K.-o.-Tropfen zur Fastnachtszeit? Keine Angst, aber Vorsicht

In Getränken sind K.-o.-Tropfen in der Regel nicht wahrnehmbar.
© dpa

Der Frauennotruf Mainz und die Polizei warnen vor heimlich in fremde Getränke gemischten Substanzen. Worauf Feiernde achten sollten. 

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Mainz. Eine Frau besucht einen guten Bekannten in seiner Wohnung. Die beiden sind platonisch befreundet, haben also keinerlei sexuelle Beziehung. Sie verbringen Zeit, trinken alkoholfreie Getränke. Die Frau fühlt sich plötzlich nicht gut, geht auf Toilette. Dort endet ihre Erinnerung. Sie kommt in ihrer eigenen Wohnung wieder zu sich, hat Schmerzen im Unterleib. Wie sie nach Hause gekommen ist, das weiß sie nicht. Am Telefon erzählt sie einer Freundin nichts von dem Vorfall, nur, dass es ihr nicht gutgehe. Doch die Unterleibsschmerzen beschäftigen sie, die Gedanken kreisen immer stärker. Vier Wochen nach dem Zwischenfall überwindet sich die Frau, meldet sich beim Frauennotruf Mainz. In der Fachstelle zu sexualisierter Gewalt an Frauen und Mädchen geht man nach den Schilderungen davon aus, dass der Mann ihr K.o.-Tropfen einflößte und sie sexuell missbrauchte.

„Das ist ein klassischer Fall, der uns so ähnlich immer wieder begegnet“, berichtet Traumaberaterin Anette Diehl vom Frauennotruf im Gespräch mit dieser Zeitung. Mit etwa einer Handvoll Fälle seien die Beraterinnen pro Jahr konfrontiert. Die meisten ereigneten sich im privaten Bereich, teils aber auch am Rande öffentlicher Veranstaltungen, bei Feiern, in Clubs. „Es fühlt sich an wie ein Filmriss – plötzlich bricht die Erinnerung ab, eine Vergewaltigung wird körperlich gespürt oder erahnt“, so Diehl. Der Kontrollverlust über den eigenen Körper sei schwer auszuhalten. Betroffene wachten teilweise an fremden Orten auf, könnten sich an nichts erinnern. Scham- und Schuldgefühle seien enorm. Zumal viele Betroffene sowie Menschen aus ihrem Umfeld zunächst davon ausgingen, dass sie zu viel Alkohol getrunken hätten.

Bei Unwohlsein schnell andere informieren

„Es sind Einzelfälle, aber jeder ist einer zu viel“, sagt die Traumaberaterin. Daher weist der Frauennotruf in regelmäßigen Abständen auf die Gefahren hin, rät zur Achtsamkeit; insbesondere vor größeren Veranstaltungen. So auch in der Fastnachtszeit. „Das bedeutet aber nicht, dass dieses Phänomen in einem Zusammenhang mit Fastnacht steht oder wir in dieser Zeit verstärkt Fälle verzeichnen“, betont Diehl. Dennoch böten sich gerade überall dort, wo sich viele Menschen tummelten und offene Getränke konsumiert würden, Tatgelegenheiten. Zumal die Anzahl der Veranstaltungen nach zwei Jahren Pandemie wieder deutlich zugenommen hat.

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Das Vorgehen der Täter ist simpel wie heimtückisch: Ins Getränk gemischte Substanzen wie etwa Gamma-Hydroxybuttersäure – auch Liquid Ecstasy, Fantasy oder Soap genannt - machen innerhalb kurzer Zeit handlungsunfähig. Es sei wichtig, dass die Gesellschaft insgesamt sensibilisiert sei, dass Menschen, die zusammen unterwegs seien, aufeinander achteten, Getränke nicht unbeobachtet ließen, sagt Diehl. „Damit es gar nicht erst dazu kommt.“ Bei Unwohlsein sollten umgehend andere Personen involviert werden, Freunde, Servicepersonal, beim Verdacht auf K.o.-Tropfen umgehend die Polizei. Der Notdienst des Frauennotrufs ist an Rosenmontag zwischen 12 und 22 Uhr ebenfalls telefonisch erreichbar.

Ein Beispiel, bei dem sehr gut reagiert wurde, sei der Fall zweier Freundinnen, die gemeinsam ein Weinfest besuchten, erzählt Diehl. Als den Frauen beim ersten Getränk plötzlich schummrig wurde, wandten sie sich umgehend an die Polizei. Eine von ihnen zeigte schwächere Symptome, machte eine Aussage und erstattete Anzeige gegen Unbekannt.

Wie Polizeisprecher Matthias Bockius erklärt, stelle man mit Blick auf das Phänomen keine außergewöhnlichen Entwicklungen fest. „Vereinzelt werden bei uns Verdachtsfälle gemeldet, aber eine Steigerung und auch eine Verbindung zu Fastnacht stellen wir nicht fest“, so Bockius. Dennoch sei es wichtig, zu sensibilisieren, sagt auch er. Beim Nachweisen entsprechender Substanzen sei Zeit der entscheidende Faktor. Daher sollten Betroffene bei Verdacht umgehend die Polizei rufen. „Damit schnellstmöglich Urin- oder Blutuntersuchungen in die Wege geleitet und die Substanzen noch nachgewiesen werden können“, sagt Bockius. Dann steht zunächst eine gefährliche Körperverletzung im Raum, bei Übergriffen zudem ein Sexualdelikt. In vielen Fällen würden Zwischenfälle allerdings erst Tage später angezeigt.

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Traumaberaterin Diehl berichtet, dass Untersuchungen auf entsprechende Substanzen, die etwa in der Rechtsmedizin durchgeführt würden, nach einer Anzeige bei der Polizei im Normalfall kostenfrei seien. Ohne Anzeige kosteten die aufwendigen Überprüfungen schnell über 200 Euro. Im Institut für Rechtsmedizin der Mainzer Unimedizin gehe pro Woche etwa ein Untersuchungsauftrag von der Polizei ein, hätten Verantwortliche dem Frauennotruf zuletzt berichtet. Dass eine Substanz nachgewiesen werden könne, komme weniger als einmal pro Jahr vor.