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Was Griechenland jetzt braucht

Warten auf bessere Zeiten: Strassenszene, aufgenommen in einem der grossen Fleischmärkte in Athen.

Noch drei Tage – und dann wird Griechenland nicht mehr unter dem gemeinsamen Schutzschirm seiner Europartner und des Internationalen Währungsfonds stehen. Die achtjährige Phase milliardenschwerer Rettungsprogramme, die für die Bevölkerung mit drakonischen Einschnitten beim Lebensstandard verbunden waren, geht zu Ende. Kein anderes europäisches Land musste in der Nachkriegszeit eine derart brutale Rosskur erdulden: Verglichen mit 2010 ist die griechische Wirtschaftsleistung um ein Viertel geschrumpft und sind die verfügbaren Einkommen im Durchschnitt gar um ein Drittel eingebrochen.

Eine andere Folge der jahrelangen wirtschaftlichen und sozialen Talfahrt wird Griechenland auf kurze und mittlere Frist besonders zu schaffen machen. Zwischen 350'000 und 400'000 Griechen sind in den letzten acht Jahren ausgewandert – die meisten von ihnen zwischen 20 und 40 Jahre alt und mit einem Universitätsabschluss. Unter diesen Ausgewanderten befanden sich besonders viele Ärzte, Ingenieure und Spezialisten aus der Informationstechnik, denen sich in andern europäischen Ländern vielversprechende berufliche Perspektiven boten.

Allein bei den Ärzten haben über 18'000 Griechen ihrem Land den Rücken gekehrt, darunter nicht nur solche, die gerade ihr Studium beendeten, sondern auch erfahrene Spezialisten. Derzeit fehlen dem Gesundheitssektor des Landes, der im Zuge der Sparprogramme stark zurückgestutzt wurde, nicht weniger als 8000 Mediziner. Diese Zahlen publizierte die britische «Financial Times» mit Verweis auf entsprechende Untersuchungen an der Universität Oxford.

Keine Rückkehrwelle zu erwarten

Die grosse Frage ist jetzt, am Beginn eines neuen Kapitels für Griechenland: Gelingt es dem Land, einen Grossteil dieser gut ausgebildeten und international vernetzten Leute zurückzulocken? Davon werden die längerfristigen Wachstumsperspektiven der griechischen Wirtschaft massgeblich bestimmt, sind Ökonomen überzeugt.

Die Anzeichen sprechen indes gegen eine Welle rasch entschlossener Rückkehrwilliger. Wie eine im letzten Jahr durchgeführte EU-Erhebung in London und in den Niederlanden ergab, planen nicht einmal 10 Prozent der griechischen Auswanderer, in den nächsten drei Jahren in ihr Heimatland zurückzukehren; und nur ein Fünftel von ihnen fasst auf längere Sicht eine Heimkehr ins Auge. Bei den Rückkehrwilligen handelt es sich oft um solche, die ihr Land bereits kurz nach Ausbruch der Krise verlassen hatten und in den zurückliegenden Auslandsjahren Geld ansparen konnten.

Hartnäckiges «Klientel-Modell»

Ihnen bietet sich, vorsichtig ausgedrückt, ein zwiespältiges Bild in ihrer Heimat. Im privaten Wirtschaftssektor, so berichten Beobachter, haben die von der Athener Regierung auf Betreiben der Kreditgeber umgesetzten Marktöffnungen und der Regulierungsabbau eine merklich verbesserte Stimmung bewirkt. Aus anekdotischen Erzählungen geht hervor, dass griechische Unternehmen ihr Augenmerk, wenn auch zögerlich, zunehmend auf ausländische Märkte richten – wohlwissend, dass sie dafür ihre qualitativen Standards erhöhen müssen. Dennoch: Nur etwa jedes fünfte Unternehmen erarbeitet heute auf nachhaltiger Basis einen Gewinn.

Im öffentlichen Sektor hingegen hat sich in all den Jahren wenig bewegt. Stellen werden dort nach wie vor primär nach politischen Kriterien bewilligt, gleich verhält es sich mit der Auswahl der Mitarbeitenden. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras selbst sprach in einem Interview mit der «Financial Times» im Juni von einem «Klientel-Modell», bei dem politische Beziehungen auf jeder Ebene darüber entscheiden würden, wer eine Anstellung oder öffentliche Aufträge und andere Geschäftsmöglichkeiten bekomme. Wenngleich Tsipras herausstrich, dass diesbezüglich noch grosser Reformbedarf bestehe und «die Kultur und das Verhalten geändert» werden müsse – seine Regierung hat in ihrer dreieinhalbjährigen Amtszeit wenig dazu beigetragen.

Portugals glückliche Kehrtwende

Einen Hoffnungsschimmer für die Griechen bietet ein anderes kleines Euroland im Süden – Portugal. Auch die Portugiesen mussten 2011, ein Jahr nach den Griechen, Schutz unter dem Eurorettungsschirm suchen und einen harten Sparkurs über sich ergehen lassen. Seit 2014 steht das Land wieder auf eigenen Beinen und kann sich selbstständig am Kapitalmarkt finanzieren.

Für einen Wachstumsschub sorgte indes eine wirtschaftspolitische Kehrtwende unter dem Sozialisten Antonio Costa, der im Herbst 2015 Regierungschef wurde. Statt weiter eisern zu sparen, lockerte er die Fiskalpolitik: Vorausgegangene Steuererhöhungen wurden zurückgenommen, Löhne im öffentlichen Sektor erhöht, desgleichen der Mindestlohn und die Renten. Für zusätzliche Unterstützung sorgte der allgemeine Konjunkturaufschwung in Europa, die extrem lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank und nicht zuletzt ein touristischer Boom in Portugal.

Natürlich sind die Probleme des Landes noch längst nicht gelöst. Die staatliche und private Schuldenlast ist nach wie vor sehr hoch, ebenso die Arbeitslosigkeit mit knapp 10 Prozent, und der Bankensektor sitzt auf einem Berg fauler Kredite. Dennoch hat die Regierung etwas Entscheidendes bewirkt: Es ist ihr gelungen, das Vertrauen in der Bevölkerung und den Unternehmergeist in der Wirtschaft zu stärken. Dies sollten sich Alexis Tsipras und seine Getreuen in Athen zum Vorbild nehmen.