Von 007 bis Superman: Das Böse sitzt im Glashaus

Architekturkritik auf großer Leinwand: Wie Hollywood die Moderne zum Schauplatz des Verbrechens machte und warum die meisten Filmbösewichte so unverschämt schöne Häuser haben.
Eine Architekturkritik auf großer Leinwand

Der folgende Text enthält etliche Spoiler. Autor und Redaktion raten dringend, die darin erwähnten Filme vor dem Lesen zu sehen.

Die Moderne ist kalt und herzlos. Nirgends wird dieses Klischee so lustvoll zelebriert wie im amerikanischen Kino. In den schönsten modernen Häusern wohnen die übelsten Schurken und grandiosesten Gauner. Unglückliche Frauen und brutale Männer leben in Räumen aus Glas, Stahl und Beton. In übergroßen Glasscheiben überlagern sich Reflexionen von Innen und Außen wie Schichten der Charaktere, die nur vordergründig nichts zu verbergen haben.

So hat sich das Kino einige der herausragendsten Häuser der amerikanischen Moderne gegriffen und mit allerlei zwielichtigen Gestalten besetzt. Das Elrod House, das John Lautner 1968 mit großer Geste in die Felsen oberhalb Palm Springs einpasste, ist im James Bond-Streifen „Dia­monds Are Forever“ 1971 das Zuhause des Multimilliardärs Willard Whyte. Dieser wurde vom Superschurken Ernst Stavro Blofeld gekidnappt und wird nun im eigenen Haus gefangen gehalten. Der Kampf zwischen Bond und den beiden gelenkigen Bewacherinnen, Bambi und Thumper, mag in seiner Mischung aus Aerobic und Zir­kusakrobatik heute eher lustig wirken. Aber wie das große, kreisrunde Wohnzimmer unter der spektakulären Betondecke – 18 Meter im Durchmesser! – im Film zur Gladiatoren­arena wird, das ist immer noch beeindruckend.

Ken Adam, Set-Designer für „Diamonds Are Forever“ und sechs weitere Bonds

Zwielichtiges Unterwasserversteck: In „The Spy Who Loved Me“ von 1977 stel­lt 007 dem fiesen Meeresbiologen Karl Stromberg (Curd Jürgens*)* in der Kommando­sta­tion „Atlantis“ nach. Samt ulkigem Gebalge mit dem le­gen­­dären „Beißer“ am Haifischbecken und abschließender Lösung per Explosion.

Carlos Fueyo für TRA Publishing, Porträt: Peter Bischoff/Getty Images

Die Charakterrollen, die das Kino der modernen Architektur zuweist, sind eindeutig: Im besten Fall exzentrische Superreiche mit Wohlstand aus zweifelhaften Quellen. In „L. A. Confidential“ (1997) und in „The Big Lebowski“ (1998) sind es Männer aus dem Sexgeschäft, die sich die Ikonen der Moderne als Heimstatt leisten können: Richard Neutras Lovell Health House von 1929 und John Lautners Sheats-Goldstein Residence von 1963 mit ihrem spektakulären Schrägdach aus dreieckigen Betonfeldern. Hier begrüßt Jackie Treehorn (Ben Gazzara) Jeffrey „The Dude“ Lebowski (Jeff Bridges) mit einem White Russian. Auf ­Lebowskis unverblümte Frage: „How’s the smut business?“ antwortet Treehorn charmant ausweichend, wieso, er mache doch in Publishing und Entertainment. Wie sich Lebowski anschließend vergeblich bemüht, auf Treehorns Designersofa unterm sensationellen Betondach eine bequeme Position zu finden, ist eine der wunderbarsten Verfilmungen jener Pauschalkritik an der Moderne, sie sei einfach zu unbequem.

Joseph Rosa, Direktor des Frye Art Museum in Seattle

Aber es geht auch tödlich zu: Bei „American Psycho“ (2000) spiegelt sich die Kälte des brutalen Serienmörders und Invest­mentbankers Patrick Bateman (Christian Bale) in der Architektur seines Büros. Es ist das Toronto-Dominion Centre von Ludwig Mies van der Rohe. Und es ist wieder ein John Lautner-Haus, die Chemosphere von 1960, in dem bei Brian De Palmas Psychothriller „Body Double“ (1984) jener Mann wohnt, der die Ermordung seiner eigenen Ehefrau in Auftrag gibt. Wir Kinogänger wissen also schon, wohin die Reise geht, wenn in „The Glass House“ (2001) die Geschwister Ruby und Rhett nach dem Unfalltod ihrer Eltern von ihren Adoptiveltern in ihr neues Zuhause geführt werden: ein spektakulär zersplittertes Glashaus mit weiter Aussicht über Malibu. Im Gegensatz zum düsteren Film ist dies im echten Leben einer der gelungensten und freundlichsten Vertreter des kalifornischen Dekonstruktivismus, die lichtdurchflutete Mataja Residence, entworfen 1999 vom Gehry-Schüler Hagy Belzberg für den Autohändler Bata Mataja.

Den Mord an der eigenen Ehefrau inszeniert der schwerreiche Sam Bouchard (Gregg Henry) bei Brian De Palmas „Body Double“ im Nachbarhaus – inklusive futuristischem Logenplatz im Lautner-Ufo nebenan. Erbaut wurde die Chemosphere 1960 praktischerweise in den Hollywood Hills.

Carlos Fueyo für TRA Publishing, Porträt: Ron Galella Collection/Getty Images

Dabei teilen sie sich ein und dieselbe Kinderstube: Das amerikanische Kino entsteht wie die amerikanische Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Umso auffälliger ist es, wie eindeutig den modernen Häusern die schlechten Charaktere zugeteilt werden. Zu einem der meistverfilmten Häuser wird Frank Lloyd Wrights Ennis House von 1923. Sein Filmdebüt gab es 1959 als Horroranwesen im B-Movie „House on Haunted Hill“ mit Vincent Price. Später wird es auch in „Black Rain“, „Predator 2“ und „Blade Runner“ und von der Serie „Buffy the Vampire Slayer“ genutzt. Und schon 1934 schickte „The Black Cat“ zwei frisch vermählte Amerikaner auf Horrorhochzeitsreise in ein düsteres, verregnetes Ungarn, wo sie auf den Architekten Hjalmar Poelzig (!) treffen. Dieser hat sich sein eigenes blitzmodernes Haus mitten auf einem gewaltigen Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs errichtet. Symbolisch geht es nicht eindeutiger: Die Moderne steht auf den blutigen Schützengräben eines düsteren europäischen Kontinents. Rasch entpuppt sich Poelzig (Boris Karloff) dann auch als ein satanistischer Ritualmörder, der weibliche Leichname im Keller einbalsamiert. Der Exorzismus am Ende des Films gibt sich mit Poelzigs Tod nicht zufrieden; erst als das Haus gesprengt wird, ist Satan besiegt.

„Ex Machina“ drehte Alex Garland im grandiosen „Juvet Landscape Hotel“ der norwegischen Architekten Jensen &Skodvin. Einen Keller hat die gläserne Villa von Nathan Bate­man (Oscar Isaac*)* in Wahrheit übrigens keinen – im Film landen dort die ausgemusterten KI-Gespielinnen ihres Schöpfers.

Carlos Fueyo für TRA Publishing, Porträt: Jason Merritt/Getty Images

Die Poelzig-Figur ist damit der Urgroßvater einiger späterer Filmcharaktere: In Stieg Larssons „The Girl with the Dragon Tattoo“ etwa, wo im Buch und in beiden Verfilmungen (2009 und 2011) die gesamte Familie Vanger in idyllischen ­schwedischen Holzhäusern rings um das neoklassizistische Anwesen wohnt – bis auf einen. Hätte der Enthüllungsjournalist Mikael Blom­kvist also mehr auf die Architektur geachtet, er hätte den Fall schneller lösen und sich obendrein den dramatischen Kampf im Folterkeller des Serienmörders Martin Vanger sparen können. So wie auch der junge Programmierer Caleb in „Ex Machina“ (2014) hätte gewarnt sein müssen, als er in die hypermoderne Villa mit riesigen Glaswänden kommt, in die sich der legendäre Firmengründer ­Nathan Bateman (!) zurückgezogen hat. Im Keller trifft er auf den weiblichen Roboter Ava, ein Experiment mit künstlicher Intelligenz. Erst später ­findet Caleb Avas Vorgängermodelle, von Bate­man gnadenlos abgeschaltet wegen Fehlern oder aus Langeweile; sie hängen wie Trophäen im Schrank neben Batemans Bett.

Die Referenzen dieses klug konstruierten Films reichen von König Blaubart über Dr. Frankenstein bis zum neusten iPhone. Als Setting dient unter anderem das wunderschöne (und übrigens nicht unterkellerte) „Juvet Landscape Hotel“, dessen Zimmer als jeweils separate Minihäuser in einer unberührten norwegischen Flusslandschaft verteilt wurden. Die Architekten, die Norweger Jensen & Skodvin, sind Vertreter einer kompromisslos nüchternen Moderne, die zwar mit deutlich weniger Spektakel auskommt als die Dachkonstruktionen eines John Lautner, die aber gleichwohl noch immer die Schurken und Bösewichte beherbergt. Jedenfalls im Kino.

Verkehrsgünstige Lage: In „Superman“ lässt Richard Donner seinen Lex Luthor (Gene Hackman*)* in New Yorks Grand Central Terminal ein spektakuläres Quartier beziehen. Hitchcock gab sich knapp zwei Jahrzehnte zuvor noch deutlich bescheidener: In „North by North­west“ bemühte sich Cary Grant hier bloß um eine Fahrkarte – vergeblich.

Zum Thema ist jüngst ein drei Kilo schwerer Koloss von einem Buch erschienen: „LAIR. Radical Homes and Hideouts of Movie Villains“ (Tra Publishing, 296 Seiten, Silberdruck auf schwarzem Papier, 65 Euro). Das wunderschöne Buch führt 15 Filme mit ihren Schurken und deren Verstecken vor – vom Todesstern bis zu Blofelds ausgehöhltem Vulkan. Da Autor Chad Oppenheim im „wahren Leben“ Architekt ist, werden alle Unterschlüpfe in ausgiebigen Zeichnungen analysiert. Dazu gibt es erhellende Interviews mit John Lautner und Ken Adam, vor allem aber mit Setdesignern wie Mark Digby, Gregg Henry, Roger Christian oder David Scheunemann.

Tra Publishing

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