Von wegen Boomer, Gen Z, Millennials: Hört endlich auf mit diesem Generationen-Geschwätz!
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Von wegen Boomer, Gen Z, Millennials: Hört endlich auf mit diesem Generationen-Geschwätz!

15.04.2023 15:34 - update 16.04.2023 14:52
Michel Schultheiss

Michel Schultheiss

Menschen kann man nach Jahrgängen einteilen und daraus ableiten, wie sie ticken. Das zumindest behaupten manche Bestseller. Wie kommen die aber darauf? Eine Kritik.

Wer kennt ihn nicht, den Onkel am Familienfest, der zu allem etwas zu sagen hat. Diesmal sind es die Fotos vom jüngsten Openair. Die Abfallberge auf dem Festivalgelände haben ihn auf die Palme gebracht. «Da haben wir es: Am Freitag gehen sie für das Klima demonstrieren, am Samstag richten sie eine solche Sauerei an», blökt er beim ersten Bier in die Runde. Damit hat er die «Jungen», die Wasser predigen und Wein trinken, so richtig überführt – glaubt er. Schliesslich kennt er sämtliche Festivalbesucher:innen und Demonstrant:innen und weiss daher auch, dass das dieselben Leute sind – die Generation Z eben.

Vielleicht hat der besagte Onkel das mit der Generation Z irgendwo auf einer Telekom-Startseite aufgeschnappt. Und dann schimpft der Boomer über die angeblich verweichlichte junge Generation. Wobei wir mit «Boomer» schon bei der nächsten Schublade gelandet sind. Wer so argumentiert, tappt in dieselbe Falle wie der Onkel.

Von wegen Boomer, Gen Z, Millennials: Hört endlich auf mit diesem Generationen-Geschwätz!
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Ob Generation X, Y, Z oder Boomer: Hauptsache, die Menschen werden mit Worthülsen sortiert. So zumindest wollen uns das zahlreiche Befindlichkeits-Beiträge und Ratgeber für die Geschäftswelt weismachen. So etwa der Beststeller «Gen Z» von 2022. Wer zwischen 1995 und 2010 geboren wurde, gehört dazu. Wer sagt denn das? Es ist einfach so. Schluss. Punkt.

Der Generationen-Mythos

Ebenso klar ist, was die Gen Z auszeichnen soll. «Karriere, Kuscheln oder Klima retten» – die Generation Z will von allem etwas, heisst es dort. «Sie empfinden Flugscham, wenn sie für 50 Euro günstig von Berlin nach Barcelona jetten.» Wirklich? Ein Blick auf die Instagram-Fotos von jungen wie auch älteren Freunden zeigt ein anderes Bild. Reisetrophäen werden zur Schau getragen, als hätte es die Diskussion um den Klimawandel nie gegeben. Dass beides nebeneinander existieren kann, auch innerhalb derselben Generation, ist sowohl für den Onkel vom Familienfest wie auch für den Bestseller offenbar undenkbar.

Dieses Schubladendenken wurde bereits vom Soziologen Martin Schröder in seinem Beitrag «Der Generationenmythos» zerlegt. Darin kritisiert er die Zwangsläufigkeit, mit der alle 15 Jahre eine neue Generation ausgerufen wird. Vor allem aber: Um überhaupt herauszufinden, ob zum Beispiel die Millennials anders ticken als die Generation X oder die Boomer, müsste ein Vergleich gezogen werden. Genau das geschieht aber nicht, so Schröder.

Daher macht er das gleich selbst und stellt die Jugendbefragungen aus unterschiedlichen Jahren einander gegenüber. Wie wichtig ist für dich Selbstverwirklichung? Beruflicher Erfolg? Siehst du die Zukunft zuversichtlich? Interessiert an Politik? Überraschende Resultat: Erhebliche Unterschiede zwischen den angeblich so andersartigen Generationen lassen sich nicht belegen.

Eine Antwort auf Schröder liess nicht lange auf sich warten: Verfasser der Shell-Studie, die den Jugendlichen auf den Puls fühlt, verteidigten den Generationen-Begriff. Es gehe darum, zu schauen, ob Jugendliche sensibel auf sich wandelnde gesellschaftliche Herausforderungen reagieren. Allerdings stellen auch sie fest: Der Begriff Generation wird in den Medien oft inflationär verwendet.

«Nix gemeinsam» bis auf den Jahrgang

Dass technische Innovation, die wirtschaftliche Grosswetterlage und der Wertewandel auf die Jugendlichen beim Heranwachsen einwirken – geschenkt. Es ist auch sinnvoll, genau das zu untersuchen. So weit, so gut.

Nur: Glaubt man dem medialen Generationen-Gedöns, so könnte man meinen, einzig darauf komme es an. Nehmen wir mal eine Wissenschaftlerin aus der Stadt, ein Sozialhilfeempfänger in einer Agglo-Gemeinde, eine Landwirtin in den Voralpen und ein international tätiger Banker. Sie alle haben den gleichen Jahrgang und leben alle in der Schweiz. Doch womöglich haben sie abgesehen davon das Heu gar nicht auf derselben Bühne.

«Du und dein Boss haben nix gemeinsam bis auf das Deutschlandtrikot», heisst es einer Zeile der Hip-Hop-Gruppe K.I.Z. Ähnlich wie bei der Nationalität verhält es sich mit der Generation als angeblich dominierendes Unterscheidungsmerkmal. Soziale Schicht, Stadt oder Land, Beruf- und Bildungsweg – all dies scheint plötzlich wie von Zauberhand verschwunden zu sein. So hat auch eine Datenanalyse von Tamedia kürzlich aufgezeigt, wie unterschiedlich Schweizer Jugendliche ticken – und dass viele gar nicht so progressiv denken, wie oft behauptet wird.

Die neuen Horoskope

Natürlich ist es bequemer, alles auf ein markiges Allerweltswort herunterzubrechen. Für jeden hat es etwas dabei: Die Generation Y will Selbstverwirklichung und Karriere und sucht nach emotionaler Bindung. Die Generation Z will Selbstbestimmung, Anerkennung und Kontakt mit anderen Menschen. Wer aber will das schon nicht? Hauptsache, die Leute irgendwo versorgen – das beobachteten die Philosophen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno schon lange vor dem Smartphone: Der Mensch schrumpfe vermehrt zum «Knotenpunkt von Funktionsweisen» zusammen, die sachlich von ihm erwartet werden. Auf heute bezogen: Er hat etwa unternehmerisch zu denken, wie uns etwa der Bestseller Gen Z weismacht. Ein bisschen Sorge ums Klima ist schon okay, ansonsten hat der Mensch aber in ein Schema zu passen.

Also, wenn der Onkel das nächste Mal am Familienfest mit seinen Generationen-Rant loslegt: Sagt ihm bitte, dass er sich eigentlich über ein Gespenst aufregt.

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