Greta Thunberg bei Anne Will: „Die Politik der Grünen ist heuchlerisch“

Letzte Woche wurde Lützerath geräumt. Statt über die Spannung zwischen Politik und Klimaprotest zu sprechen, wurde bei Anne Will viel über die Legitimität der Proteste diskutiert.

Erkelenz: Die Klimaaktivistin Greta Thunberg steht zwischen Keyenberg und Lützerath unter Polizeibewachung am Rande des Tagebaus und tanzt.
Erkelenz: Die Klimaaktivistin Greta Thunberg steht zwischen Keyenberg und Lützerath unter Polizeibewachung am Rande des Tagebaus und tanzt.Federico Gambarini/dpa

Alt gegen Jung. Wirtschaft gegen Wissenschaft. Aktivismus gegen Parteienpolitik. Bei Diskussionen über Lützerath prallten letzte Woche gleich mehrere polare Gegensätze aufeinander. Am Wochenende wurde die Siedlung am Tagebau Garzweiler geräumt.

Über Jahre und insbesondere in den vergangenen Wochen war Lützerath von Klimaaktivistinnen und -aktivisten besetzt worden. Sie hatten vor Ort gegen den Abriss des Ortes zur Braunkohlenutzung durch RWE protestiert. Lützerath wurde so auch zur Belastungsprobe für die Grünen.

Während viele Jüngere vor Ort demonstrierten und der Parteispitze Inkonsequenz vorwarfen, verteidigte Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck die Entscheidung für den Abriss – im Gegenzug für eine Vereinbarung zum Kohleausstieg in NRW ab 2030 – als politischen Kompromiss. Lützerath, so Habeck, sei das „falsche Symbol“.

Luisa Neubauer durfte selten wirklich ausreden

Die wohl bekannteste deutsche Klimaaktivistin, Luisa Neubauer, die in den letzten Tagen selbst in Lützerath demonstriert hatte, wurde zu Beginn der Sendung bei Anne Will mit Fragen zum Polizeieinsatz und den Grenzen legitimen Protests konfrontiert. In den vergangenen Tagen waren Videos kursiert, die Polizeigewalt am Rande des Tagebaus dokumentierten. Andere Videos zeigten fliegende Molotowcocktails und schienen belegen zu wollen, dass die Demonstrierenden Grenzen überschritten hatten.

Neubauer berichtete, dass, was sie an polizeilichem Durchgreifen beobachtet habe, in keinem Verhältnis dazu stünde, was passiert war. Mit in die Diskussion eingebunden wurde NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), der den Einsatz, wenig überraschend, als „hochprofessionell“ verteidigte. Derartige Aussagen, betonte Neubauer, seien angesichts Hunderter verletzter, teils schwer verletzter Demonstrierender „schockierend“. Die Polizei in Lützerath habe alles andere als deeskalierend gehandelt.

Seitens Protestierender habe es außerdem einen „Aktionskonsens“ gegeben, wonach Gewalt gegen Personen nicht akzeptiert würde, so Neubauer. Auffällig wirkte, dass die Aktivistin von Will, anders als Reul, gleich zu Beginn mehrmals unterbrochen wurde. Der an Neubauer gestellte Anspruch, die Gewaltlosigkeit zu belegen, schien Reul gegenüber kaum eine Rolle zu spielen.

Ein Interview mit Greta Thunberg

Die Ikone des Klimaprotests, Greta Thunberg, saß zwar nicht in der Gesprächsrunde, war dafür aber vor Ort in Lützerath, wo sie die Proteste unterstützt hatte, von Will interviewt worden. Auf Wills Frage, ob Thunberg es nicht als Erfolg verbuche, dass mit dem Abriss Lützeraths ein politischer Kompromiss geschlossen worden sei, erklärte Thunberg, es sei nicht ihre Rolle, Kompromissen zuzusehen.

„Wir können nicht akzeptieren, dass RWE Deals mit der Regierung machen darf und dadurch die Leben von vielen Menschen auf der ganzen Welt gefährdet.“ Auf die dahinterstehende Politik der Grünen angesprochen, kommentierte Thunberg, sie halte es für „heuchlersich“, erst an Demos für Lützerath teilzunehmen, um Lützerath kurze Zeit später zu opfern. Die deutsche Bundesregierung ignoriere die Warnrufe der Wissenschaft.

Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang verteidigte die Politik

Stellvertretend für die Grünen war die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang eingeladen, der hier die schwierige Rolle zukam, die Politik der Parteispitze zu verteidigen, obwohl sie sichtlich mit den Protesten mitfühlte: „Mich schmerzt es, dass Lützerath geräumt wurde“, sagte Lang. Sie argumentierte, dass aufgrund der durch den Ukraine-Krieg verursachten Energiekrise in den nächsten zwei Jahren schlicht mehr Kohle als sonst gebraucht werde. Danach müsse dann aber endlich stärker in erneuerbare Energien investiert werden. „Wir werden alles dafür tun, dass in den nächsten Jahren so wenig Kohle wie möglich abgebaut wird,“ so Lang. Sie könne nachvollziehen, dass politische Kompromisse als nicht ausreichend gesehen würden. Sie wisse aber auch, dass man ganz ohne Kompromisse im Klimaschutz einfach nicht weiterkomme.

Für eine Diskussion zwischen Lang und Neubauer, in der sich zwei gleichsam nachvollziehbare Positionen – kompromissorientierte Klimapolitik und aktivistische Kante – hätten vertiefen können, blieb an diesem Abend leider kaum Zeit. Stattdessen wurde Neubauer von Will befragt, ob sie nach der Erfahrung von Lützerath überlege, aus der Partei auszutreten. „Nein“, konterte Neubauer, „ich überlege, wie wir Lützerath retten können.“ Entgegen Aussagen der Regierung seien rechtliche Details – in Lützerath stünde Eigentumsrecht gegen Bergrecht – nicht abschließend geklärt.

Wirtschaft gegen Wissenschaft

Wenngleich sich alle Beteiligten dieser Runde einig zu sein schienen, dass es sich bei Kohle um ein zu überwindendes Relikt der Vergangenheit handelt, entzündete sich zwischen dem Klimaforscher Mojib Latif und dem Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, eine angeregte Diskussion darüber, welche Energieform die Kohle über kurz oder lang ersetzen könnte.

In der derzeitigen Unsicherheitsphase, so Hüther, könne man Atomkraftwerke nicht einfach deaktivieren oder als Energiealternative ausschließen. Latif hielt hier entschlossen dagegen. Atomkraft sei der falsche Weg, wie das Beispiel Frankreich zeige, wo Atomkraftwerke jüngst stillstanden, weil sie schlicht nicht mehr gekühlt werden konnten. Atomkraft sei weder sicher noch billig, resümierte Latif. „Wenn wir so weitermachen, dann verhindern wir, dass die Finanzindustrie endlich in die erneuerbaren Energien einsteigt.“

Insgesamt zeigte der Abend, dass das Thema Klima und erneuerbare Energien sich selbst in Verengung auf einen Schauplatz wie Lützerath in einer Stunde kaum erschöpfend diskutieren lässt. Zumal, wenn sich ein Großteil der Diskussion damit aufhält, dass sich junge Aktivistinnen älteren Ministern oder der Allgemeinheit gegenüber erklären müssen, wie oder weshalb sie für ein Ende klimaschädlicher Energiegewinnung demonstrieren. Anstatt aktive Personen in derartige Rechtfertigungshaltungen zu drängen, sollten wir ihnen endlich die verdiente Anerkennung zukommen lassen, das Thema Klima nachhaltig politisiert zu haben.