Imbissbuden: Vor der Wurst sind alle gleich
Berlin (dpa) - Irgendwo zwischen Fritteusenfett und Flaschenbier liegt ein Stück deutsche Einigkeit. Mögen die Menschen auch noch so unterschiedlich sein: in Imbissbuden zieht es sie alle. Etwa 40 000 gibt es deutschlandweit.
Ob Arbeitsloser oder Anwalt, Krankenpfleger oder Kanzler - dort schmeckt's allen. Jon Flemming Olsen meint sogar, die Imbisskultur gehöre zur deutschen Seele. Um den Beweis anzutreten, hat sich der Wirt der WDR-Kultserie "Dittsche - Das wirklich wahre Leben!" in allen Bundesländern als Praktikant an die Fritteuse gestellt. Das Ergebnis ist ein 300 Seiten starkes Buch und das Porträt einer Welt, die selbst Wissenschaftler fasziniert.
Der "Dittsche"-Wirt berichtet von Buden wie dem "Glückauf-Grill" in Dorsten, "Heidi's Feldküche" in Leipzig oder "Alles Wurscht" in München. Er dokumentiert den "Budenzauber" und den Charme des Proletarischen in diesen Hütten, "die ja in kompletter Auslassung sämtlicher professioneller Beratung entstanden sind", wie er erzählt.
Vor allem aber zeichnet Olsen ein Bild der Menschen vor und hinter dem Tresen. "Imbissbuden sind Inseln der Ehrlichkeit und Unverkrampftheit. Gäste und Wirte begegnen sich da noch unmaskiert", sagte der Autor im Berliner Currywurst-Museum, in dem er das Buch vorstellte.
"Imbissbuden sind ein Ort, in dem Menschen noch sie selbst sein dürfen", philosophiert der Autor. Auch wenn es pathetisch klinge, es stimme: An der Imbisstheke seien alle Menschen gleich. Sie hätten das Gefühl, dass die Imbissbude zu ihnen gehöre, fast so etwas sei wie ein Wohnzimmer. "Nicht umsonst kommt 'Dittsche' in unserer lustigen kleinen Sendung immer im Bademantel", sagt Olsen.
Sein Buch will er als eine Liebeserklärung an die Imbisskultur und ihre Arbeiter verstanden wissen. Zwei Dinge seien allen Imbisswirten gemeinsam: Humor und Frittengeruch. "Zwei Hamburger 4,40 - wer's nicht glaubt, der irrt sich", zitiert er Adolf Müller aus dem Saarland. Sein Teamwork an der Theke beschreibt er voll Respekt als "perfekte Kette". Sprüche wie "Wer nichts wird, wird Wirt" lässt Olsen deshalb auch nicht gelten. "Die meisten haben zwar schon einen Bruch im Lebenslauf. Aber sie machen das mit Stolz", sagt der Autor. Und über ihm läuft im Currywurst-Museum auf einer Anzeigetafel Deutschlands Currywurst-Zähler. 500 Millionen sollen es in den vergangenen acht Monaten gewesen sein.
Claudia Neu, die sich als Soziologin mit Esskultur beschäftigt, kann Olsen beipflichten. "Ich will zwar nicht unbedingt gleich von der Wurst auf den Nationalcharakter schließen", sagt sie, "aber an dem Mythos, dass an der Imbisstheke alle Menschen gleich sind, ist gar nichts Falsches." An den Buden habe sie selber schon Richter, Studenten und Prostituierte gesehen. Das sei ein Phänomen. "Diese Buden stehen ja in jedem Wohnviertel, das allein ist schon außergewöhnlich. Und sie sind wichtige Plätze im öffentlichen Raum, die der Kommunikation dienen." Das sei in keinem McDonald's so, sagt Neu, die als Professorin an der Hochschule Niederrhein lehrt.
Jürgen Kasper, Geschäftsführer des Bundesverbandes Imbissbetriebe, weiß zu berichten, dass es die Idee der Imbissbude schon im alten Rom gegeben habe. "Mit der Industrialisierung blühten die Stände dann so richtig auf. Es gab Butterstullen und Suppe", erzählt Kasper. Die Grillwurst sei dann nach dem Zweiten Weltkrieg in Mode gekommen.
Heute scheint sie überall salonfähig und hat von den Buden einen Siegeszug angetreten. Im Promi-Treff "Sansibar" in den Dünen der Nordseeinsel Sylt beispielsweise, wo oft Geldadel, DAX-Vorstände und Schauspiel-Schickeria dinieren, steht sie schon zum Brunch auf dem Buffet. Und in Olsens Buch ist zu lesen, dass es die Wurst bei "Fritz Mitte" in Jena auch mit Blattgold-Dekor gebe - samt Piccolo.
Literatur: Jon Flemming Olsen, Der Fritten-Humboldt: Meine Reise ins Herz der Imbissbude, Goldmann, ISBN-13: 978-3-442-31219-1, 14,95 Euro
Imbissbuden-Deutsch für Fortgeschrittene: dpaq.de/E3mgI
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