Der Feind zieht plündernd durchs Land, die Pest grassiert. In dieser rauen Zeit vor fast 400 Jahren entsteht in Oberammergau die Tradition der Passionsspiele. Die Geschichte der berühmten Laienspiele in dem oberbayerischen Dorf ist untrennbar mit der Pest im Dreißigjährigen Krieg verbunden.
Der Legende nach schlich sich 1633 ein Tagelöhner namens Kaspar Schisler, der jenseits der Bergkette Dienst getan hat, von Heimweh geplagt in das bis dahin von der Pest verschonte Bergdorf - und brachte den "Schwarzen Tod".
Laut örtlichem Sterbebuch rafft die Seuche 84 Einwohner dahin, etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Erst als die Dörfler geloben, alle zehn Jahre das Spiel vom Leben, Sterben und der Auferstehung Jesu Christus aufzuführen, hört das Sterben auf. So jedenfalls ist es überliefert.
An Pfingsten 1634 erfüllten die Oberammergauer das Versprechen zum ersten Mal. Die Aufführung fand auf einer Bühne am Friedhof statt, aufgebaut über den Gräbern der Pesttoten. Seitdem führen die Bewohner regelmäßig ihr Passionsspiel auf, das sich zu einem Spektakel mit weltweiter Beachtung und millionenschweren Einnahmen entwickelte.
1750 schuf der Ettaler Benediktinermönch Ferdinand Rosner eine Neufassung im Sinne des Barocktheaters. Für die Passion 1860 überarbeitete Joseph Alois Daisenberger den Text, setzte neue dramaturgische Schwerpunkte und machte die Passion berühmt.
Adolf Hitler hatte die Passionsspiele befürwortet. Nach 1945 geriet die Passion wegen ihrer negativen Darstellung von Juden in die Kritik. In den späten 1960er Jahren forderte die katholische Kirche eine Erneuerung und Abkehr von der Darstellung, dass die Juden für den Tod Jesu verantwortlich seien. Über Änderungen wurde in der Gemeinde heftig gestritten. Konsequent von antisemitischen Tendenzen befreit hat die Passion Christian Stückl, der 1987 mit 26 Jahren jüngster Spielleiter aller Zeiten wurde. Der Intendant des Münchner Volkstheaters inszeniert die Passion nun zum vierten Mal. (Lesen Sie auch: Theaterkultur in Immenstadt: Wie die Passionsspiele den Grundstein legten)
Von Frühsommer bis Spätherbst, viereinhalb Monate lang, ist fast das halbe Dorf mit dem Opus beschäftigt: An den Passionsspielen in Oberammergau wirken rund 2100 der 5200 Einwohner mit. Zu gut 100 Vorstellungen werden an die 450.000 Zuschauer erwartet. Mit knapp 4400 Sitzplätzen ist das Passionstheater Oberammergau die größte Freiluftbühne mit überdachtem Zuschauerraum der Welt. Wenn im Herbst 2022 Bilanz gezogen wird, könnte - wenn es gut läuft - ein zweistelliger Millionenbetrag im Gemeindesäckel klingeln. Die Gesamtkosten belaufen sich auf rund 45 Millionen Euro.
Das Spiel vom Leiden, Sterben und der Auferstehung Jesu Christi begann vor 389 Jahren mit einem Pestgelübde. Heute ist es ein gigantisches Unternehmen, das dem Ort alle zehn Jahre eine künstlerische und logistische Meisterleistung abverlangt.
Die wichtigsten Zahlen zu den Passionsspielen in Oberammergau:
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