationale Altkatholische Bischofskonferenz, 1889; International Congregational
Council, 1891; Baptist World Alliance, 1905; World Convention of the Churches of Christ [Disciples], 1930;
Lutherischer Weltbund, 1947 u. a..
291
Zur Etymologie des Begriffes oi)koume/nh und zum Bedeutungswandel vgl. Michel 1954:159-161, den
Exkurs von Willem A. Visser’t Hooft, in: Rouse und Neill 1973:434-441; Sauerzapf 1975:209-213 (der nach m.
E. die semantische Ebene des Begriffes im NT theologisch überfrachtet) u. Slenczka 1998:441-447.
94
Außerhalb von ihm bestanden und bestehen seit seiner Gründung andere Formen kirchlicher
Einheit mit anderen Vorstellungen bzgl. christlicher Einheit: Neben der römisch-katholischen
Kirche, die ca. die Hälfte der Weltchristenheit umfasst, existiert z. B. - ebenfalls 1948 in
Amsterdam gegründet - der von konservativen Kirchen ins Leben gerufene „Internationale
Rat Christlicher Kirchen“ (ICCC - „International Council of Christian Churches“). Weitere
ökumenische Initiativen einzelner Kirchen (lokal und darüber hinaus) sowie internationale
und interkonfessionelle Zusammenschlüsse von Christen und christlichen Gemeinschaften
und Organisationen (die Lausanner Bewegung wird noch eingehend untersucht, s. u. Kap.
3.2.2.1) müssen ebenso als Teil der ökumenischen Bewegung betrachtet werden. Es ist
ersichtlich, dass „der ‚Ökumenische Rat‘ ein Instrument der Einheit ist, nicht aber in sich die
Verwirklichung der Einheit, [dies] gehört zu den wesentlichen Voraussetzungen für die
Betrachtung der Geschichte ökumenischer Bewegung“ (Slenczka 1998:428).
Am Rande: Die ref. Kirchen verstehen sich seit der Gründungsversammlung des ÖRK in
der Nieuwe Kerk in Amsterdam ganz in der Tradition CALVINS (und damit auch BUCERS) als
Vermittler zwischen den verschiedenen Flügeln der weltweiten Christenheit.292
3.1.2 Theologische Schwerpunkte
Ebenso abbreviaturhaft wie im vorangehenden Kapitel können hier nur einige
theologiegeschichtliche Schlaglichter zur Theologie der Ökumene - präziser müsste man seit
der Einrichtung des ÖRK von der Theologie „der Kommission für Glauben und
Kirchenverfassung“ sprechen - genannt werden. Ein Blick zurück auf die großen
theologischen Entwicklungslinien oder einzelne Modelle (man denke nur an ZINZENDORFS
Tropenlehre) wäre reizvoll, kann hier aber nicht geschehen. Im Mittelpunkt sollen die
Erörterungen und dogmatischen Grundentscheidungen ab der Mitte des 19. Jahrhundert bis
zur Blütezeit im 20. Jahrhundert stehen, die bei aller angedeuteten Bescheidenheit des ÖRK
untrennbar mit seiner Entstehungsgeschichte verbunden sind.
Vorweg: Als besonderes Phänomen, ja regelrechtes Novum ökumenischer Theologie, muss
292
Nijenhuis (1960:69) spricht von einer historisch bedingten „bemerkenswerte[n] Mittelposition“ und
unterstreicht die Aktualität derselben mithilfe eines Auszugs aus einer Ansprache Karl Barths auf der
Vollversammlung 1948: „Rechts befinden sich Orthodoxen, die, wie er sich ausdrückte, ‚so weit von uns entfernt
sind, daß sie uns oft im Nebel zu verschwinden scheinen; ihnen gegenüber fragen wir uns: Können wir uns
verstehen, sind wir wirklich zusammen?‘ Weiterhin gibt es rechts die Anglikaner, die Altkatholiken und die
Lutheraner. Auf dem linken Flügel befinden sich zuerst, am nächsten bei den Reformierten, die
Kongregationalisten und weiter weg die Methodisten, die Baptisten, die ‚Disciples of Christ‘. ‚Und dann betritt
man aufs neue eine Zone des Nebels, in der sich die Mennoniten, die Quäker und die Heilsarmee befinden. Und
man fragt sich: Kann man wirklich in diesem Nebel zur Linken das Wort ‚Kirche‘ aussprechen, obgleich man
sich hier weigert, von Taufe und Abendmahl zu sprechen?‘ (…). ‚Wir haben einen Platz in der Mitte, den wir auf
keinen Fall zurückweisen können; und es kommt darauf an, ihn recht zu halten‘“ (:69; vgl. auch :71.81f – CO 9,
49f).
95
ihr Charakter und ihre Eigenart als ausgesprochene Konferenztheologie bedacht werden (dies
gilt auch für das LKWE). Kontinuität und Diskontinuität zu den Konzilien der Alten Kirche
und den Synoden der Reformationszeit bilden dabei eine eigene Fragestellung (vgl. Slenczka
1998:438-441).
Mit der Bewegung für Praktisches Christentum (Life and Work) und der Bewegung für
Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order) sind die zwei entscheidenden Motoren der
ökumenischen Arbeit zwischen 1910 und 1937 benannt. Im Hintergrund von „Life and Work“
steht eine im Ansatz reformatorische Ekklesiologie, im Falle von „Faith and Order“ handelt es
sich eher um einen anglikanischen Ansatz in dieser Hinsicht. Beide, auch die vermeintlich
rein
sozialethische
Bewegung
„Life
and
Work“,
beruhen
auf
dogmatischen
Grundentscheidungen, die der Traditionsbewältigung und Zukunftsgestaltung der „einen“
Kirche dienen sollen (Slenczka 1998:447). Sucht man nach dem grundlegenden theologischen
Unterschied beider Bewegungen, so kann dieser nur in der Antwort auf die Frage, ob und
inwieweit eine sichtbare Einheit der Kirche überhaupt möglich und nötig ist, liegen. 293 Die
hiermit kurz skizzierte streng dogmatische Grenzziehung ist aber de facto nicht vorhanden.
Dies zeigen die Erfahrungen in der Zusammenarbeit der verschiedenen Konfessionen und
Kirchen in beiden Bewegungen. Eine Auflistung der theologischen und praktischen Probleme,
mit denen sich der ÖRK bis heute auseinandersetzt - der seiner Organisationsform nach nichts
anderes ist als der letztendliche Zusammenschluss beider Bewegungen -, unterstreicht diesen
Sachverhalt. Ein kurzer Blick auf die theologische Akzentuierung dieser zunächst getrennt
arbeitenden ökumenischen „Schulen“ soll helfen, das spätere Selbstverständnis und Proprium
des ÖRK besser einordnen zu können:
a) Geschichtlich und theologisch ist die Bewegung für Praktisches Christentum von der
sog. „sozialen Frage“ bestimmt, die seit dem 19. Jahrhundert den theologischen Diskurs
zunehmend beeinflusst. Kennzeichnend ist das vielzitierte Diktum aus den zwanziger Jahren
des 20. Jahrhunderts: „Die Lehre trennt, aber das Dienen verbindet“ (so Hermann Kapler im
Rückgriff auf ein Votum von A. v. Harnack).294 Neben der „Inneren Mission“295 gehören die
verschiedenen Organisationen der christlich-sozialen Bewegung296 zur unmittelbaren
293
Konkret (mit Slenczka 1998:447): „Beruht die Sichtbarkeit der Einheit in der Kontinuität des bischöflichen
Amtes oder in den Früchten des seinem Wesen nach unsichtbaren Glaubens?“
294
Vgl. zur kirchen- und theologiegeschichtlichen Einordnung dieses Mottos Slenczka 1998:448, Anm. 1.
295
Schon 1857 (auf dem Stuttgarter Kirchentag) konnte Johann Hinrich Wichern innerhalb der „Zwölf Thesen
über die innere Mission“ von evangelischer Katholizität sprechen, ein Ausdruck um die Einheit im Dienst als
Zeugnis vor der Welt zu formulieren (vgl. neuerdings Karl-Dietrich Pfisterer 2007. Ökumenische Ansätze in den
Redebeiträgen Wicherns auf dem Wittenberger Kirchentag 1848, in: Volker Hermann, Jürgen Gohde u.a. (Hg.).
Erbe und Auftrag: Stand und Perspektiven der Forschung. [Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen
Instituts an der Universität Heidelberg 30]. Heidelberg: Winter, 117-128.)
296
Unter „sozial“ kann sowohl die christliche Alternative zum Sozialismus der damaligen Zeit, wie auch die
Affinität zu jenem, verstanden werden. Beteiligung an der Parteipolitik o. a. Gewerkschaftsarbeit ist demnach
vielerorts die Konsequenz für kirchennahe Personen und Kreise (s. zur Vielzahl an Bsp. und der entsprechenden
96
Vorgeschichte dieser Neuausrichtung auf ein Christentum der Tat (vgl. weiterhin zur
Friedensbewegung und internationalen Freundschaftsarbeit Rouse und Neill 1973:133-180). 297
Skeptisch gegenüber der überkommenen Dogmatik, getrieben von den ohne Frage gewaltigen
Herausforderungen im Bereich der Sozialethik für die christliche Theologie, legt die
Bewegung für Praktisches Christentum - nomen est omen - ihren Schwerpunkt auf die Praxis,
theologisch gesprochen auf die Früchte, d. h. die sozialen und ethischen Wirkungen des
christlichen Glaubens, also seine sichtbare Seite (als Ausdruck der iustitia passiva). 298 Im
Hintergrund steht aus dogmatischer Sicht vor allem ein Verständnis des Reiches Gottes als
sozialethisches Leitbild (im Ritschl’schen Sinne) 299, die Darstellung von Schuld und Sünde im
sozialen Kontext o. a. Neuüberlegungen zum Verhältnis von Schöpfung und Erlösung
(allesamt Fragestellungen, die von den sog. „radikalen Evangelikalen“ aufgegriffen wurden).
Der Theologie, die im Grunde genommen damit generell zur Praktischen Theologie wird (!),
kommt dabei grundsätzlich die Aufgabe zu, Handlungsziele zu entwerfen und ihre Umsetzung
voranzutreiben.
b) Die Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung300 steht unter ganz anderen
Vorzeichen: Sind die Anhänger von „Life and Work“ doch fest davon überzeugt, dass der
ganze Bereich des Dogmatischen („faith“) und Kanonischen („order“) sich nicht für
Einigungsverhandlungen
eignet,
im
Gegenteil
nur
das
Aufkeimen
neuer
Auseinandersetzungen heraufbeschwört,301 so versuchte die Bewegung für Glauben und
Kirchenverfassung genau diesen Weg einzuschlagen. Anders als die reformatorischen Kirchen
in Europa mit ihrem Territorialprinzip hat diese Bewegung ihre Wurzeln in den Vereinigten
Staaten von Amerika. Ihr Gegenüber ist der Pluralismus von christlichen Gemeinschaften auf
der Basis des Freiwilligkeitsprinzips. Das in der Formel „Faith and Order“ enthaltene
ekklesiologische Konzept geht auf die Frühzeit jener Bewegung zurück, insbesondere die
Literatur Slenczka 1998:448f, Anm. 4).
297
Zum „Nicäa der Ethik“, der ersten Weltkonferenz für Praktisches Christentum in Stockholm 1925 und der
Rolle Nathan Söderbloms, sowie zur weiteren Wirkungsgeschichte vgl. Rouse und Neill 1973:181-256.
298
Deutliche Einflüsse der Ritschl-Schule sowie die Untersuchungen z. B. von M. Weber und E. Troeltsch zur
christlichen Soziallehre und ihren dogmatischen Voraussetzungen müssen hier geltend gemacht werden. In den
USA ist es die Bewegung des „Social Gospel“, deren Theologie z. T. unter einem direkten Einfluss der
Ritschl’schen Vorstellungen steht. W. Rauschenbusch (1917:158) kann der europäischen Theologenschaft sogar
vorwerfen, sie gehöre ausnahmslos zur Bourgeoise und sei von daher nicht in der Lage, den revolutionären
Einsichten des Evangeliums zu folgen; im Gegenteil, sie überbetone die asketischen und eschatologischen
Elemente in den Lehren Jesu.
299
Zur Auseinandersetzung mit dem Kant-Ritschl’schen Verständnis des Reiches Gottes vgl. den Exkurs von
Slenczka 1998:450f u. Gottfried Hornig 1998. Der ethisierte Reich-Gottes-Gedanke und die antimetaphysischchristozentrische Theologie Ritschls. HDThG, Bd. 3, 204-208.
300
Die Übersetzung der Begriffe „faith and order“ bereitete zunächst Schwierigkeiten und Missverständnisse,
je nach kontinentaler oder nationaler Nuance (faith: i. S. von Glaubensbekenntnis oder Glaubensvollzug
[fiducia]; order: i. S. von Kirchenrecht, Kirchenverfassung o. a. schlichtweg kirchliche Ordnung im weitläufigen
Sinne; vgl. Slenczka 1998:469f).
301
Vgl. nur die höchst aufschlussreichen Ausführungen der damaligen dt. Theologieprofessoren-Elite (A.
Schlatter, A. Deißmann, A. Jülicher, A. v. Harnack, F. Loofs u. a.) anlässlich einer FS für Nathan Söderblom aus
dem Jahre 1925 (Die Eiche 13/1925).
97
Anstrengungen der „Protestant Episcopal Church“ (dem amerikanischen Zweig der
anglikanischen Kirche). Mit dem Bemühen um die Bildung einer amerikanischen
Nationalkirche katholischer Prägung geht das zuerst von William R. Huntington aufgestellte
Vierpunkteprogramm („Quadrilateral“)302 einher, welches durch den Generalkonvent von
Chicago 1886 zur Grundlage weiterer Einigungsversuche erhoben wurde. Der Gedanke einer
„Katholizität“ im Sinne einer organischen Einheit in Verschiedenheit (organic unity in
diversity)303 leuchtet hier auf, ein Konzept, das sich zwischen der Uniformität der römischen
Kirche und dem Pluralismus der protestantischen Kirchen positioniert. In Folge der 3.
Lambeth-Konferenz 1888 (s. o. S. 94, Anm. 290) wurde die hiermit getroffene Formulierung
von der gesamten anglikanischen Gemeinschaft anerkannt - ohne jedoch überall zu konkreten,
kurzfristigen Ergebnissen zu führen. Modifikationen und Nuancen (z. B. durch die Aufnahme
des Kernsatzes der Pariser Basis des Weltbundes des CVJM von 1855) 304 führten zur
Weiterentwicklung der Gedanken im Rahmen der nachfolgenden Konferenzen und
Generalkonvente einzelner Kirchen in den USA unter der Leitung von Bischof Charles H.
Brent, Peter Ainslie III. und vor allem Robert H. Gardiner, der als Sekretär der
Vorbereitungskommission der ersten Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung in
Lausanne 1927305 hervortrat.306 Hinsichtlich der theologischen Schwerpunkte bereitete schon
302
„Die christliche Einheit (…) kann nur wiederhergestellt werden durch die Rückkehr der christlichen
Gemeinschaften zu den Prinzipien der Einheit, wie sie dargestellt sind durch die ungeteilte katholische Kirche
während der ersten Jahrhunderte ihres Bestehens; diese Prinzipien halten wir für die wesentliche Grundlage
(substantial deposit) von Christian Faith and Order, von Christus und seinen Aposteln der Kirche übergeben bis
zum Ende der Welt. Daher darf es hier weder Kompromiß noch Verzicht geben für diejenigen, die dafür ordiniert
wurden, seine Diener und Hüter zum allgemeinen und gleichen Nutzen aller Menschen zu sein: 1. Die heiligen
Schriften des Alten und Neuen Testaments als das offenbarte Wort Gottes. 2. Das nicänische Glaubensbekenntnis
als ausreichende Erklärung des christlichen Glaubens. 3. Die zwei Sakramente – Taufe und Herrenmahl –
verwaltet mit dem unfehlbaren Gebrauch der Einsetzungsworte Christi und der von ihm bestimmten Elemente. 4.
Der historische Episcopat, örtlich in den Weisen seiner Verwaltung, den jeweiligen Bedürfnissen der Nation und
Völker angepaßt, die von Gott in die Einheit seiner Kirche gerufen ist“ (Hervorhebung im Original; zit. nach
Karl-Christoph Epting 1972. Ein Gespräch beginnt: Die Anfänge der Bewegung für Glauben und
Kirchenverfassung in den Jahren 1910 bis 1920. (BSHST 16). Zürich: Theologischer Verlag, 16, in: Slenczka
1998:470f).
303
Es kann auch von einer „evangelischen Katholizität“ die Rede sein, allerdings unter ganz anderen
Vorzeichen als bei Johann H. Wichern (s. o. S. 96, Anm. 295).
304
„(...) und daß alle christlichen Kirchengemeinschaften der Welt, die unseren Herrn Jesus Christus als Gott
und Heiland bekennen, angefragt werden sollen, sich mit uns für die Vorbereitung und Durchführung einer
solchen Konferenz zu vereinigen (...)“ (Hervorhebung im Original; zit. nach Epting 1972:33 [s. o. Anm. 302], in:
Slenczka 1998:471f); Zwei Momente werden hier ergänzt: Die Notwendigkeit einer persönlichen
Glaubensentscheidung und die Absage an einen theologischen Liberalismus bzgl. der Christologie.
305
Mit dieser ersten Konferenz für Glauben und Kirchenverfassung liegt ein kirchenhistorisches Ereignis vor,
„für das es damals noch kein Vorbild gab.“ Dogmatische Themen durch Vertreter einer größeren Zahl
voneinander getrennter Kirchengemeinschaften erörtern zu lassen, „war etwas völlig Neues“ (Slenczka
1998:480). Über die bloßen Ergebnisse der Konferenz hinaus muss neben der gemeinsamen theologischen Arbeit
auch die erfahrene christliche Gemeinschaft ansonsten getrennt lebender Kirchen als ein Stück praktizierter wenn man so will proleptischer - Kirchengemeinschaft betrachtet werden.
306
Vgl. zu Verlauf, Ergebnissen und der anschließenden 2. Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung
in Edinburgh 1937 Rouse und Neill 1973:1-51 u. generell Günther Gaßmann 1979. Konzeptionen der Einheit in
der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung in den Jahren 1910-1937. (FSÖTh 39). Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht.
98
seit der Vorbereitungsphase dieser epochalen Konferenz nicht nur die unterschiedliche
ekklesiologische Grundierung Schwierigkeiten, sondern auch die Anfrage vor allem von
anglikanischer Seite an den kontinentalen Liberalismus („Apostolikumsstreit“), wie
zuverlässig eigentlich das Bekenntnis zu „unserem Herrn Jesus Christus als Gott und
Heiland“ für einzelne Mitglieder der Bewegung sei307
Im Anschluss an diese dogmatischen Weichenstellungen oder bleibenden Spannungen aus
der Frühzeit der neueren ökumenischen Bewegung folgt nun der Versuch, die mit den
Vollversammlungen des ÖRK gegebenen Themenstellungen seit 1948 (bis 1968) in aller
Kürze zu skizzieren. Dies soll bis zum einsetzenden Kirchenkampf zwischen „Genf“ und der
sich formierenden evangelikalen Welt geschehen (weiter dann unter 3.2.1). Der Blick in die
Vorgeschichte demonstriert, wie bereits in den Anfängen nicht nur die kirchlichen
Differenzen,
sondern
auch
die
theologischen
Schultraditionen
schon
immer
die
spannungsreiche Aufgabe ökumenischer Arbeit waren.308 Nun zu den theologischen Spitzen
des obersten legislativen Organs des ÖRK - den Vollversammlungen (assemblies):
„Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan“ (Amsterdam 1948): Schon mit dem
ersten Hauptthema einer Vollversammlung wird die Frage - im Rahmen der Vorsehungslehre nach der Aufgabe der Kirche angesichts des Weltgeschehens gestellt (die Unterteilung in
verschiedene Sektionen, die nach der Verkündigung, dem Dienst und der gesellschaftlichen
und politischen Relevanz der Kirche fragen, bleibt nachfolgend weitgehend dieselbe). Der
zeitgeschichtliche Bezug und die sich daraus ergebenden Implikationen für die
307
Auf den Punkt bringt dies Bischof Charles Gore bei der Behandlung des Berichts der vierten Sektion über
„das gemeinsame Glaubensbekenntnis der Kirche“ in der Gegenüberstellung einer „Religion der Autorität“ und
einer modernistischen „Religion des Geistes“. Ihm zufolge habe die moderne Welt „eine völlig andere Idee des
Geistes Gottes entwickelt, den Gedanken nämlich, daß der Geist Gottes nur das ganz allgemeine, in stetem
Fortschritt begriffene geistige Prinzip der Menschheit sei, an dem jeder Mensch durch seine Geburt Anteil hat.
Auch verwirft sie vollständig die Idee einer einmal gegebenen autoritativen Botschaft. Sie stellt die ‚Religion der
Autorität‘, die sie ablehnt, in Gegensatz zu der ‚Religion des Geistes‘, die keine Schranken hat und keine
absolute Vollendung kennt und die sich nicht an ein einmal gesprochenes Wort gebunden weiß, sondern nur an
die im Laufe der Entwicklung sich vollendende Wahrheit. Dies ist eine wirklich ernste Frage. Hier ist der Boden,
auf dem wir mit den Kritikern zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen müssen“ (zit. nach Helmut Sasse [Hg.]
1929. Die Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung: Deutscher amtlicher Bericht über die
Weltkirchenkonferenz zu Lausanne 3.-21.8.1927. Berlin: Furche-Verlag, 233, in: Slenczka 1998:485).
308
Naturgemäß gab es nicht nur von Anbeginn „interne“ Konflikte, sondern schon in der Gründung des ÖRK
mitinbegriffen Bedenken o. a. Ablehnung vonseiten der römisch-katholischen Kirche (die allerdings durch die
Erfahrungen im 2. Weltkrieg auch indirekt ökumenische Offenheit demonstrieren konnte), der Gemeinschaft
orthodoxer Kirchen und „fundamentalistischer“ (so Slenczka 1998:514) Kreise (dem schon erwähnten ICCC).
„Diese Vorgänge sind symptomatisch; denn in ihnen zeichnen sich bereits die Punkte ab, auf die sich in der
weiteren Geschichte nicht nur die Auseinandersetzungen mit dem Ökumenischen Rat, sondern auch die
Konflikte in ihm konzentrieren: das ekklesiologische Thema im Blick auf die ekklesialen Strukturen des Rates,
das sozial-politische Thema im Blick auf seine Tätigkeit sowie die kritische Frage nach der Bindung seiner
Organisation und Aktivität an Schrift, Bekenntnis und Dogma“ (:514). Die Suche nach einer geeigneten Basis,
einem „Fundamentalsatz“ trägt dem Rechnung. Seit Neu-Delhi 1961 lautet er in der rev. Fassung: „Der
Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus gemäß der
Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen (engl.: „confess“) und darum gemeinsam zu erfüllen trachten,
wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (vgl. zur Entstehung
und Interpretation :515-517).
99
Themenstellung müssen hier nicht erläutert werden. Theologiegeschichtlich betrachtet,
entbrannte auf der Gründungsversammlung nicht weniger als der klassische Konflikt
zwischen LUTHER und ERASMUS (o. a. AUGUSTIN und den Pelagianern) in einem neuem
Gewand.309
„Christus, die Hoffnung für die Welt“ (Evanston 1954): Trotz der weltpolitisch
fortgeschrittenen Lage - neben den eisernen Vorhang trat die Gründung der Volksrepublik
China 1949 - handelte es sich in Evanston um eine ausgesprochen theologisch ausgerichtete
Tagung, die weder ein soziales noch politisches Thema konkret problematisierte (außer einer
Stellungnahme zum Thema Israel). Die Vollversammlung in der Nähe von Chicago war die
letzte ihrer Art, bei der die Vorbereitung und Durchführung vor allem in den Händen der
europäischen Theologen und ihrer einflussreichen Vertreter lag, die nicht zuletzt durch ihre
Erfahrungen im Kirchenkampf ein hohes Ansehen genossen. Die in Amsterdam begonnene
Kontroverse zwischen K. Barth und R. Niebuhr erfuhr allerdings eher eine Verschärfung und
Fortsetzung.310 In der „Botschaft an die Kirchen“ wird die aufgeworfene Fragestellung nach
309
Niemand anders als Karl Barth warf die fundamental-theologische Frage auf, inwieweit die „Unordnung
der Welt“ als Thema auf die Tagesordnung einer ökumenischen Konferenz gehöre (s. Amsterdam 1948:140f).
Der schon skizzierte Gegensatz zwischen kontinentaler und angelsächsischer Theologie brach damit erneut auf.
Als Hauptkontrahent trat Reinhold Niebuhr auf, der mit dem nötigen Selbstbewusstsein ausgestattet seinen
„Anglo-Saxon approach to theology“ vortrug - die Berechtigung der kontinentalen Theologie mit ihrer
„realisierten Eschatologie“ wollte er nicht bestreiten, wohl aber die daraus abgeleiteten Konsequenzen (vgl.
Slenczka 1998:529 u. generell Karl Barth, Jean Daniélou, Reinhold Niebuhr 1949. Amsterdamer Fragen und
Antworten. TEH NF 15). Die Versammlung konnte schlussendlich festhalten, im Unterschied zu späteren
Äußerungen: „Es steht nicht in menschlicher Macht, Sünde und Tod von der Erde zu verbannen, die Einheit der
Einen Heiligen Kirche zu schaffen, die Mächte des Satans zu überwinden; aber Gott kann es tun“ (Hervorhebung
von mir; Amsterdam 1948:11).
310
Bischof Hans Lilje bringt dies in seiner „Erklärung zu dem Bericht der Beratenden Kommission für das
Hauptthema“ klar zum Ausdruck: „Als wir den Bericht unter uns diskutierten, kamen scharfe Gegensätze
theologischer Auffassungen zum Ausdruck (…). Unsere Hauptkritik (…) bezieht sich nicht so sehr auf seinen
Gehalt wie auf seine Ausdrucksweise; nicht auf das, was gesagt, sondern auf das, was nicht gesagt wurde. Wir
finden, daß der Ton einer freudigen Gewißheit und strahlenden Erwartung, der eine Erklärung der christlichen
Hoffnung auszeichnen sollte, nicht hinreichend aus dem Bericht herausklingt. Wir sehen bestimmte wesentliche
Auslassungen: das gegenwärtige Werk des Heiligen Geistes in Kirche und Welt; der ausdrückliche Hinweis auf
die ‚Anzeichen‘ der Hoffnung; die angemessene Behandlung des Themas Schöpfung und der kosmischen
Erlösung. (…) Wir sind uns über die Beziehung zwischen der Hoffnung des Christen hier und jetzt und seiner
letzten Hoffnung nicht einig“ (Evanston 1954:13; vgl. :36-55). Zugespitzt kam dieser Dissens in den beiden
Referaten, die zum Hauptthema gehalten wurden, zum Vorschein. Gegenüber Edmund Schlink, der zwischen
einer „ersten und zweiten Tat“ der Hoffnung unterschied – zunächst die Verkündigung des Evangeliums, dann
der Einsatz für die gerechte Hoffnung dieser Welt (:135-144) – trat mit Robert R. L. Calhoun ein amerikanischer
Kongregationalist auf, der den „Anglo-Saxon Approach“ in Bezugnahme auf die Lebensverhältnisse in den USA
und ihrer geschichtlichen Genese entfaltete. Der dieser Position vorgeworfene „soziale und moralische Zug“ sei
aus dem Erbe ref. Theologie zu erklären: „Für eine solche Theologie hat das Reich Gottes, die Herrschaft Jesu
Christi [man wird unweigerlich an das ‚regnum christi‘ bei Bucer erinnert] und die Macht des Heiligen Geistes
eine sehr konkrete, gegenwärtige und verpflichtende Bedeutung. Oftmals sicherlich zu einfach, aber in aller
Aufrichtigkeit hat unsere Theologie das Evangelium wiedergegeben: ‚Das Reich Gottes ist mitten unter euch‘
und hat die Antwort, die Johannes dem Täufer zuteil wurde, und die Aufforderung, die ‚Hungrigen zu sättigen
und die Gefangenen zu befreien‘, sehr ernst genommen. Hier fand man Anzeichen für den Einbruch des Reiches
Gottes in fortschreitender Beseitigung von Krankheiten und Hunger, in der Abschaffung von Sklaverei und in
der Verbreitung christlicher Gewissensverantwortung in dem ganzen Bereich privater und öffentlicher
Angelegenheiten. Ihre Hoffnung war konzentriert auf die manifestierte Macht Gottes, das Böse mit Gutem hier
und jetzt zu überwinden und für alle irdische Zukunft der Menschen. Hier wurde nicht das letzte Gericht noch
das ewige Leben vergessen, aber das eigentliche Vertrauen lag auf Gottes Gnade von Tag zu Tag und der
Hauptton auf der Verpflichtung jedes Christen, als ein frommer Jünger und Diener Jesu Christi, des lebendigen
100
dem Kern christlicher Hoffnung beantwortet, indem zwischen Enderwartung und
Weltverantwortung, also Tat Christi und Taten der Christen, klar unterschieden wird.311
„Jesus Christus – das Licht der Welt“ (Neu-Delhi 1961): Die zunehmenden theologischen
Differenzen, die schon in der letzten Vollversammlung schlagartig in einem anderen Licht
standen, als es plötzlich nicht mehr nur um „abstrakte“ theoretisch zu erörternde Fragen der
Theologie, sondern um konkrete Programme und Aktionen ging, gewinnen in Neu-Delhi eine
neue Dimension.312 Theologisch vorbereitet und durch die gänzlich neuen welt- und
kirchenpolitischen Ereignisse313 inauguriert, findet eine Art Verselbstständigung des ÖRK
statt, und zwar besonders im Hinblick auf das zukünftige Generalthema: die christliche
Weltverantwortung.314 Dogmatisch untermauert - in groben Zügen - durch einen
ganzheitlichen geschichtstheologischen Ansatz,315 der schlussendlich zu einer Konvergenz
oder sogar Koinzidenz von Welt- und Heilsgeschichte führt, 316 erreicht die hierfür eingesetzte
Studienabteilung ihr Ziel: eine Neubestimmung des Verhältnisses zu dieser Welt und ihren
Herrn, in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes zu leben“ (Evanston 1954:151f).
311
„Wir wissen nicht, was kommt. Aber wir wissen, wer kommt: Es ist der, der uns jeden Tag entgegenkommt
und am Ende vor uns stehen wird – Jesus Christus, unser Herr. Darum rufen wir Euch zu: Seid fröhlich in
Hoffnung!“ (Evanston 1954:10).
312
Nicht vergessen werden darf, dass sich die äußeren Rahmenbedingungen des ÖRK gravierend geändert
hatten: In den Leitungspositionen vollzog sich ein Generationswechsel „von den ‚Bauleuten‘ zu den
‚Verwaltern‘; an die Stelle der Gründerpersönlichkeiten treten nun diejenigen, die in dem vorgegebenen Rahmen
mit seiner unvermeidlichen Eigengesetzlichkeit weiterzuarbeiten haben“ (Slenczka 1998:533). Daneben kommt
es zu dem formellen Zusammenschluss mit dem „Internationalen Missionsrat“. Insgesamt 23 Neuaufnahmen,
darunter zwei chilenische Pfingstkirchen, elf Kirchen des afrikanischen Kontinents und einige orthodoxe
Kirchen aus den Ostblockstaaten, sorgen für eine neue Zusammensetzung und Gewichtung des Rates mit ihrer
ganz eigenen Dynamik (die zu verarbeitende politische Spannung zwischen Ost und West ist hier bspw. zu
nennen).
313
Kurz skizziert: Die „Rassenfrage“ führte zum Zerwürfnis und letztlich Austritt (nicht Ausschluss) zweier
reformierter Burenkirchen; die Ankündigung des II. Vatikanums durch die Enzyklika „Ad Petri cathedram“
führte schon in Neu-Delhi zu einem historischen Moment, der Teilnahme von fünf offiziellen Beobachtern der
röm.-kath. Kirche. Der Veranstaltungsort wies auf die sich anbahnenden neuen Mengenverhältnisse der
weltweiten Christenheit hin - der Tatsache, dass die sog. „Jungen Kirchen“ langsam aber sicher erwachsen
wurden (der in den darauffolgenden Jahren sich entfaltende „Dialog mit den Religionen“ hat seinen Sitz im
Leben in der jungen indischen Kirche und deren Auseinandersetzung mit dem hinduistischen Synkretismus; vgl.
den Überblick von Lesslie Newbigin, in: Fey 1974:230-265).
314
Neben dem Wort an die Kirchen wird zum ersten Mal ein offizieller „Appell an die Regierungen und
Völker“ gerichtet (s. Neu-Delhi 1961:302-304).
315
Mit Namen: „The finality of Jesus Christ in the Age of Universal History“ (Neu-Delhi 1961:184-187).
316
Der von dem amerikanischen Theologen Joseph Sittler vorgetragene Versuch, im Anschluss an Kol 1,15-20
von einer kosmischen Christologie auf eine Art kosmische Erlösung zu schließen, ist hierfür symptomatisch.
Seine Kernthese lautet: „Eine Lehre von der Erlösung ist nur dann sinnvoll, wenn sie sich im weiteren Bereich
einer Lehre von der Schöpfung bewegt (…). Wenn der Bezug und die Macht des Erlösungsaktes nicht das Ganze
der menschlichen Erfahrung und der menschlichen Umgebung bis zum äußersten Horizont hin einschließt, ist die
Erlösung unvollständig“ (Neu-Delhi 1961:513f). Mit dieser Neubestimmung, oder besser dem Ende der falschen
Trennung von Natur und Gnade (vgl. :516), gelang es Sittler nicht nur, aber vor allem orthodoxe Theologen zu
faszinieren. In der weiteren Studienarbeit und den Aktionsprogrammen des ÖRK wird greifbar, wie sich dieser
Ansatz als Stimulanz für die praktische Bewältigung christlicher Weltverantwortung ausgewirkt hat. Aus
kontinentaler, luth. geprägter Sicht bleibt allerdings anzumerken (Slenczka 1998:536): „Den wenigsten jedoch
wird deutlich geworden sein, wie hier in vollem Umfang Ansatz und Anliegen der Theologie des ‚Social Gospel‘
(s. o. S. 97, Anm. 298) zurückgekehrt waren, damit aber auch die alten theologischen Probleme und
Kontroverspunkte, zumal gegenüber der reformatorischen Theologie. Wie es bei diesem Konzept mit der
Verborgenheit des Glaubens, dem Ärgernis des Christusgeschehens und der Theologie des Kreuzes bestellt sei,
wurde schon bald mit gutem Grund gefragt.“
101
Problemen, die nicht ohne Konsequenzen für das Wesen der Gemeinschaft der Kirchen
bleiben sollte.
„Siehe, ich mache alles neu“ – (Uppsala 1968): In konsequenter Fortsetzung des
eingeschlagenen Kurses ließ sich die 4. Vollversammlung des ÖRK in Uppsala die
Themenpunkte der Tagesordnung schlussendlich von der „Welt“ diktieren317 - sicher auch
unter medialem Druck bis hin zu Demonstrationen. Das Jahr 1968, das inzwischen als
epochemachend bezeichnet werden kann, darf dabei in seiner Bedeutung nicht unterschätzt
werden.318 In sechs Sektionen bemühte man sich, allen Anforderungen durch die
Tagesordnung des Weltgeschehens gerecht zu werden; erklärtes Ziel war es die Betroffenheit,
Solidarität und die Handlungsbereitschaft der Kirchen öffentlich zum Ausdruck zu bringen.
Kurzgefasst:
Man
traf
sich
vor
allem,
„um
zu
hören“
(Uppsala
1968:1).
Theologiegeschichtlich brisant ist, dass in Uppsala die Rede von ethischer Häresie laut wird,
bezeichnenderweise
im
Bericht
der
Sektion
III:
„Wirtschaftliche
und
soziale
Weltentwicklung“.319 D. Bonhoeffer hatte schon in den dreißiger Jahren auf die Thematik
„Ökumene und Häresie“ hingewiesen, um damit die ekklesiologische Frage anzutreiben,
inwieweit man von einem Kirchesein der ökumenischen Bewegung sprechen könne (vgl.
Slenczka 1998:519-524). Die nun getroffene Formulierung stand allerdings unter ganz
anderen Vorzeichen (die inzwischen „kanonisierte“ finality-Studie muss hier geltend gemacht
werden, s. o. S. 101, Anm. 315 u. 316) 320 und sollte nicht ohne Folgen bleiben für die
317
„Es wurde nicht nur häufig eingesehen, daß die Welt der Konferenz die Tagesordnung vorschreibe, sondern
das Recht der Welt, das zu tun, wurde auch weithin anerkannt. Die Vollversammlung versuchte, diese
Tagesordnung zu lesen, zu verstehen und auf sie zu antworten“ (Uppsala 1968:XVII).
318
Etwas kryptisch einige Schlagworte aus diesem Zeitraum: „Weltraumfahrt“, „Studentenrevolte“,
„chinesische Kulturrevolution“, „politische Morde“ (neben den Kennedys, wurde am 4.4. Martin Luther King,
der in Uppsala reden sollte, ermordet), „Vietnam“, „das Ende des sog. Prager Frühlings“ (ca. ein Monat nach
dem Ende der Konferenz) u. a.; vgl. den Bericht des damaligen Generalsekretärs Eugene C. Blake, in: Fey
1974:537-583).
319
Die entscheidende Formulierung, die Eingang gefunden hat in amtliche Verlautbarungen und sogar
Bekenntnissätze, lautet: „Die Kirche hat heute die Aufgabe, für eine weltweite verantwortliche Gesellschaft zu
arbeiten und Menschen und Nationen zur Buße aufzurufen. Angesichts der Nöte der Welt selbstzufrieden zu sein
bedeutet, der Häresie schuldig zu werden. Bei dem Bemühen, dieser Herausforderung gerecht zu werden,
erkennen wir, wie wichtig es ist, auf allen Ebenen mit der römisch-katholischen Kirche, mit anderen NichtMitgliedskirchen, mit nicht-kirchlichen Organisationen, mit Angehörigen anderer Religionen, mit Menschen
ohne Religion, kurz mit allen Menschen guten Willens zusammenzuarbeiten“ (Hervorhebung von mir; Uppsala
1968:52f).
320
Die theologischen Implikationen einer ethischen Häresie neben oder auch als Ergänzung zur dogmatischen
Häresie sind überdeutlich: Ging es im Kirchenkampf für Bonhoeffer u. a. noch um konkrete Entscheidungen, die
den Gegensatz zwischen Gott und einer Vergottung von Dingen wie Volk, Rasse, Staat usw. im Blick hatten, so
liegt in Uppsala etwas völlig Neues vor - die „Formulierung eines Entscheidungsprinzips im
innergeschichtlichen Geltungsbereich von Gut und Böse und im Zusammenhang der sozialen und politischen
Verantwortung für menschliches Wohlergehen“ (Slenczka 1998:539). Der Grund, warum die klassischen
Bestimmungen der Häresie (s. o. S. 84; wenn Bucer in seiner Neubestimmung von der „Preisgabe der Liebe“
spricht, hat er die Glaubensgenossen, nicht die ganze Welt vor Augen) scheinbar nicht mehr verstanden werden,
muss offen bleiben. Mit der bisherigen Konzentration auf das Dogmatische sollte das Zentrum des Glaubens
gewahrt bleiben: der Glaube an Christus und nicht die Werke der Gläubigen. Der Begriff ethische Häresie
umspannt aber den Bereich der Werke; in diesem gilt der Ruf zur Umkehr unter dem Maßstab der göttlichen
Gebote zum Empfang der Vergebung – von einer Weltverantwortung, die dann heilsentscheidend (!) wird, kann
hier nicht die Rede sein (Luther betont ausdrücklich, dass niemand auf Grund seiner bösen Werke als haereticus
102
ökumenische Bewegung und ihre Einheit.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die zunehmende „Politisierung“ der Genfer
Ökumene war ihr im Grunde genommen in die Wiege gelegt. Mit dem Zusammenschluss der
beiden Bewegungen für Praktisches Christentum und Glauben und Kirchenverfassung war
diese Entwicklung sowohl inhaltlich wie auch in organisatorischer Hinsicht vorprogrammiert;
d.h. nicht, dass nicht auch andere Weichenstellungen möglich gewesen wären. A. C. Headlam,
Bischof von Gloucester, wies schon 1937 auf der zweiten Weltkonferenz für Glauben und
Kirchenverfassung auf die möglichen Konsequenzen einer Fusion hin:
„Wenn ein solcher Rat [sc. die Verbindung beider Bewegungen in Form des ÖRK]
bestände und gar zu öffentlichen Angelegenheiten Entschließungen faßte, könnte er sehr
betrüblichen Schaden anrichten. Entschließungen der Kirchen über politische Fragen usw.
in der Vergangenheit haben oft voreilig und nicht genügend durchdacht gewirkt und
bringen wahrscheinlich ebenso viel Schaden wie Nutzen“ (Report, No. 5. Next Steps on
the Road to a United Church. F&O 85, S. 203; zit. nach Slenczka 1998:508).321
3.1.3 Aktuelle Perspektiven
Der Abriss der Geschichte und Theologie der ökumenischen Bewegung (bis 1968!) macht
eines deutlich: das Anliegen BUCERS u. a. hat über die Jahrhunderte nichts an Schärfe und
Dringlichkeit verloren und erschuf wiederum neue Polarisierungen im Rahmen der
Lehrentwicklung. Wirft man jedoch einen Blick auf die aktuelle Situation im 21. Jahrhundert,
kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass eine gewisse Ernüchterung, manche
nennen es „Eiszeit“, eingetreten ist (so bspw. in der FAZ vom 12. Mai 2010, S. 4 anlässlich
des Zweiten Ökumenischen Kirchentages in München).322 Salopp formuliert: Wie bei einem
alt gewordenen Ehepaar, hat man sich scheinbar schon alles gesagt; was noch bleibt, sind
Sticheleien.323 Der Weg dorthin war ambivalent. Auf eine Vielzahl von multiliteralen
Dialogen,324 auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, folgten in der vergangenen
zu bezeichnen sei – WA 30 II, 422, 13; vgl. zum Ganzen Slenczka 1973).
321
In dogmatischer Hinsicht muss ergänzt werden: „Die im Ökumenischen Rat [immer wiederkehrenden]
Gegensätze unterscheiden sich allerdings nicht von den Positionen innerhalb der einzelnen Mitgliedskirchen. Sie
entzünden sich regelmäßig an der ‚sozial-politischen Variante des Theodizeeproblems‘, und die
Auseinandersetzung kreist dann stets um den damit verbundenen Dualismus von Gut und Böse“ (Slenczka
1998:545).
322
Weinrich (2002:5) vergleicht die Situation in seiner Einleitung treffend mit einem „Dampfer, der an Fahrt
verloren hat“. Aus diesem Grund regte der scheidende Generalsekretär des ÖRK, Konrad Raiser, im Jahr 2003
einen „Prozess der Rekonfiguration“ an, einer Neubesinnung auf die Rahmenbedingungen der Ökumenischen
Bewegung (vgl. Nüssel und Sattler 2008:27).
323
Anspruchsvoller formuliert (mit Ritschl 1994:95): „Auch kann ihr [sc. der ökumenischen Theologie] eine
düstere Zukunft vorausgesagt werden, wenn sie als ein intelligentes Zusammensetzspiel von Traditionselementen
verschiedener Herkunft mit dem Gewinnziel einer hochtheologischen Kombinatorik betrieben wird, bei dem
keiner der Spieler eine wirkliche Veränderung der eigenen Position hinnehmen möchte.“
324
József Fuisz unternimmt in seiner Heidelberger Diss. (2001. Konsens, Kompromiss, Konvergenz in der
ökumenischen Diskussion. [Studien zur Systematischen Theologie und Ethik 29]. Münster: Lit) den Versuch eine
Schneise in das Dickicht bi- und multilateraler Dialoge zu schlagen, indem er nach gemeinsamen
Strukturmerkmalen fragt, die eine Art „Logik“ ökumenischer Entscheidungsfindungsprozesse offenbart.
103
Dekade einschneidende Ereignisse für die ökumenische Großwetterlage: Je nach Perspektive
zeichnete sich Stillstand („Dominus Jesus“, Sept. 2000) oder aber auch Fortschritt ab („GER“,
Okt. 1999)325 - ohne an dieser Stelle dogmatische Urteile fällen zu wollen. Aus Sicht der Basis
ist „die“ Ökumene, die es in dieser singulären Form - wie aufgezeigt - nie gegeben hat, vor
allem eines, nämlich oft abstrakt.326
Bilaterale Gespräche mit der römisch-kath. Kirche, die bisher in dieser Studie keine
Beachtung gefunden haben (vgl. zu den Anfängen im 20. Jhdt. Rouse und Neill 1973:359384; 1974:406-459), zeigen vor allem, dass neben der „geglückten“ evangelischevangelischen Ökumene weiterhin ein weites Feld unbestellt bleibt. Sieht man mit dem
Konfessionskundler und Kirchenhistoriker Haustein (2001:262f) in der Erklärung der
päpstlichen Glaubenskongregation „Dominus Jesus“ keinen Bruch zu den bisherigen
ökumenischen Ereignissen,327 so bleibt doch in dogmatischer Hinsicht - und daran lässt auch
Haustein (:263f) keinen Zweifel - die römisch-kath. „Rückkehr“-Ökumene nach wie vor
bestehen (vgl. auch Weinrich 2006b). Dass der tiefe ekklesiologische Zwiespalt zwischen der
325
Eine Stellungnahme zu dieser Erklärung, z. B. im negativen Sinne E. Jüngels, sie sei „Gegenstand für ein
dogmatisches Proseminar, weil aus ihr keinerlei praktische Konsequenzen für die Ökumene“ folgen, soll hier
nicht erfolgen. Interessant wäre hingegen, aus Sicht der vorliegenden Untersuchung nach dem Beitrag von
Bucers Soteriologie für die genannte Erklärung zu fragen. Weinrich (2006a) erwähnt Bucer explizit als Bsp. für
die Nuancierung ref. Theologie in der Rechtfertigungslehre von Anbeginn an nur am Rande (:126f, Anm. 5) und
rekurriert dann auf Calvins Verständnis (und Karl Barths u. a.), um die ref. Sicht der GER zu untermauern. Die
Ausführungen zum untrennbaren Zusammenhang von Dogmatik und Ethik als bleibende ökumenische
Herausforderung (:143f): „Geglaubte Rechtfertigung ist bereits Heiligung“, könnten zumindest
traditionsgeschichtlich als Teil der Gedankenwelt Bucers aufgefasst werden. Ein differenziertes Urteil - oder
besser einen Fragekatalog - zur Möglichkeit eines evangelisch-katholischen ordo salutis aus der Sicht von
Bucers Thomas-Rezeption bietet Leijssen (1979:295f), freilich noch nicht im Blick auf eine etwaige gemeinsame
Erklärung. Historisch betrachtet knüpft die GER an den offen gebliebenen Fragestellungen zu Art. 5 des
Regensburger Buches an – die Rolle Bucers hierbei wurde geschildert (s. o. S. 67f; vgl. auch die
Auseinandersetzung im 20. Jahrhundert mit den kath. Reformtheologen Küng u. Pesch und damit auch den
Anfängen einer Verständigung in Sachen Rechtfertigungslehre durch zur Mühlen 1979:357f, Anm. 91). Eine
ausführliche Dokumentation zur GER hat vor kurzem Friedrich Hauschildt (Hg.) 2009. Die Gemeinsame
Erklärung zur Rechtfertigungslehre: Dokumente des Entstehungs- und Rezeptionsprozesses. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht vorgelegt (eine kurze Zusammenfassung bietet: Birgitta Kleinschwärzer-Meister. Die
Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre – intrakonfessionelle Rezeption und interkonfessionelle
Bedeutung, in: Frank und Käuflein 2010:277-311).
326
Abseits der ökumenischen Massenveranstaltungen, über deren bleibende Wirkung hier keine Annahmen
angestellt werden sollen: Gelebte ökumenische Initiativen, Gruppen und vor allem Begegnungen vor Ort
widersprechen dieser Feststellung zu Recht. Der ursprüngliche Plan, einige dieser Modelle im Rahmen der MThDiss. vorzustellen, konnte nicht aufrecht erhalten werden. Eine umfassende empirische Studie zur Situation in
Deutschland bspw., im Fachbereich PT o. ä., die dem Autor nicht bekannt ist, könnte diese Lücke schließen.
327
So in einem Vortrag, der vor der Landessynode 2001 der Evang.-Kirche im Rheinland gehalten wurde und
ein lebhaftes Echo gefunden hat. Nach Haustein (2001:262f) gibt es eine ökumenische Linie, die über das II.
Vatikanum bis zur GER und zu „Dominus Jesus“ führt – auch, wenn man die GER eher als regionales Phänomen
aus Sicht der Glaubenskongregation betrachten muss. Die Äußerungen beider Dokumente um die
Jahrhundertwende stehen nicht im Widerspruch (die GER enthält die berüchtigte Fußnote 9, die dem
Missverständnis vorbeugen will, dass mit dem Begriff „Kirchen“ in dem Dokument keinesfalls eine
Anerkennung verbunden ist). Der springende Punkt ist nun der folgende: Mit der Rede von „kirchlichen
Gemeinschaften“ (gegenüber der prot. Ökumene) und der lehramtlichen Zementierung einer exklusiven
Ekklesiologie der römischen Kirche innerhalb von „Dominus Jesus“ soll den innerkatholischen ökumenischen
Bestrebungen einer Öffnung dieses Kirchenbegriffs vonseiten einiger kath. Theologen und der Basis
entgegengetreten werden. Die Erfolgschancen hierfür beurteilt J. Haustein als gering, allerdings saß der Präfekt
der Glaubenskongregation und Unterzeichner des Dokumentes, Joseph Kardinal Ratzinger, zum gegebenen
Zeitpunkt noch nicht auf dem sedes Petri.
104
CA Art. VII und den römischen Anschauungen (Primat des Papstes usw.) daran schuld ist,
bedarf keiner ausführlichen Lektion.328 In puncto Herrenmahl drängt sich sogar die Frage auf,
worin eigentlich der substantielle Fortschritt gegenüber der Situation von 1540/41 besteht:
„[U]nser theologisches Arsenal ist breiter geworden; es gibt die Möglichkeit, den Konsens
viel umfassender zu entfalten, als dies im Wormser Buch geschehen ist“, so aus kath.
Perspektive (Kretschmar 1984:238), jedoch bleibt die entscheidende Fragestellung im Raum
stehen: Inwieweit wirkt das Wort beim Mahl und in welcher Form? 329 Sich daraus ergebende
Konflikte für ein „gemeinsames Abendmahl“ sind vorprogrammiert und sorgen weiterhin für
ganz unterschiedliche Vorgehensweisen (vgl. Haustein 2001:271 für eine protestantische
Variante).
Die langjährigen Begegnungen (vgl. Rouse und Neill 1963:231-296; 1973:317-358) und
bleibenden Auseinandersetzungen mit den orthodoxen Kirchen, besonders in ethischen
Fragestellungen und bspw. der Frage nach der Frauenordination, sind inzwischen zur
Dauerspannung geworden, die von manchen als existenzgefährdend für den ÖRK
wahrgenommen wird (so z. B. Haustein 2001:259).330
Quantitativ betrachtet stellt die größte Herausforderung für die weltweite ökumenische
Bewegung im Moment jedoch die Expansion charismatisch geprägter Frömmigkeit und
Theologie in und neben den traditionellen Landes- und Freikirchen dar. Dieser Sachverhalt ist
nicht neu (Schäfer und Werner 1993:300):
„Wahrscheinlich werden weitaus weniger die klassischen Kontroversen zwischen den
historischen Konfessionskirchen die vordringlichen ökumenischen Aufgaben des
interkonfessionellen Dialogs im 21. Jahrhundert sein, als vielmehr die Probleme des
Verhältnisses der etablierten Kirchen zur charismatischen Bewegung (…).“331
Dass ein nicht zu unterschätzender Teil dieser Bewegung, ob nun offiziell in Form von
328
Nach Weinrichs (2005:205-210) Auffassung ist Art. VII der CA weniger als Fixierung eines konfessionellen
Standpunktes zu würdigen, als viel mehr eine ekklesiologische Ortsbestimmung mit ökumenischer Dimension,
quasi eine Einladung zum Gespräch. Der Bochumer Ökumene-Experte vertritt die These, dass es allein
ökumenische Gründe sein konnten, die dazu berechtigten, die Kirchenspaltung im 16. Jahrhundert hinzunehmen
(vgl. Weinrich 1989:187 u. generell E. Lohse. Zur ökumenischen Bedeutung des Augsburgischen Bekenntnisses,
in: Raiser und Sattler 2000:159-171).
329
Der Hinweis, dass in einer Zeit, die nur noch wenig mit den aristotelischen Deutungskategorien wie
Substanz und Akzidenz anfangen kann, die eigentliche Frage in dem Dogmatischen dahinter steckt, ist richtig.
Ob man jedoch mit der Analogie zwischen Inkarnation und Eucharistie (verkürzt: Menschwerdung –
Brotwerdung) den Sachverhalt lösen kann (vgl. Kretschmar 1984:238), eröffnet wiederum den Raum der
dogmatischen Erörterung.
330
Neben den grundlegenden ethischen Fragestellungen u. a., die zu Spannungen führen, darf man nicht davon
absehen, dass ein grundsätzlich anders geartetes Ökumene-Verständnis auf orthodoxer Seite vorliegt, fernab von
dem protestantischen „Einheit in der Vielfalt“ Konzept (Ivanov 2003; vgl. generell die drei Artikel von Raiser,
Papandreou u. Ionita, in: Raiser und Sattler 2000:357-409).
331
Die Beziehung zwischen charismatischer Bewegung und ÖRK hat naturgemäß eine Vorgeschichte, die
offiziell einsetzt mit der Einrichtung einer Unterabteilung „Erneuerung und Gemeindeleben“ nach der fünften
Vollversammlung des ÖRK in Nairobi 1975 (vgl. Zimmerling 2001:23f u. die frühe freundliche Beurteilung, in:
Fey 1974:495f unter Bezugnahme auf Walter Hollenweger 1966. The Pentecostal Movement and the World
Council of Churches. The Ecumenical Review 19, 310-320).
105
Mitgliedschaft oder typologisch betrachtet, aufgrund seiner theologischen Signatur als
„evangelikal“ bezeichnet werden muss, leitet über zu der Fragestellung nach dem Verhältnis
von Ökumene und Evangelikalismus.
3.2 Ökumenismus innerhalb der evangelikalen Bewegung
3.2.1 Problemanzeige
Von Ökumenismus innerhalb der modernen evangelikalen Bewegung zu sprechen, kommt
zunächst einem Paradoxon gleich, ist doch die Rede von jener Bewegung, die bewusst einen
eigenen Weg neben „Genf“ innerhalb der weltweiten Christenheit eingeschlagen hat. Auf der
anderen Seite weiß sich die evangelikale Bewegung, wie der historische Rückblick (3.1.1)
und auch die theologische Einordnung (3.1.2) gezeigt haben, von Anbeginn an der
ökumenischen Sache verpflichtet. Kennzeichnend ist und bleibt vorerst, dass es sich um eine
Basisbewegung handelt, die jedoch oft von großen Persönlichkeiten, spitz formuliert „kleinen
Päpsten“ lebt und ihre Impulse erhält.332 Dies macht ohne Frage die besondere Würze für den
inner- und außerevangelikalen ökumenischen Dialog aus. „Bi- und multilaterale“ Gespräche
werden vorrangig nicht zwischen Gremien und Ausschüssen, sondern von Einzelpersonen
geführt (man denke nur an die „table-groups“ während der Lausanner Kongresse).
Gremienarbeit geschieht darüber hinaus natürlich ebenso, worüber noch zu berichten sein
wird. Neben dieses Spezifikum tritt als weitere Eigenart das Fehlen „lehramtlicher“
Äußerungen, was die dogmatische Erörterung nicht gerade vereinfacht (s. o. S. 14f). Da die zu
untersuchende Thematik noch keinesfalls abgeschlossen ist, ist einer historisierend„neutralen“ Betrachtungsweise der Weg per se versperrt. Trotzdem soll der Versuch
unternommen werden, möglichst auf Abstand zu gehen, um einer sachlichen Darstellung
Raum geben zu können.
Bevor der Blick auf das Ökumeneverständnis und die damit verbundenen theologischen
Grundmerkmale des LKWE und der DEA (3.2.2) fällt, soll der theologiegeschichtliche Faden
(der unter 3.1.2 unterbrochen wurde) noch einmal aufgegriffen werden. Wie kam es zum
Bruch innerhalb der ökumenischen Bewegung, der schlussendlich zur Schaffung einer
Parallelstruktur neben dem ÖRK führte?
332
An dieser Stelle müssen im Hinblick auf die Gründung und Gestaltung des LKWE die Namen Billy
Graham - der Evangelist - und John Stott - der theologische Lehrer - fallen. Eine bemerkenswerte
missionsgeschichtliche Parallele bieten John R. Mott und Joseph H. Oldham im Blick auf die erste
Weltmissionskonferenz von 1910 (vgl. Herbst 2011:64, Anm. 6).
106
3.2.1.1 Die Auseinandersetzung mit dem Säkularökumenismus
Vorbereitet durch die theologische Entwicklung des ÖRK
in
Richtung
eines
Säkularökumenismus (vgl. zum Begriff Sauerzapf 1975:203-208; Müller 1977:131-136;
Slenczka 1998:567-573), erreichten die Debatten im Umfeld der fünften Vollversammlung
des ÖRK in Nairobi 1975 ihren vorläufigen Höhe- und Schlusspunkt. 333 Dies kommt deutlich
zum
Ausdruck
in
den
gehaltenen
Vorträgen334,
der
mehrheitlich
ratifizierten
Verfassungsänderung335 und einigen Geschehnissen336, die man als Randnotizen von
Bedeutung auffassen darf. Die evangelikale Kritik sammelte sich angesichts der Formierung
des ÖRK als eine Art Weltgewissen im Vorfeld auf dem „Internationalen Kongress für
Weltevangelisation“ in Lausanne (16.-25. Juli 1974). Mit der „Lausanner Verpflichtung“
äußerte sie sich zum ersten Mal global im Sinne der Abgrenzung und Identitätsfindung
gegenüber einer universalen Sozialutopie, deren Diktat durch „Genf“ man nicht länger
akzeptieren wollte. Theologiegeschichtlich gesprochen erteilte man einem „Politischen
Pelagianismus“ (Bouman 1984:48) eine deutliche Absage. Das von evangelikaler Seite
wahrgenommene zu einseitige Optieren für sozial-revolutionäre Auffassungen und die damit
einhergehende Preisgabe der Mission in einem biblisch-heilsgeschichtlichen Sinne 337 rief die
333
Zur theologischen Analyse der sechsten und siebten Vollversammlung in Vancouver und Canberra
(1983/1991) vgl. Slenczka 1998:543-546.
334
Der amerikanische Theologe Robert McAfee Brown ergänzte das Hauptthema der Konferenz „Jesus
Christus befreit und eint“ um den Zusatz: „und er trennt“. Er konnte für den Verlauf der Verhandlungen
prognostizieren: „Wir werden gegensätzlicher Ansicht sein, wenn es hier in Nairobi um die Frage geht, wie wir
Jesu Botschaft auf Gebieten wie dem Rassismus, der Verkündigung, dem Ökumenismus oder Sexismus
verstehen und anwenden sollen. Diejenigen, die an ein persönliches Heil glauben, wollen das Heil nicht
politisiert sehen; diejenigen, die an ein gesellschaftlich soziales Heil glauben, wollen das Heil nicht privatisiert
sehen“ (Krüger 1976:20).
335
Innerhalb der Verfassung werden vor allem die „Aufgaben und Ziele“ des Rates geändert, hin zu einer
„Spiritualität des Kampfes“ (s. Nairobi 1975:249-256) in politischer Hinsicht; ein Zugeständnis an die nunmehr
vorherrschende Befreiungs- und Revolutionstheologie (zu ihrer Hermeneutik vgl. Hamel 1993:114-136.245f).
Zahlreiche Erklärungen und Resolutionen zeugen hiervon, überhaupt durchzieht alle Berichte der fünf Sektionen
– deutlicher als noch in Uppsala – die Solidarität der Kirchen mit den unterschiedlichen Krisenherden und
Notsituationen der Welt als maßgebliche Maxime (vgl. Slenczka 1998:517f.542f).
336
Die umfangreichste Verfassungsänderung bestand darin, alle maskulinen Artikel, Pronomina und
Amtsbezeichnungen mit den entsprechenden femininen zu versehen; hierin sah man einen Schritt zur
Beseitigung des Sexismus.
337
Sautter (1984:223-250) schildert die Entwicklung der evangelikalen Kritik in dieser Hinsicht seit 1961 (bis
1975) in seiner Tübinger Diss. als Beyerhaus-Schüler (vgl. auch Bockmühl [1974] 2000:51-131). Weitere
Veröffentlichungen (in Auswahl) sind hier zu nennen, die vor allem die „Auswüchse“ der Genfer Ökumene
durch das neue Missionsverständnis, besonders in punkto „Einheit der Weltreligionen“, im Blick haben (damit
verbundene Zeichenhandlungen sorgten sicher für die zunehmende Beunruhigung innerhalb der Basis). Quellen:
Philip A. Potter (Hg.) 1973. Das Heil der Welt heute: Ende oder Beginn der Weltmission? Dokumente der
Weltmissionskonferenz Bangkok 1973. Dt. Ausgabe besorgt von Thomas Wieser. Stuttgart u. a.: Kreuz-Verlag.
Evangelikale Reaktionen: Peter Beyerhaus 1973. Bangkok '73 – Anfang oder Ende der Weltmission?. Bad
Liebenzell: Verlag der Liebenzeller Mission; Peter Beyerhaus & Walter Künneth 1975. Reich Gottes oder
Weltgemeinschaft? Die Berliner Ökumene-Erklärung zur utopischen Vision des Weltkirchenrates. (TelosDokumentation 900). Bad Liebenzell: Verlag der Liebenzeller Mission; Peter Beyerhaus & Ulrich Betz (Hg.)
1976. Ökumene im Spiegel von Nairobi '75: Durch die Wüste zur Welteinheit. Bad Liebenzell: Verlag der
Liebenzeller Mission; Peter Beyerhaus 1987. Krise und Neuaufbruch der Weltmission: Vorträge, Aufsätze und
Dokumente. Bad Liebenzell: Verlag der Liebenzeller Mission; Rolf Scheffbuch 1974. Ökumene kontra Mission?.
Neuhausen-Stuttgart: Hänssler; Rolf Scheffbuch 1974. Frag-würdige Ökumene. Neuhausen-Stuttgart: Hänssler;
vgl. auch Hamel 1993:63-77.
107
Kritiker auf den Plan. Stellungnahmen wie die „Frankfurter Erklärung zur Grundlagenkrise
der Mission“ (1970) und die „Berliner Ökumene-Erklärung“ (1974) sind hier für den
deutschsprachigen Raum exemplarisch zu nennen (vgl. zur Wheaton-Erklärung von 1966
Sautter 1984:225-228).338 Mit diesen Veröffentlichungen, die in der internationalen LV ihre
Konzentration (und zugleich den Anfang einer Bekenntnisbildung) fanden, prägte man den
„Kirchenmitgliedern ein, dass Evangelikale in einer ‚unbiblisch‘ geprägten ökumenischen
Bewegung nicht mehr mitarbeiten“ (Eber 2006:215) können.
Vergessen werden darf ferner nicht: Weitere Stimmen, die die Entwicklung und
Ausrichtung der Aktivitäten des ÖRK kritisierten, reihten sich in diese Gegenfront
theologisch ein,339 ohne allerdings zwangsläufig die gemeinsame Organisationsstruktur zu
verlassen - was durchaus kontrovers diskutiert wurde. Die Auseinandersetzung mit der
politisierend-“prophetischen“ Rolle (s. Nairobi 1975:245-258; vgl. Hamel 1993:61f), die der
Ökumenische Rat der Kirchen gegenüber den Kirchen der Welt mehr und mehr einnahm, ist
allerdings mit den gängigen Koordinaten evangelikal versus liberal o. Ä. nur unzureichend
beschrieben. Slenczka (1998:541; vgl. auch Bockmühl [1974] 2000:157; 1977:350.356)
verweist zu Recht auf die unter der Oberfläche liegenden Gründe:
„Der Gegensatz von Heil und Wohl, von konservativ und progressiv oder evangelikal und
sozial nimmt jedoch nur die gängigen gegenseitigen Vorwürfe auf, wo man Entweltlichung
auf der einen und Verweltlichung auf der anderen Seite sieht. Der theologische Kern der
Problematik wird damit jedoch nicht getroffen, ja selbst die Bezeichnung der Gegensätze
ist bei genauerem Zusehen unzutreffend und dient lediglich in vereinfachender
Polarisierung der Polemik. Die oft verletzende Schärfe der Polemik aber läßt erkennen,
daß es um echte dogmatische Konflikte geht, bei denen eben das berührt wird, womit ein
Mensch in seinen Glaubensüberzeugungen steht und fällt.“
Als Kristallisationspunkt, der den tiefer liegenden Konflikt sachgemäß theologisch
beschreibt, bietet sich das Verständnis von Schrift und Tradition als hermeneutische
Grundlage der theologischen Weichenstellungen der Genfer Ökumene an. Manche
Evangelikale sehen an dieser Stelle nichts anderes als das Haupthindernis für eine
Zusammenarbeit innerhalb des ÖRK (vgl. Beyerhaus 1996:165-169).
Konnte man noch mit den vor allem durch die dialektische Theologie geprägten
338
Eine Sammlung von derartigen Erklärungen aus dem Bereich der „Bekenntnis“-Evangelikalen bietet:
Rudolf Bäumer (Hg.) 1981. Weg und Zeugnis: Bekennende Gemeinschaften im gegenwärtigen Kirchenkampf
1965-1980. 2. Aufl. Bad Liebenzell: Verlag der Liebenzeller Mission.
339
Zu nennen sind hier die Äußerungen verschiedener orthodoxer Kirchen (s. Hanfried Krüger [Hg.] 1975.
Ökumenische Bewegung 1973-1975. [ÖR Bh 29]. Korntal: Evangel. Missionsverlag, 39-67), eine umfangreiche
Studienarbeit der norwegischen Bischofskonferenz (Den norske kirkes økumeniske engasjement: Utredning fra
et utvalg oppnevnt av Bispemøtet 1974. Oslo/Gjøvik 1977 – dt. Zusammenfassung durch K. Schmidt, in: ÖR 27,
519-525) o. a. der Beschluss der Betheler EKD-Synode von 1978 über „Theologische Grundsatzfragen für
Gespräche mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen“ (Bethel 1978: Bericht über die siebte Tagung der fünften
Synode der EKD vom 5.-10.11.1978. Hannover 1979, 514-516).
108
„Richtlinien für die Auslegung der Heiligen Schrift“ von 1949, 340 wenn auch nicht konform,
so zumindest tolerant umgehen, so schien diese Möglichkeit ihrem Ende entgegenzugehen mit
der Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung 1963 in Montreal. Mit dem Bericht
der betreffenden Sektion unter dem Titel „Schrift, Tradition und Traditionen“ gelang ein
Durchbruch
(aus
evangelikaler
Sicht
eher
ein
Dammbruch)
hinsichtlich
der
Verhältnisbestimmung von Schrift und Tradition innerhalb der Genfer Ökumene. In aller
Kürze skizziert: Entscheidendes Merkmal der Studie ist die terminologische Neubestimmung
einzelner Begriffe (im deutschsprachigen vor allem durch die Großschreibung von
TRADITION341), um eine Klärung der klassischen theologischen Konflikte an dieser Stelle
voranzutreiben. „Mit der TRADITION ist das Evangelium selbst gemeint, wie es von
Generation zu Generation in und von der Kirche übermittelt wurde: der im Leben der Kirche
gegenwärtige Christus selbst“ (Montreal 1963:42). Daneben tritt der Begriff der Tradition, um
den „Traditionsvorgang“ (:42), also den Prozess der Überlieferung und Auslegung zu
beschreiben und die Rede von den Traditionen, die die „Verschiedenheit der
Ausdrucksformen“ als auch die jeweilige „konfessionelle Tradition“ (:42) meinen. Für das
Schriftverständnis bedeutet dies, dass „das geschriebene, prophetische und apostolische
Zeugnis von Gottes Tat in Christus“ (:42) selbst als eine Traditionsform der TRADITION
aufgefasst wird - ein klares Zugeständnis an die Kerygmatheologie. Damit erreichte aus Sicht
der evangelikalen Kritik die fundamentaltheologische Debatte ihren Höhepunkt (vgl. zur
detaillierten Auseinandersetzung Hamel 1993:11-19) durch die Übernahme wesentlicher
Einsichten der historisch-kritischen Forschung in die Überlieferungsgeschichte der biblischen
340
Schon auf den Konferenzen für Glauben und Kirchenverfassung von Lausanne 1927 und Edinburgh 1937
kam zum Vorschein, dass es vor allem zwischen den orthodoxen und protestantischen Kirchen unterschiedliche
Ansichten über das Verhältnis von Schrift und Tradition gibt (vgl. Haudel 1993:109-127) - keine wirkliche
Neuheit aus dogmengeschichtlicher Perspektive. Und doch konnte die Ausrichtung der Kirchen auf die Autorität
der Bibel bis dahin „als ein basaler Minimalkonsens der ökumenischen Verständigung“ (Lauster 2004:347)
aufgefasst werden. Die alte Frage nach der Beziehung von Schrift und Tradition, auf deren Hintergrund das
protestantische Schriftprinzip erst entstehen konnte, stand in einem neuen Gewand folgerichtig vor der
ökumenischen Gemeinschaft. Mit der Antwort der „Richtlinien“ (innerhalb des Sammelbandes „Die Autorität
der Bibel heute“) blieb man in der bisherigen Tradition eines „bibelorientierte[n] Aufbruch[s]“ (Haudel
1993:128) zunächst stehen – man denke nur an die Bibelfrömmigkeit der Erweckungsbewegungen des 19.
Jahrhunderts, deren Einfluss auf die frühe ökumenische Bewegung angedeutet wurde (s. o. S. 93f). Deutlich
kommt nun in den „Richtlinien“ die Wort-Gottes-Theologie zum Zuge mit christozentrischer Emphase, um die
Frage nach dem historischen Abstand zu beantworten. Die Anerkennung der historischen Kritik erfolgt ebenso –
auch wenn viele hiermit verbundene Fragen noch offen bleiben -, allerdings steht diese dialektisch gesprochen
unter dem „Selbstbeglaubigungsvermögen des Wortes Gottes“ (vgl. Haudel 1993:145-148; Hamel 1993:7-10).
341
Dahinter steht die englische Unterscheidung von „Tradition“ und „tradition“, die man angemessen ins Dt.
übertragen wollte (vgl. Haudel 1993:193f zur Entstehung der Begrifflichkeiten). Jürgen Moltmann, der an der
Erklärung mitwirkte, konnte anmerken, dass es für protestantische Ohren „etwas gewaltsam“ klinge, die
Selbstoffenbarung Gottes als „TRADITION“ zu bezeichnen (vgl. Lauster 2004:352). Mit der ernsthaften
Überlegung die Formel „sola TRADITIONE“ einzuführen erreicht diese „Gewalt“ ihren Höhepunkt. Sicher
wurde zum einen der Versuch unternommen - in ökumenischer Absicht - das Schriftprinzip in den weiteren
Horizont der Überlieferung des Evangeliums einzuordnen (:353), auf der anderen Seite spiegelt sich hier
allerdings auch nach m. E. etwas Verzweiflung wieder, im multilateralen Dialog allen Parteien gerecht zu werden
und die Erkenntnisse der mod. Bibelwissenschaft gegenüber der jeweiligen Kirchenpolitik ins Feld führen zu
wollen.
109
Schriften aus ökumenischer Perspektive.342
Der zweite Teil des Berichtes von Montreal widmete sich der in jeder Hinsicht brisanten
Frage, wie sich die Vielfalt der Traditionen zur Einheit der TRADITION verhält. Anders als
noch in den „Richtlinien“ von 1949 ist nicht mehr von der biblischen Botschaft die Rede
(Montreal 1963:46f), die Emphase liegt auf dem konstitutiven Bezug der vielen Traditionen
auf die eine TRADITION - ohne hier wirklich weiter in die Tiefe zu gehen. Im Hintergrund
stehen die Bemühungen von E. Käsemann, der ökumenischen Bewegung dieses Thema ins
Bewusstsein zu rufen. In seinem in Montreal gehaltenen Vortrag „Einheit und Vielfalt in der
neutestamentlichen Lehre von der Kirche“ führt er den schon ein Jahrzehnt früher erbrachten
Nachweis vor, dass im Neuen Testament keine „ecclesiologia perennis“ zu finden sei, sondern
stattdessen mehrere „ekklesiologische Grundtypen“, m. a. W.: Der neutestamentliche Kanon
begründe nicht die Einheit der Kirche, sondern die Vielfalt der Konfessionen. Naturgemäß
konnte dieses nunmehr bekannte Diktum nicht unwidersprochen bleiben. Eine kontroverse
Diskussion schloss sich an (vgl. Haudel 1993:225-227); daneben muss auch auf die Tatsache
hingewiesen werden, wie desillusionierend die Thesen E. Käsemanns auf die ökumenische
Bewegung als Ganze gewirkt haben müssen. „Mit historischer Nüchternheit destruierte er das
romantische Ideal von der brüderlichen Einheit der Urchristenheit als Leitbild der Ökumene.
Zugleich fiel damit auch die Illusion eines naiven ökumenischen Biblizismus dahin“ (Lauster
2004:354). Neuere ökumenische Modelle wie „Einheit in der Vielfalt“ o. a. „Versöhnte
Verschiedenheit“ haben hier ihren hermeneutischen Ursprungsort, wenn auch zunächst nur in
nuce.343
Die nicht ausbleibenden (nicht immer qualifiziert theologischen) Reaktionen innerhalb der
evangelikalen Bewegung auf die damit gesetzten neuen Voraussetzungen sind im Grunde
genommen schnell skizziert und haben mit dem soeben geschilderten Sachverhalt ihre
342
Der Bericht fährt fort: Ein Vorrang der TRADITION gegenüber der Schrift ändere jedoch nichts an der
„Bedeutung der Heiligen Schrift als Hort des Wortes Gottes“ (:43). Eine Wechselwirkung in dem Verhältnis von
Schrift und Tradition soll ausgesagt werden: die Schrift als Produkt der TRADITION, die TRADITION
wiederum als Konzentrat der Schrift. Der wahrscheinlich am häufigsten zitierte Satz aller Dokumente des ÖRK
zum Schriftverständnis folgt: „So können wir sagen, daß wir als Christen durch die TRADITION des
Evangeliums (die Paradosis des Kerygmas) existieren, wie sie in der Schrift bezeugt und in und durch die
Kirche kraft des Heiligen Geistes übermittelt worden ist“ (:43; Hervorhebung im Original).
343
Darauffolgende Verlautbarungen griffen den eingeschlagenen Kurs auf (Bristol 1967, Löwen 1971 u. a.)
mit dem Versuch der neuentdeckten Vielfalt des biblischen Offenbarungszeugnisses, eine neue Perspektive für
die konfessionelle Vielfalt zu entnehmen. Praktisch wurde damit in weniger als 20 Jahren innerhalb der
Kommission für Glauben und Kirchenverfassung die Notwendigkeit der historisch-kritischen Schriftauslegung
vollständig anerkannt (seit Bristol explizit). Aufgrund der hiermit aufgeworfenen neuen Fragestellungen – und
unmittelbar folgenden Auseinandersetzung – suchte man in Löwen 1971 einen Mittelweg zwischen
biblizistischen und historistischen Engführungen zu finden, um zu einem adäquaten Verständnis von Autorität
und Inspiration der Hl. Schrift zu gelangen. Inwiefern dies gelungen ist, bedarf aus Sicht der evangelikalen
Kritiker keiner weiteren Erklärung (vgl. zur Analyse der Dokumente im Einzelnen Hamel 1993:20-33 u. als
Kontrapunkt Haudel 1993:274-286.311-315; vgl. zur jüngsten Studie der Kommission für Glauben und
Kirchenverfassung hinsichtlich einer ökumenischen Hermeneutik „A Treasure in Earthern Vessels“ Lauster
2004:360-362).
110
theologische Mitte, zugespitzt den Kausalnexus der Auseinandersetzung, gefunden. Bis dato
wird man vehemente Kritiker der „Ökumene“ finden, die auf genau die genannten Punkte
nach wie vor rekurrieren.344 Verblüffend ist und bleibt, wie schnell die Stellungnahmen
(zuweilen sicher auch verkürzt) - wie José Ortega y Gasset einmal formuliert hat - ihren Weg
von den Lehrstühlen auf die Gassen zu jedem kleinen dummen Jungen gefunden haben. Man
kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Eine grundsätzlich anti-ökumenische Gesinnung
führt oft auch eine grundsätzlich anti-intellektualistische Haltung mit sich (vgl. Wellings
1994:46).
Institutionalisiert fand das breite Spektrum an evangelikaler Kritik Ausdruck in
alternativen Vereinigungen, Zusammenschlüssen und Arbeitsgremien im Bereich Mission,
theologische Ausbildung, der Medien- und Verlagsarbeit u. a.. 345 Einige der hier zu nennenden
Einrichtungen bestanden schon vor dem Jahr 1974, erfuhren aber durch die Gründung des
LKWE (dies geschah erst 1975 in Mexiko City) eine Bündelung und damit auch Fixierung
ihrer Anliegen.
3.2.1.2 Die zunehmende Entspannung zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Kurzgefasst: Ohne die nach wie vor bestehenden Unterschiede nivellieren zu wollen (vgl. nur
344
Zahlreiche, oft populärwissenschaftliche Titel – hier nur für den dt. Sprachraum – sind zu nennen (in
Auswahl): Lothar Vogel 1969. Ökumene: Woher – wohin? Die antichristliche Einheitskirche. Zürich: Patmos;
Theophil Rhese 1972. Ökumene auf dem Weg zur Weltkirche?. 4. Aufl. Wetzlar: Hermann Schulte; Albert
Lüscher 1974. Das wahre Gesicht der Ökumene. 3. Aufl. Langenthal: Pflugverlag; Gertrud Wasserzug-Traeder
1981. Die Ökumene am Scheideweg. Pfäffikon: Mitternachtsruf; Horst Stricker 1991. Ökumene – Einheit um
jeden Preis?. Lüdenscheid: Bernard; Stellungnahme der Pilgermission St. Chrischona zur Frage der
Zusammenarbeit mit der Ökumenischen Bewegung und der röm.-katholischen Kirche, 1993. Bettingen-St.
Chrischona; Rainer Wagner 2000. Alle in einem Boot: Ökumene – und der Preis der Einheit. Dillenburg: CLV;
Rainer Wagner 2002. Gemeinde Jesu zwischen Spaltungen und Ökumene: 2000 Jahre Kirchengeschichte aus
bibeltreuer Sicht. Wuppertal: Verlag für reformatorische Erneuerung; Lothar Gassmann, Erich Brüning & HansWerner Deppe 2004. Projekt Einheit: Rom, Ökumene und die Evangelikalen. Oerlinghausen: Betanien (vgl. auch
Erich Brüning 2004. Freimaurerei, Vatikan und die Evangelikalen. Wuppertal: Verlag für reformatorische
Erneuerung); Urban, Michael 2004. Ökumene – Zeichen der Endzeit? Eine Bestandsaufnahme unter Bezug auf
das prophetische Wort. Pfäffikon: Mitternachtsruf; Lothar Gassmann 2005. Was ist Kirche? Papstkirche,
Staatskirche oder Gemeinschaft der Glaubenden? Grundlinien biblischer Ekklesiologie. Wuppertal: Verlag für
reformatorische Erneuerung; Fast allen Veröffentlichungen ist gemeinsam – grob schematisierend –, ganz
abgesehen vom Hang zum Biblizismus und wagemutigen Exegesen, dass sie zum einen aus Sicht des Historikers
ein Dekadenz- o. a. Verfallsmodell für die Welt- und Kirchengeschichte unkritisch postulieren und zum anderen
aus theologischer Perspektive Freude an spekulativen apokalyptischen Deutungen haben. Dies mündet oft in
einer darbystisch geprägten Absonderungslehre, die je nach Schärfe des Urteils (über die ökumenische
Bewegung) mehr oder weniger emphatisch vorgetragen wird. Eine Auseinandersetzung mit der Argumentation
im Einzelnen soll hier nicht geschehen (der Schwerpunkt liegt auf dem LKWE und der DEA); ggf. werden
einzelne Argumente, wenn es sinnvoll erscheint, unter 3.2.2 diskutiert.
345
Für den dt. Sektor sei hier nur stichwortartig auf folgende Einrichtungen u. Initiativen verwiesen:
Evangeliums-Rundfunk (ERF), Schüler- und Studentenmission (SMD), Bekenntnisbewegung „Kein anderes
Evangelium“, Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen (AEM), „Konferenz bekennender Gemeinschaften
in den Evangelischen Kirchen Deutschlands“, Informationsdienst der Deutschen Evangelischen Allianz (idea),
Konferenz evangelikaler Publizisten (KeP), Theologische Verlagsgemeinschaft des R. Brockhaus u. Brunnen
Verlages (TVG), Arbeitskreis für evangelikale Theologie (AfeT), Konferenz bibeltreuer Ausbildungsstätten
(KBA; daneben KMA), ProChrist (JesusHouse) u. a. (die Lausanner Bewegung in Dt. firmiert momentan unter
dem Titel: „Koalition für Evangelisation“).
111
Beyerhaus 1996:11f; H. Egelkraut, in: Bockmühl 2000:222), kann und muss doch von einer
Entspannung im 21. Jahrhundert die Rede sein. Inwieweit diese die „Basis“ erreicht hat, stellt
eine eigene Fragestellung dar.346 Im Blick auf die großen Fragestellungen, die den „zweiten
Kirchenkampf“ im 20. Jahrhundert überhaupt ausgelöst haben, könnte man formulieren:
Einzelne Konfliktpunkte bestehen nach wie vor, die Konfliktkultur hat sich jedoch nachhaltig
verändert.
Sicher
hängt
dies
neben
der
inhaltlichen
Neubestimmung
mancher
Kontroverspunkte schlichtweg mit der Tatsache zusammen, dass eine neue Generation von
Theologen und Kirchenfunktionären auf beiden Seiten sich dem alten Streit im neuen
Jahrhundert annimmt.347 Frappierend findet dies Ausdruck in einem „historischen Moment“
für das LKWE, der Begrüßung der Versammlung in Cape Town 2010 durch den amtierenden
Generalsekretär des ÖRK, Olav Fykse Tveit. In seiner Rede vor den Delegierten der
evangelikalen Welt hob jener hervor, dass die „Distanz zwischen Lausanne und Genf nicht
wirklich groß ist“ im gemeinsamen Dienst der Versöhnung (2. Kor 5,18). Die Bedürfnisse der
modernen Welt hinsichtlich der Versöhnung mit Gott, dem Nächsten und der Schöpfung (i.
O.: „nature“) „sind zu groß für eine geteilte Kirche.“ 348 Innerhalb einer neuen Initiative des
ÖRK, dem „Global Christian Forum“ (GCF) entdeckt man ebenso die evangelikale
Bewegung als ökumenischen Partner, der nicht übergangen werden kann. Der Ansatz erinnert
an das ursprüngliche Anliegen der „Evangelischen Allianz“ seit 1846: Auf der Basis der
persönlichen Frömmigkeit und individueller Heilserfahrungen, die in einem biografischen Stil
mitgeteilt werden, sucht man hier Vertrauen zu schaffen zwischen den Anwesenden der
jeweiligen Konfessionen (s. den Bericht von R. Hille als Teilnehmer, in: ETM 15/1 2009:4).
Die zunehmende Entschärfung des Klimas, die nicht überall mit Begeisterung
aufgenommen wird, hat ihre Vorgeschichte. Schon Ende der achtziger Jahre begannen
zunächst außereuropäische Evangelikale sich wieder verstärkt in der ökumenischen
Bewegung zu engagieren, indem sie ihre Positionen kritisch und konstruktiv in den Dialog
einbrachten (vgl. Eber 2006:215). Hintergrund hierfür ist ohne Frage die Tatsache, dass mit
dem Niedergang des real existierenden Sozialismus in Osteuropa und in weiten Teilen der
Welt eine Neubesinnung der ökumenischen Aufgabe vonnöten war. Gesellschaftspolitisches
Engagement wurde vonseiten „Genfs“ zwar nicht restlos obsolet, jedoch gerieten
346
Eine empirische Untersuchung - wie schon angedeutet (s. o. S. 104, Anm 326) -, die nach der
ökumenischen Gesinnung (o. a. Verweigerung) fragt, je nach Denomination und bspw. Alter, Geschlecht usw.,
wäre an dieser Stelle höchst aufschlussreich.
347
R. Hille (ETM 16/2 2010:5) weist zu Recht darauf hin, dass für die neue Generation junger Evangelikaler
die identitätsbildenden Kontroverspunkte der siebziger Jahre nur noch aus kirchengeschichtlichen Darstellungen
bekannt sind, wenn überhaupt.
348
Übersetzung von mir; Rede online im Internet: www.oikoumene.org/en/resources/documents/generalsecretary/speeches/greetings-to-the-3rd-lausanne-congress-for-world-evangelization.html [Stand: 05.09.2011];
vgl. auch idea-Spektrum 43/2010:23 u. idea-Spektrum 11/2010:11 zum Gipfeltreffen zwischen ÖRK und WEA
im Ökumenischen Zentrum in Genf zu Beginn des Jahres 2010.
112
missionarische und generell spirituelle Themenfelder wieder mehr ins Blickfeld des ÖRK.
Der besondere Einfluss amerikanischer (R. Sider u. a.) und lateinamerikanischer (bspw. R.
Padilla u. S. Escobar) Evangelikaler, neben Vertretern aus der Zwei-Drittel-Welt, ist hier
geltend zu machen.349 Nicht zu vergessen ist ferner die Bedeutung der orthodoxen Ostkirchen,
die, euphemistisch formuliert, keine Affinität zu evangelikalen Missionsaktivitäten haben,
allerdings „konservative“ theologische Positionen immer mehr einfordern und „liberale“ dafür
in Frage stellen (um die gängigen Koordinaten zu gebrauchen).350
Im Blick auf die Situation der DEA zeichnet sich die kurz skizzierte Entwicklung
innerhalb des weltweiten Evangelikalismus ebenso ab; ob dies für alle Teile der „Basis“ gilt,
ist, wie angedeutet, nicht pauschal zu beantworten. Ökumenische Anliegen der EKD werden
nicht mehr unter einen Generalverdacht gestellt, sondern es herrscht eine relative Offenheit
für diese Fragestellungen.351 Das röm.-kath. Gegenüber (nicht nur personell, sondern auch
teilweise institutionell) erkennt man ebenso zunehmend als Kooperationspartner an, vor allem
in Sachen Mission und damit verbundenen Aufgabenfeldern. 352 Nach wie vor existiert jedoch
auch ein evangelikaler „Separatismus“, der in keinster Weise bereit ist, die Schärfe des alten
Konfliktes zu mildern.353
In wenigen Worten: Die evangelikale Bewegung insbesondere Lausanner Prägung stellt
sich heute als diffuse und komplexe Bewegung im Hinblick auf ihre ökumenische Initiative
dar
(s.
R.
Hille,
in:
ETM
16/1
2010:2).
349
Es
ist
ein
Kapitel
moderner
Man könnte hier von einem „positiven“ (je nach Betrachtungswinkel) Rückfluss durch die sog. „radikalen
Evangelikalen“ für das ökumenische Interesse innerhalb der evangelikalen Gemeinschaft sprechen (vgl. hierzu
neuerdings die UNISA-Thesis von R. Hardmeier, der sich des genannten Phänomens passim annimmt;
2008:32f.38f.40.65-67.171.229.237.279.281). Die mit den Anliegen der radikalen Evangelikalen verbundene,
bedeutende Fragestellung nach dem rechten Verhältnis von ewigem Heil und zeitlicher Wohltat (vgl. LV Art. 5),
die erst zur Gründung des LKWE geführt hat, wird immer noch kontrovers diskutiert und bildet einen ganz
eigenen Themenschwerpunkt (vgl. Berneburg 1997 u. Hardmeier 2008; vgl. auch die Stellungnahme aus
evangelikal-kontinentaler Sicht von L. von Padberg zum Thema „Glaube und Weltverantwortung“, in: Wüst
1994:132-141). Die (in einer dt. Fassung von H. Sautter und M. Volf kommentierte) „Oxford-Erklärung zur
Frage von Glaube und Wirtschaft“ (1992. Gerechtigkeit, Geist und Schöpfung. Wuppertal, Zürich: R. Brockhaus)
zeugt von dem neuen Bewusstsein für sozialethische Fragestellungen innerhalb der weltweiten evangelikalen
Bewegung.
350
Die Berichtsbände der Vollversammlungen und Weltmissionskonferenzen des ÖRK (alle im LembeckVerlag erschienen) von 1989 (San Antonio), 1991 (Canberra), 1996 (Salvador da Bahia), 1998 (Harare), 2005
(Athen) u. 2006 (Porto Alegre) zeugen hiervon.
351
Nach wie vor gibt es sicher unterschiedliche Bewertungen hinsichtlich des sog. konziliaren Prozesses, und
doch werden Themen wie „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ insgesamt freundlicher
aufgefasst innerhalb der DEA (man denke nur an die Ziele der „Micha-Initiative“, die sich den
Millenniumszielen der UNO verpflichtet weiß; zur Rolle der WEA in dieser Hinsicht s. Hardmeier 2008:78-80);
die Zeit als die ökumenische Bewegung für diese Anliegen „[h]eftig unter Beschuß“ (so E. Geldbach, in: Wüst
1994:13) stand, ist jedoch scheinbar vorbei.
352
Vgl. hierzu nur das Editorial von B. Meuser, Leiter des kath. Pattloch-Verlages, in: idea-Spektrum 2930/2009:3 (ungekürzt in: Aufatmen 4/2009:76-78), der für ein Netzwerk missionarisch gesinnter Christen
plädiert und hierin die „wahre Ökumene“ von morgen erblickt (der „Allianz“-Gedanke ist überdeutlich; zu den
hierauf obligatorisch folgenden Leserbriefen von denen keiner die kath.-evangelikale „Übereinstimmung“
kritisiert – L. Käsers Kritik zielt in eine andere Richtung - s. idea-Spektrum 31-32/2009:5). Der Pattloch-Verlag
vertreibt gemeinsam mit dem neuen evangelikalen Konsortium SCM R.Brockhaus die Volxbibel.
353
Tidball (1999:60f) sieht hierin ein spezifisch fundamentalistisches Moment, das sich zuweilen mit
evangelikalen Strömungen verbindet, aber nicht repräsentativ für den Evangelikalismus als solches ist.
113
Kirchengeschichtsschreibung, das noch nicht abgeschlossen ist. Ob die „alte“ Einteilung nach
P. Beyerhaus in ursprünglich sechs Strömungen innerhalb der evangelikalen Welt, wovon
zwei ausgesprochen ökumenisch gesinnt sind (vgl. Berneburg 1997:21)354, noch unbeschadet
gilt, beschreibt ein Element der Verschiebung der Grenzziehungen von gestern, die sich auf
ihre bleibende Gültigkeit hin befragen lassen müssen.
3.2.2 Globale und nationale evangelikale Alternativen zum ÖRK
Sieht man in dem Begriffspaar evangelikal - ökumenisch nicht grundlegend eine Antinomie
(vgl. Geldbach 1984:53), so darf und muss die Frage gestellt werden, wie es um das
Verhältnis beider Adjektive bestellt ist. Einzelne Personen würden sich sicherlich als
evangelikale Ökumeniker o. a. ökumenische Evangelikale einstufen lassen (vgl. Fackre
1993:vii-ix), die dogmatische Aufgabe, nach dem Grund und der Vereinbarkeit solcher
Terminologien zu fragen, ist damit aber noch nicht gelöst. Inwieweit kann innerhalb der
modernen evangelikalen Bewegung von Ökumenismus die Rede sein und wie gestaltet sich
dieser? Ziel der nachfolgenden Analyse ist der Versuch, dem Ökumenebegriff oder besser dem
Ökumeneverständnis innerhalb des LKWE und der DEA auf die Spur zu kommen mithilfe der
Untersuchung mehr oder weniger offizieller Dokumente.
3.2.2.1 Lausanner Komitee für Weltevangelisation
Grundlegend ist: Mit der Schaffung des LKWE (im engl.: Lausanne Commitee for World
Evangelisation; LCWE) - zunächst als Fortsetzungskomitee nach den Erfahrungen in
Lausanne 1974 - spiegelt sich sowohl die Überzeugung der notwendigen Abgrenzung in einer
nicht als marginal empfunden theologischen Fragestellung wider, als auch die Überzeugung,
nur in „ökumenischer“ Kooperation den weltweiten Aufgaben in Sachen Mission und
Gemeindebau gewachsen zu
sein. Dass
dies
zunächst gelungen ist, trotz der
verschiedenartigen Richtungen, die hier zusammenfanden, stellt historisch betrachtet keine
Selbstverständlichkeit dar und darf auch nicht „einfach“ als bleibende Einrichtung ohne
Widerspruch betrachtet werden (vgl. Jung 1992:68). Unmittelbar verbunden mit dem LKWE
ist der zweite große evangelikale Dachverband, die „Weltweite Evangelische Allianz“ (World
354
Sechs Gruppen werden hier immer wieder genannt (K. Heimbucher konnte noch vereinfachend von dreien
sprechen): 1. die „Neo-Evangelikalen“ unter der Leitung Billy Grahams, 2. der separatistische
Fundamentalismus unter der Führung Carl McIntire’s (ICCC), 3. die bekennenden Evangelikalen mit einer mehr
konfessionell geprägten Ausrichtung (P. Beyerhaus u. a.), 4. die charismatisch-evangelikale Bewegung (hier
geschieht des öfteren eine vorschnelle Vereinnahmung der klass. Pfingstbewegung unter diese Gruppe), 5. die
ökumenisch gesinnten radikalen Evangelikalen mit ihrem sozialpolitischen Engagement, 6. die ökumenischen
Evangelikalen, die bei aller Einzelkritik am ÖRK bewusst darin weiter mitarbeiten; vgl. zu weiteren
Klassifizierungsversuchen Geldbach 1984 (aus eher religionssoziologischer Perspektive) u. Wellings 1994:47f.
114
Evangelical Alliance; WEA, vormals WEF), deren Behandlung eine Thematik für sich
darstellt. Vorhandene Berührungspunkte sollen im Blick behalten werden; sie bestehen z. B.
in personellen Überschneidungen, die in Gremienarbeit und anderen Initiativen Ausdruck
finden (vgl. Berneburg 1997:22, bes. Anm. 24 zu vorhandenen Spannungen). Inwieweit hier
eine bessere Bündelung und Konzentration auf Weltebene (in Dt. seit 1985) dem
gemeinsamen Anliegen Vorschub leisten würde, steht als offene Fragestellung im Raum (vgl.
Jung 1992:71; R. Hille, in: ETM 16/2, 2010:6).
Betrachtet man die Arbeitsweise des LKWE, so stechen zumindest zwei Schnittmengen
mit dem ÖRK in formaler Hinsicht ins Auge: Zum einen geschieht die konkrete theologische
Arbeit neben der Bündelung durch die jeweiligen „Verpflichtungen“ (LV, MM, CTC) mithilfe
von Dokumenten (vor allem: „Lausanne Ocassional Papers“), zum anderen - hier befindet
sich der Sitz im Leben jener Dokumente - handelt es sich bei der Lausanner Theologie um
eine ausgesprochene Konferenztheologie. Beides verdient nähere Betrachtung:
a) Mit der Verwendung von „papers“ als Vorlagen und schließlich Ergebnissen von
gemeinsamen Erörterungsprozessen stellt sich unweigerlich die Frage nach der bindenden
Kraft solcher Schriftstücke, ganz zu schweigen von der nur schwer nachzuzeichnenden
kirchlichen Rezeption dieser Verlautbarungen. Laut Selbstaussage betont das LKWE jeweils
zu Beginn der entsprechenden LOPs, dass nicht alle geäußerten Gesichtspunkte zwangsläufig
im Einklang mit der Lausanner Bewegung stehen. Zur Sache: Ein kurzer Blick in die
Dokumente verrät, dass der Begriff „Ökumene“ nur als Randerscheinung auftritt, jedoch eher
Begrifflichkeiten wie „Zusammenarbeit“ o. a. „Kooperation“ im Vordergrund stehen. Der
funktionale Aspekt einer noch genauer zu bestimmenden christlichen Einheit, die sich mit
gewaltigen Herausforderungen konfrontiert sieht, steht ohne Frage im Vordergrund.
b) Die ausgesprochene Konferenztheologie stellt ganz eigene Fragestellungen vor, denen
Slenczka (1998:438f) im Hinblick auf die ökumenische Bewegung Genfer Art nachgeht. 355
Hinsichtlich
der
Lausanner
Bewegung
ist
festzuhalten:
Diese
lebt
von
ihren
Massenveranstaltungen356 und den dort gehaltenen Referaten, die, betrachtet man die
Rezeptionsgeschichte, als richtungsweisend bezeichnet werden müssen (man denke z. B. nur
an das von John Stott vorgetragene inkarnatorische Missionsverständnis nach Joh 20,21,
dessen Widerlegung durch A. Köstenberger noch auf eine kritische Aufnahme vonseiten der
355
Slenczka (1998:438) weist zu Recht auf die Gefahr hin, „daß man bei dem Versuch einer Auswertung
einfach nach der Konkordanzmethode eine Wirkungsgeschichte zu einzelnen Themen konstruiert und auf diese
Weise den Konferenzen nachträglich eine normative Funktion beilegt, die sie gar nicht haben.“ Der ehemalige
Erlanger Systematiker untersucht demnach die Träger der Konferenztheologie, die Bezeichnung der
Zusammenkünfte, die Zusammensetzung, das Verfahren – von Anfang an dem anglo-amerikanischen
Parlamentarismus nachempfunden – und die Autorität der modernen „Konzilien“.
356
David L. Edwards kann ihre Frühformen unter Billy Graham noch mit den damaligen Kirchentagen
vergleichen, die allerdings stärker strittige „praktisch“-ethische Themen bearbeiteten, nach seinem Empfinden
(Fey 1974:514).
115
Basis wartet; vgl. Walldorf 2002:210f). Diskussionen während der jeweiligen Konferenzen
und daraus abgeleitete Stellungnahmen zu den Hauptreferaten finden zwar ihren Niederschlag
in schriftlicher Form, allerdings nur in begrenztem Umfang. Einer nachträglichen Analyse
aller Beiträge, generell des stattgefundenen theologischen Prozesses, z. B. in Form einer
dogmatisch-kritischen Bewertung, ist damit per se der Weg versperrt; hierin liegt das
eigentliche Spezifikum einer Konferenztheologie. Im Unterschied zur WEA, die hier stärker
kontinuierlich theologisch arbeitet mit ihren verschiedenen Kommissionen, bietet die
Lausanner Bewegung eher inspirative Treffen evangelikaler Art, um entsprechend ihrem
Selbstverständnis als Motor für Weltevangelisation zu fungieren. Dabei unterliegt ihr, ob nun
ausgesprochen oder nicht, neben anderen dogmatischen Grundentscheidungen auch eine
spezifische Konzeption von Ökumene.
Ein chronologischer Gang durch die Verlautbarungen des LKWE und den hierzu
vorliegenden Äußerungen und Interpretationen soll nun helfen, der Entwicklung - insofern
davon die Rede sein kann - des evangelikalen Ökumeneverständnisses Lausanner Prägung auf
die Spur zu kommen.
3.2.2.1.1 Lausanner Verpflichtung
Angefangen mit der LV wird zuallererst deutlich: Die „Gründungsurkunde“ enthält keine
explizite Form der Abgrenzung gegen den ÖRK oder Verwerfungen wie im Falle der Barmer
Theologischen Erklärung, muss aber sachlich doch wohl als ein Entwurf für eine Art „GegenÖkumene“, oder besser Alternative (s. Überschrift 3.2.2) zum ÖRK verstanden werden. Das
Ausbleiben deutlicher Worte in Richtung des ÖRK, wie bspw. im Falle der „Frankfurter
Erklärung zur Grundlagenkrise der Mission“ wurde der LV schon früh zum Vorwurf gemacht,
besonders aus den Reihen der „Bekenntnis“-Evangelikalen (vgl. Sautter 1984:246f u. zur
positiven Bewertung dieser Eigenschaft Bockmühl [1974] 2000:140.154f; D. Sackmann, in:
Tidball
1999:28).
Die
Lausanner
Verpflichtung
ist
ihrem
Namen
nach
„keine
Bekenntnisschrift, keine [stolze] ‚regula fidei‘(...)“, sondern sie „will eine Verpflichtung sein
zur Erfüllung des Gehorsams, zu dem uns Christus ruft“ (Jasper 1976:48f). Sie verlangt nicht
wie bei einer „Formel“ nach einer Unterschrift der einzelnen Paragraphen, versteht sich aber
als Bekräftigung eines Bundes („convenant“), der erneuert werden soll. Trotzdem enthält sie
in Übereinstimmung mit anderen modernen „Bekenntnissen“ sehr wohl bekenntnishafte
Abschnitte und Formulierungen (vgl. nur LV Art. 2 u. 15).
Zur Fragestellung der vorliegenden Arbeit nimmt Art. 7 Stellung: „Wir bekräftigen, daß
die sichtbare Einheit der Gemeinde in Wahrheit Gottes Ziel ist [im Anschluss an die loci
classici Eph 4,3f; Joh 17,21.23; Joh 13,35]. Evangelisation ruft uns auch zur Einheit auf, weil
116
unsere Uneinigkeit das Evangelium der Versöhnung untergräbt“ (dt. Übers., in: Marquardt
und Parzany 1990:323). Die konkrete Form der erwünschten Einheit wird am Ende des
Artikels präzisiert, wenn es heißt: „Wir drängen auf die Entwicklung regionaler und
funktionaler Zusammenarbeit, um die Sendung der Gemeinde, die strategische Planung, die
gegenseitige Ermutigung, die gemeinsame Nutzung der Mittel und Erfahrungen
voranzutreiben“ (:323; Hervorhebung von mir). In dogmatischer Hinsicht legt der Mittelteil
des Artikels seinen Schwerpunkt auf eine Abwehr individualistischer und partikularistischer
Verkürzungen im Bereich der Ekklesiologie, die der evangelikalen Strömung bis dato nicht
fremd sind. Stattdessen sind alle, „die .. den gleichen biblischen Glauben haben“, aufgerufen,
sich „eng in Gemeinschaft, Dienst und Zeugnis [zu] vereinen“ (:323). Auf der Grundlage von
biblisch-theologischen Grundaussagen, die mit der LV in konzentrierter Form dargelegt
werden, ist eine Basis für das Voranschreiten in „Gemeinschaft, Dienst und Zeugnis“ (:323)
geschaffen. Der „Allianz“-Gedanke leuchtet auf. Das Ziel eine umfassende lehrmäßige
Übereinstimmung ins Visier zu nehmen und damit verbunden die konfessionelle
Fragestellung anzugehen, wird damit ausgeklammert. Der Schwerpunkt liegt auf der Frucht
der christlichen Einheit, einer regionalen und funktionalen Zusammenarbeit im Dienste der
Evangelisation
(vgl.
den
nachfolgenden Art.
8:
„Gemeinden
in
evangelistischer
Partnerschaft“) und weniger auf den theologischen Grundlagen und Voraussetzungen hierfür.
John Stott als spiritus rector des missionstheologischen Dokumentes bietet eine
„Auslegung und Erläuterung“ zur LV (LOP Nr. 3; vgl. auch Stott 1997:1-55; dt. Übers., in:
Lausanne geht weiter 1980:113-200), in der er bzgl. Art. 7 zwei Argumentationslinien
hervorhebt. Nach einer kurzen Besinnung zum theologischen Wahrheitsgehalt der Aussage,
„daß die sichtbare Einheit der Gemeinde in Wahrheit Gottes Ziel ist“ - eine Einheit, die in
einem gewissen Sinn bereits vorhanden ist und „ebenso wenig zerstört werden [kann] wie die
Dreieinigkeit [Eph 4,4-6]“ (Lausanne geht weiter 1980:158), folgt ein längerer Abschnitt zu
den praktischen Konsequenzen dieser vorgegebenen „Einheit“ (eine tiefergehende Reflexion
über das Wesen dieser unitas bleibt aus). In pragmatischer Hinsicht sind vor allem zwei
Tatsachen ins Auge zu fassen: Zum einen kann eine „organisatorische Einheit“ viele Formen
haben und besteht eben nicht nur in dem „völlige[n] Zusammenschluß von Kirchen“ mithilfe
fester Strukturen (:159) - eine Reminiszenz an die bisherigen Erfahrungen mit dem ÖRK.
Zum anderen fördert „organisatorische Einheit“ nicht zwangsläufig die Evangelisation,
vielmehr haben die „Leiter von einigen vereinigten Kirchen .. mit Bedauern zugegeben, daß
Vereinigung keinen Anstoß zur Evangelisation gegeben hat, wie sie es erwartet hatten“ (:159).
Der Abschluss von John Stotts Erläuterungen richtet sich (a) auf das Bekenntnis, viel zu oft
durch „sündhaften Individualismus“ und „unnötige Überscheidungen“ eher das eigene kleine
117
Reich aufgebaut zu haben, (b) die Verpflichtung in Zukunft „eine tiefere Einheit in Wahrheit,
Anbetung, Heiligung und Sendung zu suchen“ und (c) schlussendlich die Bitte an die
Delegierten, regionale und funktionale Kooperationen zu entwickeln, um die „tiefere Einheit“
zu realisieren und nicht als geistige Größe am Horizont verschwimmen zu lassen (Lausanne
geht weiter 1980:159f). In einer Art Selbstverpflichtung des LKWE betont der anglikanische
Theologe zum Schluss, dass man den Wünschen der Kongressteilnehmer von 1974
nachkommen will, indem man eben diese „Basiseinheit“ vor Ort fördert und nicht eine neue
evangelikale statt ökumenische zentralisierte Struktur aufbaut; salopp formuliert einfach
„Genf“ durch „Lausanne“ ersetzt (:160).
Am Rande erwähnt John Stott die nicht unbedeutende Feststellung, dass „wir noch immer
untereinander uneins sind in einigen zweitrangigen Fragen“ (:159). Worin diese Uneinigkeit
konkret besteht, insbesondere im evangelikalen Spektrum, erläutert er an anderer Stelle (s.
Stott 1975). Vier Themenbereiche leuchten auf, jeweils als Polarisationen vorgetragen:
„Verstand und Gefühl“, Konservative und Radikale“, „Form und Freiheit“ und
„Evangelisation und soziales Handeln“.357 Bemerkenswert und nicht von der Hand zu weisen
sind seine religionspsychologischen Überlegungen, die in der Einleitung zur Sprache
kommen. Auf dem Weg zu einem ausgewogenen Christsein (der Titel der Schrift lautet i. O.:
„Balanced Christianity“) ist das Eingeständnis unabdingbar, dass „unser Temperament mehr
Einfluß auf unsere Theologie [hat], als wir oft selber bemerken oder eingestehen“ (:8). Nach
einigen kurzen Bemerkungen zu den hermeneutischen Vorbedingungen jeder Bibellektüre und
-auslegung (vgl. nur zum „sensus proprius“ bei LUTHER WA 7, 98, 40-99, 2), folgt die
Vertiefung dieses Gedankens. Nach Stott (1975:9; vgl. auch Lausanne geht weiter 1980:160)
besteht eine der größten Schwächen, besonders der evangelikalen Christen (!), darin, zu
Extremen zu neigen. Eine geistlich-theologisch geartete Unausgeglichenheit, die für Stott
auch einen diabolischen Hintergrund hat (1975:9), ist die Folge:
„Unter ‚Unausgewogenheit‘ verstehe ich die Neigung, die eine oder die andere Seite einer
Wahrheit, den einen oder anderen ihrer Pole, stark zu betonen. Wenn wir beide Pole
gleichzeitig umfassen könnten, würden wir eine gesunde biblische Ausgewogenheit
erreichen. Statt dessen neigen wir zur ‚Polarisierung‘. Wie Abraham und Lot trennen wir
uns voneinander. Wir drängen den anderen zum einen Pol, während wir den
entgegengesetzten als für uns reserviert betrachten“ (:9; Hervorhebung von mir).
Die Frage im Rahmen einer hermeneutica sacra drängt sich auf, inwieweit dieses „Umfassen“
beider Pole für das Erkenntnisvermögen eines Menschen überhaupt möglich ist (weiteres dazu
357
Stott nennt weitere „klassische“ Problemfelder in puncto Einheit der Christenheit (Göttliche Allmacht und
menschliche Verantwortung, Gemeinde- und Amtsverständnis, Verhältnis von Kirche und Staat usw.), die nicht
ausschließlich Evangelikale herausfordern. Etwas irritierend wirkt, dass er die Tauffrage unter die Kategorie der
Adiophora subsumiert (vgl. 1975:7f).
118
unter 4.2). John Stott löst das Dilemma auf, indem er unter Rückgriff auf Charles Simeon ein anglikanischer Kleriker des 19. Jahrhunderts - kurz auf das paulinische Verständnis von
„Komplementarität“ verweist (1975:9f).358 Die nachfolgende Behandlung der einzelnen
Themenblöcke bietet aus materialdogmatischer Sicht keine weiterführenden Erkenntnisse zu
dieser propädeutischen Fragestellung.
Eine weitere Erörterung zu Art. 7 der LV, die nicht aus der Feder John Stotts stammt, bietet
Howard A. Snyder anlässlich eines internationalen Symposiums, das kurz im Anschluss an die
Lausanner Zusammenkunft abgehalten wurde. Die Interpretation der LV und ihrer einzelnen
Paragraphen ist dabei bewusst unter die Freiheit der jeweiligen Autoren gestellt (so Stott, in:
Padilla 1977:5); dem ganzen Spektrum der noch jungen Bewegung soll damit von vorne
herein kein Denkverbot erteilt werden im Sinne eines gerade neu begründeten evangelikalen
Lehramtes.
Snyder (in: Padilla 1977:124) betont zunächst vor aller theologischen Reflexion über das
Wesen christlicher Einheit, die - man kann sagen - epochale Erfahrung von „Einheit unter
Christen“ durch die Kongressteilnahme in Lausanne. 359 Von hieraus gelangt er zu biblischtheologischen Einsichten. Der Tatsache, das Gott „einer“ ist, Einheit also wesensmäßig der
Natur Gottes entspricht, steht ein unchristlicher Dualismus entgegen, der laut Snyder „die
christliche Theologie oft negativ beeinflußt“ hat (:125). Gerade im Bereich der Ekklesiologie
mache sich diese Aufspaltung von Wirklichkeit bemerkbar (:125f):
Man „unterscheidet dann zwischen einer idealen Gemeinde (die diese Einheit tatsächlich
darstellt) und der realen Gemeinde in dieser Welt (die zersplittert ist, darüber aber nicht
bekümmert zu sein braucht, weil die ideale ‚geistliche‘ Gemeinde ja eine unwandelbare
Einheit darstellt …).“
Snyders Grundthese, die wie ein roter Faden seine Erläuterungen durchzieht, lautet dabei, die
evangelikale Bewegung leide an einer ekklesiologischen Lücke in ihrer Theologie; schon der
Protestantismus arbeite „mit einer verworrenen und häufig scholastisch-platonischen
Auffassung von der Gemeinde“ (:126). Sein Plädoyer lautet (entgegen bspw. dem röm.-kath.
Institutionalismus) nicht in falsche Alternativen zu verfallen und die geistliche und
organisatorische (besser: strukturelle) Einheit der Gemeinde als „unterschiedlich, nicht aber
als notwendig gegensätzlich anzusehen“ (:127). Die immer wieder auf verschiedenen Ebenen
358
Schirrmacher (2005) hat jüngst in einer Veröffentlichung auf diesen Begriff, der einen
naturwissenschaftlichen Ursprung hat, hingewiesen und versucht, seinen Bedeutungsgehalt für den
theologischen Diskurs fruchtbar zu machen.
359
„1. Die Erfahrung solcher Einmütigkeit wurde dadurch möglich, daß Christen aus Fleisch und Blut zu einer
bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort zusammenkamen - mit anderen Worten: innerhalb der geschichtlichen
Wirklichkeit. 2. Obwohl ihre Einheit echt war, blieb sie zeitlich begrenzt. Sie besteht jetzt nur in der Erinnerung,
nicht mehr als gegenwärtiges Faktum. 3. Obwohl diese Einheit ihre Grundlage im transzendenten Evangelium
hat, wurde sie erst durch eine besondere, von Menschen in der Struktur von Raum und Zeit geschaffene
Veranstaltung ermöglicht: den Internationalen Kongreß für Weltevangelisation“ (in: Padilla 1977:124).
119
wiederkehrende Frage nach dem Verhältnis von Ordnung und Geist, hier nach der Leiblichkeit
des Organismus Gemeinde, leuchtet hier auf.
In aller Kürze zur Beurteilung des Ansatzes: Das von Snyder festgestellte Desiderat ist
sicherlich ein, wenn nicht mitunter das theologische Hauptproblem in der Zusammenarbeit im
Rahmen der Evangelisation und Mission. Wie eine gemeinsame evangelikale Ekklesiologie
aussehen könnte, stellt sicher eine entscheidende Fragestellung dar, auf dem Weg zu einer
sichtbaren Einheit der (evangelikalen) Christenheit - falls so etwas überhaupt denkbar ist (vgl.
4.3 u. 4.5). Der Ausweg aus falschen Alternativen in dieser Hinsicht, und soweit reicht
Snyders Ansatz, ist ein erster Schritt auf dem Weg zu einem wie auch immer gearteten
evangelikalen Ökumenismus.360
Noch weiterführende dogmatische Erörterungen zu einem evangelikalen Verständnis von
„Einheit der Christenheit“ finden sich in einem Referat, dass im Rahmen des Lausanner
Kongresses dargeboten wurde. Es ist die bisher ausführlichste Reflexion dieses Sachverhaltes
aus evangelikaler Perspektive und wird deshalb am Ende dieses Kapitels behandelt. Henri
Blocher entfaltet anhand der einschlägigen Schriftstellen, allen voran Eph 4,3-6, eine
„Proportionen-Lehre“361, derzufolge die „Möglichkeiten, christliche Einheit auszudrücken, ..
im Verhältnis zum erreichten Grad der doktrinären Einheit“ stehen (in: Beyerhaus
1974:522).362 Geleitet von der Entdeckung eines paulinischen Gradualismus, der sehr wohl zu
differenzieren weiß zwischen einer tiefen Übereinstimmung im Glauben (z. B. nach Phil
3,15f) und einer notwendigen Trennung um des Glaubens willen (2 Thess 3,14f),363 gelangt H.
360
Nach diesen dogmatischen Bestimmungen folgt eine Besinnung über das Hohepriesterliche Gebet Jesu in
Joh 17 (in: Padilla 1977:128-130), dann die Fragestellung, inwieweit Einheit eine Voraussetzung für
Evangelisation ist - oft führt das Letztere in der Praxis genau zum Gegenteil - (:130-133) und schließlich eine
Liste mit mehr oder weniger konkret-abstrakten Vorschlägen zur Weiterarbeit nach Lausanne (:133-136). An
dieser Stelle soll die Konzentration auf die systematisch-theologischen Ausführungen ausreichen.
361
Gemäß dem engl. Originalwortlaut: „The possibilities of expressing christian unity are proportional to the
doctrinal agreement reached“ (Hervorhebung von mir; Douglas 1975:386). In der dt. Übersetzung ist von der
„Regel der Verhältnismäßigkeit“ die Rede (in: Beyerhaus 1974:540.542).
362
Im Vorfeld bietet Blocher (:511-522) einige einleitende Überlegungen zum Wesen und zur Basis jeglicher
christlichen Einheit (die Trinität) und zur Verhältnisbestimmung zwischen sichtbarer Einheit und unsichtbarem
Leib Christi, die nicht spezifisch evangelikales Gedankengut widerspiegeln. Diese Gedanken münden in einem
kurzen theologiegeschichtlichen Überblick zu der Unterscheidung zwischen primären und sekundären
Glaubensartikeln aus luth. und ref. Sicht. Herausgehoben werden muss zum einen der Versuch einer völlig
vergeistigten Sicht von Einheit („Geistliche“ Einheit), die für das evangelikale Spektrum eher kennzeichnend ist,
entgegenzutreten – im Rahmen der Spannung zwischen einer statischen und dynamischen Ekklesiologie (:512f),
zum anderen die kurze Auseinandersetzung mit E. Käsemann, dessen Beobachtungen am NT ernst genommen
werden, aber zu völlig anderen Konsequenzen führen (im Sinne einer „progressive revelation“, :519f; vgl.
David Wenham 1999. Paulus: Jünger Jesu oder Begründer des Christentums?. Schöningh: Paderborn, München
u. a.).
363
Zwei Illustrationen verwendet Blocher an dieser Stelle: a) Das Modell konzentrischer Kreise: Der innere
Kreis wäre die Ebene, auf der Paulus den Philippern begegnet, der nächste die Auseinandersetzung mit den
Korinthern usw. bis zur Kollision mit den Galatern (Blocher entfaltet dies nicht explizit, sondern deutet es nur
an; vgl. :522f). b) Die Struktur eines Organismus: „[D]a ja die Wahrheit organisch eine Einheit ist, wird sie,
wenn man sie nur in einer kleinen Einzelheit bestreitet, dadurch mittelbar auch als Ganze bestritten.“ Auf der
anderen Seite, da sie „organisch differenziert ist, kann man diese Logik nicht bis zum Extrem führen, nur um
sich von den Brüdern zu trennen“ (:523; im Hintergrund stehen sogar schöpfungstheologische Implikationen, die
Blocher wohl dem kath. Theologen Henri de Lubac verdankt, s. :531, Anm. 6).
120
Blocher zu fünf Kriterien, die es „ermöglichen .., die relative Bedeutung einer Lehrfrage, die
diskutiert wird, zu beurteilen“ (in: Beyerhaus 1974:523):
a) Die biblischen Kriterien: Aufgrund der Stellung, die ein Thema innerhalb der Hl.
Schrift einnimmt, lässt sich laut Blocher (:523f) die Wichtigkeit dieser Thematik ablesen.
Auch wenn die reine Anzahl der verba probantia noch nichts über die generelle Bedeutung
einer Doktrin aussagt, liegt doch der Schluss nahe, seltene „Lehren“ nicht überzubetonen (als
Bsp. dient hier die zentrale ntl. Sühnelehre im Vergleich zu der singulären paulinischen
Vorschrift, einen Schleier zu tragen).
b) Die theologischen Kriterien: Blocher (:524) unterscheidet hier mit der
theologischen Tradition (er spricht ohne Namensnennung von den orthodoxen Theologen des
17. Jahrhunderts) zwischen „strategischen“ Lehren, mit denen alles steht und fällt und
anderen, die eher an der Peripherie liegen. Ganz im Sinne des Paulus zur Zeit der
Galaterkrise: „Wer mehr als Glauben verlangt, um von Gott angenommen zu werden, macht
den Tod Jesu Christi logisch zu etwas Unnötigem (Gal. 2,21). Die Beschneidungslehre war
strategisch“ (:524). An der Peripherie bewegen sich dagegen ekklesiologische Fragen,
insbesondere die Tauffrage, die ref. Theologen wie Charles Hodge und Charles Haddon
Spurgeon zwar trennten, aber sachlich doch nicht zu einem grundsätzlichen Dissens in ihrer
Theologie führten. An dieser Stelle, anhand des gewählten Beispieles, tritt bei Blocher etwas
von dem Selbstverständnis evangelikaler Theologie, dem „Kern evangelikaler Wahrheit“
(:524), wie er es nennt, zutage.
c) Die praktischen Kriterien: Neben der biblisch-theologischen und systematischen
Verortung und Gewichtung einzelner Lehren im Ganzen des Lehrgebäudes ist des Weiteren
nach den praktischen Konsequenzen einzelner Topoi zu fragen. H. Blocher fragt: „Welche
Hinweise gibt es für die Organisation der Kirche, das geistliche Leben, die Methoden und die
Botschaft der Evangelisation?“ (:524). Hier kommt das Proprium der praktischen Theologie
mit ins Spiel, die mithilfe empirischer Untersuchungen auf die Folgen theologischer
Entscheidungen
und
Weichenstellungen
hinweist.
Blocher
hebt
zuletzt
das
dogmengeschichtliche Paradoxon hervor, dass manchmal für Theologen wesentliche
Fragestellungen, wie das trinitarische Problem, nur wenig Aufregung im kirchlichen Leben
hervorrufen, andererseits das Ringen um die rechte Tauflehre und -praxis, das für manche
Theologen eher sekundär ist, von eminenter praktischer Bedeutung für das Leben in der
Kirche sein kann.
d) Die historischen Kriterien: Um der eigenen erkenntnistheoretischen Schwäche nicht
zu
erliegen
(und
damit
keinem
blinden
Biblizismus),
weist
Blocher
auf
die
horizonterweiternde Stimme der sog. „Glaubensväter“ hin, die bei ihm nicht erst mit dem
121
Pietismus beginnen, sondern ausdrücklich mit den Kirchenvätern. Justin der Märtyrer wird als
Kronzeuge zitiert mit seinem Ausspruch, dass „viele Christen einen reinen und frommen
Glauben, aber doch eine andere Meinung hatten“ (in: Beyerhaus 1974:525; sinngemäß nach
„Dialogus cum Tryphone“ 80, 2). Mit dem nicht namentlichen Hinweis auf die vielen Ireniker
der Kirchengeschichte spricht Blocher ganz im Sinne der vorliegenden Studie die Bedeutung
der Reflexion ihres Erbes für die aktuellen Herausforderungen an. Am Rande erwähnt er
ebenso die vorhandenen historischen Verwerfungen, die z. B. in der Geschichte des
Abendmahlsstreites (vgl. 2.2.1) hervortraten.
e) Die Kriterien der Gegenwart: Bemerkenswert ist Blochers Schlussthese, eine
fundamentaltheologische Einsicht mit pneumatologischer Verzweckung. Basierend auf der
Lehre von der claritas scripturae folgert er, dass das „Wesentliche der Botschaft“ - mit LUTHER
die res scripturae - „dem ehrfürchtigen und klugen Leser nicht verborgen bleiben kann“
(:525). Zugespitzt: Kommt es zu keiner Einigung bei einer theologischen Diskussion, die auf
beiden Seiten von wissenschaftlich arbeitenden und dem Glaubensgehorsam verpflichteten
Personen geführt wird, „können wir daraus schließen, daß der Gegenstand der Debatte nicht
zum innersten Herzstück des Christentums gehört“ (:525). Damit widerspricht Blocher - wie
bewusst wird an dieser Stelle nicht ersichtlich - der Konzeption LUTHERS u. a. Theologen bis
in die Neuzeit, die gerade an diesem Punkt nicht das Wirken des Heiligen Geistes vernehmen,
sondern den polyphonen Klang verwirrender, letztlich verführender Vielfalt (wie im Falle der
Abendmahlskontroverse anhand der est-significat Debatte demonstriert wurde).364
In Summe: Die entfaltete Kriteriologie mündet in einem konkreten Vorschlag zur
Gewichtung der einzelnen dogmatischen Loci aus einer evangelikalen Perspektive; wie auch
immer man diesen Versuch bewertet, so ist der eingeschlagene Weg doch beachtenswert und
äußerst hilfreich für weitere Schritte in diese Richtung. Nun zu dem Modell im Einzelnen:
Primär ist für Blocher (:525f) das Dogma von der Göttlichkeit Christi und seiner
Fleischwerdung - der erste große Kreis von erstrangiger Bedeutung. Mit allen, die außerhalb
dieses Kreises stehen, kann es keine Gemeinschaft in Christus geben. Innerhalb dieser ersten
Trennungslinie folgt ein zweiter konzentrischer Kreis, die Autorität der Hl. Schrift, „des
geschriebenen Wortes Gottes, ohne Fehler und Widerspruch“ (:526). Eine Lehre von
strategischer Bedeutung nach Blocher, die bei Ablehnung jedoch trotzdem in Ausnahmefällen
eine gelegentliche „Zusammenarbeit“ nicht hindern muss (:526); das strikte und absolute Nein
kommt erst an der äußersten Linie zum Tragen. „Totale kirchliche Gemeinschaft“, der dritte
und letzte Kreis im Inneren des Modells setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in der
364
Blocher ergänzt, u. U. etwas spitzbübisch, dass auch das so eben vorgetragene Lehrstück, „die Lehre von
jenem vermittelnden Zustand, den wir als biblisch betrachten“, zur zweiten Kategorie der nicht wesentlichen
Lehrfragen gehört, da doch einige [rechtschaffene] evangelikale Theologen dagegen sind (:525).
122
Ekklesiologie voraus (in: Beyerhaus 1974:526). Am Rande erwähnt Blocher, dass
eschatologische Fragen - als vermeintliches Steckenpferd vieler Evangelikaler - für
diejenigen, die an die persönliche Wiederkunft des Herrn glauben, nicht zu einem
Hinderungsgrund für einen „umfassenden Ausdruck christlicher Einheit“ (:526) werden
dürfen. Die Soteriologie und ihre Fragestellungen verortet Blocher scheinbar in direktem
Zusammenhang mit dem christologischen Bekenntnis, sie erfährt keine explizite Nennung.
Ein weiterer äußerer Kreis, der sich „nur“ der Gottes- und Offenbarungslehre als
gemeinsamem Fundament widmet, wird ebenso nicht erwähnt; der bekannte Streit um die
Souveränität Gottes und die Freiheit des Menschen könnte allerdings „ein paar
Neugruppierungen rechtfertigen“ (:526).
Minimalkonsens in der Ekklesiologie
Übereinstimmung im Schriftverständnis
Übereinkunft in der Christologie
Abb. 1: „Proportionen-Lehre“ nach H. Blocher - Kreise zunehmender Übereinstimmung
Das Modell ist, wie angedeutet, erweiterbar oder beliebig zu steigern in seiner Komplexität, je
nachdem, welchen Standpunkt man zwischen einer exklusiven oder inklusiven Perspektive o.
a. „Grundstimmung“ annimmt.
Bevor sich Blocher - als Baptist - gesondert der Tauffrage als nach wie vor vorhandenes
Spannungsfeld innerhalb der evangelikalen Gemeinschaft widmet, folgen noch einige
Überlegungen im Sinne J. Stotts (s. o. S. 118f) zu den nicht-dogmatischen Hintergründen von
Differenzen in Glaubensangelegenheiten: „Wir wollen Bräuche, Sprache oder Art der
Darbietung nicht mit Glauben verwechseln. (…) Wir alle neigen dazu, dem Ausdruck des
Glaubens den Wert des Glaubens selbst zu geben“ (:526). Die Tauffrage dient dann als
repräsentatives Beispiel für einen vorhandenen oder eben nicht vorhandenen Minimalkonsens
innerhalb der Ekklesiologie unter den Evangelikalen. Sie nimmt Blocher zufolge eine
123
Mittelstellung ein, da sie „weder grundsätzlich ist noch am Rande liegt, .. sekundär ist, ohne
zweitrangig zu sein“ (in: Beyerhaus 1974:527).365
Wie nun die praktischen Konsequenzen für die Zusammenarbeit im Rahmen der
Evangelisation und/oder Diakonie oder dem gemeinsamen Gottesdienst usw. mit
bekenntnisverwandten Gläubigen aussehen, darauf antwortet das Modell Blochers nicht seine Verpflichtung gilt der dogmatischen Grundierung (s. dazu auch die Einleitung zu
Blochers Replik auf die Anfragen bzgl. des gehaltenen Referates, in: Beyerhaus 1974:533).
Die sich aufdrängende Fragestellung, die dank des „Proportionen-Modells“ einen Rahmen zur
theologischen Analyse und Beurteilung erhält, findet jedoch an anderer Stelle Beachtung
(mehr dazu unter 3.2.2.1.3).366
3.2.2.1.2 Pan-African Christian Leaders’ Assembly
Im Rahmen der „Pan-African Christian Leaders’ Assembly“ (PACLA), die vom 09.-19.
Dezember 1976 in Nairobi im Anschluss an die Lausanner Zusammenkunft stattfand, äußerte
sich der Vorreiter einer evangelikalen „Befreiungstheologie“ (bewusst in Anführungszeichen),
René Padilla, zu einem klassischen Konfliktfeld innerhalb des Problemhorizontes „Einheit der
Christenheit“, dem Verhältnis von Einheit und Wahrheit (vgl. 4.2). Hierin sieht Padilla
(1978:197) die zentrale Fragestellung der Debatte, präziser in der Frage nach den
sachgemäßen Kriterien - ähnlich wie Blocher - mithilfe derer man bestimmen kann, wo die
Grenzen für ein gemeinsames Handeln liegen. Als Kontrapunkte benennt er den „Sektierer“,
für den die Antwort auf jene Frage auf der Hand liegt (er kooperiert nur mit seinesgleichen),
und auf der anderen Seite den ökumenischen „Enthusiasten“, der sich wiederum nur schwer
entscheiden kann, eine gebotene Grenzziehung vorzunehmen (:197). Als spezielle
Herausforderung für die jungen Kirchen der sog. Dritten Welt, denen das vorliegende Referat
365
Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den exegetischen Einsichten und systematischen Reflexionen
Blochers aus ref. Perspektive (s. in: Beyerhaus 1974:531, Anm. 14) zur Stellung der Taufe in Eph 4,5 soll hier
nicht erfolgen. Erwähnung verdient allerdings die Randbemerkung zu einer weiteren ekklesiologischen
Fragestellung, in der ein Konsens noch nicht in Sichtweite liegt: „Solange die evangelikalen Christen kein
gemeinsames Verständnis der geistlichen Ämter erreichen, wird im Ausdruck ihrer Einheit etwas fehlen“ (:528f;
Snyders Argumentation hat an dieser Stelle ihr Zentrum, s. o. S. 119f). Blocher spricht sich demnach für ein
geordnetes Amtsverständnis und einen geordneten Ausdruck der in Lausanne begonnen Einheit aus (:529), was
sich in Form des LKWE dann auch schlussendlich realisierte.
366
Das Referat von Jonathan T’ien-en Chao (in: Beyerhaus 1974:1512-1528) bietet zur Thematik nichts
wesentlich Neues, da es sich einem Spezialproblem der Weltmission, dem Verhältnis von lokaler und universaler
Kirche o. a. im missionswissenschaftlichen Sprachgebrauch von sendender und empfangender Gemeinde,
widmet. Am Rande wird als Ausweg aus einem wenig hilfreichen Denominationalismus innerhalb
parakirchlicher Strukturen der konkrete Vorschlag unterbreitet, im Falle einer Gemeindegründung vor Ort
kompromisslos zusammenzuarbeiten. In welcher Form die daraus entstehende Gemeinde, die ihre Anfänge
einem „Presbyterianer, .. Methodist, Baptist und .. [einem] Katholik“ (:1520) verdankt, dann schlussendlich ihr
Leben in dogmatischer, liturgischer usw. Hinsicht führt, beantwortet der Referent nicht; womit das berechtigte
Anliegen im Falle einer Gemeindegründung eng „zusammenzurücken“, um des gemeinsamen Auftrages willen,
nicht bestritten werden soll.
124
gewidmet ist, weist Padilla auf das Faktum hin, dass eine Vielzahl der Probleme hier nicht
unmittelbar aus dem gegebenen Kontext erwachsen, sondern Importware darstellen aus dem
Fundus der 2000jährigen Kirchen- und Missionsgeschichte (1978:197). Ausgehend von Eph
4,1-16 (ebenso wie Blocher rekurriert Padilla nicht so sehr auf den locus classicus Joh
17,11.20ff) versucht Padilla nun, anhand von vier „key issues“ eine Antwort auf die
aufgeworfene Fragestellung zu geben.
a) Die Berufung zur Einheit: Nach der Verortung des Textes im Mikrokontext von
Kap. 1-3 des Epheserbriefes367 kommt Padilla zu dem Schluss, dass es sich bei der Einheit der
Kirche um eine „geistliche Einheit“ handelt, die es zu bewahren gilt (:199). Sofort ergänzt er auch, wenn Organisation oder Strukturen nicht im Vordergrund stehen sollten -, dass
„geistlich“ nicht simultan zu „unkonkret“ o. a. „abstrakt“ ohne praktische Bedeutung
missverstanden werden darf (:199). Der Impetus der paulinischen Einheitsauffassung liegt
Padilla zufolge darin, im Letzten an dem Auferstehungsleben Christi - dem „Leben im Geist“
- zu partizipieren und dadurch in die Lage versetzt zu werden, den von Einheit geprägten
Lebensstil des Herrn zu reproduzieren (:199). Kurzgefasst: Umfassende geistliche Einheit als
persönliche geistliche Herausforderung oder mit den Worten von B. F. Westcott nach seinem
Epheserkommentar (in :199): „He who sees the range of the Divine action must find in it the
strongest motive for guarding the unity already realised in the Church, which is the beginning
and pledge of a wider unity.“
b) Die Basis der Einheit: Ganz in Übereinstimmung mit H. Blocher (und der
vorreformatorischen Lehrtradition)368 äußerst sich Padilla (:199) zu den Grundlagen
christlicher Einheit in ontologischer Hinsicht: „The unity of the Church is based on the unity
367
In groben Zügen: In Kap. 1 findet sich der Hinweis auf das kosmische Ausmaß der Wiedervereinigung aller
Dinge „im Himmel und auf Erden“ (V. 10) unter der Herrschaft Jesu Christi, der schlussendlichen
„Anakephalisiserung“ (u. U. nach J. B. Lightfoot, zit. von F. F. Bruce; s. 1978:206, Anm. 2), um Gottes Ziele mit
dieser Welt zu einem Ende zu bringen (:198). Kap. 2 zeigt - Padilla zufolge (:198) -, dass sich dieses
überweltliche Ziel Gottes historisch realisiert in der gegenwärtigen Weltzeit mithilfe der Gemeinde, in der Juden
und Heiden eine Einheit bilden (V. 16); diese Einheit ist nichts anderes als eine Prolepsis der zukünftigen
Verhältnisse unter dem Haupt Jesu Christi. In Kap. 3 steht das Geheimnis dieser Vereinigung von ursprünglichen
Bundesangehörigen und den „Miterben“ im Mittelpunkt (V. 6). Paulus versteht demnach sein Apostelamt im
Kontext dieses weiten Horizontes, „of God’s unitive purpose and the proclamation of the Gospel as the means
through which that purpose is being brought to fruition among the Gentiles“ (:199).
368
Das 4. Laterankonzil von 1215, das sich mit den Thesen des Joachim von Fiore auseinanderzusetzen hatte,
bekennt zur sog. „Analogieregel“ und dem Wesen der göttlichen Einheit: „Wenn die Wahrheit [Jesus Christus]
für ihre Gläubigen zum Vater betet und sagt: ‚Ich will, dass sie eins seien in uns, sowie auch wir eins sind‘ (Joh
17,22), so wird zwar dieser Ausdruck ‚eins‘ für die Gläubigen gebraucht, damit die Einigung der Liebe in der
Gnade verstanden werde, für die göttlichen Personen aber, damit die Einheit der Identität in der Natur verstanden
werde“ (DH, Nr. 806). Im Hintergrund steht die scholastische Unterscheidung zwischen der Ordnung der Gnade
und der Ordnung der Natur: Gott ist seiner Natur nach - ontologisch gesprochen - eins und vollkommen, die
Geschöpfe sind es aber immer nur der Gnade nach, also geschenkhaft, durch Teilhabe an Gottes Wesen.
Ekklesiologisch zugespitzt führt dies zu der (An-)Erkenntnis, dass es immer eine Differenz zwischen der
wesenhaften Einheit Gottes, die jedem kirchlichen Bemühen immer voraus ist, und der von Gott den Geschöpfen
gewährten Teilhabe an der schon in ihm bestehenden Einheit gibt. M. a. W.: „Die Einheit der Kirche ist in Gott
bereits Wirklichkeit. Sie kann nicht durch geschöpfliche Anstrengung errungen werden. Wandelbar ist die Dichte
der Ausdrucksgestalt sichtbarer kirchlicher Einheit“ (Nüssel und Sattler 2008:13).
125
of the triune God, in whom unity and diversity are perfectly combined.“ Diese These vertieft
Padilla anhand pneumatologischer Einsichten, dem Bekenntnis zu dem Kyrios in
frühchristlicher Zeit und einigen Ausführungen zur Vaterschaft Gottes („ein Geist und ein
Herr, ein Gott und Vater aller“).
1.) Wie schon zu Beginn erörtert, handelt es sich bei der christlichen Einheit nicht in
erster Linie um eine organisatorische, sondern organische, inauguriert durch den Hl. Geist und
sein mannigfaltiges Wirken (1978:200). Der Zusammenhalt der einzelnen Glieder des Leibes
wird von innen und nicht von außen begründet: „Without pneuma there can be no soma“
(:200; ob die Umkehrung auch gilt, wird nicht diskutiert). Mit einem Blocher-Zitat resümiert
Padilla den eschatologischen Aspekt der pneumatischen Einheit, die in die Zukunft ragt und
zur Zeit noch aus der Hoffnung lebt (:200).
2.) In dem Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Kyrios entdeckt Padilla einen
frühchristlichen Minimalkonsens innerhalb der dogmengeschichtlichen Entwicklung, der die
„Substanz“ des christlichen Glaubens mit einschloss und daher zunächst als gemeinsames
Bekenntnis diente (:201). Padilla spezifiziert, dass es sich mit anderen Worten um die
apostolische Tradition handelt, den „Glauben“ - in subjektiver und objektiver Hinsicht -, der
den Heiligen ein für allemal überliefert wurde (Judas 3; vgl. auch Röm 6,17; 2 Tim 1,13; Kol
2,6-7, :201). Historisch betrachtet kann demnach in der frühen Kirche von „einem Glauben“
in christologischer Hinsicht die Rede sein, unbeschadet der Tatsache, dass verschiedene
theologische Muster und Ansätze in peripheren Bereichen zur ntl. Zeit schon bestanden (:201;
Padilla führt dies nicht näher aus).369
3.) Mit dem paulinischen Hinweis auf die Vaterschaft Gottes schließt Padilla seine
Argumentation ab. Die Einheit der Gläubigen gleicht einem Familienverband, der sich durch
das gemeinsame Bekenntnis und die gemeinsame Beziehung zu Gott dem Vater verbunden
weiß (:202). Dies mündet wiederum - versteht man Eph 4,6b mit einigen Kommentatoren als
trinitarische Formel - in der anfänglichen, für Padilla somit zentralen These: Die Einheit der
Kirche leitet sich aus der Einheit Gottes ab, in dem Einheit und Vielfalt vollkommen
miteinander harmonisieren (:202). Eine systematisch-theologische Schlussbesinnung hält fest
- weitläufig verstanden im BUCER’SCHEN Sinne -, dass Einheit und Wahrheit untrennbar
miteinander verbunden sind; „christliche“ Wahrheit ist jedoch weit mehr als doktrinäre
Übereinstimmung und zugleich doch nicht zu lösen von einer Doktrin wie der Trinität
(:202).370 Damit erteilt Padilla einem Agnostizismus hinsichtlich einer in Wahrheit
369
Zur Verbindung zwischen dem „einen Glauben“ und der „einen Taufe“ ergänzt Padilla (1978:201f) ähnlich
wie Blocher einige Gedanken, scheinbar aus baptistischer Perspektive, ohne jedoch die konfessionelle
Fragestellung anzuschneiden.
370
M. a. W.: „Christian unity cannot be identified with total doctrinal agreement, but doctrinal pluralism is a
denial of the very basis of unity“ (:202). Padilla verdankt seine Konzeption von „Einheit und Wahrheit“ den
126
begründeten Einheit eine Absage.
c) Einheit und Vielfalt: Über die Textbetrachtung H. Blochers hinaus wendet Padilla
nun seinen Blick auf die Vv. 7-13 in Eph. 4 (par. 1 Kor 12 u. Röm 12) und gelangt zu der
Erkenntnis, dass Einheit nicht gleich Konformität bedeutet (:203). Im Gegenteil, gemäß der
Regel der Balance zwischen Einheit und Vielfalt innerhalb der Trinität darf es zwangsläufig
nicht verwundern, keine monotone Uniformität innerhalb des Leibes Christi anzutreffen.
Padilla entnimmt dem Text drei Hinweise bzgl. der Vielfalt der Gaben in dem einen Leib
Christi:
1.) Die von Gott gegebene Einheit realisiert sich erst durch Vielfalt in Analogie zum
Wesen des dreieinigen Gottes: „Diversity is contemplated as a reality that takes place within
unity“ (:203). Schöpfungsgemäße Differenzierungen (nicht im Sinne von Streitpunkten)
zwischen den Mitgliedern des Leibes Christi und deren unterschiedliche Begabungen
kompromittieren die richtig verstandene Einheit nicht, im Gegenteil, sie sind ihre
Voraussetzung. Mit J.-L. Leuba (in :203): „Communion does not spell confusion or fusion but
participation in the life of a being different from oneself.“
2.) Die Vielfalt der Gaben, die der erhöhte Herr austeilt (V. 8), dienen dabei nicht nur
dem Aufbau des Leibes Christi, sondern müssen nach dem Kontext des Ephesertextes in das
umfassende Ziel Gottes eingeordnet werden, alle Dinge durch Christus zur Vollendung zu
bringen (:203). Damit dient die Gabenvielfalt und -ausübung als Mittel, um in der Gemeinde
Christi die Einheit zu verwirklichen, die Gott für seine Schöpfung vorgesehen hat (:203).
3.) Die dreifache Beschreibung des Zieles in V. 13 („die Einheit des Glaubens und die
Erkenntnis des Sohnes Gottes, zur vollen Mannesreife, zum Vollmaß des Wuchses der Fülle
Christi“), dem die Gemeinde Christi entgegenstrebt und dem alle Gaben dienen, repräsentiert
ein Ideal, dass in Christus zwar völlig vorhanden ist, sich aber in der jetzigen Weltzeit nicht
völlig realisieren wird (:204). Dies darf kein Grund zu Resignation darstellen. Grundlegend ist
für Padilla als Startpunkt jeder Einheitsbemühungen der „apostolische Glaube“ als
Minimalkonsens (s. o. S. 126) und die Feststellung, dass sich im NT kein Relativismus bzgl.
der Wahrheitsfrage findet, der in einem doktrinären Pluralismus enden würde (:204).
d) Wahrheit und Liebe: Ausgehend von der Situation der Epheser, die Paulus adressiert
(Vv. 14-16), gelangt Padilla zu der Einsicht, dass sich im NT nur wenige Hinweise finden, die
mit „unserer“ Situation heute direkt korrespondieren (so mit Blocher; :205). Nach dieser
notwendigen „Vorwarnung“ wagt Padilla jedoch den Schritt, nach einigen paulinischen
Prinzipien zu fragen, die für den gegenwärtigen Kontext hilfreich sein könnten. Er entdeckt
zum einen den Zusammenhang - ein Gefälle - zwischen geistlicher Unreife (V. 14) und
Anschauungen von A. F. Holmes (s. :207, Anm. 11).
127
theologischem Verfall, der die Betroffenen im Status des „Kindes“ (nh/pioi) zurücklässt und
durch individualistischen Separatismus und Instabilität gekennzeichnet ist. Als Heilmittel
dient hier nichts anderes als eine gesunde Orthodoxie, die sich des Problems der Häresie sehr
wohl bewusst ist (hier erinnert Padilla an D. Bonhoeffers Votum gegenüber der mod.
ökumenischen Bewegung, s. o. S. 102f) und zu keiner falschen Trennung von Lehre und
Leben führen darf (Padilla 1978:205). Auf der anderen Seite - und dies liegt auf der Hand gibt es genügend Beispiele für Konflikte zwischen „geistlich reifen und theologisch
versierten“ Partnern, die sich nicht einfach mit der goldenen Regel: „in necessariis unitas, in
dubiis libertas, in omnibus autem caritas“ lösen lassen (Padilla schreibt sie R. Baxter zu, :206;
vgl. aber 4.1). An dieser Stelle empfiehlt der Lateinamerikaner das Lausanner Modell
Blochers (!) als möglichen Weg zur Lösung jener echten Konfliktpunkte. Doch bleibt über
diesen „purely intellectual approach“ hinaus die Aufgabe, das Konzept „Einheit in der
Wahrheit“ mit der Konzeption „Wahrheit in Liebe“ zu verbinden; eine Lebensaufgabe - nach
Padilla (:206) -, die an BUCERS Versuch auf die „dilectionis officia“ zu drängen, erinnert.
In Summe: Padillas Ausführungen stellen den Beginn einer Lehrbildung (etwas großspurig
formuliert) zu einem evangelikalen Ökumene-Verständnis dar, greift jener doch auf die
Gedanken H. Blochers deutlich zurück und vertieft oder erweitert sie aus seiner Perspektive.
Ein Rückgriff auf das zentrale Dokument der jungen Bewegung, die LV, insbesondere Art. 7
bleibt jedoch aus, ohne den gesetzten Rahmen zu verlassen. Der Eindruck entsteht, dass der
Versuch sowohl von Blocher als auch von Padilla unternommen wurde, vorhandene Lücken
innerhalb der kurzen, auf Funktionalität ausgerichteten Erklärung des 7. Artikels in
dogmatischer Hinsicht zu schließen. Den Versuch, ausgehend vom NT, präziser dem 4. Kap.
des Epheserbriefes, sich hierüber Rechenschaft abzulegen, unternimmt jeder der beiden
Theologen naturgemäß von seiner Warte aus. Blochers „Proportionen“-Modell erscheint dabei
m. E. als äußerst hilfreich, bietet es doch die Möglichkeit der Erweiterungen und notwendiger
Differenzierungen. Padillas Einsichten sind ebenso zu beachten, stehen aber zuweilen unter
dem Verdacht „biblisch korrekt“ zu sein, aber auf die sich aufdrängenden interkonfessionellen
Fragestellungen keine Antwort zu geben (nicht im Sinne einer praktisch-theologischen
Reflexion, aber zumindest einer dog. Konzeption, die einen Handlungsrahmen absteckt).
Die Frage, inwieweit die hier begonnene Linienführung hinsichtlich einer theologisch
verantwortbaren Kooperation innerhalb des weiten Spektrums der evangelikalen Bewegung
Fortsetzung erfuhr oder zumindest rezipiert wurde, leitet über zu den nun folgenden
Dokumenten und Verlautbarungen.
128
3.2.2.1.3 Lausanne Occasional Papers
Maßgeblich für die theologische Urteilsbildung des LKWE sind bis dato die „Lausanne
Occassional Papers“ (LOPs), deren Problematik hinsichtlich der Frage nach einer gültigen
Verlautbarung und der damit eingeschlossenen Möglichkeit einer dogmatischen Fixierung der
Bewegung schon besprochen wurde (s. o. S. 115f). In einem Dokument (LOP 24) aus dem
Jahre 1983371 mit dem Titel „Cooperating in World Evangelization: A Handbook on
Church/Para-Church Relationships“ äußert sich John Stott in einer kurzen theologischen
Präambel noch einmal zur vorliegenden Thematik (:3-8). 372 Ausgehend von Phil 1,27; 2,5-8
legt er den Schwerpunkt auf die grundlegende Einstellung, in deren Geist Art. 7 der LV
verfasst wurde: Demut und Einheit sind Geschwister (:4), ohne eine grundsätzlich dienende
und korrekturbereite Haltung wird es zu keiner Form von Einheit unter Christen kommen. Die
anvisierte Form der Einheit (hier erfolgt keine spezielle Begründung) übersteigt dabei die
Gemeinschaftserfahrung zwischen Christen unterschiedlicher Konfession, auch das
miteinander Handeln - „Kooperation“ ist der Kardinalbegriff - folgt hieraus (:4). Nachdem J.
Stott in aller Kürze noch einige Erläuterungen zu dem besagten Art. 7 weitergibt (:4f) 373, folgt
eine Entfaltung des Kooperationsgedankens:
a) Co-operation or Competition? (die Titel nachfolgend bewusst im Original): Stott (:5f)
stellt einem beinahe evolutionistischen Wettkampfgedanken („survival of the fittest“)
zwischen manchen christlichen Einrichtungen und Missionsgesellschaften, das ntl. Beispiel,
vor allem bei Paulus (Röm 16,21; 2 Kor 8,23; Röm 16,3.9; Kol 4,10f u. a.), des sunergo/j
entgegen. Die „Ko-operation“ zwischen Paulus und seinen Mitarbeitern in frühchristlicher
Zeit dient hier, wenn auch unausgesprochen, als Modell für die Zusammenarbeit zwischen
Mitarbeitern unterschiedlicher Denominationen auf dem Missionsfeld.
b) Limits to Co-operation: Aus Stotts Sicht sollte eine Limitierung des gemeinsamen
Auftretens von evangelikalen „Brüdern und Schwestern“ so gering wie möglich ausfallen (:6).
Natürlich schließen offensichtliche Irrtümer - Stott nennt dogmatische Häresien und totales
ethisches Versagen - von der communio sanctorum aus (eine Liste mit modernen Adiaphora
will Stott nicht erstellen), doch liege die Emphase des NT eindeutig auf Gemeinschaft und
nicht auf Separation wegen etwaiger Erkenntnisunterschiede (die u. U. im paulinischen Sinne
371
Im Hintergrund steht die Konsultation für Weltevangelisation (COWE) in Pattaya (Thailand) vom 16.-27.
Juni 1980, in deren Zusammenhang eine „Kommission für Kooperation“ eingesetzt wurde, die das vorliegende
„paper“ zu verantworten hat.
372
Online im Internet: http://www.lausanne.org/de/documents/all/173-lop/67-lop-24.html [Stand: 07.11.2011].
373
1.) Die Reihenfolge zu Beginn von Art. 7 ist instruktiv: Gottes Absicht, Einheit in Wahrheit, steht zu
Beginn, dann folgt die pragmatische Erkenntnis, dass Uneinigkeit das Zeugnis gegenüber der Welt unterminiert.
2.) Diese „Einheit in Wahrheit“ ist sichtbar, auch wenn es „organisatorische Einheit in vielen Formen geben
kann“ (LV 7). Zwei Extreme - wie schon in Stotts offizieller Erläuterung zur LV angedeutet (s. o. S. 117f) sollen vermieden werden: Formlosigkeit, sprich eine Einheit, die nur als geistige Größe existiert, anderseits eine
rigide Sicht von Einheit, die nur in organisierter Form zur Geltung kommt. 3.) Stott entdeckt in den Lehren Jesu
eine enge Verbindung zwischen Einheit und Evangelisation; ‚practise what you preach‘ ist hier das Leitmotto.
129
mit einem „schwachen Gewissen“ zusammenhängen; LOP 24:6).
c) Unity and Diversity: Der Einheit im Geist stellt Stott die Vielfalt der Gaben gegenüber
im Anschluss an den Duktus von Eph 4,3ff (:6). Zwei Missverständnissen gilt es
vorzubeugen: Einer Einheit in Christus, die zur Unterdrückung der Gabenvielfalt führen
würde, sprich zur Uniformität, aber auch einer Begeisterung für Vielfalt und Gabenpotenz, die
letztlich als Ausrede dient, vorschnell die Einheit des Leibes Christi zu verlassen (vgl. 1 Kor
12,14-26). Den Beobachtungen, denen für den Gemeindeaufbau vor Ort sicher Bedeutung
zukommt, folgt der Blick über die lokale Ebene hinaus.
d) Church and Para-Church: Die sog. „para-church“ Organisationen, deren Beziehungen
zu den etablierten Kirchen auf dem Lausanner Kongress ein besonderes Augenmerk zuteil
wurde, stehen im Zentrum dieses LOPs. Stott (:7) weist auf das Dilemma hin, dass historisch
betrachtet ihr Ruf als Garant für missionarische Aktivität und notwendige Spezialisierung
(Studentenmission,
Bibelgesellschaften
usw.)
unbeschadet
fortbesteht,
sie
biblisch-
theologisch betrachtet jedoch ihre Kompetenzen oft überschreiten (die ursprünglich der
Kirche als creatura verbi divini zukommen; :7). Als Ausweg aus der Spannung von Ideal und
Realität bietet Stott (:7) folgende Formel an: Unabhängigkeit der Kirche ist schlecht,
Kooperation mit der Kirche ist besser, Dienst als ein Arm der Kirche am besten. Auf der
Suche nach einem weiteren biblischen Modell, das hier als Schablone dienen könnte,
betrachtet Stott (:7f) die Leitungsverantwortungen innerhalb der Gemeinden der Apg. in
Beziehung zu deren missionarischer Sendung und berührt damit ganz nebenbei die „alten“
theologiegeschichtlichen Spannungsfelder von Charisma und Amt, episkopales oder
presbyteriales Prinzip usw., und letztlich die nicht nur strukturelle Frage nach dem Verhältnis
von Autorität und Freiheit (vgl. :8).
Geistliche Einsichten und pragmatische Anleitungen zum gemeinsamen Dienst und
Zeugnis innerhalb der weltweiten evangelikalen Gemeinschaft folgen nun den Ausführungen
J. Stotts (s. :8-65), denen im Rahmen dieser systematisch-theologischen Studie nicht weiter
nachgegangen werden muss.374 Das „Handbuch“ dient der praktischen Umsetzung - es ist
keine akademische Übung (:3) -, des in der LV Art. 7 abgesteckten Terrains und leistet so in
374
Auch die eher religionspsychologischen Überlegungen - als Resultate des Dialoges in Pattaya - unter der
Überschrift „Hindrances to Co-operation: Dogmatism about Nonessentials and Differing Scriptural
Interpretations“ (:14-19) bieten keine grundsätzlich neuen dogmatischen Überlegungen. Genannt werden als
immer wieder auftretende Problemzonen: a) „rote Tücher“ in der Terminologie („evangelikal“, „liberal“ usw.); b)
Unkenntnis der Kirchengeschichte und Konfessionskunde; c) unverhältnismäßiges Festhalten an einer Doktrin
(Eschatologie, Tauffrage usw.); d) unausgereiftes Verständnis des Leibes Christi - in der Spannung von lokaler
und überkirchlicher Struktur; e) Hang zum Separatismus; f) Spannung zwischen Wahrheit und Liebe; g)
„Schuldig“ auf Grund von Zugehörigkeit (zu einer bestimmten Denomination); h) Verleugnung der persönlichen
Gewissensfreiheit; einige kurze Gedanken zur „Regel der Verhältnismäßigkeit“ (s. o. S. 120f), diesmal nach John
Howard Yoder (:18f) stellen keine Erweiterung oder Vertiefung des Modells von H. Blocher dar (der Bezug
bleibt unklar, weder in die eine oder andere Richtung).
130
missionstheologischer und -pragmatischer Hinsicht einen wertvollen Dienst. Weitere LOPs 375
(30:31f.43; 39:19; 51:14.16.20 u. a.) erwähnen passim missionsstrategische Einzelaspekte wie die mögliche Bedeutung der trinitarischen Balance von Einheit und Vielfalt für eine
komplexe globalisierte Welt - und Erfahrungswerte, die den bisher skizzierten Rahmen
inhaltlich nicht verlassen. Dezidierte Äußerungen zur dogmatischen Aufgabenstellung finden
sich nicht mehr (LOP 38 als „Neuauflage“ von Nr. 24 im Rahmen von Pattaya II bietet in aller
Kürze einige „Tools“ zur besseren Vernetzung evangelikaler Leiter/innen weltweit), außer in
LOP 64, das unter Wahrung der chronologischen Vorgehensweise an Ort und Stelle betrachtet
wird (s. 3.2.2.1.6).
3.2.2.1.4 Manila Manifest
Als Resultat des zweiten Internationalen Kongresses für Weltevangelisation vom 11. bis 20.
Juli 1989 in Manila - Lausanne II - liegt das sog. „Manifest von Manila“ (MM) vor. Es will
„die Anliegen der Lausanner Bewegung fortschreiben, verdeutlichen und aktualisieren“
(Marquardt und Parzany 1990:329) auf der Grundlage und in der Tradition der historischen
LV. Eingeteilt in zwei Hauptabschnitte - zunächst 21 Bekräftigungen (i. O.: Affirmations) 376
und dann zwölf Artikel, die diese weiter ausführen und erläutern - spricht die 17. Affirmation
das Thema von Art. 7 der LV an: „Wir bekräftigen, daß es für Gemeinden,
Missionsgesellschaften und andere christliche Organisationen unbedingt notwendig ist, bei
Evangelisation und sozialer Aktion zusammenzuarbeiten, indem sie jeglichen Wettbewerb
miteinander ablehnen und Doppelungen vermeiden“ (:331). Die getroffene Aussage ist klar:
Unter dem Eindruck der „urgent need[s]“ (Stott 1997:232) ist die Kirche aufgerufen, mit allen
Mitteln dem missionarischen Auftrag in einem holistischen Sinne nachzukommen; dies soll,
wie J. Stott in seinen Vorüberlegungen zu LOP 24 betont hat, ohne Wettbewerbsdruck und
daraus entstehende Überschneidungen geschehen (s. o. S. 129f). MM II/B.8 wiederholt diese
Gedanken im Grunde genommen noch einmal (wiederum stehen die beiden Begriffe
„competition“ und „cooperation“ im Mittelpunkt; Stott 1997:241), Art. 9 desselben
Abschnittes rekurriert wiederum auf J. Stotts einleitende Bemerkungen aus LOP 24, indem er
die innere Verbindung zwischen Evangelisation und Einheit im NT aufzeigt (s. o. S. 129,
Anm. 373)377. Dann folgt zum ersten Mal eine Definition des Kardinalbegriffes
375
Alle online im Internet: http://www.lausanne.org/de/documents/all/173-lop.html [Stand: 16.12.2011].
Den Text in Originalfassung bietet Stott 1997:231-248.
377
„Evangelisation und Einheit sind im Neuen Testament eng miteinander verbunden. Jesus betete darum, daß
die Einheit seiner Leute seine eigene Einheit mit dem Vater widerspiegeln möge, damit die Welt an ihn glaube
(Joh 17,20f). Paulus ermahnte die Philipper, ‚einmütig für den Glauben des Evangeliums zu kämpfen‘ (Phil
1,27). Im Gegensatz zu dieser biblischen Schau schämen wir uns der Verdächtigungen und Rivalitäten, des
Glaubensstreits über Nebensächlichkeiten, der Machtkämpfe und des Aufbaus von Machtbereichen, die unser
evangelistisches Zeugnis behindern und zerstören. Wir bekräftigen, daß Zusammenarbeit in der Evangelisation
376
131
„Cooperation“: „Mit ‚Zusammenarbeit‘ meinen wir ‚Einheit in Verschiedenartigkeit‘. Sie
schließt Menschen verschiedener Temperamente, Begabungen, Berufungen und Kulturen,
nationaler Kirchen und Missionsgesellschaften, aller Altersstufen und beider Geschlechter mit
ein“ (Marquardt und Parzany 1990:343). Anders als beim protestantischen Ökumene-Modell
„Einheit in Vielfalt“ wird hier die konfessionelle Fragestellung nicht angesprochen, sondern
die praktische Seite der Einheit, dem Gegenüber in Demut, Toleranz und Liebe zu begegnen
(vgl. 4.1). Der konfessionelle Zwiespalt wird jedoch nicht ausgeklammert, ein wenig später
(immer noch MM II/B.9) wird der status quo innerhalb der evangelikalen Bewegung
beschrieben, die nach wie vor ambivalente Haltung zur „Ökumene“ (:343). Eingeleitet wird
dieser Absatz mit der Feststellung: „Wenn wir uns auf die ‚ganze Gemeinde‘ beziehen,
erheben wir damit nicht den anmaßenden Anspruch, daß die weltweite Gemeinde und die
evangelikale Gemeinschaft identisch seien“ (Marquardt und Parzany 1990:343). 378 Eine
redundante und doch notwendige Präambel, der im Widerspruch zur Auffassung der röm.kath. Kirche das Zugeständnis folgt, „daß es viele Kirchen [im Vollsinn des Wortes] gibt, die
nicht Teil der evangelikalen Bewegung sind“ (Hervorhebung von mir; :343). Bevor eine Art
„Aufruf mit Schuldbekenntnis (!)“ in Richtung des ÖRK den ganzen Abschnitt abschließt, 379
folgt eine Differenzierung zur Form der Zusammenarbeit mit den angesprochenen Kirchen,
die eine Trennungslinie deutlich markiert:
„Wo es möglich ist und wo kein Kompromiß zu Lasten der Wahrheit eingegangen wird,
mag Zusammenarbeit möglich sein in Bereichen wie der Bibelübersetzung, dem Studium
zeitgenössischer theologischer und ethischer Fragestellungen, der Sozialarbeit und des
politischen Handels. Wir möchten jedoch klarstellen, daß gemeinsame Evangelisation eine
gemeinsame Verpflichtung gegenüber der biblischen Botschaft voraussetzt“ (:344).
Ob mit der „gemeinsamen Verpflichtung“ letztlich die LV gemeint ist, wird nicht weiter
ausgeführt. Zur weiteren dogmatischen Unterscheidung und notwendigen Differenzierung, ab
unabdingbar ist, weil das Evangelium der Versöhnung durch unsere Uneinigkeit in Verruf gebracht wird [vgl. die
Formulierung in LV 7]; und weil wir, wenn die Aufgabe der Weltevangelisation je erfüllt werden soll, darin
zusammenarbeiten müssen“ (Marquardt und Parzany 1990:343).
378
Die Übersetzung ins Dt. zu Beginn von Abs. 8 ist an dieser Stelle etwas unglücklich: „Jede christliche
Gemeinde ist die örtliche Gegenwart des Leibes Christi“ (Marquardt und Parzany 1990:341) oder theologische
Absicht? Im Original etwas vorsichtiger: „Every Christian congregation is a local expression of the body of
Christ (...)“ (Stott 1997:241), womit z. B. das Verhältnis aus kongregationalistischer Sicht zwischen dem Primat
der Ortsgemeinde (vgl. Marquardt und Parzany 1990:200-217) und dem Kirchesein einer übergeordneten
Institution („Bund“) noch nicht geklärt ist. Walldorf (2002:254f) interpretiert die Manila’er Übereinkunft in
ekklesiologischer Hinsicht folgendermaßen: „Im MM wird unterschieden zwischen der örtlichen Gemeinde
(‚local church‘) und den verschiedenen ‚denominationellen‘ Gemeinden am Ort (‚congregation and
denomination‘), die [erst] gemeinsam die örtliche Gemeinde bilden.“ Die hiermit getroffene Weichenstellung
diente ihm zufolge als Grundlage für die Ausführungen in Bad Boll 1992 (:255, Anm. 133; s. 3.2.2.1.5).
379
„Wir alle bitten den Weltrat der Kirchen dringend, ein konsequent biblisches Verständnis von
Evangelisation anzunehmen. Wir bekennen, daß wir selbst einen Teil der Verantwortung für die Zerteilung des
Leibes Christi tragen, die kein kleines Hindernis für die Weltevangelisation ist. Wir sind entschlossen, uns weiter
um die Einheit in Wahrheit zu bemühen, um die Christus gebetet hat. Wir sind davon überzeugt, daß der richtige
Weg zu einer engeren Zusammenarbeit mit allen, die unsere Anliegen teilen, in einem freimütigen und
geduldigen Dialog auf der Basis der Bibel besteht. Hierzu erklären wir uns gern bereit“ (Marquardt und Parzany
1990:344).
132
wann ein „Kompromiß zu Lasten der Wahrheit“ vorliegt, äußert sich das MM nicht.
Der Schwerpunkt der Referate in Manila, die sich der Thematik „Zusammenarbeit in der
Evangelisation“ annahmen - das Thema wurde sowohl plenar verhandelt als auch in einer
speziellen Arbeitsgruppe (Marquardt und Parzany 1990:253) - liegt auf der praxis pietatis. 380
Als Konzentrat könnte man zunächst den Aufruf zur Buße im Hinblick auf persönliche und
gemeindliche Barrieren („Superioritys“) und den Aufruf zum gemeinsamen Gebet vor
jeglicher gemeinsamen Aktion bezeichnen, ein oder vielleicht das Markenzeichen der
„Allianz“ und ihrer weltweiten Ortsgruppen.
3.2.2.1.5 European Leadership Consultation on Evangelisation
Vom 9. bis 13. März 1992 fand die „European Leadership Consultation on Evangelisation“
(ELCOE) in Bad Boll statt unter der Regie des Europäischen Lausanne Komitees. Politischer
Hintergrund der „Konsultation“ - man sprach bewusst nicht von Konferenz - waren die
gewaltigen Umwälzungen in Osteuropa, deren Bedeutung für eine Neuevangelisierung
Europas diskutiert werden sollten (vgl. Walldorf 2002:264f). Das Thema erinnerte an
Lausanne II in Manila 1989: „The Whole Church and the Whole Gospel for the New Europe.“
Mit
den
bis
hierin
getroffenen
Überlegungen
zu
den
regionalen
und
lokalen
Herausforderungen in einer etwaigen Kooperation setzte sich der dritte Punkt der Agenda in
Bad Boll auseinander.381 Nach den Vorträgen von U. Parzany, J. Fountain und einem
zusammenfassenden Bericht von R. Scheffbuch (:283-286), dem damaligen Vorsitzenden des
ELK und der „Church/Parachurch“-Beratungen in Bad Boll, heißt es im Abschlussbericht der
Arbeitsgruppe:
„The idea of a monolithic church leads to an appalling totalitarianism. We should accept
the plurality of ecclesiologies. It has taken many centuries to achieve the freedom we now
enjoy. Different expressions of the church do not put people off the gospel. People are won
by christian love from christian people. There is a richness to be discovered in variety. (…)
[That] involves a proper unterstanding of territory. Not a constantinian understanding (…).
The benefit of the parish system is the salt and light aspect of claiming responsibility, not
ownership“ (zit. nach Walldorf 2002:292f).
Vorausgegangen waren die Ausführungen der Referenten, naturgemäß vorgetragen aus ihrem
380
Eine dt. Übersetzung bieten Marquardt und Parzany 1990:257-279: Robyn Claydon erwähnt am Ende ihres
Referates LV Art. 6 u. 7 ohne vertiefende Erläuterungen (:261), Bill O’Brien deutet in einer Allegorese die
Heilung des Gelähmten (Lk 4,17-26) als Paradebeispiel für gelungene „Kooperation“ (:262ff) und Michael
Cassidy referiert über einige Leitlinien jeglicher Zusammenarbeit (unter Bezug auf J. Stott); in einem dritten
Abschnitt widmet er sich der „Zusammenarbeit zwischen freien Werken und Kirchen“ unter ausdrücklicher
Nennung von LOP 24 (:273-279), dessen Ergebnisse (von Pattaya 1980) er geringfügig erweitert (s. o. S. 129,
Anm. 373).
381
Nachfolgend wird bewusst nach Walldorf 2002:266-305 zitiert, da jener auf unveröffentlichte Referate und
Berichte von ELCOE zurückgreifen konnte (:266, Anm. 145), die das Ausmaß der Berichterstattung im
damaligen Organ des LKWE „World Evangelisation“ (Januar 1993) deutlich übersteigt.
133
jeweiligen ekklesiologischen Kontext heraus unter Betonung der Stärken, bspw. eines
volkskirchlichen Modells durch Parzany und Scheffbuch,382 aber auch der Schwächen (z. B.
der nach wie vor mehrheitlichen Ablehnung missionarischer Aktivitäten von „freien Werken“
durch landeskirchliche Amtsträger). Einige Praxismodelle aus unterschiedlichen Nationen
rundeten diese Erörterungen ab (vgl. Walldorf 2002:287-291). Der Schwerpunkt lag auf der
seit LOP 24 zentralen und ohne Frage schwerwiegenden Fragestellung, wie eine
evangelistische Kooperation „praktisch“ bei unterschiedlichen sozio-politischen Kontexten
und grundverschiedenen Ekklesiologien aussehen kann. Man könnte mit F. Walldorf (:292)
folgern, dass der Ansatz von Bad Boll zur evangelikalen Neuevangelisierung Europas Einheit
bzgl. grundlegender soteriologischer Konzepte (wie sie z. B. in der LV Art. 3 entfaltet
wurden) und Verschiedenheit bzgl. deren ekklesiologischen Verwirklichung einschließt. 383 Die
Frage, die damit im Raum steht, bei aller Hochschätzung der irenischen Errungenschaften im
Laufe der bisherigen Kirchengeschichte, lautet allerdings: Reicht ein soteriologischer
Minimalkonsens auf Dauer aus (vgl. 4.3)? Nicht nur die vorgetragenen Beispiele für
Neulandmission, Gemeindegründung und -erneuerung in Bad Boll zeigen m. E., dass nach
einer primären Phase, die u. U. nach interdenominationeller Zusammenarbeit verlangt, die
konfessionelle Frage zuletzt doch bestehen bleibt, nach welchen Kriterien man nun in
Dogmatik, Liturgie usw. verfährt. Ein praktisch-theologischer Kurzschluss (der hiermit den
Referenten der ELCOE nicht grundsätzlich attestiert werden soll) übersieht die
Notwendigkeit, um der „Einheit in der Wahrheit“ willen, theologische Urteile treffen zu
müssen (auch im Bereich der Ekklesiologie) und diese durchzuhalten; auch wenn es sich
dabei um ein spannungsreiches Geschäft handelt.
3.2.2.1.6 Cape Town Commitment
Zur Vorbereitung des III. Lausanner Kongresses für Weltevangelisation in Cape Town 2010
traf sich vom 26.-30. Januar 2009 eine Konsultation in Panama City, deren Ergebnisse in LOP
64:4-13 (ebenso ERT 34/2010) angezeigt werden. Im Anklang an die Trias des MM I/21 (und
der LV Art. 6) sah sich die „Lausanne Theology Working Group“ (in Verbindung mit der
theologischen Kommission der WEA) verpflichtet, in den Jahren 2008-2010 den drei
Totalitäten, „der ganzen Kirche“, „der ganzen Welt“ und „dem ganzen Evangelium“
nachzugehen. Die Implikationen des Terminus „ganze Kirche“ wurden in der Panama382
Zur noch durchaus positiven Einschätzung für partnerschaftliche Mission im volkskirchlichen Kontext
durch Parzany in Stuttgart 1988 bei der „European Leadership Conference on World Evangelisation“ s. Walldorf
2002:215-220, bes. :219.
383
Folgerichtig betont das „Bad Boller Commitment“ (BBC 4 u. 5) in einer Linie mit der LV Art. 7 den
regionalen und funktionalen Aspekt der Zusammenarbeit und unterlässt dabei dogmatische Konstitutionen bzgl.
einer Einheit unter bekenntnisverschiedenen Christen.
134
Konsultation verhandelt.
Vorweg: Aufgabenstellung war dabei nicht eine evangelikale Ekklesiologie zu erarbeiten,
sondern gemäß der Grundausrichtung der Lausanner Bewegung „missional“ zu denken und zu
arbeiten (LOP 64:3), somit auch in theologischer Perspektive. Ausgehend von der
Wesensbeschreibung der Kirche innerhalb des Nicaeno-Constantinopolitanums (381), der
„una sancta catholica et apostolica ecclesia“384 und inspiriert durch den 1. Petrusbrief, der in
morgendlichen Bibelarbeiten betrachtet wurde, kam es zu folgenden Verlautbarungen (in
Auswahl):
a) die eine Kirche: Eingeleitet wird dieser erste Abschnitt mit dem Bekenntnis, die eigene
Form und Vorstellung von kirchlichem Leben allzu oft als die einzig richtige angesehen zu
haben (auch eine Erinnerung an „imperiale“ Missionsversuche). Stattdessen (:5): „We urge
Lausanne to go on being a forum where all kinds and ways of being the church in mission can
be recognized, embraced and affirmed (…).“ Notwendige Kritik untereinander soll damit
nicht ausgeklammert werden, jedoch sich bewusst nicht an Form- und Stilfragen entzünden.
Darauf folgt, ausgehend von dem multinationalen Charakter der einen Kirche, die zwar ihre
Basis in der alt. Erwählung des Volkes Israel hat, die Feststellung, dass keine einzelne
ethnische Gruppe aktuell einen privilegierten Platz in Gottes Heilsplan einnehmen kann, auch
nicht das Volk Israel (im Hintergrund stehen wohl a- oder auch postmillenialistische
Anschauungen, die z. B. gerade im 1. Petrusbrief einen Substitutionsgedanken entdecken; vgl.
:5).385 Es folgt eine deutliche Absage an jede Form von Ethnozentrismus - nicht nur einer
Israelglorifizierung -, der als fundamentale Verleugnung der Einheit der Kirche in Christus
bezeichnet wird (:5f). Kritisch wird auch eine andere Form des Zentrismus betrachtet, die
Rede von der „neuen Mitte“ des weltweiten Christentums in der südlichen Hemisphäre. Da es
- theologisch gesprochen - nur eine wahre Mitte gibt, Christus als Herrn, und darüber hinaus
die Christenheit seit dem Zeitalter der Apostelgeschichte zutiefst polyzentrisch ist, kann diese
Formulierung nicht unwidersprochen hingenommen werden: „The global nature of the church
as ‚one throughout the whole wide world‘ subverts the language of a centre - whether
geographical, numerical, or missionary. Mission is from everywhere to everywhere“ (:6). Die
Erfahrungen innerhalb der Konsultation mit den eigenen, mitgebrachten Stereotypen lehrten
genau dies und offenbarten wenig hilfreiche Dichotomien, die oft Grund und Ursache für
384
Der grie. Originalwortlaut des frühen Symbols unterscheidet sich an einigen Stellen von dem lat. „Credo...
unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam“, das allerdings mithilfe des Missale Romanum Eingang
gefunden hat in diverse Bekenntnisschriften. Auf Grund des textkritischen Befundes eröffnet sich die nicht nur
theologiegeschichtliche Debatte, um den Unterschied und die Konsequenzen, die aus einem „credere in
ecclesiam“ - statt „credere ecclesiam“ - folgen ( vgl. hierzu neuerdings Jüngel 2009:21-32, bes. 21f).
385
Die Kritik an anderen eschatologischen Modellen wird offen benannt: „For this reason, we strongly believe
that the separate and privileged place given to Jewish people today or to the modern Israeli state in certain forms
of dispensationalism or Christian Zionism, should be challenged, inasmuch as they deny the essential oneness of
the people of God in Christ“ (LOP 64:5).
135
evangelikale Spannungen und Spaltungen sind (vgl. J. Stotts Überlegungen in seiner kurzen
Einheitsschrift; s. o. S. 118). Genannt werden (:6f): Sein und Handeln, Worte und Taten386,
Evangelisation und soziale Aktion387, kirchliche und überkirchliche Organisationen. Der
Zeugnischarakter der einen Kirche gegenüber der Welt (nach 1. Pet 3,8) und ihre prophetische
und eschatologische Dimension im Rahmen der ganzen Schöpfung (nach Eph 1, 10; 22f u.
Kol 1, 15-20) werden am Ende dieses Abschnittes kurz erwähnt; die „praktischen, ethischen,
ökumenischen usw.“ Implikationen dieses Verständnisses von missionaler Kirche werden
leider nicht weiter ausgeführt (vgl. LOP 64:7).
b) die katholische Kirche: Einleitend wird der dogmengeschichtliche Begriff „katholisch“
erklärt und bestimmt; die Formulierung des Nicaeno-Constantinopolitanums spiegele in
angemessener Weise den modernen Lausanner Ausdruck „The whole church“ wieder, „for
‚wholeness‘ is intrinsic to catholicity“ (:9). In vierfacher Hinsicht kann aus biblischtheologischer Sicht von der „ganzen Kirche“ die Rede sein (:9; Hervorhebung im Original):
„[T]he church of God is universal in its membership (for it is open to people from any and
every nation); universal in its extent (for it knows no geographical boundary); universal in
time and eternity (for it includes all God’s people drawn from all generations of human
history who will populate the new creation); and universal in the eyes of God (for the Lord
knows those who are his, whether they are visible to us or not).
Die hiermit skizzierte Katholizität kommt konkret in der ecclesia visibilis zum Ausdruck,
indem bestimmte Gruppierungen nicht länger übersehen oder sogar verhindert werden als
Teil der Vielfalt der „ganzen Kirche“. Genannt wird der mögliche Beitrag zum Ganzen durch
das Wahrnehmen der Bedeutung von Frauen, Menschen mit Behinderungen, Immigranten,
Indigene, spezielle Subkulturen (soziologische Studien hierzu inspirierten die Teilnehmer der
Konsultation und sehen teilweise einer Veröffentlichung entgegen; :9). Als theologisches (?)
Urteil dieses Abschnittes bleibt zurück: „When such groups are allowed (or forced) to remain
voiceless or invisible, then we lose the wholeness of God’s church“, womit nicht weniger als
die Effektivität der missionarischen Bemühungen der Kirche als Ganzes gefährdet wird (:9f).
Insbesondere steht es dieser „ganzen Kirche“ nicht zu, aufgrund der vielfältigen Begabungen,
Berufungen und Dienste, die der eine Geist austeilt „auf Männer und Frauen“ (Apg 2,18) an
386
Das bekannte Diktum von L. Newbigin wird zitiert: „[T]he church by its life and actions is to be the
hermeneutic, or the plausibility structure of the gospel.“
387
Die theologische Arbeitsgruppe spricht sich vehement für einen integralen Ansatz in dieser Fragestellung
aus. Hier die Argumentation in vollem Umfang: „We believe that the struggle to articulate the relationship
between these two was made necessary in the second half of the 20th century because of the mistaken separation
of them that had taken place in the first half. That is why we say we need to go back behind this dichotomy. In
our view, they are both integral to biblical mission - in the sense that while they may be conceptually
distinguished, they cannot be separated. The relation between them is intrinsic and organic, as much as the
relationship, say, between breathing and drinking in the human body. It makes little sense to speak of either
having priority or primacy. Both are integral parts of what it means to be alive! Without either, there is death. We
therefore urge Lausanne to affirm an integral understanding of mission that inseparably includes both, rather
than continuing chicken-and-egg debates about how they relate“ (Hervorhebung im Original; :6f).
136
dieser Stelle zu differenzieren nach Geschlecht, Herkunft oder sozialen Status usw.: „Since
the whole church is called to mission, the whole church is gifted for mission“ (:10). 388
Weiterhin wird einer modernen Form von Heiligenverehrung im evangelikalen Kontext
widersprochen - es ist die Rede von herausragenden und populären Leitern -, die nicht immer
unproblematische Früchte mit sich bringt und der Sache des Evangeliums teilweise eher
Schaden zuträgt statt ihr zu dienen. Statt die säkulare Anbetung prominenter Gestalten im
religiösen Format nachzuäffen, gilt: „Commitment to catholicity includes commitment to the
priesthood of all believers, and priesthood is fundamentally missional, since it involves
bringing God to the world and bringing the world to God. And that is a task for the whole
church“ (LOP 64:10). Am Schluss steht die Selbstverortung innerhalb der historisch
gewachsenen Traditionen der Christenheit mit dem Anerkennen, dass es auch in den
„anderen“ Zweigen des Konfessionsbaumes sehr wohl gläubige Nachfolger Christi gibt (wie
es um die particulae veri in den Lehrgebäuden jener steht wird nicht angesprochen). Der
Abschnitt endet mit der Bitte um Erneuerung „of older historic branches of the world church,
particularly Roman Catholic and Orthodox, through the power of God’s Holy Spirit, and
through the reforming and missional power of the Bible at work within them“ (:10f;
Hervorhebung von mir).
Insgesamt ist der Tonfall der erarbeiteten Äußerungen wertschätzend und sicher
konstruktiv gedacht. Mit den Verlautbarungen der theologischen Arbeitsgruppe des LKWE
(und der WEA) in Panama City wurden ohne Frage aktuelle Fragestellungen und
Problemfelder innerhalb der weltweiten evangelikalen Gemeinschaft angesprochen, vor allem
aus missionstheologischer Perspektive (mit deutlicher Akzeptanz eines „missionalen“
Ansatzes)389. Eine präzise Bestimmung dogmatischer Fragen aus ökumenischer Perspektive
oder, m. a. W., der Versuch einer evangelikalen Ekklesiologie - zumindest im Ansatz -, die
tauglich ist für das ökumenische Gespräch wurde jedoch nicht unternommen. Ob ein solches
Projekt von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist (auf Grund der faktischen
konfessionellen Vielfalt dieser Bewegung) oder bei allen damit verbunden Hürden überhaupt
nicht intendiert ist, vonseiten der Lausanner Kommission, beantwortet LOP 64 nicht.
Das „Cape Town Commitment“ (CTC) als aktuellste Standortbestimmung evangelikaler
388
Inwieweit sich hier sog. „gender-mainstream“-Denken widerspiegelt oder schlichtweg eine theologische
(letztlich exegetische) Grundentscheidung im Hinblick auf die Geschlechterrolle aus biblisch-theologischer Sicht
vorliegt, wird nicht näher erläutert.
389
R. Hardmeier (2008:81) kommt zu dem Schluss: „In Pattaya [2004] war es nicht mehr nötig,
Transformation als Ziel der Mission zu fordern. Das transformatorische Missionsverständnis wurde
vorausgesetzt und strategisch erläutert. Damit scheint die Transformationsorientierung in der evangelikalen
Bewegung breite Akzeptanz zu geniessen, auch wenn ein der LV entsprechendes Dokument, dass die
transformatorische Mission legitimiert, weiterhin fehlt.“ Ob mit diesem Vorgehen - unabhängig davon, wie man
diesen transformatorischen o. a. holistischen Ansatz in der Missiologie nun bewertet - nicht auch eine Parallele
vorliegt zum Umgang mit dem Thema Ökumene/Partnerschaft (strategisches Handeln ohne weitere Klärung der
Voraussetzungen), steht hiermit zur Diskussion.
137
Gesinnung nach LV und MM erwähnt in Art. 9 von Teil I390 (und ebenso in Abschnitt F 1 von
Teil II)391 einiges über die Einheit, Integrität und Solidarität der Gemeinde Jesu.
Bestimmendes Motiv - wie für das gesamte Dokument - ist dabei die Liebe zum dreieinigen
Gott, zum Nächsten und zur Schöpfung, aus der heraus die Selbstverpflichtung zur Mission
neu formuliert wurde. Allerdings bleibt damit unklar, wie sich demnach das Verhältnis der
Lausanner Bewegung - und damit eines großen Teils der evangelikalen Gemeinschaft - zu den
verfassten Kirchen der Weltchristenheit gestaltet. V. Gäckle (2011:10) resümiert:
„Vielleicht ist eine solche Verhältnisbestimmung von Seiten einer Bewegung aus auch gar
nicht möglich, weil eine Bewegung wie die Lausanner Bewegung letztlich doch immer von
einer etwas amorphen Ekklesiologie getragen wird. Man weiß hier sehr viel über den
Auftrag der Kirche zu sagen, ein wenig über das Wesen der Kirche, aber man ist hier
eigentlich nicht in der Lage, etwas über die Gestalt der Kirche zu formulieren. Bei den
etablierten Kirchen ist die Reihenfolge in der Regel oft umgekehrt: Hier weiß man sehr
viel über die Gestalt der Kirche zu sagen, ein bisschen mehr über das Wesen der Kirche,
aber oft relativ wenig über den Auftrag der Kirche.“392
390
Bewusst im Originalwortlaut wiedergegeben (vgl. zur „Redaktionsgeschichte“ der dt. Übersetzungen
Gäckle 2011:3):
a) Love calls for unity. Jesus’ command that his disciples should love one another is linked to his prayer that
they should be one. Both the command and the prayer are missional - ‚that the world may know you are my
disciples‘, and that ‚the world may know that you [the Father] sent me‘. A most powerfully convincing mark of
the truth of the gospel is when Christian believers are united in love across the barriers of the world’s inveterate
divisions - barriers of race, colour, gender, social class, economic privilege or political alignment. However, few
things so destroy our testimony as when Christians mirror and amplify the very same divisions among
themselves. We urgently seek a new global partnership within the body of Christ across all continents, rooted in
profound mutual love, mutual submission, and dramatic economic sharing without paternalism or unhealthy
dependency. And we seek this not only as a demonstration of our unity in the gospel, but also for the sake of the
name of Christ and the mission of God in all the world.
b) Love calls for honesty. Love speaks truth with grace. No one loved God’s people more than the prophets of
Israel and Jesus himself. Yet no one confronted them more honestly with the truth of their failure, idolatry and
rebellion against their covenant Lord. And in doing so, they called God’s people to repent, so that they could be
forgiven and restored to the service of God’s mission. The same voice of prophetic love must be heard today, for
the same reason. Our love for the Church of God aches with grief over the ugliness among us that so disfigures
the face of our dear Lord Jesus Christ and hides his beauty from the world - the world that so desperately needs
to be drawn to him [ein Gedanke, der von Peter Kuzmic des Öfteren verwandt wurde].
c) Love calls for solidarity. Loving one another includes especially caring for those who are persecuted and in
prison for their faith and witness. If one part of the body suffers, all parts suffer with it. We are all, like John,
‚companions in the suffering and kingdom and patient endurance that are ours in Jesus‘. We commit ourselves to
share in the suffering of members of the body of Christ throughout the world, through information, prayer,
advocacy, and other means of support. We see such sharing, however, not merely as an exercise of pity, but
longing also to learn what the suffering Church can teach and give to those parts of Christ’s body that are not
suffering in the same way. We are warned that the Church that feels itself at ease in its wealth and selfsufficiency may, like Laodicea, be the Church that Jesus sees as the most blind to its own poverty, and from
which he himself feels a stranger outside the door (Hervorhebung im Original; online im Internet:
http://www.lausanne.org/en/documents/ctcommitment.html#p1-9 [Stand: 11.01.2012]).
391
Der zweite Teil, der erst nach dem Kongress erschien, unter dem Titel „Call to action“ - nomen est omen enthält im Kern zur Sache zwei Aufrufe zur Intensivierung der partnerschaftlichen Bemühungen im Sinne des
gemeinsamen Missionsverständnis; dogmatische Spezifizierungen oder ein konfessioneller Leitfaden liegen
nicht vor.
392
Weiter: „Eine Erklärung für die Leerstelle [sc. in ökumenischer Hinsicht] sind sicher die sehr
unterschiedlichen Erfahrungen, welche die von Lausanne bewegten Kirchen und Gemeinden z. B. mit der
katholischen oder den orthodoxen Kirchen gemacht haben. Diese Erfahrungen sind wahrscheinlich zu vielfältig,
zu unterschiedlich und gelegentlich auch zu schmerzhaft, als dass sich das alles in einem Bekenntnis mit
globalem Anspruch ausdrücken ließe. Doch eben diese Situation wurde im MM wenigstens offen angesprochen,
während das Thema hier noch nicht einmal thematisiert wird. Deshalb bleibt natürlich auch der Aufruf zur
Einheit etwas unbestimmt und richtungslos.“ Der Verfasser dankt dem Autor, Dr. Volker Gäckle, für die
138
Bei aller Wertschätzung für die in Kapstadt getroffenen Äußerungen und deren bleibender
Gültigkeit: Ein theologisch begründetes Voranschreiten hinsichtlich der möglichen
Partnerschaft in inner- und außerevangelikalen Beziehungen zwischen Kirchen und
Verbänden usw. liegt mit dem CTC (und dessen Vorarbeiten) nicht vor. 393 Oder mit M. Herbst
(2011:73) gesprochen, der hier vorsichtig urteilt: „Die Chance zur Konvergenz wurde
insgesamt nicht genutzt.“394
3.2.2.1.7 Abschließende Analyse
Aufgabe der abschließenden Analyse ist nun nicht die theologische o. a. missiologische
Bewertung der gesamten Bewegung. Im Mittelpunkt stand die Untersuchung des
Einheitsverständnisses des LKWE in seiner Entwicklung.
In Summe: Die vor allem von H. Blocher, H. A. Snyder und R. Padilla vorgegebenen
Leitlinien wurden in dogmatischer Hinsicht nicht weiter verfolgt. Eine Explikation der oft
kurz geratenen „Gedankenanstöße“ von J. Stott wäre wünschenswert und hilfreich zur
theologischen Begleitung der jungen Bewegung hinsichtlich ihres Ökumeneverständnisses
und der damit verbundenen Praxis. Sicher haben einige „Schüler“ und Sympathisanten des
LKWE exegetische Einsichten und dogmatische Besinnungen von J. Stott u. a. aufgegriffen
und im Rahmen ihres Genres vertieft, in Bezug auf das ökumenische Experiment „Lausanner
Komitee für Weltevangelisation“ steht diese Aufgabenstellung in einem umfassenden Sinn
aber erst noch bevor.395 Nicht nur der innerste Kreis von H. Blochers Modell
(Sakramentsverständnis, Ämterfrage usw.), sondern ebenso die äußere Membran (Gottes- und
Offenbarungslehre, Religionsverständnis, Schöpfungsverantwortung usw.) stellen nach wie
vor Herausforderungen für den inner- und außerevangelikalen Dialog dar. Ob weitere
Differenzierungen notwendig sind, wie H. Blocher andeutet aufgrund der unterschiedlichen
Auffassungen von Freiheit und Erwählung des Menschen (und den damit verbundenen
Evangelisationspraktiken) oder im Hinblick auf Grundentscheidungen in der Pneumatologie
Bereitstellung des Artikels (die Seitenzahlen richten sich nach dem vorliegenden Ausdruck des zugesandten
Manuskriptes).
393
Auch mit dem Internet-Beitrag von John H. Armstrong zu „Lausanne Global Conversation“, der in dem
Aufruf mündet „Mission Must Become Post-Denominational“, wird das konfessionelle Problem sachlich nicht
gelöst. Der Versuch einen missionalen Ökumenismus zu kreieren, klingt m. E. spannend, wird aber nur - da es
sich
um
einen
Blogartigen
Beitrag
handelt
angerissen
(s.
http://conversation.lausanne.org/en/conversation/detail/12013 [Stand: 11.8.2011]).
394
Nach seiner Beobachtung waren die Vorträge von J. Stott noch gespickt „mit positiven, abwägenden und
kritischen Bezügen zu wesentlichen Texten aus der Ökumene“ (Herbst 2011:73), was in Kapstadt so nicht
geschah. Auch der Auftritt des Generalsekretärs des ÖRK im Vorprogramm änderte daran nichts.
395
Damit sollen die Ansätze von MM II/B.8-9 und LOP 64 nicht geschmälert werden, aber das bestehende
Desiderat trotzdem benannt werden.
139
oder besser der pneumatischen Praxis396, wird mit dieser MTh-Diss. zur Diskussion gestellt.
Als modellhaft und von nicht nachlassender Aktualität kann die Auseinandersetzung manche bezeichnen es als „Zerreißprobe“ (Berneburg 1997:106) - um Art. 5 der LV
bezeichnet werden, ein Testfall für die innerökumenische Kraft und Ausrichtung der
Lausanner Bewegung.397 Nicht weniger als die dogmatische Frage steht im Raum, ob es sich
hierbei um eine primäre oder sekundäre Fragestellung handelt (vgl. :365-373). Die momentan
gegebene „evangelikale Vielfalt“ erinnert an die Genfer Bewegung in ihrer Anfangszeit. M.
Herbst (2011:78f) fragt unmittelbar danach, ob die evangelikale Bewegung neueren Datums
nicht dabei ist, „die alten Fehler der ökumenischen Bewegung (..) nachzuholen, nur etwas
langsamer und zögerlicher, also den Verzicht auf die Gerichtsdimension des Evangeliums, die
Ethisierung, den Optimismus hinsichtlich diesseitiger Reformierbarkeit des Einzelnen und der
Welt als ganzer?“398
Die Beobachtungen zur Enttheologisierung des „Ökumenebegriffes“ decken sich mit der
generellen Einschätzung von V. Gäckle, M. Herbst u. a.399, die Lausanner Bewegung sei
untheologischer und damit pragmatischer geworden, was nicht als Disqualifikation der
gesamten Bewegung missverstanden werden darf. Die auf den Kongressen angetroffene
Frömmigkeit wird von fast allen Teilnehmern als herausfordernd und belebend zugleich
beschrieben.400 Ein Ineinandergreifen von Orthodoxie und Orthopraxis (im Sinne BUCERS?)
wäre hier u. U. wegweisend und zukunftsträchtig für eine dogmengeschichtlich betrachtet
noch relativ junge Bewegung.
Welche Bedeutung das Wesen der Lausanner Konferenztheologie für den theologischen
396
Vgl. zu den hiermit verbundenen Differenzen in Manila Marquardt und Parzany 1990:253f; 311-313.
Vgl. hierzu die immer noch gediegenen Ausführungen von Stott 1975:34-40 und die aktuelle Beurteilung
des CTC in dieser Hinsicht (Gäckle 2001:7f).
398
Dem widerspricht Hardmeier (2008:206) in Bezug auf das „neue“ Missionsverständnis, der Berneburgs
Kritik (1997:364) an dieser Stelle für überzogen hält. Im Gegenteil, es kann nicht nur von einem „positiven“
Rückfluss durch ökumenische Optionen auf die radikalen Evangelikalen und ihre Überzeugungen gesprochen
werden, sondern es muss ebenso von einer verstärkten Beeinflussung der ökumenischen Bewegung durch
evangelikale Vertreter und ihre Positionen gesprochen werden (vgl. Hardmeier 2008:170f, Anm. 163 u. s. o. S.
113, Anm. 349).
399
Beyerhaus (1996:634) fordert nur unter Bezugnahme auf LV Art. 7, „daß in der ökumenischmissionarischen Zusammenarbeit größter Wert auf das ‚common witness‘ im inhaltlichen (d.h.: nicht nur im
strategischen!) Sinn des Wortes zu legen ist. Umgekehrt wäre ein gemeinsames evangelistisches Projekt zum
Scheitern verurteilt, bei dem das Zeugnis theologisch dissonant erklingt.“ H. Burkhardt (in: ETM 5/2 1999)
erinnert an ein frühes Lamentum eines Pioniers der evangelikalen Bewegung: „Ich selbst erinnere mich noch gut
der Klagen von K. Bockmühl darüber, wie sehr z.B. die Teilnehmer selbst der Arbeitsgruppe über theologische
Ausbildung fast ausschließlich methodisch-pädagogisch interessiert zu sein schienen, und wie glücklich er war,
wenigstens in dem Leiter der Gruppe, dem Neuseeländer B. Nicholls, einen Verbündeten im Kampf um
ernsthafte theologische Arbeit zu entdecken“ (zur daraus resultierenden Mitarbeit K. Bockmühls in der
Theologischen Kommission des LKWE s. ETM 5/2 1999, Anm. 9).
400
Nicht alle Besucher und Beobachter des Phänomens „Lausanne“ teilen diese Einschätzung: Eine frühe
Analyse der gesamten Bewegung bspw. aus Sicht luth. Neoorthodoxie (s. Sauerzapf 1975:215) kommt zu dem
Schluss, dass es sich um eine zu inhomogene Bewegung, die zu stark vom Enthusiasmus der
Erweckungsbewegungen geprägt sei, handele (John R. Mott in seiner Vorreiterrolle dient hier als Beispiel, der
sich von Dwight L. Moody beeinflussen ließ).
397
140
Prozess, konkreter den dogmatischen Ertrag und die kirchliche Rezeption hat, konnte nur
angedeutet werden; inwiefern hier die neuen Medien (vgl. bspw. „Lausanne Global
Conversation“) beschleunigend o. a. andersartig einwirken, stellt vor eine Frage ganz eigener
Art, dem Wesen von Dogmatik im digitalen Zeitalter.
3.2.2.2 Deutsche Evangelische Allianz
Mit der DEA steht eine nationale Alternative zum ÖRK, präziser der ACK in Deutschland 401
im Blickfeld. Historisch betrachtet, handelt es sich im Blick auf die Ursprünge um eine
weitaus ältere Vereinigung als die Lausanner Bewegung und ihre nationalen Dependancen.
Auf die Verbesserung des Klimas zwischen DEA und ACK, wohl vor allem durch die
Kooperation von Einzelpersonen (vgl. 3.2.1.2) und den damit verbundenen Abbau von
Vorurteilen innerhalb der dahinterstehenden Kirchen und Gemeinschaften, kann hier nicht
näher eingegangen werden.402 Die historische und dogmatische Betrachtung konzentriert sich
auf das Einheitsverständnis, zunächst einmal stehen die Anfänge der „Evangelischen Allianz“
im Mittelpunkt.
3.2.2.2.1 Geschichtliche Wurzeln und theologische Verortung
Die Entstehungsgeschichte der EA reicht zurück in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Zunächst firmierte sie unter dem Titel „Evangelischer Bund“ - aus dem Geist der schottischen
Erweckungsbewegung heraus geboren. Unter der Führung von Thomas Chalmers traten 470
Pastoren - „the Evangelicals“ - im Jahr 1843 aus der ref. schottischen Staatskirche aus und
gründeten eine Freikirche (zu den Motiven vgl. Hauzenberger 1986:34-37). Daneben kam es
auch innerhalb weiterer schottischer Denominationen, wie der Kongregationalisten, Baptisten
u. a., zu einer Neubesinnung auf die Grundelemente christlicher Existenz. Mit der 200-JahrFeier im Gedenken an die Westminster Confession of Faith im Juli 1943 in Edinburgh - sie
fand noch vor der Trennung statt - kulminierte der ökumenische Gedanke: Das immer wieder
Thomas
Chalmers
zugeschriebene
Motto
„Co-operation
without
incorporation“
(Zusammenarbeit ohne Zusammenschluss) redigierte jener hier in der Form, dass die bloße
Zusammenarbeit für ihn zu wenig sei. Als erster Schritt auf dem Weg zum Zusammenschluss
sei sie jedoch zu begrüßen; da man als „evangelikale“ Christen in den wesentlichen Fragen
auf einem Boden stehe und vor allem die Heimatmission als gemeinsames Anliegen trage,
401
Zum Verständnis und zur Anwendung der „Charta Oecumenica für die Zusammenarbeit der Kirchen in
Europa“ im deutschen Kontext vgl. Frieling 2004:104-111.
402
Laut Pressemeldung im Internet nach einer Begegnung der Hauptvorstände ist von einer „klimatischen
Verbesserung der Zusammenarbeit“ die Rede (http://www.oekumene-ack.de/Volltextsuche.78.0.html [Stand:
07.02.2012]); vgl. auch Strauch 2004:78f.
141
gelte es die verschiedenen Auffassungen hinsichtlich Kirchenleitung und -organisation
zunächst auszuhalten (Hauzenberger 1986:37-39). Im Hintergrund dieses innerevangelischen
Aufbruchs, der noch um weitere Beispiele zu ergänzen wäre, steht das gleichzeitige Erstarken
der röm.-kath. Kirche (unter Gestalten wie bspw. John H. Newman).
Der schlussendlichen Gründung der EA in London (19.8 - 2.9.1846) ging ein Anschreiben
durch sieben schottische Kirchen vom 5.8.1845 voraus, das an die evangelischen Kirchen in
England, Wales und Irland gerichtet war: 403 Der geplanten Gründungsversammlung in London
sollte ein Vorbereitungstreffen in Liverpool vorausgehen, zu dem schließlich 216 Teilnehmer
aus 20 Denominationen erschienen (:70-77). Als Aufgabe eines Komitees (vgl. LKWE) wurde
bestimmt, eine theologische Grundlage für die Londoner Versammlung zu erarbeiten: Acht
Lehrpunkte konnten zügig fixiert werden, die von dem schottischen Freikirchler und
Theologen Robert S. Candlish stammten. Diese blieben naturgemäß nicht unwidersprochen
und sollten nicht als Credo missverstanden werden; es handelte sich eher um Lehraussagen,
die auf ein Defizit in der Theologie der damaligen Zeit hinwiesen. Darüber hinaus wurde
vereinbart, dass niemand zur Aufgabe seiner konfessionellen Position bewegt werden dürfe.
Ziel sei keine Vereinigung von Kirchen, sondern nur von einzelnen Christen (s. :415-419).
In London trafen sich demnach im großen Saal der Freimaurer (vgl. zur Neutralität des
Ortes :319, Anm. 1) 920 Teilnehmer, davon 786 aus Großbritannien, 87 aus Nordamerika, 13
aus dem deutschsprachigen Raum, 34 aus dem restlichen Europa und anderen Kontinenten.
Aus der deutschen Sektion ergriffen der hallensische Erweckungstheologe Friedrich A. G.
Tholuck, Pastor E. W. T. Kuntze aus Berlin und der Begründer des deutschen Baptismus,
Johann G. Oncken, das Wort. 19 Sitzungen führten zu vier Hauptbeschlüssen und einigen
allgemeinen Beschlüssen (Texte in :452-467; vgl. zu den Gegebenheiten vor Ort :88-93). 404
Unter Bezugnahme auf Joh 17,21 regt der dritte Hauptbeschluss an, den geistlichen Austausch
der „wahren Jünger Jesu“ weiter zu vertiefen, Entmutigungen auf diesem Weg zu widerstehen
und dem Liebesgebot folgend ein tieferes Verständnis für die Notwendigkeit christlicher
Einheit
zu
entwickeln.405
Eine
Darstellung
403
und
Auseinandersetzung
mit
der
Den Text samt Unterzeichnern bietet Hauzenberger 1986:398f. Als Gründe für ein notwendiges,
evangelisches „Konzil“ in London wird zum einen die Sammlung der „Kräfte eines erleuchteten Protestantismus
gegen die Übergriffe des Papstthums und Puseyismus“ genannt, zum anderen „die Interessen eines biblischen
Christentums zu fördern“ (dt. Übers.; :69).
404
Der erste Hauptbeschluss drückt den Wunsch aus die wesentliche Einheit der Kirche soweit wie möglich,
sichtbar werden zu lassen. Der zweite formuliert neun Lehrpunkte, deren Anerkennung zur Mitgliedschaft
innerhalb der Allianz führt (die „Basis). Mit dem dritten Beschluss werden erste Konkretisierungen
vorgenommen, Themen wie die Sonntagsheiligung, Formen des Unglaubens und christliche Erziehung werden
hier aufgegriffen; auch die Einrichtung einer Allianz-Gebetswoche wird hier ein erstes Mal erwähnt. Der vierte
Hauptbeschluss dreht sich um die weitere Organisation der neuen Allianz in Zweigvereinen.
405
„That the great object of the Evangelical Alliance be, to aid in manifesting, as far as practicable, the Unity
which exists amongst the true disciples of Christ; to promote their Union by fraternal and devotional intercourse;
to discourage all envyings, strifes, and divisions; to impress upon Christians a deeper sense of the great duty of
obeying our Lord’s command, to ‚love one another‘; and to seek, the full accomplishment of His prayer; ‚That
142
Redaktionsgeschichte der „Basis“ der EA - der zweite Hauptbeschluss - soll hier nicht
erfolgen (vgl. dazu Hauzenberger 1986:109-128; der Autor bietet eine Synopse der
Redaktionsstufen). Nicht nur bilden die heftigen Debatten um den von den amerikanischen
Abgeordneten eingebrachten eschatologischen Art. 8 (ursprünglich 9) eine ganz eigene
Thematik, sie verweisen auch exemplarisch auf die von Anbeginn existierende Spannbreite
der EA und ihrer Anhänger, die sich zum gegebenen Zeitpunkt noch in statu nascendi befand.
Inwieweit eine solche Basis überhaupt notwendig sei, wurde je nach Bekenntnisstand
unterschiedlich beurteilt: „Auf der einen Seite standen Vertreter von Kirchen für die solche
Texte kanonische Bedeutung besassen. Auf der anderen Seite fanden sich Vertreter von
Gemeinschaften, in denen solche Glaubensbekenntnisse überhaupt abgelehnt wurden“ (:123).
Grundelement der theologischen Äußerungen, bzgl. dessen, was man gemeinhin laut
Präambel als „evangelisch“ (i. O.: „evangelical; :455) ansieht, ist auch ohne explizite
Nennung innerhalb der neun Artikel die Abgrenzung gegenüber dem römischen
Katholizismus sowie dem protestantischen Liberalismus. Erst die theologiegeschichtliche
Einordnung erhellt den Impetus der einzelnen Aussagen und entpuppt die „Basis“ bei aller
Konsensbereitschaft auch als Dokument der Abgrenzung. Bleibende Elemente in der
Entwicklung der EA (über die WEF und EEA) bis hin zur heutigen „World Evangelical
Alliance“ sind das Drängen auf eine Übereinstimmung von Lehre und Leben und eine
gewisse Kritik an volks- und staatskirchlichen Strukturen (je nach Region und Konfession
unterschiedlich gewichtet), beides dem pietistischen und erweckungstheologischen Erbe der
Allianz geschuldet.406 Im Hinblick auf die initiale Veranstaltung „auf der Insel“ und ihre
Vorgeschichte bleibt festzuhalten: „Insgesamt hat die Londoner Versammlung als erstes
weltumspannendes überkonfessionelles Treffen des Protestantismus epochale Bedeutung“
(Cochlovius 1982:651; vgl. auch Voigt 1990:11, Anm. 7).
3.2.2.2.2 Kirchen- und Einheitsverständnis der DEA
Ohne auf weitere Details der wechselhaften Geschichte und das theologische Profil der DEA
als Zweig der ursprünglichen „Evangelischen Allianz“ einzugehen (vgl. hierzu Beyreuther
1969; Voigt 1990; Beyer 1995 u. für einen kurzen Überblick Cochlovius 1986), deren
they all may be one in Us: that the World may believe that Thou hast sent me‘“ (in: Hauzenberger 1986:458).
406
Voigt (2009:171f) sieht in der angelsächsischen (nicht zu verwechseln mit der kontinentalen)
Föderaltheologie die theologische Grundlage für die Entstehung einer interdenominationellen Gemeinschaft wie
der EA - ein Blick auf die sog. „Gründerväter“ (vgl. Hauzenberger 1986:47-65) unterstreiche dies; daneben
müssen auch ohne Frage strukturelle Erwägungen in Betracht gezogen werden, das Vorgehen im methodistischen
Umfeld und Aufbruch - connectionale Strukturen und Konferenzwesen als Mitte - wirkte sicher attraktiv auf
manche Gemeinden und Gemeinschaften anderer Denominationen im 19. Jahrhundert. Von hier aus verfolgt
Voigt (2009:172-186) die Linien, die bis zur Gründung der DEA im Jahr 1851 (erste gemeinsame Konferenz
1853 in Berlin) und darüber hinaus geführt haben (vgl. auch neuerdings Voigt 2008, bes. Kap. 1 u. 6).
143
Vorgeschichte soeben in aller Kürze geschildert wurde, soll nun der Focus auf das Kirchenund Einheitsverständnis der DEA gerichtet werden. Beides ist untrennbar miteinander
verbunden, eine redundante Bemerkung, und soll anhand der Neufassung der „Basis“ von
1970 durch die EA (in Deutschland 1972 angenommen) erörtert werden.
Nach den Lehrsätzen der „doctrinal basis“, die sich zu Schriftverständnis, Gotteslehre,
Harmatologie, Rechtfertigung, Christologie und Pneumatologie äußern, folgt ein Abschnitt
zur Ekklesiologie: „7. Das Priestertum aller Gläubigen, die die weltweite Gemeinde (i. O.:
„the universal church“) bilden, den Leib, dessen Haupt Christus ist, und die durch seinen
Befehl zur Verkündigungen [sic!] des Evangeliums in aller Welt verpflichtet ist“ (Laubach
1972:103; dt. Übers. nach H. Steubing). Art. 9 der Fassung von 1846 wurde obsolet mit
seinen drei ökumenischen Reizworten Amt, Taufe und Abendmahl: „Die göttliche Einsetzung
des christlichen Predigtamts und die Verbindlichkeit und Beständigkeit der Anordnung von
Taufe und Abendmahl“ (:103; vgl. hierzu Hauzenberger 1986:241-251). Ebenso Art. 2, der
das „private judgement“ in Fragen der Auslegung der Schrift betonte und als Zugeständnis an
die verschiedenen Ekklesiologien der Vertreter von Staats- und Freikirchen aufgefasst werden
muss. Weiterhin ausgelassen wurden seit 1970 drei abschließende Paragraphen zum
Verständnis der Glaubensbasis und der damit verbundenen Konzeption von Einheit.407
Die im Zusammenhang mit den Dokumenten des LKWE immer wieder aufgetauchte
Fragestellung nach der spezifischen Signatur einer evangelikalen Ekklesiologie wurde in
Allianzkreisen - hier kann nur für den dt. Sektor gesprochen werden - anhand der „Basis“ hier
und da verhandelt. Im Rahmen einer Konferenz der „Gemeinschaft europäischer
evangelikaler Theologen“ (GEET) vom 1.-5.8.1988 in Wölmersen wurde diese Fragestellung
in den Mittelpunkt gerückt. Nach dem Bericht hierüber (vgl. Reinhardt 1989:115-125) kam es
bei aller Vielfalt der Beiträge nicht zu einem systematisch-theologischen Entwurf in dieser
Hinsicht; festgehalten wurde jedoch, dass nicht „eine umfassende neue evangelikale Lehre
von der Kirche .. gefordert [sei], sondern der spezifische evangelikale Beitrag zur
Ekklesiologie“ (:115; Hervorhebung im Original). Worin besteht dieser Beitrag nun, folgt man
dieser Erkenntnis der Konferenz?
407
Sie lauten (Laubach 1972:103-105): „(1) Es wird jedoch ausdrücklich erklärt, daß diese kurze
Zusammenfassung keineswegs in irgendeinem formalen oder kirchlichen Sinn als Glaubensbekenntnis oder
Konfession verstanden werden darf; ebensowenig beinhaltet ihre Annahme, daß wir uns das Recht anmaßen,
autoritativ die Grenzen christlicher Bruderschaft festzulegen. (2) Es wird ferner ausdrücklich erklärt, daß in
dieser Allianz kein Kompromiß in den Auffassungen irgendeines Gliedes oder Druck (sanction) auf die eines
anderen Gliedes in strittigen Punkten gefordert oder erwartet wird. Sondern alle sollen frei bleiben, ihre
Glaubensüberzeugungen nach wir vor aufrechtzuerhalten und zu vertreten mit der nötigen Nachsicht und
brüderlicher Liebe. (3) Es wird nicht beabsichtigt, daß diese Allianz den Charakter einer neuen kirchlichen
Organisation annimmt oder anstrebt, indem sie beansprucht, in irgendeiner Weise die Funktionen einer
christlichen Kirche auszuüben. Es besteht die feste Überzeugung, daß ihr einfaches und gewichtiges Anliegen
erfolgreich vertreten werden kann, ohne daß sie sich in die Ordnung irgendeines Zweiges der christlichen
Kirche, zu dem ihre Glieder jeweils gehören, einmischt oder sie stört.“
144
Claus-Dieter Stolls Auslegung von Art. 7 (die nicht als offizielle Verlautbarung der DEA
missverstanden werden darf; Laubach und Stadelmann 1989:6) folgt nicht streng der
Formulierung des Artikels (vgl. :68-73). Vielmehr handelt es sich um eine kurze biblischtheologische Gemeindelehre, die wohl von den meisten Mitgliedern der DEA positiv
aufgefasst würde. Verschiedene Aspekte kommen zur Sprache: Gemeinde Jesu als
Herausforderung für die Welt; Gemeinde Jesu in konkreter Gestalt vor Ort - hier wird einer
möglichen Überbetonung gemäß der „Basis“ des universalen Charakters des Leibes Christi
widersprochen (:68f) -; Gemeinde Jesu in ihrer Vorläufigkeit als soziales Geschehen;
Gemeinde Jesu als lebensnotwendiger Organismus für die einzelnen Glieder; Gemeinde Jesu
und ihre geistliche Dimension; Gemeinde Jesu als Priesterschaft aller Gläubigen - so beginnt
der 7. Art. -, in der Amtsträger dienende und nicht herrschende Funktion haben; Gemeinde
Jesu bildet in ihrer Vielfalt - hier wird konkret das konfessionelle Spektrum der „Allianz“
angesprochen - die Einheit des Leibes Christi ab; Gemeinde Jesu bedarf der äußeren Ordnung,
keine Organisationsform darf gegen eine andersartige ausgespielt werden (s. o. S. 144, Anm.
407, Abs. 3); Gemeinde Jesu als Gesamtzusammenhang, in dem jede Lebensäußerung zur
Gesundheit des Leibes beiträgt. Stolls Einsichten finden ohne Frage Ausgangspunkte in den
kurzen Sätzen des 7. Artikels und bieten einen kurzgefassten Konsens für ein evangelikales
Verständnis der Gemeinde Jesu. Weiterführende ekklesiologische Bestimmungen, Hinweise
für das interkonfessionelle Gespräch und vor allem einen Rahmen für den Umgang mit
Brennpunkten bietet er jedoch nicht.
Mit den einleitenden Überlegungen von Rolf Hille zu den „Perspektiven evangelikaler
Ekklesiologie“ anlässlich der 10. Theologischen Studienkonferenz des AfeT vom 7.-10.
September 1997 in Bad Blankenburg - ca. 10 Jahre nach der erwähnten GEET-Tagung - liegen
weitere „offizielle“ Ausführungen zum Kirchen- und Einheitsverständnis der DEA vor. Hille
(1998:2) stellt zu Beginn, in dem hierzu erschienenen Sammelband fest:
„Die Evangelische Allianz ist nicht Kirche und strebt nicht an, neben anderen bestehenden
Kirchen Kirche zu werden. Sie versteht sich vielmehr als Sammlungsbewegung glaubender
Christen mit lebendiger Frömmigkeit, biblisch orientierter Theologie, profiliertem
missionarischen Auftrag, einem reformatorisch verankerten ökumenischen Horizont und
einer eschatologisch bestimmten Zukunftserwartung.“
Der erste Satz erinnert an den dritten Abschluss-Paragraphen, der in der Neufassung der
Glaubensbasis von 1970 nicht mehr erwähnt wird (s. o. S. 144, Anm. 407). Darauf folgt in
konzentrierter Form eine Identitätsbestimmung evangelikaler Theologie und Frömmigkeit aus
Allianz-Perspektive. Hille (:2) fährt fort, indem er die Aussagen des ekklesiologischen
Abschnittes der „Basis“ folgerichtig in den Zusammenhang einordnet, zunächst in den
Aussagehorizont der beiden vorhergehenden Artikel 5 u. 6:
145
„Die Verschränkung von christologisch begründeter Rechtfertigung und pneumatologisch
erfahrbarer Wiedergeburt - konzentriert auf den einzelnen Menschen - markiert die
theologische Position der evangelikalen Theologie, die sich im Schnittpunkt von
reformatorischer und pietistisch-erwecklicher Tradition versteht.“
Darüber hinaus macht Art. 1 der „Basis“ deutlich, „daß sich die evangelikale Bewegung zum
altkirchlich-ökumenischen Dogma der Trinität mit seiner implizierten Christologie bekennt“
(Hille 1998:2f). Herzstück und Mitte bilden allerdings vor diesem Hintergrund die
vorgenannten Lehrstücke, in denen forensische und effektive Rechtfertigung nicht nur als
Formalprinzip aufgefasst werden (:3). Die Implikationen für die Ekklesiologie folgen nun:
a) Ekklesiologie „von unten“ - Ansatz beim persönlichen Christsein: Wie bei den
Verfassern der „Basis“ von 1846 intendiert, wird zuallererst einem (nicht nur röm.-kath.)
Heilsinstitutionalismus, der oben ansetzt, eine Absage erteilt. „Die Bewegung vom einzelnen
zum Kollektiv ist in diesem Kontext nicht umkehrbar“ (:3). Die Gemeinde bzw. Kirche ist
Gemeinschaft der Glaubenden, nicht primär Heilsanstalt. Unbesehen davon muss auch eine
evangelikale Position einsehen, dass dem Individuum immer auch eine Institution vorangeht,
deren Verkündigung erst zum „persönlichen“ Glauben führt. Die ekklesiologische
Stoßrichtung von unten nach oben kann damit aber nicht ausgehebelt werden.
b) Allgemeines Priestertum - weder religiöser Individualismus noch hierarchische
Kircheninstitution: Von den bis hier hin skizzierten Linien gelangt Hille (:3f) nun zum
Wortlaut des 7. Artikels. Das „Priestertum aller Gläubigen“ als Ausgangspunkt verweist
einerseits auf „die neutestamentliche Heilsgemeinde in ihrer Ganzheit als Priesterschaft .. ,
deren Wesen in der Vermittlung der Heilsbotschaft an die Welt besteht“; andererseits „handelt
es sich um ein Corpus, das vom Glauben seiner einzelnen Glieder durchdrungen ist und
dessen Band der Einheit eben darum der persönliche Glaube ist.“ Mit dem Ringen um einen
„Kirchenbegriff“ zwischen Heilsindividualismus und verfasstem Kollektivismus beginnt ein
Abschnitt, der sich dezidiert zur systematisch-theologischen Einordnung von Art. 7 der
Glaubensbasis äußert: Die „Betonung des Individuellen“ zu Beginn darf nicht als
Zugeständnis an einen neuzeitlichen o. a. postmodernen Individualismus verstanden werden
(F. D. E. Schleiermacher wird hier als Negativbeispiel angeführt). Im Gegenteil, die Allianz
halte nach wie vor fest an altprotestantischen Positionen, d. h. am Objektivum der
Heilstatsachen und am Handeln Gottes am Menschen in Bekehrung, Wiedergeburt und
Heiligung (:4). Ist von der „weltweiten Gemeinde“ in Art. 7 die Rede, so beinhalte diese
Formulierung, dass „die Gemeinschaft der Gläubigen .. bei aller unabdingbar individuellen
Konstitution doch in ihrer Konkretion eine universale Größe ist“ (:4). Eine Vielzahl von
Erscheinungsformen des Leibes sind hier impliziert (vgl. Stoll 1989:72f) - das Wesen der
(D)EA, ihre soziale Gestalt wird angesprochen: „Hauskreise, spezifische Zielgruppen,
146
Ortsgemeinden, regionale Gemeindebünde bis hin zu international tätigen Verbänden und
Missionsgesellschaften“ (Hille 1998:4). Um diese Spannbreite auf Allianzebene zu
ermöglichen, gilt: „Die strukturelle Verfaßtheit des Leibes Christi bleibt in der kurzgefassten
Ekklesiologie der Glaubensbasis .. bewußt offen“ (:4). Kirchenorganisation hat aus dieser
Sicht heraus vor allem dienende, nicht herrschende Funktion.
c) Universale Mission - der ekklesiologische Horizont: Am Ende von Art. 7 wird der Blick
auf den missionarischen Auftrag der Kirche bzw. der Gemeinde gerichtet als „Kirche für
andere“, allerdings nicht in einem sozialpolitisch-immanenten Verständnis, sondern nach wie
vor vorrangig im evangelistischen Sinne der sog. „Glaubensväter“ der Allianzbewegung.
„Verkündigung des Evangeliums in aller Welt“ beinhaltet nach Hille (:5) auch ggf. sozialpolitisches Handeln, eine deutlichere Aussage hierzu wie im Falle der LV Art. 5 unterlässt die
Glaubensbasis. Ihre ökumenische Stärke ist an dieser Stelle ihre theologische Kürze.
d) Evangelische Profilierung der klassischen ekklesiologischen Attribute: Mit dem Versuch
die evangelikale „Basis“ der Allianz bewusst als evangelisches Dokument wahrzunehmen
(nicht konfessionell verstanden, sondern im Sinne von evangeliumsgemäß), endet die
Argumentation R. Hilles.408 Anhand der Formulierung des Nicaeno-Constantinopolitanums
wird entfaltet (:5; Hervorhebung von mir):
„Die Heiligkeit der Kirche gründet in der Rechtfertigung, Wiedergeburt und Heiligung, die
ausschließlich Wirkungen des Geistes sind. Die Einheit gründet in der Einzigartigkeit der
Christusbeziehung aller Glaubenden. Sie findet ihre Katholizität in der weltweiten
Gemeinschaft aller Gläubigen; und damit gerade nicht in einer vorgegebenen sakralen
Struktur einer Weltkirche. Die Apostolizität bezieht sich strikt auf das inspirierte Wort der
Apostel und Propheten in der Schrift (so das skriptologische Statement in der
Glaubenbasis).“
Mit dieser Deutung der „una sancta catholica et apostolica ecclesia“ soll der Nachweis
erbracht werden, dass sich die Allianz mit ihren Anliegen als evangelikale Vereinigung im
Strom der altchristlichen Bekenntnisse und damit ökumenischen Symbole bewegt. Ob damit
ein möglicher „consensus antiquitatis“ angedeutet werden soll für das inner- und
außerevangelikale Gespräch, wird nicht näher erläutert.
Die Frage bleibt im Raum - nach diesen durch und durch erhellenden und weiterführenden
Anmerkungen zur „Basis“ der DEA -, worin „ein reformatorisch verankerte[r] ökumenische[r]
Horizont“ (:2) aus evangelikaler Sicht besteht? Jochen Eber (1998:197) fragt in seinem
Beitrag „Kirche als Institution oder Ereignis?“ des Sammelbandes anlässlich der AfeTStudienkonferenz von 1997: „ .. [K]önnen wir vielleicht doch gemeinsam mehr von der
Kirche und den Kirchen sagen?“ Ist eine präzisere Bestimmung des Kirchen- und
408
Die nachfolgenden Gedanken richten sich auf die praktisch-theologischen Konsequenzen für den
Gemeindebau (vgl. Hille 1998:6-8) und müssen hier nicht weiter besprochen werden.
147
Einheitsverständnis auf der Grundlage der Glaubensbasis der DEA überhaupt möglich oder
notwendig?
Ausgehend von der Analyse der ursprünglichen „Basis“ von 1846 und der revidierten
Fassung von 1970, kommt Eber (1998:197; Hervorhebung im Original) zu zwei
Schnittmengen:
„(1.) Den Rückzug auf das christliche Individuum und sein individuelles Bekenntnis, das
Grundlage seiner Allianzzugehörigkeit ist. (2.) Die Affirmation der Existenz einer
weltweiten Gemeinde, des Leibes Jesu Christi.“ Er führt weiter aus: „Das eigentliche
ekklesiologische Problem: Mehr über die Kirche auszusagen als daß sie der unsichtbare
Leib Christi sei und daß es anderseits hier auf Erden gläubige Individuum gibt, wird nicht
gelöst. Wie können die existierenden ‚Zweigkirchen‘ und ‚Denominationen‘ (…) sich
gegenseitig als Kirche erkennen? Diese Frage bleibt unbeantwortet.“
Gegenüber dem angelsächsischen Modell des 19. Jahrhunderts, der Verhältnisbestimmung
verschiedener Kirchen zu der einen universalen Kirche, indem man von abgeleiteten
„Zweigen“ („branches“) o. a. „Denominationen“ spricht, 409 schlägt J. Eber vor, einen Schritt
weiterzugehen und nach der Möglichkeit einer gemeinsamen ekklesiologischen Orientierung
innerhalb der DEA zu fragen. Von hierher kommend ist es nur konsequent, „die
Einheitsvorstellung der Allianz .. eine erste Stufe“ zu nennen, „die vielleicht für zeitlich
begrenzte Aktionen evangelistischer und sozial-diakonischer Zusammenarbeit genügt“ (Eber
2006:220). Als umfassendes ökumenisches Modell kann sie allerdings nicht bezeichnet
werden, was wiederum auch nicht intendiert war. Ebers (1998:198-204) konkreter Vorschlag
im Rückgriff auf die Gedanken Jean-Louis Leubas410 einen Ausweg aus dem
ekklesiologischen Dilemma „Institution und/oder Ereignis“ zu finden und damit zu
„ekklesiologischen Strukturen des Gottesdienstes“ zu gelangen, die „sozusagen den Kern
einer Allianz-Ekklesiologie bilden“ könnten, soll an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen
werden (mehr dazu unter 4.3). Ein ähnlicher Versuch eine Allianz-Ekklesiologie zu entwerfen,
liegt mit den Ausführungen von Martin Abraham vor, die im Rahmen einer FAGST des AfeT
vorgetragen wurden (festgehalten in: ETM 6/1 2000). Thesenartig wird eine vermittelnde
Sicht, insbesondere zwischen frei- und volkskirchlichen Voraussetzungen vorgetragen. Die
Anmerkungen (erwähnt werden J. Demandt u. U. Swarat als „Rezensenten“) im Anschluss an
den Vortrag spiegeln allerdings äußerst deutlich den nach wie vor bestehenden Dissens wider,
der auf Allianzebene hinsichtlich einer vollen Kirchengemeinschaft herrscht.411
409
Vgl. zur Verwendung dieser Begriffe in den Londoner-Beschlüssen Hauzenberger 1986:456 u. zu dem mit
dieser „Zweigtheorie“ verbundenen Gedanken der „comprehensiveness“, der eine gewisse Weite in der
Interpretation der Glaubensbekenntnisse zulässt :234.
410
Der Schweizer Theologe griff in seiner Diss. (1957 auf Deutsch erschienen) „Institution und Ereignis:
Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Arten von Gottes Wirken nach dem Neuen Testament“ den auf
der ersten Vollversammlung des ÖRK in Amsterdam 1948 deutlich hervorgetretenen Lehrgegensatz zwischen
kath. und protestantischem Verständnis von Kirche auf (vgl. Eber 1998:198).
411
Der Versuch mit diesem „Papier“ den Dialog zu fördern und gegenseitige Verketzerungen auszuhebeln,
148
Die Ausführungen Peter Strauchs zu „Verständnis und Aktualität des Einheitsgedankens
der Deutschen Evangelischen Allianz“, ursprünglich für eine Theologische Woche des BFeG
verfasst, stellen eine Bekräftigung des Status quo dar. Nach einer Einleitung zur Geschichte
der EA und DEA (2004:61-74) und dem Hinweis auf die besondere wesen- und personenhafte
Verknüpfung von Allianz und Freier Evangelischer Gemeinde in Deutschland (:74-78) folgt
eine kurze Entfaltung des aktuellen Kirchen- und Einheitsverständnisses. Der Grundtenor
ganz
im
Sinne
der
„Glaubensväter“
lautet:
Christuszugehörigkeit
steht
über
Kirchenzugehörigkeit; daraus folgen unterschiedlichste Implikationen (vgl. nur das
ausführliche Zitat von A. Pohl hierzu; :80). 412 Abschließend wendet sich P. Strauch (:79-83)
den verschiedenen Fronten der Kritik zu. Auf der einen Seite steht die Sorge um eine
Verkirchlichung der DEA - insbesondere sichtbar durch die Vorherrschaft von Amtsträgern
aller Couleur in den leitenden Gremien -, auf der anderen Seite die Angst vor der
zunehmenden konfessionellen Weite der Allianz, die scheinbar nicht vor Beziehungen zu
Sondergemeinschaften oder bestehenden Großkirchen zurückschreckt (vgl. zur weiteren
Kritik von innen und außen Jung 1992:85f;218-225). Eine Veränderung der Agenda mit ihren
Arbeitsschwerpunkten Gebet, Evangelisation und sozial-diakonisches Handeln ist vorerst
nicht zu erwarten (Strauch 2004:83-85).
3.2.2.2.3 Abschließende Analyse
Im Unterschied zum Internationalen Missionsrat und der Bewegung für Praktisches
Christentum (s. o. S. 96f) liegt mit der DEA (und EA) der Versuch vor, die Einheit der
Christenheit nicht aufgrund der Zusammenarbeit von Kirchen, sondern basierend auf dem
individuellen Glauben der Anhänger jener zu realisieren. Bestimmt wird die Ekklesiologie
dabei, wie R. Hille nachweist, vor allem von den maßgeblichen Kategorien „Bekehrung,
Wiedergeburt und Heiligung des Einzelnen“. Als Gemeinschaft der Glaubenden über
Konfessionsgrenzen hinweg tritt der Brüderbund in Erscheinung. In pietistischer Manier steht
hier ein Verständnis von den „wahren Kindern Gottes“ Pate, die es zu sammeln und zu stärken
gilt. Ansätze für eine Ämterlehre in der ursprünglichen Fassung von 1846 wurden durch die
kann nur begrüßt werden. Es offenbart aber auch, wo die Punkte (nicht nur für „Allianz“-Christen) liegen, an
denen Weiterarbeit nötig ist. Die Dominanz eigener dogmatischer Überzeugungen - These I/6. u. 7. klingen
bspw. wie der Versuch, ein luth. Amtsverständnis quasi durch die Hintertür ekklesiologisch einzuführen (vgl.
auch II/1. u. 2.) - und die damit verbundene Resistenz gegenüber der „Klarheit des Wortes“, um eine
reformatorische Grundkategorie zu gebrauchen, stellen eine ganz eigene Herausforderung dar. Die
Auseinandersetzung um die Kirche/Gemeinde als corpus permixtum anhand von Mt. 13 (These III/3.) stellt unter
Beweis, inwiefern ökumenische Arbeit letztlich immer wieder exegetischer Vorarbeit bedarf.
412
In einem Leitfaden für die Allianzarbeit vor Ort heißt es ausdrücklich (nach Strauch 2004:83): „Wer
bestimmte dogmatische Aussagen oder Einzelerkenntnisse höher bewertet als das gemeinsame Bekenntnis zu
Jesus Christus, wer solche Aussagen und Erkenntnisse werbend vertritt oder sie sogar zum Maßstab der
Beurteilung seiner Brüder und Schwestern macht, ist nicht allianzfähig. Wir wollen zwar über seinen Glauben
nicht richten, doch zur Mitarbeit in der Evangelischen Allianz ist er nicht geeignet.“
149
Lehre vom Priestertum aller Gläubigen ersetzt. Die „Basis“ stellt sich jedoch bewusst mit
ihren Aussagen zur Gotteslehre und Christologie in den Strom altkirchlich-ökumenischer
Formulierungen; an dieser Stelle demonstriert sie ihre Orthodoxie und Offenheit für die
„wahren“ Christen in u. U. depravierten Konfessionen. Ob man von daher nicht aus
ekklesiologischer und auch missiologischer Sicht von „anonymen Evangelikalen“ in den
verschiedenen Konfessionen sprechen müsste413 - in Abwandlung von K. Rahners bekannter
Formulierung414 -, um den DEA-Ansatz zu charakterisieren, wäre zu bedenken. In Summe: Es
handelt sich beim Allianzansatz um keinen Fall von blindem Unionismus, sondern den
Versuch „Ökumene“ von den Wurzeln, der Gründungsurkunde schlechthin, des Neuen
Testaments her zu denken.
Wie überzeugend (oder eben nicht) dieses ökumenische Modell auch sein mag: Das
Kirchen- und Einheitsverständnis der DEA kann nicht ohne weiteres als das ökumenische
Optimum bezeichnet werden. Schon die Gründergeneration wusste um die Vorläufigkeit ihrer
Konzeption (vgl. Hauzenberger 1986:234.278) und auch der langjährige erste Vorsitzende der
DEA, Peter Strauch, hält das Allianz-Konzept nicht für die letzte Antwort auf die Frage nach
dem Wesen und der Umsetzung christlicher Einheit: „Die Zerrissenheit der Kirchen
untereinander war und ist eine Not“ (2004:48). Insofern hat die Kritik J. Ebers an der Kürze
der Glaubensbasis und die damit verbundene Aufforderung zur theologischen Weiterarbeit m.
E. volle Berechtigung. Auf der anderen Seite lebt die Allianz momentan genau hiervon, d. h.
„konfessionelle Unterschiede in der Lehre und in den sakramentalen Vollzügen des
kirchlichen Lebens sind für Evangelikale sekundär und - obwohl kirchentrennend - letztlich
nicht glaubensspaltend“ (Berneburg 1997:17).
Würde man nach dem Verbleib der Katholizität innerhalb einer Vereinigung wie der DEA
fragen, so besteht diese vor allem mit der EA im neu erweckten Interesse für den weltweiten
Missionsauftrag und damit verbundene Aufgaben (gemäß der „Basis“ Art. 7). Darüber hinaus
handelt es sich bei der Kirchenauffassung - soweit davon die Rede sein kann - der Allianz um
keine streng individualistische, dies wäre auch nicht im Sinne der „Urväter“ (vgl. Th.
Chalmers, der zeitlebens volkskirchliche Strukturen bevorzugte). Und doch tritt die
Kirchenfrage deutlich zurück gegenüber der Heilserfahrung des Einzelnen. Dogmatisch
gesprochen: Der zweite Artikel des Apostolikums kommt hier deutlich vor dem dritten zu
stehen. Nicht zu leugnen ist dabei die theologiegeschichtliche Einsicht, dass eine
Interessengemeinschaft wie die Allianz nur schwer denkbar gewesen wäre ohne den Einfluss
ref. Theologie und deren Verarbeitung im angelsächsischen Raum (s. o. S. 143, Anm. 406)
und das Aufkommen des Vereinswesens in der damaligen Epoche (vgl. Hauzenberger
413
414
Prominentes Beispiel des 20. Jahrhunderts hierfür ist der Literaturprofessor und Schriftsteller C. S. Lewis.
Vgl. Karl Rahner 1970. Schriften zur Theologie, Bd. IX. Zürich, Einsiedeln, Köln: Benziger, 498-515.
150
1986:238f).
Am Rande: Die Sorge mancher Kreise es könnte eine neue evangelikale Großkirche in
Deutschland entstehen auf der Grundlage der „Basis“ und der Strukturen der DEA, ist nach
dem Dargelegten unbegründet. Im Gegenteil, der Dissens nicht nur in ekklesiologischen
Fragen besteht nach wie vor und außerdem widerspricht solch ein Ansinnen dem
Selbstverständnis der DEA von Grund auf (vgl. Jung 1992:217.227f). Dennoch muss von
einem Aufbau evangelikaler „Parallelstrukturen“ in Deutschland gesprochen werden (so D.
Sackmann, in: Tidball 1999:28f), in deren Zentrum die DEA mit ihren Organen steht.
3.2.3 Evangelikales Ökumeneverständnis im Werden
Mit der bisherigen Betrachtung der „Bekenntnisse“ und Dokumente des LKWE und der DEA
ist deutlich geworden, der evangelikale Ökumenebegriff oder besser das Einheitsverständnis
befindet sich im Werden - Sprünge, Unterbrechungen o. a. Rückschläge inbegriffen. Je nach
Standpunkt, sprich Bekenntnisstand und daraus resultierender ökumenischer Gesinnung o. a.
Verweigerung, wird dies als erfreulich oder eben bedrohlich wahrgenommen werden. Die mit
den Entwicklungen der letzten 150 Jahre verbundene theologische Reflexion im Rahmen ganz
praktischer Gehversuche in Richtung einer Zurückgewinnung verloren gegangener Einheit zu
ignorieren, wird dem Geschehen zumindest in keiner Weise gerecht. Im Zuge des Aufbruchs
irenischen Denkens und Handelns in der frühen Neuzeit verwundert es kaum, dass es im 19.
Jahrhundert zu Vereinigungen wie der Evangelischen Allianz und im 20. Jahrhundert zu einer
Plattform wie dem Lausanner Komitee für Weltevangelisation kommen konnte (als Reaktion
auf die Entwicklung der ökumenischen Bewegung und des ÖRK). Damit soll nicht von
historischer Kontingenz die Rede sein, aber sehr wohl von einem sich ausbreitenden Klima,
das die Entstehung jener Einrichtungen mehr als nur begünstigt hat. Man könnte mutmaßen in
theologiegeschichtlicher Hinsicht, auf welcher Entwicklungsstufe sich das evangelikale
Ökumeneverständnis momentan befindet und wie die weitere Entwicklung aussehen wird,
ohne dabei in eine rein hegelianische Geschichtsschau zu verfallen.
Prognosen dazu wurden geäußert; im Falle des LKWE sehen kritische Beobachter
kontinentaler Prägung (E. Berneburg, M. Herbst, V. Gäckle u. a.) die Tendenz, dieselbe
Richtung - mutatis mutandis - einzuschlagen wie der ÖRK seit Mitte des letzten Jahrhunderts.
Eine
Wiederholung
der
dogmatischen
Erörterungen
und
damit
verbundenen
Auseinandersetzungen wäre die Folge (eine neue Abspaltung auch?). Bei allem Bedarf zur
kritischen Reflexion dürfen jedoch nicht die grundverschiedenen hermeneutischen
Auffassungen zwischen dem LKWE und dem ÖRK übersehen werden. 415 Die von den
415
Wie ernst gemeint die Rede von „kontextueller Theologie“ in der jeweiligen Gemeinschaft ist, steht zur
151
Vordenkern des LKWE, wie H. Blocher, H. A. Snyder und R. Padilla immer wieder
postulierte ekklesiologische Lücke der evangelikalen Bewegung konnte mit den
Überlegungen in LOP 64 nicht geschlossen werden; die missionstheologische Ausrichtung in
einem missionalen Sinne ist zur Zeit von größerem Interesse (was, wie schon angeklungen,
hier nicht als basale Kritik missverstanden werden darf). Mit den Versuchen führender
Theologen der DEA im Bereich der Ekklesiologie anzusetzen und weiterzuarbeiten, liegen
wertvolle Beiträge und erste Schritte auf dem Weg zu einer evangelikalen Ekklesiologie vor,
gesetzt den Fall - aus Sicht des advocatus diaboli - man sieht in dieser Bewegung überhaupt
das Potential und ein Spezifikum, das eine eigene Ekklesiologie rechtfertigen würde.
Historisch betrachtet, hat die (D)EA schon aus ihrer Entwicklung heraus ein tiefes
Verständnis für Kooperation, befindet sich jedoch aus Sicht der Kritiker noch auf einer
anfänglichen Entwicklungsstufe, was die dogmatische Verfassung des Einheitsgedankens
betrifft: Nicht nur Fragen nach Amt und Kirche usw. bleiben hier ebenso wie in der Lausanner
Bewegung offen, gemäß der Ausrichtung als Brüderbund. Tendenzen zur Kirchwerdung scheinbar entgegen dem ursprünglichen Ansatz eben keinen Kirchenbund darzustellen -, die
von innen und außen zuweilen wahrgenommen werden, müssen wohl als Ansätze verstanden
werden, deren Bedeutung und weitere Entwicklung noch nicht auszumachen ist. Die These
steht jedoch im Raum, trotz des historischen Vorsprungs, ob es hinsichtlich eines inner- und
außerevangelikalen Dialoges innerhalb der weltweiten Bewegung nicht doch einen starken
Riss gibt oder zumindest gab: Haben die deutschsprachigen Evangelikalen „Lausanne 7“
weitgehend ignoriert oder nur zum Teil aufgenommen?
Ausgelassen wurde in dieser MTh-Diss. unter dem Titel von Kap. 3 „Evangelikale und die
Ökumene“ Entwicklungen wie dem sich intensivierenden Dialog zwischen evangelikalen
Persönlichkeiten und Vertretern der röm.-kath. Kirche nachzugehen. 416 Die bleibende Kritik
daran, nicht nur separatistischer Kreise, und deren Ausmaß und weitere Entwicklung (in
Richtung neuer Denominationen?) ergäbe eine Themenstellung an sich, z. B. für eine
praktisch-theologische Untersuchung. Welche Bedeutung insbesondere die Pfingstbewegung
und die charismatischen Aufbrüche für den Ökumenismus innerhalb der evangelikalen
Bewegung haben, wurde passim angerissen, allerdings nicht vertieft (s. Zimmerling
Debatte: Für die sog. „radikalen Evangelikalen“ bleibt die Autorität und Inspiration der Hl. Schriften (bewusst
im Plural) klare Maßgabe (vgl. Hardmeier 2008:17.98.159 - Anm. 152.228.281), wenn auch nach den
Implikationen dieses Ansatzes für die praktische Bewältigung sozialethischer Aufgaben, vor allem im globalen
Kontext, gefragt werden muss; für die Theologen im Umfeld des ÖRK kann dies historisch betrachtet – wie
dargestellt wurde (s. o. Kap. 3.1.2 u. 3.2.1.1) – nicht in Anspruch genommen werden.
416
Vgl. hierzu John Stott & Basil Meeking (Hg.) 1987. Der Dialog über Mission zwischen Evangelikalen und
der Römisch-Katholischen Kirche 1977-1984: Ein Bericht. (Theologie & Dienst 52). Wuppertal: R. Brockhaus;
Keith A. Fournier 1994. A house united? Evangelicals and Catholics together: a winning alliance for the 21 st
century . with William D. Watkins. Colorado Springs: NavPress; Norman L. Geisler 1995. Roman Catholics and
Evangelicals. Grand Rapids: Baker Books; Thomas P. Rausch (Hg.) 2000. Catholics and Evangelicals. New
York: Paulist Press.
152
2001:335-351). Überhaupt verlangt die Weite der evangelikalen Bewegung nach weiteren
Untersuchungen in dieser Hinsicht,417 auch wenn mit dieser Studie ein Versuch vorliegt,
sozusagen aus der Mitte heraus der aufgeworfenen Fragestellung nachzugehen.
4. Wesenszüge christlicher Einheit: BUCERS Beitrag zur
evangelikalen Ökumene-Debatte
Im Rückblick auf die Darstellung und Analyse der Kapitel der Kirchen- und
Dogmengeschichte, die bisher geschildert wurden, könnte man zu dem Schluss kommen: Das
Wesen des Dogmatischen ist dem Wesen nach die Uneinigkeit; wo es dogmatisch zugeht, ob
nun in der Reformationszeit oder im 20. Jahrhundert, herrscht demzufolge der Dissens.
BUCERS Vermächtnis als Konsenstheologe418 - de Kroon (1991:257) spricht vom
überkonfessionellen Charakter seiner Theologie - eröffnet hier eine neue Perspektive. Ziel der
folgenden Ausführungen ist die kritische Vergegenwärtigung von BUCERS Erbe419 unter
Berücksichtigung zeitgenössischer ökumenischer Ansätze, was allerdings nur am Rande
geschehen kann (ein Dialog zwischen BUCER und E. Schlink o. a. O. Cullmann wäre u. U.
reizvoll)420. Die Ergebnisse dienen vor allem, aber nicht nur, der Verhältnisbestimmung von
Einheit und Dogma innerhalb der evangelikalen Bewegung. Das Grundproblem, das sich
hierbei stellt, liegt wohl in der Tatsache, dass die Fragestellungen der geschilderten Epochen
zunächst einmal grundverschieden sind: Der Abendmahlsstreit bspw., der im Rahmen der
Christologie (und Ekklesiologie) stattfand, sieht sich dem Kampf um ein „schriftgemäßes“
(vgl. die Präambel des ÖRK) Missionsverständnis im Rahmen der Bestimmung von Heilsund Weltgeschichte gegenüber. Aktuelle Herausforderungen innerhalb der evangelikalen
Bewegung sind nach wie vor das Verhältnis von sozialem Auftrag und missionarischer
Verkündigung o. a. spezifische charismatische Anliegen im Rahmen der Pneumatologie oder
besser einer pneumatischen Praxis, die zuweilen für Irritationen sorgt. Die in der vorliegenden
417
Vgl. (in Auswahl) Douglas 1964; Ellingsen 1988:285-294; insbesondere zur Situation in den USA Grenz
1993:175-180; Krapohl und Lippy 1999, bes. :157-167; Fackre 1993, bes. :71-88; Stackhouse 2001:189-201;
Geldbach 2001, bes. :110-112; zur Situation in Großbritannien Tidball 1999:251-254 (einige der Studien sind
etwas tendenziös und neigen zu einer rein phänomenologischen Betrachtungsweise).
418
Präziser müsste man von einem Theologen, der ein Konvergenzmodell vertrat, sprechen (so Strohm
2001:115). Ob Bucer allerdings nur diese Weise des „ökumenischen“ Fortschritts kannte, mithilfe der
Konvergenzmethode die dogmatischen Differenzen in einer höheren Einheit aufzuheben, wurde diskutiert (s. o.
Kap. 2.2.2.4).
419
Auf einen ausführlichen Anmerkungsapparat wird dabei verzichtet, da es um eine systematischtheologische Synthese der bereits vorgetragenen Ergebnisse der Bucer-Forschung geht (Kap. 2.2.1.4 u. 2.2.2.4),
die für den mod. Evangelikalismus fruchtbar gemacht werden sollen.
420
Das hierbei Vorsicht geboten ist, steht außer Frage. Auf die Gefahr „künstliche[r] Synthese[n]“ damals wie
heute, weist nicht nur R. Stupperich hin (ohne Namensnennung, aber mit deutlichem Bezug auf E. Schlink;
1962:48, s. bes. Anm. 3).
153
Studie dargelegte Überzeugung besteht darin, dass BUCER nicht nur in materialdogmatischer
Hinsicht Einsichten von bleibender Bedeutung geliefert hat; sowohl für die theologische
Bestimmung von Einheit und Dogma als auch für den Umgang hiermit - die Art und Weise
des ökumenischen Gespräches - innerhalb der Kirche bzw. Gemeinde Jesu Christi.
4.1 Einheit und Caritas
Zu Beginn steht das Verhältnis von Einheit und Caritas, der Bedeutung der Gottesliebe für
eine in Gott gegründete Einheit der Christenheit. Häufig wird in diesem Zusammenhang auf
folgenden Ausspruch verwiesen: „In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus autem
caritas“ (neuerdings wird er dem kroat. Bischof und Theologen Markantun de Dominis, 15601624, zugeschrieben). Mit dieser Aussage ist die dogmatische Frage allerdings noch nicht
gelöst, worin sachlich der Unterschied zwischen necessariis und dubiis besteht? Die ganze
Bandbreite an Einheitskonzeptionen ließe sich unter diesem Diktum wiederfinden, ebenso ein
strikter Separatismus wie auch eine weitläufige Auffassung von ökumenischer Kooperation.
Erhellend ist erst die schwierige Festlegung, was zur ersten und was zur zweiten Kategorie
zuzuordnen ist.
Das Wahrheitselement des Satzes soll damit aber nicht geleugnet werden, in „omnibus
autem caritas“ stellt ohne Frage Anfang und Voraussetzung jeder Verständigung unter
konfessionsverschiedenen Christen dar. BUCERS Beitrag an dieser Stelle ist verkürzend mit
dem Begriff „Frömmigkeitsökumene“ zu titulieren, in seinem Sprachgebrauch nimmt der
Schlüsselbegriff „pietas“ eine hervorragende und spezifische Stellung gegenüber den anderen
Reformatoren ein (vgl. de Kroon 1991:125f; Spijker 1991:41). Aufgrund der Gottes- und
Nächstenliebe, die jedem Christen aufgetragen ist und die wahrscheinlich von niemandem
ernsthaft bestritten würde, ließe sich ein ökumenisches Miteinander kreieren, in dessen
Mittelpunkt eben die Caritas steht. 421 Die Wahrheit des Glaubens erweist sich dann in der
Liebe, wiederum ist die liebende Annahme des Bruders nur durch den wahren Glauben an
Christus möglich. B. Hamm (2003:97) resümiert:
„Weil die Liebe in Bucers Glaubensbegriff integriert ist, kann er auch umgekehrt den
Glauben in das Kriterium der Liebe integrieren. Oft erscheint daher nur noch die Liebe,
das Lebenszeugnis der Bruderliebe (caritas oder dilectio), als Kennzeichen und Maßstab
des Christseins.“
Dass BUCER darüber hinaus noch ein weiter gefasstes „Ökumeneverständnis“ vorzuweisen
hat, wurde verhandelt und wird in den nachfolgenden Kapiteln noch entfaltet. Mit der
421
Bucer kann daher so weit gehen und in den Religionsgesprächen (s. o. Kap. 2.2.2.2) das „Band der Liebe“
als drittes nota ecclesiae bezeichnen (Augustijn 1994:112).
154
erasmischen Betonung der Caritas, die das eigentliche Anliegen Christi widerspiegle und den
gesamten Bereich der kirchlichen Ordnungen und Vorschriften als Nebensache erscheinen
lasse (vgl. Greschat 1978:86), ist eine zentrale, aber noch nicht die ganze Erkenntnis BUCERS
in dieser Hinsicht angesprochen.
Aus der Frömmigkeitsökumene folgen mögliche gemeinsame Gespräche über
Schriftfragen, gemeinsames Gebet (vgl. den 15. Marburger Artikel), gemeinsame
Gottesdienste - ohne an dieser Stelle auf die Abendmahlsproblematik einzugehen - usw.; sie
gewinnen von hierher ihre einheitsstiftende Kraft. Dies sind alles Erfahrungen, die weder der
(D)EA noch dem LKWE fremd sind mit ihren Konferenzen und Konsultationen. Fragt man
nach weiteren Voraussetzungen und Konkretionen der Caritas für eine auf Frömmigkeit
gegründete Einheit unter Christen, so bietet BUCERS Auseinandersetzung mit LUTHER, ZWINGLI
u. a. genügend Hinweise und Anschauungsmaterial:
Immer wieder kann er beklagen, dass Dinge öffentlich verhandelt werden, ohne dass
vorher ein privater Austausch gesucht wurde und somit stattgefunden hat (vgl. nur Friedrich
2002:37.93). Ein Blick auf die evangelikale Streitkultur - hier kann nur für den deutschen
Sektor gesprochen werden -, z. B. in den einschlägigen Magazinen und Presseorganen oder
auf Gemeindeebene, offenbart, wie wenig die irenische Position eines Martin Bucers bekannt
ist, geschweige denn Anwendung findet. Die Frage steht im Raum, ob man sich hier nicht mit
der vermeintlichen Bekenntnistreue LUTHERS als dem protestantischen „Heiligen“ und seinem
Umgang mit Andersdenkenden stärker identifiziert. Schon in dem Anschreiben zur
vorbereitenden Konferenz der Gründungsversammlung der EA in Liverpool insistiert man:
„In Rücksicht auf unsere Vereinigung sollten wir uns vornehmen, hinfort in der Kraft
unseres Erlösers alle Dinge von der Art, wie die folgenden aufzugeben: alles gegenseitige
harte Beurteilen, Richten und Verdammen, alles Splitterrichten und alles Absprechen der
Christlichkeit. Ich könnte viele Belege aus Flugschriften und Zeitschriften von allen Seiten
und von ganz neuem Datum beibringen, in welchen viel solches Absprechen ist“ (zit. nach
Hauzenberger 1986:73).
Neben der Bedeutung der religiösen Presse für ein Klima ökumenischer Verständigung zu
sorgen (oder eben dieses zu vergiften), weist BUCER noch auf eine Art seelsorgerische Einsicht
hin: Die Bestrafung durch eigene Fehler reiche aus, andere müssen nicht noch etwas dazu tun,
indem sie diese öffentlich verhandeln und so immer wieder ins Gespräch bringen (vgl.
Friedrich 2002:255, Anm. 42 u. 43).
Einheit unter Christen - und das könnte man als eine grundlegende Erkenntnis bezeichnen,
betrachtet man BUCERS Leben und Werk - gibt es nur in personalen Bezügen, nicht als
statische
Größe,
die
über
allem
schwebt
(will
man
nicht
eine
manichäische
Einheitskonzeption konstruieren). Zeitlebens lebte und litt BUCER unter der Spannung zu
155
seinem Vorbild und Lehrer, Martin Luther. Dass er hieran auch seinen Anteil trug und nicht in
verklärender Weise als treuer Schüler, quasi Gnesiolutheraner, gezeichnet werden darf, wurde
erörtert. Trotzdem befindet sich hier eine Schnittstelle zwischen seiner Biografie und
Theologie; wurde ihm LUTHER doch zugleich zum Motor und zum Hindernis für eine
Verständigung im protestantischen Lager und darüber hinaus (vgl. Kaufmann 1993:251). Der
Bruch mit ZWINGLI trotz jahrelanger persönlicher Beziehung schmerzte ihn ebenso stark (vgl.
Friedrich 2002:87), die späte Kollision mit den Geschwistern Blaurer wäre hier ebenso zu
ergänzen.422 Dass sog. „Seilschaften“ innerhalb der evangelikalen Bewegung zerbrechen, trotz
oder gerade wegen jahrelanger Kampf- und Aktionsgemeinschaften, stellt eine Beobachtung
dar, die - mutatis mutandis - an die Wirren der Reformationszeit erinnert. 423 Neben echten
theologischen Konfliktpunkten müssen hier auch religionspsychologische Überlegungen
geltend gemacht werden. J. Stotts Einschätzung (s. o. S. 118), dass viele Evangelikale zu
Extremen neigen und, was ihr Temperament (oder Milieu?) betrifft, nicht zum Ausgleich fähig
sind oder ihn zumindest nicht suchen, wäre eine weitergehende Analyse wert.
Zurück zu BUCERS Widerfahrnissen: Betrachtet man den konkreten Streitpunkt der
rivalisierenden Parteien, so sieht man: Entgegen der Schärfe des Dissenses in der
Abendmahlsfrage entdeckt BUCER in der eucharistischen Gemeinschaft vor allem das
paulinische Konzept von „Koinonia“, das durch den Streit völlig konterkariert wird. BUCER
überträgt die „sakramentale(..) Dynamik des Abendmahles auf die ekklesiale Wirklichkeit der
‚communio sanctorum‘“ (Hammann 1991:134). Dabei verzichtet er selber nicht auf jede Form
von Polemik oder Methodik, um sein Anliegen voranzutreiben, wie dargestellt wurde (vgl.
2.2.1.1). Als Vorzeigeökumeniker kann er
hier in
methodischer
Hinsicht
nicht
uneingeschränkt dienen, sachlich liefert er aber einen Beitrag, der zur neuzeitlichen
Verständigung in der Abendmahlsfrage beitrug. BUCERS Blickwinkel in den Verhandlungen
und theologischen Disputen seiner Zeit ist stark gemeindeorientiert. Sein Anliegen, die Laien
- die „armen christen“ (Lenz, Bd. 1, 245, Nr. 90) - nicht zu verwirren mit dem „Streit um
Worte“ erscheint m. E. als ernstzunehmendes Motiv und keine bloße Taktik (vgl. Friedrich
2002:120.128 u. a.). Ebenso hält CALVIN als Schüler des Straßburgers Pfarrers den
innerevangelischen Lehrstreit an dieser Stelle als verheerend und dazu in der Lage, den Lauf
422
Hamm (1995:58) fasst typologisch zusammen: „Kohärenz als innere Gemeinsamkeit von Ideen,
Programmen und Veränderungen ist durchaus vereinbar mit Andersartigkeit, Divergenz und Konflikt, ja sogar
mit einer Feindseligkeit, die in Vertretern einer andersartigen Reformation die Agenten Satans und des
Antichristen sieht. Daß zwei Menschen oder Richtungen große Gemeinsamkeiten haben, schließt
erfahrungsgemäß nicht aus, daß sie sich erbittert bekämpfen können. Es ist oft gerade die gemeinsame
Grundlage, die dem Konflikt die ganze Tiefe von Enttäuschung, Verletztheit, Erbitterung und Haß gibt. Und so
kann ein partieller Gegensatz das Bewußtsein vom Ausmaß realer Gemeinsamkeit völlig verdrängen.“
423
Hammann (1991:111) gibt zu bedenken: „Bucer war sich stets bewußt, daß Gemütsbewegungen in
theologischen Streitigkeiten eine wenn auch nicht immer zugegebene Rolle spielten. Auseinandersetzungen, die
in Marburg protokolliert wurden, sollten in dieser Hinsicht besser berücksichtigt werden.“
156
des Evangeliums gänzlich zu stoppen. Eine bloße Einheit in der Negation - der Ablehnung der
altkirchlichen Positionen - schade nur der Glaubwürdigkeit der neuen Bewegung vor allem im
Volk (vgl. Busch 2005:120). Welche Implikationen diese Einsicht für die evangelikale
Bewegung nicht nur Lausanner Prägung mit ihrem dezidiert missionarischen Anliegen hat,
muss hier nicht näher erläutert werden (ein Gefälle hinsichtlich der Aufnahme dieser
Erkenntnis - „Lausanne 7“ - zwischen der Leitung und der Basis, z. B. im Falle der DEA ist
hier sicher nicht zu leugnen).
Dem Wesen der Caritas entspricht nicht nur die Wertschätzung des „gemeinen Manns“,
sondern generell des Gegenübers und seiner Positionen (auch wenn sie zunächst völlig
abwegig erscheinen). BUCERS Anfänge einer Dialogkultur, die er in seiner Sturm und DrangZeit unter Ulrich von Hutten u. a. einleitete, reiften durch seine Entdeckungen auf dem
Regensburger Reichstag im Gespräch mit den Altgläubigen: „Nur auf der Grundlage einer
gegenseitigen Anerkennung als Christen ist ein wirkliches Gespräch möglich, ein Gespräch,
das auch theologisch etwas austrägt“ (Augustijn 1980:48).
4.2 Einheit und Erkenntnis
Otto Hermann Pesch (2000:443; vgl. auch Haustein 2001:272f) konstatiert zu Recht in einer
Bestandsaufnahme zur ökumenischen Situation zu Beginn des 21. Jahrhunderts aus Sicht der
„professionellen“ Ökumeniker:
„Wir (…) täuschen uns womöglich über den ökumenischen Kenntnisstand selbst bei
Theologen und erst recht bei ‚normalen‘ Gemeindegliedern. Zwar wissen wir (inzwischen)
weithin, wo es ökumenisch ‚hakt‘, wo also von Gegensätzen die Rede ist, die angeblich
Kirchengemeinschaft verhindern [nun folgt eine Aufzählung klassischer Konfliktfelder].
Aber in helles Entsetzen kann man geraten, wenn man nachforscht, wie dabei die Lehre der
Schwesterkirche verstanden wird - was also der durchschnittliche katholische
Christenmensch für evangelische Lehre hält und der durchschnittliche evangelische für
katholische.“
Es ist ersichtlich: Erkenntnis - auch und gerade in einem biblisch-theologischen Sinne - setzt
zunächst einmal Wissen voraus. BUCERS Feststellung: „Alle wollen lehren, niemand will
lernen“ hat genau hier ihren theologischen und konfessionskundlichen Ort. In einer Erklärung
zum intellektuellen Versagen der amerikanischen Evangelikalen fordern M. Noll, C. Plantinga
Jr. und D. Wells in einer ihrer Abschlussthesen: „(4) Wir müssen mit der Suche nach
lehrmäßiger und theologischer Einheit aller Christen, die sich auf das apostolische Erbe und
den patristischen Konsensus berufen, vorankommen“ (in: JETh 13 1999:80). Eine Forderung,
die nicht nur für den nordamerikanischen Teil der evangelikalen Bewegung von Bedeutung
ist.
157
Das Verhältnis von Einheit und Erkenntnis stellt des Weiteren vor BUCERS
offenbarungspädagogische Fassung der gubernatio mundi (s. o. S. 42ff). Als streng
theozentrisch denkender Theologe geht BUCER von der menschlichen Erkenntnisschwäche
(„imbecillitatis“) aus, der gegenüber das gnädige und souveräne Walten Gottes steht. Dies
kann er auch in dem Scheitern der Konkordienpläne im Umfeld des Marburger Gespräches
entdecken; seine Schlussfolgerungen hieraus führen nicht zu einer Verschärfung der
dogmatischen Fronten, sondern, im Gegenteil, zu einem Rekurs auf die sog. „dilectionis
officia“. Die göttliche Offenbarungspädagogik, die BUCER als Pastoraltheologe hier am Werk
sieht, nimmt besonders die Erkenntnisstarken in die Pflicht gemäß der caritas o. a. dilectio zu
handeln. In seinen Worten (sinngemäß nach BCor IV, Nr. 273, 12, 26-29): „Je mehr jemand
mit der himmlischen Weisheit beschenkt worden ist, desto mehr ist derjenige herausgefordert,
dem Beispiel Christi folgend, sich den Unverständigen und Unerfahrenen anzupassen.“ 424
Würde man diesem Konzept uneingeschränkt Geltung verschaffen innerhalb der
evangelikalen Bewegung, würde jede Art von Erkenntnisvorsprung (ob nun vermeintlich oder
real) zu einer Zunahme an Liebe, Demut und Dienstbereitschaft gegenüber dem
andersdenkenden Bruder oder der Schwester führen; eine Forderung, die in den
Veröffentlichungen des LKWE immer wieder erhoben wird (vgl. nur LOP 24 u. 64)425.
Gott als Subjekt der Erkenntnis befreit zudem von der Illusion „wir könnten die einigende
Wahrheit herbeiführen“ (s. o. S. 43f). „Bekommt anders ein Mensch in allem, was er in
Sachen Gottes sagt, Recht, dann ist das, als nehme der Mond den Platz der Sonne ein, ohne
doch mit seinem Licht die Erde wie jene erleuchten zu könne [sic!]“ (zit. nach Bender
1975:167). Einem ökumenischen Semipelagianismus ist damit per se die Tür verschlossen,
BUCERS strenge Auffassung der Gottheit Gottes als Vordenker einer ref. Erwählungslehre
verbietet ihm diese Möglichkeit. Dennoch kennt er sehr wohl eine Methode im
„ökumenischen“ Prozess, um einen Fortschritt in der Erkenntnis auf beiden Seiten zu erzielen:
Die Argumente, die vorgebracht werden, sachlich bewerten, zunächst einmal zu verstehen
suchen und dann im Ausschlussverfahren zu gemeinsamen Standpunkten kommen. Sein
Interesse galt dem Wahrheitsmoment in der Argumentation des anderen. Ein Vorgehen, dass,
vereinfachend formuliert, zum Muster für viele bi- und multilaterale Gespräche im 20.
424
Natürlich spiegelt sich in diesem Ansatz wie bereits erwähnt ein gewisses Selbstbewusstsein wider. Neuser
(1998a:154f) führt anhand einiger Briefe die Argumentation Bucers weiter aus: Eine Akkomodation an die
„Schwächeren“ - in diesem Fall die Lutheraner - folgt ntl. Beispielen und führt zur Duldsamkeit gegenüber der
noch unreifen Erkenntnis in einer beiläufigen Frage, so die Bitte an Zwingli und die in Memmingen
versammelten Prediger.
425
Niemand anders als J. Stott hält pointiert fest, nachdem er seine Vorbehalte gegenüber der Ökumenischen
Bewegung dargelegt hat: „Trotzdem bin ich auch beunruhigt über die umfassende Verurteilung aller
ökumenischen Aktivität, wie sie von einem Großteil der Evangelikalen geäußert wird. Für mich steht fest, dass
wir nicht einfach den ganzen nichtevangelikalen Teil der Christenheit abweisen dürfen, als ob er nicht existieren
würde, oder, da er existiert, als nichtchristlich betrachten und beschließen können, dass wir mit ihm nichts zu tun
haben“ (zit. nach Tidball 1999:257).
158
Jahrhundert wurde.
Fasst man die Kirche bzw. Gemeinde mit BUCER als „Interpretationsgemeinschaft“ auf
(vgl. U. Luz zu dieser Formulierung), so erwächst Einheit auf der Grundlage von Erkenntnis
mithilfe gemeinsamen Hörens auf und Suchens in der Hl. Schrift. BUCER konnte so
verwundert H. Bullinger entgegnen, dass es doch schon immer Brauch gewesen sei, seit der
Zeit der Alten Kirche, in Konzilien Lehrfragen zu klären (Friedrich 2002:110; vgl. auch de
Kroon 1991:238). Dabei legte er mehr und mehr den Schwerpunkt auf regionale
Versammlungen
(Hammann
1991:116);
Anfänge
des
Synodalwesens,
das
wirkungsgeschichtlich noch von weitreichender Bedeutung sein sollte. Das gemeinsame
Hören auf die Schrift ist ein Ansatz, der wohl kaum eine protestantische Konfession (und eine
evangelikale Gemeinschaft) widersprechen würde, der aber dennoch der Betonung bedarf.
Der frühe Abendmahlsstreit (Kap. 2.2.1) und vor allem die Dialoge mit J. Gropper (Kap.
2.2.2) zeigen hierbei konkret die theologische Arbeitsweise BUCERS, seinen dialogischen
Ansatz (vgl. dazu auch das Bsp. Johann Amos Comenius’, in: Müller 2004:522).
BUCERS Vorgehen wirft gegenüber der evangelikalen Bewegung die Frage auf, wie es um
den Stellenwert der Exegese in ihr bestellt ist. Welchen Raum bekommt sie in einer
Bewegung, deren Markenzeichen historisch und dogmatisch das Schriftverständnis und
dessen Anwendung ist. Überdeutlich wurde bisher das theologische Ringen BUCERS - präzise:
der exegetische Aufwand -, um die Einheit der Christenheit wiederherzustellen; der Vorwurf
des Pragmatismus oder ein einfacher Formelschmied zu sein, greift nicht. CALVIN wird
unbestritten als Exeget ersten Ranges bezeichnet und erweist sich auch hier als Schüler
BUCERS. Ob es sich bei manchen aktuellen Auseinandersetzungen, z. B. innerhalb des LKWE
nicht schlichtweg um ein Aufeinandertreffen oberflächlicher Exegesen handelt, muss daher an
dieser Stelle gefragt werden dürfen. Der Gebrauch des Alten Testaments auf Seiten der sog.
„radikalen Evangelikalen“ wirft Fragen auf; aber auch die zuweilen konkordante Methode der
„exklusiven“ Evangelikalen in zahlreichen populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen
kann nicht unwidersprochen bleiben. Die generelle Kontroverse zwischen ÖRK und LKWE
um das Schriftprinzip und den Schriftgebrauch regt zur beidseitigen Überprüfung des
faktischen Schriftgebrauches an: Die Behauptung von evangelikaler Seite, dass das
altprotestantische Schriftprinzip „scriptura sacra est verbum dei“ de facto in den eigenen
Reihen Anwendung findet, lässt sich nur schwer aufrechterhalten (fast jede Haus- oder
Bibelstudiengruppe muss sich hier Anfragen gefallen lassen). Die Behauptung von
ökumenischer Seite, das Festhalten an dieser reformatorischen Einsicht sei reine
Repristination und trage den Erkenntnissen moderner Bibelwissenschaft nicht Rechnung,
muss sich allerdings ebenso die Frage gefallen lassen wie infallibel der menschliche
159
Erkenntnishorizont in dieser Hinsicht ist426; womit BUCERS Konzept von „imbecillitatis“
wieder aufleuchtet.
Mit seiner Neubestimmung von Häresie (s. o. S. 84f) liefert er einen völlig neuen Zugang
zum status dissentiendi, der Meinungskonflikt über mehr oder weniger wichtige Fragen des
Glaubens ist für ihn zunächst einmal Normalzustand in der Kirche Jesu Christi: Die immer
vorhandene Erkenntnisschwäche des Menschen führt zum „Zwang zur Häresie“ (in einem
genuin dogmatischen Sinne). Dies führt nach BUCER so weit, dass gerade der am schwersten
Irrende, der weit von der christlichen Wahrheit entfernt ist, in der subjektiven Überzeugung
befangen sein kann, in der wahren Lehre zu stehen. Oder pointiert mit B. Hamm (2003:91):
„Felsenfeste Gewißheit und Überzeugungstreue einschließlich der Bereitschaft, für die
Wahrheit zu leiden, sind daher nach Bucer kein Beweis dafür, daß man wirklich in der
Wahrheit steht. Irrt man doch oft gerade da, wo ‚man meinet, der sachen am
gewüsslichisten zu sein‘“ (BDS 3, 325, 9f).
Die Konsequenzen für die christliche Gemeinschaft (nicht nur Lausanner Prägung) sind
offensichtlich (nachfolgend nach :92): Zum einen eine konsequente Selbstrelativierung in
dem Bewusstsein, nicht unanfechtbar im Besitz der christlichen Wahrheit zu sein, zum
anderen die duldsame Rücksichtnahme auf das Gewissen und die Überzeugungen der
anderen, die nicht anders können, als innerhalb der Grenzen ihres eigenen Glaubens zu
denken, zu reden und zu handeln. BUCERS Ausweg aus diesem Dilemma ist das Gebet für sich
selbst und alle Irrenden um den Hl. Geist, der allein von Irrtümern befreien kann und die
Wahrheit lehrt (vgl. BCor IV, 279, 40, 33-37; 42, 9-14; 44, 11-14); das Herzstück seiner
Theologie, die Pneumatologie meldet sich zu Wort.
Da Gott sowieso nur in wichtigen Fragen den Menschen erleuchtet, also Erkenntnis
schenkt, jedoch nicht in sekundären - nach BUCER - sind viele Streitpunkte u. U. eine
theologische Debatte, aber niemals die Spaltung der Christenheit und den Verlust der Einheit
wert. D. h.: Perfide ist am Abendmahlsstreit bspw. für den Ireniker, dass es dem Wesen des
Mahles entsprechend um Einheit geht, aber nichts so sehr die Einheit bedroht wie der Streit
um das Mahl (vgl. Friedrich 2002:251, Anm. 19 o. a. BDS 3, 428, 2f). LUTHER widerspricht
hier vehement: Es geht nicht um sekundäre Fragen, sondern im Streit werden zentrale
theologische Anliegen anderer Topoi berührt (wie der Christologie)! Überhaupt fällt mit
einem Artikel die ganze Lehre als Summe des Glaubens (das Bild vom Ring oder der Glocke
wird hier verwendet; WA 54, 157, 25-34; 158, 28-159, 4; vgl. auch Sasse 1979:77). Der
Wittenberger Reformator weist auf die nicht zu leugnende dogmatische Frage hin: Ab wann
426
Lauster (2004:355f) zitiert aus dem Bericht der Kommission von Bristol 1967: „Während ihrer
exegetischen Arbeit entdecken Theologen manchmal, daß sie weniger repräsentative Vertreter ihrer
konfessionellen Standpunkte sind, als sie es zu sein glaubten oder zu Anfang waren. Dies kann geschehen, weil
sie bei der Exegese entdecken, daß die Schrift von solcher Art ist, daß (…) die Gültigkeit anderer Standpunkte
und Prinzipien der Auslegung als echte Antworten auf die Eigenarten des Textes anzuerkennen ist.“
160
sind „zentrale“ Anliegen nicht mehr zentral, da doch alle theologische Arbeit immer in
Berührung mit allen - wenn auch manchmal unreflektiert - Topoi steht? Die Bedeutung des
menschlichen Erkenntnisvermögens für die Chancen und Grenzen der Einheit unter Christen
leitet über zu der maßgeblichen Verhältnisbestimmung von Einheit und Bekenntnis.
4.3 Einheit und Bekenntnis
Das Verhältnis von Einheit und Bekenntnis ist das nach wie vor größte ökumenische
Hindernis, die gegebene Bekenntnisvielfalt innerhalb der Christenheit. Dem Wesen des
Glaubens entspricht es, sich zu äußern und auch zu reflektieren, womit das Dilemma von
Lehrüberzeugungen, die gegeneinander stehen, seinen Lauf nimmt. Eine „naive“
Frömmigkeitsökumene, die z. B. auf den gemeinsamen liturgischen Konsens baut und sich
durch eine einfache Theologie erhält, wäre hier ein Ausweg, den BUCER nicht beschritten hat.
Demgegenüber steht ein anderes Konzept: Dem Verhältnis von Orthodoxie und
Orthopraxis gilt BUCERS besonderes Augenmerk - als „Pietist“ unter den Reformatoren (die
Problematik wurde besprochen). In Kürze kann er den Sinn theologischer Besinnung in
seinem Johanneskommentar definieren: „Vera Theologia non est theoretica vel speculativa,
sed activa et pracitca“ (zit. nach Müller 1965:132; vgl. auch Schiess, Bd. 1, 648). Ein
Anliegen, das am Rande nicht ungewöhnlich für die spätere sog. Orthodoxie war und sicher
ein Spezifikum des Pietismus ausmachte. Die Lausanner Bewegung und ebenso die DEA
rekurrieren nach eigener Auskunft immer wieder genau auf diese Übereinkunft von Lehre und
Leben. Inwiefern hier im BUCER’SCHEN Sinne subjektive und objektive Seite des Glaubens
zusammengehalten wird, notia, assensus und fiducia, stellt eine offene Fragestellung dar. 427
Der schmale Grat zwischen Intellektualismus und Empirismus, der, verlässt man die hohe
Abstraktionsebene, zu dem beliebten Streit zwischen theologischer Spitzfindigkeit und
pragmatischen Diensteifer führt (vgl. 4.4), ist für BUCER kurzgefasst kein Gegensatz; an dieser
Stelle denkt und handelt er komplementär (vgl. Friedrich 2002:76 u. a.). Im Blick auf einzelne
Loci lässt sich, von hierher kommend, festhalten:
Im Bereich der Ekklesiologie als dem zur Zeit schwerwiegendsten Problem für die
ökumenische Verständigung innerhalb des Korrelats von Einheit und Bekenntnis erweist sich
BUCER als überaus „moderner“ Theologe. Sein Versuch diesen Locus im 16. Jahrhundert in
427
Die Durchsicht der Dokumente des LKWE offenbart eine Akzentverschiebung von der theologischen
Reflexion hin zu praktisch-missiologischen Anliegen (vgl. 3.2.2.1.7), deren Wert und Notwendigkeit in keiner
Weise bestritten werden soll. Theologische Weiterarbeit in ökumenischer Absicht in Form von exegetischen
Untersuchungen, systematisch-theologischen Erörterungen usw. und deren Konsequenzen für die evangelikale
Asketik als Zentrum einer Frömmigkeitsbewegung, ist damit jedoch noch weiterhin nötig.
161
den Mittelpunkt zu stellen,428 macht ihn zum Gesprächspartner erster Klasse, auch für die
Debatten im modernen Evangelikalismus. Schon die ekklesiale Wirklichkeit damals
(Gottesdienstgestaltung, Taufform usw.) offenbarte vorhandene Differenzen, die nicht durch
geschickte Formulierungen auf Dauer retuschiert werden konnten („Wormser Buch“; vgl.
Ortmann 2003:137). Die ekklesiale Wirklichkeit heute im Kontext missionarischer
Bemühungen offenbart ebenso die nach wie vor bestehenden Differenzen, die in den letzten
400 Jahren nicht einfach ausgeräumt werden konnten. Die Frage von Seiten evangelikaler
Theologen des LKWE und der DEA, ob sich die Evangelikalen nicht vor der theologischen
Aufgabe drücken, einer ekklesiologischen Grundierung ihrer praktizierten Ökumene
nachzugehen, entspricht daher ganz dem Anliegen BUCERS. Die Kritik an E. Käsemann bspw.
fällt u. U. leicht, die Fragestellung bleibt aus evangelikal-ökumenischer Perspektive jedoch
bestehen: Können wir gemeinsam noch mehr über die Kirche und die Kirchen aussagen als
bisher?429
Bucers Soteriologie ist hinsichtlich der Rechtfertigungslehre doppelt bestimmt durch seine
zweifache Fassung der Rechtfertigung (zur präzisen Bestimmung s. o. S. 67, Anm. 205); eine
Auffassung, die Eingang gefunden hat in die GER. Aus evangelikaler Sicht lässt sich hierzu in
aller Kürze festhalten: Von einigen eher pietistisch geprägten Theologen wurde diese an den
5. Art. des „Wormser Buches“ erinnernde Kompromissformel freundlich aufgenommen, die
sog. „Früchte des Glaubens“ finden Berücksichtigung und dienen als Verständigungsbrücke
428
Kantzenbach (1957:123) kann formulieren: „Er hatte ein ausgesprochenes Charisma für den Kampf um die
Einheit der Kirche Jesu Christi.“ Luther konnte ihm daher die Sorge um dieses Terrain auch ausdrücklich
überlassen (vgl. WA 8, 157f).
429
Von J. Eber wurde der Versuch unternommen, Grundstrukturen einer evangelikalen Ekklesiologie auf
Allianzbasis zu entwerfen, zumindest in nuce: Ausgehend von der zur Zeit pragmatischen Haltung in einigen
älteren Brennpunkten - wie der eucharistischen Gastbereitschaft baptistischer Gemeinden für Mitglieder der
Landeskirche uvm., gelangt Eber (2006:221) zu der Feststellung: „Entweder werden bestimmte theologische
Positionen als falsch verworfen, und es werden die entsprechenden praktischen Folgerungen daraus gezogen,
weil keine Kirchengemeinschaft möglich ist. Oder theologische Differenzen werden nicht mehr als
kirchentrennend eingestuft, und die Kirchen- bzw. Gemeindeleitungen erklären öffentlich die volle
Kirchengemeinschaft, zum Beispiel durch einen gemeinsamen Abendmahlsgottesdienst.“ Grundsätzlich einigend
soll die Überwindung der Diastase im Kirchenbegriff zwischen Institution und/oder Ereignis dabei wirken (J.-L.
Leuba dient hier als Ideengeber; s. o. S. 148). Von hierher kommend entfaltet Eber (1998:205-218) sein Konzept
von „Gottesdienst als Kirche“ und „Kirche als Gottesdienst“ (wohl z. T. unter Rückgriff auf Schlink 2005:572578; vgl. auch Eber 1993:147f) mit dem Bemühen volks- und freikirchliche Ansätze und Strukturen zu
berücksichtigen, die für die „Allianz“ nun mal maßgeblich sind. Die Folgerungen hieraus sind beachtenswert. Im
Hinblick auf die Frage nach der Apostolizität der DEA und der ihr nahe stehenden Gemeinden kann er schließen:
„Apostolizität der Kirche heute heißt nicht Freiheit von der Institutionalität, sondern Freiheit zur Ausformung
verschiedener institutioneller Gestalten auf der Grundlage gemeinsamer gottesdienstlicher Strukturen“ (Eber
1998:218; Hervorhebung im Original). In dreifacher Hinsicht kann die Allianz demnach „ökumenischen“ Fragen
neu begegnen: 1. Das Gespräch mit Kirchen, nicht nur Einzelpersonen wird ermöglicht, auf der Grundlage der
ekklesiologischen Übereinkunft, 2. Die Zusammenarbeit mit zweifelhaften, beinahe sektiererischen
Gemeinschaften erhält einen Rahmen zur Beurteilung und ggf. Absage der Mitgliedschaft, 3. Die enge Prägung
als „religiöser Spezialverein“ wird aufgesprengt durch die Erweiterung des Bewusstseins für die Teilhabe am
universalen Leib Christi und dem himmlischen Gottesdienst - eine echte Katholizität stellt sich somit ein (:219).
Die Frage steht natürlich im Raum bei dieser Ausformung der Ekklesiologie mit Konzentration auf den
Gottesdienst als ekklesiale Mitte, wie sich ein weniger hochkirchlicher Ansatz, der gegen diese Gewichtung des
Gottesdienstes systematisch-theologische (und damit auch exegetische) Einwände vorbringen könnte, zu dieser
„neuen“ Allianz-Ekklesiologie verhalten würde.
162
zur kath. Fraktion (ob die sichtbare Seite des Glaubens damit formal und material an der
richtigen Stelle zum stehen kommt, stellt immer noch einen Diskussionspunkt dar). Aus
neoluth. Perspektive wird das Ergebnis der GER an diesem Punkt nach wie vor abgelehnt,
grob skizziert aufgrund der nicht gelösten causa-secunda-Problematik, die einem Verrat an der
„ursprünglichen“ luth. Rechtfertigungslehre gleichkommt. Hier muss der Vermittlungsversuch
BUCERS im neuen Gewand (m. E. wird nirgendwo innerhalb der GER der Straßburger explizit
erwähnt, sachlich jedoch aufgegriffen; vgl. S. 104, Anm. 325) als gescheitert angesehen
werden.430
Die Pneumatologie BUCERS konnte im Rahmen dieser Untersuchung nur angerissen
werden, sie erscheint allerdings interessant im Hinblick auf aktuelle Fragestellungen im
Kontext des LKWE (und der DEA). Mit dem Wirken des Hl. Geistes als zentrales Moment in
seiner Theologie weist BUCER - ohne in eine „schwärmerische“ Spaltung von äußerem und
innerem Wort zu verfallen (vgl. Spijker 1991:13f) - der weiteren frömmigkeits- und
theologiegeschichtlichen Entwicklung einen Weg. Sein Geistbegriff steht naturgemäß unter
ganz anderen voridealistischen Voraussetzungen als derjenige eines evangelikalen
Charismatikers im 21. Jahrhundert; seine „geistliche“ Praxis in dieser Hinsicht ebenso. Beiden
gemeinsam ist allerdings die Entdeckung der erneuernden Kraft des Glaubens, eines
Heilsoptimismus, der damals wie heute Bewegungen und ihnen folgenden theologischen
Schulrichtungen Bahn bricht. Beiden muss allerdings auch die Frage nach der Bedeutung des
Kreuzes in ihrer Theologie und Praxis gestellt werden, eine Frage, die BUCER von niemand
anderem als LUTHER vorgehalten wurde, der zu viel „gaischt, gaischt“ in seinen Predigten
vernahm.431
BUCERS Bekenntnis zur Einheit ist nicht kernlos: Er hat klare Vorstellungen von den
„Grundwahrheiten“ (vgl. Cullmann 1990:34-45), einem ökumenischen Konsens, der zur
Weiterarbeit und Glaubensgemeinschaft befähigt (s. o. S. 40f) und christologisch grundiert
und zentriert ist.432 Allerdings benennt er die Adiaphora nicht immer konkret und abschließend
430
Friedrich (2002:186) unterstreicht dies und sieht den Grund für das Scheitern damals wie heute kurzgefasst
in der thomistischen Terminologie, die ein luth. „sola fide“ nicht recht zu fassen vermag. Greschat (2009:168)
sieht hierin dagegen gerade die Genialität Bucers, „das reiche Erbe der theologischen Tradition sowohl
aufzunehmen als auch in überzeugender Weise für sein Streben nach kirchlicher Einheit zu nutzen.“
431
Pointiert fasst Hammann (1991:339) zusammen: „Eine infolge der Pneumatologie zu sehr auf den erhöhten
Christus zentrierte Christologie kann den Traum von einer idealen Kirche wecken, die wir aus Perfektionismus
realisieren wollen, so daß wir uns wie die anderen mit strengen und uneinlösbaren Forderungen quälen, die im
Pessimismus und schließlich in einer fatalistischen Haltung enden. Eine ausgeglichene Christologie zwischen
Kreuz und Auferstehung, Leiden und Herrlichkeit, Realität und Verheißung läuft auf eine ausgewogene
Ekklesiologie hinaus, in der die Kirche so genommen und geliebt wird, wie sie ist und die sich darauf freuen
kann, was sie immer mehr wird – denn die Kirche schreitet nur in dem voran, was sie ist.“
432
McGrath (2010:37) argumentiert durchaus im Bucer’schen Sinne, wenn er angesichts der postmodernen
Herausforderungen für die Kirche, folgert: „Durch die gesamte Geschichte des Christentums zieht sich sich eine
lange Debatte über das Verhältnis des Zentrums zur Peripherie des Glaubens. Die Diskussion über die Grenzen
des Glaubens und darüber, wem deren Festsetzung obliegt, ist natürlich wichtig. Dennoch kann daraus
manchmal der Eindruck entstehen, dass es im Christentum hauptsächlich um theologische Definitionen und die
163
und erstellt auch keine Liste der neccesaria. Man könnte u. U. bei BUCER von einer
Unterscheidung
zwischen
Glaubenssätzen
sprechen,
die
„dogmatikos“
oder
eben
„gymnastikos“ aufzufassen sind (eine Differenzierung von J. G. Hamann). Ob ein consenus
antiquitatis, den BUCER mit MELANCHTHON im Ansatz propagierte, möglich ist und wo hier die
Grenze zu ziehen wäre (bis zum vierten oder zum siebten ökumenischen Konzil?), bleibt eine
offene Fragestellung. Anrich (1914:84) attestiert BUCER die Vorstellung von einem „idealen
Protestantismus“, der gereinigt von den mittelalterlichen Auswüchsen zurück findet zu dem
Wesen der der ntl. Urkirche und der Alten Kirche der ersten vier Jahrhunderte. 433 Kantzenbach
(1957:245; Hervorhebung von mir) steht diesem Ansinnen kritisch gegenüber, wenn er
ausführt:
„Um zu einer Einigung der Konfessionen zu kommen, kann man nicht doktrinär eine
Periode von fünfhundert Jahren als Idealperiode festsetzen und diese zum gemeinsamen
Fundament der Kirche deklarieren. Man kann auch nicht Dogmen, dekretiert durch
ökumenische oder andere Synoden, einfach als unwandelbare Basis akzeptieren. Der Weg
interkonfessioneller Auseinandersetzung führt nicht zuerst über den Wortlaut von
Symbolen, sondern in die Heilige Schrift. Jede Zeit ist neu zur Heiligen Schrift.“
R. Hilles Äußerungen zur evangelikalen Katholizität sind zu kryptisch, um eine Tendenz in
diese Richtung von dt. evangelikaler Seite feststellen zu können (G. Maier geht hier m. E.
einen kleinen Schritt weiter, in: ETM 9/1 2003). Thomas C. Oden vertritt als
nordamerikanischer evangelikaler Theologe im weitgehenden Sinne einen Ansatz, den man
als Paläoorthodoxie bezeichnen kann (die von ihm hrsg. umfassende Reihe zur KirchenväterAuslegung der Hl. Schrift unterstreicht dies). Von seiner Warte aus richtet sich die Kritik an
der ökumenischen Großwetterlage in alle Richtungen:
"Weder der ÖRK noch die WEA verkörpern angemessen das Gebet unseres Herrn, dass
wir ‚alle eins sein‘ sollen. Der Genfer Weltkirchenrat habe den Schatz einer plausiblen
ökumenischen Vision verspielt. Die WEA anderseits, in der die Eigenständigkeit der
einzelnen Gemeinden hochgehalten werde (Kongregationalismus), habe die ‚historische
Vision von der Einheit der Christen noch nicht genügend erfasst‘. Die Evangelikalen seien
sich auch noch nicht bewusst, wie ihr Zeugnis in der Kirchengeschichte (der Geschichte
der ‚alten‘ Kirchen) verwurzelt sei.“434
„Einheit und Bekenntnis“ verweist nicht nur auf den möglichen Kern, sondern auch die
Notwendigkeit, mit ihnen konform zu gehen, geht. Doch eigentlich definiert sich das Christentum in erster Linie
über sein Zentrum und erst in zweiter Linie über seine Grenzen. Und was im Zentrum des christlichen Glaubens
liegt, ist die lebendige Realität Gottes, die in Christus bekannt und zugänglich gemacht ist.“
433
Man könnte mit Weinrich (2005:203), der sich allerdings auf Calvin konzentriert, von dem „Bekenntnis der
Frömmigkeit“ sprechen, um das Bucer’sche Verständnis von Katholizität angemessen wiederzugeben. Konkret
bedeutet das für Calvin: Wo das Credo gesprochen wird, tritt die universale Kirche in Erscheinung, selbst, wenn
es nur von einem einzigen gesprochen würde (Inst. IV 1, 9; vgl. auch WA 47, 235f).
434
Das Zitat stammt aus dem Mitteilungsblatt der Indischen Evangelischen Allianz (Online im Internet:
http://www.jesus.ch/index.php/d/article/108/5881/ [Stand: 22.02.2012]). T. C. Oden kann sogar den Versuch
unternehmen, eine ökumenische Pastoraltheologie zu entwerfen (1983. Pastoral Theology: Essentials of
Ministry. San Francisco: Harper & Row, bes. S. 10ff [Can an ecumenical centrist pastoral theology be
developed?]).
164
Grenzen gemeinsamer Bekenntnistreue: Ordnet man das Ergebnis der protestantischen Partei
bei den Verhandlungen in Regensburg bzgl. Art. 14 in einen größeren Gesamtzusammenhang
ein, liegt der erkenntnistheoretische Schluss nahe: Man fand zwar zu einer Einheit in der
Negation - strikte Ablehnung der Transsubstantiationslehre -, aber nicht in der Position; die
innerprotestantische Vielfalt hinsichtlich der Abendmahlslehre blieb vorerst bestehen. M. a.
W.: Eine extreme Sicht wurde zwar kollektiv ausgeschlossen, eine Übereinstimmung im Kern
der Sache zu finden, schien aber dennoch nicht möglich zu sein (s. o. S. 68f). Dies erinnert
praeter propter an das Vorgehen der sich formierenden evangelikalen Bewegung gegenüber
dem ÖRK. In der Negation, der Ablehnung des Säkularökumenismus konnte große
Übereinkunft erzielt werden zwischen den verschiedenen Ausrichtungen evangelikaler
Bewegung, in den Positionen liegt mit der LV das aktuelle Konzentrat evangelikaler
Theologie vor, das allerdings weiterhin anhand einzelner Paragraphen kontrovers diskutiert
wird (im Moment insbesonders anhand Art. 5). H. Blochers Modell zur perspektivischen
Gewichtung einzelner Lehraussagen könnte hier bei Weiterentwicklung einen wertvollen
Beitrag für die Zukunft leisten. Mögliche Erweiterungen und Modifikationen wurden als
Anregung erwähnt (s. o. S. 139f). Im Grunde genommen müsste das Modell statt eines
Kreises eine Kugel abbilden, um die Mehrdimensionalität und Komplementarität einzelner
christlicher Doktrinen widerspiegeln zu können (vgl. die Gegenüberstellung, in: Schirrmacher
2006:11). Hilfreich zur Konstruktion eines solchen Globus’ ist u. U. die sog. „Aspektive“,
eine besondere multiperspektivische Form des Erkennens, deren Wurzeln in den alten
vorderen Orient reichen.435
BUCERS Konzept von Minimalreformation als zunächst realistisches Teilziel im Vertrauen
auf die auctoritas causativa des Wortes Gottes, dem der weitere Gang der Ereignisse
überlassen wird, erlaubt dabei dogmatische und auch praktische Missstände auszuhalten und
nicht sogleich ändern zu müssen (vgl. Greschat 2009:171). An dieser Stelle erinnert der
evangelikale Separatismus an die Bilderstürmer der Reformationszeit und ihren konsequenten
Umgang mit dieser Spannung.
4.4 Einheit und Dienst
Der Allianz-Gedanke mit seiner Betonung von Gebet, Gemeinschaft, aber auch gemeinsamem
Dienst findet in BUCERS Theologie und Einheitsauffassung einen frühen Vorläufer. Wenn der
435
Stuhlmacher (2002:245) erklärt: „Unter Aspektive versteht man die im ganzen vorderen Orient und
Juden(christen)tum übliche Erschließung eines Sachverhaltes mit Hilfe der vielen z.T. kohärenten, aber auch
widersprüchlichen Einzelaspekte, die er besitzt (…). Sie erschließen ein Geschehen oder einen Gegenstand
perspektivisch im Abtasten und schrittweisen Erfassen seiner Teile, und zwar auch dann, wenn sich dabei
scheinbare oder wirklich widersprüchliche Aspekte ergeben.“
165
Reformator auch sicher nicht einen überkonfessionellen Verein wie die EA im Blick seiner
Unionsbemühungen hatte, so ist ihm doch das Leben der Kirche, ihr Dienst nach innen und
außen, die maßgebliche Kategorie (vgl. de Kroon 1991:255). Greschat (2009:194) resümiert:
„Wenn das auch vielleicht eine Illusion war [sc. hierauf eine ökumenische Verständigung
zu bauen], so haben sich ihr doch immer wieder bedeutende Persönlichkeiten hingegeben,
bis hin zur ökumenischen Bewegung im 20. Jahrhundert. Denn darum ging es Bucer:
dogmatische Fragen, so grundlegend sie waren, doch nicht an sich zu behandeln, sondern
ihre Bedeutung und Notwendigkeit im Zusammenhang mit der Ethik, der Tradition, dem
Brauchtum, kurz dem Leben der Kirche auszulegen und zu entfalten.“
Für gewöhnlich, verwendet man z. B. die Begriffe Makro- und Mikroökumene, stellt das
gemeinsame Dienen auf der Mikroebene heutzutage kein größeres Problem mehr dar, aber ein
Schulterschluss auf Makroebene ist deshalb noch kaum denkbar. Missionarische und
diakonische Projekte sowohl innerhalb des LKWE und der DEA als auch außerhalb in
Kooperation mit Partnern, die man nicht dem evangelikalen Spektrum zuweisen kann, stellen
zunächst vor keine großen Herausforderungen in dogmatischer Hinsicht. Doch selbst diese
pragmatische Form der „Ökumene“ stößt naturgemäß immer wieder auf theologische Fragen
im Miteinander, die nach Klärung verlangen.
Mit dem Diktum: „Die Lehre trennt - aber verbindet das Dienen?“ 436 steht die alte Anfrage
unter anderen Vorzeichen vor der evangelikalen Bewegung. Der zentrale Begriff
„Zusammenarbeit“ (cooperation), quasi als Schlüsselwort der Lausanner Bewegung im
Zusammenhang mit Art. 7, muss sich daraufhin überprüfen lassen, ob es sich bei dieser Art
der evangelikalen Übereinkunft nicht um einen Einigungspraktizismus handelt, der in der
Gefahr steht, in den konkreten ökumenischen Fragen stecken zu bleiben (vgl. Rouse und Neill
1963:101). Die Bedeutung und der theologische Gehalt der LV als „ökumenisches“ Dokument
soll damit in keinster Weise geschmälert werden, die Lausanner Praxis jedoch auf ihren
Stellenwert des Dienstes hin reflektiert werden.
Feststeht: Eine Einheit, die in der Gemeinsamkeit der einen Erfahrung begründet ist,
schafft keine gewisse Einheit von Dauer (vgl. Hahn 1988:286f). Die Übermacht des
Empirischen, nicht erst mit der sog. empirischen Wende in der Praktischen Theologie, stellt
auch die Essenz eines evangelikalen Einheitsverständnisses auf die Probe. Damit soll keiner
Abwertung der Empirie als wesentlichem Teil der christlichen Existenz das Wort erteilt
werden. Theologisch gesprochen kann sie allerdings auch zum Peirasmos für die
Glaubensgewissheit werden (:295f) und letztlich die Mitte des Glaubens, die erst geistliche
Einheit konstituiert, verdrängen.
436
Vgl. zu dieser Formulierung bei Bucer Hamm 2003:100.
166
4.5 Einheit und Vollendung
H. Blocher (in: Beyerhaus 1974:517) fragt betroffen, ob die verschiedenen evangelikalen
Modelle in eschatologischer Hinsicht nicht die „eine Hoffnung“ (Eph 4,4) ins Wanken
bringen, die gemeinsame Hoffnung auf Vollendung der Schöpfung. Blochers Überzeugung ist:
Mit den vorhandenen Differenzen stehen nicht nur Spezialfragen im Rahmen der
verschiedenen Modelle und „Fahrpläne“ im Raum, sondern auch die Frage nach der
Vermittlung der einen Hoffnung gegenüber einer Welt ohne Hoffnung (um einmal das
Sprachjargon Billy Grahams u. a. aufzugreifen).
Im Hinblick auf das Verhältnis von Einheit und Vollendung lässt sich demnach festhalten:
Der eschatologische Vorbehalt gilt hier erst recht so wie in der Soteriologie; die Frage lautet,
wie pessimistisch man die Chancen auf eine Realisierung der sichtbaren Einheit einschätzt
(theologia crucis) oder wie optimistisch (theologia gloriae). Letzteres scheint eher BUCERS
Ansatz zu entsprechen. Mit seiner Minimalreformation als Nahziel betrachtet er die „gantze
reformation“ nicht automatisch als eschatologisches Moment, sondern ein Geschehen, das
realiter stattfinden kann (vgl. Bender 1975:153). BUCER rechnete zu seinen Lebzeiten - wie
LUTHER mit der Parusie - mit einer möglichen Wiedervereinigung der Konfessionen; eine
Hoffnung, die streng historisch betrachtet nicht gänzlich auszuschließen war. Analog dazu
konnte er im Abendmahlsgeschehen den eschatologischen Horizont entdecken, der auch jetzt
schon, nicht nur verborgen, sondern gegenwärtig, durch den sich schenkenden Christus
Wirklichkeit geworden war (Hammann 1991:131f). Im Hintergrund seiner eschatologischen
Überlegungen steht die erasmische Unterscheidung von Letztem und Vor-Letztem, die für ihn
zum Schlüssel in seiner Konzentration auf das Wesentliche wurde (Krüger 1993b:587) und
eben nicht zur Weltflucht, sondern Weltgestaltung in den vorliegenden Strukturen führte
(Greschat 1978:90)437. Dies erinnert an R. Frielings (2004:91) ökumenische Theorie, die
zwischen vertikaler und horizontaler Ebene unterscheidet: Alles Ringen um die rechte
Konfession und den wahren Glauben spielt sich auf der Horizontalen ab; die Vertikale bleibt
davon unberührt, sie gehört zum Bereich des Letzten und ist unverfügbar, wenn auch nicht
unerreichbar. Die menschlichen Bemühungen um Einheit unter Christen, ob nun vonseiten des
ÖRK oder des LKWE, stehen damit aber auch vor und unter der endgerichtlichen Scheidung
Gottes (vgl. Slenczka 1998:427).
Nicht nur aus Sicht der evangelikalen Separatisten fehlt ein letztes Kapitel, das hier
zumindest Erwähnung finden soll. Die Frage nach „Einheit und Häresie“, die D. Bonhoeffer
der Ökumenischen Bewegung buchstäblich vorwarf, verweist wiederum auf die Vorläufigkeit
und Unausgegorenheit jeglicher Einheitskonzeption, ob nun im evangelikalen oder
437
Zur Wiederherstellung der Schöpfung, die Bucer radikaler sieht als Thomas von Aquin vgl. de Kroon
1991:249f, bes. Anm. 88.
167
ökumenischen Kontext (um die alte Polarisierung wieder aufzugreifen). Gerade im Hinblick
auf den locus classicus Heb 2,5 wird die Kritik nicht nur der sog. bekennenden Evangelikalen
laut (vgl. Sauerzapf 1975:212f), dass mit jedem Versuch die alte „Reichsökumene“ eines
Alexander d. Großen oder der römischen Cäesaren im neuen Gewand (aus ihrer Sicht: ÖRK,
UNO usw.) wieder auferstehen zu lassen, Eschatologisches geschieht - allerdings nicht im
Sinne der einen Hoffnung. Mit LUTHER gesprochen unterliegt der Mensch hier der tentatio,
das unverfügbare Reich Gottes „methodisch“ herstellen zu wollen (vgl. zu den Konsequenzen
Pöhlmann 2002:340f). Die letztliche Trennung von wahrer und falscher Kirche ist jedoch jetzt
noch nicht möglich, nur eins bleibt zu erwarten; die eine, heilige, katholische und
apostolische Kirche wird sich durchsetzen.
5. Ergebnis und Ausblick
Thesenartig soll mit diesem abschließenden Kapitel eine grundlegende Zusammenfassung der
Ergebnisse und ein kurzer Ausblick auf alte und neue Forschungsdesiderate unternommen
werden. Die vorliegende Untersuchung hat zu folgenden Ein- und Aussichten geführt:
Mit den Unionsbemühungen des Reformators Martin Bucer, eingebettet in seine Biografie
und sein theologisches und kirchenpolitisches Schaffen, liegt ein Lebenswerk vor, das nicht
nur für die evangelikale Bewegung und ihre Ausrichtungen von bleibender Bedeutung ist. Das
spannungsreiche Mit- und Gegeneinander im Chor der übrigen Reformatoren und später ihrer
Nachfolger, prägte die Position BUCERS nachhaltig und verhalf ihr zur Lokalisierung „in der
Mitte“. Ob und inwiefern dieser Locus angemessen BUCERS Wirken und seine eigene
Wahrnehmung widerspiegelt wurde diskutiert und stellt eine nach wie vor kontrovers
behandelte Fragestellung in der Forschung dar.
Innerhalb des ersten Abendmahlsstreites entwickelt sich seine Stellung zur Kontroverse
anhand der theologischen Topoi, aber auch der persönlichen Erfahrungen im Umgang mit
LUTHER, ZWINGLI u.a.. Als Höhepunkt in dieser Hinsicht darf die Zeit nach dem Marburger
Religionsgespräch bezeichnet werden, die BUCER zu grundlegenden dogmatischen Einsichten
führte, gewonnen aus der Reflexion seiner Lage und die der protestantischen Welt im
damaligen Reich.
Im Gespräch mit den Altgläubigen konnte BUCER im Rahmen seiner Vorstellungen von
einer Minimalreformation weite Strecken im Entgegenkommen zurücklegen. Das
theologische Ringen dabei, wie schon zuvor im Abendmahlsstreit im Zusammenhang mit der
est-significat Debatte, nun, vor allem im Hinblick auf die Rechtfertigungslehre, unterstreicht
168
sein über das kirchenpolitische Engagement hinausgehende Interesse. Unpolitisch war er
damit keineswegs, einem blinden und „billigem“ Unionismus verfallen aber ebenso wenig.
Das
Scheitern
des
Kölner
Reformationsversuchs
offenbart
die
Komplexität
der
unterschiedlichen Motive und Anliegen, die auf die reichspolitisch, letztlich militärisch
bestimmte Wirklichkeit trafen.
Von einem frühen Ökumenismus im Falle BUCERS zu sprechen, hinterlässt den
zwiespältigen Eindruck eines Anachronismus. Die Rede von einem frühen Ireniker ist
angemessener, soweit der Begriff Irenik im Zusammenhang mit dem Programm BUCERS
genauer erläutert und definiert wird. Konkrete Ansätze für bi- und multilaterale Gespräche
durch den Straßburger Pfarrer können als innovativ bezeichnet werden, seine Hervorhebung
der Ekklesiologie und der hiermit verbunden Implikationen für die Praxis bereits im 16.
Jahrhundert ist wegweisend.
Die evangelikale Bewegung steht seit ihren Anfängen im historischen Strom ökumenischer
Bewegungen. Diese Tatsache hat nicht immer genügend Berücksichtigung gefunden oder ist
teilweise in Vergessenheit geraten. Mit der Formierung des ÖRK traten dabei
fundamentaltheologische Fragestellungen in den Vordergrund, die auf der einen Seite eine
Form des Säkularökumenismus und auf der anderen eine Option für eine heilsgeschichtlich
bestimmte Missionstheologie entstehen ließen.
Im Hinblick auf diese „alten“ Polarisierungen kann mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts
von einer Entspannung die Rede sein. Handelt es sich zunächst einmal um eine klimatische
Veränderung, so sind die theologischen Weichenstellungen und gegenseitigen Zugeständnisse,
besonders im Hinblick auf die globale Bedeutung der sog. „radikalen Evangelikalen“, noch
nicht abschließend auszumachen.
Das Lausanner Komitee für Weltevangelisation hat im Rahmen seiner Kongresse und
Konsultationen
von
Anfang
an
die
Problematik
von
Einheit
und
Diversität
bekenntnisverschiedener Christen, Kirchen und Verbände mitbedacht. Henri Blochers Modell
zur Gewichtung unterschiedlicher Lehrsätze und der daraus folgenden Möglichkeiten für ein
gemeinsames Agieren in Gemeinde und Mission ragt hierbei nach wie vor hervor.
Nachfolgende Verlautbarungen konzentrieren sich auf die praktische Seite dieses
gemeinsamen Dienstes und liefern so wertvolle Hinweise. Die ökumenische Herausforderung
in konfessioneller Perspektive unter Berücksichtigung bleibender dogmatischer und
kirchenrechtlicher Unterschiede wird allerdings nur kaum bedacht.
Mit den Überlegungen der Deutschen Evangelischen Allianz, resp. ihrer entsprechenden
Arbeitsgruppen zur „ekklesiologischen Lücke“ innerhalb der evangelikalen Bewegung, der
Aufarbeitung des gemeinsamen Verständnisses von Einheit und Kirche, liegen notwendige
169
Anfragen und Vorschläge vor, die nach Weiterarbeit verlangen.
Spricht man den evangelikalen Bewegungen das Potential zur Weiterarbeit zu, so könnte
von einem Ökumeneverständnis oder besser einer Einheitsvorstellung im Werden die Rede
sein. Zu beachten ist dabei allerdings die Tendenz zur Enttheologisierung der Lausanner
Bewegung, hier nur anhand eines Locus „Einheit/Ökumene“ demonstriert, die von Seiten
einiger führender evangelikaler Theologen wahrgenommen wird. Ganz abgesehen davon steht
die volle Aufnahme und Umsetzung von Art. 7 der Lausanner Verpflichtung durch die
evangelikale Bewegung wohl noch aus (Art. 5 scheint momentan größere Aufmerksamkeit
gewidmet zu sein).
BUCERS Beitrag, nicht nur zur innerevangelikalen Ökumene-Debatte in dogmatischer
Hinsicht, hat verschiedene Facetten. Die Rezeption aller Anstöße und Anregungen, die von
ihm ausgehen, für den ganzen Bereich einer „ökumenischen“ Theologie und Praxis, ist noch
nicht abgeschlossen. Martin Greschats Diktum wird unterstützt durch die schlichte Tatsache,
dass die Edition der Werke BUCERS noch vonstatten geht.
Zu Beginn seiner Einheitskonzeption steht die „caritas“, sprich die Gottes- und daraus
folgende Nächstenliebe, die den Umgang mit dem andersdenkenden Gegenüber bestimmen
soll. Korrespondierend dazu spielt der Schlüsselbegriff „pietas“ für BUCER eine große Rolle,
der ihn somit zu einem Anhänger einer Frömmigkeitsökumene macht. Seelsorgerische
Einsichten geboren aus persönlichen Verletzungen, an denen er jedoch nicht unbeteiligt war,
bilden das Fleisch am dogmatischen Gerippe dieser Konzeption. Erhebt man diese zur
Maßgabe erscheint der Umgang miteinander im „evangelikalen Lager“ bei abweichenden
Erkenntnissen zuweilen als defizitär bis fatal.
Grundlegendes Hindernis für eine Verständigung in Lehrfragen ist für den Straßburger
zunächst einmal die menschliche Erkenntnisschwäche („imbecillitatis“), die zum Zwang zur
Häresie führt. Um diese herum kreiert er seine offenbarungspädagogische Fassung der
gubernatio mundi, die letztlich einem ökumenischen Semipelagianismus eine klare Absage
erteilt. In BUCERS eigenen Worten: Das Herbeiführen der einigenden Wahrheit ist nur für Gott
reserviert, ein vorhandener Erkenntnisgewinn führt daher unweigerlich zu größerer Demut
und Bruderliebe und nicht zu Überlegenheitsgefühlen oder Allmachtphantasien. Versteht sich
die christliche Gemeinschaft insofern, kann sie als Interpretationsraum mithilfe gemeinsamen
Hörens auf und Suchens in der Hl. Schrift hier Fortschritte erzielen. Dieser Ansatz entspricht
historisch und dogmatisch (nicht nur) den Kernanliegen der evangelikalen Bewegungen und
verdient daher immer wieder uneingeschränkter Aufmerksamkeit.
Das Korrelat von Einheit und Bekenntnis spielt sich nach BUCER in dem grundsätzlichen
Zusammenhang von Orthodoxie und Orthopraxis ab. Die Bezeichnung „Pietist“ unter den
170
Reformatoren rührt hierher, deren Problematik angesprochen wurde. Ohne die einzelnen Loci
hier in materialdogmatischer Hinsicht noch einmal zu entfalten, könnte man die aufgestellte
These, BUCER eigne sich par exellence als Brückenbauer auch und gerade im evangelikalen
Kontext anhand der Grundausrichtung seiner Theologie und Frömmigkeit an dieser Stelle
verifizieren.
Der Kardinalbegriff „Kooperation“ der Lausanner Bewegung und grundsätzlich der
„Allianz“-Gedanke der Evangelischen Allianz waren BUCER in dieser Form sicher fremd, die
Ausrichtung auf das kirchliche Leben, ihr Dienst nach innen und außen, usw. jedoch
keineswegs. Hierbei nicht in die beiden Extreme zu verfallen: Einerseits in einen
Einigungspraktizismus, der ausschließlich auf den gemeinsamen Dienst baut, und andererseits
in eine „Ökumene“, die sich als abgehobenes Theologumenon darstellt ohne Beitrag für die
konfessionelle Praxis, entspricht dem Reformator des Ausgleichs.
Bleibt die Vollendung des Leibes Christi und damit auch seine sichtbare Einheit immer ein
eschatologisches Geschehen, so konnte BUCER doch zu seinen Lebzeiten mit einer
Wiedervereinigung der Konfessionen rechnen oder besser darauf hoffen. Im Hintergrund steht
in theologischer Hinsicht ein gewisser Heilsoptimismus und ein Bewusstsein für die Aufgabe
der Weltgestaltung und nicht -verneinung. Inwiefern die unterschiedlichen, kontrovers
verhandelten
Endzeitmodelle
evangelikaler
Provenienz
hier
die
„eine
Hoffnung“
konterkarieren und damit Unionsversuche letztlich boykottieren, verdient zumindest der
Erwähnung an dieser Stelle. Die Vorläufigkeit aller ökumenischen Modelle, ob nun ÖRK oder
LKWE oder in separatistischer Absicht des ICCC, erinnert an die erasmische Scheidung von
Letztem und Vorletztem, die BUCER rezipiert hat und vor die Einsicht stellt, dass ein letztes
Urteil über das Modell der „Anderen“ coram Deo noch nicht möglich ist.
171
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wird, befindet sich nicht im Literaturverzeichnis)
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