Claras große Tour

Die Magie des Einzigartigen - in ihrer Kunstkammer betrachtet Dr. Simone Herrmann jede Woche ein Werk aus dem internationalen Kunsthandel. Folge 33: Musikalische Rhinozeros-Tischuhr von Jean-Joseph de Saint Germain, um 1750.
JeanJoseph de SaintGermain . Musikalische Tischuhr mit einem Rhinozeros aus patinierter und vergoldeter Bronze und...
Jean-Joseph de Saint-Germain (1719 – 1791). Musikalische Tischuhr mit einem Rhinozeros aus patinierter und vergoldeter Bronze und grünem Horn, 83 cm hoch, 50 cm lang, 23 cm tief. Signiert auf der Rückseite: St. GERMAIN. Um 1750, Sotheby’s Paris, 16. Juni. Los 10 der Auktion: „Redécouvertes: important mobilier du XVIIIe siècle provenant d’une prestigieuse collection“; Schätzpreis: 150000 – 350000 Euro. sothebys.comSotheby’s / ArtDigital Studio

Sie hieß Clara und wog 5000 Pfund. „Fünf und ein halb Fuß hoch, vierzehn Fuß lang und der Leib in Circumferentz sechzehn Fuß dick“, so lautete ihr Steckbrief. Clara, die indische Panzernashorndame hatte zwischen 1741 und 1758 gewichtige Spuren in der europäischen Kunstgeschichte hinterlassen.

Um 1738 in Assam geboren, verlor sie mit einem Monat ihre Mutter. Indische Jäger hatten sie erlegt. Jan Albert Sichterman, Direktor der Ostindischen Handelskompanie in Bengalen nahm das Nashörnchen in sein Haus, wo es zum Gaudium der Tischgäste um die lange Tafel trabte. Mit der Zeit aber, kann sein, dass es sich gegen den Tisch lehnte, um ein bisschen mit den acht Sichterman’schen Kindern zu scharmutzieren, wurde man es leid. Denn der Tisch fiel um, die brennenden Leuchter auch, das Geschirr zerbrach. Und dann – was allein das Futter kostete! Überhaupt roch es auch ein bisschen streng. Sichtermann jedenfalls, den man viele Jahre später in seiner Heimatstadt „de Koning van Groningen“ nennen wird, verkaufte Clara an den niederländischen Kapitän Douwe Jansz Mout. Denn der hatte eine Idee. Ein Rhinozeros, das musste in diesen wissensdurstigen, abenteuerlustig-sensationslüsternen Zeiten eine sprudelnde Geldquelle sein. Nicht nur die Fürsten - ach was, alle! - gierten nach Exotik.

Zwar war bereits 1516 ein Nashorn an den Hof des portugiesischen Königs nach Lissabon gelangt, aber in Rom, wohin es als Geschenk für den Papst gesandt wurde, kam es nie an. Das Schiff kenterte, das Rhinozeros ertrank. Nur eine Zeichnung kursierte, nach der Albrecht Dürer seinen berühmten Holzschnitt anfertigte. Rhinozeros unicornis. Allerdings hatte Dürer ihm irrtümlich noch ein zweites Horn auf den Rücken gesetzt. Jetzt, 225 Jahre später, schien die Zeit reif für einen zweiten Versuch. Und so begann Claras Grand Tour.

Douwe Jansz Mout verfrachtete sie in Batavia auf sein Schiff, die „Knappenhof“, und erreichte 1741 Rotterdam. Drei Jahre später kam er mit ihr nach Hamburg. Die Leute sperrten Mund und Augen auf, als sie den riesigen Wagen sahen, den er für das Tier hatte bauen lassen. Acht, manchmal auch zehn Pferde zogen ihn. An heiklen Stellen mussten es zwanzig sein. Eine Traube von Gassenjungen lief hinterher. Verschrecktes Raunen am Straßenrand, auf den Märkten, wenn sie herangeführt wurde. So groß, so riesig groß war das Tier! Es könne mit seinem Horn, „Felsen aus der Erde und einem Elefanten den Leib aufreißen“, so stand es auf den fliegenden Blättern. Und doch schien es so sanft. Clara, das war doch der Name einer Heiligen. Höchstens, dass sie ein, zwei Mal mit den Ohren schlackerte, als wollte sie eine Fliege verjagen, kurz stutzte, wenn das Geschrei gar so laut wurde, dann aber fraß sie weiter, kaute, mahlte - ungerührt. „Fünfzig Pfund grobes Heu, zwanzig Pfund Brodt und vierzehn Eimer Wasser.“ Das fraß sie jeden Tag still in sich hinein. Dabei könnte sie doch... mit diesem Panzer, mit diesem Horn! Behemoth, das schreckliche Urtier der Bibel, wollten einige in ihr erkennen. Dieser Kitzel gefiel. Damen fassten ihr ans Horn, kicherten, streichelten über die Panzerschilde, hart und kunstvoll wie eine Ritterrüstung, mit „erhabenen Puckeln gezieret“! Herren warfen sich in Positur. Kommt Leute, kommt!

Seitenansicht: Jean-Joseph de Saint-Germain (1719 – 1791). Musikalische Tischuhr mit einem Rhinozeros aus patinierter und vergoldeter Bronze und grünem Horn, 83 cm hoch, 50 cm lang, 23 cm tief. Signiert auf der Rückseite: St. GERMAIN. Um 1750, Sotheby’s Paris, 16. Juni. Los 10 der Auktion: „Redécouvertes: important mobilier du XVIIIe siècle provenant d’une prestigieuse collection“; Schätzpreis: 150.000 – 350.000 Euro. sothebys.com

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Von Hamburg ging es nach Hannover, von Braunschweig nach Berlin. Dort wurde sie Friedrich dem Großen vorgeführt. Noch kleiner und spitzfindiger als sonst stand er vor dem riesigen Tier. Ließ dem Holländer schlankerhand 18 Golddukaten reichen. In Wien kamen Maria Theresia und der Herr Gemahl, Franz I Stephan von Lothringen, eigens von Schönbrunn in die Stadt gefahren. Das liebe Tier. Jessas, jetzt macht es sein Geschäft! Man sah zu, scherzte und adelte Douwe Mout zu Herrn Douwe Mout Van der Meer. Das hatte kaiserliche grandeur und sparte doch Dukaten.

Dann kutschierten sie nach Dresden. Wo Johann Joachim Kändler, der große Modelleur, das „Thier“ für die Meißener Porzellan-Menagerie Augusts des Starken verewigte. Das Rhinozeros aus Meißen fand reißenden Absatz, bei manchen Modellen setzte man noch einen Knaben in „indischer Tracht“ obenauf. Denn auch Clara hatte ja einen Hofstaat. Meist Gassenjungen, die Van der Meer in Pumphosen steckte. Nur Claras Leibwächter war „echt“. Ein echter „Inder“ in „afrikanischer Tracht“, so dunkel und massig, dass eine Pariser Marquise „Ah, mein Herr!“, hervorstieß, „sind Sie das Rhinozeros?“. Giacomo Casanova, an dessen Arm sie hing, brachte das Bonmot unter die Leute. Da war die Claramanie längst auf dem Siedepunkt. Denn 1749 lag ihr ganz Paris zu Füßen. Nur einer nicht. Der fünfzehnte Ludwig schüttelte den Kopf. Monsieur Van der Meer hatte versucht, ihm das Nashorn aufzuschwatzen. Aber 100000 Ecus? 3,4 Millionen Euro? Für ein Tier, das man zeichnen, malen, in Porzellan formen oder in Bronze gießen konnte? Und zwar für die Ewigkeit. Louis XV lehnte ab. So hielt denn Clara auf dem Markt von Saint Germain Hof. Ihr zu Ehren trugen die Damen das Haar „en rhinozéros“, man dichtete Couplets, sang Lieder über sie und der Tiermaler Jean-Baptiste Oubry malte Claras Porträt. Grandeur nature. Drei auf viereinhalb Meter. Bis in die kleinste Hautfalte lebensecht. Der Herzog von Mecklenburg holte die Riesenleinwand ins Schweriner Schloss, wo sie, säuberlich eingerollt, jahrhundertelang verstaubte. Ein Starschnitt. Und es war nicht das einzige Porträt.

Auch in Venedig machte Clara ein paar Jahre später Sensation. Pietro Longhi setzte sie 1751 delikat ins Bild (National Gallery, London). Eine Maskengesellschaft, schwarz verhüllte Männer in weißer Larve, eine Dame mit Dreispitz und feinem Lächeln, eine andere mit grünem Schleier, dann die dritte, schwarz maskiert. Und unten in der Theatermanege das Nashorn. Breit, mächtig, dräuend. Ein junger Mann – ist es Van der Meer? - gestikuliert mit der Peitsche und hält ein Horn in der Hand, denn kurz zuvor in Rom war es passiert: Clara hatte ihr Horn verloren. Longhi zeigt sie „oben ohne“. An der aphrodisierenden Wirkung des Tiers änderte das nichts. Schwarzer Samt auf einer weißen Wange, ein blassblaues Mieder, tändelnde Finger in weißen Handschuhen. Und dazu die massige Gestalt des wilden Tiers - was für ein Kitzel!

Jean-Joseph de Saint-Germain (1719 – 1791). Musikalische Tischuhr mit einem Rhinozeros aus patinierter und vergoldeter Bronze und grünem Horn, 83 cm hoch, 50 cm lang, 23 cm tief. Signiert auf der Rückseite: St. GERMAIN. Um 1750, Sotheby’s Paris, 16. Juni. Los 10 der Auktion: „Redécouvertes: important mobilier du XVIIIe siècle provenant d’une prestigieuse collection“; Schätzpreis: 150.000 – 350.000 Euro. sothebys.com

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Die musikalische Rhinozeros-Pendule, die am 16. Juni bei Sotheby’s in Paris zum Aufruf kommt, beamt diesen Kitzel in die dritte Dimension. Das Kunststück aus patinierter Bronze, Gold, Email und grünem Horn von Jean-Joseph de Saint-Germain stammt, wie es bei Sotheby’s etwas geheimnisvoll heißt, aus einer „prestigeträchtigen Sammlung“ und führt neben einem intarsierten bureau von Pierre Gole, einer Marketerie-Kommode von André-Charles Boulle und einem Paar goldbetresster Marmor-Jardinièren aus dem Besitz des spanischen Königs Carlos IV vor Augen welchen Zenit die französische Möbelkunst im 18. Jahrhundert erreicht hatte.

Sohn eines Ebenisten aus dem Pariser Faubourg Saint Antoine, gilt Jean-Joseph de Saint-Germain (1719 – 1791) als einer der talentiertesten Bronzegießer, Modelleure, Ziseleure und Vergolder der Zeit. Nach Kändlers Porzellanfigur hat er das zweite, „nach dem Leben geformte“ Skulpturenporträt der guten Clara angefertigt. Wahrscheinlich hat er sie in den Baracken der Rue des Quatre Vents, wo sie die fünf Monate ihres Pariser Aufenthalts verbrachte, besucht und gezeichnet. Seine Version ist naturalistischer, lebendiger als das etwas gravitätische Kändler’sche Modell. Auf ihren dicken Beinen, im Schmuck ihrer Panzerschilde und punzierten „Puckel“ steht sie da, den Kopf mit dem enormen Horn erhoben – und brüllt. Strotzend vor Kraft und kunstvoll bis in die kleinste Warze patiniert. Ein Untier. Und doch so graziös. Fast schwebend steht sie auf den tändelnden Rocaillen.

Tierdarstellungen aus Bronze, „nach Wachsmodellen gearbeitet und alle zu einem gerechten Preis“: Elefanten, Stiere oder Löwen, mit denen er Kamingitter, Kommodenbeschläge, Lüster und Leuchter bevölkerte, waren Saint-Germains Spezialität. Aber besonders seine Tier-Uhren, für die er mit verschiedenen Uhrmachern wie Viger, Gudin oder Gille l’Ainé zusammenarbeitete, begründeten seinen Ruhm. Clara und die Claramanie spielten ihm dabei natürlich in die Hände. In einem seiner Inventare aus der Zeit nach 1747 werden „zwei Rhinozeros-Pendulen, eine als Wachsmodell, die andere fertig in Bronze ausgearbeitet, mit der Summe von 140 l (livres)“ veranschlagt. Der Beginn einer veritablen Serie. Mindestens zwei Modelle waren im Besitz des französischen Königshauses, eines gehörte Marie-Antoinette, ein anderes, wohl ein Pendant zum Stück von Sotheby’s – Clara auf einem mit „corne verte“ vertäfelten Kästchen - fand sich im Schloss von Saint Cloud.

Auf der Uhr selbst, die der Hofuhrmacher Augusts II von Sachsen, der Pariser Pierre Gille l’Ainé signiert hat, sitzt eine Jünglingsfigur in „indischer Tracht“ mit Federschmuck, Pfeil und Bogen. Eine Art exotischer Amor. Das mit grünem Horn furnierte Podest hat Saint-Germain mit goldenen Ranken graviert und mit Kartuschen geschmückt: blumenumrankte Gitter, hinterlegt mit roter Emaille, die kurioserweise an Supermans Fledermaus-Emblem erinnern. Auf anmutigen Voluten steht der kleine Kasten wie auf Tanzfüßchen. Er dient dem Nashorn als Bühne und verbirgt in seinem Innern ein Glockenspiel. 13 Glocken und 23 Hämmerchen, vom Pendulenwerk und einem Hebel in Gang gesetzt, spielen eine kleine Weise. Eine Melodie, die immer zur vollen Stunde zierlich aus Claras Maul zu rieseln scheint. Und wie harmonisch sind die Farben zu ihrem Panzer gestimmt. Braun zu Grün, zu Rot, und Gold. Dazu das Weiß und Schwarz des Zifferblatts. Farben, Formen und Töne klingen zusammen - zu einem kitzlig-vergnügten Rokoko-Moment.

Detail: Jean-Joseph de Saint-Germain (1719 – 1791). Musikalische Tischuhr mit einem Rhinozeros aus patinierter und vergoldeter Bronze und grünem Horn, 83 cm hoch, 50 cm lang, 23 cm tief. Signiert auf der Rückseite: St. GERMAIN. Um 1750, Sotheby’s Paris, 16. Juni. Los 10 der Auktion: „Redécouvertes: important mobilier du XVIIIe siècle provenant d’une prestigieuse collection“; Schätzpreis: 150.000 – 350.000 Euro. sothebys.com

Sotheby’s / ArtDigital Studio

Wie es mit der echten Clara weiterging? Sie erschien noch in Prag, Warschau, Krakau, Breslau und Kopenhagen, dann gönnte ihr Van der Meer zwei Jahre Pause in den Niederlanden. Schließlich trat sie 1758 ihre letzte Reise an. In London schlug ihr am 14. April 1758 die Stunde. Was mit ihrem Körper geschah blieb im Dunkeln und auch die Spur Van der Meers verliert sich. Nur der Mythos blieb, und Claras Spuren im europäischen Rokoko. Die Bilder, die Uhr und die kleine Melodie, die wie ein Kitzeln über den Rücken rieselt.