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1. Risiken aus signifikanten Zinsanstiegen ⇩

Eine historische Zinswende liegt hinter uns: Seit Juli 2022 hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins zehn Mal angehoben: von 0 auf 4,5 Prozent (siehe Abbildung 1). Bislang haben der Banken- und der Versicherungssektor diese Zinswende verkraftet und sich als stabil erwiesen – auch weil die Aufsicht entsprechende institutsspezifische Zuschläge angeordnet hatte. Bisher haben über 800 Banken einen SREP-Zuschlag1 für Zinsänderungsrisiken erhalten. Solche Kapitalaufschläge wegen Zinsänderungsrisiken machen etwa 66 Prozent des Volumens der gesamten Kapitalaufschläge aus.

Allerdings haben viele Unternehmen stille Reserven gehoben, um Verluste, insbesondere bei der Bewertung festverzinslicher Anlagen, zu kompensieren und so ihr Eigenkapital zu stärken. Die abrupte Zinswende des vergangenen Jahres hat hohe Risiken für die Unternehmen des Finanzsektors mit sich gebracht – insbesondere für diejenigen, die aufgrund ihrer Geschäfts- und Anlagepolitik besonders exponiert waren und nicht ausreichend gegensteuerten. Bislang waren diese Risiken verdaubar. Bei einem weiteren Zinsanstieg oder einer stärkeren Inversion der Zinsstrukturkurve, würden sich die Zinsrisiken der von der BaFin beaufsichtigten Unternehmen jedoch wieder verschärfen. Im Laufe des Jahres 2023 ist die Wahrscheinlichkeit weiterer signifikanter Zinsanstiege aber gesunken – und damit auch das Zinsrisiko insgesamt.

Abbildung 1: Leitzinsen ausgewählter Zentralbanken im Zeitverlauf

Grafik Leitzinsen ausgewählter Zentralbanken im Zeitverlauf Quelle: LSEG Datastream, Stand Oktober 2023 Abbildung 1: Leitzinsen ausgewählter Zentralbanken im Zeitverlauf

Banken und Sparkassen

Die Zahl der Institute mit einem erhöhten Zinsänderungsrisiko2 ist kontinuierlich und auch im dritten Quartal 2023 weiter gesunken, auch wenn das Zinsänderungsrisiko insbesondere bei Genossenschaftsbanken und Sparkassen weiterhin hoch ist. Der Grund dafür ist, dass ihr Geschäftsmodell stark auf der Fristentransformation basiert. Ursachen des verringerten Zinsänderungsrisikos sind unter anderem Veränderungen in der Bilanzstruktur der Institute, die Tatsache, dass bereits viele Unternehmen Verluste realisiert haben, und, in geringem Maße, der Einsatz von Derivaten, mit denen solche Zinsrisiken abgesichert werden.

Durch die bisherigen Zinsanstiege und damit einhergehende Bewertungsverluste sind die Bewertungsreserven und weitere stille Reserven in den Bilanzen der weniger bedeutenden Institute (Less Significant InstitutionsLSIs) weitgehend aufgebraucht (siehe Abbildung 2). Zugleich haben LSIs teilweise umfangreiche stille Lasten aufgebaut. Normalerweise gleichen sich diese im Zeitverlauf wieder aus, da der Marktpreis von Anleihen gegen Ende der Laufzeit wieder gegen den Nominalwert konvergiert (Pull-to-Par-Effekt). Soweit festverzinsliche Anlagen bis zur Endfälligkeit gehalten werden, entsteht daher kein Abschreibungsbedarf.

Abbildung 2: Stille Reserven und stille Lasten im Zinsbuch deutscher Sparkassen und Kreditgenossenschaften*

Grafik Stille Reserven und stille Lasten im Zinsbuch deutscher Sparkassen und Kreditgenossenschaften * Beinhaltet nur Primärinstitute ohne Positionen im Handelsbuch. 1) Verhältnis vom Barwert zum Buchwert des Zinsbuchs. Werte größer als 100% deuten auf stille Reserven, Werte kleiner als 100% auf stille Lasten hin. Zinsbuch-Buchwert approximiert als Summe von bilanziellem Eigenkapital und Fonds für allgemeine Bankrisiken. Quelle: Berechnungen der Bundesbank, Stand September 2023 Abbildung 2: Stille Reserven und stille Lasten im Zinsbuch deutscher Sparkassen und Kreditgenossenschaften*

Positiv auf die Profitabilität haben sich die Zinserträge der Kreditinstitute ausgewirkt. Die Zinsmarge hat signifikant zugenommen, da die Institute die höheren Zinsen noch nicht vollständig an die Einleger weitergegeben haben. Zudem steigen aktuell die Kreditzinsen schneller als die Einlagenzinsen. Allerdings haben die Institute in den vergangenen Jahren viele Kredite mit niedrigeren Zinsen und langer Zinsbindung ausgegeben, was die Möglichkeiten zur Realisierung steigender Zinseinnahmen beschränkt. Zugleich schränkt eine abgeschwächte Kreditnachfrage die Neukreditvergabe ein.

Die Kernkapitalquote hat sich bei den bedeutenden Instituten (Significant InstitutionsSIs) und LSIs leicht erhöht. Die Eigenkapital-Rentabilität der Institute stieg von 3,7 Prozent im vierten Quartal 2022 auf 6,94 Prozent im dritten Quartal 2023. Die Cost-Income-Ratio aller Banken lag im dritten Quartal 2023 deutlich unter der des Vorjahreszeitraums (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Bilanzstruktur und Zinsänderungsrisiken bei Kreditinstituten
Q2 2022Q3 2022Q4 2022Q1 2023Q2 2023Q3 2023

* Zinsänderungsrisiko

Quelle: Gemeinsame Berechnungen von BaFin und Bundesbank auf Basis des aufsichtlichen Meldewesen, Stand: 30. September 2023

Cost-Income Ratio alle Banken75%76%70%56%57%57%
Eigenkapital-Rentabilität alle Banken2,00%2,10%3,70%7,80%7,20%6,94%
Institute mit erhöhtem ZÄR*590458307326304278
Zinsrisikokoeffizient10,90%9,70%9,10%8,80%8,80%8,69%
Kernkapitalquote LSI15,71%15,55%16,00%16,04%16,26%16,30%
Kernkapitalquote SI15,32%14,98%15,89%16,14%16,50%16,51%

Perspektivisch dürfte sich die Zinsmarge der Kreditinstitute bei einem weiterhin hohen Zinsniveau deutlich verringern, da Privatkundinnen und -kunden und Unternehmen zunehmend auf höher verzinste Termineinlagen und andere verzinsliche Anlagen umschichten. Der Wettbewerb um Einlagen könnte weiter zunehmen. Dann wären die Institute gezwungen, ihren Einlagenzins weiter zu erhöhen (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3: Vergleich tatsächlicher Einlagenzinssatz und prognostizierter Einlagenzinssatz auf Basis eines Zinsweitergabemodells*

Grafik Vergleich tatsächlicher Einlagenzinssatz und prognostizierter Einlagenzinssatz auf Basis eines Zinsweitergabemodells * Schätzzeitraum: Januar 2003 bis Dezember 2021. Prognosezeitraum: Januar 2022 bis April 2023. Quelle: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht, Juni 2023 Abbildung 3: Vergleich tatsächlicher Einlagenzinssatz und prognostizierter Einlagenzinssatz auf Basis eines Zinsweitergabemodells*

Vulnerable Finanzierungsstrukturen

Die Verzinsung und Fristigkeit von Einlagen hat einen Einfluss auf die Stabilität der Refinanzierungsstruktur von Kreditinstituten – insbesondere, wenn sie stark einlagenfinanziert sind. Eine höhere Verzinsung der Einlagen schmälert die Zinsmarge, führt aber in einem funktionierendem Wettbewerbs- und Marktumfeld zu einer stabileren Refinanzierung, und umgekehrt.

Die Entwicklungen im US-amerikanischen Bankensektor im Frühjahr 20233 haben dies verdeutlicht: Vulnerable Finanzierungsstrukturen führten im Zusammenspiel mit erhöhten Zinsänderungsrisiken bzw. fragilen Geschäftsmodellen zu existenzgefährdenden Solvenz- und Liquiditätsproblemen. Begünstigt wurde der sehr schnelle und starke Abfluss von Liquidität durch einen hohen Anteil an kurzfristigen Einlagen der Institute. Beschleunigt wurden diese Abflüsse auch durch die Nutzung digitaler Kanäle seitens der Kundinnen und Kunden.

Versicherungsunternehmen

Die höheren Zinsen haben die wirtschaftliche Lage der Lebensversicherer und Pensionskassen kurz- und langfristig verbessert. Sie konnten ihren kurzfristigen Abschreibungsbedarf über außerordentliche Kapitalanlageerträge4 und die Auflösung der Zinszusatzreserve ausgleichen. Mittel- und langfristig ist die Neu- und Wiederanlage wieder ertragreicher. Lebensversicherer konnten so ihre Risikotragfähigkeit nach Solvency II stärken.

Wie bei den Kreditinstituten führten allerdings auch bei den Versicherern Marktwertänderungen bei festverzinslichen Anlagen zum Abschmelzen von Bewertungsreserven und zum Aufbau stiller Lasten. Dies gilt insbesondere für Lebensversicherer (siehe Abbildung 4). Dies engt den Handlungsspielraum der Versicherer bei der Kapitalanlage ein, ist aber nicht ergebniswirksam, sofern die Kursverluste der Wertpapiere zinsbedingt sind und die Unternehmen die Kapitalanlage bis zur Endfälligkeit halten. Das Liquiditätsmanagement der Versicherer gewinnt in diesem Umfeld eine besondere Bedeutung.

Abbildung 4: Unsaldierte Bewertungsreserven und -lasten der Lebensversicherer

Grafik Unsaldierte Bewertungsreserven und -lasten der Lebensversicherer Quelle: Aufsichtliches Meldewesen Abbildung 4: Unsaldierte Bewertungsreserven und -lasten der Lebensversicherer

Die Auswirkungen der höheren Inflation könnten in allen Sparten bewirken, dass Kundinnen und Kunden das Geld für ihre Prämien nicht mehr aufbringen können oder wollen. Dies hätte zur Folge, dass mehr Verträge storniert oder Prämienzahlungen ausgesetzt werden. Höhere Stornoquoten können bei Versicherern mit langfristigen Versicherungsverträgen Liquiditätsabflüsse auslösen. Um diese auszugleichen, wären die Unternehmen möglicherweise gezwungen, Wertpapiere zu verkaufen. Sie müssten dazu gegebenenfalls stille Lasten realisieren, was sich wiederum negativ in ihren Ergebnissen niederschlüge Bei den im Jahr 2023 durchgeführten Quartalsabfragen zur Liquidität unter ausgewählten Versicherern zeichneten sich allerdings noch keine Liquiditätsprobleme ab. Auch aus den der BaFin vorliegenden Daten ergaben sich bislang keine übermäßigen und erzwungenen Realisierungen stiller Lasten.

Bei den Lebensversicherern könnte die Stornoquote durch die höheren Zinsen steigen, weil andere Anlagen im Vergleich zu bestehenden Verträgen mit niedriger Verzinsung attraktiver werden. Tatsächlich zeigte sich im Jahr 2023 bei den Lebensversicherern ein deutlicher Rückgang des Neugeschäfts gegen Einmalbeiträge, während das Neugeschäft gegen laufenden Beitrag relativ stabil war. Zwar stieg die Stornoquote bei hochvolumigen Versicherungsverträgen Anfang 2023 vorübergehend an, insgesamt waren gegenüber dem Vorjahr jedoch über alle Lebensversicherer hinweg nur leicht höhere Stornoquoten zu beobachten.

Bei Pensionskassen besteht aufgrund des Abfindungsverbots im Betriebsrentengesetz kein Stornorisiko. Die Beitragsfreistellungen können jedoch erheblich ansteigen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Pensionskassen Kapitalanlagen unter Buchwert veräußern müssen, schätzt die BaFin dennoch insgesamt als gering ein. Allerdings dürfte das aktuell schwierige wirtschaftliche Umfeld die grundsätzliche Fähigkeit der Arbeitgeber beeinträchtigen, Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung im Bedarfsfall finanziell zu unterstützen.

Wie die BaFin vorgeht

  • Die BaFin begleitet die Kreditinstitute mit einem erhöhten Zinsänderungsrisiko und knapper Kapitaldecke weiterhin eng.
  • Die BaFin setzt sich weiter mit den Folgen der Zinsentwicklung für die von ihr beaufsichtigten Institute auseinander. Hierzu führt sie einen Stresstest bei LSIs und Bausparkassen durch, der verschiedene Zinsszenarien abfragt (Senkung, Erhöhung, Drehung).
  • Auch die Auswirkungen der Zinswende auf die Verbraucherinnen und Verbraucher analysiert die BaFin. Sofern sich dabei Auffälligkeiten zeigen, führt die BaFin zum Beispiel Verbraucherbefragungen zum Anlage- und Kreditnachfrageverhalten durch.
  • Zudem befasst sich die Finanzaufsicht mit besonders vulnerablen Refinanzierungsstrukturen und den Konsequenzen eines verschärften Einlagenwettbewerbs. Dabei sollen alle Facetten eines möglicherweise veränderten Einlegerverhaltens sowie erhöhter Zinsen untersucht werden – etwa die Ertragsauswirkungen, Drohverlustrückstellungen und anfällige Bilanzstrukturen.
  • Die BaFin beobachtet weiter das Liquiditätsrisiko für Versicherer. Ausgewählte Unternehmen bezieht sie im Jahr 2024 in das quartalsweise fortgeführte Liquiditätsmonitoring der Europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA ein. Zudem setzt sich die BaFin vertieft mit der Messung von Liquiditätsrisiken bei Lebensversicherern auseinander.

  1. 1 SREP steht für den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess (Supervisory Review and Evaluation Process).
  2. 2 Gemäß des aufsichtlichen Standardtests gilt das Zinsänderungsrisiko als erhöht, wenn die barwertigen Verluste in Folge einer Zinsänderung um 200 Basispunkte 20 Prozent der regulatorischen Eigenmittel übersteigen.
  3. 3 Vgl. Darstellung insbesondere zur Schieflage der US-amerikanischen Silicon Valley Bank im Stabilitätsbericht 2023 der Deutschen Bundesbank, Seite 27ff.
  4. 4 Dabei handelt es sich um (bilanzielle) Zuschreibungen und/oder Realisierung/Auflösung von Bewertungsreserven nach dem Handelsgesetzbuch.

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